Tanner-Stadien
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Tanner-Stadien
Störungen der Pubertätsentwicklung ♀ ♂ Informationsbroschüre für Ärzte und Ärztinnen 2008 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung....................................................................................................................3 2. Normale Pubertätsentwicklung...................................................................................4 2.1. Zeitlicher Ablauf der Entwicklung wichtiger Pubertätsmerkmale...............................4 2.2. Hodenvolumen............................................................................................................5 2.3. Labormesswerte.........................................................................................................5 3. Pubertas praecox und prämature Teilentwicklungen.................................................6 3.1. Ursachen und Differentialdiagnose............................................................................6 3.2. Prämature Teilentwicklungen.....................................................................................7 3.3. Diagnostik bei Pubertas praecox................................................................................7 3.5. Therapie bei Pubertas praecox..................................................................................8 4. Pubertas tarda, ausbleibende Pubertätsentwicklung.................................................9 4.1. Ursachen und Differentialdiagnose............................................................................9 4.2. Diagnostik bei Pubertas tarda..................................................................................10 4.4. Therapie bei Pubertas tarda.....................................................................................10 5. Pubertätsgynäkomastie............................................................................................11 5.1. Ursachen und Differentialdiagnose..........................................................................11 5.2. Diagnostik bei Pubertätsgynäkomastie....................................................................12 5.4. Therapie bei Pubertätsgynäkomastie.......................................................................12 6. Literatur und Anmerkungen......................................................................................13 Seite 2 von 13 1. Einleitung Pubertät ist die körperliche Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen mit den Hauptmerkmalen: ✗ Reifung primärer Geschlechtsmerkmale und Erlangung der Reproduktionsfähigkeit ✗ Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale ✗ Wachstumsbeschleunigung Aus physiologischer Sicht findet eine Änderung der neurohormonalen Steuerung mit Aktivierung der gonadotropen Achse statt. Sie wird von endogenen (genetisch bedingten) sowie exogenen (Ernährung, körperliche Arbeit, Gesundheit, sowie hormonell-chemische und soziale sowie psychische Umweltfaktoren) beeinflußt. Adoleszenz ist mit diesem Prozess assoziiert und bezeichnet die psychischen und sozialen Veränderungen vom Kind zum Erwachsenen. Diese Entwicklung ist außerdem vom kulturellen Umfeld beeinflußt. Die deskriptive Beurteilung der Entwicklung der Geschlechtsmerkmale erfolgt anhand der Pubertätsstadien nach Tanner: Merkmal PH ... pubic hair Pubesbehaarung ♀♂ B ... breast Brust ♀ G ... genital Genitale ♂ (in Skizze mit entsprechendem PH-Stadium) Bezeichnung Kurzbeschreibung PH1 kein Unterschied