Tagebuch Bosnien
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Tagebuch Bosnien
Tagbuch der Bosnienfahrt vom 24.07. – 03.08.2012 Auf geht´s nach Bosnien! Die Koffer sind gepackt und drei Physio-, fünf Logo- und ein Podologieschüler machen sich auf den Weg nach Bosnien, um Land und Leute kennen zu lernen... 24.07.2012 Heute Mittag geht die Fahrt los. Neunzehn Stunden Busfahrt liegen vor uns und es gilt, sich die Zeit über zu beschäftigen. Musik hören, Spiele spielen lesen oder einfach mal…unterhalten. Was uns wohl erwartet? Wie sind die Leute? Wie das Essen? Wie sind die Einrichtungen, die wir besuchen? Und vor allem: Wie wird das Wetter? Schaun wir mal: Das Wetter in Gracanica Also: Auf geht´s! Wir sind in Gracanica! Warmes Sommerwetter und freundliche Gesichter empfangen uns, als wir nach 19 Stunden den Bus verlassen. Und ein Tag mit vielen neuen Eindrücken erwartet uns. 25.07.2012 - 1 Nachdem wir dem Bus entsteigen sind, in dem unsere Beine yoga-verdächtige Stellungen eingenommen haben, werden wir von Jasmin Mujkic und seinen Kollegen empfangen. Sie bringen uns nach Klokotnica, wo wir auch frühstücken. Schon auf der Fahrt konnten wir die vielen Häuser sehen, die nie fertig gebaut wurden bzw. schon während des Baus zerstört wurden, aber auch die vielen Häuser, die inzwischen wieder bewohnt werden. Dabei wird deutlich, dass die Grenzregion wohl als Wohnort eher unbeliebt ist - immer noch. Nach dem Frühstück besichtigen wir unsere verschiedenen Unterkunftsmöglichkeiten und dann wird sich entschieden: Die Schüler sind im Hostel, die Schülerinnen bei einem Soziologieprofessor mit großem Haus, Kater, Hund - und fünf Welpen. Ob das ausschlaggebend war…? Kurz noch unter die Dusche und dann geht es wieder zurück nach Klokotnica, wo uns die Einrichtung Internationales Forum der Solidarität (bitte anklicken und die englische Fahne oben rechts wählen) kurz vorgestellt wird. Wir werden von der stellvertretenden Leiterin Jasmina Hadzic empfangen. Sie führt uns durch die Einrichtung, in der bis zu 400 Patienten behandelt werden. Die Störungsbilder sind breit gestreut: Geistig Behinderte, alte Menschen, Heimatlose, Suchtkranke, Kinder mit Lernschwächen, kurz alle, die es nicht leicht haben und bei denen die Familien überfordert sind. Auffallend waren beim Rundgang die fröhlichen Gesichter. Immer wieder kommen Bewohner auf uns zu, umarmen uns oder wünschen einen “Guten Tag”. Uns werden die einzelnen Abteilungen vorgestellt: die Physiotherapie, die Ergotherapie, die sich in unterschiedliche Bereiche unterteilt, aber auch die psychologische Arbeit wird uns gezeigt, z. B. in Form von Gesprächstherapie. Dann werden wir in der hauseigenen Kantine zum Mittag eingeladen (um 15 Uhr, hier geht alles gemütlicher) und lernen die leckere bosnische Küche kennen. Alles ist frisch und kommt größtenteils aus dem eigene Anbau. Ein großer Garten, den man getrost Acker nennen darf, ist voller reifem Gemüse und Obst. Es gibt einen eigene Bäckerei, Wäscherei, einen Sportplatz und - einen Friseur. Mit so vielen Eindrücken machen wir uns wieder auf den Weg in unsere Unterkünfte und freuen uns darauf, die nächsten zwei Tage dort noch mehr kennen zu lernen. Nochmal kurz ausruhen und dann gehen wir in der Stadt etwas essen. Und das wird lecker, da sind wir sicher! 2 Wo alle zusammen leben... Eine Einrichtung, die es so wohl nur in Bosnien geben kann, einem Land dass durch seine jüngste Geschichte geprägt wurde, ist Duje oder wie es offizielle heißt: Internationales Forum der Solidarität. 