, low quality
Transcrição
, low quality
KORA JÜNGER – World’s Saddest Songs World’s Saddest Songs Britta Lange Im Fleisch In the flesh Eine Frau zeigt Zähne und Brüste. Zwei fast nackte Männer spannen die Muskeln. Eine Frau winkt. Ein Mann trinkt. Zwei umklammern einander. Zwei knutschen. Und so geht es weiter. Unterhaltung vom Feinsten. Doch auf den Unterhaltungswert und den Schock, den manche Bilder auslösen, folgt eine Frage. Sogar eine Frage nach der anderen. Was wollen die Figuren? Was zeigen sie wirklich? Demonstrieren sie Glück? Traurigkeit? Stellen sie sich dar für das Bild, oder sind sie so, wie sie sich zeigen? Sie selbst? Die Antwort fällt schwer. Kein glattes Ja oder Nein. Es scheint keine einfache Interpretation zu geben. Die Figuren, die zunächst so schlicht und offensiv wirken, sind problematisch. Jede Antwort provoziert eine neue Frage. Die Bilder öffnen sich immer weiter. Ihre Begrenzung sind die Umrisslinien der Figuren, durchgezogen und messerscharf. Außerhalb davon folgt leerer Raum. Kein Rand, der den Fragen Einhalt gebieten würde. Die männlichen und weiblichen Figuren zeigen sich vertraut und fremd zugleich. Vertraut in den seltsam hilflosen Gesten der Coolness und des Selbstbewusstseins, fremd in der Schärfe, mit der sie sich ausstellen oder ausgestellt werden. Sie springen einem fast ins Gesicht, ohne Rahmen, ohne Halt im Raum und ohne Vorwarnung. Sie ruhen nicht in sich, sondern tragen gleichzeitig etwas Anderes, Unruhiges, Störendes. Etwas Fremdes schwimmt in ihrer Haltung, ihrer Unverblümtheit an die Oberfläche. Sie stehen keinem äußeren Fremden gegenüber – denn einen Kontext geben ihnen die Bilder nicht. Es ist das Fremde in ihnen, durch das sie werden, was sie sind; ihre eigene Abgrenzung vom Ich, die es ihnen erst ermöglicht, ihr Ich zu bestimmen. Das Fremde ist kein Äußeres, sondern gehört zu ihnen. Es ist in ihnen drin und auf ihnen drauf. Das Eigene und das Fremde reiben sich in einer einzigen Person. Beides streitet miteinander, kämpft, verwirft sich, verfehlt, hasst sich und kommt nur manchmal überein. Das ist anstrengend. Die Serie von Zeichnungen zeigt verschiedene männliche und weibliche Figuren in ganz unterschiedlichen Situationen. Doch hintereinander geschaltet stellen sie sich als zusammenhängende Geschichte dar, als eine Szenenfolge aus dem Drama „Verhandlungen des Ichs“. A woman shows teeth and breasts. Two men, almost naked, flex their muscles. A woman waves. A man drinks. Two cling to each other. Two make out. And on it goes. Entertainment at its finest. But behind the entertainment and shock value of the images lies a question. In fact, many other questions arise. What do the figures want? What do they really show? Do they demonstrate happiness? Sadness? Do they perform for the image, or are they really like that which is portrayed? Like themselves? It is hard to give an answer. Neither a straight yes, or no. No easy interpretation at hand. The figures, at first so bare and bold, are problematic. Each answer provokes a new question. The images keep opening up. Their borders are the contours of the figures, lines unbroken and razor-sharp. Beyond them, empty space unfolds. There is no picture frame to stop the flow of questions. The male and female figures seem both familiar and strange. Familiar the odd helpless gestures of coolness and self-assurance, strange the sharpness with which they exhibit themselves or are exhibited. Frameless and with no spatial hold, they almost jump at us without warning. They do not seem at ease with themselves; instead, there is something different, unsettling and disturbing about them. Something strange in their attitude, their bluntness, comes to the surface. There is no unknown outside they must confront – for the drawings do not provide them with a context. It is the other within them that makes