zur Umgebung PH2 spärliche wenig pigmentierte glatte Haare an Labia majora bzw um Peniswurzel PH3 dunkler, gekräuselt, aus Distanz erkennbar PH4 wie Erwachsene, geringe Ausdehnung, noch nicht dreieckförmig PH5 Erwachsene, horizontale Begrenzung oben, Übergang auf Oberschenkelinnenseite PH6 Erwachsene, Ausbreitung entlang Linea alba B1 kein Drüsenkörper palpabel, nur Kontur der Mamille sichtbar B2 Drüsenkörper ≤ Areola tastbar leichte Erhebung sichtbar B3 Drüsenkörper > Areola, fließende Kontur zwischen Areola und Brustkörper B4 Erwachsene, Kontur der Areola abgehoben B5 Erwachsene, abgerundetete Kontur G1 präpubertal, Hodenvolumen ≤ 3ml G2 Testes etwas vergrößert, Skrotalhaut gefältelt G3 Testes+Penis größer G4 Penis größer, Kontur der Glans erkennbar G5 Testes+Penis Erwachsener Skizze Seite 3 von 13 2. Normale Pubertätsentwicklung Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über den normalen zeitlichen Ablauf der Pubertätsentwicklung sowie über Normalbereiche für anthropometrische und Hormonserumspiegel. Zur Beurteilung reicht in der Regel die klinische Untersuchung (Tanner-Stadien) aus. 2.1. Zeitlicher Ablauf der Entwicklung wichtiger Pubertätsmerkmale Bei Mädchen ist das erste Pubertätsmerkmal meist die Thelarche, gefolgt von der Pubarche innerhalb eines Jahres. Eine normale Variante ist die Pubarche als erstes Merkmal bei sonst normalem zeitlichen Ablauf. Das Alter bei Thelarche liegt zwischen vollendetem 8. und 13. Lebensjahr. Der Zeitraum bis zur Menarche beträgt 2-3 Jahre, bis zum Erreichen des Tannerstadiums 5 ungefähr 4 Jahre. B2 PH2 Maximum der Wachstumsgeschwindigkeit Menarche B5 reguläre Menses Alter 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Bei Buben erfolgt als erstes wahrnehmbares Zeichen die Genitalentwicklung zum Stadium G2 (genauer wäre die Zunahme des Hodenvolumens über 3ml, was eine Messung mittels Orchidometer voraussetzt), kurz darauf gefolgt von der Pubarche, zwischen 9. und 14. Lebensjahr. Der Zeitraum bis zum Erreichen des Tannerstadiums 5 beträgt ungefähr 3 Jahre. G2 PH2 Maximum der Wachstumsgeschwindigkeit G5, PH5 Stimmbruch Bartwuchs Alter 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Anmerkung: obige Grafiken sind eine skizzierte Darstellung Es bestehen erhebliche geografische und ethnische, aber auch methodische Unterschiede, so ist in verschiedenen europäischen Ländern (in tendenziell auch länger zurückliegenden Studien) das Alter bei Pubertätsbeginn um bis zu 1 Jahr, bei Menarche um ca. ½ Jahr höher angegeben, bei Kindern schwarzafrikanischer und südostasiatischer Abstammung der gesamte Ablauf um ca. 1 Jahr früher. Der im vorigen Jahrhundert beobachtete säkuläre Trend ist in Industrienationen nur noch in geringem Ausmaß vorhanden. Bei grenzwertiger Entwicklung ohne familienanamnestische Übereinstimmung ist zumindest eine engmaschige klinische Kontrolle der Progression erforderlich, bei Abweichung jedenfalls genaue Abklärung (s. Kap. 3 und 4) ! Seite 4 von 13 2.2. Hodenvolumen Die Bestimmung des Hodenvolumens erfolgt üblicherweise mit dem Orchidometer nach Prader, womit auch die folgenden Normalbereiche ermittelt wurden. Präpubertär beträgt es ≤ 3ml. ml 25 20 15 10 5 0 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Jahre 2.3. Labormesswerte Mit Einsetzen bzw. Zunahme der pulsatilen hypothalamischen GnRH-Sekretion kommt es zum Ansteigen der basalen und besonders der stimulierbaren Gonadotropinspiegel und konsekutiv der gonadal produzierten Sexualsteroide, unter deren Einfluß die klinische