Straight Edge als drogenfreie Subkultur des Hardcore
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Straight Edge als drogenfreie Subkultur des Hardcore
. . . . . . . . . . . . . . . . . . I d e Nüchterne Rebellion Straight Edge als drogenfreie Subkultur des Hardcore-Punks o l von Philipp Probst und Stefan Probst o g i e 14 Straight Edge (sXe) wird oft mit selbst- ich in die Punk-Szene eintauchte, war es konservativem ti-Drogen-Songs Straight Edge von seiner gerechtem Moralismus, Humorlosigkeit und I d e o l o g i e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Puritanismus assoziiert. Dennoch war die Szene seit ihren Anfängen in Washington DC in den frühen 1980er Jahren immer auch Sprungbrett für radikale Politik. I drink milk 1979/80 schrieb die Washingtoner Hard- core-Punk-Band Teen Idles den wahrschein- lich ersten Straight Edge - Song. Dessen Lyrics waren zwar offensichtlich nicht ganz ernst gemeint, aber trotzdem nur halb als Scherz gedacht: „I drink milk / I drink milk / I drink milk / I drink milk / I don’t care what people say, I drink milk everyday!” Ian MacKaye, Bassist und Textschreiber der Band, hat in späteren Interviews den Hintergrund des Songs erläutert: „In den 1970er Jahren machten sich meine MitschülerInnen und meine FreundInnen dauernd darüber lus- tig, dass ich keinen Alkohol trank. Als genau dasselbe.” Die Lyrics des 1981 An- Nachfolgeband Minor Threat spiegeln seinen Ärger und seine Frustration über die drogenzentrierte Subkultur wider: „I’m a person just like you / But I’ve got better things to do / Than sit around and fuck my head / Hang out with the living dead / Snort white shit up my nose / Pass out at the shows / I don’t even think about speed / That’s something I just don’t need / I’ve got the straight edge […]. Always gonna keep in touch / Never want to use a crutch / I’ve got the straight edge”1. Straight Edge soll dabei zum Ausdruck 1 „Ich bin so wie du / aber ich hab’ Besseres zu tun / als rumzusitzen und mich zuzudröhnen /mit lebenden Toten rumzuhängen / Ich denk’ nicht mal an Speed / das ist, was ich einfach nicht brauch’ / ich hab’ straight edge […] werde immer klar sein / will niemals eine Krücke verwenden / Ich hab’ straight edge.” Minor Threat: Straight Edge, auf: 7, Dischord 1981. deren die zunehmende Kommerzialisierung, . . . . . . . . . . . . . . . . . . Punk-Rebellion in den Mainstream. d Trinitarische Formel? o bringen, mit einem nüchternen, klaren, Punk suchten. haben (to have an edge on you). für die Herausbildung einer eigenständi- eben straighten Kopf einen Vorteil zu Es war dieses Grundprinzip eines klaren Kopfes, das die Bewegung vereinte – jenseits der jeweils zeitlich, regional und individuell spezifischen Ausdeutungen dessen, was mit einer Straight-Edge-Identität bezeich- net sein soll. Wieder war es ein Minor Threat-Song, der gemeinhin als Gründungsmanifest dieser Prinzipien steht: In Out of Step schreit Ian MacKaye: „(I) Don’t smoke / Don’t drink / Don’t fuck / At least I can fucking think.”2 Während diese „drei einfachen Worte”3 niemals als fixes Regelwerk für eine Bewegung gedacht waren, wurden sie zum Start- schuss für einen Gedanken, der in den unterschiedlichsten Interpretationen Teile der Punkszene und Jugendkultur über die Jahrzehnte prägte. Wesentlich illustration: richard klawatsch nächsten Zwei wesentliche Entwicklungen scheinen gen Hardcore-Kultur in den frühen 1980er Jahren relevant: zum einen das gesellschaftspolitische Klima in den USA um 1980, das in den Worten des späteren Black Flag-Sängers Henry Rollins von „Rezession und Repression” geprägt war; zum an- Ästhetisierung und Internalisierung der Zunächst verstanden I e tatsächlich auch jene, die die Message des Minor Threat Songs Out of Step „(I) Don’t Drink / Don’t Smoke / Don’t Fuck” positiv für sich selbst übersetzten konnten, Straight l o g i e Edge weder als eigene Bewegung noch als Identitätsclaim, sondern in erster Linie als konstruktiven Impuls für die HC- Szene: die Community müsse offen sein 15 – oder offener werden – auch für jene, die Milch statt Bier trinken wollen. Die Szene sollte aber gleichzeitig für jene d insbesondere in Washington DC ein eminent o ten Shows in Clubs stattfanden, in denen o nen Alkohol konsumieren durften. Dies war praktisches Problem, insofern die meisAlkohol ausgeschenkt wurde. So hat sich eben auch das zentrale Symbol des (späteren) Straight Edge, das X, aus der Überging es für die Jugendlichen (oft 13 bis 16 Jahre alt!) darum, in einer Gesellschaft, die nichts als Perspektivlosigkeit, Langeweile und Konformitätsdruck zu bieten hatte, Frust abzulassen. Musik von Kids für Kids, die die ganze ameri- kanische Gesellschaft nur mehr anfuckte und die Zuflucht und Energie im Hardcore 2 ”(Ich) rauch’ nicht / trink nicht / fick nicht / zumindest kann ich denken.” Minor Threat: Out of Step, auf Out of Step, Dischord 1983. 3 Minor Threat: Straight Edge, a.a.O. I offen sein, die zumindest legal gar kei- zeugung heraus entwickelt, dass HardcoreShows für all ages offen sein müssen. Um den Problemen mit Club-Besitzern aus dem Weg zu gehen, schlugen minderjährige Jugendliche vor, sich ein dickes schwar- zes X auf den Handrücken zu malen. Damit zeigten sie, dass sie keinen Alkohol konsumieren würden und konnten die Show besuchen. Ursprünglich stand das X also weniger für sXe und Abstinenz, sondern für Jugend. Besondere Aufmerksamkeit verdient schließ- lich noch der so oft, auch im sXe selbst, e l g i e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I d e o l o ”...von einer persönlichen Lebenseinstellung zu einer propagierten Ideologie, von puritanischem Asketismus zur Vorstellung eines klaren Kopfs als bessere Voraussetzung für gesellschaftliche Veränderung, von maskulinistischer Wolfpack- und Crew-Mentalität zur Betonung einer offenen, partizipativen Community.” puritanischem Asketismus zur Voraussetzung für gesellschaftliche Veränderung, von lität zur Betonung einer offenen, falsch verstandene Ausdruck „Don’t Fuck”. die Anschlussfähigkeit des sXe an reakti- onäre christliche Enthaltsamkeits-Sekten deutlich. Für Ian MacKaye, der sich schon oft für diese Formulierung rechtfertigen musste, war die ganze Aufregung trotzd e o l o g i e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . partizipativen Community. Straight Edge ist deshalb ein weder per se fortschrittliches, noch reaktionäres Phäno- men. Sicher, wer den verrückteren Auswüchsen des sXe in den frühen 1990er Für viele SkeptikerInnen wird genau hier I maskulinistischer Wolfpack- und Crew-Menta- Jahren die hauptsächli- i 16 eines klaren Kopfs als bessere g e Vorstellung dem relativ unverständlich: „Glaubst du, dass Menschen bei ‚Don’t Drink’ jemals sagen würden: ‚Aha, er will, dass niemand mehr irgendein Getränk oder irgendeine Flüssigkeit zu sich nimmt?’ Aber wenn das Wort ‚fuck’ ins Spiel kommt, werden sofort andere Schlüsse gezogen. Ich ver- stand das nie. Es war doch klar, dass es um Missbrauch, Manipulation und Eroberung ging, also um die Instrumentalisierung von Sex, die auf Befindlichkeiten von Menschen keine Rücksicht nimmt.” (zit. in Kuhn 2010:10) Die Schwierigkeit, das Phänomen Straight Edge auf den Punkt zu bringen, besteht nicht zuletzt darin, dass die jeweili- gen Ausdeutungen dessen variieren, was von sXe überhaupt einer die Stirn runzeln – etwa über den mysteriösen Boom straighter Krishna-Core-Bands – oder sich von der selbstgerechten Mili- tanz, gewürzt mit einer kräftigen Prise Pro-Life und Ablehnung von vorehelichem Sex, von 1990er-sXe-Bands wie Vegan Reich angewidert abwenden. Dass gleichzeitig offen kommunistische Bands wie ManLiftingBanner ebenfalls eine sXe-Identität für sich beanspruchen, macht die Sache dann aber doch kompliziert. So wie jede subkulturelle Bewegung steht nämlich auch der sXe in einem widersprüchlichen Verhältnis Verhältnissen und zu den hegemonialen Vorstellungen. Diese Spannung soll im Folgenden beispielhaft anhand von Sexismus und Homophobie