Olympiastadion Berlin – Die neue
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Olympiastadion Berlin – Die neue
Olympiastadion Berlin – Die neue Tribünenüberdachung Richard Stroetmann Regine Schneider Das Olympiastadion Berlin wird zur Zeit unter strengen Auflagen des Denkmalschutzes umfassend modernisiert und instandgesetzt. Ein Teil der umfangreichen Baumaßnahmen ist der Neubau der Tribünenüberdachung. Hierbei handelt es sich um eine leichte und weit auskragende Fachwerkkonstruktion aus Stahlhohlprofilen, die mit einer oberen und unteren Membranhaut sowie im inneren Dachbereich mit einer Glaseindeckung versehen wird. Nach einer kurzen Beschreibung der geschichtlichen Entwicklung des Stadions und der Gesamtbaumaßnahme wird über Entwurf, Konstruktion, Berechnung und Ausführung der neuen Tribünenüberdachung berichtet. 1 Geschichtlicher Rückblick (vgl. [1], [2]) Im Jahre 1907 wurde im Westen Berlins auf Betreiben des Berliner Rennvereins auf einem ca. 70 ha großen, zum Grunewald gehörenden Gelände nach den Plänen des Architekten und Baumeisters Otto March (1845 – 1913) mit dem Bau einer Pferderennbahn begonnen. Nach einer Bauzeit von weniger als zwei Jahren konnte im Mai 1909 die Grunewald-Rennbahn eröffnet werden. Innerhalb der 2400 m langen Rennstrecke war bereits zu dieser Zeit ein Sportstadion vorgesehen, dessen Bau aufgrund von Finanzierungsproblemen jedoch zunächst zurückgestellt wurde. Am 04. Juli 1912 – zwei Tage vor der Eröffnung der V. Olympischen Spiele in Stockholm – entschied sich das IOC für Berlin als Austragungsort der Spiele im Jahre 1916. Kurze Zeit später, im August 1912, wurde mit den Erdbauarbeiten des „Deutschen Stadions“ im Innenbereich der GrunewaldRennbahn begonnen. Zur Finanzierung des Bauvorhabens stellten die Mitglieder des Berliner Pferdesportvereins „Union-Klub“ die mit 2,25 Mio. Reichsmark veranschlagte Bausumme zur Verfügung. Die Fertigstellung des Stadions erfolgte nach weniger als einem Jahr Bauzeit im Mai 1913. Um Sichtbehinderungen für die Zuschauer der Pferderennen zu vermeiden, war die Anlage von Otto March als Erdstadion mit gegenüber dem umliegenden Gelände deutlich abgesenkter Spielfläche konzipiert worden. An der Nordseite wurde das Oval der Tribünen durch ein rechteckiges Schwimmbecken unterbrochen. Die an der Südseite angeordnete Kaiserloge überragte die Zuschauerplätze der Arena. In das Stadion wurden eine Radrennbahn, eine 600 m - Laufbahn, ein Turn- und Fußballplatz sowie verschiedene Sprunganlagen integriert. Die Anlage bot Platz für über 30.000 Zuschauer (Bild 1). Bild 1. Das Deutsche Stadion innerhalb der Grunewaldrennbahn (Aufnahme von 1923) 1 Wegen des 1. Weltkrieges fielen die VI. Olympischen Spiele aus. Eine erneute Bewerbung Berlins beim IOC Ende Mai 1930 hatte jedoch Erfolg, und im darauffolgenden Jahr erhielt Berlin den Zuschlag für die Austragung der XI. Olympischen Spiele 1936. Im Oktober 1933 ordnete Hitler den Neubau eines großen Stadions auf dem Gelände der Grunewald-Rennbahn sowie die Umgestaltung des gesamten Geländes für sportliche Zwecke an. Der Berliner Union-Klub wurde als Entschädigung für die vereinnahmte Fläche finanziell abgefunden. Werner March (1894 – 1976), der Sohn von Otto March, erhielt den Auftrag zur Planung des mit „Reichssportfeld“ bezeichneten Gesamtprojektes. Bild 2 zeigt den von Hitler genehmigten städtebaulichen Entwurf, dessen Ost-West-Achse durch den Olympischen Platz (8), das Olympische Tor, das Olympiastadion (1) mit dem Marathontor, das Maifeld (3) und die Westtribüne mit dem Glockenturm gebildet wird. Westlich des als „Große Kampfbahn“ bezeichneten Stadions sollte gemäß den Wünschen Hitlers das Maifeld als großes Aufmarschgelände eingerichtet werden. Um das Maifeld zu schaffen, sah der Entwurf Marchs eine Verschiebung des Olympiastadions gegenüber dem Deutschen Stadion um 150 m nach Osten vor. Bild 2. Lageplan des Reichssportfeldes (Entwurf Werner und Walter March, 1933) Bild 3. Das Olympiastadion - Ansicht aus Westen (Werner March, 1936) 2 Im November 1933 begann man mit dem Abriss des Deutschen Stadions. Der Unterring des neuen Stadions wurde 12 m tief in das Erdreich versenkt, was entsprechend umfangreiche Erdbauarbeiten zur Folge hatte. Zur Unterstützung der Tribünen des Oberrings wurde eine Stahlbetonrahmenkonstruktion errichtet. Auf Wunsch Hitlers wurden die äußeren Pfeiler mit einer größeren Breite und Tiefe ausgeführt als ursprünglich geplant, um den monumentalen Charakter des Stadions zu unterstreichen. Zur Verkleidung verwendete man im wesentlichen fränkischen Muschelkalk aus der Gegend um Würzburg. Prägendes Merkmal des Stadions war seine Öffnung nach Westen durch das Marathontor, welches eine freie Sicht auf den Glockenturm erlaubte. Die Fertigstellung des Berliner Olympiastadions als Teil des Reichssportfeldes erfolgte rechtzeitig zu den Olympischen Spielen 1936 (Bild 3). Bild 4. Teilüberdachungen über der Nord- und Südtribüne Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 1974 wurden verschiedene Umbauten am Stadion vorgenommen. Der Reporterring an der Südseite wurde neu gestaltet, und in der Ostkurve wurde eine elektronische Anzeigetafel angeordnet. Die Umkleideräume für die Sportler und die Sanitäranlagen für die Zuschauer wurden modernisiert. Die auffälligste Veränderung stellte jedoch der Neubau der Teilüberdachungen über der Nord- und Südtribüne dar. Die aus der Sicht des Denkmalschutzes umstrittenen Dächer wurden nach Plänen des Architekten Friedrich Wilhelm Krahe von der Firma Mero errichtet (Bild 4). Im Zuge der Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele 2000 wurde die Modernisierung des Olympiastadions im Rahmen eines neu zu errichtenden Olympiaparks geplant (Bild 5). Das Stadion sollte mit einer wagenradähnlichen Seilnetzkonstruktion überdacht werden. An seiner Ostseite waren zwei neue Hockeyplätze vorgesehen. Des weiteren waren zwei Baseballstadien geplant, eines davon auf dem Gelände des Maifeldes westlich des Stadions. Nach dem Ausscheiden Berlins zugunsten Sydneys im September 1993 wurde der Umbau jedoch bis auf weiteres zurückgestellt. 