Pubertätsentwicklung steht. Östrogene sind vorwiegend für Brustentwicklung, Knochenreifung und Menarche verantwortlich, Testosteron für die Reifung des männlichen Genitale und Pubarche sowie anderer androgenabhängiger Veränderungen (Seborrhoe, Akne, Stimmbruch, Bartwuchs). Testosteron-Östrogenkonversion durch Aromatase findet in verschiedenen Organen (Brust) in unterschiedlichem Ausmaß statt. Die Sekretion adrenaler Androgene steigt im Zeitraum der Pubertätsentwicklung unabhängig von obigen zentralen Mechanismen an (Adrenarche, nur bei Mensch und einigen anderen höheren Primaten) und ist vor allem bei Mädchen der wichtigste Stimulus für die Pubarche und Hautveränderungen. Östrogene sind bei Geburt hoch (mütterlicher Herkunft) und fallen innerhalb von 1 Woche auf präpubertale Werte. Im 2. Lebensmonat kann bei beiden Geschlechtern ein Anstieg auf Werte im obersten Bereich des Tannerstadium 1 erfolgen, neuerliches Absinken auf präpubertale Werte bis zum Ende des 1. Lebensjahres. Anstieg im Rahmen der Pubertät bei Mädchen ausgeprägter mit starken zyklusabhängigen Schwankungen. Testosteron (wie auch andere Androgene) sind bei Geburt hoch (mütterlicher Herkunft) und fallen innerhalb von 1 Woche auf präpubertale Werte. Nur bei Buben erfolgt im 2. Lebensmonat ein Anstieg auf Werte im Bereich des Tannerstadiums 3, Absinken auf präpubertale Werte bis zum Ende des 6.Lebensmonats. Anstieg im Rahmen der Pubertät bei Buben deutlich ausgeprägter. Dihydrotestosteron (DHT) - Serumspiegel verhalten sich analog im Verhältnis Tges/DHT ≈ 10:1 DHEAS ist bei Geburt hoch (mütterlicher Herkunft) innerhalb von 1 Woche auf präpubertale Werte. Anstieg im Rahmen der Adrenarche oft schon vor Beginn des Tannerstadiums 2. LH steigt 2 Wochen postpartal bis zum 3.Lebensmonat auf Werte dem Tannerstadium 2-3 entsprechend an, danach bis zum Ende des 1.Lebensjahres Absinken auf präpubertale Werte. Weiterführende Untersuchungen siehe jeweilige Kapitel „Diagnostik“ 3.3., 4.2. und 5.2. Anmerkungen: Auf die Angabe von Zahlenwerten für Hormonserumspiegel wird wegen deren Abhängigkeit von laborabhängigen unterschiedlichen Analysemethoden verzichtet (verschiedene Referenzbereiche siehe Literaturangaben). Es ist zu beachten, daß Hormonserumspiegel ausser von Alter und Pubertätsstadium auch von ernährungs-, krankheits-, umweltund genetisch bedingten Faktoren abhängig sind. Seite 5 von 13 3. Pubertas praecox und prämature Teilentwicklungen Auftreten der Brustentwicklung vor dem Alter von 8 Jahren bei Mädchen bzw. des Hodenwachstums vor dem Alter von 9 Jahren bei Buben (siehe 2. Normale Pubertätsentwicklung). Als erstes Pubertätsmerkmal kann die Pubesbehaarung auftreten, wobei diese auch unabhängig von der Gonadotropin-Gonadenachse durch adrenale Androgene gesteuert sein kann. Vor diesem Alter hat die Pubertätsentwicklung bei etwa 2-5% aller Kinder begonnen. Eine vorzeitige Pubertätsentwicklung betrifft Mädchen (besonders idiopathische echte Pubertas praecox) häufiger als Knaben. Die vorzeitige Pubertät kann für die betroffenen Kinder oft eine schwere psychische Belastung darstellen und führt zu sozialen Problemen. Die Endgröße ist aufgrund des vorzeitigen Epiphysenfugenschlusses mehr oder weniger stark reduziert, was zu Kleinwuchs im Erwachsenenalter führt. 3.1. Ursachen und Differentialdiagnose Man unterscheidet die durch hypothalamische GnRH-Sekretion induzierte (zentrale) Pubertas praecox vera, welche einer vorzeitigen Aktivierung der physiologischen hypothalamisch-hypophysär-gonadalen Achse entspricht, von einer Pseudopubertas praecox durch GnRH-unabhängige Produktion von Sexualsteroiden. Varianten sind das isolierte Auftreten eines Pubertätsmerkmals als prämature Teilentwicklung isolierte prämature Thelarche, Pubarche (siehe 3.2.). 