Ernährung Verbraucher Akte Tier Multimedia Medizin Garten
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MITTWOCH, 20. SEPTEMBER 2006 DAS TAGESTHEMA SEITE 16 Akte Tier Wie Verlierer doch gewinnen s ist ein großes Volksfest: Bauern in Trachten, ein idyllisches kleines Dorf, die weltberühmte Rokoko-Kirche, herrliches Wetter. Heute passt alles. Auch die Kinder haben sich fein gemacht: Buben tragen Lederhosen und Filzhut, die Mädchen kommen im Dirndl. Es ist Fohlenmarkt in Rottenbuch, der älteste Kaltblut-Fohlenmarkt Deutschlands. Wir von Gut Aiderbichl möchten mitfeiern, auf unsere Art und Weise, und sind mit großem Team angereist: Pferdewirtschaftsmeisterin Eunike Simon und „Tierretterin“ Andrea Dürager parken den Good Truck in der Nähe der Festwiesen, der Kameramann Benno Seilersdorfer sammelt Eindrücke vom Geschehen rund um den Fohlenmarkt. Von überall her strömen die Menschen herbei: Familien führen Stuten und Fohlen über verschlungene Straßen zum Festplatz, unzählige Besucher kommen mit Pferdeanhängern. Es duftet nach Bratwurst und Brezn. Neben dem Auktions- Ihnen blieb eine traumatische Trennung erspart: Stute Pamela und ihr Fohlen Remos dürfen nun für immer platz steht ein riesiges Bierzelt, auf Gut Aiderbichl zusammenbleiben. Junge Pferde und ihre Mütter haben eine sehr enge 5000 Besucher sollen kommen. Beziehung zueinander, die für ihr Wohlbefinden wichtig ist Die Bauern haben ihre Stuten wunderschön hergerichtet, Während ein besonders vorwit- ihre Spickzettel. Die Arena wird mit buntem Geschirr und Mäh- ziges Fohlen ausgiebig mein freigemacht. Nacheinander wernenschmuck. Sie sind stolz auf Jackett beschnuppert, treffe ich den Stuten und Fohlen gemeinsam ihre Pferde, mit gutem Grund: auf den Chef des Zuchtverbandes. vorgestellt, damit die Käufer sich Diesen Bauern ist es zu verdan- Er hat die gesamte Veranstaltung ein Bild machen können. Manche ken, dass es die Rasse „Süd- perfekt organisiert. Alles, was hier Mutter-Kind-Paare stürmen ins Meine deutsches Kaltblut“ noch gibt. vor Ort geschieht, ist fernab jegli- Rondell. Die Fohlen haben großen Nachdem Pferde in der Land- cher Tierquälerei. Aber auch ihn Spaß. Sie springen neben ihren Geschichte der Woche wirtschaft durch Maschinen er- erfüllt es mit Unbehagen, dass für Müttern her. Die Bauern, die mit setzt wurden, lebten gerade manche Fohlen dieser Tag den Tod im Ring sind, sind belustigt über noch 1000 Pferde dieser Rasse bedeuten kann. Endstation Metz- das ausgelassene Verhalten ihrer dannen ziehen. Fohlen rufen ver– weltweit! Die Einsatzbereiche ger, das wünscht er keinem der Zöglinge. Ringsum klatschen und zweifelt nach ihren Müttern. Sie wissen nicht, dass ihnen Schlimmefür die übrig gebliebenen sind Kleinen. Er wird sich über jedes lachen die Zuschauer. begrenzt: ein Leonhardiritt, ei- Fohlen freuen, das bei einem Nach wie vor bin ich positiv res drohen könnte: ein langer, qualne Hochzeit, Kutschenfahrten, freundlichen neuen Besitzer wei- überrascht über den tierfreundli- voller Weg zu einem AkkordAusreiten oder die Aufgabe, als terleben darf. chen Ablauf der Veranstaltung, schlachthof im Süden Europas. Rückepferd im Wald zu arbeiKurz vor Auktionsstart macht aber ich weiß, was den Pferden be- Manche Stuten weigern sich, ihre ten – für mehr braucht man sie sich Spannung breit. Die Fohlen vorsteht: eine Trennung, die un- Hänger zu besteigen. Sie müssen sich wie Verräterinnen fühlen, aber heute nicht mehr. trinken noch einmal an den Eutern endlich schmerzhaft ist. Den Bauern sind sie lieb und ihrer Mütter. Interessenten zücken Die eigentliche Versteigerung sie sind machtlos. Ich möchte abschalten, mich beteuer. Wer Besitzer eines beginnt pünktlich. Der Chef Rosses ist, erfährt den Redes Zuchtverbandes hat mir sinnen und besuche die Kirche in spekt der ganzen Gegend. einen Platz in seiner Hütte an- Rottenbuch – sie ist meine LiebEine Zuchtstute gibt niegeboten, von der aus ich mit- lingskirche. Ein Einheimischer ermand ohne weiteres her. bieten kann. Sein Mienenspiel zählt mir, dass die rötlichen Säulen Aber heute ist ja Fohlenhilft mir. Ich steigere mit, bis in der Kirche zu Gott führen und markt. Für mich sind es die Tiere so teuer sind, dass sie sich mit unseren Bitten um Vergevertraute Bilder: Fohlen, für den Schlachthandel unin- bung verbinden. Die blauen Säudie fröhlich neben ihren teressant sind. Auf diese Wei- len kommen von Gott und symboMüttern hertänzeln, Stuse werden wir Besitzer von lisieren das, was Gott den Menten, die ihre Kleinen nicht neun Fohlen. Bei einem der aus den Augen lassen. Auf Fohlen hilft mir der Chef des Gut Aiderbichl leben 270 Zuchtverbandes dabei, auch Pferde, einige davon haben die Mutter mitzukaufen. Wewir gerettet, als die Stuten Sie ahnen nicht den Ernst ihrer Lage: Unbe- nigstens einem der Tierkinder trächtig waren. Die über- fangen traben die Pferde in die Arena kann ich ersparen, was den anZüchten heißt auswählen. Die mütigen Fohlen sind für deren bevorsteht: der AbTiere, die nicht für die Fortpflanmich – mag man mich auch schied von der Pferdemama, zung geeignet scheinen, sind dafür belächeln – nichts ander für immer sein wird. meist zum Tode verurteilt. Bei deres als Tierkinder. Und Bei Pferdemüttern sind es Pferden zum Beispiel sind Fellein Fohlenmarkt ist für dieselben Hormone, die auch farbe und Form der Blesse ein mich nichts anderes als ein Menschenmütter dazu beweklassisches Auswahlkriterium. Markt für Tierkinder. gen, ihre Kinder zu schützen Bei Hengsten ist die Selektion beDie Kleinen knabbern und zu umsorgen und in Panik sonders streng: So sterben 90 Proam Fell ihrer Mütter, laszu geraten, wenn eines fehlt. zent der Haflingerhengste bereits sen sich liebevoll zurückUnd so spielen sich tragische im ersten Lebensjahr. Es gibt stupsen und verheddern Szenen ringsum ab. Stuten, die Pferdebesitzer, die es nicht übers sich bisweilen in den Leiihre Fohlen nie für eine SeHerz bringen, ihr Tier auf den nen, die Mutter und Kind – kunde aus den Augen gelassen langen und oft qualvollen noch – beisammenhalten Michael Aufhauser bietet mit und rettet elf Foh- haben, sehen ihre Kleinen nun Schlachttransport nach Italien zu wie eine Nabelschnur. mit fremden Menschen vonlen vor dem Schlachttransport nach Italien E Michael Aufhauser schen zurückgibt: Versöhnung und Vergebung. Viele Tierbilder schmücken die Wände der Kirche, geschaffen von den Künstlern der Rokokozeit. Ich erinnere mich an gestern, als ich einen Besuch bei einem Viehhändler im Oberland machte. Dort standen zwei Fohlen in seinem Verkaufsstand und ich habe sie schon deshalb gekauft, weil der Händler mich mit einem freundschaftlichen Rat vor einem schlechten Deal bewahren wollte: „Kauf dir lieber was Gscheites – nicht so was wie die zwei! Lass die, die kommen nach Italien zum Schlachter!