3 Bild 5. Vision eines Olympiaparks für die Olympischen Spiele 2000 2 Realisierungswettbewerb, Übersicht über die Gesamtbaumaßnahme Allerdings wurden die Planungen hinsichtlich einer Sanierung und Modernisierung des geschichtsträchtigen Bauwerks einige Jahre später wieder aufgegriffen. Nach verschiedenen Überlegungen, von denen eine den Neubau einer Fußballarena und damit eine reduzierte Nutzung des Olympiastadions vorsah, beschloss der Berliner Senat am 26. Mai 1998, das Olympiastadion denkmalgerecht zu sanieren. Man suchte nach einem Entwurf, der das gesamte Gelände durch einen tragfähigen Kompromiss zwischen Leistungs- und Freizeitsport, ergänzt durch kulturelle Angebote, der Öffentlichkeit zugänglich machen sollte. Es wurde ein Realisierungswettbewerb ausgelobt, an dem sich zahlreiche Planungsgemeinschaften aus dem In- und Ausland beteiligten. Nachfolgend einige Auszüge aus der Anforderungsbeschreibung: • „Aus stadt- und sportpolitischen Gründen strebt das Land Berlin eine Lösung an, die den Erhalt eines multifunktionalen (Profi-Fußball, Leichtathletik, Unterhaltung) Olympiastadions für ca. 70.000 bis 80.000 Zuschauer am jetzigen Standort bei möglichst weitgehender Bewahrung des historischen Erscheinungsbildes des vorhandenen Stadions ermöglicht.“ • „Das Olympiastadion sowie das Gesamtgelände (ehemaliges Reichssportfeld, 130 ha) stehen unter Denkmalschutz.“ • „Eine Auseinandersetzung mit den Parametern des Reichssportfeldes von Werner March mit seiner prägenden Ost-West-Achse und der klaren Flächengliederung ist unerlässlich.“ • „Es wird ein nachhaltiges Gesamtkonzept erwartet.“ Der Zuschlag für die Planung wurde der „Planungsgemeinschaft Olympiastadion Berlin - gmp’p“ erteilt. Sie setzt sich aus folgenden Mitgliedern und Funktionen zusammen: gmp-Architekten, von Gerkan, Marg und Partner Krebs und Kiefer, Beratende Ingenieure für das Bauwesen ibb, Ingenieurbüro Prof. Burkhardt I’RW-AG, Beratende Ingenieure Objektplanung Tragwerksplanung, Betonsanierung Kalkulation und Kostenrechnung Terminplanung und Baulogistik Die Zielkonflikte zwischen Modernisierung und Denkmalschutz sowie zwischen Leichtathletik und Profifußball wurden durch den Entwurf der Planungsgemeinschaft in überzeugender Weise gelöst. Das gmp’p-Konzept betrachtet das Stadion nicht isoliert, sondern in seinem räumlichen Kontext mit 4 dem Gesamtgelände. Dies schloß von vornherein aus, die freie Sicht auf den Glockenturm durch eine Dachkonstruktion zu beeinträchtigen. Das Stadion sollte von außen so wirken, wie es anlässlich der Olympischen Spiele 1936 von Werner March entworfen worden war (Bild 6, 7). Die Gesamtbaumaßnahme des gmp’p-Konzeptes umfasst u. a. folgende Teilbereiche ([3]): • • • • • Neubau der Tribünenüberdachung, Schadensuntersuchung und Sanierung des Oberringes, Umbau des vorhandenen Oberrings und Neubau des Unterringes, Absenkung des Spielfeldes um 2,65 m und Neubau des Reportergrabens, Neubau der äußeren unterirdischen Funktions- und Erschließungsbauwerke, bestehend aus zweigeschossigen Tiefgaragen mit ca. 630 Stellplätzen, Lkw- und Busstellflächen, Zufahrtstunneln, einer Aufwärmhalle mit 100 m - Laufbahn sowie den VIP-Zugangsbereichen zum Stadion. Die Außenbauwerke wurden vollständig unterirdisch geplant, um das äußere Erscheinungsbild des Stadions nicht zu beeinträchtigen (Bild 6, 8). Bild 6. Entwurf gmp’p – Ansicht aus Westen und Stadionquerschnitt Bild 7. Ansicht des Stadions aus Westen mit neuer Tribünenüberdachung (Photomontage) 5 Bild 8. Stadiongrundriss im 1. Untergeschoss, Außenbauwerke 3 Neubau der Tribünenüberdachung 3.1 Entwurf und Konstruktion 3.1.1 Funktionale und gestalterische Aspekte Der Entwurf der Tribünenüberdachung wurde neben funktionalen Anforderungen in hohem Maße durch gestalterische Belange und die Auflagen des Denkmalschutzes geprägt. Eine wesentliche Forderung war die Vollüberdachung aller Tribünenplätze mit einem angemessenen Witterungsschutz für die Zuschauer. Das Dach sollte jedoch nicht über die Außenkante des Stadions hinausragen und von außen möglichst wenig in Erscheinung treten. Rückgespannte Dachkonstruktionen mit Pylonen wie z. B. beim „Stade de France“ in Paris kamen daher nicht in Frage. Die Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten am Stadion werden bis Juni 2004 (Außenanlagen bis Dezember 2004) unter laufendem Spielbetrieb durchgeführt. Für Bundesligaspiele müssen mindestens 55.000 Sitzplätze, bei DFB-Pokalendspielen sogar 70.000 Sitzplätze zur Verfügung gestellt werden. Um den laufenden Spielbetrieb nicht zu beeinträchtigen, sollte das Dach abschnittsweise errichtet werden können. Aus diesem Grund sowie aufgrund der Forderung nach einer freien Sicht zum Glockenturm kamen speichenradartige Seilnetzkonstruktionen wie z. B. bei den Stadien in Stuttgart und Hamburg ebenfalls nicht in Frage. Trotz der Vollüberdachung sollten möglichst gute Lichtverhältnisse im Stadioninneren gegeben bleiben. Darüber hinaus waren Sichtbehinderung der Zuschauer durch Stützen im Stadioninneren zu minimieren. Notwendige Konstruktionen zur Abtragung der Lasten aus der Tribünenüberdachung waren so in den natursteinverkleideten Stadionoberring zu integrieren, dass sich bei weitgehendem Erhalt des denkmalgeschützten Bestandes keine gestalterischen und funktionalen Beeinträchtigungen ergeben. 