3.1.1. GnRH-abhängige (zentrale, echte) Pubertas praecox vera: A) idiopathisch - sporadisch oder familiär (bei Mädchen häufigste Ursache) B) sekundär - kongenitale Anomalien ZNS Neoplasien (Harmartome, Nervus Opticus Gliome) Z.n. ZNS-Erkrankungen (Trauma, Inflammation, Radiatio) Neurofibromatose C) durch Sexualsteroide (Pseudopubertas praecox) induziert 3.1.2. GnRH-unabhängige (periphere) Pseudopubertas praecox: Temporäre Ursachen: - Ovarialzysten - primäre Hypothyreose - exogener Einfluss von Sexualsteroiden, Gonadotropinen Permanente Störungen: A) Genetisch: - Adrenogenitales Syndrom - McCune-Albright Syndrom - LH-Rezeptor aktivierende Mutationen B) Tumore: - Adrenale Steroidproduktion durch Nebennierenadenome, -karzinome - Gonadotropinproduktion durch Dysgerminome, Teratome, Chorion- und hepatozelluläre Tumore - Ovarialtumore - Testikulärer Leydigzell-Tumor Seite 6 von 13 3.2. Prämature Teilentwicklungen 3.2.1. Isolierte prämature Thelarche: Auftreten typischerweise in den ersten beiden Lebensjahren, Tanner B2-B3, häufig asymmetrisch, keine Wachstumsbeschleunigung, keine Knochenalterakzeleration, keine weiteren Pubertätszeichen. Meist spontane Rückbildung. Als Ursache wird eine transiente partielle Aktivierung der gonadotropen Achse oder auch autonome ovarielle Östrogensekretion angenommen. Es finden sich häufig isoliert erhöhte FSH-Spiegel sowie kleine Follikelzysten, die übrigen Befunde sind normal (Ausschlußdiagnose). Klinische, auxologische und gegebenenfalls sonografische Verlaufsbeobachtung alle 3-6 Monate wegen der seltenen Progredienz in eine fortschreitende Pubertas praecox (insbesondere bei Auftreten im Alter über 2 Jahren). 3.2.2. Isolierte prämature Pubarche: Auftreten typischerweise ab dem 6. Lebensjahr. Zusätzlich Akne, Axillarbehaarung, Körpergeruch, Seborrhoe. Geringe Wachstumsbeschleunigung und Knochenalterakzeleration möglich. Langsames Fortschreiten. Ausdruck einer prämaturen Adrenarche mit Erhöhung adrenaler Androgene (DHEAS). Diagnose nach Ausschluß einer Pseudopubertas praecox. 3.2.3. Isolierte prämature Menarche: Auftreten von zyklischen Blutungen (bestätigt durch Endometriumecho im US) ohne andere Pubertätszeichen. 3.3. Diagnostik bei Pubertas praecox Ziele: - Frühzeitige diagnostische Unterscheidung zwischen isolierter Teilentwicklung und fortschreitender Pubertät - Diagnose ursächlichen Erkrankungen - normale Erwachsenengröße, normale Fertilität - Behebung psychischer Symptome der vorzeitigen Pubertätsentwicklung - Aufklärung und Beratung von Patienten und ihren Eltern Anamnese: - Wachstumsverlauf: Wachstumskurve, Ziellänge, Wachstumsgeschwindigkeit, Zeitpunkt Pubertätseintritt, Progredienz - Vorerkrankungen: Perinatalperiode (SGA), chronische Erkrankungen, neurologische Erkrankungen (Epilepsie), Zn Trauma, Zn Chemotherapie, Zn Radiatio - Medikamente, auch Externa - Ernährung: Phytoöstrogene - Familie: Pubertätsbeginn von Eltern und Geschwistern - soziale Aspekte / Verhalten Klinische Untersuchung: - Größe, Gewicht - Blutdruck - Klinischer Status - Pubertätsstadium nach Tanner - Dysmorphiezeichen - Hautveränderungen (Pigmentierung) Laboruntersuchungen: Basisuntersuchung (Interpretation der Befunde durch FA für Pädiatrische Endokrinologie): - LH, FSH, Östradiol, Testosteron, Prolaktin, 17-OHP, DHEAS, Androstendion - TSH, freies T4, freies T3 Weiterführende Untersuchungen (in einem Zentrum für pädiatrische Endokrinologie): - GnRH (LHRH) Test - ACTH Test - ß-HCG, α-Fetoprotein - Multisteroidanalyse - gezielte molekulargenetische Diagnostik Seite 7 von 13 Radiologische Diagnostik: Basisuntersuchung (in einem Zentrum für pädiatrische Endokrinologie): - Knochenalter - Sonographie des inneren Genitales bei Mädchen, der Hoden bei Buben - Sonografie der Nebennierenregion/Abdomen Weiterführende Untersuchung (in einem Zentrum für pädiatrische Endokrinologie): - MRT Sella/Hypohyse/Hypothalamus - MRT Abdomen Weiterführende Untersuchungen: - Psychologische Abklärung Kontrollen: - alle 6 Monate 3.5. Therapie bei Pubertas praecox Pubertas praecox vera: Nur bei Indikationsstellung in einem Zentrum für pädiatrische Endokrinologie und nach genauer Aufklärung des/der Patienten/Patientin und der Eltern. Individuelle Entscheidung unter Berücksichtigung von Endgrößenprognose, Alter und psychischer Belastung. Die Behandlung erfolht mit GnRH-Agonisten: - als Depotpräparat: -Leuprolide s.c. (1x/Monat) -Triptorelinacetat i.m. (1x/Monat) -alternativ als Nasenspray: -Buserelinacetat (3xtäglich) Kontrollen unter Therapie: • Engmaschige klinische Kontrollen, Wachstumsgeschwindigkeit, Pubertätsmerkmale • LHRH-Test, Östradiol bzw. Testosteron • Knochenalterbestimmung • Sonografie des inneren Genitale bei ♀ • evtl. MRT-Kontrollen (bei Auffälligkeiten) Die Beendigung der Supressionsbehandlung erfolgt ebenfalls nach individuellen klinisch-auxologischen und psychosozialen Kriterien. Kontrollen nach Therapieende: • LHRH-Test • Klinisch-auxologische Nachuntersuchungen jährlich bis zum Erreichen der Erwachsenenhöhe Pseudopubertas praecox: Die Behandlung der jeweiligen Grunderkrankung steht im Vordergrund. Seite 8 von 13 4. Pubertas tarda, ausbleibende Pubertätsentwicklung Fehlen jeglicher Brustentwicklung im Alter von 13 Jahren bei Mädchen und Ausbleiben des Hodenwachstums im Alter von 14 Jahren bei Buben (siehe 2. Normale Pubertätsentwicklung). Bis zu diesem Alter hat die Pubertätsentwicklung bei etwa 95% aller Jugendlichen begonnen. Eine verzögerte oder ausbleibende Pubertätsentwicklung betrifft Mädchen und Knaben mit derselben Häufigkeit. Zusätzlich kann die Pubesbehaarung fehlen, wobei diese auch unabhängig von der Gonadotropin-Gonadenachse durch adrenale Androgene gesteuert vorhanden sein kann. Im überwiegenden Teil der Fälle handelt es sich um eine Normvariante der Entwicklung. Diese Normvariante wird als konstitutionelle Entwicklungsverzögerung (KEV), auch konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Pubertätsentwicklung bezeichnet. Die verzögerte Pubertät kann für die betroffenen Kinder oft eine schwere psychische Belastung darstellen und führt zu sozialen Problemen. Bei der primären Amenorrhoe ist im Alter von 15 Jahren noch keine Menarche aufgetreten. Ein Ausbleiben der Menstruation über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten nach vorherigem normalen Verlauf des Menstruationszyklus wird als sekundäre Amenorrhoe bezeichnet. Pubertätsstillstand liegt vor, wenn keine Progression der schon begonnenen Pubertätsentwicklung innerhalb von 2 Jahren stattfindet. 