Erleuchtung in der Schweiz - Felix-Klein

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Erleuchtung in der Schweiz - Felix-Klein
kleine zeitung
Zeitung in der Schule mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland
Gefährliche
Geschäfte
Das Rad der Lehre drehen
Kassel hebt ab
Der umstrittene Flughafen in
Kassel hat seine Fans
L
Begegnung mit einem Dealer
D
u wirst nie wieder normal
leben können, wenn du einmal so tief drin warst, so viel Geld
verdient hast.“ Michael (Name geändert) lehnt sich gelassen in das
weiche Leder der Rückbank eines
neuen BMWs. Der Wagen parkt
an einem Waldrand, irgendwo im
hessischen Nirgendwo. Hauptsache keine ungebetenen Mithörer. In
der Branche, in der er sich mit einem monatlichen Einkommen von
bis zu 40 000 Euro zu den „großen
Fischen“ zählen kann, verliere man
definitiv den Bezug zum Geld, gibt
der Arbeitslose aufrichtig zu. „Man
wird süchtig. Der Rubel darf niemals aufhören zu rollen.“ Der Mittzwanziger wirkt vollkommen entspannt. Nur sein kritischer Blick,
der immer wieder am Diktiergerät
hängen bleibt, lässt Nervosität vermuten. Es ist der Blick eines berechnenden Großdealers. Spuren zu
hinterlassen, wäre fatal.
„Nicht jeder kann von heute auf
morgen einfach ins Geschäft einsteigen, da brauchst du schon einen
Namen. Die Leute müssen Angst
haben und wissen, was passiert,
wenn sie nicht rechtzeitig zahlen.“
Fortsetzung Seite 2
In dieser Ausgabe
Schöne
Bescherung
Abi nicht geschafft, Bewerbungsfrist versäumt, aus dem Praktikum
geflogen, die Lehrstelle verloren:
Markus gibt trotzdem nicht auf.
Schule und Beruf, Seite 10
Raus aus den Federn
Die Hoffmann GmbH fertigt
Federn für alle Lagen. Nicht nur
Matratzenhersteller zählen zur
Kundschaft, sondern auch Airbus
mit seinem A380. Wirtschaft, Seite 5
Rein in die Klamotten
Angeblich sollen Frauen 287 Tage
ihres Lebens vorm Kleiderschrank
stehen und sich fragen: „Was ziehe
ich heute bloß an?“ Onbelle will
das ändern. Wirtschaft, Seite 7
Eingreiftruppe
Die Jugendhilfe springt ein, wenn
in den Familien nichts mehr geht
und die Kinder darunter zu leiden
haben.
Mensch und Gesellschaft, Seite 8
Bergpatrouille
Ein Schweizer Unternehmer bildet
nicht nur Gebirgsgrenadiere aus,
sondern ging auch selbst mit auf
heikle Mission in den Anden.
Sport und Spaß, Seite 11
© IZOP-Institut, Aachen
Nr. 4/Dezember 2015
Im Tibet-Institut im schweizerischen Rikon studieren
junge Mönche die Grundlagen von Mathematik, Physik, Chemie und Biologie und suchen nach Gemeinsamkeiten von modernen Naturwissenschaften mit dem
Dharma. Das vieldeutige Wort bezeichnet hier die Lehre Buddhas und wird dann meistens großgeschrieben.
Vairocana, einer von fünf transzendenten Buddhas,
hilft ihnen dabei.
Foto Buddha-Museum, Traben-Trarbach
Erleuchtung in der Schweiz
D
In einem Kloster bei Zürich leben acht tibetische Mönche
ichter Nebel liegt über
dem Tal. Riesige Laubbäume zeichnen sich
schemenhaft vor dem dunklen Himmel ab. Das entfernte Rauschen der
Töss ist zu vernehmen. Im hügeligen
Voralpengebiet im Osten des Kantons Zürich auf 800 Metern Höhe
steht auf einer erhöhten Waldlichtung das klösterliche Tibet-Institut.
Acht Mönche und ein Abt wohnen
hier, unter ihnen der Ehrwürdige
Acharya Pema Wangyal. Als drittes
Kind einer tibetischen Flüchtlingsfamilie wurde er in Odisha, Indien,
geboren und besuchte die Bundesschule in Masuri, das um die 1700
Kilometer nördlich liegt. „Meine
Familie war finanziell nicht in der
Lage, viele Kinder zu erziehen“,
erklärt der kleinwüchsige Tibeter.
„Sie wollten ihren zweiten Sohn als
etwas Besonderes sehen.“ Wangyal ist in weinrote Tücher gekleidet.
Das schwarze, kurzgeschnittene
Haar betont sein eher breites, rundes
Gesicht. „Damals in den 1970ern
war die Schule in Masuri die Nummer eins des Tibetischen Exillebens
in Indien.“ Mit elf Jahren wurde
Wangyal Mönch im Kloster Thubten Sangag Choeling in Darjeeling.
„Anfangs weinte ich bei jedem Abschied von der Familie“, erzählt er.
„Oft fehlte das Geld, weshalb ich
sie bis zu zwei Jahre nicht zu Gesicht bekam.“
Im Wald verstreut wiegen sich
bunte Gebetsflaggen in der sanften Herbstbrise. „Die Mantras und
Gebete werden dauernd vom Wind
durchgelesen, wodurch positive
Schwingungen verbreitet werden“,
erläutert Wangyal. Ein schmaler
Weg schlängelt sich zum unteren
Eingang des Instituts. Der moderne
Bau des Instituts weist unverkennbar tibetische Merkmale auf: Dicke
Säulen stützen das von einem flachen Dach überdeckte, weiß gestrichene Gebäude. Über dem Eingang
thront prächtig golden, von zwei
knienden Gazellen umgeben, das
Rad der buddhistischen Lehre.
Im Gebetssaal ist es dunkel.
Sanft flackern die Kokosfettkerzen.
Es duftet nach Weihrauch. Auf der
Treppe, die zu den privaten Gemächern der Mönche führt, erklingen
Schritte. Jemand knipst das Licht
an. Jetzt entfaltet der Raum seine
volle Pracht.
Fortsetzung Seite 2
Sportstunde mit Asylbewerbern
In Planegg bei München fanden 200 Flüchtlinge in der Turnhalle eines Gymnasiums Quartier
E
ine Turnhalle als Schlafzimmer. Schultoiletten als Badezimmer – und die muss man mit 200
Fremden teilen. Mahlzeiten können
nur zweimal am Tag eingenommen
werden, da Rücksicht auf die Ramadan haltenden Moslems genommen werden muss. Aber nicht nur
die Sitten, auch die Sprachen sind
verschieden. Die Kommunikation
ist daher schwierig. Wie soll man
Zustände solcher Art unter Kontrolle bringen? So ein Job müsste doch
sicherlich gut bezahlt sein. Paolo
Puosi hat genau diese Aufgabe und
macht es gerne – ehrenamtlich. Der
dunkelhaarige, eher kleine Italiener
folgte 1990 seiner großen Liebe in
die bayerische Hauptstadt und ist
Impressum ..................................... 12
Nachschlag und Nachlese .............. 2
Mensch und Gesellschaft ............... 8
Sportlehrer an einem Gymnasium.
Seit Juli 2015 kümmert sich der 53jährige zweimalige Vater um neu
angekommene Asylbewerber aus
den Ländern Mali, Kongo, Syrien,
Afghanistan, Senegal, Nigeria, Burma, Eritrea, Albanien und Pakistan.
Die ausschließlich männlichen
Flüchtlinge im Alter von 18 bis
30 Jahren sind übergangsweise in
der gymnasialen Dreifachturnhalle
des Feodor-Lynen-Gymnasiums in
Planegg bei München untergebracht.
Puosi agiert als Koordinator. Zu der
Aufgabe kam der Hilfsbereite durch
seine Mitgliedschaft im örtlichen
Benefizverein „Würmtaler Asylhelferkreis“. „Als Koordinator muss
ich den Kontakt zum Landratsamt
Kult und Kultur ........................... 3
Jugend und Wirtschaft............... 4
Freizeit und Fernweh.................. 9
und mit der Gemeinde und Firmen
pflegen, die gerne erfolgreiche Asylbewerber bei sich in die Lehre nehmen, den Helferkreis strukturieren
und Kontakt zu den Securitybeauftragten halten“, erklärt Puosi. Seine
erste große Aufgabe bestand darin,
eine Struktur in die rund 80 freiwilligen, einheimischen Helfer aus allen
Berufsbranchen zu bringen. „Wir
haben verschiedene Teams, wie das
Medizin- oder das Sportteam aufgebaut, um die Aufgabenbereiche zu
trennen und so effektiver zu arbeiten. Im Medizinteam sind beispielsweise die ehrenamtlichen Ärzte tätig.“ Anfangs musste Puosi noch bei
verschiedenen Gruppen mithelfen.
Fortsetzung Seite 2
Schule und Beruf ................ 10
Sport und Spaß ....................11
Vermischtes......................... 12
ange
Menschenschlangen
stehen am Check-in-Schalter.
Sie wollen dem stressigen Alltag
entfliehen und freuen sich auf Sonne, Strand und Meer. Das Flughafenbistro ist gut besucht, die Leute sitzen bei Kaffee und Kuchen
während sie darauf warten, dass ihr
Flieger aufgerufen wird. Auf dem
Spielplatz des Flughafens spielen
kleine Kinder auf einem Holzflugzeug und können so einmal selber
Pilot sein.
Montags ist immer ein anstrengender Tag am Kassel Airport, wie
man am Informationsschalter des
Flughafens hört. An diesen Tag
geht jeweils um 14.10 Uhr und
14.40 Uhr ein Flieger der Fluggesellschaft Germania nach Heraklion auf die griechische Insel Kreta
und nach Antalya im Südwesten
der Türkei. Abends um 19.30 Uhr
hebt noch eine Maschine Richtung
Palma de Mallorca ab. Insgesamt
starten und landen am Flughafen in
der Woche zurzeit 12 Verkehrsflugzeuge, ausschließlich betrieben von
Germania.
Während die einen darauf warten einzuchecken, kommen aus
der Ankunftshalle braun gebrannte
Menschen. Sie alle waren auf der
griechischen Insel Kreta. „Nächstes
Jahr fliegen wir wieder von Kassel
aus nach Griechenland“, sagt ein
Rentnerpaar. Ein anderes Paar aus
Südniedersachsen berichtet hingegen, dass sie den Flughafen als eine
Verschwendung von Steuergeldern
ansehen und sich nur aufgrund der
im Vergleich zu Hannover und Paderborn günstigeren Preise für Kassel entschieden hätten.
Der Flughafen stand schon
mehrfach öffentlich in der Kritik,
nicht nur aufgrund seiner Kosten in
Höhe von 271 Millionen Euro, sondern auch deshalb, weil die Region
Nordhessen bereits ausreichend mit
naheliegenden Flughäfen versorgt
ist und der Flughafen deshalb von
den Kritikern als überflüssig angesehen wird. Nur 57 Kilometer Luftlinie weiter befindet sich der Flughafen Paderborn-Lippstadt, aber
auch bis zum Flughafen Hannover
sind es nur 110 Kilometer, und der
Flughafen Frankfurt ist mit 153
Kilometern nicht viel weiter vom
Flughafen Kassel entfernt.
Dass der Flughafen als überflüssig angesehen werden kann, spiegelt sich auch im Passagieraufkommen wieder. Im Jahr 2014 sind etwa
30 000 Passagiere touristisch geflogen und 20 000 sind aus privaten
oder geschäftlichen Gründen geflogen. Es kam zu insgesamt 26 500
Flugbewegungen. Zum Vergleich:
In Frankfurt gibt es am Tag rund
1350 Flugbewegungen, und etwa
200 000 Passagiere werden dort
täglich abgefertigt.
Trotzdem ist der Flughafen bei
den Menschen aus Kassel und Umgebung beliebt. „Es herrscht hier
eine familiäre Atmosphäre, kurze
Anreise, eine schnelle Abfertigung
des Gepäcks. Außerdem kann man
kostenlos parken. Auf anderen
Flughäfen bezahlt man fürs Parken
einen Haufen Geld“, sagt ein junges Paar, das sich auf dem Urlaub
in Antalya freut.
Tobias Müller-Eigner
Felix-Klein-Gymnasium, Göttingen
kleine zeitung
Nachschlag und Nachlese
Seite 2/Ausgabe 4/Dezember 2015
Zeitung in der Schule mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland
Sportstunde mit Asylbewerbern
Fortsetzung von Seite 1
Inzwischen diene er nur noch als
Dirigent. „Wir haben eine Struktur
geschaffen, die gut funktioniert.
Am Anfang war das schwierig, weil
ich nicht wusste, welche Probleme
auf uns zukommen werden. Und
seit wir ein breites Bild haben, von
dem, was die Menschen brauchen,
vom Sprachunterricht bis zum Klopapier, können wir besser agieren.“
Es gibt Dolmetscher für Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Farsi, Paschtun und Arabisch.
„Mit diesen Sprachen erreichen
wir eine gewisse Anzahl, die dann
die Informationen in ihrer eigenen
Sprache an Gleichsprachige weitertragen können. Und so klappt die
Kommunikation eigentlich von Tag
zu Tag besser“, erläutert der sonnengebräunte, aus Apulien stammende Puosi. Kulturdifferenzen
erschweren den reibungslosen Ab-
lauf. Beispielsweise gab es schon
Konfrontationen zwischen Albanern und Schwarzafrikanern, als ein
Senegalese in ein Waschbecken urinierte, da er den Zweck des für ihn
fremden Alltagsgegenstands falsch
interpretiert hatte.
Nachtruhe ist ab 22 Uhr. Ansonsten haben die Flüchtlinge nicht viel
zu tun. Nach drei Monaten darf ein
Asylbewerber für 1 Euro einer Beschäftigung nachgehen, zum Beispiel in der Turnhalle putzen oder
auf dem Gelände Müll sammeln.
Ansonsten betreiben viele Sport,
erkunden mit gesponserten Fahrrädern die Umgebung oder lernen
Deutsch. „Jeden Tag, wenn ich
komme, höre ich immer ein paar
Worte mehr, wie ‚Hallo‘, ‚Auf Wiedersehen‘, ‚Tschüss‘, und das freut
mich natürlich“, sagt Puosi.
Jonah Lego
Elsa-Brändström-Gymnasium, München
Erleuchtung in der Schweiz
Fortsetzung von Seite 1
Zentral positioniert steht der
reich geschmückte Thron des Dalai
Lama, auf dem einem sein Foto entgegenlächelt. Zur Rechten befindet
sich ein Tisch, auf dem sich Schalen
mit frischen Früchten, silberne Gefäße, randvoll mit Wasser, Kokosfettkerzen und farbenprächtige Blumen aneinanderreihen. Ein etwas
zerbrechlich wirkender, alter Mann
schreitet schweigend um die Ecke
zu dem großen, goldenen Gong.
Tiefe Vibrationen durchdringen die
Stille. Drei weitere Mönche und
der Abt nehmen hinter niedrigen
Tischen auf karminroten Sitzkissen
Platz. Auch ein älterer Schweizer
nimmt an der Morgenmeditation
teil, die öffentlich zugänglich ist.
Nach dem Tibetaufstand in Lhasa
im Jahr 1959 suchten mehr als hunderttausend Tibeter Zuflucht im
nepalesischen und indischen Exil.