6 Bild 9. Modellphoto – Perspektive aus Westen Zur Erfüllung dieser Anforderungen wurde ein umlaufendes, in seiner Gestaltung gleichbleibendes Tribünendach entworfen, das im Bereich des Marathontores unterbrochen ist (Bild 9). Diese Unterbrechung sowie die Möglichkeit einer abschnittsweisen Herstellung waren u. a. ausschlaggebend für den Entwurf des Dachtragwerkes als leichte Kragarmkonstruktion in Stahlbauweise. Die Gesamtlänge der Stahlkonstruktion, welche die Tiefe des Daches bestimmt, beträgt umlaufend ca. 68 m. Der Dachquerschnitt gleicht einem Flugzeugflügel, der sich sowohl zur Innen- als auch zur Außenseite hin zuspitzt. Der nach außen hin sichtbare Dachabschluss wird so schlank ausgeführt, dass die architektonische Dominanz des denkmalgeschützten Stadions durch die Dachkonstruktion nicht beeinträchtigt wird (Bild 10, 11). Bild 10. Querschnitt von Tribüne und Dach (Modellphoto) 7 Bild 11. Gegenüberstellung der Stadionansichten – oben das Stadion nach 1936, in der Mitte die Teilüberdachung von Mero, unten die neue Tribünenüberdachung Seine optische und materielle Leichtigkeit erhält das Dach in erster Linie durch die Verwendung einer leichten Membrankonstruktion als obere und untere Dachhaut, die zugleich für gute Lichtverhältnisse auf den Tribünenplätzen sorgt. Die dazwischenliegende Stahlrohrfachwerkkonstruktion bleibt als Haupttragstruktur aufgrund der Transluzenz der Membran erkennbar (Bild 12). Bild 12. Modellphoto – Dachuntersicht 8 Im inneren Dachrandbereich wird der sich verjüngende Kragarm mit einer Glaseindeckung versehen, so dass die Stahlkonstruktion der Kragarmspitze sichtbar bleibt. Am äußeren Rand erhält das Dach über dem Attikabereich einen umlaufenden Stahlbetonring. Der Dachabschluss wird durch eine Spantenkonstruktion gebildet, die ebenso wie die Unterseite des Stahlbetonrings mit einer Metallverkleidung versehen wird (Bild 10, 12). Das Tribünendach hat eine Traufhöhe von ca. 22 m über der Geländeoberkante und eine mittlere nach außen gerichtete Dachneigung von 5 %. Die Tiefe des Daches von ca. 68 m resultiert aus den Forderungen nach einem mit der Außenkontur des Stadions bündigen Dachabschluß sowie einem angemessenen Witterungsschutz für die Zuschauer in der vordersten Tribünenreihe. Der innere Dachüberstand wurde für einen Regeneinfallwinkel von max. 15° ausgelegt. Der Grundriss des Stadions entspricht keiner mathematischen Funktion wie z. B. der einer Ellipse. Da er jedoch die geometrischen Randbedingungen für die Tribünenüberdachung vorgibt, wurden die Außen- und Innenkontur der Dachkonstruktion zur optimalen Anpassung der Dachgeometrie an den Bestand durch einen Korbbogen mit sechzehn Segmenten und vier verschiedenen Radien beschrieben. 3.1.2 Aufbau der Haupttragstruktur Die Haupttragstruktur des Tribünendaches setzt sich im wesentlichen aus folgenden Konstruktionselementen zusammen (Bild 13, 14): • • • • • • • • 76 radial ausgerichtete Fachwerkbinder (kurz „Radialbinder“), tangential verlaufende, zum Teil bogenförmige Unterstützungsträger für die obere und untere Membranstruktur und die Überkopfverglasung am Dachinnenrand, 20 Baumstützen, 132 Außenstützen, ein tangential über den Baumstützen verlaufender Dreigurtbinder, ein im Bereich des Dachinnenrandes liegender Zweigurtbinder, vier radial ausgerichtete Aussteifungsverbände und ein dreieckförmiger Außenring aus Stahlbeton mit integrierten und angrenzenden Stahlverbundträgern. Dessen äußerer Eckpunkt wird durch einen tangential über den Außenstützen verlaufenden Stahlrandunterzug mit Hohlkastenquerschnitt gebildet, der den Abschluss der Haupttragkonstruktion darstellt. Zusätzlich werden radial und tangential verlaufende Laufstege zur Erschließung des Daches und seiner technischen Einrichtungen sowie Hilfskonstruktionen zur Halterung von Scheinwerfern, Lautsprechern, Schaltschränken und dergleichen angeordnet. In den folgenden Abschnitten werden einige Elemente der Tragkonstruktion näher beschrieben. Bild 13. Querschnitt des Tribünendaches, Bezeichnung der Bauteile 9 Randunterzug Baumstütze Außenstützen Tangentialsystem Dreigurtbinder Radialbinder Zweigurtbinder Bild 14. Ausschnitt aus dem Strukturmodell des Tribünendaches, Bezeichnung der Bauteile 3.1.3 Radialbinder Mit dem Ziel, eine möglichst regelmäßige und gleichbleibende Tragstruktur zu schaffen, wurde das Dachtragwerk durch 76 radial zum Tribünengrundriss ausgerichtete Fachwerkbinder mit identischen Außenabmessungen in Segmente unterteilt. Der Abstand der Radialbinder wurde unter Berücksichtigung des Achsrasters der Tribünen und der damit verbundenen Lastabtragsmöglichkeiten festgelegt. Hierdurch ergibt sich in der Mitte des umlaufenden Dachstreifens ein annähernd konstanter Binderabstand von ca. 8 m. Der äußere Dachabschluß am Marathontor wird durch einen in der Obergurtebene liegenden bogenförmigen Randträger gebildet (Bild 9). Die Radialbinder werden mit einem geradlinig verlaufenden Obergurt und einem im Bereich der Baumstützen ausgerundeten Untergurt ausgeführt. Die Füllstäbe bilden ein Strebenfachwerk mit steigenden und fallenden Diagonalen. Im Bereich der Binderspitzen wurde aus gestalterischen Gründen eine vierendeelförmige Ausbildung gewählt (Bild 13). Um die Sichtbehinderung der Zuschauer möglichst gering zu halten, wurden die Baumstützen so weit wie möglich nach außen gesetzt. Daraus ergibt sich für die Radialbinder eine Kragarmlänge von etwa 49 m und eine Feldlänge von ca. 17,50 m. Die maximale Systemhöhe liegt bei 5,10 m. Im Bereich der Baumstützen wird der Untergurt mit einem Radius von 25 m ausgerundet. Zur Reduzierung der Momente aus den Umlenkkräften wird er in der Bogenmitte durch einen Rundstahlanker gehalten. Die Stäbe der Radialbinder bestehen im wesentlichen aus Stahlhohlprofilen der Materialgüte S355J2H. Im Bereich des Stahlbetonaußenringes wurden I-Profile der Reihen HE und HD aus S355JRG2 als Stahlverbundträger mit Kopfbolzendübeln gewählt (Bild 15). Die Knotenpunkte werden im Kreuzungsbereich des Dreigurtbinders als Gussknoten (Material GS-20 Mn 5 V) ausgebildet. Für die Radialbinderspitzen kommen ebenfalls Stahlgussteile zum Einsatz. Die Gurte und Füllstäbe werden durch geschweißte Vollstöße verbunden. Der Anschluss der Radialbinder an den Randunterzug am äußeren Dachrand erfolgt über biegesteife Stirnplattenverbindungen (Bild 15). 10 Bild 15. Anschluss der Radialbinder am Randunterzug 3.1.4 Dreigurt- und Zweigurtbinder Über den Baumstützen verläuft ein Dreigurtbinder als Durchlaufträger in tangentialer Richtung (Bild 13, 14). Die Feldweiten betragen 32 - 40 m. Der Dreigurtbinder unterstützt die Radialbinder und übernimmt aussteifende Funktionen in der Dachebene. Die Gurtstäbe bestehen aus Rohren mit einem Außendurchmesser von da = 323,9 mm. Als Füllstäbe wurden Rohre und Rundstahlanker gewählt. Die Stäbe des Dreigurtbinders werden über Gussknoten miteinander verbunden. Die Rohre schließen dort mit geschweißten Vollstößen, die Rundstahlanker mit Anschweißlaschen und Augenstabverbindungen an. Zum Ausgleich der vertikalen Verformungen der Radialbinderspitzen wurde in der Nähe des Dachinnenrandes ein tangential verlaufender Zweigurtbinder angeordnet, dessen Gurte aus Rohren mit Außendurchmessern von da = 193,7 bzw. 219,1 mm bestehen. Die Füllstäbe werden wiederum durch Rohre bzw. Rundstahlanker gebildet (Bild 13, 14). 3.1.5 Aussteifungsverbände und Tangentialsystem in der oberen und unteren Dachebene Das Tribünendach wird - abgestimmt auf die Anordnung der Bewegungsfugen, vgl. Abschnitt 3.2.2 durch vier Radialverbände ausgesteift. Die Verbände verlaufen in je einem Dachsegment zwischen zwei Radialbindern alternierend zwischen deren Obergurt- und Untergurtebene, so dass die Stabilisierung beider Ebenen sichergestellt ist (Bild 16). Im Anschluss an den Zweigurtbinder werden sechs weitere Verbände in der Obergurtebene der Radialbinder angeordnet (Bild 21, 22). Die Verbandsdiagonalen bestehen aus vorgefertigten Zugankern der Materialgüte S460. Sie schließen in den Systemknoten der Radialbinder an und werden mit einer Vorspannung versehen. Die Anbindung der Radialbindergurte an die Verbände erfolgt durch tangential verlaufende Stahlrohre, die zugleich die Stützkräfte der Membranverkleidung aufnehmen. Im Bereich der Binderspitzen sind zur Unterstützung der Überkopfverglasung ebenfalls tangential verlaufende Rohre in einem Abstand von 2,40 m angeordnet. Die Spannweiten der Rohre sind im Bereich der Nord- und Südtribüne am größten und liegen dort bei etwa 7,00 m, ihr Außendurchmesser beträgt da = 177,8 mm. Zur horizontalen Aussteifung der Binderspitzen werden sie biegesteif an die Radialbinder angeschlossen. Dadurch entsteht eine Vierendeelwirkung in horizontaler Ebene. Die Untergurte der Radialbinderspitzen werden über die Füllstäbe ebenfalls durch das Tangentialsystem stabilisiert. 11 Bild 16. Radialbinderpaar R8, R9 mit Aussteifungsverband und angrenzenden Außen- und Baumstützen 3.1.6 Baumstützen Zur Minimierung der Sichteinschränkung vom Oberring aus sollte das Dach von möglichst wenigen und zugleich schlanken Stützen getragen werden. Nach einem Optimierungsprozess, der unter Berücksichtigung der realisierbaren Spannweiten im Dachtragwerk und der Möglichkeiten des Lastabtrags durchgeführt wurde, erfolgte die Reduzierung von ehemals 26 Stützen im Wettbewerbsentwurf auf 20 sehr schlanke Baumstützen mit einem Achsabstand von 32 – 40 m. Die Stützenstämme haben eine Länge von ca. 8,50 m und verzweigen sich im Gabelungsknoten in je vier Stützenäste. Durch die Verzweigung zu einer Baumstütze wird die Knicklänge des Stützenstammes deutlich reduziert und die Spannweite der Dachträger in Tangential- und Radialrichtung verringert (Bild 10, 13, 16). Bild 17. Baumstütze auf dem Oberring im Übergang zur Ostkurve Die Stäbe der Baumstützen haben einen kreisförmigen Vollquerschnitt. Die Stämme verjüngen sich vom Gabelungsknoten zum Stützenfuß hin gleichmäßig von 350 mm auf 250 mm. Zur Vermeidung von Schweißverbindungen an den hochbeanspruchten Stützenfüßen werden sie mit einer angeschmiedeten Fußplatte ausgeführt. Die Bemessungsnormalkraft liegt bei etwa 12000 kN. Als Material 2 kommt vergüteter Schmiedestahl 12NiMoCr17-4 mit einer Streckgrenze fy,k ≥ 735 N/mm und einer 2 Bruchfestigkeit fu,k ≥ 830 N/mm zum Einsatz. Oberhalb des Gabelungsknotens schließen 4 Äste aus S355K2G3 mit einem Durchmesser von 290 mm an. Der Gabelungsknoten wird als Gußknoten aus GS18NiMoCr 3 6 mit einer Streckgrenze fy,k ≥ 2 2 550 N/mm und einer Bruchfestigkeit fu,k ≥ 780 N/mm ausgeführt. Der Eignungsnachweis der eingesetzten Schmiede- und Gussstähle wurde unter Festlegung der Bedingungen für die Herstellung und Verarbeitung im Rahmen einer Zustimmung im Einzelfall erbracht. 12 3.1.7 Außenstützen Um eine möglichst gleichmäßige Beanspruchung des Bestandes durch die Tribünenüberdachung zu erzielen, wurden 132 Außenstützen in den Achsen der vorhandenen Muschelkalkpfeiler angeordnet. Die Stützen werden aus Rundhohlprofilen der Materialgüte S355J2H mit Außendurchmessern von da = 323,9 bzw. 355,6 mm sowie Wandstärken zwischen 10 und 80 mm gefertigt und haben eine Länge von ca. 4,85 m. Achtzig dieser Stützen bilden zusammen mit den Radialbindern, dem umlaufenden Randunterzug und den Baumstützen ein Rahmensystem, durch welches das Dachtragwerk in horizontaler Richtung ausgesteift wird. Hinter jeder der 20 Baumstützen werden vier Außenstützen biegesteif an den Randunterzug angeschlossen. Hierdurch können die auf das Dachtragwerk einwirkenden Horizontalkräfte gezielt an 20 Stellen des Oberringes über Ortbetonkonstruktionen innerhalb der Tribüne, Wandscheiben und Rahmenkonstruktionen bis zur Fundamentebene abgetragen werden. Die übrigen 52 Außenstützen werden gelenkig angeschlossen. Ein großer Teil dieser Pendelstützen wird zur Integration der Entwässerungsrohre genutzt. Durch den Einsatz einer Hochdruckentwässerungsanlage für die