them who they are; it is by drawing a line to the self that they are able to define which “I” to become. The other is nothing extraneous, rather a part of them. It is both within them and on their skin. The friction between the individual and the other within a single person. Both fight, struggle, reject, fail to connect, hate each other and will only sometimes come to an agreement. That is hard. The series of drawings show male and female figures in completely different situations. However, seen in sequence they produce a coherent story, like a scene from the drama “Proceedings of the Self”. Who knows what he or she is really like. A woman goes to the disco, gets drunk, throws up. First she shows her outer surface – the clothing, the body, the life style, the coolness. She exhibits herself. Then she turns her inner self inside Wer weiß schon so genau, was er oder sie wirklich ist. Eine Frau geht in die Disco, betrinkt sich, übergibt sich. Erst zeigt sie ihr Äußeres – die Kleidung, den Körper, den Lebensstil, die Coolness. Sie stellt sich aus. Dann kehrt sie ihr Inneres hervor. Dabei gibt sie nur etwas Äußeres wieder von sich, den Alkohol, der in sie hinein geflossen ist. Die äußere Hülle gerät in Gefahr. Nicht mehr viel unter Kontrolle. Wo ist hier noch das Ich? Weder in der äußeren Hülle, noch im Inneren, noch im Ausgekotzten. Es liegt irgendwo dazwischen, in dieser Spannung, im Akt der Ausstellung. Männer gehen auf Partys. Ins Fitnessstudio. Auf die Straße. Auch sie betrinken sich. Auch sie entkleiden sich, halb, oder ein bisschen mehr, um ihre Körper auszustellen. Auch sie verkleiden sich, um sich eine andere Hülle zu geben. Sie stellen sich aus. Können Menschen sie selbst sein, wenn sie sich ausstellen? Oder gehört das Doppelbödige gerade zum Spiel dazu? Eine Lust an der Unentscheidbarkeit zwischen Ausgestelltem, Inneren und Äußeren? Nichts zu verlieren heute Abend. Auch die Männer übergeben sich. Auch das folgt noch den Spielregeln, die absehbare Eruption. Und doch bricht die Ausstellung, die Hülle irgendwie zusammen, an einem Störfaktor. Am Fremden, oder am Ureigenen, wer weiß das schon so genau. Verhüllung und Enthüllung sind ein wichtiges Element in World’s Saddest Songs. Manche Figuren entblößen sich offensiv, andere verhüllen ihren Körper ebenso demonstrativ mit Verkleidungen. Manchmal veröffentlichen die Kleider mehr, als sie verdecken. Nackte Haut ist die Oberfläche des Ich und zugleich eine Strategie, um die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper zu lenken und vom Ich weg zu drängen. Wenn der Körper nicht der Weg zum Ich ist. All diese Gedanken erinnern an die Jugend, an Gedanken vor und bei einer Party. Man wird etwas zeigen und man will dabei souverän sein. Man wird also versuchen, mit den verschiedenen Varianten der Ausstellung zu spielen, zu kontrollieren, was man zeigt und was nicht. Man versucht, andere zu täuschen und zu verunsichern oder zu erobern mit gelungenen Darstellungen. Man will zu sehen geben statt einfach zu sehen sein. Doch je mehr Menschen das Spiel mit der Ausstellung beherrschen, desto mehr durchschauen es auch, verdoppeln es und kehren es um. out. She is merely giving back something to the outside realm – the alcohol she has ingested. The outer layer is under threat. Not that much left to control. Where is the self here? Neither in the outer layer, nor inside, nor in the vomit. It is somewhere in between, in this conflict, in the act of exhibiting oneself. Men go to parties; to the gym; on to the street. They also get drunk. They also strip off, all clothes or in part, to show off their bodies. They also dress up in order to veil themselves with another layer. They exhibit themselves. Can human beings be authentic when they exhibit themselves? Or is it exactly that this ambiguity is a part of the game? A longing for the