Die Schweiz nahm 1961 als erstes
westliches Land tausend tibetische
Flüchtlinge auf. Wangyal scherzt:
„Den Schweizern gefiel es wohl,
dass wir ebenfalls aus den Bergen
stammen.“ Im Oktober 1964 boten
die Gebrüder Jacques und Henri
Kuhn den Tibetern in Rikon Arbeit
in ihrer Metallfabrik an. Produziert
wurden Töpfe und Pfannen. Der
Dalai Lama schickte fünf Mönche
in die Schweiz zur seelsorgerischen
Betreuung der Tibeter – eine schwierige Aufgabe. „Den Tibetern in der
Schweiz fehlt es oft an Zeit. Die
jungen bringen eher wenig Interesse
für die Kultur auf. Ihr Blick ist mehr
auf Politik und Arbeit gerichtet.“
Die Fabrikantenfamilie Kuhn stellte auch das Land und den Großteil
der finanziellen Mittel für das Kloster zur Verfügung. 1968 fand die
Klosterweihe statt. Der Dalai Lama
kommt regelmäßig zu Besuch.
Wangyal ist seit 2001 Mitglied
des Indo-Tibetan Friendship Movement. „Wir veranstalten beispielsweise Demonstrationen gegen die
Unterdrückung durch China. Ein
Freund wollte, dass ich da mitmache, also ging ich hin und fand es eigentlich ganz okay.“ Seine dunklen
Mandelaugen lächeln. „Viele Kurse
des Tibet-Instituts werden mehr von
Schweizern besucht als von den
rund achttausend Tibetern in der
Schweiz.“ Manchmal kommen Leute auch mit falschen Vorstellungen
her. Wangyal erinnert sich amüsiert:
„Einige dachten tatsächlich, Mönche fassten keine Frauenhände an.“
Von vielen Tibetern besucht wird
das Institut an den Feiertagen, wie
etwa an Losar, dem Neujahrsfest im
Februar. „Während die Erwachse-
nen beten, spielen und schreien die
Kinder. Die jüngere Generation hilft
mit den Vorbereitungen in der Küche.“
Der Vorsänger richtet sein Mikrofon und stimmt einen tiefen
Singsang an, in den die Übrigen
einstimmen. Die Augen geschlossen
oder auf einen bestimmten Punkt
fixiert, wiegen sie ihre Oberkörper
sanft zum monotonen Gesang. Als
Vertreter der Kagyu-Schule, einer
der vier Hauptrichtungen des tibetischen Buddhismus, kam Pema Wangyal im Jahr 2006 im Rahmen des
Projekts „Science meets Dharma“
in die Schweiz. Das Ziel: den Tibetern in den Exilklöstern die westliche Wissenschaft näherbringen. Die
jungen Mönche werden wöchentlich
mehrere Stunden in den Grundlagen
von Chemie, Physik, Mathematik
und Biologie unterrichtet. „Schon
Buddha lehrte über die Atome“, sagt
Wangyal. Gemäss seiner Lehre bestehen alle wahrnehmbaren Objekte
aus einer Vielzahl von dharmas oder
dhammas, wie sie im Pali, einer
Variante des Altindischen heißen.
Diese sind kleinste Bausteine der
Erfahrungswelt, die in ständiger Bewegung sind, woraus für Buddhisten folgt, dass nichts Bestand hat.
Ihr Wissen eignen sich die Mönche auch im Selbststudium oder
durch Debatten mit den anderen
Mönchen an. Dazu kommt die
Sprachschulung in Deutsch und
Englisch. Die öffentliche Bibliothek ist mit mehr als zwölftausend
Titeln eine der größten tibetischen
Bibliotheken weltweit. Neben den
alltäglichen Ritualen, wie etwa den
gemeinsamen Gebeten, oder dem
Studium in den Zellen, haben die
Mönche auch noch andere Aufgaben: „Ist jemand todkrank, so lassen
uns die Familienangehörigen für ihn
beten, oder wir werden in das Haus
der Familie eingeladen, wo wir einen Tag lang für sie beten.“
Die Mönche läuten die Gebetsglocken, die auch erklingen, wenn
den Bodhisattvas und Buddhas geopfert wird. Der Abt zieht eine hölzerne Gebetskette aus einer Schleife
an seinem Gewand hervor und wickelt sie in besonderen Handstellungen um die Finger. Langsam klingt
der Singsang ab. Noch zweimal erhebt der Vorsänger seine Stimme,
dann erheben sich die Mönche, um
ihr Frühstück einzunehmen, das anders als das tibetische oder indische
Mittag- und Abendessen westlich
ist: Butterbrot mit Marmelade.
Michelle Gugger
Kantonsschule Zürcher Oberland
Wetzikon
Obwohl Rauchen tödlich sein kann, ist Tabak legal – warum nicht auch Gras?, fragt sich mancher.
Gefährliche Geschäfte
Fortsetzung von Seite 1
Dann braucht man später zumindest nicht mehr regelmäßig in den
Wald zu fahren, Leute auszuziehen
und auszupeitschen.“ Michael lacht.
Der Fahrer des Wagens auch. Verfliegender Zigarettenrauch hüllt die
idyllische Szene sanft ein. Michael
macht zwar Scherze, meint es jedoch todernst. Auf seinem Gesicht
formt sich ein leicht schiefes und
doch selbstsicheres Grinsen. Gewalt ist in seinem Alltag eben ein
gängiges Mittel und ganz normal.
„Für mich ist es ein geiles Leben,
ich kann machen, was ich will.“
Der Hesse dealt hauptsächlich
Gras, Hasch, Kokain, Amphetamin
und Ecstasy. Längst vertickt er seine
Stoffe nicht mehr selber klischeehaft
in der U-Bahn-Station an die Endkonsumenten. Er hat sich hochgearbeitet. Heute ist er nur noch damit
beschäftigt, den Verkaufsgewinn
von seinen sorgsam ausgewählten
„Läufern“ einzusammeln und Stoffe auf Kommission nachzubestellen. Bei der Auswahl der Ware legt
Michael viel Wert auf beste Qualität
zu besten Preisen, denn das seien
die zwei entscheidenden Faktoren,
um sich dauerhaft in der Branche
etablieren zu können.
Auf Michaels Gesicht zeichnet
sich der Anflug eines Lächelns ab,
als er gesteht, er glaube an Karma.
Regelmäßig spendet er Geld an
gemeinnützige Einrichtungen. Auf
die Frage, ob er aufgrund seiner
illegalen Geschäfte mit teils süchtigen Konsumenten ein schlechtes
Gewissen habe, reagiert er gelassen.
Schließlich verkaufe er nur, was er
auch selber kenne und verzichte
zum Beispiel auf Heroin. „Dermaßen kaputte Menschen werden nicht
nur schnell gewalttätig, sondern
können auch oft ihre Stoffe nicht
mehr bezahlen.“
Michael ist mit seiner Auffassung, Konsumenten seiner Drogen
würden nur psychisch süchtig, nicht
physisch, und seien daher jederzeit selbst für sich verantwortlich,
nicht alleine. Auch Sascha (Name
geändert), ehemaliger Händler aus
Ostdeutschland, teilt diese Auffassung. „Ob der Edeka-Mitarbeiter
dem Alkoholiker die Flasche Wodka oder ich dem Technofan sein
Speed verkaufe, macht moralisch
gesehen keinen Unterschied. Meine Konsumenten waren meist nicht
süchtig.“ Er hat mit seinen 19 Jahren alle Drogen, die er verkaufte,
vorher auch selbst genommen. Mit
11 Jahren trank er das erste Mal
Alkohol. Danach probierte er Gras
mit 15 auf einer Feier, kurz darauf
folgte Speed. Im Alter von 16 Jahren lernte Sascha die Wirkung von
Pilzen kennen. Nebenher hat er mit
einem guten Abiturschnitt die Schule abgeschlossen. „Früh übt sich,
wer einmal erfolgreich im Geschäft
werden will“, sagt Michael. „Die
Stoffe bekommt man auf verschiedenen Wegen. Gras wird vor allem
im Inland angebaut, anderes muss
entweder eingeschmuggelt oder
selbst hergestellt werden.“ Kleinere
Händler wie Sascha beziehen ihre
Ware von Bekannten, die sie von
anderen Bekannten haben und so
weiter. „Fast schon eine Regel ist,
dass dich jeder Verkäufer verarscht,
wenn du ihn nicht persönlich kennst.
Sogar ich habe bei großen Idioten
Gras und Speed mit Damiana gestreckt. Oder mit Koffein. Keine
Ahnung, ob das gesund ist. Wir haben hier meist mit harmlosem Zeug
wie Fructose gestreckt. Sachen wie
Haarspray im Gras oder Brix, eine
Mischung aus Flüssigkunststoff und
Zucker, in der das Kraut gewälzt
wird, kommen aber auch immer
öfter vor.“ Deutsche Konsumenten
sind im Spiel zwischen Justizsystem und Dealer meist die hilflosen
Verlierer. Sogenanntes „Drug Checking“, also das Prüfen illegaler
Substanzen auf dessen Reinheit und
den Wirkstoffgehalt, ist in einigen
europäischen Nachbarländern beispielsweise häufig vor namenhaften
Clubs anzutreffen. In Deutschland
finden sich solche Anlaufstellen nur
extrem selten.
Frederic, ein 24 Jahre altes Mitglied der Hanf-Initiative-Frankfurt
(HAI), findet das bedenklich. „Hier
könnte man die Konsumenten erreichen und gegebenenfalls Hilfestellung für den Ausstieg aus der Szene
anbieten. Leider macht die deutsche
Politik viel zu wenig, um gegen das
Problem gefährlich gestreckter Drogen vorzugehen.“
Die HAI spricht sich unter anderem deswegen für die Legalisierung
von Industrie- und Medizinalhanf
aus. Ohne sich aus seiner entspannten Sitzposition auf einem metallenen Stuhl im Hinterhof des stillen
Frankfurter Cafés zu lösen, blickt
Frederic von seiner vierten Tasse
Café Latte auf. „Warum bestraft
man Menschen für Selbstschädigung, die sich dessen bewusst sind
und niemand anderem schaden?“ Er
sieht zu Ingrid Wunn, der 54-jährigen Gründerin der Hanf–Initiative,
herüber. „Legal, illegal, scheißegal!“, sagt Ingrid Wunn. Ihre Hand
zittert, als sie die Tasse Kaffee zum
Mund führt. „Solange die Konsumenten problemlos an ihren Stoff
Foto Gregor Brzezinski
kommen, sehen sie keine Notwendigkeit, sich den mit dem Kampf für
Legalisierung verbundenen Stress
anzutun. Man wird sofort verdächtigt, selber Drogen zu konsumieren,
und dann kommen die Vorurteile.“
Die Gründerin versucht selbst die
nur geringfügig aktive Beteiligung
der Frankfurter Szene an ihrer Initiative irgendwie positiv zu sehen.
Wild mit den Händen gestikulierend
scherzt sie, die meisten Leute wären nach einem Gruppentreffen mit
der Initiative so geschockt, dass sie
nie wieder vorbeikämen, sie hätten
schließlich eine „fröhliche Kifferrunde“ und keine produktive Arbeitsgemeinschaft erwartet. Abermals umfasst sie mit beiden Händen
leicht zitternd ihre Tasse. Ingrid
Wunn leidet unter einer seltenen
Erkrankung und nimmt, in Absprache mit ihrem Arzt, legal Medical
Marihuana zur Linderung ihrer Beschwerden ein.
„Legalisierung? Natürlich verstehe ich, dass die Leute sich das
nicht verbieten lassen wollen. Aber
das heißt ja nicht, dass Kiffen gut
ist. Das Zeug braucht man im Leben nicht, wozu also legalisieren?“
Sascha, der ehemalige Drogenhändler, will heute mit Drogen aller Art
nichts mehr zu tun haben. „Ich war
auf Piece und eine Zeit lang jeden
Tag zu jeder Stunde high. Das wird
gerne verharmlost, ich finde es zumindest bedenklich. Für mich war
Amphetamin aber das Bösartigste.
Irgendwann war ich paranoid und
habe kaum noch gepennt. Die Dealer, die ich kannte, haben das alle
nicht gerne gemacht. Einige haben
Familie und brauchten das Geld.
Viele sind selber süchtig. Ich glaube, eigentlich hätten die meisten
Dealer lieber ein geregeltes Einkommen und nicht die ganze Zeit
Angst davor, aufzufliegen.“
Michael dagegen liebt sein Leben
und vor allem das Geld. Doch auch
er gibt zu, dass es das Ziel eines jeden großen Dealers sei, irgendwann
alles legal abzuwickeln. „Die Legalisierung von Cannabis wäre dazu
der falsche Weg. Sie würde einerseits mein Geschäft schädigen und
andererseits den Nachfrageschwerpunkt auf härtere Drogen verschieben. Und die sind schlechter an die
breite Masse verkäuflich.“ Der Motor des BMWs beginnt zu brummen.
Der Wagen setzt sich in Bewegung.
Steinchen spritzen unter den Reifen
weg über den Waldweg, sodass für
kurze Zeit eine Fährte aus Staub den
BMW verfolgt.
Marie-Friederike Naumann
Marienschule, Fulda
kleine zeitung
Kult und Kultur
Seite 3/Ausgabe 3/September 2014
Zeitung in der Schule mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland
Die guten Geister der Stadt ehren
Sonne, Mond
und Sterne
Die Stadt Göttingen ist stolz auf ihre Universität und die acht aus ihr hervorgegangenen Nobelpreisträger
S
tadt, die Wissen schafft
– dieses Motto hat sich
Göttingen zum Programm
gemacht, was vor allem an seiner
auch weit über Deutschland hinaus bekannten Universität Georgia
Augusta liegt. Sie genießt einen
sehr guten Ruf und kann sich mit
vielen bekannten Persönlichkeiten brüsten. Die Beliebtheit der
Universität ist für die Göttinger
ständig zu spüren. Nicht umsonst
wird die Stadt immer wieder als
Studentenstadt bezeichnet. Wer
durch die Innenstadt läuft, begegnet
besonders im Bereich des Campus
vielen jungen Leuten, die die Stadt
bereits seit Jahrzehnten prägen.
Das liegt vor allem daran, dass es
in den zwanziger und dreißiger
Jahren des vergangenen Jahrhunderts dem bedeutenden Mathematiker Felix Klein gelang, viele
Wissenschaftler, die für ihre herausragenden Forschungsergebnisse mit dem Nobelpreis, zumeist in
naturwissenschaftlichen Fächern,
geehrt wurden, nach Göttingen zu
holen. Unter ihnen befinden sich
Persönlichkeiten wie Max Born
(Physik), Otto Hahn (Chemie) und
Max Planck (Physik).
Acht der mehr als vierzig Nobelpreisträger, die Verbindungen zur
Universität Göttingen hatten, sind
auf dem alten Göttinger Stadtfriedhof begraben. Um ihnen zu gedenken, wurde anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Friedhofs vor
einigen Jahren ein Nobelrondell
errichtet, das über die Geschichte
des Nobelpreises und dieser acht
Preisträger informiert. „Schön,
dass noch heute, lange Zeit nach ihren großen Erfolgen, an das Wirken
der Wissenschaftler erinnert wird“,
sagt die Besucherin Petra Schrader,
die das Rondell betrachtet, das die
Form des Gauß’schen Siebzehnecks
aufweist und so gleichzeitig dem
Mathematiker Carl Friedrich Gauß
ein Denkmal setzt.