ca. 42.000 m² Dachfläche können die Entwässerungsrohre so klein gehalten werden, dass eine Führung innerhalb der schlanken Außenstützen möglich ist. 3.1.8 Stahlbetonaußenring Die weite Auskragung der Dachkonstruktion zur Stadionmitte hin führt zu großen abhebenden Kräften in den Außenstützen. Die Masse der an die Stützenfüße anschließenden Stahlbetonkonstruktion des Oberringes reicht zur Herstellung der Lagesicherheit nicht aus. Aus Gründen der Gestaltung und des Denkmalschutzes kam eine von außen sichtbare rückwärtige Verankerung jedoch nicht in Frage. Ein Durchbohren der Muschelkalkpfeiler schied aus Kostengründen und wegen möglicher Schäden am Bestand ebenfalls aus. Im Rahmen der Entwurfsplanung fiel deshalb die Entscheidung zugunsten einer Ballastierung innerhalb des Dachtragwerks. Als Gegengewicht wurde im Bereich des äußeren Dachrandes ein dreieckförmiger, tangential verlaufender Stahlbetonhohlkasten vorgesehen (Bild 18). Das Gewicht der zweizelligen Grundröhre beträgt etwa 17 t/m. Hinter den Baumstützen reicht dies aufgrund der dort systembedingt auftretenden Konzentration der abhebenden Kräfte jedoch nicht aus. In diesen Bereichen wird die Betonröhre zur Erhöhung des Ballastes zum Teil gefüllt. Darüber hinaus wird zur Reduzierung der erforderlichen Ballastierung im Dach der Beton des Oberrings unter Berücksichtigung der notwendigen Auflast für die Muschelkalkpfeiler so weit wie möglich zur Lagesicherung mit herangezogen. Der Außenring besteht aus einer Stahlbetonfertigteilkonstruktion, die durch Ortbeton ergänzt wird. Neben seiner Funktion als Ballastkörper bildet er die Überdachung über dem äußeren Tribünenbereich und trägt zur horizontalen Aussteifung des Dachtragwerks bei. Die angrenzenden Stahlträger des Tangentialsystems und die querenden Stäbe der Radialbinder werden zur Übertragung der Kräfte zwischen dem Stahlskelett und dem Betonring als Verbundträger mit Kopfbolzendübeln ausgeführt. (Bild 15, 18) Bild 18. Stahlbetonaußenring – Herstellung und Auszug aus der Leitplanung 13 3.1.9 Membranverkleidungen Das Dachtragwerk wird an der Oberseite durch 77 Membranfelder mit einer Gesamtfläche von ca. 2 27.000 m verkleidet. Jedes Feld wird zwischen den Rändern durch 6 tangential verlaufende Rohrbögen unterstützt, um die für die Membrantragwirkung notwendige Krümmung zu erzeugen. Die Längsränder werden über Kedern und Klemmleisten an die Obergurte der Radialbinder angeschlossen und zur Stabilisierung mit einer angemessenen Vorspannung versehen. Die Entwässerung der Dachfläche erfolgt entlang der Rinnenmembran über den Radialbinderobergurten zum äußeren Dachrand hin. Die Rohrbögen schließen jeweils in den Systemknoten der Radialbinderobergurte an. Die Spannweiten der Bögen betragen je nach Position zwischen ca. 6,0 m und 11,0 m. Die Bogenstiche nehmen vom Stadioninneren nach außen hin zu, sind jedoch auf maximal 2,0 m begrenzt. Als Querschnitte werden schlanke Rohre mit einem Außendurchmesser von da = 139,7 mm und 4 bzw. 5 mm Wandstärke eingesetzt. Die Stabilisierung der Bögen in und senkrecht zu ihrer Ebene erfolgt durch die textile Membrane, welche über Kedern und Schienen mit den Rohren verbunden ist. Die Bogenschubkräfte werden von den in der Obergurtebene der Radialbinder liegenden Tangentialrohren aufgenommen. Als Membranwerkstoff kommt ein PTFE-beschichtetes Glasfasergewebe zum Einsatz. Dank der schmutzabweisenden PTFE-Beschichtung können die Reinigungsarbeiten auf ein Minimum beschränkt werden. 2 Um einen optischen Abschluss zu schaffen, wird die Unterseite des Dachtragwerks mit ca. 28.000 m Membranfläche verkleidet. Die einzelnen Membranfelder werden über Schienen und Spannschlösser eben zwischen den Untergurten der Radialbinder und den kreuzenden Tangentialrohren aufgespannt. Als Material wird ein offenes Gittergewebe aus PTFE-beschichteter Glasfaser verwendet. Die untere Membrane dient als Wartungsebene zum Austausch von Lampen, Lautsprechern und ähnlichem. Durch die Wahl eines offenen Gittergewebes wird die notwendige Schalldurchlässigkeit für die innerhalb des Dachkörpers liegenden Lautsprecher der Tribünenbeschallung erreicht. Des weiteren findet unter Windbelastung ein Druckausgleich zwischen der Ober- und Unterseite statt, so dass bei der statischen Auslegung der unteren Membrane nur vergleichsweise geringe Lasten zu berücksichtigen waren. Bild 19. Obere Membrane – Modellphoto, Rohrbögen zur Unterstützung 3.2 Sekundärkonstruktionen und Technischer Ausbau Für den Betrieb des Stadions ist eine umfangreiche technische Ausstattung erforderlich. Hierzu gehören Einrichtungen zur Beleuchtung und Beschallung der Tribünen sowie des Spielfeldes. Hinzu kommen Anlagen der Informations- und der Nachrichtentechnik. Mit dem Ziel, das optische Erscheinungsbild des Stadions möglichst wenig zu beeinträchtigen wurde ein großer Teil der technischen Ausstattung innerhalb der neuen Tribünenüberdachung angeordnet. Zur Gewährleistung der Zugänglichkeit zu Wartungs- und Erneuerungszwecken wird das Tribünen14 dach über ein System radialer und tangentialer Laufstege erschlossen, die zugleich der gebündelten Führung der elektrischen Versorgungsleitungen dienen. Am Übergang zum verglasten Bereich des Dachinnenrandes befindet sich ein um das gesamte Stadion umlaufender tangentialer Laufsteg (Bild 20), der über vier radiale Laufstege vom Dachaußenrand aus erreichbar ist. Der Dacheinstieg erfolgt von der Attika aus über Klapptreppen, die zu Einstiegsluken im Stahlbetonaußenring hinaufführen und in ihrer Parkposition nach oben geklappt werden können. An allen Laufstegen werden entsprechende Konsolen zur Führung von Stromschienen und Kabeltrassen vorgesehen. Konsolen am tangentialen Laufsteg, die im Wechsel mit Lautsprechern für die Tribünenbeschallung angeordnet werden, dienen der Aufnahme von Schalt- und