undecidability between that which gets exhibited, inner and outward worlds? Nothing to lose tonight. Men also throw up. It is the predictable eruption, equally in accordance with the rules of the game. But somehow a disruption tears both the act of display and the layer. Who knows whether the disruption lies in the other, or the original self. Veiling and unveiling constitute an important element of the World’s Saddest Songs. Some figures expose themselves boldly, others are just as emphatic about covering their bodies. Sometimes the clothes reveal more than that which they cover. Naked skin is both the surface of the self and a strategy to attract attention towards one’s own body and to divert it from the self, that is, assuming that the body is not the way to the self. All these thoughts remind one of youth, of thoughts previous to and during a party. Something will be shown and one will want to look assertive while doing it. So it will be an attempt at juggling with all the variants of exhibiting oneself, controlling what gets or does not get shown. One will try to deceive or unsettle or conquer others with skilled performances. Deciding what to let others look at, rather than being merely looked at. However, the more people master the game of exhibiting oneself, the more people see through it, redoubling and reversing it. The figures are aware of that. They look at the viewer. If there are two figures within an image, they almost never look at each other. Some will make direct eye contact with the viewer – they laugh in our face. They do not ask for acceptance, rather they bear an openly defiant stance. Their unyielding gaze Das wissen die Figuren. Sie gucken selber. Sind zwei Figuren auf einem Bild, sehen sie einander fast nie an. Manche nehmen direkt mit dem Betrachter Kontakt auf – sie lachen uns ins Gesicht. Sie fragen nicht, sondern sind offene Herausforderung. Mit ihrem aufdringlichen Blick stimmen manche von ihnen fast traurig, weil sie sich viel weiter entblößen, als sie selbst wissen. Verrat letzter Geheimnisse. Oder die Verhältnisse verkehren sich. Die Figuren wollen gar nicht betrachtetet werden, sondern sie betrachten uns. Denn auch wir sind Ausgestellte, die vor einem Bild stehen und gucken. Das Betrachten als solches, Blicke und Blickrichtungen werden damit zum Thema der Bilder, zu einer Metareflexion über Betrachtung und Kunst. Andere der gezeichneten Figuren gucken demonstrativ weg. Zumindest ist ihr Gesicht nicht zu sehen, verborgen hinter energetisch aufgeladenen und dramatisch verkürzten Körpern. Sie verweigern den Anblick ihres Gesichtes und die Befriedigung des Betrachters, der ein Ich sehen will. Sie geben und verstecken, bejahen und verneinen, befriedigen und verwehren – alles gleichzeitig. Es geht um Affirmation und Negation. Um offensiv gezeigte Brüste und rausgestreckte Zungen einerseits, um nicht gezeigte Gesichter und nicht ausgeführte, nur angelegte Gesten andererseits. Um Fleisch, das gezeigt wird, und Fleisch, das reflektiert wird. Immer befinden sich die Ausgestellten irgendwie am Rand, an der Grenze ihrer selbst. Sie haben keine Wahl. Ihre Grenzen können sie nur ausloten, indem sie sie überschreiten. Grenzen überschreiten auch die Ausdrucksformen von World’s Saddest Songs. Die Zeichnungen stehen nicht allein, sondern werden überzeichnet durch ein weiteres Mittel: Sprache, Schrift. Sie werden beschrieben, überschrieben. Je größer das Geschenk, desto schöner. Wir fühlen uns jünger denn je. Süß. Wenige Aussagen formulieren den Bildinhalt wie eine Verdopplung. Die meisten Satzfetzen berühren das Bild nur leicht, sie ergeben nur einen halben Sinn. Sie haben etwas mit den Figuren zu tun, erklären oder benennen sie aber nicht. Auch Schrift und Bild, Titel und Inhalt reiben sich aneinander und verfehlen sich, mehr oder weniger merklich. Die Titel