innerhalb der sXe-Szene durch diskutiert werden. Ausdeutungen mit che Aufmerksamkeit schenkt, wird entweder gemeint persönlichen sein soll: Lebenseinstel- lung zu einer propagierten Ideologie, von Machismo, Emancypunx Der vom sXe propagierte Verzicht auf Alkohol und Drogen steht zum einen quer zu Erwartungshaltungen und Verhaltensweisen der Mainstream-Jugendkultur, insbesondere aber auch hegemonialen Konstruktionen jugendlicher Männlichkeit. sXe ermutigte Männer, sich maskulinistischen Anrufungen der Geschlechterverhältnisse – zumindest . . . . . . . . . . . . . . . . . . durchkreuzt. Während viele in der sXe- d der Szene keine Rolle, so bleibt der sXe o überhaupt, o zu entziehen und Sexismus auf persönlicher Ebene zu bekämpfen. Tatsächlich wird die Szene von vielen Mitgliedern als Raum wahrgenommen, in dem sie weni- ger Druck verspüren, traditionellen Geschlechterkonstruktionen entsprechen zu müssen. Dennoch werden diese propagier- ten Bemühungen um progressive Veränderung in der Szene – in der Praxis beständig I Bewegung betonen, Geschlecht spiele in doch, genauso wie die männlich ein e Hardcore-Szene Kontext. l überwiegend dominierter g i Offensicht- e lich ist das bei den Shows selbst Fall: auf der der sowohl 17 Bühne als auch im Pu- blikum finden sich meist fast I aus- schließlich Männer. d dass o Ebenso de klar die e ist, zunehmen- physische l Rohheit o (aka Gewalt) beim Tanzen nicht gerade zu einer offe- g erinnert sich: „die Sache wurde e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i nen Community beitrug. MacKaye immer verrückter, immer gewaltförmi- ger. Und ich begann diese Veränderung wahrzunehmen – Frauen, die von ganz vorne bei der Bühne immer weiter nach hinten abgedrängt wurden, und schließlich überhaupt ganz hinaus.” (zit. in Lahickey 1997: 107f) Ebenso sind aber die Begriffe, in denen das Bekenntnis zur Abstinenz – vor allem seit den späten 1980er Jahren – gerahmt wird, eindeutig solche, die traditionell als männlich konnotiert gelten: (Selbst-) foto: richard klawatsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . Disziplin, Stärke, Ehre. Entsprechend ist die beschworene sXe-Community eben immer auch die männliche brotherhood, in der körperliche Fitness und toughness wesentlich dazugehören. Und dass die Netzwerke des DIY oftmals eben Männernetzwerke mit entsprechenden Gatekeepern sind, sollte auch nicht überraschen. Einige dieser Tendenzen begleiten die Hardcore-Szene seit ihren Anfängen. An- I dere wiederum sind spezifischer für den d sXe, wobei bestimmte hypermaskulinisti- e sche sXe-Anrufungen sich erst im Kontext o der allgemeinen Depolitiserung, Isolie- l rung und relativen Ablösung der HC-Szene o von ihren Punk-Wurzeln durchsetzen konn- g ten. Bei allen eigenen Schwächen hatte i der Punk nämlich immer eine androgyne e Schlagseite und war oftmals spieleri- scher im Umgang mit Geschlecht. Initiativen wie jene um das Warschauer Label Emancypunx Records, die auf der Compila- 18 tion X The Sisterhood X ausschließlich all-girl Straight Edge - Bands von Argentinien bis Weißrussland versammelten I und versuchen, den Aufbau unabhängiger d Netzwerke von Frauen im Hardcore-Punk vo- e ranzutreiben, bleiben in der Szene leider o immer noch die Ausnahme. l o Taking the Straight out of Straight Edge g Ähnliches gilt auch für den Umgang mit i e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Homosexualität. Zwar gab es immer offen schwule Bands im HC, etwa MDC oder die großartigen Limp Wrist: „Hey we’re the kids we’re here to set the score / We’re tired of fucking hiding we don’t do it no more / Come out of the closet and into the pit / Boy on boy contact, you know it’s the shit.”4 4 „Hey wir sind die kids / Wir sind da, um die Stimme zu erheben / Wir wir sind das verfickte Verstecken leid, wir werden es nicht mehr tun / Komm’ raus aus dem Klo auf die Tanzfläche / Boy an Boy Kontakt, du weißt, das ist der Scheiß.” Limp Wrist: Limp Wrist, auf: The Official Discography. foto: FLICKR/ avry xvx Latino-Communities.6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebensstils nie automatisch auch poli- d ursprüngliche einen o schen aufnehmen zu können, die sich dem o Dennoch blieben die homophoben Aspekte gen Szene ab. Während die frühe Hardcore- den Bad Brains nach ihrem Rastafari-Turn deren Niedergang auch eine Depolitisie- der HC-Kultur im Allgemeinen – etwa bei – und im sXe im Besonderen unterthematisiert. Nach Limp Wrist-Sänger Martin Sorrondeguy hat das nicht zuletzt mit dem Ausschluss von Fragen der Sexualität aus der sXe-Szene zu tun, die sich auf eine fundamentalistische Interpretation „Don’t Fuck” zurückgezogen habe. des Das Wort Straight in Straight Edge ent- hält eben auch Konnotationen, die einer exklusiv heterosexuellen Erfahrungswelt entspringen. Nick Riotfag hält fest: „Schwule männliche sexuelle Kultur heißt ‚Gelegenheits-’ oder Promiskuitätssex aus verschiedenen Gründen gut, von denen viele problematisch und andere politisch bewusster sind, nicht aber der heterosexuellen Eroberungskultur entstammen, die MacKaye und andere sXer kritisierten.” (Riotfag 2010:203) Manche haben daher einen unversöhnlichen Widerspruch zwischen einer queeren Punk- Identität und der Straight Edge-Bewegung behauptet. Bei Screeching Weasel heißt es im Song I Wanna Be A Homosexual: „Call me a butt loving fudge packing queer / I don’t care cause it’s the straight in straight edge / that makes me wanna drink beer.” 5 Conclusio Wahrscheinlich bringt es Frederico Freitas am besten auf den Punkt, wenn er meint, dass das Problem mit Straight Edge Kultur durchwegs politisch war, ging mit rung der Straight Edge-Bewegung einher. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass die politischsten HC-Bands in den USA in den 1990er Jahren eben nicht im CBGBs in New York zu finden waren, sondern in den So war die Betonung eines drogenfreien tisch progressiv. Allerdings stellte die Öffnung der Szene wichtigen Schritt dar, um auch die Menallgegenwärtigen Konsumzwang entziehen wollten. Die Hardcore-Szene und die damit verbundene Straight Edge-Bewegung waren und sind in erster Linie Ausdruck einer positiven ding, Aspekte, Rebellion wie und Community-buil- Veränderungswille, geförderte Hinterfragen von eingefahrenen gesellschaftlichen wie szeneinternen i e 19 I Normen und Regeln, birgt dabei immer das d ändernde Ansprüche und Perspektiven. o Lahickey, Beth (1997): All Ages. Reflections on Straight Edge. Huntington Beach. KUHN, GABRIEL (2010): Straight Edge. Geschichte und Politik einer Bewegung. Unrast Verlag: Münster. Nick Riotfag (2010): My Edge Is Anything But Straight: Towards a Radical Queer Critique of Intoxication Culture, in: Gabriel Kuhn [Hg.]: Sober Living for the Revolution: Hardcore Punk, Straight Edge, and Radical Politics. PM Press. o Potential für weitere gesellschaftsver- Stefan Probst hat Geschichte in Wien studiert und ist ebenfalls aktiv bei der Gruppe Perspektiven. Straight Edge war, hing immer von der Po- Eine ausführlichere Version dieses Artikels erschien erstmals in Perspektiven: Magazin für Linke Theorie und Praxis, Ausgabe 13 (April 2011). 5 „Nenn mich einen Arsch-liebenden Arschficker / Ist mir egal, weil es ist das straighte in Straight Edge / das mich dazu bringt, Bier trinken zu wollen” 6 Vgl. die Dokumentation von Sorrondeguy, Martin : Beyond The Screams. A US Latino Hardcore Punk Documentary, unter: http://video.google.com/videoplay?docid=54975908376966 31389# litisierung des Kontexts und der jeweili- g aber gerade auch das im Straight Edge klare Kopf denn da sein sollte außer vaoft unbeantwortet. Ob und wie politisch l ben in die eigenen Hände zu nehmen. Die Philipp Probst hat Humanökologie in Wien studiert und ist aktiv bei der Gruppe Perspektiven. gen Anrufungen an einen change, blieb e wütenden Jugend, die versuchte, ihr Le- irgendwann dazu wurde, dass man nichts mehr außer sXe war. Die Frage, wofür der I e l g i e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .