im Chor" aus der aktuellen Chorzeit .
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im Chor" aus der aktuellen Chorzeit .
Titel Deutsch lernen, Kontakte knüpfen, Erlebtes verarbeiten – im Chor passiert noch so viel mehr als Singen allein. Zahlreiche musikalische Initiativen erleichtern Geflüchteten die Ankunft Willkommen im Chor 13 Chor zei t~ DE Z 201 5 Im Berliner Begegnungschor treffen junge Geflüchtete aus Syrien auf Alteingesessene (Reportage dazu auf Seite 19) Foto: Giovanni Lo Curto Von Nora-Henriette Friedel F ast 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, das ist die höchste jemals von den Vereinten Nationen verzeichnete Zahl. Im Laufe des nun zu Ende gehenden Jahres ist dies auch im gesellschaftlichen Bewusstsein von uns hier in Deutschland angekommen – zusammen mit Hunderttausenden Menschen, die vor Krieg und Verfolgung Schutz bei uns suchen. Viele engagieren sich, um diese Menschen zu unterstützen, darunter auch Musikschaffende. Der Deutsche Kulturrat bescheinigt künstlerischen Ausdrucksformen die Möglichkeit, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten, Langeweile und Warten in Ungewissheit erträglicher zu machen und zu mehr Verständigung über Worte hinaus beizutragen. Auch in der Chorlandschaft haben sich in den letzten Monaten zahlreiche Initiativen formiert, die mit Singangeboten auf Geflüchtete zugehen und sie teilhaben lassen wollen an allem, was Chorsingen erwiesenermaßen sonst noch mit sich bringt: Gemeinschaft, Stressabbau und Wohlbefinden, Spracherwerb. «Man nennt die Musik immer die Sprache der Welt», sagt Frank Döhring, Dirigent aus dem badischen Offenburg. «Jetzt gilt es, das auch in die Tat umzusetzen.» Er selbst kam als Kind mit seinen Eltern als Republikflüchtling aus der DDR . Die Familie lebte damals lange isoliert unter ihresgleichen und fand schwer Anschluss an die Alteingesessenen. «Es dürfen nicht immer wieder dieselben Fehler gemacht werden», findet er und beschloss mit seinem Frauenchor des MGV Reichenbach die örtliche Flüchtlingsunterkunft zu besuchen. Sie liegt im Wald, sechs Kilometer abseits des 3 .000 -Seelen-Dorfes Reichenbach, in einem umgebauten Forsthaus. «Dort haben die Bewohner kaum Möglichkeiten, mit den Leuten im Ort in Kontakt zu treten», sagt Döhring. Beim ersten gemeinsamen Singen im Oktober mit Hits wie «Tears in Heaven» und «Pata, pata» wollten die HeimbewohnerInnen aus sechs Nationalitäten den Chor einfach nicht mehr gehen lassen. «Als die Flüchtlinge ihre eigene Musik vom Handy per Lautsprecherbox für alle hörbar machen konnten», erzählt Döhring, «war das Eis gebrochen. Da begann eine regelrechte Party.» «Ich will Leute zusammen bringen, die auf der Straße aneinander vorbei gehen würden.» «Wir finden unsern Song» – Kager aus Eritrea beim Warm-up im Berliner Begegnungschor der Chor einstimmig und wegen der Fluktuation könne Einen internationalen Chor hat auch Daniela Bartels man schwer an langfristigen Zielen arbeiten, sagt Rashid- in Weimar gegründet – nur für Frauen. «Frauen sind in khan. «Ich nehme das an, was ich jeweils im Moment habe. Flüchtlingsunterkünften meist in der Minderheit und Wenn man sich ärgert», ist seine Erfahrung, «hat man viele trauen sich kaum hinaus», sagt die Schulmusikerin, schon verloren. Man muss cool bleiben und darf nicht so die über «Musikpraxis und