kündigen an, den Gehalt zu erfassen, tun es aber nicht. Die Ausstellung wackelt. Die Figuren stellen sich aus und werden über die Bilder noch einmal almost triggers sadness, because they give away much more than they are aware of. The betrayal of ultimate secrets. Or else there is a reversal of relations. The figures do not want to be looked at, they want to look at us. For we are also “exhibited”, as we stand in front of an image and watch. The act of watching, gaze and gaze directions become the running theme of the images, a meta-reflection on the gaze and art. Some of the other figures in the drawings explicitly look away. At least their faces cannot be seen, hidden behind energetically charged and dramatically foreshortened bodies. They refuse the scrutiny of their face and to satisfy the viewer’s expectation to see a self. They give and hide, affirm and negate, satisfy and rebuff simultaneously. It has to do with affirmation and negation. With aggressively revealed breasts and stuck out tongues, faces not revealed and gestures not executed, just suggested. With flesh that gets shown and flesh that is reflected on. Somehow, the exhibited ones are always at the margins, at the border of their selves. They have no choice. They can only gauge their borders by going beyond them. The borders of the medium of drawing in World’s Saddest Songs are also expanded. The drawings acquire an additional dimension through the medium of language, of writing. The drawings are written on, texts are drawn on. The bigger the gift, the sweeter it gets. Feeling younger than ever. Cute. Few phrases formulate the content of the image by illustrating it. Most sentence fragments barely touch upon the image. They relate to the figures, but they do not explain or refer to them directly. There is also a friction between writing and image, title and content, as they fail to connect with each other. The titles promise to sum up the content of the images, but they do not. The exhibition is on shaky grounds. The figures exhibit themselves and then are exhibited again as images. Exhibiting the self or the other self in an aesthetic exhibition: stories about people and art. Both are made public and they find a specific format to that purpose. With that format, both allege to show their inner worlds. Magic moments. To both of them, the motive is a strategy: to reach a public, to achieve external recognition. But both of them, the figures and the art, have a longing for the self. Both really want to show something of themselves. They carry a self that can be seen through in the ausgestellt. Eine Ausstellung des Ich oder des fremden Ich in einer ästhetischen Ausstellung: Geschichten über Menschen und Kunst. Beides veröffentlicht sich und gibt sich dafür eine bestimmte Form. Beides gibt durch seine Form an, Inneres Eigenes zu zeigen. Magische Momente. In beidem liegt als Motiv eine Strategie: Publikum zu erreichen, Anerkennung von Außen. Aber beidem, den Figuren und der Kunst, ist auch ein wirkliches Begehren nach dem Selbst eigen. Beide wollen wirklich etwas von sich zeigen. Sie transportieren ein Ich, das man durch die Ausstellung hindurchsehen kann. Und das ist traurig. Das Ich kann sich nicht ungebrochen zeigen, sondern ist immer gebrochen durch das Medium der Ausstellung. Die Ausstellung wiederum ist schön. Wenn das Ich und die Kunst versuchen, mit der Ausstellung zu spielen, stellt sich beides noch einmal aus: als Kunst einerseits und als Geschichten über Menschen andererseits, wie doppelbödig und verschlungen sie auch sein mögen. Aus dieser Spannung resultiert die Kraft der Bilder. Sie bleiben unaufgelöst und damit im Fleisch. exhibition. And that is sad. The self cannot show itself as whole, rather it is torn apart by the medium of the exhibition. Then again, the exhibition is beautiful. When self and art