4.1. Ursachen und Differentialdiagnose Die Pubertas tarda kann ihre Störungen in der Gonadenfunktion (primärer Hypogonadismus) oder in der Störungen der Hypophysen bzw Hypothalamusachse (sekundärer bzw tertiärer Hypogonadismus) haben. Weiters unterscheidet man zwischen permanenten und transienten Formen des Hypogonadisimus. Primärer Hypogonadismus = hypergonadotroper Hypogonadismus: Die Keimdrüsen (Ovarien, Hoden) können nicht die erforderliche Menge an Sexualhormonen (Östrogene, Testosteron) bilden. Konnatal: - Anomalien der Sex-Chromosomen (Klinefelter S., Ullrich-Turner-Sydrom und Mosaike, gemischte Gonadendysgenesie) - Störungen der Gonadenentwicklung (Ovarialhypoplasie) - Anorchie, Leydigzellagenesie oder- hypoplasie - Inaktivierende LH- oder FSH Rezeptormutationen, DAX1 Mutationen - Störungen der Hormonbiosynthese und Rezeptoren (Testosteronbiosynthesedefekt, 5-Alpha-Reduktasedefekt, partielle Androgenresistenz) Erworben: - Chirurgische oder traumatische Kastrationen - Beidseitige Orchitis - Zytotoxische Chemotherapie oder Radiatio Sekundärerer/tertiärer Hypogonadismus = hypogonadotroper Hypogonadismus: Die Hypophyse kann die entsprechende Menge von Gonadotropinen (LH und FSH) nicht bilden. Temporäre Ursachen: - Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung - Chronische Erkrankungen (Darmerkrankungen, Niereninsuffizienz, CF) - Ernährungsstörungen (Fehlernährung, Malabsorption, Anorexie) - Hochleistungssportler - Hormonelle Störungen (Hypothyreose, Glukokortikoidexzeß) Permanente Störungen: Konnatal: - Isolierte Gonadotropindefizienz - Syndrome: (Kallmann S., Prader-Willi S., septooptische Dysplasie) - Panhypopituitarismus Erworben: - Supraselläre Tumore (Kraniopharyngeome) - Hypohysenerkrankungen (Adenome, Zn Trauma oder OP) - Tumoröse und sytemische ZNS - Erkrankungen und Fehlbildungen - Z.n. cranialer Radiatio Seite 9 von 13 4.2. Diagnostik bei Pubertas tarda Ziele: - Frühzeitige diagnostische Unterscheidung zwischen KEV und pathologischer verzögerter Pubertätsentwicklung - normale Erwachsenengröße, normale Fertilität - Behebung psychischer Symptome der verzögerten Pubertätsentwicklung - Aufklärung und Beratung von Patienten und ihren Eltern Anamnese: - Wachstumsverlauf: Wachstumskurve, Ziellänge, Wachstumsgeschwindigkeit, Zeitpunkt Pubertätseintritt, Progredienz - Vorerkrankungen: Orchidopexie, chronische Erkrankungen, Zn Trauma, Zn Chemotherapie, Zn Radiatio - Medikamente (Steroide) - Familie: Pubertätsbeginn von Eltern und Geschwistern - Riechvermögen - soziale Aspekte Klinische Untersuchung: - Größe, Gewicht - Klinischer Status - Pubertätsstadium nach Tanner - Dysmorphiezeichen Laboruntersuchungen: Basisuntersuchung (Interpretation der Befunde durch FA für Pädiatrische Endokrinologie): - LH, FSH, Östradiol, Testosteron, Prolaktin - TSH, freies T4, freies T3 - Routinelabor mit Entzündungsparametern (Ausschluß chronischer Erkrankungen, Nierenerkrankungen, chronisch entzündliche Darmerkrankung) - Zöliakiediagnostik - Chromosomenuntersuchung (insbesondere Mädchen) Weiterführende Untersuchungen (in einem Zentrum für pädiatrische Endokrinologie): - LHRH Test - evtl. ß-HCG Test, AMH (bei Buben) Radiologische Diagnostik Basisuntersuchung (in einem Zentrum für pädiatrische Endokrinologie): - Knochenalter - Sonographie des inneren Genitales bei Mädchen Weiterführende Untersuchung (in einem Zentrum für pädiatrische Endokrinologie): - MRT Sella/Hypohyse Weiterführende Untersuchungen - Riechprüfung - Psychologische Abklärung Kontrollen - alle 6 Monate 4.4. Therapie bei Pubertas tarda Nur bei strenger Indikationsstellung in einem Zentrum für pädiatrische Endokrinologie und nach genauer Aufklärung des/der Patienten/Patientin und der Eltern. Kontrollen unter Therapie alle 4-6 Monate. Sexualhormonsubstitution bei Mädchen ab dem 15. Lebensjahr bzw abhängig von der individuellen