In der Mitte steht eine Säule
mit einem Bild von Alfred Nobel,
in dessen Namen bis heute die
berühmten Ehrungen verteilt wer-
Wie ein Festival durch Drogen
beinahe zum Desaster wird
B
Das Nobelrondell auf dem Göttinger Stadtfriedhof erinnert an die dort begrabenen Nobelpreisträger.
den. Das Rondell liegt am Rande
des Stadtfriedhofs in einer ruhigen Ecke direkt an einem kleinen
Teich mit Seerosen. Es wurde am
Ende eines breiten Weges errichtet
und hebt sich von den umliegenden
Grabstätten ab. Ohne das Rondell
würde kaum jemandem klar sein,
welche bekannten Persönlichkeiten
an verschiedenen Stellen auf dem
Friedhof begraben sind, da die
Gräber unscheinbar und teilweise
auch ziemlich verwildert sind. Nur
dem genauen Betrachter springt der
eine oder andere bekannte Name ins
Auge, doch auch jener ist ohne einen Plan des Geländes mit entsprechenden Kennzeichnungen nahezu
aufgeschmissen. Aufgrund dieser
erfolgreichen Wissenschaftler zog
die Göttinger Universität auch in den
darauffolgenden Jahrzehnten hochkarätige Forscher an. Zurzeit sind
drei Nobelpreisträger in Göttingen
wohnhaft, die eng mit der Universität verbunden und in verschiedenen
Bereichen dort tätig sind.
Manfred Eigen studierte in
Göttingen Physik und Chemie und
erhielt im Jahr 1967 den Nobelpreis
für Chemie für die Untersuchung
von sehr schnellen chemischen
Reaktionen, was zu der Zeit einen
großen Durchbruch darstellte. 1991
folgte der Nobelpreis ebenfalls für
Chemie für Erwin Neher, der die
Funktion von Ionenkanälen innerhalb von Zellen erklären konnte.
Die jüngste Ehrung wurde 2014
dem Chemiker Stefan Hell zuteil.
Seit Ende der achtziger Jahre verfolgte er die Idee, dass es möglich
sein müsse, die Auflösungsgrenze von Mikroskopen erheblich zu
unterschreiten, um noch genauere
Abbilder der untersuchten Präparate bekommen zu können. Wie er
in einem von der Max-Planck-Gesellschaft veröffentlichten Interview berichtet, war es zunächst sehr
schwer, Wissenschaftler von seiner
Idee zu überzeugen und Mittel dafür
zu bekommen, auch weil sein Thema mehrere naturwissenschaftliche
Bereiche in sich vereinte, er also in
kein Institut wirklich hineinpasste
und zudem keinen Mentor hatte, der
auf einem ähnlichen Gebiet arbeitete. Nach langem Suchen bekam er
1997 die Chance, fünf Jahre lang in
Foto Pauline Schrader
Göttingen zu forschen und sich und
seine Idee zu beweisen. Nach mehr
als zehn Jahren intensiver Arbeit
gelang es ihm schließlich, mithilfe eines praktischen Experiments
den endgültigen Beweis für seine
Idee zu liefern, wofür er dann mit
dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Neben seiner Arbeit als Leiter
der Abteilung Nanobiophotonik
und einer Honorarprofessur an der
Universität Göttingen setzt sich
Stefan Hell für Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen
ein. Dieses große Engagement liegt
wohl vor allem daran, dass er selbst
es zu Beginn nicht leicht hatte, mit
seiner Idee Fuß zu fassen und er
deshalb jungen Menschen mit tollen
Ideen helfen möchte, diese umzusetzen.
Menschen wie Hell hat die
Universität Göttingen ihren Ruf zu
verdanken, und dass sowohl jedes
Semester viele Studenten dort ein
Studium beginnen als auch viele
wissenschaftliche Mitarbeiter an
den Instituten arbeiten wollen.
Pauline Schrader
Felix-Klein-Gymnasium, Göttingen
Auf der koreanischen Welle reiten
Die südkoreanische Popmusik versetzt die Fans weltweit in Begeisterung / Manche lernen dafür sogar Koreanisch
D
urchdrehen, kreischen, weinen, lachen und mitsingen. So
sind die Fans. Nicht wegen Hollywood-Musik oder Bollywood-Musik, sondern wegen K-Pop. Knallig, gestyllte Boy- und Girlgroups,
abstrakte und mit Choreographie
gestaltete Musik-Videos und um
Liebe, Freundschaft und Familie
handelnde Themen sind kennzeichnend für K-Pop, was für Korean
Popular Music steht und ein musikalisches Genre bezeichnet, das sich
in den 1990er Jahren in der koreanischen Musikwelt entwickelte. Heute wird die Mischung aus Hip-Hop,
Soul und Rock weltweit gehört.
Wenn man über K-Pop spricht,
kommt einem vielleicht der koreanischer Sänger Psy in den Sinn, der
für seine Single „Gangnam Style“
und für seine verrückte Choreographie auf der Videoplattform Youtube
berühmt wurde. Doch es gibt noch
andere Gruppen, die die Welt mit
ihrer Musik zu erobern versuchen.
Dafür braucht man jedoch Geduld
und viel Fleiß.
So werden die Sängerinnen und
Sänger bis zu sieben Jahre lang
von einem koreanischen Unterhaltungsunternehmen ausgebildet. Sie
werden in Sprachen, in Tanzen, in
Singen und sogar in Manieren und
Benehmen trainiert. Die Auszubildenden bekommen in dieser Zeit
Punkte für ihre Fortschritte. Erst
wer viele Punkte erreicht hat, wird
in eine Gruppe miteinbezogen und
wird öffentlich als Sänger bekanntgegeben.
Doch auch nach der harten Probezeit ist es für die Sänger nicht
einfach. Denn die zahlreichen Trainings, die sie absolvieren, werden
von der Agentur bezahlt. Doch dieses Geld wird vom Lohn der Sänger
abgezogen, so bekommen sie wenig
Geld, müssen dafür aber hart arbeiten. Ob sie mehr oder weniger bekommen, hängt dann von den Fans
ab.
Die zahlreichen Auszeichnungen,
die die koreanischen Gruppen und
Sänger heimholen, zeigen die wachsende Popularität von K-Pop. So
gewann zum Beispiel die Boyband
Exo 2013 den Titel „World’s Best
Song“. Die aus acht jungen Frauen
bestehende Girlband Girl’s Generation, auch einfach GG, SNSD oder
SoShi genannt, holte sich neben vielen anderen Auszeichnungen zuletzt
die für das beste Video des Jahres
2014. Viele Menschen werden von
der koreanischen Popmusik beeinflusst und schließen sich den anderen K-Pop-Fans an. Sie sind verrückt nach K-Pop, genau wie Sinthu
Selvaranjan. Knallig, schwarz und
weiß hängen überall an den Wänden
ihres Schlafzimmers viele Poster
von koreanischen Gruppen. Nicht
einmal eine kleine Lücke ist erkennbar. Von Socken bis zu Haarspangen
ist alles mit Fotos und Namen der
Gruppen eingraviert. Aus dem weißen Kopfhörer, den die langen, offenen, schwarzen Haare verdecken,
drängt laute Musik in den Raum.
Die etwa 1,60 Meter große, 20jährige Tamilin arbeitet als Lehrling in Hirslanden, einem Spital in
Zürich. Von montags bis mittwochs
geht sie zur Arbeit und von donnerstags bis freitags zur Schule. An Wochenenden muss sie für die bevorstehenden Prüfungen lernen. Es ist
alles nur stressig, doch K-Pop ist die
einzige Erlösung aus ihrem überfüllten Alltag. „Ohne K-Pop weiß
ich nicht, wie ich leben würde.“
Sinthu Selvaranjan kommuniziert jeden Tag mit anderen Fans aus
allen Ländern, hauptsächlich geht es
um K-Pop und die Neuigkeiten in
der koreanischen Popmusik, doch
ab und zu schreiben sie auch über
ihr eigenes Leben, was sie so heute
gemacht haben und lernen sich so
gegenseitig kennen. Viele vereinbaren Termine, an denen sich alle Fans
aus ihrem Land treffen und kennenlernen können. Einige gehen sogar
extra nach Korea, um Konzerte zu
besuchen und ihre Lieblingsgruppen live zu sehen.
„Die meisten von uns können
weder flüssig Koreanisch sprechen
noch verstehen, doch für uns ist die
Musik die gemeinsame Sprache.“
Mit K-Pop kommen viele Fans auch
mit mit koreanischer Kultur in Kontakt. Um die Songtexte zu verstehen,
lernen sie Koreanisch, doch auch
Englischkenntnisse werden verbessert. „Ich komme aus Sri Lanka“,
sagt Sinthu Selvaranjan. „Meine
Kultur ist ganz ähnlich wie die der
Koreaner. Ich fühle mich verbunden
mit ihnen durch Musik und durch
Kultur.“ Aber für die Fans aus anderen Kontinenten ist die koreanische Tradition eine komplett andere
Welt, und dies treibt sie dazu, diese
näher kennenzulernen.
Suvathika Selvaranjan
Kantonsschule Limmattal, Urdorf
ereits zum neunten Mal fand
das Sonne-Mond-Sterne-Festival nahe des kleinen Ortes Saalburg-Ebersdorf, direkt an der Bleilochtalsperre, dem volumenmäßig
größten Stausee Deutschlands,
statt. Das Motto war: „Simmung
machen und die Menschen in eine
andere Dimension befördern.“ Das
scheint weitgehend gelungen, wenn
auch in einem anderen Sinn als gemeint. Denn am Ende des Festivals
gab es 200 Anzeigen auf Grund von
Drogenbesitzen, die Polizei geht
aber von einer weitaus größeren
Dunkelziffer aus.
Dabei sei durch die Freizeitangebote am Stausee die Zeit zwischen
den Auftritten der DJs auch anders
zu überbrücken gewesen, sagt Luisa
Helten, die zum ersten Mal das Festival besuchte. Unter den DJs, die
zum Thema Electro Lieder mischten, befanden sich namhafte Größen
wie Calvin Harris, Steve Aoki, Alle
Farben und Robin Schultz. Die Anzahl der Besucher erhöhte sich im
Vergleich zum Vorjahr von 35 000
auf 65 000. Auf Grund dieser Menschenmassen waren die Campingplätze und das Festivalgelände
überfüllt. Dennoch erlebte Luisa
den Großteil der anderen Festivalbesucher als offen und freundlich.
Nur wenige waren ihrer Meinung
nach unfreundlich, was aber an dem
übermäßigen Alkoholkonsum gelegen haben kann.
Alkohol war an diesen Tagen
aber nicht die einzige Droge. Die
Folgen aus einem so gewaltigen
Konsum zeigten sich am letzten
Abend. Zu diesem Zeitpunkt wunderten sich die Teilnehmer über
einen Helikopter, der oberhalb eines der Campingplätze kreiste, sie
wussten allerdings noch nichts von
dem schweren Unfall, der sich ereignet hatte. Erst als Luisa zuhause
war, erfuhr sie, dass ein stark betrunkener Mann mit einem Pocketbike in ein Zelt gefahren sei. Dabei
verletzte sich die im Zelt befindliche Frau schwer und musste sofort
in das nächstgelegene Klinikum geflogen werden.
Aber nicht nur deswegen war der
Festivalbesuch für Luisa ein unvergesslichen Ereignis. Die Live-Acts
wurden auf dem riesigen Festivalgelände auf verschiedenen Bühnen
vorgetragen, in einem der Partyzelte trat Robin Schultz auf. Rücksichtsvoll begegneten die anderen
Luisa dabei nicht, weshalb sie sich
nicht lange in der Menschentraube am Eingang aufhielt. Zu ihrem
Glück wurden sie und drei andere
durch einen Seiteneingang ins Zelt
gelassen.
Noch während das letzte Lied
gespielt wurde, verließen einige
darunter auch Luisa das Zelt, um
sich auf den Weg zur Mainstage
zu machen. Der Hauptact stand auf
dem Programm, sein Name Calvin
Harris. Seine Electro-Musik erfüllte jeden Winkel des Festivals, und
man hatte das Gefühl, es hielte sich
jeder nahe der Bühne auf. Selbst auf
dem Stausee waren hunderte Boote
zu erkennen, die sich Calvin Harris
nicht entgehen lassen wollten.
Zum krönenden Abschluss wurde ein Feuerwerk von einem großen
Schiff aus entfacht, dies erleuchtete
das gesamte Festivalgelände. Ein
besseres Finale kann man sich nicht
vorstellen, schwärmt Luisa. Auch
wenn es einige schlechte Erlebnisse in der Zeit gab, würde sie auch
nächstes Jahr erneut teilnehmen.
Patrick Feulner
Felix-Klein-Gymnasium, Göttingen
Jugend und Wirtschaft
kleine zeitung
Seite 4/Ausgabe 4/Dezember 2015
Ein Projekt des Bundesverbandes deutscher Banken und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der Höhenflug der Werbung
Marketing am Rande des Weltalls: Eine Idee will hoch hinaus
U
nser erfahrenes Team von
Stratoflights bringt Ihre Marke
mit einem Stratosphärenballon in bis
zu 40 000 Meter Höhe und hält diese
magischen Momente mit Kameras
fest! Profitieren Sie vom weltweit
ersten und erfahrensten Anbieter für
kommerzielle Stratosphärenflüge!“
So beschreiben die drei Gründer
Marvin Rissiek, Tobias Lohf und
Marcel Dierig ihre Dienstleistung
auf ihrer Internetseite. Lohf studierte
Mechatronik, Dierig Wirtschaftswissenschaften und Rissiek Medieninformatik und Gestaltung, als sie ihre
Firma gründeten. Alles begann mit
ihrem Hobby, auf YouTube Kurzfilme hochzuladen. Dafür suchten sie
eine neue Projektidee. „Wir wollten
möglichst hoch hinaus“, beschreibt
Lohf die Idee für ihr erstes Video aus
der Stratosphäre. Sie entwarfen eine
Sonde aus Styropor mit Kamera, die
an einem Wetterballon hochfliegen
und per Fallschirm runterkommen
sollte. So machten sie ihre ersten Aufnahmen aus 25 Kilometer Höhe und
stellten diese auf YouTube ein. Über
Nacht hatten sie mehr als 100 000
Klicks. Auch SternTV wurde aufmerksam und wollte für seine 1000.
Jubiläumssendung am 7. März 2012
ein Video von einem Spielzeugmännchen mit einer SternTV Fahne in der
Stratosphäre. Stratoflights hatte seinen ersten Kunden.
Inzwischen haben sie 30 bis 40
Aufträge im Jahr und erzielen einen
Umsatz von 175 000 Euro. Weitere
Unternehmen wurden aufmerksam:
AMD, Heineken oder Škoda, aber
auch Fernsehsender. „Wir machen
jede Woche oder jede zweite einen
weiteren Flug“, erklärt Lohf. Zu den
Lieblingskunden gehören Werbeagenturen.