26.07.2012 Auch an diesen Tag fuhren die Gruppe den Berg rauf, der über Kloktonica liegt und auf dem in Duje die Einrichtung beheimatet ist. Bekannte Gesichter begrüßten alle mindestens genauso hocherfreut wie am Tag zuvor. Frau Hadzic hatte zusammen mit ihrem Therapeuten-Team einen Dialog organisiert, in dem uns die Geschichte der Einrichtung und die Arbeit vorgestellt wurde. Unter anderem erfuhren wir, dass in Duje ursprünglich ein Flüchtlingslage für Bewohner aus Srebrenica errichtet worden war. Hier wurden ab 1999 diejenigen untergebracht, die noch nicht in ihre Wohnungen zurückgehen konnten, weil diese beschädigt oder gar zerstört waren. Es dauerte bis 2004 bis die letzten das Lager verlassen konnten. Zudem war auch zu erfahren, warum das Lager auf dem Berg errichtet wurde: Man wollte die Dorfbewohner und Flüchtlinge getrennt halten, um Konflikte zu vermeiden. Nach 2004 stellte sich nun die Frage, wie die Einrichtungen weiter genutzt werden konnte. In Bosnien bestand damals ein großer Bedarf an Versorgungsmöglichkeiten für Menschen am Rande der Gesellschaft, denn der Staat war zu der Zeit überfordert. So stand die Einrichtung nun für verschiedene Menschen offen. Kinder mit geistigen Behinderungen, Verhaltensauffälligkeiten oder nach Missbrauch; Erwachsene mit verschiedenen Behinderungen, Obdachlose, Suchtkranke, psychisch Erkrankte oder auch alte Menschen, die niemanden hatten, der sich um sie kümmerte. Sie alle bildeten nun über die Jahre eine “neue” Familie. Gerade diese Mischung der Generationen scheint den Erfolg auszumachen. So wurde berichtet, dass immer wieder Kinder aus einem benachbarten SOS-Kinderdorf mit Verhaltensauffälligkeiten in die Einrichtung kommen. Vorher meist nur unter Kindern und ständig umsorgt, lernen sie hier das “wahre Leben” im Minikosmos kennen. Sie erfahren, dass auch sie alt werden, dass ihnen geholfen wird, sie aber auch helfen müssen, um in der Gesellschaft voran zu kommen. Bei Ihrer Rückkehr berichten die SOS-Mütter, dass das soziale Verhalten dieser Kindern sich gänzlich gewandelt hat - hin zum Miteinander. 3 Nach so vielen Eindrücken gab es wieder ein “überragend” leckeres Mittagessen. Im Anschluss war ein Workshop vorbereitet, in dem die Schüler ihre kreativen Fähigkeiten gemeinsam mit Bewohnern der Einrichtung ausprobieren konnten. Schmuckherstellung und Zeichnen auf Holz war im Angebot und wurden von allen rege genutzt. Am Ende des Besuches kam es noch zu einem spontanen Handballspiel mit den Schülern und einigen Bewohnern (die eine erstaunliche Kondition haben); nicht gegeneinander, sondern in gemischten Mannschaften miteinander wurde gespielt. Und von einigen kleinen Verletzungen abgesehen machte es allen Teilnehmern viel Spaß, auch die Zusehern. Morgen kommt übrigens noch das Fernsehen… Am Abend konnten dann die Wunden geheilt und die Verspannungen gelöst werden. Ein Besuch im Thermalfreibad von Gracanica rundete den Tag ab und der kleine Regenschauer war nicht nur eine Abkühlung, sondern zeichnete noch einen Regenbogen an den Himmel- das Zeichen der Verbindung. Vom Zusammen zum Miteinander Wie man trotz mangelnder Sprachkenntnisse mit Menschen in Verbindung kommt, das konnten heute die Teilnehmer der Fach- und Begegnungsreise ganz praktisch erleben. Und die Presse war auch dabei. 27.07.2012 Pünktlichkeit war angesagt, denn heute erwartete die Gruppe nicht nur die Bewohner und Mitarbeiter von Duje, sondern auch die Presse. Das kantonale Fernsehen, der Radiosender von Gracanica und die auflagenstärkste Zeitung der Region hatten ihr Kommen angekündigt. Einige der Teilnehmer wurden nach ihren Eindrücken von der Einrichtung gefragt und der Dozent konnte kurz den Sinn und Zweck der Reise, wie auch die Schule und den IB vorstellen. Die Erwartung und Hoffnung auf zukünftige Zusammenarbeit wurde von beiden Seiten zum Ausdruck gebracht. Danach teilte sich die Gruppe: Die Physiotherapie- und der Podologieschüler konnten in der physiotherapeutischen Abteilung bei den Behandlungen hospitieren. Die Logopäden erstellten zusammen mit geistig behinderten Menschen Brillen aus Papier, die hinterher stolz präsentiert wurden. Während der Arbeit konnte man die Erfahrung machen, dass man für die Zusammenarbeit nicht unbedingt die Sprache 4 benutzen muss. Nonverbale Kommunikation wie Gestik und Mimik halfen über Sprachbarrieren hinweg und brachten allen Beteiligten näher. Um die Zeit bis zur Mittagspause zu überbrücken, wurden Instrumente verteilt und spontan ein rhythmisches Konzert vor dem Haus veranstaltet. Das Publikum wuchs und wuchs und bald waren trommelnde und tanzende Menschen auf der Straße zu sehen und kaum einer konnte die Füße still halten. Für den Nachmittag und zum Abschied hatten die Bewohner extra ein Programm vorbereitet, dass von zwei Bewohnern in bosnischer und deutscher Sprache moderiert wurde. Nicht nur traditionelle bosnische Lieder und Schlager wurden vorgetragen, auch Gedichte und Lieder in Deutsch kamen zum Vortrag. “Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei” kannten wohl alle Teilnehmer der Reise. Es wurde zusammen gelacht, geklatscht und gesungen. Zum Abschluss waren auch die Besucher gebeten etwas vorzutragen. Sollte das “Fliegerlied” von Tim Toupet demnächst in den bosnischen Charts auftauchen, dann kennen wir den Grund dafür… Spätestens ab der zweiten Wiederholung konnten alle Mittanzen oder sogar mitsingen. Zum Abschied wurden dann unzählige Hände geschüttelt und so manch eine Umarmung mit einem “Auf Wiedersehen” machte einem das Fortgehen nicht leicht. Allgemeiner Tenor: Wir wollen wiederkommen! Tuzla -Stadt des Salzes, Stadt der Toleranz Eine kurzfristige Planänderung führte die Gruppe nach Tuzla, die Stadt des Salzes. Aber Tuzla ist auch die Stadt der Toleranz. Hier wurden damals nicht die Separatisten gewählt und noch heute ist es die Stadt, in der die Beziehungen zwischen den Bewohnern am Besten funktionieren. 28.07.2012 Eigentlich war das Wochenende für Srebrenica reserviert. Hier sollte eine Zweigstelle von Duje besichtigt und die Gedenkstätte des Massakers besucht werden, die kurz zuvor auch von UN-Generalsekretär Ban Ki-mun besucht wurde. Doch organisatorische Gründe führten dazu, dass dieser Besuch entfallen musste. So wurde kurzfristig eine Fahrt nach Tuzla organisiert. Nach einer Stunde Fahrt kamen wir in die Stadt, die während des Krieges eine UN-Sicherheitszone war. Das 5 hinderte die serbischen Separatisten allerdings nicht, den folgenschwersten Granatenangriff des gesamten Krieges auf die Stadt zu verüben. Es war der Tag der Jugend in Jugoslawien, der 25. Mai 1995, und der erste schöne warme Tag. Viele Jugendliche und Schüler feierten das Ende des Schuljahres in der Innenstadt von Tuzla. Völlig unvermittelt schlug eine Granate auf einem Platz in der Fußgängerzone ein und tötete 73 junge Menschen zwischen 15 und 30, das jüngste Opfer war ein zweijähriger Junge. Zudem wurden 103 Menschen verletzt. Der einzige Angriff auf Tuzla war zugleich der schwerste in der Geschichte des Krieges und noch heute erinnert ein Mahnmal in der Fußgängerzone an diesen Tag. Viele, die auf Shoppingtour unterwegs sind, halten kurz inne, wenn sie an dieser Stelle vorübergehen. Die Opfer sind unweit in einem Park beerdigt worden. Gerade diese Tatsache, dass fröhlich feiernde junge Menschen im gleichen Alter von einem Moment auf den anderen aus dem Leben gerissen wurde, machte die Teilnehmer sehr nachdenklich. Dennoch konnten auch die schönen Seiten dieser Stadt genossen werden, die auch die Hauptstadt des Kantons Tuzla ist. Überall gab es neue Perspektiven zu entdecken, die durch Geschichte und Kultur geschaffen wurden. Eine Stadt mit vielen Gesichtern, im wahrsten Sinne des Wortes… Doboj im Land, das nicht zum Land gehören will Stellen Sie sich vor, Sie fahren von Heidelberg nach Mannheim zum Einkaufen. Auf Höhe von Ladenburg überqueren Sie eine Grenze, die für Sie keine ist. Für die Mannheimer aber schon. 29.07.2012 Und stellen Sie sich vor, dass auf dieser Strecke zerstörte Häuser die Strassen säumen und alle 1,5 Kilometer eine Tankstelle steht, weil Benzin im Krieg knapp war und man Geld damit machen konnte. An den Strassen sehen Sie viele Gedenktafeln, mit Kreuz oder Halbmond, je nachdem, welchen Teil der Strecke Sie befahren. Und Sie wissen, dass rechts und links noch vor kurzem Minenfelder waren. 6 Wenn Sie sich all das vor stellen können, wissen Sie, wie sich für die Bewohner eine Fahrt von Grancanica nach Doboj anfühlt. Eigentlich zwei benachbarte Städte, aber nun liegt Doboj in der Republik Sprska, ein Staat im Staate. Offiziell zu Bosnien gehörig fühlen sich die meisten Bewohner serbischer Abstammung aber nicht bosnisch, sondern wollen serbisch sein, teilweise noch serbischer als Serben. Kein Schlagbaum markiert die Grenze, sondern ein Schild: Willkommen in der Republik Sprska. Der Schriftzug ist mit Graffitis übersprüht, Hakenkreuze rechts und links und darüber groß das Wort “Genocid” gesprüht. Nein, so ganz ist der Friede hier noch nicht eingezogen und er wird es wohl auch in den nächsten Jahrzehnten schwer haben. Und wer das Schild verpasst hat bemerkt die Grenze spätesten daran, dass vor fast jedem Haus die serbische Fahne weht. Dennoch ist Doboj eine schöne Stadt, in der man hier und da Einschusslöcher sieht, aber auch nagelneue Gebäude. Darunter serbisch-orthodoxe Kirchen, die ganz offensichtlich nicht als Manifest des Glaubens, sondern der Volkszugehörigkeit gebaut wurden an recht markanten Plätzen. Das, mit Verlaub, haben die Muslime Bosniens mit ihren Moscheen allerdings ganz genau so gemacht, nur in ihrem Teil der Republik. Über der Stadt thront die Burg auf einem Berg. Diesen galt es zu erklimmen und alle Teilnehmer machten sich bei großer Mittagshitze auf den steilen Weg hinauf. Von oben bot sich ein beeindruckender Blick über die Stadt und die Umgebung. Jeder noch so leichte Windhauch verschaffte etwas Kühlung, aber die größte Kühlung verschafften erst die Getränke auf der Terrasse der Burgschänke. Gerade noch rechtzeitig schafften es alle von der Burg herunter in ein Café zu gelangen, als der Himmel sich zum Wolkenbruch öffnete. Ein heftiges Gewitter mit reichlich Blitzen und noch reichlicherem Wasser senkte auch die Temperatur merklich, sehr zur Erleichterung der Teilnehmer. Dieses Gewitter hatte zur Folge, dass in einigen Teilen der Strom ausfiel oder auch das Wasser kurzzeitig abgedreht wurde. Davon lassen sich die Einwohner aber nicht sonderlich beeindrucken, denn der wohl längste Stromausfall in Gracanica und Umgebung ging von 1992 bis 1995. Die Blockade führte damals auch zu teuren Lebensmittelpreisen: Ein Kilo Zucker kostete damals 50 Euro! Da kann man froh sein, dass die Preise sich inzwischen geändert haben. Bosnisches Essen ist nicht nur lecker, sondern auch günstig. 