try playing with the exhibition, everything gets exhibited again: on one hand as art, on the other as stories about people, however ambiguous and entangled. The power of the images stem from this conflict. They remain unresolved, hence in the flesh. Christine Lemke Der böse Blick The evil eye In einem Berliner Heimatmuseum wird auf einem weißen Sockel ein Plastikeimer präsentiert, in dem eine Menge überlanger hellroter Strohhalme stecken. Das Objekt der Zurschaustellung steht für eine eigentlich mit Abscheu betrachtete massenkulturelle Praxis: Deutsche Urlauber trinken auf der spanischen Insel Mallorca am Strand El Arenal so lange gemeinsam Sangria mit Strohhalmen aus Eimern, bis sie nicht mehr wissen, wie sie heißen und woher sie kommen. Und das ist dann auch das, worum es geht: Nicht mehr zu wissen, wie man heißt und woher man kommt. Sich seiner zu fad gewordenen Identität für ein paar Stunden zu entledigen, um sie dann unter Kopfschmerzen am nächsten Morgen nach dem Aufwachen mühsam wieder zusammen zu sammeln, wie die Haufen der im Hotelzimmer verstreuten Kleider. Diese sehr profan ausgeübte Praxis der Ek-Stasis, des Aus-sich-selbst-heraus-Tretens, der Selbstauflösung, des Rausches ist extrem geläufig und wahrscheinlich gerade deswegen nicht besonders hoch angesehen. Ein Freund von mir bezeichnet sie ohne Umschweife als „sich aus der Welt rammen“. Mit dieser Formulierung geht eine Drastik einher, die auch eine Entwertung in sich birgt. Vor das innere Auge geraten Szenarien menschlicher Körper in Zuständen, außer Fassung geraten, in einem Übergang befindlich. Körper, die übergehen in einen namenlosen Zustand jenseits von Sprache und Selbst-Bewusstsein. Das sind Körper, die lallen, taumeln, grabschen, geifern, fallen, schnarchen, rülpsen, und so weiter. Als handele es sich dabei um eine „Kultur der Unkultur“ werden derartige sozialer Phänomene gerne mit Verrohungs- oder Werteverfalls-Argumentationssträngen in Zusammenhang gebracht. Innerhalb (historischer) romantischer Vorstellungswelten jedoch erhält die – eleganter als „Ausschweifung“ – gelabelte Kultivierung des Rausches eine ideale Qualität. Der Zustand der Besinnungslosigkeit entspricht hier vielmehr einem Zustand der Beseelung, der Erweiterung, wenn nicht gar Transzendenz eines idealen Selbst. Das „Ich“ wird nicht weniger, sondern wächst über sich selbst hinaus – seine körperlichen wie geistigen Grenzen überschreitend. Vor diesem Hintergrund existiert ein positiver Begriff von Transgression, der so etwas wie einen Moment des Offenen und Möglichen enthält. At a local history museum in Berlin, a plastic bucket out of which protrude many extra long, bright red straws, is displayed on a white pedestal. In fact, the exhibited object stands for a despised mass cultural practice: Germans on holidays in the Spanish island of Mallorca, on El Arenal beach, who gather around buckets sucking sangria from straws until they forget their names or where they come from. And that is what it boils down to: forgetting one’s name and where one comes from. To discard one’s too insipid identity for some hours, in order to gather it up laboriously the next morning after waking up with a headache, like the heap of clothes scattered around the hotel room. This very profane practice of ecstasy, of going beyond oneself, of self-loss and rapture is quite common, which is probably why it is not really held in high esteem. A friend of mine calls it bluntly “ramming oneself out of the world”. This formulation evidences a contemptuous extremeness. In the mind’s eye, there emerge scenarios with bodies in states of lost self-control, of transition. Bodies that go into a nameless state beyond speech and consciousness. These are bodies that slur, stagger, grab, slobber, fall, snore, belch, and so on. As if they were to represent a “culture of un-culture”, such