Dr. Petz: Multimodale stationäre Schmerztherapie
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Dr. Petz: Multimodale stationäre Schmerztherapie
Multimodale stationäre Schmerztherapie OA Dr. med. Tobias Petz Klinik für Anästhesiologie, Intensivtherapie und Schmerztherapie Klinikum in den Pfeifferschen Stiftungen Magdeburg Definition (chronischer) Schmerz „Schmerz ist das, was immer ein Patient darunter versteht, und Schmerz ist vorhanden, wann immer ein Patient ihn wahrnimmt.“ McCaffery M 1968 Definition der IASP „Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- oder Gefühlserlebnis, das mit tatsächlicher oder potenzieller Gewebeschädigung einhergeht oder von betroffenen Personen so beschrieben wird, als wäre eine solche Gewebeschädigung die Ursache.“ Classification of Chronic Pain, Second Edition. Part III: Pain Terms, A Current List with Definitions and Notes on Usage, S. 209–214. IASP Task Force on Taxonomy, edited by H. Merskey and N. Bogduk, IASP Press, Seattle, 1994 Definition chronischer Schmerz Dauert ein Schmerz länger als 6 Monate, sprechen wir von einem chronischen Schmerz. (Ausnahme: Rückenschmerz > 3 Monate) Versus Akuter Schmerz = Signalfunktion („sinnvoll“) Chronischer Schmerz = eigenständiges Erkrankungsbild Chronische Schmerzen – ein Problem? Wieviel Prozent der Bevölkerung haben chronische Schmerzen? ca. 10% (8 -10 Mio.) Wieviel Prozent der chronischen Schmerzpatienten haben Rückenschmerzen? ca. 50% ca. 40 Mio. Fehltage jährlich wegen Rückenschmerzen Charakteristika chronischer Schmerzen - oft nicht vorhersagbarer Verlauf - multicausal - persistierend - oft invalidisierend - Lebensqualitätsverlust - vermehrte Betreuung - Reha-Maßnahmen - Vielnutzer des Gesundheitssystems - indirekte Kosten (Arbeitsausfall) Faktoren der Chronifizierung - Somatische Ebene (z.B. „Narben“ nach Bandscheibenoperation, knöcherne Degeneration) - Zentralnervöse Ebene (z.B. Phantomschmerz; Rückenmark) - Psychische Ebene (z.B. Depressivität, Alltagsbelastungen) - Soziale Ebene („Rückzug in die Krankheit“) Chronische Schmerzen Kann man überhaupt etwas tun? Ja – sehr viel! Aber: Keine Heilung! Therapie chronischer Schmerzen Multimodale Schmerztherapie für die Behandlung chronischer Schmerzsyndrome Ein Konsensuspapier der Ad-hoc-Kommision Multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie der Deutschen Schmerzgesellschaft zu den Behandlungsinhalten October 2014, Volume 28, Issue 5, pp 459-472 Date: 14 Sep 2014 B. Arnold, T. Brinkschmidt, H.-R. Casser, A. Diezemann, I. Gralow, D. Irnich, U. Kaiser, B. Klasen, K. Klimczyk, J. Lutz, B. Nagel, M. Pfingsten, R. Sabatowski, R. Schesser, M. Schiltenwolf, D. Seeger, W. Söllner MMST Multimodale Schmerztherapie (MMST) ist eine umfassende Behandlung komplexer Schmerzsyndrome unter Einbindung verschiedener medizinischer Disziplinen und Berufsgruppen auf der Basis eines biopsychosozialen Modells der Schmerzentwicklung. In Deutschland sind in den letzten Jahren verschiedene Einrichtungen etabliert worden, die MMST anbieten. Die MMST wurde für das tagesklinische und das stationäre Behandlungssetting in den Prozedurenkatalog medizinischer Leistungen (OPS) aufgenommen. Dabei besteht in der Versorgungspraxis oft Unklarheit, was MMST ist und welche Bestandteile ein solches Behandlungsprogramm haben soll. Aus diesem Grund hat die Ad-hoc-Kommission Multimodale Schmerztherapie der Deutschen Schmerzgesellschaft in einem mehrstufigen Konsensusprozess das vorliegende Positionspapier erarbeitet. Dabei werden die in der MMST regelhaft zur Anwendung kommenden Behandlungsmaßnahmen in den vier Kernbereichen der MMST – Medizin/Algesiologie, Psychotherapie, Physio-/Bewegungstherapie und Pflege/medizinische Assistenzberufe – dargestellt. Der Schmerz October 2014, Volume 28, Issue 5, pp 459-472 Ziele • Physische und psychische (Re-) Aktivierung (Reduktion von Schonhaltung und sozialem Rückzug) • Motivation zu einem selbstverantwortlichen Krankheitsmanagement • Reduktion dysfunktionaler Muster der Schmerzbewältigung • Erkennen und Reflektieren schmerzverstärkender bzw. vermindernder Faktoren unter Einschluß des zwischenmenschlichen Erlebens und Verhaltens • Förderung einer positiven Körperwahrnehmung • Herstellen einer besseren Balance zwischen Anspannung und Entspannung sowie von Be- und Entlastung • Vermeidung von Überforderung durch verbesserte Wahrnehmung von Leistungsgrenzen • Harmonisierung