“ Doch was mich abschrecken sollte, überzeugte mich am allermeisten. Ich weigere mich, Stammbaum, Rasse, Aussehen und dergleichen an erste Stelle zu setzen. Ich weigere mich, zu bestimmen, was schön ist. Ich weigere mich, Äußerlichkeiten zum Maß aller Dinge zu erheben. Ich möchte bei dieser Haltung bleiben können, das ist meine Bitte an Gott in dieser Kirche. Nach der Ankunft der Fohlen auf Gut Aiderbichl stehe ich bis spät in die Nacht am Koppelzaun. Es ist Vollmond und sternenklar. Ich beobachte die Fohlen, die immer noch nach ihren Müttern rufen. Wir alle und auch ich werden eines Tages rufen, dann, wenn wir Schutz und Fürsorge brauchen, wenn alle Unterschiede verschwimmen in dem einzigen Bedürfnis nach Nähe und Liebe. Fangen wir doch an, wenn es uns gut geht und wir Kraft haben, barmherzig zu sein, und geben wir den vermeintlichen Verlierern eine Chance. Im Fall der elf kleinen Fohlen, die vor mir im Mondlicht stehen und für die der heutige Tag eine Niederlage sein sollte, können wir uns fast sicher sein, dass sie von vielen Millionen Menschen bewundert werden. Denn die Geschichte des heutigen Tages wird am Heiligen Abend in unserer Sendung „Weihnachten auf Gut Aiderbichl“ ausgestrahlt. Dann werden sich viele Millionen Menschen einig sein, dass sie die liebenswertesten Fohlen der Welt sind! Wer durchfällt, muss sterben schicken. Sie brechen die Auktion auf einem Fohlenmarkt ab, wenn der Preis zu niedrig bleibt. Lieber lassen sie ihr Tier in einem Schlachthof in der Nähe töten. Doch noch immer werden jedes Jahr tausende Pferde auf die Reise in den Tod nach Italien geschickt. Völlig verängstigt und nervös kommen die Tiere an, die Schlachtung ist dann oft sehr grausam. Nur wenn Tiere stillstehen, trifft der Bolzenschuss beim ersten Mal und das Fohlen spürt keine Schmerzen mehr. Reaktionen & Diskussionen +++ Lore Schweizer aus Reicherthausen schreibt: „Zweifelsohne bleibt beim Aussetzen der Tiere das Gewissen auf der Strecke. Obwohl meine Hündin Strolchi (Foxterrier) zuckerkrank ist, ist sie bei mir immer im Reisegepäck ... europaweit (Spanien, Italien, Österreich und natürlich auch Deutschland). Menschen, die wegen Urlaub oder Krankheit ihre Tiere aussetzen, sind herzlos. Alles klar?“ +++ +++ Vor der Sommerpause zog auch Karin Seyrer aus Leutkirch eine erste Bilanz der ,Akte Tier‘: „Von den Beiträgen und der Seite „Akte Tier“ bin ich so begeistert, dass ich alles gesammelt habe und dem Rektor einer Schule überreichte mit der Bitte, dies alles im Unterricht mit den Kindern zu besprechen. Kinder müssen Achtung lernen vor den Tieren und der Natur.“ +++ +++ Johann Bersch aus Straubing erlebte einen unvergesslichen Tag auf Gut Aiderbichl: „Mensch, Tiere und Natur werden hier in Einklang gebracht. Man kann Herrn Aufhauser nur gratulieren, ein großes Lob auch an die tz für die interessanten und lehrreichen Artikel.“ +++ Was ist Prägung? Damit bezeichnen Verhaltensforscher die Fixierung des Jungtieres auf zum Thema die Mutter. Die Prägung geschieht direkt nach der Geburt, wenn die Stute beginnt das Neugeborene abzulecken. Wird die Stute daran gehindert, wird sie ihr Fohlen nicht annehmen und sogar angreifen. Kurz darauf steht das Fohlen auf und trinkt zum ersten Mal am Euter. Beim Säugen wird ein aromatischer Duftstoff (Pheromon) in der Euterregion produziert, der dem Fohlen ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit gibt. Zum geeigneten Zeitpunkt der Trennung von Mutter und Fohlen gibt es unterschiedliche Auffassungen. In der Regel sollte damit mindestens bis zum sechsten Monat gewartet werden. Die Frage ? +++ Unfreiwillige Expertin für „Animal Hoarding“ ist Edith Gratz: Ihr geschiedener Ehemann sammelt zwanghaft Tiere. Frau Gratz schreibt: „Bei diesen Menschen ist nicht die Tierliebe aus dem Ruder gelaufen, sondern was sie praktizieren, ist der reine Sadismus. Die Tierliebe ist beim ersten Tier genauso wenig vorhanden wie beim letzten. Es ist die Gier ,haben‘ zu wollen. Ein unschuldiges Wesen, das sich nicht wehren kann, in die Macht zu zwingen und es am Davonlaufen zu hindern.“ MONTAG DIENSTAG MITTWOCH DONNERSTAG FREITAG SAMSTAG Ernährung Verbraucher Akte Tier Multimedia Medizin Garten