Im Bett mit Marilyn

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Im Bett mit Marilyn
Vor 101 Jahren verkaufte eine junge Französin ihre ersten Hüte,
vor 90 Jahren brachte sie ein Parfum mit dem Namen N° 5 auf den
Markt. Wie gelang es Chanel, dem Diktat der Veränderung in der
Modewelt zu entkommen? Und wer kommt, wenn Lagerfeld geht?
Im Bett mit Marilyn
Text von Wolfgang Kühnelt
Der Traum der
Damenwelt.
Hier dezent in
dunkelgrau.
Glamour am
Handgelenk.
Die J12 mit 54
Diamanten ist
zeitlos schön.
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Liebschaften und Superstars
Diva-Chefredakteurin Karen Müller beschreibt den Kult rund um die zwei „C“ aus
heutiger Sicht so: „Chanel besitzt optische Marker, die für Unverwechselbarkeit sorgen. Da gibt es die Farben Schwarz-Beige oder Schwarz-Rosé, die eckigen Parfumfläschchen, die Kostüme, die klassischen Schriften. Das ergibt den Chanel-Look.“ Das
Logo ist seit Jahrzehnten eine fixe Größe: aufs Minimum reduziert, in schwarz und
weiß gehalten, elegant – und natürlich mittlerweile millionenfach kopiert.
Coco Chanel prägte aber nicht nur die Mode, sie versuchte, ihren Kundinnen auch
ein Stück savoir vivre mitzugeben. „Seien Sie tagsüber Raupe und abends ein
Schmetterling“, so lautet ein berühmter Ratschlag. Damit ist ein bequemer und doch
nie zu legerer Alltagslook gemeint und ein deutlich markanterer Auftritt bei Abendveranstaltungen aller Art. Bedeutsam für den Siegeszug sind neben dem strikt bei­
behaltenen Stil auch die Geschichten rund um die Firmengründerin. Sie ist mit
Künstlern wie Strawinsky und Cocteau befreundet, es werden ihr Liebschaften mit
Aristokraten nachgesagt. Anfang der 1930er-Jahre beginnt sie, Hollywood-Stars einzukleiden. Greta Garbo, Marlene Dietrich oder Gloria Swanson werden von der Trendsetterin beraten. Nach dem zweiten Weltkrieg lebt Madame Chanel in der Schweiz,
weil ihr in der Heimat Kollaboration mit den
Nazis vorgeworfen wird. Die Marke übersteht diese Diskussionen unbeschadet. Die
Methode: gezieltes Storytelling und die Vermarktung von Superstars als Models wie
auch als Kundinnen. Der Frauentyp, auf den
man setzt, wird vom Unternehmen heute als
„feminin und befreit, kühn und schlicht und
unendlich modern“ definiert.
Chanel pour elle: von der
Raupe zum Schmetterling
in zehn Sekunden.
Happy Birthday, N° 5.
Das berühmteste Parfum der Welt f­eiert
­seinen 90. Geburtstag. 1921 g­ elang Coco
mit Chanel N° 5, einer Kreation von
­Ernest Beaux, der erste globale Best­seller auf dem
Parfummarkt. Der synthetische Duft verkaufte sich so gut, dass die
manuelle Produktion
die Nachfrage nicht
mehr decken konnte.
N° 5 zählt bis heute
zu den meistverkauften Produkten der
Branche. Auch auf
­diesem Sektor setzte
Chanel auf raffinierte
PR. Der Höhepunkt
war wohl die
­Geschichte von
­Marilyn Monroe, die
im Bett angeblich einige Tropfen des edlen Duftes trug – und
sonst nichts.
Chanel pour lui: Wann
wird es endlich wieder
Winter?
CHANEL
Stilikone. Die Erfolgsstorys großer Unternehmen enthalten oft märchenhafte
­ lemente. Viele dieser Geschichten werden von PR-Abteilungen verfasst, manche
E
aber schreibt das Leben. Im Falle der Marke Chanel ist es das bitterarme Mädchen
Gabrielle Chasnel, das im Waisenhaus das Nähen erlernt. Durch einen Schreibfehler
des Notars wird ihr Familienname zu Chanel, den Spitznamen „Coco“ erwirbt sich
die Französin angeblich als Sängerin im Pariser Nachtleben. 1910 eröffnet sie einen
Hutsalon, dann eine Boutique und schließlich ihr eigenes Modehaus. Ihre Kreationen sind für die damalige Zeit auffallend unauffällig. Sie selbst sagt, man habe sie
anfangs ausgelacht, wenn sie sich mit ihren unprätentiösen Kostümen und Hütchen
in der feinen Gesellschaft bewegte. 1926 wird Coco Chanel mit dem knielangen
„kleinen Schwarzen“ endgültig zur Stil-Ikone. Das Credo lautet: Schlichtheit.
­Madame erklärt, sie habe beim Entwerfen ihrer Kleider an Flugzeuge gedacht. An deren Form gäbe es schließlich auch keine überflüssigen Details. Das Erfolgsgeheimnis
ihrer Marke definierte sie so: „Mode ist vergänglich. Stil niemals. Chanel ist ein Stil.“
Bestseller 7|8 2011
branding
Stil-Leben.
Karl Lagerfeld mit
Vogue-Chefin Anna
Wintour und Schau­
spielerin Diane Kruger.
Dazu passend warben Catherine Deneuve,
­ anessa Paradis, Claudia Schiffer oder Nicole
V
­Kidman für Chanel. Top-Fotografen wie Richard
Avedon oder Helmut Newton inszenierten die
­Models, und bis ins hohe Alter auch Coco selbst.
Die Geschichte des Mädchens aus dem Waisenhaus schaffte es schließlich sogar auf die Leinwand. Bereits im Streifen „Fahrstuhl zum Schaffott“ (1958) spielen Chanel-Kostüme eine wichtige
Nebenrolle. 1961 kommt „Letztes Jahr in Marienbad“ in die Kinos, der Film ist eine ideale Präsentationsfläche für Chanel. Zehn Jahre später stirbt
Coco, ihr Leben wird 2009 mit Audrey Tautou in
der Hauptrolle verfilmt.
Chanel by Lagerfeld
Nach dem Tod der Gründerin erlebt die Marke einige Tiefs. Der Umschwung kommt 1983 mit Karl
Lagerfeld, der die Tradition respektvoll neu interpretiert. So zitiert er in seinen Entwürfen den Stil
der 50er und 60er. Seine Kollektion 2010 bezog
sich seinen Worten nach stark auf den MarienbadFilm und dessen Hauptdarstellerin, Delphine
­Seyrig. Wer Lagerfeld in Interviews zuhört, wird
die Liebe bemerken, die er für Chanel empfindet.
Stellt sich nur die Frage, wie die Geschichte weitergehen soll. Branchenkenner bezweifeln, dass
man für den Mann mit dem weißen Zopf einen
Nachfolger mit ähnlich starker Persönlichkeit wird
finden können. Um die Kundschaft braucht man
sich jedenfalls keine Sorgen zu machen. Bis heute
strahlt die Eleganz der Marke so stark, dass nicht
nur vermögende Ladys, sondern auch viele junge
Mädchen alles daran setzen, um einmal im Leben
Chanel zu tragen.
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