vegetativer Dysfunktionen (Schlaf, biologische Rhythmen) • Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit in den Bereichen Koordination, Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer • Förderung des Erkennens und das Stärken eigener Resourcen (somatisch, intrapsychisch, zwischenmenschlich, sozial) • Beachten lebensgeschichtlicher Ereignisse (Traumatisierungen) Der Schmerz October 2014, Volume 28, Issue 5, pp 459-472 Ärztliche Maßnahmen • • • • • • • Diagnostik (z.B. „red flags“ bei Rückenschmerzen!) Kausale Therapie Transparenz somatischer Befunde (Teambesprechung) Visite Verlaufsuntersuchung Verordnungen Koordination Dokumentation Psychotherapeutische Maßnahmen • • • • • • • • • Übergreifender Ansatz Ziel ist nicht die Behandlung schwerer psychischer Störungen im Rahmen der MMST sondern Psychoedukation Entspannungstraining Verbesserung der Selbstwahrnehmung Hinführung zu einem biopsychosozialen Krankheitsverständniss Erlernen systematischer Problemlösekompetenzen Entwicklung von Verantwortungsbewußtsein/Verantwortlichkeit für Gesundheit/eigenes Wohlbefinden Bewusstwerden der Zusammenhänge zwischen Denkmustern und Befinden (körperlich/psychisch) Erarbeitung von realistischen Therapiezielen Verbesserung des Ünterstützungssystems Bewegungstherapeutische Maßnahmen (Physiotherapie, Ergotherapie, medizinische Trainingstherapie) • • • • • • • • Körperwahrnehmung Tonusregulation Verbesserung von Beweglichkeit, Kraft, Ausdauer, Koordination Steigerung der allgemeinen Belastbarkeit Verbesserung der Aktivitäten des täglichen Lebens Erarbeiten von Kompensationsmechanismen Erkennen und Wahrnehmung von Grenzen Erhalt und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit Rolle der Gesundheit- und Krankenpflege • Art und Umfang abhängig von patientenseitigen Kriterien (Mobilität/Multimorbidität) • Administrative und organisatorische Tätigkeiten • Grundsätzlich: Aktivierung des Patienten • Verhaltensbeobachtung in alltäglichen Situationen für zusätzliche alltagsrelevante Informationen • Weitergabe von Informationen aus dem Team an den Patienten • Enger Kontakt Medikamentöse Therapie Lokalanästhesie Nervenblockaden (z.B. Axillariskatheter) Rückenmarknahe Verfahren (PDK) Indikation: Sympathikusblockade (z.B. bei CRPS) Medikamentöse Therapie Grundsätze - oral - feste Zeiten - retardierte Präparate (+ unretardierter Bedarf bei Schmerzspitzen) - KEINE Tropfen - individuelle Dosis Medikamentöse Therapie (nach WHO-Stufenschema) 1. Nichtopioidanalgetika (NOPA) 2. schwaches Opioid (ggf. + NOPA) 3. starkes Opioid (ggf. + NOPA) 4. CoAnalgetika Opioide Tilidin 2-3x tgl. 50 mg p.o. Tramadol 2-3x tgl. 50 mg p.o. Morphin ret. 2-3x tgl. 10 mg p.o. Buprenorphin 2-3x tgl. 0,2 mg s.l. Hydromorphon 2-3x tgl. 2 mg p.o. Oxycodon/Naloxon 2-3x tgl. 5 mg p.o. Tapentadol 2-3x tgl. 50mg p.o. Opioide transdermal: Fentanyl 12,5 – 150µg/h (48 - 72h) Buprenorphin 5 – 70µg/h (84h – 1 Woche) CoAnalgetika Indikation Schmerzen, die nicht oder nur unzureichend auf Opioide (und Nichtopiode) ansprechen • • • • • • neuropathische Schmerzen Kapselschmerzen Weichteilinfiltration Lymphödem Hirnödem Knochenschmerzen/Osteoporose CoAnalgetika Indikation neuropathische Schmerzen Kapselschmerzen Weichteilinfiltration Lymphödem Hirnödem Knochenschmerzen/Osteoporose Substanz Antidepressiva Antikonvulsiva Kortikoide Kortikoide Kortikoide Kortikoide Bisphosphonate Nichtmedikamentöse Therapie Physiotherapie/Ergotherapie • Krankengymnastik • Manuelle Therapie (Muskulatur - PIR) • physikalische Therapie (Strom/Wasser/Wärme) • Dehnung • Selbstübungsprogramm • TENS Nichtmedikamentöse Therapie Psychotherapie • Diagnostik (biografische Anamnese) • Einzelgespräche (Verfahren aus der VT, Psychoedukation) • Entspannungsverfahren (PMR, Autogenes Training, hypnotherapeutische Verfahren (Imagination) • Gruppentherapie Triggerpunkte „Myofasziale Triggerpunkte“: • lokal begrenzte Muskelverhärtungen in der Skelettmuskulatur, • lokal druckempfindlich - übertragene Schmerzen • rund 80 bis 90 % der Schmerzsyndrome durch Muskulaturverhärtungen • Bsp.: Triggerpunkt im M. trapezius - Schmerzen im Hinterkopf/Schläfenbereich • therapeutische Möglichkeiten: - Deaktivierung der permanent kontrahierten Muskelfasern - Triggerpunktlöschung (Druck)/Selbstbehandlung; Injektionen/Dry Needling • Prophylaxe (verkürzte und fehlbeanspruchte Muskeln • ungünstige Arbeitshaltung, mangelhafter Trainingszustand