Technikschränken. Die Lautsprecher zur Beschallung des Oberranges werden an gekreuzten Zugankern im Bereich des Dreigurtbinders abgehängt. Die Videoanzeigetafeln über der Nord- und Südtribüne mit einer Fläche von jeweils ca. 60 m² werden an den Untergurten je zweier benachbarter Radialbinder befestigt. Hinter den Anzeigetafeln befinden sich Wartungsstege in vier Ebenen zum Austausch der Module. Der Zugang erfolgt über die radialen Wartungsstege im Tribünendach und eine Tür in der unteren Membrane (Bild 13). Im Bereich der Südtribüne ist eine 100 m – Kamera vorgesehen, die sich entlang eines an den Radialbinderuntergurten befestigten tangentialen Führungsprofils direkt unterhalb der unteren Membrane bewegt. Besondere Akzente werden durch das Beleuchtungskonzept des Stadions gesetzt. Die Spielfeldbeleuchtung erfolgt über einen umlaufenden Ring von Flutlichtscheinwerfern, die an einer parallel zum tangentialen Laufsteg verlaufenden Rahmenkonstruktion befestigt sind (Bild 20). Hierdurch konnte auf die Anordnung von Flutlichtmasten, die bisher das Erscheinungsbild beeinträchtigten, verzichtet werden. Ober- und unterhalb der Flutlichtscheinwerfer werden als „ring of fire“ verglaste Metallgehäuse mit Leuchtstoffröhren angeordnet, mit deren Licht die ovale Form der Tribünen im Dach aufgegriffen und betont wird. Zur Beleuchtung der Tribünen werden entlang der Untergurte der Radialbinder Ketten von Leuchtstoffröhren angeordnet, welche, auf die obere Membrane gerichtet, den Dachkörper von innen beleuchten und im Dunkeln wie einen leichten, über den Tribünen schwebenden Lampion wirken lassen (Bild 7, 20). Bild 20. Technische Einrichtungen im Bereich des tangentialen Laufstegs; Tribünenbeleuchtung 15 3.3 3.3.1 Statische und dynamische Berechnungen Struktur- und Lastmodell Das Dachtragwerk wurde zur Untersuchung des globalen Tragverhaltens in der Strukturanalyse als räumliches Stabwerksmodell geometrisch nichtlinear unter Ansatz von Imperfektionen berechnet (Bild 21). Als Einwirkungen waren u. a. das Eigengewicht, Schnee, Wind, Temperatur, Technischer Ausbau und Spannkräfte aus den Membranverkleidungen zu berücksichtigen. Berechnungsgrundlage waren neben den anzuwendenden DIN-Vorschriften Gutachten zu Wind- und Schneelasten sowie zum baulichen Brandschutz. Bild 21. Strukturmodell zur Berechnung des Tribünendaches Der Eingabedatensatz für das komplexe räumliche Struktur- und Lastmodell wurde mit Hilfe eines Pascal-Rechenprogrammes erzeugt. Hierdurch konnten insbesondere im Rahmen der Entwurfsplanung vergleichsweise schnell Variantenstudien durchgeführt und Planungsänderungen berücksichtigt werden. Darüber hinaus wurden Systemchecks und Plausibilitätskontrollen programmiert, die zur Überprüfung der großen Datenmengen und zur Absicherung der Ergebnisse unabdingbar waren. Bild 21 zeigt das Strukturmodell mit ca. 8000 Stäben und 3600 Knoten. Der Stahlbetonaußenring wurde als räumliches Stabwerksmodell implementiert. Zur Bewertung der Einflüsse aus Rißbildung und Langzeitverhalten des Betons und aus den hierbei zu erwartenden Streuungen wurden für den Stahlbetonaußenring und die Lastabtragskonstruktionen Grenzbetrachtungen mit unterschiedlichen Steifigkeitsansätzen durchgeführt. Durch die Berechnungen am Gesamttragwerk wurden globale Trageffekte, wie z. B. die Wechselwirkung zwischen der Dachstruktur und den unterschiedlich steif ausgeführten Lastabtragskonstruktionen, Zwängungsbeanspruchungen aus Temperatur, der Abtrag der über das Stadiondach veränderlichen Windlasten und dergleichen erfasst. 3.3.2 Einfluss der Temperatureinwirkungen und Fugenkonzept Die Grundrissabmessungen des Tribünendaches betragen ca. 300 m x 230 m. Die Lastabtragskonstruktionen innerhalb des Stadionoberrings sind durch Gebäudefugen voneinander getrennt, so dass sich deren Lage infolge von Temperatureinwirkungen kaum verändert. Bei Erwärmung bzw. Abkühlung des Gesamtsystems stellen sich daher Zwängungen zwischen dem Dach und den Lastabtragskonstruktionen ein. Darüber hinaus ergeben sich Zwängungen innerhalb des Daches, die durch die höhere Erwärmungs- und Abkühlgeschwindigkeit der Stahlkonstruktion gegenüber dem Stahlbetonaußenring noch verstärkt werden. 16 Um die auftretenden Zwängungen zu minimieren, wurde für das Dachtragwerk ein Fugenkonzept entwickelt, wobei unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen waren. Hauptziel war es, die unvermeidlichen Zwängungsbeanspruchungen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit zu begrenzen. Gleichzeitig war jedoch zu beachten, dass die Herstellung von Fugen innerhalb der Dachkonstruktion technisch aufwendig ist und eine sorgfältige Ausführung erfordert. Die Entwicklung des Fugenkonzeptes stellte somit einen Optimierungsprozess im Hinblick auf Konstruktion, Funktionalität und Wirtschaftlichkeit dar. Fuge im mittleren Dachbereich Fuge im inneren Dachbereich Bild 22. Anordnung der Bewegungsfugen im Tribünendach Das Ergebnis dieser Optimierungsaufgabe war eine Lösung mit radialen Bewegungsfugen, wobei hinsichtlich der Anzahl und Lage der Fugen zwischen innerem und äußerem Dachbereich differenziert wurde. Die Ausführung des Stahlbetonrings am äußeren Dachrand erfolgt fugenlos. Im mittleren Bereich des Daches wird das Stahltragwerk durch drei Fugen in vier Abschnitte unterteilt, die jeweils durch einen Verband ausgesteift sind (s. Bild 22). Versetzt hierzu werden im inneren Dachbereich sechs Bewegungsfugen angeordnet. Diese Fugen liegen jeweils in der Achse einer Baumstütze, so dass sich keine unstetigen Verformungen der Binderspitzen infolge von Vertikallasten einstellen. Bei den Bewegungsfugen im mittleren Dachbereich sorgt der durchlaufende Zweigurtbinder für eine stetige Verformungslinie. Bild 23 zeigt die Verformungen des Daches bei einer Erwärmung des Stahltragwerks um 35 K. Die Relativverschiebungen der an die Fugen angrenzenden Radialbinder und damit die Verschiebungswege in den Bewegungsfugen betragen im hinteren Bereich ca. 60 mm und im Glasbereich ca. 30 mm. Durch den Fugenversatz ergeben sich entlang der radialen Binderachsen unterschiedliche Knotenpunktverschiebungen in tangentialer Richtung und daraus resultierend Verformungen der Radialbinder senkrecht zu ihrer Ebene. Die hieraus entstehenden Zwängungsspannungen sind aufgrund der Biegeweichheit der Bindergurte jedoch relativ gering. Die Zwängungen zwischen dem Dach und den Lastabtragskonstruktionen werden durch die Schlankheit und die daraus resultierende geringe Biegesteifigkeit der Außen- und Baumstützen begrenzt. 