das gute Leben» promoviert. schnell aufgeben.» Auftritte hatte der Chor schon einige, «Ich will ein Angebot schaffen, damit die Frauen auch mal zuletzt am Volkstrauertag in der Marktkirche Hannover. etwas für sich tun.» Sie verteilte Flyer, besuchte FlüchtNeben «Amazing Grace» und einem kurdischen Volks- lingscafés der Caritas und Unterkünfte, im Gepäck ihre lied führte der Chor ein selbstentwickeltes Sprechstück Gitarre und deutsche Popsongs mit eingängigen Texten. auf, das sich auf eine im Koran beschriebene Begebenheit In ihrem Chor singen nicht nur geflüchtete Frauen, ähnlich dem christlichen Pfingstwunder bezieht, und in sondern zum Beispiel auch eine japanische Studentin. dem jeder Sänger in seiner Muttersprache improvisiert. «Ich möchte Leute zusammen bringen, die auf der Straße Rashidkan ist überzeugt: «Wer friedlich miteinander Sin- aneinander vorbei gehen würden», sagt Bartels, «Mengen kann, wird auch friedlich zusammen leben.» schen sollten nicht auf ihren Flüchtlingsstatus reduziert werden.» Aus dem Chor und aus einer Musik-AG mit MAXIMALE OFFENHEIT FÜR DEN geflüchteten Kindern an einer Weimarer Schule hat sie MOMENT UND FLEXIBLES REAGIEREN schon jetzt wichtige Erfahrungen mitgenommen: «Ein Musik ist ein wunderbares Transportmittel für Sprache. vorgefertigtes Konzept hilft oft nicht weiter. Es kommt Dieser Erkenntnis folgend haben sich in Wedel bei Ham- auf Offenheit für den Moment und für die Stärken der burg Musikschule und Volkshochschule zusammenge- Einzelnen an – und darauf, flexibel reagieren zu können». An guten Ideen für chorische Willkommenskultur schlossen und den Internationalen Chor Wedel gegründet. Die Leitung teilen sich eine Deutschlehrerin, die selbst mangelt es nicht. Wer noch mehr Beispiele sucht, um Mut lange im Ausland lebte, und ein Musiklehrer, der Erfah- für eine eigene Initiative zu schöpfen, kann sich auf den rung aus türkisch-deutschen Musikprojekten mitbringt. Seiten des Deutschen Musikinformationszentrums (www. «Unser Kollegium ist schon lange international aufge- miz.org) inspirieren lassen. Hier werden unter dem Motstellt», sagt Michael Schröder, Musikschulleiter. Neben to «Willkommen in Deutschland: Musik macht Heimat» Geflüchteten singen auch Einheimische und Geschäfts- Musikprojekte mit Geflüchteten im ganzen Land vorgeleute aus Japan und China im Chor, die Freude daran ha- stellt. Die Liste ist auf Erweiterung angelegt. ben, Menschen anderer Nationalitäten kennen zu lernen. Die Autorin ist Redakteurin der Chorzeit. 15 Chor zei t~ DE Z 2015 achim Geibel seit vier Monaten leiten, hat man das so gelöst: «Wir hatten ein musikalisches Konzept», erzählt Geibel, «und über ein Vernetzungstreffen des Kölner Flüchtlingsrats lernten wir den Jugendmigrationsdienst Köln kennen, in deren Räumen jetzt unser Chor probt, direkt im Anschluss an einen Deutschkurs. Denn nur hierfür bekommen die Geflüchteten Tickets für den öffentlichen Nahverkehr.» Fast alle der gut 20 Deutschkurs-Teilnehmer bleiben auch zum Chor, schließlich treffen sie dort auch Kölner Studierende, Senioren und Ehrenamtliche. Bei der Leitung des etwa 35 -köpfigen Chors setzen de Terry und Geibel niedrigschwellig an: «Wir arbeiten ohne Noten, dafür viel mit Call and Response», erzählt Geibel. «Außerdem KLEINE SCHRITTE GEHEN STATT verwenden wir die Methode des Live Arrangements und AUF DEN MASTERPLAN WARTEN singen viele Kanons, etwa von Uli Führe. Dabei entsteht Wichtig sei es, dass die Zugewanderten ihre Musik, ihre tolle Polyphonie. Am besten funktioniert es, Dinge einmal Vorlieben einbringen könnten, der Kontakt solle kei- gut vorzumachen, anstatt sie ausführlich zu erklären.» Besonders gut kämen deutsche Volkslieder bei den junne Einbahnstraße sein. Zwei Geflüchtete wollen nun regelmäßig beim MGV mitsingen. «Ich versuche dazu gen Syrern und Afghanen an – im Gegensatz zu westlicher beizutragen, dass hier keine Stimmung aufkommt wie Popmusik, die in ihren Ländern nicht sehr verbreitet ist. mancherorts in Ostdeutschland, wo sich Hass aufbaut, Anhand der bildlichen Volksliedtexte lässt sich eben gut wenn Menschen nicht miteinander kommunizieren», sagt Deutsch lernen. «Nach einer musikalischen Erkundungsphase», sagt Geibel, «haben wir uns mittlerweile vom uniDöhring. «Wichtig ist das gemeinsame Tun.» Da würde ihm auch Christian Höppner, Musiker und sono zur Zwei- und Dreistimmigkeit entwickelt.» Und inGeneralsekretär des Deutschen Musikrates, Recht geben. zwischen trifft man sich auch außerhalb der Proben, etwa Über musikalische Praxis als Vehikel zur Integration Ge- zum Besorgen eines Fahrrads oder zum Pilze sammeln. flüchteter sagte er auf einer vom Arbeitskreis Musik in COOL BLEIBEN UND NICHT AUFGEBEN der Jugend (AMJ ) ausgerichteten Tagung zu «Chormusikkultur und Migrationsgesellschaft» Ende Oktober an der Der Flüchtlingschor Hannover umgeht das MobilitätsBundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel: problem und probt direkt in einem Heim für Asylbewer«Ein Masterplan existiert nicht. Wir müssen jetzt einfach berInnen. Sein Leiter Mohsen Rashidkhan, Sänger an der Schritt für Schritt gehen.» Staatsoper in Hannover, lud die Bewohner vor Ort dazu Die Tagung bildete den Abschluss eines Forschungs- ein. Er klopfte an Türen, sang etwas vor, erklärte auf Araprojekts, das sich der Frage widmete, wie sehr sich die De- bisch, Persisch, Deutsch, Englisch und mit Händen und mografie unserer Einwanderungsgesellschaft in Kinder- Füßen sein Vorhaben. Der gebürtige Iraner kam vor Jahund Jugendchören widerspiegelt. Dabei bestimmte das ren zum Gesangsstudium nach Deutschland und weiß, Thema der chorischen Willkommenskultur für Geflüch- wie es ist, in einem fremden Land orientierungslos zu sein. tete an vielen Stellen die Diskussion. Aber auch die seit So gewann er das Vertrauen seiner aus Afghanistan, langem bestehenden Barrieren der deutschen Bildungs- Eritrea, Syrien, Marokko und dem Kosovo stammenden landschaft, zu der auch die Kinder- und Jugendchöre ge- Sänger, denen er Orientierung mitgeben möchte, zum hören, kamen zur Sprache. Beispiel in puncto ungeschrieApropos Barrieren: Schon bener Gesetze der hiesigen eine Wegstrecke kann ein Kultur: «Man muss aufrecht Hemmnis dafür sein, gestehen, sich präsentieren könflüchtete Menschen mit einen, anstatt gebückt zu gehen, nem Singa ngebot zu erreiwie in der arabischen Kultur chen – selbst in der Großstadt. üblich, wo Bescheidenheit an Beim Kölner Flüchtlingschor, oberster Stelle steht.» den die Musikstudierenden Die Probenarbeit sei oft Daniela Bartels, Nicole Lena de Terry und Joherausfordernd, meist singe Chorleiterin Titel Foto: Giovanni Lo Curto C h or ze i t~ DE Z 2015 14 Titel