social phenomena are too readily examined in the light of debates on degeneration and moral decline. In the realm of (historical) romantic ideas, the cultivation of rapture – more elegantly labelled as debauchery – acquires an ideal condition. Here the state of unconsciousness has more to do with a state of ensoulment, of expansion if not even transcendence of the ideal self. The self does not diminish, rather extending beyond itself – transcending its bodily and mental borders. In this case, there is an affirmative notion of transgression that harbours something close to a moment of openness and possibilities. The persons, figures, subjects, bodies or beings that appear in the drawings are in such transgressive states. However, their transgression seems without perspective, because they exist without the option of an impending utopian moment that could either liberate them from themselves or allow them to go beyond themselves. Their infringement concludes in this life. Or it drags them even more into the sad present time of their own body. Here, the notion of an independent Die Personen, Figuren, Subjekte, Körper oder Wesen, die in den Zeichnungen auftreten, befinden sich in solcherart transgressiven Zuständen. Ihre Transgression scheint aber ohne Perspektive. Ohne die Option auf einen utopisch verrückenden Moment, der sie von sich selbst befreien könnte oder sie über sich selbst hinauswachsen ließe. Ihre Überschreitungen verenden im Diesseits. Oder reißen sie sogar noch weiter rein in die traurige Gegenwart des eigenen Körpers. Die Vorstellung eines unabhängigen und souveränen modernen Individuums scheint hier, mit dem Kopf in der Kloschüssel oder käferartig auf dem Boden liegend und alle Viere von sich streckend, einer Enttäuschung Platz gemacht zu haben: Unbestimmt zwischen Subjekt und Objekt gehen die gezeichneten Gestalten ins Formlose über. Es sind sich selbst verzehrende Wesen, die nicht um sich und ihre Selbstverzehrung wissen. Das ist das, was an ihnen das in sich selbst Gefangene, das Kreatürliche ausmacht. Diese modernen Wesen, denen man aufgrund ihrer casual Kleidung nicht ansieht, woher sie genau kommen oder was sie beruflich machen, scheinen sich über ihre Praktiken der Überschreitung einen Funken Rest-Autonomie aneignen zu wollen. Diese Autonomie läge demnach in der Verfügbarkeit über den eigenen Körper und seine Zustände. Und da ist bekanntermaßen alles möglich, was man mit einem Körper so machen kann: Sport, Tanz, Sex, Drogen und so weiter. Vielleicht bildet das die Verschränkung, die in den Zeichnungen immer wieder zustande kommt: In dem Moment, in dem diese Körper sich ganz sich selbst überlassen, überlassen sie sich dem Blick der Betrachter. Mehr oder weniger ausgeliefert wird diesen Körpern dabei zugesehen, wie ihr Versuch einer Selbstaneignung scheitert. Sie werden gezeigt in einem Moment, in dem sie nicht vorzeigbar sind, als dysfunktionale Repräsentanten ihrer Selbst. Der Moment des Abgebildet-Seins oder des Zur-Schau-gestellt-Werdens entspricht dann der Ohnmacht der Abgebildeten und zur Schau Gestellten. Und der Raum der Zeichnungen fällt zusammen mit der Unmöglichkeit eines herzustellenden autonomen Raumes. Der Blick auf die Zeichnungen positioniert die Betrachter hinter eine schon gezogene Grenze. So zeigen die Zeichnungen etwas, zu dem man gerne Distanz and self-assured modern individual, with the head in the toilet, or beetle-like with its legs spread out on the ground, seems to end in disappointment: undefined between subject and object, the drawn figures shift into shapelessness. They are self-consuming beings who are not aware of their self-consumption. This is what determines their confinement within themselves, their creature-like nature. These modern beings, whose casual clothes do not give insight into their provenience or profession, intend to appropriate a spark of what is left of autonomy through practices of transgression. Hence this autonomy would lie in the determination of the own body and its different states. And that leaves plenty of possibilities for that which can be done with the body: sports, dancing, sex, drugs, and so on. Maybe that is what generates the ever-present intertwinement in the drawings: at the very moment the bodies surrender completely to themselves, they surrender to the viewer’s gaze. More or less at the mercy of our gaze, we witness how these bodies fail to pull off an appropriation. They are exposed at the moment in which they are not presentable, like dysfunctional representatives of their selves. The moment of being depicted or displayed corresponds with the impotence of those represented and displayed. And the space of the drawings disintegrates at the impossibility of creating an autonomous space. The gaze on the drawings positions the viewer behind an already drawn line. Hence the drawings show something one would like to keep at bay. On one side, the gaze evidences a voyeuristic fascination, on the other an abashment about the obscenity of one’s own gaze and the effort to let go of it. A certain photographic tradition could make strategic use of this juxtaposition. This is a language of images that has already distanced itself from that which is represented and exposed through the gesture of representing and exposing. A certain understanding of photography that claims for itself a so-called “relentless gaze”, a gaze that “keeps at it” and holds it there, “where it hurts”. In a certain sense, a gaze that claims a moralizing truth by showing how “the people” really live. However, as that which is displayed in the drawings is stencil-traced or stereotypically first-drafted, it cannot take a direct position concerning what is real, instead it acquires the halten möchte. Einerseits geht der Blick auf sie einher mit einer voyeuristischen Faszination, andererseits geht er aber auch zusammen mit der Beschämung über die Obszönität des eigenen Schauens und mit dem Versuch, sich davon wieder zu lösen. Eine bestimmte Tradition von Fotografie könnte diese Grenzziehung strategisch behaupten. Das ist eine Bildsprache, die sich über den Duktus des Zeigens und des Entblößens von dem Gezeigten und Entblößten schon längst distanziert hat. Ein bestimmtes Verständnis von Fotografie, das einen so genannten „schonungslosen Blick“ für sich in Anspruch nimmt, ein Blick der „draufhält“ und der dorthin hält, „wo es weh tut“. Ein Blick, der in gewissem Sinne auch moralisierend eine Wahrhaftigkeit für sich in Anspruch nimmt, indem er zeigen möchte, wie es „wirklich“ um „die Leute“ bestellt ist. Da das zur Schau Gestellte in den Zeichnungen jedoch schablonenartig nachgezeichnet oder stereotypisch vorskizziert wurde, kann es sich nicht derartig direkt zu so etwas wie Realität positionieren, sondern es erhält zudem die Verfasstheit einer Konstruktion. Bei manchen Verbiegungen der gezeigten Wesen ließe sich an akrobatische Körperformationen denken. Also an etwas extrem Artifizielles und Übersteigertes. Und das wäre dann die Frage, ob dieser Moment der Konstruktion die Option auf etwas Mögliches öffnete. traits of a construction. Some of the bends in the bodies remind one of acrobatic body formations. That is, something artificial and exaggerated. And the question remains: does this moment open itself up to what could be possible? Kora Jünger Günther-Peill-Stiftung 1973 in Aachen geboren/born 1973 in Aachen. Ausbildung/Education: 1994 – 2000 Hochschule für bildende Künste Hamburg, Diplom Visuelle Kommunikation, und 1998 – 2000 San Francisco Art Institute, USA, Masters of Fine Arts New Genres. Stipendien/Awards: 2007 Arbeitsstipendium für bildende Kunst der Freien und Hansestadt Hamburg; 2005 – 2007 