7 Eine Seefahrradtour ist lustig Bewegung muss sein, insbesondere, wenn man die Kilos wieder los werden will, die man sich in Bosnien anfuttert. Außerdem gibt es nichts, was eine Gruppe besser zusammenbringt, als ein Fahrradausflug. Auch in Bosnien. 30.07.2012 Um 9 Uhr stehen alle vor dem Gymnasium in Gracanica. Es sind Ferien, nur Handwerker, Hausmeister und vereinzelte Lehrer sind noch anzutreffen. In dem Klassenraum (oder besser Sprachlabor) für Deutsch warten zahlreiche Fahrräder auf die Teilnehmer der Reise. Vorher bekommt noch jeder ein knallgelbes T-Shirt. Warum? Nunja, Fahrräder sind schon etwas exotisch in Bosnien. Man fährt es nur, wenn man kein Geld für ein Auto hat. Aber zum Spaß..? Und wenn dann noch ein Rudel von Fahrräder auftaucht, dann kann man sich der Aufmerksamkeit der Bevölkerung sicher sein. Hupende Autos, winkende Kinder und Touristen aus Düsseldorf, die einen verwundert bei der Rast fragen, warum man ausgerechnet hier einen Ausflug mit dem Fahrrad macht. Und so mancher Hofhund scheint überfordert, wenn 12 Radfahrer in gelben T-Shirts vorbei fahren. Da bellt man sich schon fast heiser. Ein Fall für die Logopäden? Ein Fall für die Physiotherapeuten war zumindest so manches Gesäß. 20 Kilometer hin und 20 Kilometer zurück, da braucht man Sitzfleisch. Glücklicherweise lag zwischen Hin- und Rückfahrt ja das eigentliche Ziel des Ausfluges. Ein kleiner Stausee in der Republik Sprska. Wunderschön lag er dort im Wald umgeben von Bäumen, die Schatten spenden und lockte mit seiner angenehmen Temperatur. Verdient hatte sich wohl jeder sein Bad nach der Fahrt, auch wenn man schon an die Rückfahrt dachte. Am Ende des Tages konnten wohl alle sich über das Geleistete freuen und vielleicht auch auf das ein oder andere Kilo weniger…wenn da nur nicht das Abendessen wäre… 8 Alles freiwillig - Osmijeh, die größte NGO Bosniens Schon bald nach dem Krieg erkannte man, dass man sich nicht nur auf die Hilfe anderer verlassen konnte. Freiwillige fanden sich zusammen, um verschiedene Projekte in Angriff zu nehmen. Und es gab viel zu tun in Bosnien. So entstand Osmijeh. 31.07.2012 Überall im Land entstanden Organisationen, die nicht staatlich gefördert werden, sogenannte NGO (Non-goverment Organisation). Auch in Gracancia gibt es eine solche Einrichtung von Osmijeh. Die Gruppenteilnehmer wurden am Morgen vom Leiter der Einrichtung, Hamdija Kujundzic, empfangen. Er stellte die Einrichtung kurz vor und schon ging es in ein Nebengebäude. Ein Raum, so groß wie ungefähr das durchschnittliche Wohnzimmer - allerdings gefüllt mit 60 Personen. Die Arbeit mit behinderten Menschen steht hier eigentlich im Vordergrund. Freiwillige aus Gracanica und Umgebung kommen, um mit behinderten Menschen gemeinsam Dinge zu erarbeiten oder zu erleben. Und es gibt viele Freiwillige, da Osmijeh auch nicht-behinderten Menschen die Möglichkeit der Begegnung bietet. So hatten sich zu den gerade mal drei behinderten Teilnehmer so viele Freiwillig dazu gesellt, dass der Raum schier überquoll. Sicherlich hat es damit zu tun, dass Ferien sind und viele Kinder die Angebote auch als eine Art Ferienprogramm annehmen. Und sicher war auch ein Teil der Freiwilligen da, weil Besuch aus Deutschland angesagt war. Zunächst gab es eine kurze Begrüßungsrunde, in der jeder seine Namen und seine Lieblingsblume nannte. Der Übersetzer hatte seine Mühe, sich durch die Botanik zu dolmetschen. Danach gab es ein kleines Eröffnungsspiel und dann folgte die eigentliche Arbeit. Schmetterlinge sollten gemeinsam erstellt werden, indem Handfläche auf Papier gezeichnet, ausgeschnitten und bemalt werden sollten. Wie flugtauglich diese im wahren Leben wären, sei mal dahin gestellt, schön waren sie allemal. Die Schmetterlinge wurden alle eingesammelt und es folgte ein Ringewerfspiel, wie wir es wohl alle aus der Kindheit kennen. Das solch ein einfaches Spiel so viel Freude auslösen konnte, überraschte auch die Therapeutenschülerinnen und schüler. 9 Nach zwei weiteren Spielen wurde die Runde mit dem bekannten “If you´re happy and you know it” abgeschlossen, der Text war allerdings auf Bosnisch. Im anschließenden Gespräch erläuterte der Leiter, Herr Kujundzic, noch einmal, wie die Patienten und Freiwilligen an die Einrichtung kommen. Vieles geschieht über Mundpropaganda. Es kommt übrigens auch zweimal die Woche eine Logopädin in die Einrichtung, der durch Spenden bezahlt wird. Diue einzige angestellte Logopädin im Ort, obwohl es ein Gesetz gibt, dass ein Logopäde an jeder Schule vorhanden sein soll. Aber wie es mit Gesetzen so ist: Papier ist geduldig. Auch das örtliche Krankenhaus hat keinen Logopäden. Nicht, weil es keine Menschen mit diesem Beruf in Bosnien gibt. Es gibt schlicht kein Geld, um diese zu bezahlen. Ein selbständiger Logopäde ist hier unrealistisch, denn er würde kaum genügend Einkommen haben. Die Menschen können privat das Geld nicht aufbringen, der Staat verteilt es woanders. Diese Eindrücke stimmen nachdenklich und zeigen, wie umfangreich doch die Versorgung in Deutschland ist. Übrigens, die Berichte in der Presse zeigten Wirkung: Der Premierminister des Kanton Tuzla, Sead Causevic, hatte den Beitrag im Radio und den Bericht in der Zeitung gelesen. Er meldete sich daraufhin beim Journalisten, um seine Freude auszudrücken, dass eine solche Fach- und Begegnungsreise in seiner Heimatstadt stattfindet. Aber nicht nur das: Auch ein Bewohner Gracanicas meldete sich beim Journalisten. Er hat von 1965 bis zu seiner Rente vor drei Jahren in Mannheim gelebt. Sofort wollte er sich mit uns treffen, um die Gäste “seiner Stadt” Mannheim in “seiner Heimatstadt” Gracanica zu empfangen. Auch hier zeigte sich die Gastfreundlichkeit, die sich auch nach all den Jahren in Deutschland nicht geändert hatte: Die ganze Gruppe wurde von ihm spontan zum Abendessen eingeladen und er berichtete von seiner Zeit, als er nach Mannheim kam. Auch das ist Begegnung… Tja, und morgen ist der letzte Tag in Gracanica, Donnerstag geht es zurück nach Deutschland… 10 Irgendwie gleich und doch anders Die Arbeit mit behinderten Kinder stand im Mittelpunkt des zweiten Tages in Osmijeh. Und hier hatten auch erstmals die Logopäden die Möglichkeit, die Arbeit einer Kollegin in Bosnien zu beobachten, der einzigen Logopädin in Gracanica. 01.08.2012 Gleich am Morgen wurde die Gruppe von der leitenden Ergotherapeutin begrüßte. Sie teilte uns mit, dass heute auch die Logopädin vor Ort sei und die Schüler die Möglichkeit zur Hospitation hätten. Also teilte sich die Gruppe auf. Während die Physiotherapie- und der Podologieschüler mit den Kinder Bewegungsund Kreativtherapie machen konnten, folgten die Logopädieschüler aufmerksam der Therapie bei der Logopädin. Nahezu alle Störungsbilder der Kindersprache waren vertreten und wurden therapiert. Das es allerdings Zensuren am Ende gibt, war neu. Jedoch wird dies nur bei den Kindern gemacht, die diese Motivation brauchen. Die Einrichtung und Ausstattung ist sparsam, jedoch merkt man, das man mit dem Wenigen viel bewirkt. Die Kinder kommen sichtlich gerne in die Therapie. Ein Tripptrappstuhl wäre aber noch eine schöne Idee, denn auf den normalen Stuhl können die kleinen Knirpse nur knapp über die Tischkante schauen. Erstaunlich, dass die Kinder 30 Minuten relativ ruhig am Tisch sitzen und mitarbeiten, auch die Kinder mit Behinderung. Offenbar sind sie dies auch durchaus von zuhause gewohnt. Interessant war auch zu sehen, dass einige Eltern für die Therapie zahlen, andere nicht. Die Erklärung ist einfach: Wenn die Eltern Arbeit haben, zahlen sie. Wenn nicht, dann springt Osmijeh ein und übernimmt die Kosten. Die Stelle bei Osmijeh, die an zwei Tagen in der Woche beinhaltet, reicht der Logopädin allerdings finanziell nicht. So arbeitet sie noch an den anderen Tagen in einem Kindergarten. Wenn alles klappt, dann bekommt sie nächstes Jahr eine feste Stelle an einer Schule, wohl aber nicht in Gracanica… In der gemeinsamen Abschlussrunde wurde mit den Ergotherapeuten der Einrichtung über die Art und Weise der Ausbildung und des Studiums gesprochen. Als Vorteil der deutschen Ausbildung wurde gesehen, dass viel früher mit der Arbeit am Patienten 11 begonnen wird, allerdings erstaunte die unterschiedlichen Höhen der einzelnen Schulgelder. Ja, und dann wurde Geschenke ausgetauscht und man merkte, dass dies mehr als ein Pflichterfüllung war, sondern vielmehr ein Bedürfnis. Kleinkram für die Therapie, ein Planschbecken für die heißen Tage (das alte wurde von einer Maus angeknabbert) und das wohl Heißbegeherteste, das es in Bosnien gibt, Nutella, sorgten für große Freude und noch so manch verschmierter Mund im Planschbecken wird an den Besuch der “Mannheimer” erinnern. Am Abend folgt dann noch die Abschiedsparty im Haus einer der Gastfamilien. Und morgen um 11.30 Uhr geht die Busfahrt wieder los. Bosnien - Deutschland in 19 Stunden. Im Herzen bleibt Bosnien wohl noch länger… Wieder in Mannheim, aber doch noch in Bosnien Gegen 5 Uhr fuhr der Bus den Mannheimer Busbahnhof an. Siebzehn Stunden Fahrt lagen hinter der Reisegruppe und der Anatomieunterricht wurde greifbar: Es tat aber auch alles weh! 03.08.2012 Am Stärksten schmerzte jedoch sicher der Abschied von einem Land, dass man in den wenigen Tagen nur lieb gewinnen konnte. Die Herzlichkeit, die Gastfreundlichkeit, die Hilfsbereitschaft - einfach überall begegneten den Teilnehmern offene Herzen. Nicht nur die Koffer waren voll, sondern sicher auch der Kopf mit vielen Eindrücken: Bilder (unverputzte Häuser), Geräuschen (der Muezzinruf mehrmals am Tag) und Gerüche (Essen!) und vieles mehr. Doch, diese Fahrt hat sich in jeder Hinsicht gelohnt. Diese Eindrücke behält man bei sich. Und eine große Erfahrungen durfte alle noch am Schluss machen: Schenken hat einen großen Stellenwert in Bosnien. Fast jeder bekam noch ein kleines Geschenk von den Gastfamilien und man konnte merken, dass dies ein großes Anliegen seitens der Gastgeber war. Dabei hatten sie schon so viel geschenkt. Ein großes Dankeschön an alle die uns aufgenommen und begeleitet haben, allen voran natürlich unsere Übersetzer und Begleiter vor Ort, Jasmin Mujkic und Ibrahim 12 Mehinovic. Aber auch die Schülerinnen des Gymnasiums in Gracanica, die ihre Deutschkenntnisse anwenden und uns damit helfen konnten. Ebenso den Gastfamilien und nicht zuletzt den Bewohnern und Mitarbeitern von Duje und Osmijeh gilt unser Dank. Wenn im Herbst die neuen Kurse kommen, wird die Gruppe viel vorzustellen haben. Nicht ganz ohne Hintergrund: Die Neuen sollen “heiß” auf Bosnien gemacht werden. Und die Kurse, die dann schon ihr Examen hinter sich haben, dürfen natürlich auch dabei sein, wenn von Land und Leuten in Bosnien berichtet wird. 13