Situation. Testosteronsubstitution bei Buben ab dem 16. Lebensjahr bzw auch abhängig von der individuellen Situation. Seite 10 von 13 5. Pubertätsgynäkomastie Gynäkomastie ist das Auftreten einer Bustdrüsenvergrößerung beim männlichen Geschlecht. Diese unterliegt einer hormonellen Steuerung durch Östrogene, Progesteron, Prolaktin in Abhängigkeit von IGF1, sowie der lokalen Erhöhung der Östrogenspiegel im Gewebe aus zirkulierenden Androgenen durch Aromatase. Pseudogynäkomastie ist eine Brustvergrößerung anderer Ursache, am Häufigsten lokale Fettgewebszunahme bei Adipositas = Adipomastie, selten auch bei Infektionen und Tumoren (Fibroadenome, Mammakarzinom bei erwachsenen Männern insgesamt 0,2% der Karzinome). Zu den physiologischen Formen zählen die Neugeborenengynäkomastie durch diaplazentare maternale Östrogene Pubertätsgynäkomastie, deren Häufigkeit mit ~ 50% angegeben wird Erwachsenen- und Altersgynäkomastie. Typische Charakteristika der physiologischen Pubertätsgynäkomastie: ● Auftreten während der Pubertät bei sonst normaler Pubertätsentwicklung und klinischer Untersuchung, insbesondere auch normale Konsistenz und Wachstum der Hoden ● regulärer Drüsenkörper zentromammilär, nicht derb, nicht schmerzhaft ● meist beidseitig ● langsames Wachstum, meist nicht > 2cm Durchmesser ● Rückbildung nach 6 Monaten bis 2 Jahren Der klinische Verlauf sollte in jedem Fall beobachtet werden, abweichende Befunde und Verlaufsformen erfordern eine genauere Abklärung (siehe 5.2. und 5.3.). Auch nach Ausschluß pathologischer Ursachen stellt die Veränderung für die Betroffenen oft ein erhebliches Problem dar und kann deren soziale Entwicklung und Aktivitäten (Freizeit, Sport) erheblich beeinträchtigen. 5.1. Ursachen und Differentialdiagnose A) Östrogenerhöhung - mütterliche Östrogene bei Neugeborenen Hodentumore östrogenproduzierend Hodentumore androgenproduzierend, adrenale Tumore (Östrogenbildung durch Aromatase) zusätzlich erhöhte Aromataseaktivität bei manchen Tumoren und tumorassozierten Syndromen (Peutz-Jeghers Syndrom, Carney Komplex) erhöhte Aromataseaktivität ohne Tumor (familiär, Adipositas) B) Androgenmangel und Androgenresistenz - siehe Hypogonadismus 4.1. (Ursachen der ausbleibenden Pubertätsentwicklung) C) Östrogen/Androgen - Imbalance und andere Ursachen - transiente Östrogen/Androgen Imbalance während Pubertät Androgenmangel, erhöhte Aromataseaktivität im Alter Hyperthyreose Niereninsuffizienz Leberzirrhose Rückenmarkserkrankungen während Gewichtszunahme nach schwerer Malnutrition HIV-Infektion Medikamente (Östrogene, Androgene, Spironolacton, Digitalis, Ketokonazol, alkylierende Substanzen, H2-Rezeptorblocker, ACE-Hemmer, Kalziumkanalblocker, Neuroleptika und andere) Phytoöstrogene in Nahrungs- und Genußmitteln (Marihuana, Hopfen) Alkohol, anabole Androgene, Amphetamine Seite 11 von 13 5.2. Diagnostik bei Pubertätsgynäkomastie Ziele: - Frühzeitige Unterscheidung zwischen physiologischer und pathologischer Gynäkomastie - Erkennung und Behebung psychischer und sozialer Probleme - Aufklärung und Beratung von Patienten und ihren Eltern Anamnese: - Wachstumsverlauf: Wachstumskurve, Ziellänge, Wachstumsgeschwindigkeit, Zeitpunkt Pubertätseintritt, Progredienz - Vorerkrankungen: Orchidopexie, chronische Erkrankungen, Hodentrauma, Radiatio, Orchitis - Medikamente und Suchtmittel - Familie: Pubertätsbeginn von Eltern und Geschwistern, Auftreten von Gynäkomastie - soziale und psychische Aspekte Klinische Untersuchung: - Größe, Gewicht - Klinischer Status - Pubertätsstadium nach Tanner, Orchidometrie - Dysmorphiezeichen Laboruntersuchungen: - LH, FSH, Östradiol, Testosteron, Prolaktin, TSH, ß-HCG - Routinelabor (Ausschluß Leber-, Nierenerkrankung, chronisch entzündliche Erkrankungen) Weiterführende Untersuchung (in einem Zentrum für pädiatrische Endokrinologie): - Karyogramm - GnRH-Test - ßHCG-Test - gezielte molekulargenetische Diagnostik Radiologische Diagnostik Weiterführende Untersuchung (in einem Zentrum für pädiatrische Endokrinologie): - Sonographie Brustdrüse/Hoden - CT, MRT Biopsie und Histologie - bei Tumorverdacht Kontrollen - alle 6 Monate Untersuchungsgang bei Gynäkomastie 5.4. Therapie bei Pubertätsgynäkomastie Bei pathologischen Formen steht die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund. Bei der physiologischen Pubertätsgynäkomastie ist meist keine Therapie erforderlich. In den meisten Fällen kommt es innerhalb von 2 Jahren zur Regression. Medikamentöse Behandlung (Aromataseinhibitoren, Androgene, Antiöstrogene) sollte im Rahmen von Studien durchgeführt werden (mit Rückbildungsraten um 50% mäßig erfolgreich). Bei ausgeprägter Gynäkomastie oder ausbleibender Rückbildung nach Pubertätsabschluß und psychosozialer Beeinträchtigung des Patienten chirurgische Intervention (Mastektomie und Liposuktion). Um befriedigende kosmetische Ergebnisse zu erzielen, sollte der Eingriff durch in der Mamma- und plastischen Chirurgie erfahrenen Operateur erfolgen. Seite 12 von 13 6. Literatur und Anmerkungen Literatur 1. Bourguignon JP. Control of the onset of ouberty. In: Textbook Pediatric Endocrinolgy; Pescovitz 2004; Ch 19:285-95; Lippincott Williams&Wilkins 2. Lee PA. Puberty and Its Disorders. In: Textbook Pediatric Endocrinolgy; Lifshitz 2003; Ch 9:211ff; Dekker 3. Tanner JM, Davies PS. Clinical longitudinal standards for height and weight velocity for North American children. J Pediatr 1985; 107:317-29. 4. Parent AS. The Timing of Normal Puberty and the Age Limits of Sexual Precocity: Variations around the World, Secular Trends, and Changes after Migration. Endocrine Reviews 2003 (24): 668–693. 5. Sperling: Pediatric Endocrinology. 2nd ed 2004 6. Brook´s: Clinical Paediatric Endocrinology. 5th ed 2005. Blackwell Publishing 7. Raine JE, Donaldson M, Gregory JW, Savage MO, Hintz RL: Practical Endocrinology and Diabetes in children. 2nd ed 2006; Blackwell Publishing 8. Stolecke: Endokrinologie des Kindes- und Jugendalters. 3. Aufl 1997; Springer 9. Ranke: Diagnostics of Endocrine Function in Children and Adolescents. 3rd ed 2003; Karger 10. www.endotext.org Die vorliegende Informationsbroschüre fasst den aktuellen Stand des Wissens über die Störungen der Pubertätsentwicklung zusammen und soll zur Orientierung des klinisch tätigen Arztes bei Erkennung, Diagnostik und Therapie dienen. Bei Verdacht einer vorliegenden Störung der normalen Pubertätsentwicklung sollte die Betreuung des/der Patient/ in an einer Einrichtung mit Spezialisierung auf pädiatrische Endokrinologie erfolgen. Wünschenswert ist die Verwendung von Perzentilenkurven, auf denen die Normalbereiche der klinischen Pubertätsmerkmale dargestellt sind. Die Erstellung bzw. Empfehlung einheitlicher Perzentilenkurven für Österreich durch die APED-Arbeitsgruppe für Wachstum ist in Ausarbeitung. für die APED: OÄ Dr. Elke Fröhlich-Reiterer Medizinische Universität Graz Univ. Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde 8036 Graz, Auenbruggerplatz 30 Dr. Martin Wustinger Donauspital SMZO 1220 Wien, Langobardenstrasse 122 Stand: 17. Mai 2008 Seite 13 von 13