17 Max u: 39.52 mm Bild 23. Temperaturverformungen bei einer Erwärmung des Stahltragwerks um 35 K 3.3.3 Einwirkungen aus Wind Um bei der Planung und Berechnung der Stadionüberdachung die sich infolge Wind für die Haupttragstruktur sowie verschiedene Einzeltragelemente ergebenden Beanspruchungen realitätsnah erfassen zu können, wurde ein Windgutachten in Auftrag gegeben. Gegenstand des Gutachtens waren unter anderem • • • globale und lokale Bemessungswindlasten zur statischen Auslegung des Tribünendaches, die aerodynamische Stabilität der ebenen unteren Membrane und Bemessungswindlasten für Bauzustände. Die Bestimmung der Winddruckverteilungen für unterschiedliche Anströmrichtungen erfolgte mit Hilfe von Modelluntersuchungen im Grenzschichtwindkanal (Bild 24). Für die Messungen wurde ein Modell des Stadions im Maßstab 1:300 erstellt und mit etwa 450 Druckmesspunkten auf der Ober- und Unterseite sowie im Innenraum der Überdachung bestückt. Die Untersuchungen wurden bei Windgeschwindigkeiten von 13 m/s durchgeführt und auf eine Böenwindgeschwindigkeit von rund 45 m/s extrapoliert. Dies entspricht der Bemessungswindgeschwindigkeit nach EC1 [4] in 25 m Höhe. Der zugehörige Böenstaudruck beträgt 1,25 kN/m². 18 Bild 24. Druckmessungen im Grenzschichtwindkanal der Fachhochschule Aachen Zur Bewertung des dynamischen Verhaltens wurden im Rahmen einer Modalanalyse Eigenformen und Eigenfrequenzen des Dachtragwerks bestimmt und aufbauend auf diesen Ergebnissen Resonanzfaktoren getrennt für horizontale und vertikale Windlasten ermittelt. Die erste Eigenfrequenz des Daches unter ständigen Lasten liegt bei etwa 0,36 Hz. Die Schwingform ist horizontal und antimetrisch (s. Bild 25). Die Ursache für diese niedrige Eigenfrequenz liegt in der hohen Masse - die zu einem großen Teil aus dem Stahlbetonaußenring stammt - und in der niedrigen Steifigkeit der Konstruktion in horizontaler Richtung. Die Resonanzfaktoren wurden zu 1,3 für horizontale und zu 1,1 für vertikale Windlasten bestimmt. Bild 25. Dynamische Strukturanalyse − 1. Eigenform unter ständigen Lasten (0,36 Hz) 19 3.4 Herstellung und Montage Im Vorlauf zur Dachmontage erfolgten die Umbau- und Erneuerungsarbeiten an den Tribünen und im Stadioninneren. Da der vorhandene Unterring nicht mehr sanierbar war, wurde er abgerissen und durch eine neue Fertigteilkonstruktion, bestehend aus den Tribünenstufen, Zahnbalken und Stützen mit anschließenden Fundamenten, ersetzt. Im Zuge der Sanierung und des Umbaus des Oberrings wurden die Lastabtragskonstruktionen für das Tribünendach hergestellt. Die Tribünen wurden bereits vor Beginn der Dachmontage mit der vollständiger Bestuhlung versehen, um die für den Spielbetrieb zugesicherte Anzahl von Tribünenplätzen zur Verfügung stellen zu können. Im Dezember 2001 wurde von der Walter Bau-AG als Generalübernehmer und Konzessionär die Ausführung der Stahlbauarbeiten an DSD Dillinger Stahlbau GmbH vergeben. Die Ausführungsarbeiten laufen zur Zeit und werden voraussichtlich im Frühjahr 2004 abgeschlossen sein. Aus der Vielzahl der am Projekt beteiligten Gewerke ergibt sich ein hoher Koordinationsaufwand bei der Werkstatt- und Montageplanung. Zahlreiche Schnittstellen zwischen dem Stahlbau einerseits und den nachfolgenden Gewerken wie z. B. dem Betonbau, Membranbau, Glasbau, Fassadenbau und Technischen Ausbau andererseits sind hinsichtlich der notwendigen Vorleistungen (z. B. Anschlußkonstruktionen), Herstellungsgenauigkeiten und der zeitlichen und technischen Abläufe zu definieren. Bei der Durchführung der Montagearbeiten sind verschiedene Randbedingungen zu beachten. So ist z. B. innerhalb des Stadions der Betrieb schwerer Hebezeuge für die Dachmontage nicht möglich, so daß die Montage von außen erfolgen muß. Die unterirdischen Außenbauwerke (vgl. Bild 8) sowie bereichsweise vorhandene Tiefkeller unter dem Oberring verhindern ein uneingeschränktes Umfahren des Stadions und führen zu entsprechenden Einschränkungen für die Kranstandorte. Bedingt durch die geringen Tragreserven der vorhandenen Stahlbetonrahmen des Oberrings können ohne zusätzliche Maßnahmen keine großen Lasten, z. B. aus Montagegerüsten, abgetragen werden. Des weiteren sind der denkmalgeschützte Bestand und die Tribünen einschließlich der Bestuhlung als bereits fertiggestellte Bauleistungen gegen Beschädigungen während der Dachmontage zu schützen. Deshalb erfolgt die Montage weitestgehend ohne Hilfsabstützungen auf dem darunterliegenden Tribünentragwerk. Aufgrund der vielen Einschränkungen wurden bereits beim Tragwerksentwurf Montagekonzepte entwickelt und im Rahmen der Ausführungsplanung weiter präzisiert. Grundsätze waren u. a. ein hoher Vorfertigungsgrad zu transportablen Baueinheiten im Werk und die Vormontage großer Einheiten zu ebener Erde auf der Baustelle. Darüber hinaus waren die Konstruktion montagegerechter Verbindungen sowie das Vorhalten von Möglichkeiten zum Toleranzausgleich, zum Ausrichten der Tragstruktur und zur Korrektur von Maßabweichungen erforderlich. Die Wahl der Verbindungen wurde neben funktionalen Anforderungen in hohem Maße auch von gestalterischen Aspekten geprägt, um