Bucht man einen Flug bei Stratoflights, so wird in Zusammenarbeit
mit dem Firmenkunden eine Geschichte entwickelt, und dann werden die Aufnahmen des Produkts in
der Stratosphäre gemacht. Die Kosten für ein solches Paket liegen im
vierstelligen Bereich. Die Materialkosten für eine Sonde betragen etwa
300 Euro (150 Euro für das Helium,
50 Euro für Styropor, Schnüre, den
Fallschirm etc., und 100 Euro für den
Wetterballon). Stratoflights hat auch
einen Onlineshop, in dem alles Nötige gekauft werden kann, um selbst
eine Sonde zu bauen und in die Stratosphäre zu befördern. Außerdem
wurde ein Tutorial erstellt und auf
YouTube hochgeladen, in dem erklärt wird, auf was man achten sollte.
Zum Beispiel braucht man eine Flugverkehrskontrollfreigabe von der
Deutschen Flugsicherung.
Ein Herr asiatischer Herkunft ist
Lohf besonders in Erinnerung geblieben. „Er wollte von uns, dass
wir zwei Wackelkopffiguren von
ihm und seiner zukünftigen Frau in
die Stratosphäre schicken und ein
Bild davon machen, damit er ihr mit
diesem Bild einen Hochzeitsantrag
machen kann.“ Im deutschsprachigen Raum gibt es nur zwei weitere
Unternehmen, die diese Dienstleistung anbieten. Sie heißen Stratoxx
und Weltraumwerbung. „Trotzdem
sind wir von Stratoflights aufgrund
unserer Referenzen und unserer Erfahrung Marktführer auf diesem Gebiet“, sagt Lohf.
Adam Szmidt
Gymnasium Ohmoor, Hamburg
Astrein soll das Sägen sein
Metallsplitter in Baumstämmen sind für Sägewerke eine große Gefahr
A
uf der Tagesordnung des
letzten Treffens des Waldbauernverbandes war wieder ein Thema hoch im Kurs: Der
Verkauf der erst kürzlich gefällten
mehr als einhundertzwanzig Jahre
alten Eichen. Obwohl sehr schön gewachsen, will sie nun kein Sägewerk
kaufen. Grund dafür sind kleinste
Metallsplitter im Inneren des Baumstamms, die äußerlich nicht erkennbar
sind. Johann Dirks, Forstamtsrat der
Landwirtschaftskammer Niedersachsen, erklärt: „Ich habe schon viel mit
solchem Holz zu tun gehabt. Auch
in Gesprächen mit meinen Kollegen
aus ganz Deutschland wurde deutlich, dass es überall Regionen gibt,
wo besonders viele Baumstämme
mit Metallsplittern versetzt sind. Das
können sogar noch Granatsplitter aus
dem letzten Weltkrieg sein, die bei
den starken Gefechten ins Holz gelangt sind. Aber natürlich gibt es auch
viele Nägel oder Reste von Drahtzäunen, die im Holz stecken.“
Inzwischen sind die meisten Splitter sehr gut im Holz verwachsen und
deshalb nicht erkennbar. Sägewerke
und Spanplattenhersteller haben daher Regionen für sich festgemacht,
aus denen sie kein Holz kaufen, da
ihnen die Gefahr zu groß ist, dass diese kleinen Metallsplitter ihnen beim
Aufsägen die Maschinen kaputt machen. Einzige Verkaufsmöglichkeit
für die Waldbauern sind dann kleine,
regionale Sägewerke. Doch die kaufen das Holz nur zu einem sehr geringen Preis. Holzhändler Hans Georg
Bunjes meint: „Bevor ich neues Holz
kaufe, frage ich immer erst nach, wo-
her das Holz stammt. Erkenne ich
dann eine mögliche Gefahr für meine Maschinen, nehme ich das Holz
gar nicht oder nur stark verbilligt.
So komme ich an Eichenstämme, die
eigentlich mehr als 500 Euro kosten.
Ich kann sie dann deutlich unter diesem Wert abnehmen.“ Für einzelne
Regionen und Waldbauern entstehe
so jedoch ein hoher wirtschaftlicher
Verlust, betont Dirks.
Bei der Verarbeitung dieser
Baumstämme entwickeln die Sägewerke mitunter eigene Methoden,
um ihre Maschinen zu schützen.
„Ich stelle mich an das Gatter der
Sägemaschine und beobachte jeden einzelnen Baumstamm, während er bearbeitet wird. Sobald sich
das Holz leicht lila verfärbt, halte
ich meine Maschinen sofort an.
Die Verfärbung deutet nämlich auf
Metallsplitter hin. Leider ist dieses
Verfahren ganz schön zeitaufwendig und nicht immer erfolgreich“,
erläutert Bunjes. Bei großen Sägewerken kann so ein Stopp schnell
einen Verlust von mehreren Hundert
Euro bedeuten.
Die 1994 gegründete Cassel
Messtechnik GmbH in Dransfeld hat
nun eine Maschine entwickelt, die
jeden Baumstamm vor der Bearbeitung untersucht. So lässt sich leicht
überprüfen, ob der Stamm überhaupt
Metallsplitter enthält. Neben der Entwicklung von Metalldetektoren für
die Holzindustrie entwickelt Cassel
Messtechnik auch andere Kontrollmaschinen für andere Industriebereiche. Der Umsatz liegt im zweistelligen Millionenbereich.
Die Anlage von Cassel Messtechnik kann gut in den Sägeplatz integriert werden. Über ein Förderband
gelangen die Baumstämme zum sogenannten Shark Octa, der vor der
eigentlichen Sägemaschine installiert
ist. Der achteckigen Durchlassöffnung folgt ein hochfrequentes elektromagnetisches Wechselfeld. Im
Innen- und Außenbereich des Stammes können so Metallteile erkannt
werden. Durch einen Metallsplitter,
es reicht schon eine Größe von sechs
Millimeter Durchmesser, erfährt das
Wechselfeld eine Änderung, die an
eine Auswerteelektronik weitergeleitet und aufbereitet wird. Der Sägewerksbetreiber kann daraufhin etwa
einen Meter aus dem Stamm heraussägen, in dem der für die Maschinen
gefährliche Splitter enthalten ist. Der
restliche Baumstamm wird über weitere Förderbänder zur eigentlichen
Sägeanlage transportiert und kann
dann aufgesägt werden.
Im Gegensatz zu anderen Firmen,
die ähnliche Metalldetektoren herstellen, ist das Messfeld des Shark
Octa mehr als zehnmal so stark. Er
kostet etwa 34 000 Euro und wird
vor allem in Deutschland verkauft.
Einige Maschinen stehen sogar in
amerikanischen Sägewerken. Peter
Richter, Vertriebsleiter von Cassel
Messtechnik, berichtet: „Momentan
werden zwei neue Metal Shark Octa
produziert. Der eine wird anschließend in Süddeutschland installiert.
Die andere Anlage wird nach Frankreich exportiert.“
Julia Klenke
Gymn. Bad Zwischenahn-Edewecht
Sie produzieren Töne aus Tuben Wo die Linke recht behält
Blasinstrumente sind auf dem Vormarsch
D
ie Wenzel Meinl GmbH hat
seit mehr als 200 Jahren Ahnung vom Tuten und Blasen. 1810
gegründet, erlebte Meinl nach dem
Zweiten Weltkrieg einen wirtschaftlichen Aufschwung, als der Vertrieb
in Geretsried neu errichtet wurde.
Seitdem sind die Instrumente aus den
Philharmonien dieser Welt, wie etwa
den New Yorker Philharmonikern
oder der Philharmonie Marseille,
nicht mehr wegzudenken. Bis Ende
2012 befand sich der Vertrieb in Familienbesitz, bevor er in die Buffet
Group überging. Die Exportquote
liegt bei 50 bis 60 Prozent, davon
gehen knapp 30 Prozent in die USA
und 15 Prozent nach Japan. Laut
Geschäftsführer Ferdinand Kleinschmidt liegt der Umsatz bei etwa
2,5 Millionen Euro. Man sei Marktführer im Bereich der Tuba. Die jährlich 250 produzierten Tuben machen
70 Prozent des Umsatzes aus, der
Rest entfalle auf kleinere Instrumente und Jagdhörner. Dabei decke man
zusammen mit der Marke B&S etwa
75 bis 80 Prozent des Profibereichs
und rund 60 Prozent des Amateurbereichs im Bereich Tuba ab.
Für die Herstellung werden laut
Kleinschmidt nur die Kupferbleche
bezogen, und zwar aus Deutschland, mitunter auch die Ventile, der
restliche Fertigungsprozess wie das
Erstellen der Grundformen und das
Zusammenbauen der Instrumente
werde von Hand durchgeführt. „Die
Montage für eine Tuba dauert 40 bis
80 Stunden ohne die Fertigung einzelner Teile“, sagt Kleinschmidt. Ob
vergoldet, versilbert, mit vier oder
fünf Ventilen versehen, unterschiedlich angepassten Mundrohren, unterschiedlich schweren Teilen oder mit
speziellen Lacken versehen: „Eigent-
lich ist alles möglich, oder besser gesagt, wir versuchen, alles möglich
zu machen“, sagt Kleinschmidt. Der
Preis einer Tuba liegt zwischen 8000
und 30 000 Euro. Die Materialkosten machen 20 bis 30 Prozent des
Endpreises aus. Das teuerste Serieninstrument sei eine B-Tuba, bei der
fast alle Instrumententeile in traditioneller Herstellungsweise produziert
werden, mit einem Preis von 24 000
Euro. Die Tuba mit den höchsten
Produktionskosten von 30 000 Euro
sei eine als Einzelstück gebaute
Doppeltuba gewesen. Sie habe sich
allerdings nicht durchgesetzt. Auch
Instrumente für Showacts stelle die
Firma her, wie zum Beispiel ein Sousaphon mit einem nach unten gerichteten Schallbecher für die Le SnobSegway Band.
Rund 20 Arbeiter beschäftigt das
Unternehmen, die neben der Herstellung auch für die Betreuung der
Musiker verantwortlich sind, damit
das optimale Instrument hergestellt
werden kann. Unterstützt wird das
Unternehmen durch das eigene Melton Tuba Quartett, in dem Ulrich
Haas seit knapp 30 Jahren Mitglied
ist. Haas ist auch Dozent an der
Folkwang-Hochschule in Essen und
Tubist bei den Duisburger Philharmoniker. „Wenn neue Sachen auf
den Markt kommen, die für uns interessant sind, dann bekommen wir Instrumente zugestellt, die wir dann im
Quartett testen, und wir geben dann
unsere Meinung dazu ab und dann
wird darauf reagiert“, erzählt er. „Der
Blechblasinstrumentenmarkt ist nicht
besonders schnelllebig, aber die Tendenz geht immer mehr zu kompakteren Tuben“, fügt Kleinschmidt an.
Stefanie Mattern
Landgraf-Ludwigs-Gymnasium, Gießen
D
Produkte für Linkshänder bilden eine nicht zu unterschätzende Nische
as mache ich doch mit
links“, heißt es, wenn
eine Tätigkeit so einfach
ist, dass man sie sogar mit der linken Hand meistert. Auch andere
Sprüche wie „Der hat doch zwei linke Hände“ und „Die ist ja mit dem
linken Fuß zuerst aufgestanden“
wecken negative Assoziationen.
„Rechts“ hingegen wird mit „recht“
und „richtig“ verbunden.
Früher wurden linkshändige
Kinder durch Zwang zu Rechtshändern und damit zur „Normalität“
umgeschult. „Aus Gesprächen mit
Besuchern unseres Ladens kennen
wir viele persönliche Geschichten.
Das reicht bis zu traumatischen
Erlebnissen, bei denen die Betroffenen als Kinder geschlagen, ihre
Arme an Stuhllehnen festgebunden
oder gar eingegipst wurden“, sagt
Heiko Hilscher, Geschäftsführer der
Linkshänder & Co. GmbH in Erfurt.
Hinsichtlich der Umschulung habe
es keine Unterschiede zwischen
DDR und BRD gegeben. „Ein echtes Umdenken fand erst in den achtziger Jahren statt, in beiden Teilen
Deutschlands.“
In einer an Rechtshändern orientierten Welt sind Alltagsgegenstände
für die Benutzung mit der rechten
Hand konzipiert: Lineale, Scheren,
Messer, Computermäuse, Korkenzieher, Automaten, Eiscremeportionierer, Bohrmaschinen und so
weiter. Die Liste lässt sich beliebig
fortsetzen und führt bis zu Tassen
(hält man den Griff in der linken
Hand, befindet sich das Motiv oft
auf der Rückseite). Jeder Linkshänder weiß, wie schwierig ein Dosenöffner sein kann, der mit der linken
Hand nicht funktioniert, da sich das
Schneidrad auf der falschen Sei-
te befindet. Für Schreibwaren gilt
jedoch: Linkshänderscheren, Füller
und Lineale finden sich heute in fast
jedem Schreibwarenladen. Hilscher
zufolge war dies 1998 noch anders: Damals hatte er versucht, für
seine Geschäftspartnerin Gabriela
Reppert eine Linkshänderschere zu
kaufen. So kam er auf die Idee, Produkte für Linkshänder anzubieten.
Der Versandhandel startete am 13.
August 2003, dem Internationalen
Linkshändertag, mit 185 Produkten.
Doch es sollte nicht beim Onlineshop bleiben. Man wollte die Produkte auch in einem Laden anbieten.
Dieser hatte zunächst nicht die optimale Lage. 2010 konnte man dann
auf die Krämerbrücke in Erfurt umsiedeln, die viele Touristen anlockt.
Das Sortiment beläuft sich auf mehr
als 600 Produkte. Dazu zählen
Scheren, Messer, Spitzer, Dosenöffner, Schreibtischunterlagen, Gartenscheren, Geldbörsen, Tastaturen und
Computermäuse. Von den Tastaturen habe man in vier Jahren 1000
Stück verkauft und von den Zollstöcken 2000 in drei Jahren. Beliebt ist
auch die Linkshändertasse, von der
jährlich 2000 Stück verkauft werden. Der Aufschrift entsprechend ist
diese wirklich „nur für Linkshänder“ geeignet: Benutzt man sie mit
rechts, sorgen drei kleine Löcher am
oberen Rand für „unerwünschten
Flüssigkeitsverlust“. Der Linkshänder-Laden bezieht seine Produkte
von vielen Anbietern, unter anderem von Schneider, Lamy, Pelikan,
Kahla Porzellan und Stabilo. „So
etwas wie Laufkundschaft gibt es
im Internet nicht“, betont Hilscher.
Und genau darin bestehe der Vorteil
des Ladengeschäfts. Die meisten
Kunden seien ob des vielfältigen
Angebotes überrascht. Und natürlich ist es auch von Vorteil, dass
Kunden im Laden Produkte ausprobieren können. Laut Hilscher liege
der Jahresumsatz bei etwa 150 000
Euro. Dabei trage der Onlineshop
in einem größeren Umfang bei, da
die Besucher des Ladens tendenziell kleinere Waren wie Scheren oder
Schäler unter 10 Euro, also typische
Mitbringsel, kaufen. Es handele
sich aber um den einzigen „echten“
Linkshänderladen in Deutschland.
Die Preise reichen von 50 Cent
für eine Ersatzklinge für einen
Schäler bis zu 1351 Euro für eine
Tisch-Bohrmaschine. Das zweitteuerste Produkt, eine Uhr, koste 229
Euro (der Unterschied zu normalen
Uhren liegt übrigens in der Platzierung der Krone). Dass Linkshänderprodukte grundsätzlich teurer wären
als die für Rechtshänder, kann Hilscher nicht bestätigen. Da ein großer
Teil des Sortiments von bekannten
Markenherstellern produziert wird,
sind die Preise bei diesen Anbietern
identisch mit denen der Rechtshänderartikel.
Hinter der Linkshänder & Co.
GmbH steht ein Team von drei Personen. Petra-Marion Ertingshausen
trägt die Verantwortung für den
Onlineshop und betreut die Kunden
des Ladengeschäfts. Hilschers Geschäftspartnerin Gabriela Reppert
ist für die Programmierung und die
Datenbanken verantwortlich. Heiko
Hilscher selbst kümmert sich neben
der Geschäftsführung um das Design und die Gestaltung, das Marketing und die Durchführung von
Linkshänder-Seminaren.
Lisa Brenner
Rosenstein-Gymnasium, Heubach
Jugend und Wirtschaft
kleine zeitung
Seite 5/Ausgabe 4/Dezember 2015
Ein Projekt des Bundesverbandes deutscher Banken und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Die Feder ist nicht nur der Matratze Kern
Um sich in allen Lagen des Lebens pudelwohl zu fühlen
E
ntspannen in allen Lebenslagen ist ein Bedürfnis,
dem heute immer mehr
Bedeutung zukommt. Das Ziel
heißt deshalb: Besser Sitzen und
Liegen in allen Bereichen des täglichen Lebens! Die Feder ist dabei
der Kern des Ganzen!“ Damit wirbt
die Hoffmann GmbH aus Seßlach in
Oberfranken auf ihren Prospekten.
Das Unternehmen hat sich auf die
Herstellung von Federkernen spezialisiert.
In vielen bekannten Transportmitteln wie dem französischen
Schnellzug TGV, der London Underground oder dem Airbus 380
findet man Federkerne aus Seßlach. Die Firma wurde 1948 von
Otto Hoffmann gegründet und wird
heute von dessen Sohn Gerhard
geführt. Es ist das einzige Unternehmen, das von vielen Federkernherstellern im Coburger Raum
übriggeblieben ist und Bonell-, Taschen- und Zylinderfederkerne herstellt. 1995 expandierte man nach
Polen. Dort arbeiten 65 Mitarbeiter,
die ausschließlich Bonellfederkerne herstellen. In Deutschland sind
60 Leute beschäftigt, die alle drei
Federkernarten fertigen. Laut Florian Lendner vom Controlling wurden 2014 mehr als 100 Millionen
Federn verkauft, die einen Umsatz
von 13 Millionen Euro ergaben.
Hoffmann hat einen Marktanteil
von etwa 15 Prozent.
Bonellfederkerne, nach ihrem
englischen Erfinder benannt, werden
aus einzelnen vergüteten, das heißt
induktiv gehärteten, Taillenfedern,
die mittels eines Spiraldrahts mitein-
Wer gerät da nicht ins Träumen?
ander verbunden werden, gefertigt.
Sie werden in einer Höhe von 65 bis
160 Millimeter hergestellt. Taschenfederkerne bestehen aus Einzelfedern, die in Einzelsäckchen aus Polypropylenvlies eingeschweißt sind.
Diese Taschen sind in einer Richtung aneinanderhängend und bilden
die sogenannten Federschlangen.
Setzt man diese durch Verkleben zusammen, erhält man den Taschenfederkern. Er wird in einer Höhe von
35 bis 200 Millimeter Höhe herge-
Das goldene Vlies
Mit Nonwovens und Filtermedien ist Gutsche im Reinen
E
in Fußbodenbelag als Filtermaterial? Schwer vorstellbar.
Doch Eugen Gutsche schaffte es Anfang der 60er Jahre zusammen mit
einem Filteranlagenbauer, Nadelfilze
so zu modifizieren, dass sie die bisher eingesetzten Gewebe um Längen
übertrafen. Das neue Material trat
alsbald seinen weltweiten Erfolgszug an. Heute gebe es in großindustriellen Anwendungen kaum noch
Prozesse, in denen nicht Nadelfilze
eingesetzt würden – Gutsche sei
ein Weltmarktführer, sagt Michael
Gutsche, Geschäftsführer der MGF
Gutsche GmbH & Co. KG in Fulda.
Der Erfolg sei einem Zusammenspiel
aus wachsendem Umweltbewusstsein und den daraus resultierenden
strengeren Emissionsgrenzen zu verdanken. So heizten die Müllverbrennungsanlagen in den 80er Jahren eine
öffentliche Debatte an. Die Nadelfilztechnologie habe einen wichtigen
Beitrag dazu geleistet, die Emissionen so zu reduzieren, dass heute alle
in Deutschland betriebenen Anlagen
zusammen nur noch einen Wert von
zwei Gramm Dioxin ausstößen.
Da der Nadelfilz aus unterschiedlichen Faserpolymeren mit verschiedenen Eigenschaften bestehen kann,
können die Filter individuell gestaltet werden. Gutsche porotex hat eine
hohe Temperaturbeständigkeit für
Müllverbrennungsanlagen. Die Sonderausrüstung antafin wird wegen
ihrer öl-und wasserabweisenden Eigenschaften zur Filtration klebriger
Stäube eingesetzt, etwa in der chemischen und der Lebensmittelindustrie.
Den größten Absatz (etwa 20 Prozent) findet Gutsche derzeit in Asien,
vor allem China hat einen wachsenden Bedarf. 2006 wurde dort der
zweite Produktions- und Vertriebsstandort gegründet, in dem 70 der
weltweit 200 Mitarbeiter arbeiten.
In Fulda werden nicht nur Filtermedien, sondern auch High Performance Nonwovens hergestellt. Diese
nicht-gewebten Vliesstoffe machen
rund 20 Prozent des Umsatzes aus –
Tendenz steigend. Sie werden durch
Vernadelung synthetischer Fasern
hergestellt und eignen sich vor allem
zur Verbindung mit anderen Oberflächen. Die Nonwovens sind überall zu
finden – in Autos der Premiumklasse
sind teilweise 10 bis 15 Quadratmeter verarbeitet. Sie verstecken sich
im Amaturenbrett, im Laderaum und
an vielen anderen Stellen, wo sie sowohl zur Verbesserung des Komforts
als auch aus optischen Gründen verwendet werden. Auch in Outdoorbekleidung oder Schutzanzügen sowie
im Flugzeugbau findet man sie.
Doch was macht die Gutsche Filtermedien so besonders? Es ist das
Polytetrafluorethylen (PTFE), dem
Gutsche seine Weltmarktführerschaft
verdankt. Die PTFE-Filze werden
vor allem in der Müllverbrennung
verwendet, auch in Japans 1000
Anlagen. Darüber hinaus setze Gutsche, laut Geschäftsführer, mehr auf
Produkte der Sorte „taylor-made“ als
auf solche von der Stange. Das sei
zunächst zwar deutlich aufwendiger
in der Herstellung, überzeuge allerdings auf längere Sicht durch eine
größere Zuverlässigkeit und längere
Lebenszeit der Produkte. Der Quadratmeterpreis reiche von 70 Cent
bis zu 25 Euro. 2014 erwirtschaftete Gutsche einen Rekordumsatz von
mehr als 48 Millionen Euro.
Anne Vogel
Internat Schloss Hansenberg, Geisenheim
Foto Heinz Lohmann
stellt. Zylinderfederkerne werden
in einer Höhe von 40 bis 230 Millimeter gefertigt und im Gegensatz
zu den anderen Federn fast komplett
von Hand produziert. Diese Seßlacher Kerne sind zum Beispiel in den
Sitzen von Oldtimern wie dem Mercedes 190 SL verbaut, aber auch bei
LKW. „Die Federkerne der Matratzen in den DAF-LKW werden von
uns hergestellt“, berichtet Lendner.
1994 war Hoffmann das erste Unternehmen, das Taschenfederkerne
ab einer Höhe von 40 Millimeter in
Serie produzierte. Dafür erhielt die
Firma ein Patent.
Seit 2010 beliefert man auch einen Zulieferer für Flugzeugsitze.
Hoffmann hat dort in den vergangenen vier Jahren 49 950 Federkerne
geliefert, was ebenso vielen Sitzen
in A380 Flugzeugen entspricht. „Je
nach Airbus-Typ ist der Zylinderfederkern gerade mal so groß wie ein
Stück Papier im Format DIN-A5 mit
einem Gewicht von 80 Gramm“,
erzählt Lendner. Im Moment sind
166 A380 Flugzeuge im Einsatz mit
durchschnittlich jeweils etwa 555
Sitzen.
„In den Anfängen produzierte die
Federkernbranche
Zylinderfederkerne für Polsterungen aller Art. Im
Zuge des technischen Fortschritts
und der raschen Entwicklung der
Sitz- und Liegemöbelindustrie folgten Bonellfederkerne und daraufhin der Taschenfederkern“, erklärt
Lendner.
„Die Federkerne werden in einem
Drei-Schicht-Betrieb hergestellt und
wurden 2010 mit dem Oeko-TexZertifikat ausgezeichnet.“ Bekannte
deutsche Kunden sind der Matratzenhersteller Malie Mecklenburgisches Matratzenwerk oder der Sitzund Objektmöbelhersteller Walter
Knoll. Lokal arbeitet der Sitzmöbelspezialist aus Seßlach seit mehr als
30 Jahren vor allem mit der Albert
Ponsel GmbH & Co. KG zusammen,
die zwei Drittel ihrer Federkerne von
dort bezieht. Konkurrenten sind in
Deutschland die Agro International
GmbH & Co. KG und die Eichsfelder
Polster-Zubehör GmbH. Die neueste
Erfindung der Hoffmann GmbH ist
der Mikro-Taschenfederkern mit 35
Millimeter Höhe. Mit ihm werden
vor allem Fahrzeugsitze, Bürostühle
und Caravan-Matratzen ausgestattet. Neben der Federkernabteilung
gibt es in der Unternehmensgruppe
noch die Abteilung Zaun- und Landschaftsgartenbau. Dieser Bereich
erwirtschaftet etwa 15 Prozent des
Umsatzes.
Felix Fischer
Arnold-Gymnasium, Neustadt b. Coburg
Manchmal geht ein Buchsbaum flöten
Der Flötenbauer Martin Praetorius
W
enn ich hier nun ein
falsches Maß einstelle,
fange ich nochmal komplett von vorne an“, sagt Martin Praetorius aus Beedenbostel bei Celle.
Nach fünfzehnjähriger Lehrzeit bei
der Moeck Musikinstrumente Verlag
GmbH in Celle beschloss Praetorius
vor 23 Jahren, seine eigenen Instrumente zu bauen. Heute ist er einer von
fünf nicht-industriellen Renaissanceund Barockflötenbauern weltweit. Er
schätzt seinen Marktanteil bei handgemachten Renaissanceblockflöten
auf etwa zehn bis fünfzehn Prozent.
Bei den Dulcianen sei er derzeit wohl
derjenige von ebenfalls fünf Dulcianbauern auf der Welt, der die meisten
Aufträge bekomme.
Barockblockflöten bestehen aus
zwei bis drei Teilen und werden von
Praetorius aus Buchsbaum gefertigt.
Eingesetzt werden sie meist als Soloinstrumente. Die Renaissanceblockflöten dagegen sind aus einem einzelnen, höchstens zwei Holzstücken
gefertigt und klingen im Ensemble
wie eine Holzorgel. Sie werden meist
aus Berg-Ahorn gebaut. Dulciane
werden heute meist von Liebhabern
geblasen. Sie sind die Vorläufer des
Fagotts. Außerdem sind sie tiefer,
als ihre Länge vermuten lässt, da die
Luft im Instrument nicht ein Mal hindurchströmt, sondern es gibt zwei parallele Innenbohrungen. Schalmeyen
aus dem Mittelalter klingen dagegen
laut und scharf und werden wie die
Dulciane auch mit einem Doppelrohrblatt angeblasen. Sie sind die
Vorgänger der heutigen Oboe. Mitunter baut Praetorius auch wirklich
historische Flöten aus Museen nach.
„Industrieflöten sind auf einem
sehr hohen Niveau und klingen alle
ähnlich. Ein optimales Instrument
wird so oft wie möglich kopiert, man
könnte auch sagen ‚geklont‘. Handgemachte Flöten können auf den
Kunden ausgerichtet werden, was
die Grifflochlage und Klappengröße
betrifft.“
Bei der Fertigung wird aus einem
eckigen, etwa fünf Jahre getrockneten Holzstück auf der Drechselbank
erstmal die Innenbohrung mit einem
Räumer fertiggestellt. Diese Bohrung
hat unregelmäßige Verläufe, die sehr
bedeutsam sind für den Klang. Dann
wird die äußere Form von Hand gedrechselt und zum Schluss sehr fein
geschliffen. Jeder kleinste Fehler an
der Drechselbank kann dazu führen,
dass die Flöte verstimmt wird. Anschließend wird das Instrument mit
Öl imprägniert. Dann schnitzt Praetorius das Labium in den Flötenkopf.
Je nach dessen Form klingt der Ton
scharf, weich, kräftig oder sanft.
Ebenfalls wichtig ist der Windkanal,
der die Luft zum Labium führt. Hierzu hat Praetorius eine eigene Maschine entwickelt. Danach wird der
Block eingebaut, der die Flöte zum
Kopf hin verschließt und nur für den
Windkanal einen kleinen Spalt lässt.
Schließlich werden die Grifflöcher
gebohrt, genau an die richtige Stelle
und mit dem richtigen Durchmesser.
„Bei Instrumenten, für die ich bisher
noch keine genauen Maße entwickelt
habe, stelle ich gelegentlich vorher
Probeinstrumente her. An denen probiere ich aus, wie ich welche Komponente verändern muss, um einen
schönen Klang zu erreichen.“ Ganz
am Ende steht das Stimmen selber.
Praetorius investiert etwa zehn Arbeitsstunden für eine Sopranflöte und
vierzig für einen Bass-Dulcian.
Das Holz bekommt er unter anderem von den Niedersächsischen Landesforsten. Berg-Ahorn bietet sich
besonders an und kostet pro Kubikmeter inklusive Sägen und Transport
1000 Euro. Ein Kubikmeter Buchsbaumholz kostet um die 27 000
Euro. Bis der Kunde ein Instrument
in seinen Händen hält, muss er wegen der langen Auftragsliste 15 Monate warten. An einem großen Instrument baut Praetorius bis zu einem
Monat, an kleineren Instrumenten
einige Tage. So fertigt er fünfzig Instrumente im Jahr. „Am liebsten baue
ich Renaissanceblockflöten, da diese
im Zusammenklang gut wirken.“ Die
Instrumente werden bis nach Korea und Australien verschickt. Die
kleinsten Instrumente sind ab 830
Euro, die größten für 3785 Euro zu
haben. Die Materialkosten für eine
Bassflöte, das Holz und Messing für
die Klappen am Instrument, betragen
etwa sechzig Euro. „Insgesamt kann
man davon leben, verdient aber weniger, als wenn man in der industriellen Instrumentenfertigung beschäftigt ist“, meint Praetorius.
Ganz nebenbei hat der Instrumentenbauer noch eine ganz andere Erfindung gemacht: einen Milchschäumer, mit dem man ohne Elektrizität
innerhalb von zwanzig Sekunden
einen Liter Milch in Milchschaum
verwandeln kann. Auf die Idee gekommen ist Praetorius dadurch, dass
gute milchschäumende Maschinen
entweder zu teuer oder nicht effektiv genug waren. Seit 2012 hat er
etwa 2500 Exemplare verkauft. Ein
Milchschäumer kostet zwischen 25
und 38 Euro.
Laura Ostermann
Campe-Gymnasium, Holzminden
Jugend und Wirtschaft
kleine zeitung
Seite 6/Ausgabe 4/Dezember 2015
Ein Projekt des Bundesverbandes deutscher Banken und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Ohne sie steht die Feuerwehr
auf dem Schlauch
Rud. Prey produziert Anlagen für die Schlauchpflege
J
eden Tag rückt die Feuerwehr zu
Bränden aus. Aber nach dem Einsatz fängt die Arbeit oft erst richtig
an. Denn die gebrauchten Schläuche
müssen auf Löcher geprüft, gepflegt
und getrocknet werden. Schließlich
kann man sie nicht einfach auf eine
Wäscheleine hängen. Deshalb hat
die Rud. Prey GmbH & Co. KG aus
Kiel
Schlauchtrocknungsanlagen
entwickelt. „Die Nachfrage nimmt
stetig zu“, sagt Timo Rapp, Leiter
der Abteilung Feuerwehrtechnik.
Rud. Prey wurde 1892 gegründet,
von 1908 an baute man Aufzüge,
auch die für das Marine-Ehrenmal in
Laboe. Die Idee zur Schlauchaufhängeanlage hatte der Feuerwehrmann
Siegfried Dornbusch 1951. Zuvor
hatte man die Schläuche noch mit
Muskelkraft in einen Turm gezogen
und zum Trocknen gehängt. Dornbusch erfand einen Schlauchaufzug
und wandte sich damit an Rud. Prey,
wo ein Prototyp entstand. Dieser war
in der Kieler Berufsfeuerwehr bis
2006 in Betrieb. 1983 kam ein neuer
Typus, an dem man zwei Schläuche
zugleich aufhängen konnte. Als Ergänzung hat man dann eine Voll- und
eine Halbstraße entwickelt. In der
22,6 Meter langen Vollstraße werden
die Schläuche gewaschen, geprüft
und an die automatische Aufhängeanlage übergeben, um von dieser in
den Turm zum Trocknen gezogen
zu werden. Nach dem Trocknen
wird der Schlauch gewickelt, erklärt
Rapp. Die Anlage pflegt bis zu 54
Schläuche in der Stunde. Später hat
Rud. Prey dann die erste Prozessstraße entwickelt, bei der die Trocknung
nicht mehr durch den Turm erfolgt,
sondern durch eine integrierte Trocknungsanlage. Sie fertigt in einer
Stunde bis zu 38 Schläuche ab.
Von der heute besonders gefragten
Kompaktanlage, die einen Raum von
gerade einmal 9 Quadratmeter beansprucht, sind bereits 1000 Anlagen
verkauft worden. 85 Prozent aller Anlagen von Rud. Prey sind laut Rapp
auch nach 30 Jahren noch in Betrieb.
Während der Nutzung verbraucht die
Kompaktanlage nur 0,151 Kilowatt
je Schlauch, und der Kunde muss für
die Fertigstellung von 100 Schläuchen bloß 2,43 Euro an Stromkosten
aufwenden (bei 15 Cent je Kilowattstunde). Während die Prozessstraße
„insgesamt 140 000 Euro kostet,
kostet die Kompaktanlage gerade
mal 50 000 Euro“, sagt Rapp.
Rud. Prey beschäftigt 125 Mitarbeiter. Davon arbeiten rund 50 als
Servicetechniker und Monteure in
der Aufzugtechnik, die immer noch
den Unternehmensschwerpunkt darstellt. Dennoch gewinnt die Feuerwehrtechnik immer mehr an Bedeutung. Der Kreisfeuerwehrverband
Dithmarschen verwendet die Rud.
Prey Prozessstraße vom Typs PRO
4 „schon seit August 2013 und hat
schon etwa 5000 Schläuche mit ihr
getrocknet“, sagt Birte Pries vom
Verband. Hierzulande hat Rud. Prey
„in der Branche der Schlauchtrocknung etwa 44 Prozent Marktanteile“,
meint Rapp, wobei man mit der Prozessstraße PRO 4 eine Monopolstellung genieße. Mehr als 90 Prozent
wird in Deutschland abgesetzt. In
vielen anderen Ländern wisse man
zu wenig von dieser Technologie und
bevorzuge eigene Methoden, erklärt
Rapp. Die Firma produziert etwa
30 Anlagen im Jahr, darunter gut 20
Kompaktanlagen. Die Kunden von
Rud. Prey fertigen im Jahr durchschnittlich 4500 bis 6000 Schläuche
ab. „Von 10 Millionen Euro im Jahr
2009 stieg der Umsatz bis 2013 auf
12 Millionen Euro. Der Umsatz verteilt sich zu etwa 80 Prozent auf die
Aufzugstechnik und zu etwa 20 Prozent auf die Feuerwehrtechnik“, berichtet Prokurist Manfred Hamann.
Christopher Schaarschmidt
Friedrich-Schiller-Gymnasium, Preetz
Sie mahlen alles grau in grau
Die größte Vertikalmühle der Welt kommt von Pfeiffer
K
auft man im Baumarkt Zement, so kann es gut sein, dass
dieser von einer Mühle der Gebr.
Pfeiffer SE in Kaiserslautern hergestellt wurde. Pfeiffer ist mit 25 Prozent Marktanteil einer der größten
Vertikalmühlenhersteller der Welt,
erklärt der Leiter des Finanz- und
Personalwesens Christoph Geupel.
Pfeiffer hat auch die größte Vertikalmühle der Welt gebaut, die MVR
6700 C-6 in Barroso, Brasilien.
Um Zement zu bekommen, muss
zuerst Kalkstein abgebaut werden.
Dieser wird durch Brecher zerkleinert. Dann wird das Gestein zu Rohmehl vermahlen, das in einem Ofen
bei 1450 Grad geschmolzen und zu
Klinker gebrannt wird. Ist der Klinker
abgekühlt, kommt die Vertikalmühle
zum Einsatz. Hierzulande stehen sie
meist in der Nähe von Steinbrüchen.
Durch Zugabe von Wasser und dem
Fließmittel Glenium kann dann endlich Beton entstehen.
Pfeiffer ist ein 1864 gegründeter
Familienbetrieb. Bereits vor dem
Ersten Weltkrieg sei die Firma hauptsächlich international aktiv gewesen,
erläutert Geupel. Weitere, kleinere
Niederlassungen befinden sich heute
in China, Indien und Nordamerika.
Mit rund 500 Mitarbeitern fertigt
Pfeiffer jährlich durchschnittlich 25
Vertikalmühlen. Man verstehe sich
als Technologieführer bei den ganz
großen Mühlen, da es „momentan
kein anderes Unternehmen gibt, das
so leistungsstarke Mühlen produziert“, erklärt Geupel. Aus Sicht von
Timo Theisinger, einem Mitarbeiter
aus der Produktion, sei das Multidrivekonzept der Mühlen ein besonderer
Vorteil. In den Mühlen seien mehrere
Antriebsmotoren verbaut, sodass die
Ausfallsquote sehr gering bleibe. So
könne „beim Verschleiß einer Mahlwalze diese problemlos ausgetauscht
werden, ohne dass die ganze Mühle
abgeschaltet werden muss“.
Laut Geupel sei der deutsche
Markt so gesättigt, dass das Auslandsgeschäft 97 Prozent des Umsatzes ausmache. In Deutschland gebe
es bereits rund 25 Zementwerke, die
ihr Umfeld ausreichend mit Zement
versorgen. „Darüber hinaus beträgt
die Lebensdauer einer Mühle etwa
50 Jahre, was den Bedarf ziemlich
einschränkt“, sagt Projektmanagerin
Carina Stenzhorn.
Der Umsatz liegt bei gut 100
Millionen Euro. „In den Schwellenländern besteht eine ständige Nachfrage.“ Die meisten Bestellungen
kommen aus Indien, Indonesien und
Südostasien. Die Mühlen werden individuell und in der Größe nach den
Wünschen der Kunden gefertigt. Die
Preisspanne reicht dabei von 500 000
bis 15 Millionen Euro. Die Mühle in
Barosso produziert statt der sonst üblichen maximalen 300 Tonnen 450
Tonnen Zement in der Stunde.
Konrad Glade
Albert-Schweitzer-Gymn., Kaiserslautern
Weihnachten ist kugelsicher
W
Inge’s Christmas Decor liefert Glaskugeln an renommierte Kaufhäuser wie das KaDeWe
eihnachten steht vor
der Tür, doch bei der
Inge’s Christmas Decor GmbH beginnt die Produktion
von Glaskugeln und anderem Weihnachtsschmuck viel früher, um sie
rechtzeitig weit über die Grenzen des
Firmensitzes Neustadt bei Coburg
hinaus auszuliefern. Die 125 Mitarbeiter sind acht Monate lang mit der
Produktion des Schmucks beschäftigt, der dann in einem Zeitraum von
nur 8 bis 10 Wochen ausgeliefert
werden muss. Im September und Oktober wird der meiste Schmuck verkauft. Zu den Kunden zählen renommierte Kaufhäuser wie das Galeries
Lafayette in Paris, das Harrods in
London oder das Berliner KaDeWe.
Auch im Münchner Hofbräuhaus
oder der Bayerischen Staatskanzlei
war der Schmuck bereits zu sehen.
Das Sortiment gliedert sich in
zwei Marken: zum einen die IngeGlas Manufaktur, die handgearbeitete, hochwertige und in Deutschland
produzierte Glasornamente umfasst,
zum anderen die Marke Magic - The
spirit of christmas, für die „Produktion von konsumiger, preiswerter
Importware“, so die Angabe des
Herstellers. Bei der Marke Inge-Glas
Manufaktur setzt man auf Handar-
beit und die Erhaltung regionaler
Arbeitsplätze vor allem im Bereich der traditionellen Glasbläser.
„Bei handgemachter Ware sind wir
deutschlandweit Marktführer“, sagt
Geschäftsführer Tilo Hannemann.
Die Stellung als Marktführer
und den europaweiten Marktanteil
von etwa 25 Prozent erklärt Hannemann so: „Vor 30 Jahren waren die
USA der wichtigste Absatzmarkt
für handgemachte Glasschmuckherstellung. Das führte dazu, dass sich
viele Unternehmen hauptsächlich
auf die USA konzentrierten. Mit den
Wirtschaftskrisen in den Jahren 2001
und 2008 wurde der Markt in den
USA allerdings stark abgeschwächt,
was diesen Unternehmen enorme
Schwierigkeiten bereitete. Wir allerdings hatten uns schon frühzeitig
auf andere, innereuropäische Märkte
konzentriert und konnten so diesen
Rückgang kompensieren.“ Deshalb
stehe heute Inge’s Christmas Decor in Deutschland „mit Ausnahme
weniger kleiner Handwerksbetriebe
und Importeure konkurrenzlos“ da.
Der Exportanteil liegt heute bei 30
Prozent, vor allem nach Österreich,
Italien und die Schweiz. „Der Anteil der USA macht nur 8 Prozent
des Gesamtexportes aus“, berichtet
Hannemann. Zugleich nimmt die Bedeutung des Standortes Asien immer
weiter zu. Im Jahr 2014 erzielte man
einen Umsatz von 14,1 Millionen
Euro. Das Unternehmen ist zudem in
der Christmas Trend Group und der
Seasons Trend Group vertreten. Es
handelt sich um Zusammenschlüsse
von Herstellern für Geschenkpapier,
Kerzen, Geschenkbändern, Dekoservietten und -accesoires und Glasschmuck, die sich zum Ziel gesetzt
haben, jedes Jahr als „Empfehlung
und Trendscout“ zu fungieren. Dies
geschieht zum einen für die Winterund Weihnachtssaison als Christmas
Trend Group, zum anderen für die
Frühlings- und Sommersaison als
Seasons Trend Group. Da bei letzterer auch nach Osterschmuck verlangt
wurde, gab dies den Anstoß für Inge’s
Christmas Decor, eine Kollektion
von „außersaisonalem“ Schmuck zu
entwickeln. Diese gibt es seit vergangenem Jahr und umfasst mittlerweile
etwa 100 Artikel für Frühling, Sommer, Ostern und Valentinstag. Eine
weitere neue Produktreihe ist der Tabaluga-Glasschmuck, Lizenzartikel
in Zusammenarbeit mit der Tabaluga
Enterprise GmbH von Peter Maffay.
Jonas Arnold
Arnold-Gymnasium, Neustadt bei Coburg
Das Potsdamer Plätzchen
Wo man Geschichte gebacken bekommt
W
onach schmeckt eigentlich der Potsdamer Platz? Diese
Frage stellte sich Sylvie Assig, als
sie sich die Backmischung für ihre
Kekse ausdachte. Auch Constanze
Lohbeck fand, dass man Berliner
Architektur einen Geschmack geben sollte. Daraus entstanden zwei
Geschäftsideen, die die Hauptstadt
um einige Souvenirs reicher und leckerer machen.
Vorsichtig schichtet Assig Mehl
und Haferflocken in ein langes Glas.
Seit 2012 stellt sie Backmischungen
für Plätzchen her. Hinter jeder steckt
ein bisschen Geschichte Berlins. So
sind die Zutaten der „Plätzchen der
Luftbrücke“ Hafer, Schokolade und
Rosinen, denn genau mit diesen Lebensmitteln versorgten die Alliierten
Westberlin während der Berlin-Blockade 1948/1949. Auf dem Potsdamer Platz stand die erste Ampel Europas, weshalb diese Backmischung
rote Cranberries, gelbe Äpfel und
grüne Kürbiskerne enthält. „Ich beginne immer damit, so viel Wissen
und Assoziationen wie möglich zu
einem Platz zu sammeln. Die Idee,
Wissen anschaulich darzustellen,
ist mein täglich Brot. Ich unterrichte Deutsch als Fremdsprache“, erzählt die Gründerin von Backflasch.
„Dann suche ich nach Zutaten, die
sich eignen könnten, dieses Wissen
darzustellen, und versuche, ein Rezept daraus zu stricken.“ Die Idee
entstand, als Assig ein Geschenk
für einen Freund brauchte, der gerade seine Wohnung am Platz der
Luftbrücke einweihte. Ein leeres
Gurkenglas wurde mit Rosinen und
anderen Zutaten gefüllt. Als immer
öfter Anfragen von Freunden und
Familie kamen, wurde ihr klar, dass
es sich hierbei um eine ausbaufähige Geschäftsidee handelt. „Am Anfang habe ich alles selbst gemacht.“
Mittlerweile arbeitet die gelernte
Kulturwissenschaftlerin mit der
Lichtenberger Werkstatt für Behinderte zusammen, die bei der Konfektionierung der Flaschen hilft. Zur
Saison im Herbst und Winter wächst
das Team bei Backflasch auf sechs
bis acht Mitarbeiter. Zu kaufen gibt
es die liebevoll verzierten Gläser
auf Wochenmärkten in Berlin, in
zahlreichen Geschäften und im Online-Shop der Firma. Ein Glas kostet
zwischen 10 und 15 Euro, und die
Auswahl ist groß; es gibt 11 Orte
in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Das Backen ist kinderleicht.