Günther-Peill-Stipendium, Stadt Düren; 2002 – 2004 Atelierstipendium der Freien und Hansestadt Hamburg; 1999 – 2000 International Scholarship des San Francisco Art Institute, Jack K. and Gertrude Murphy Fine Arts Fellowship; 1998 – 1999 Fulbright-Stipendium. Einzelausstellungen/Solo Exhibitions: 2007 Home Run, Leopold-Hoesch-Museum, Düren; Gotta Know Jack, Galerie Reimann Le Bègue, Düsseldorf; Not one photograph, only a blurry image in my mind, Mission Audio Tour, NPR + Southern Exposure, San Francisco; 2006 Without legs for walking your life’s journey will be a pitiable one., Hinterconti, Hamburg; 2004 Skizzen aus lost Hollywood, Ausstellungsraum Taubenstrasse, Hamburg; Frei auf Zuspruch, trottoir, Hamburg; 2003 Hostage Crisis, Foyer für junge Kunst, Hamburg; 2002 Inscene Yourself (Applause), Westwerk, Hamburg; Im Westen nichts Neues, Ausstellungsraum 88, Hamburg; BE STRONG, HONEY!, Kunstverein Celle, Celle; we are waiting for you, Netzprojekt, Halle für Kunst, Lüneburg; Going for Gold, Kochsalon, Hamburg. Gruppenausstellungen (Auswahl)/Group Exhibitions (Selection): 2006 Smart Ass, Southern Exposure, San Francisco; die sammlung rischer, Gallery Adamski, Aachen; Davringhausen, Griffith, Jünger, Galerie Dieter Reitz, Berlin; Index06, Kunsthaus, Hamburg; blackpool, KX, Hamburg; 2005 Closer, Space Other, Boston; ESL, ZuvielTV, Berlin; 2004 Kora Jünger + Stefan Panhans, Hamburger Botschaft, Hamburg; release 1, trottoir, Hamburg; 2003 Many Happy Returns, Kunstverein Springhornhof, Neuenkirchen; Ein Paradies für Jäger, Schloss Burgau, Düren; Lupinen, Videoabend, Galerie für Landschaftskunst, Hamburg; 2002 net.art exhibition, Irish Museum of Modern Art, Dublin; 2. Generation, GSM, Hamburg; The Sixth International Video Festival VideoMedeja, Novi Sad; 2000 Hard Copy, Office Gallery, San Francisco; Consumer to Capitalism, New Langton Arts Gallery, San Francisco; Bay Area Emerging Artists Show, GenArt, San Francisco; 1999 Action Figure, Blasthaus, San Francisco; COMTECart 99, Dresden. Die Günther-Peill-Stiftung ist benannt nach dem Dürener Glasfabrikanten Günther Peill, der zusammen mit seiner Frau Carola Peill sowohl in seiner Firma „Peill & Putzler“ als auch in der Stadt Düren in den Jahren ab 1948 wegweisende Kunstförderung betrieben hat. Günther und Carola Peill waren Sammler von Werken der klassischen Moderne; der erste zeitgenössische Künstler, den sie nach dem Krieg förderten, war Ernst Wilhelm Nay. Die Sammlung befindet sich heute überwiegend im Museum Ludwig, Köln. In Düren errichtete Carola Peill 1986 die „Günther-Peill-Stiftung“ im Angedenken an ihren 1974 gestorbenen Gatten. Ziel der Stiftung ist es, Förderstipendien an Nachwuchskünstler zu vergeben. Am Ende der zweijährigen Förderung erhalten die Stipendiaten eine Einzelausstellung im Leopold-Hoesch-Museum in Düren, zu der eine Publikation erscheint. Seit 1996 verleiht die Stiftung zudem den Peill-Preis an anerkannte Künstler, deren Werke für die zeitgenössische Kunst wichtige Impulse setzen. 66 Zeichnungen aus „World’s Saddest Songs“, Bleistift auf Papier, je 21 x 29,7 cm, 2005–2006 Katalog zur Ausstellung im Leopold-Hoesch-Museum Düren Förderung durch die Günther-Peill-Stiftung, Düren: Stipendium 2005 – 2007 Herausgeber: Günther-Peill-Stiftung, Düren; Leopold-Hoesch-Museum Düren Texte: Britta Lange, Christine Lemke Übersetzung: Karen Michelsen Castañón Konzept und Layout: Kora Jünger Realisierung: jo.seibt kommunikationsdesign, Leverkusen Druck: B.O.S.S Druck und Medien, Goch Vielen Dank an Anneruth Dannert, Britta Lange, Christine Lemke, Claudia Blank, Courtney Fink, Immo Salzmann, Jens Dammann, Karen Michelsen Castañón, Kelsey Nicholson, Kerstin Stoll, Kerstin Stremmel, Marcelo Millot, Michael Hüners, Stefan Panhans und meine Familie. © 2007 Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany ISBN 978-3-89479-418-7