dem ästhetischen Anspruch der Gesamtkonzeption zu genügen. Bild 26. Vormontage der Binderpaare 20 Die Montage des Stahltragwerks wurde im Juni 2002 an der Nordseite des Stadions begonnen und zur Zeit umlaufend über die Ostkurve und die Südtribüne bis hin zum Marathontor fortgesetzt. Auf Vormontageplätzen werden die Radialbinder, in Längsrichtung in zwei Abschnitte unterteilt, paarweise inklusive des dazwischenliegenden und z. T. auch des angrenzenden Tangentialsystems vormontiert (Bild 26). Die Dachmontage wird im wesentlichen in folgenden Schritten durchgeführt (Bild 27, 28): • • • • • • • • Stellen der Außenstützen und der Baumstützenstämme und Montage des äußeren Randträgers. Montage der äußeren Abschnitte der Radialbinder. Begonnen wird mit den Binderpaaren über den Baumstützen (Bild 27). Anschließend werden die dazwischen liegenden Binderpaare montiert und über die angrenzenden Felder des Dreigurtbinders mit den Paaren über den Baumstützen verbunden. Ergänzung des Tangentialsystems im äußeren Dachbereich. Verlegen der Fertigteile des Stahlbetonaußenrings. Dieser Schritt ist zur Herstellung der Lagesicherheit bei der Montage der Radialbinderkragarme erforderlich. Montage der inneren Abschnitte der Radialbinderpaare. Ergänzung des Tangentialsystems im inneren Dachbereich. Fertigstellung des Stahlbetonaußenrings und Montage der Spantenkonstruktion sowie der Blechverkleidungen am äußeren Dachrand. Montage der Membranhaut und der Glaseindeckung am inneren Dachrand. Bild 27. Hubmontage der Radialbinderpaare Bild 28. Herstellung der Montagestöße der Radialbinder im Dach Die Dachkonstruktion verformt sich unter ständigen Lasten an den Binderspitzen um etwa 200 – 280 mm in vertikaler Richtung. Zur Herstellung der Sollgeometrie im Endzustand wird das Stahltragwerk deshalb mit einer entsprechenden Überhöhung ausgeführt. 21 Als Korrosionsschutz kommen verschiedene Systeme zu Ausführung. Der größte Teil der Tragkonstruktion erhält ein dreilagiges Beschichtungssystem mit einer Gesamtstärke von 240 µm. Dieses setzt sich aus einer zweikomponentigen Zinkstaubgrundbeschichtung auf Epoxidharzbasis (80 µm), einer eisenglimmerhaltigen zweikomponentigen Epoxidharz - Zwischenbeschichtung (100 µm) und einer Zweikomponenten - Polyurethan - Deckbeschichtung (60 µm) im Farbton hell-aluminium (ca. RAL 9006) zusammen. Bei den Außenstützen mit integrierten Entwässerungsleitungen kommt eine Duplexbeschichtung (Feuerverzinkung und Beschichtung) zum Einsatz. Die kleinteiligen Hilfskonstruktionen des Technischen Ausbaus werden feuerverzinkt ausgeführt. 4 Zusammenfassung und Schluß Nach einem geschichtlichen Rückblick und einer Übersicht über die Gesamtbaumaßnahme „Modernisierung und Instandsetzung des Olympiastadions Berlin“ wird über Entwurf, Konstruktion, Berechnung und Ausführung der neuen Tribünenüberdachung berichtet. Ein zentraler Planungsbestandteil war die Entwicklung eines architektonisch ansprechenden, abschnittsweise herstellbaren Tragwerks und dessen Integration in das bestehende denkmalgeschützte Stadion. Zur Herstellung der Tribünenüberdachung werden ca. 3.500 t Profil-, Schmiede- und Gussstahl, 55.000 m² PTFE-beschichtete Glasfasermembrane, 6.000 m² punktgelagerte Überkopfverglasung und 6.000 m³ Beton eingesetzt. Die Dachfläche über den 76.000 Sitzplätzen beträgt ca. 42.000 m². Die Fertigstellung des gesamten Bauvorhabens einschließlich der Außenanlagen ist für Dezember 2004 vorgesehen. Am Bau Beteiligte Bauherr Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Konzessionär und Generalübernehmer Walter Bau-AG vereinigt mit DYWIDAG Generalplanung gmp’p Planungsgemeinschaft Olympiastadion Berlin, bestehend aus - gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner - Krebs und Kiefer, Beratende Ingenieure für das Bauwesen - BLL-I’RW AG, Beratende Ingenieure - ibb Ingenieurbüro Prof. Burkhardt Tragwerksplanung Krebs und Kiefer, Beratende Ingenieure für das Bauwesen Teilbereiche der Gußknoten und Membrankonstruktion Schlaich Bergermann und Partner Prüfingenieur Prof. Dr.-Ing. M. Specht, Berlin Windgutachten Wacker-Ingenieure, Karlsruhe und Institut für Industrieaerodynamik, Aachen Gutachten für Sonderstähle RWTH-Aachen, Lehrstuhl für Stahlbau und Ingenieurbüro für Werkstofftechnik, Aachen Stahlbau Massivbau Membranbau Glasbau DSD Dillinger Stahlbau GmbH, Saarlouis ARGE Bold GmbH & Co Baubetriebe, Berlin / Otto Quast Fertigbau Sachsen GmbH & Co., Coswig B&O Hightex GmbH, Rimsting / Chiemsee Mero GmbH & Co. KG, Würzburg 22 Abbildungen und Fotos Krebs und Kiefer, Beratende Ingenieure für das Bauwesen gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner Werner March, Berlin Bauwelt, 27. Jahrgang 1936 Bünk εt Fehse, Berlin H. Leiska, Hamburg H. Zimmermann, Berlin S. Klonk, Berlin Modelle gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner ( Modell 1:50) SZ – Modellbau, Berlin (Modell 1:500) Architekturmodellbau Marquard, Wolfenbüttel (Modell 1:100) Literatur [1] Kluge, V.: Olympiastadion Berlin – Steine beginnen zu reden, Partas-Verlag 1999 [2] Schäche, W.: Von der Rennbahn bis zum Sportpark des 21. Jahrhunderts – Etappen einer Komplexen Baugeschichte. Panorama eines Bauwerks – Olympiastadion Berlin. Jovis Verlag, Berlin 2001. [3] Hanek, D.: Tragwerksplanung für das neue alte Olympiastadion Berlin. Beratende Ingenieure, Springer-VDI-Verlag, Oktober 2001, S. 22 – 25. [4] DIN V ENV 1991, Teil 2-4: Eurocode 1, Grundlagen der Tragwerksplanung und Einwirkungen auf Tragwerke – Windlasten, Dezember 1996 Autoren dieses Beitrages: Dr.-Ing. Richard Stroetmann, Geschäftsführender Gesellschafter, Gesamtprojektleiter für die Tragwerksplanung der Tribünenüberdachung; Dipl.-Ing. Regine Schneider, Projektingenieurin. Krebs und Kiefer Beratende Ingenieure für das Bauwesen GmbH, Hilpertstraße 20, 64295 Darmstadt, www.kuk.de. 23