Man muss nur etwas Butter und ein
Ei zur Backmischung geben. Die
600-ml-Gläser ergeben 60 bis 80
Kekse, bei einigen Backmischungen
sind sogar Förmchen zum Ausstechen dabei. Das „Berliner Brot“ und
die „Oberbäumchen“ verkaufen sich
am besten. Der Jahresumsatz liegt
eigenen Angaben zufolge bei 60 000
Euro, im vergangenen Jahr sei er um
30 Prozent gestiegen.
„Viele unserer Kunden leben in
Berlin oder haben einen starken Bezug zu der Stadt“, erklärt die Gründerin. Bei den Backmischungen
handelt es sich um kein typisches
Touristen-Produkt: „Dafür ist es für
Gäste, die mit dem Flieger unterwegs sind, oft zu schwer, und viele
Plätze sind zu Kiez-bezogen.“
Auf Details legt auch Constanze Lohbeck wert. Seit 2004 backt
sie Architektur in Form von Plätzchen aus Mürbeteig. Angefangen
hat alles, als die Gründerin der
Stadt Plätzchen GbR 1996 als junge Designerin nach Berlin kam und
feststellte, dass es neben der Currywurst kein Produkt gab, das die
Hauptstadt treffend charakterisierte:
„In einer Zeit, als das neue Berlin
entstand, und jeder sich für die neue
Architektur in Berlin zu interessieren begann, kam mir die Idee, Architektur und Souvenir miteinander
zu verbinden.“ 2003 begann sie in
ihrer Küche eine Backform zu entwickeln, die Berliner Sehenswürdigkeiten detailgetreu abbildete, und
einen Teig, der diese Elemente auch
nach dem Backen zeigte. Von ihren
2000 Euro Startkapital kaufte sie
sich unter anderem einen professionellen Backofen. Die ersten Plätzchen wurden in der Buchhandlung
„Berlin Story“ in der Straße Unter
den Linden verkauft, mittlerweile
gibt es sie in zahlreichen Geschäften
in einigen Städten Deutschlands und
im Internet. 2007 stieg die Architektin Petra Vondenhof-Anderhalten
als Geschäftspartnerin mit ein. „Im
Prinzip machen wir alles alleine“, erzählt Lohbeck „hin und wieder, vor
allem vor Weihnachten, unterstützen
uns Freunde und Familie.“ Nicht
nur Touristen kaufen die Plätzchen,
sondern auch Berliner, die diese
gerne weiterverschenken. „Die Produkte gibt es ab 10 Euro, und man
bekommt eine formschöne Dose,
ein Booklet, das Kurzinformationen
in deutscher und englischer Sprache
zu den Gebäuden liefert und sechs
bis sieben köstliche Mürbeteigplätzchen“, berichtet die gelernte
Produktdesignerin. Man kann sich
zwischen Orten wie der Museumsinsel, dem Pariser Platz oder dem
Gendarmenmarkt entscheiden. Die
Mischung „Pariser Plätzchen“ beinhaltet das Brandenburger Tor, das
neue Kanzleramt und den Reichstag.
Insgesamt stehen knapp 20 Berliner
Sehenswürdigkeiten zur Auswahl.
Mit der Zeit wurden noch acht weitere Städte wie Frankfurt mit seinem
Hauptbahnhof und der Alten Oper
sowie Köln in das Sortiment aufgenommen. „Es war von Beginn an
klar, dass sich die Formenherstellung
für die Produktion von beliebigen
Motiven eignet“, erzählt Lohbeck,
denn mittlerweile stellt sie auch
Plätzchen nach Wunsch her und beliefert Deutschland und Europa. „30
Prozent unserer Aufträge bestehen
aus Bestellungen für individuelle
Anfertigungen für Eventagenturen,
Firmen und Institutionen, wie zum
Beispiel dem Bundesrat oder Landesvertretungen, die die Kekse gerne
als Giveaway nutzen.“ Zu den Kunden von Stadtplätzchen gehören Siemens, die Commerzbank und BMW.
Das Motto lautet: „Wir kriegen alles
gebacken.“ Mehrere Zehntausend
Plätzchen jährlich werden bei Stadtplätzchen gebacken. Der Umsatz lag
im Jahr 2014 nach eigenen Angaben
bei knapp 35 000 Euro.
Julia Smagiel
Kath. Schule Liebfrauen, Berlin
Jugend und Wirtschaft
kleine zeitung
Seite 7/Ausgabe 4/Dezember 2015
Ein Projekt des Bundesverbandes deutscher Banken und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Frauen haben nicht alle Kleider im Schrank
Da kommt das Konzept einer Fashion-Flatrate gerade recht
D
er eigene Kleiderschrank
ist immer viel zu klein,
und das richtige Outfit
ist ohnehin nie dabei. Einer Studie
des britischen Modehauses Matalan aus dem Jahr 2009 zufolge
verbringen Frauen durchschnittlich
287 Tage ihres Lebens vor dem
Kleiderschrank mit der Frage „Was
ziehe ich heute bloß an?“ Aufgrund
der ständig wechselnden Trends hat
frau dort scheinbar nie das Richtige
hängen.
Genau dort setzen die beiden
Jungunternehmerinnen
Nicole
Stein und Nina Blasberg an. Seit
April 2014 betreiben sie den Fashion-Verleih onbelle GmbH. „Es
ist ganz einfach. Die Kundin erhält
zu einem monatlichen Fixpreis eine
Box mit Kleidung und kann diese
dann so lange tragen, wie sie möchte. Nach dem Zurückschicken erhält
sie eine neue. Wir bieten damit einen unendlichen Kleiderschrank“,
erklärt Blasberg.
Mit ihrem Konzept der FashionFlatrate sind sie nach eigenen
Angaben derzeit die einzigen in
Deutschland.
Bei einem Amerikaaufenthalt
entdeckte Blasberg die ungewöhnliche Geschäftsidee bei dem amerikanischen Unternehmen Le Tote,
das im August 2012 gegründet wurde und laut des Blogs PSFK in den
ersten drei Monaten bereits 10 000
Kundinnen anwerben konnte. Blasberg, die zuvor für das Rocket Internet Start-Up Paymill gearbeitet
hatte, war überzeugt: „Etwas, das
so gut in Amerika funktioniert,
wollten wir auch in Deutschland
ausprobieren.“
Die Anziehungskraft der Kleider sorgt beim weiblichen Geschlecht für einen erhöhten Stoffwechsel.
Zusammen mit Nicole Stein entwickelte sie das Konzept weiter.
„Bei uns kann man sich zwischen
zwei Boxen entscheiden. Für 25
Euro erhält man drei Accessoires
aus der Accessoires-Box. Und für
monatlich 49 Euro werden zwei
Kleidungsstücke und zwei Accessoires in der Fashion-Box verschickt“, sagt Blasberg. 90 Prozent der Kundinnen bestellen die
Fashion Box. Es sei wichtig, auch
eine preiswertere Variante anzubieten. „Unsere Kundinnen sind
Manche Mucke ist aus Pappe
selbstbewusste Frauen, häufig Studentinnen, meist zwischen 18 und
35 Jahren.“
Man orientiere sich an den aktuellen Styles und Trends, beispielsweise auf der Bread & Butter Messe in Berlin, achte jedoch auch auf
das Angebot von Le Tote. Gerade
zu Beginn habe man auf ähnliche
Marken wie etwa Little Mistress gesetzt, die man direkt von den Modelabels zum Einkaufspreis beziehe.
Dann konnte das Sortiment stetig
erweitert werden. Nun gibt es nicht
Foto Heinz Lohmann
nur Kleider, sondern auch Hosen,
Röcke, Pullover und Cardigans.
„Insgesamt haben wir im Moment
etwa 10 000 Teile, inklusive Accessoires“, erläutert Blasberg. Zwar
kann die Kundin verschiedene Kleidungsstücke favorisieren, was aber
letztlich in die Box kommt, bleibt
eine Überraschung. „Wir orientieren uns natürlich an den Wünschen
jeder Kundin.“ Auch kann diese die
Box sofort wieder zurückschicken
und erhält dann gleich wieder eine
neue. Für den monatlichen Fixpreis
erhält die Kundin so viele Boxen,
wie sie möchte, aber erst nachdem
sie die alte wieder zurückgeschickt
hat.
So können theoretisch zwar
ständig neue Boxen angefordert
werden, in der Praxis fordere eine
Kundin im Durchschnitt jedoch nur
zwei Boxen im Monat an. Nachdem die Kleidung zurückgeschickt
wurde, wird sie professionell gereinigt und dann weiterverschickt.
„Ein Kleid kann etwa sechs Mal
verliehen werden. Entweder wird
es herausgekauft oder nach Abnutzung kostenlos abgegeben“, meint
Blasberg. Für den Fall, dass einer
Kundin ein Kleidungstück besonders gut gefällt, kann sie es nämlich
zum Mitgliederpreis herauskaufen.
Und falls doch mal ein Knopf abreißen sollte oder das Kleidungsstück
sonst beschädigt wird, gibt es für 5
Euro eine Versicherung.
Die Fashion-Flatrate komme gut
an. Bis Dezember 2014 konnte man
bereits 500 zahlende Kundinnen
verbuchen, bis Mitte 2015 waren es
schon 800. Das entspreche einem
Umsatz von etwa 350 000 Euro seit
Gründung des Unternehmens bis
Juni 2015. „Wir können von onbelle leben“, meint Blasberg. Für die
Zukunft will man sich nicht nur auf
dem deutschen Markt stabilisieren,
sondern auch ins Ausland expandieren. Zunächst sollen die Schweiz
und Österreich hinzukommen, später auch Frankreich und England.
Die Fashion-Flatrate auch auf
Männer auszuweiten plane man
vorerst nicht.
Johanna Wiegand
Kath. Schule Liebfrauen, Berlin
Dieser Ghettoblaster lässt sich schultern
Sie bringen den Laden ins Rollen
as macht man, wenn
man gute Musik hören
möchte, einem das Design der Anlage aber nicht gefällt?
Man macht es wie Axel Pfaender und
gestaltet seine eigene. Weil dem Berliner das Aussehen seines Soundsystems nicht gefiel, schnappte er sich
ein Stück Pappe und verkleidete die
Anlage damit. Daraus entstand sein
Unternehmen Berlin Boombox, das
drei Mitarbeiter hat. Sie produzieren
eine Faltvorlage aus Wellpappe, die
wie ein Ghettoblaster aussieht. „Anfangs war ich ziemlich skeptisch.
Nach ein paar Minuten hatte ich die
Box aufgebaut, drei Batterien eingesetzt und mein Handy angeschlossen.
Es klappte! Allerdings ist mir beim
Musikhören aufgefallen, dass sie
von der Soundqualität nicht mit herkömmlichen Boxen mithalten kann“,
sagt der Kölner Schüler Antonio
Russo. Mit ihren 850 Gramm ist die
Boombox ein wahres Fliegengewicht
zu ihrem Original aus Plastik.
Die Finanzierung der ersten Ghettoblaster erfolgte mithilfe von Kickstarter.com. Im ersten Jahr wurden
dann 3000 Faltvorlagen verkauft,
für 65 Euro das Stück. Laut Pfaender trage sich Geschäft mittlerweile
von selbst. Zwischen Juni 2012 und
Dezember 2014 seien etwa 11 500
Geräte verkauft worden für rund
425 000 Euro. 2014 lag die Exportquote bei 80 Prozent. Der Großteil
der Ware geht an Firmen in Frankreich, Italien und Großbritannien.
Besonders beliebt war die AdidasBoombox, eine limitierte Ausgabe,
die nach kurzer Zeit bereits ausverkauft war. „Die Internetseite von
Berlin Boombox ist cool und spricht
besonders Jugendliche an. Sie ent-
enn es abends dunkel
wird, gehen die Rollläden runter. Die Technologie, die dahintersteht, sieht
man meist nicht. „Es ist schade,
dass unsere Produkte, die in fast
jedem Haus eingebaut sind, niemand so direkt kennt, da sie alle
in der Wand verschwinden“, sagt
Alexander Vogt, Assistent der Geschäftsführung der Selve GmbH &
Co. KG. Das Unternehmen ist nach
eigenen Angaben Weltmarktführer
im Bereich der Rollladen-Gurtwickler. Der Betrieb wurde 1866
in Lüdenscheid gegründet. Damals
entwickelte man noch verschiedene Drahtwaren, um 1910 kam der
Bezug zu Rollläden hinzu, und seit
den neunziger Jahren konzentriert
man sich nur noch auf die Rollläden und den Sonnenschutz. Selve
hat zwei Produktionsstandorte: In
Lüdenscheid arbeiten 190 Mitarbeiter und in Bad Arolsen 35, die
Gurtwickler herstellen.
Selve hat mechanische und elektronische Produkte im Sortiment.
Zu den mechanischen zählen die
klassischen Gurtwickler, die entweder in oder an der Wand montiert
sind. Nach Unternehmensangaben
bilden sie weiterhin einen Grundpfeiler des Produktprogramms und
sorgen für steigende Marktanteile in
diesem Bereich. Es sind industrielle
Betriebe, Montagefirmen, Handwerker, Fensterhersteller und ähnliche
Unternehmen, die die Gurtwickler
nachfragen. Insgesamt kommt Selve
auf mehr als 3000 Kunden. Früher
bauten kleine Unternehmen Rollläden selber, heute kaufen sie häufig
das fertige Gesamtpaket.
W
hält außerdem viele Videos, die den
Aufbau der Boombox erläutern“,
mein Russo.
Es gibt unterschiedliche Designs
der Boombox. Die Bandbreite reicht
vom unbedruckten Modell über den
eigenen Entwurf bis hin zu aufwendigen, vorgefertigten Designs, die
in Zusammenarbeit mit einzelnen
Künstlern entstanden sind. „Ich bin
zufällig auf die Boombox gestoßen, als ich ein soziales Netzwerk
durchstöbert habe. Sie ist für mich
als Schülerin gut bezahlbar. Sie ist
sehr leicht und kann überallhin mitgenommen werden“, sagt die 17
Jahre alte Samuela Orefice. Die Produktion des Ghettoblasters findet in
Berlin statt.
Die Berlin Boombox kann am
Ende ihrer Lebensdauer einfach in
die blaue Tonne gesteckt werden,
da sie fast ausschließlich aus recycelter Pappe besteht. Es bleibt nur
ein geringer Teil an Elektro- und
Plastikmüll übrig, etwa der Metall-Drehknopf oder der Klinkenstecker. Dank des Klinkensteckers
ist die Boombox kompatibel zu so
gut wie allen technischen Geräten.
Das Starter-Set, das um die 60 Euro
kostet, beinhaltet auch die AudioTeile. Falls später einmal nur das
Gehäuse der Box kaputtgeht, kann
dann für ungefähr 20 Euro nur ein
neues Gehäuse bestellt werden.
Aufgrund ihres geringen Gewichts
und ihrer kompakten Maße nehmen
Jugendliche sie gerne mit, um draußen Musik zu hören. Zu beachten ist
jedoch, dass es sich um Pappe handelt, und die Boombox besser nicht
bei Regen benutzt werden sollte.
Mira Grebenar
Maximilian-Kolbe-Gymnasium, Köln
Selve ist Weltmarktführer im Bereich der Rollladen-Gurtwickler
W
Die Nachfrage nach elektronischen Produkten hat unterschiedliche Gründe: „So möchten manche
ältere Menschen ihre Gurtwickler
gegen Antriebe austauschen, weil sie
es nicht mehr schaffen, den schweren Rollladen von Hand zu bewegen.
Ansonsten werden diese Produkte in
neu oder renovierte Häuser eingebaut
– weil diese Technik heutzutage zu
erschwinglichen Preisen verfügbar
ist. Ein anderer großer Bereich sind
öffentliche Gebäude wie Krankenhäuser, Schulen, Verwaltungs- und
Bürogebäude“, berichtet Vogt.
80 Prozent aller Wickler werden
mithilfe von drei Fertigungsautomaten in Bad Arolsen hergestellt.
„Gurtwickler, die nur in geringen
Stückzahlen verkauft werden, werden flexibel von Hand hergestellt“,
fügt Vogt hinzu. „Der große Vorteil
von Selve ist, dass wir Automaten haben, die einmalig viel Geld
gekostet haben, aber dann auch in
großen Stückzahlen zu günstigen
Herstellerkosten produzieren.“ Die
Herstellung eines Gurtwicklers
nimmt etwa 10 Sekunden mit dem
Automaten in Anspruch, mit der
Hand um die 2 Minuten.
Die Herstellung muss man sich
etwa so vorstellen: Als erstes werden die Federn des Wicklers abgelängt und die Enden der Feder
bearbeitet. Nachdem sie in die Federdose eingezogen wurde, wird
der Deckel aufgesetzt, es folgt die
Fertigungsmontage des Wicklers,
ein Hightech-Automat erledigt die
Endmontage. Der Automat vervollständigt die Federdose mit einem
Schrägwinkel und einer Grundplatte mit Klemmer. So werden mit die-
sem Automaten 600 Wickler in der
Stunde produziert. Pro Tag sind es
20 000 Gurtwickler. Mehr als 4 Millionen Stück werden so jährlich von
Selve hergestellt.
In dem Bereich Gurtwickler
werden 400 verschiedene Produkte hergestellt. Man unterscheidet
zwischen Mini-Gurtwicklern und
Neubau-Gurtwicklern. Es gibt
auch Gurtwickler, die auf die Wand
(„Aufputz“) geschraubt werden, und
Gurtwickler, die quasi in der Wand
(„Unterputz“) eingebaut sind.
Selves Umsatz lag im vergangenen Jahr bei 40 Millionen Euro. Der
Anteil der mechanischen Produkte
betrug 50 Prozent. Gurtwickler kosten je nach Variante zwischen 5 und
15 Euro, ein Funkantrieb für Rollläden kostet mehr als 200 Euro. Je
kräftiger ein Antrieb, desto teurer.
Die Exportquote liegt bei 30 Prozent. „Spannend ist die komplette
Ausstattung großer Gebäude zum
Beispiel in Singapur, Dubai oder
Australien.“ So ist der Office Tower
in Brisbane nach Angaben von Vogt
mit 3100 Selve-Antrieben ausgestattet.
Selve hat mit dem iveo Home
Server ein Produkt im Angebot,
mit dem von überall auf der Welt
die Rollladenanlage zu Hause überprüft und bedient werden kann. Anfang 2016 kommt mit dem commeo
Home Server ein neues Produkt auf
den Markt, mit dem man dann über
eine App via Handy oder Tablet
Rollläden, Markisen oder andere
Geräte der Haustechnik bedienen
kann.
Nazife Nur Karakale
Tannenbusch-Gymnasium, Bonn
kleine zeitung
Mensch und Gesellschaft
Seite 8/Ausgabe 4/Dezember 2015
Zeitung in der Schule mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland
Dicke Luft über Portugal
Wenn in dem Land der Wald brennt, kommt nicht immer die Feuerwehr. Dafür gibt es oft einfach zu viele Brände gleichzeitig
E
ine pechschwarze Rauchwolke erstreckt sich hoch
in den Himmel. Aschepartikel verteilen sich mit dem Wind in
der ganzen Region, sodass sich die
Asche in den naheliegenden Siedlungen niederschlägt. Unter einer
dunklen Rauchsäule verbreitet sich
das Flammenmeer abwärts in Richtung des Stausees. Nicht einmal das
kleinste Blümchen kann sich vor
der Glut retten. Wo sich sonst mittelhohe Büsche und bis zu 15 Meter
hohe Laubbäume befinden, bleiben
nur noch verkohlte Stämme und
Äste zurück.
Ort des Geschehens ist ein kleines, portugiesisches Dorf namens
Guilhofrei, das knapp 1000 Einwohner umfasst. Es gehört zum
Kreis Vieira do Minho und liegt im
Distrikt Braga im Norden Portugals.
Das Feuer befindet sich im Wald in
der Nähe des Ermal-Stausees, der
den Fluss Ave staut. Mit Traktoren
und Pickups transportieren Jugendliche und Männer das Wasser aus
dem See zum Feuer. Mit Schläuchen und Wassereimer versuchen
sie gemeinsam, das Feuer von allen
Seiten aus zu stoppen.
Es handelt sich dabei aber nicht
um Feuerwehrkräfte, sondern es
sind hauptsächlich die Bewohner
der Siedlung, die dem Schauspiel
ein Ende setzen wollen. Etwa die
Hälfte der Anwesenden sind Auswanderer, die sich gerade in den
Sommerferien bei ihrer Familie
befinden. Die meisten von ihnen
leben aus wirtschaftlichen Gründen in der Schweiz und in Frankreich. Gemeinsam können diese
Leute den Ausfall der Feuerwehr
kompensieren, die mit anderen
Waldbränden beschäftigt ist. Denn
mehrere Brände wüten gleichzeitig
in der Region.
In Portugal gibt es jährlich mehr
Waldbrände als in jedem anderen
Ein Pfarrhaus wird zum Heim
für Flüchtlingsfamilien
I
Trübe Aussicht: Auch in Guilhofrei wird immer wieder der Wald angezündet.
europäischen Staat. Im Hochsommer bleibt selten eine Woche ohne
Waldbrand. Die Feuerwehr hat alle
Hände voll zu tun, sodass kleinere
Brände von den Einwohnern gelöscht werden müssen.
Unter den Freiwilligen, die das
Feuer aufhalten, befindet sich Jorge
Silva. Der 37-jährige Portugiese bedient seinen leicht rostigen Traktor
und unterstützt damit die anderen
beim Löschen. Der mittelgroße Automechaniker lebt mit seiner Familie
in Vila Boa, dem südlichen Teil des
Dorfes. Für ihn ist es nichts Neues,
dass ein Waldbrand in seinem Dorf
ausbricht. In dieser Woche muss
Jorge Silva schon zum zweiten Mal
mithelfen, einen Brand aufzuhalten.
„In Guilhofrei gibt es jährlich
meistens zwei Arten von Bränden,
nämlich im Sommer und zur Osterzeit. Die Sommerbrände sind teilweise die Folge von Fahrlässigkeit,
meistens jedoch das Resultat von
Racheakten und Auflehnungen aus
politischen Gründen“, sagt der Portugiese. „Brände im Frühling und im
Winter sollen der Weidensäuberung
dienen. Sowohl das eine als auch
das andere sind Verbrechen.“
Trotz verschärfter Sanktionen
wie Freiheitsstrafe und Zivildienst
kommt es immer wieder zu Waldbränden. Jedes Jahr werden Dutzende von Personen wegen Brandstiftung festgenommen, doch die
Vorfälle halten an. Ein wichtiger
Faktor dafür ist die extreme Trockenheit in Portugal, vor allem in
der Mitte und im Norden des Landes. Oftmals reicht eine kleine Zigarette, damit es zu einem kleinen
Brand kommt. Das scheint aber vielen Einwohnern egal zu sein.
„Man sollte den Leuten schon
früher beibringen, wie man die Umgebung schützen kann. Die Schule
Foto Jorge Gonçalves
muss anfangen, den Kindern zu sagen, wie wichtig Natur und Umwelt
sind und dass die Atmosphäre nicht
beschädigt werden sollte“, sagt
Jorge Silva. „Eine weitere Lösung
wäre es, wenn man im Winter anfangen würde, sich um die Weiden
zu kümmern. So würden die Büsche
gar nicht erst groß wachsen und viele würden diese nicht mehr anzünden.“
Es ist sehr wahrscheinlich, dass
es auch in den kommenden Jahren
immer wieder zu Waldbränden in
der Region kommen wird. Für die
Einwohner ist es fast schon selbstverständlich, dass im Sommer hin
und wieder mal ein kleines Feuerchen ausbricht. Bis sich das Umweltbewusstsein in allen Köpfen
durchgesetzt hat, wird es auch so
bleiben.
Jorge Gonçalves
Kantonsschule Limmattal, Urdorf
Operation am offenen Herzen
In der Jugendhilfe am Rohns in Göttingen finden viele Kinder die Zuwendung, die ihnen zuhause versagt bleibt
N
eunzig Mitarbeiter kümmern
sich in der Jugendhilfe am
Rohns in Göttingen um 104 Kinder
oder Jugendliche und ihre Eltern.
Da ist zum einen die Förderschule
mit dem Schwerpunkt soziale und
emotionale Entwicklung, die für
Kinder geeignet ist, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Diese Kinder sind in der Regel
so auffällig an öffentlichen Schulen,
dass sie irgendwann suspendiert
werden, weil die Lehrer sich nicht
mehr in der Lage fühlen, diese Kinder zu unterrichten, da sie zu viel
stören. Dann wird ein Antrag an die
Landesschulbehörde gestellt.
Die Jugendhilfe am Rohns ist
eine von drei privaten Förderschulen in Göttingen mit der Besonderheit, dass höchstens acht Schüler in
eine Klasse dürfen und von einem
Lehrer und einem Sozialpädagogen
betreut werden, so dass der Unterricht fortgeführt werden kann, wenn
es einem Kind an Konzentration
mangelt und es eine zusätzliche Betreuung benötigt.
Der zweite Bereich ist die Tagesgruppe für Kinder aus sozial
schwierigen Familien, deren Eltern sich nicht ausreichend um ihre
Kinder kümmern. Hier haben die
Mitarbeiter die Aufgabe, weiter an
dem Sozialverhalten zu arbeiten,
die Kinder zur Therapie zu bringen,
da die Eltern oft nicht ihrer Rolle
nachkommen, und Familienarbeit
zu leisten. Dies bedeutet, dass sie
Wie die Kirche
Flüchtlingen
Platz macht
in die Familien gehen und mit ihnen
zum Beispiel Rituale für die Kinder
einführen, damit die Eltern lernen,
ein Verständnis für ihre Kinder zu
bekommen und verantwortungsbewusster werden.
Der dritte und größte Bereich der
Jugendhilfe am Rohns mit mehr als
70 Plätzen sind die Mutter-KindGruppen. Die Mütter kommen
ebenfalls durch das Jugendamt
dorthin, wenn Kindeswohlgefährdung vorliegt oder die Mütter teilweise noch 13 bis 14 Jahre alt sind
und aus schwierigen Familienverhältnissen stammen. Die Angestellten versuchen eine gute MutterKind-Bindung aufzubauen oder zu
fördern, damit sie mit ihren Kindern
zusammenbleiben können. Manchmal passiert es aber auch, dass die
Jugendhilfe das Zusammenbleiben
von Mutter und Kind untersagt, sodass das Familiengericht entscheidet und sie gegebenenfalls für meist
ein bis drei Jahre getrennt werden
müssen.
Wenn das Zusammenleben jedoch klappt, gibt es das Prinzip der
Verselbständigung, auch Trainingswohnen genannt, bei dem die Mütter
nur einen Teil des Tages unterstützt
werden, eine Ausbildung machen
oder zur Schule gehen und einen
Beruf erlernen, damit sie sich später
einmal selbst finanzieren können.
Aber auch danach gibt es mehrere
Besprechungen in der Woche, um
bestimmte Probleme zu klären, aber
auch von Erfolgen zu berichten. Regine Schünemann ist die Leiterin
der Einrichtung.
Ihr Aufgabenspektrum ist vielfältig: Sie muss dafür Sorge tragen,
dass die Wohnungen in einem guten
Zustand bleiben und dass die Gruppen immer voll belegt sind, damit
auf der anderen Seite auch das Geld
zur Verfügung steht. Gesetze müssen eingehalten werden, sie muss
darauf achten, dass die Mitarbeiter
nicht körperlich verletzt werden, da
manche Kinder auch um sich schlagen, oder auch entscheiden, wer aus
dem Heim raus muss oder wann das
Jugendamt eingeschaltet werden
muss.
Die Kinder können in der Schule einen Sonderschul- oder einen
Hauptschulabschluss machen, mit
dem sie wieder auf eine öffentliche
Schule gehen können. Auf Antrag
ist es aber auch an der Schule der
Jugendhilfe am Rohns möglich, den
Realschulabschluss zu machen.
Zudem gibt es noch zwei Erziehungsstellen, das bedeutet, dass
eine Mutter eine pädagogische Ausbildung hat und ein Kind aufnimmt,
das normalerweise ins Heim kommen würde. Dafür gibt es jedoch
besondere Gründe, weshalb dieses
Kind nicht in eine Wohngruppe soll.
Der Frau, die 24 Stunden für das
Kind verantwortlich ist, wird eine
halbe Stelle bezahlt. Die Jugendhilfe begleitet die beiden Frauen
beratend, da es sich natürlich um
problematische Kinder handelt. Sie
hatten zum Beispiel ein Kind, das
mit einem schweren Herzfehler geboren wurde und zusammen mit der
Mutter in der Mutter-Kind Gruppe
war. Die Mutter hatte jedoch nach
drei Wochen die Einrichtung verlassen und das Kind zurückgelassen.
Dieses Kind sollte mit einem halben Jahr am Herzen operiert werden,
doch es ging ihm immer schlechter,
da es spürte, dass die Mutter nicht
mehr da war. Das Kind musste operiert werden und lag 48 Stunden
lang mit einem offenen Herzen in
der Klinik. Da hatte Regine Schünemann die Idee, eine Kollegin zu
fragen, die Waldorf-Pädagogin ist,
selber vier Kinder hat und gerne
eine Stelle haben wollte. Somit hat
sie sich, seitdem sie das erste Mal in
der Klinik war, wie eine Mutter um
das Kind gekümmert, ist mit ihm in
die Reha gefahren und hat es fühlen
lassen, dass es zu jemandem gehört
und nicht alleine ist. Mittlerweile ist
das Kind vier Jahre alt, kerngesund
und hat sich gut entwickelt.
Es ist für Kinder eben wichtig,
geliebt zu werden und den Rückhalt der Eltern zu haben, um sich zu
einem selbstbewussten Menschen
zu entwickeln. Wer als Baby schon
Gewalt und Liebesentzug erfährt,
ist später kaum in der Lage, Liebe
an seine eigenen Kinder weiterzugeben.
Jolina Specht
Felix-Klein-Gymnasium, Göttingen
ch finde das gut, so kann sogar
ein kleines Dorf wie unseres
diesen armen Menschen helfen“,
sagt Julia Gröneweg. Die 82-Jährige bezieht sich auf ein großes
Ereignis im Dorf Harkebrügge im
Oldenburger Münsterland: Das
Pfarrhaus wurde umgebaut, sodass
drei Wohnungen für Flüchtlingsfamilien geschaffen wurden. Es handelt sich bei diesen Familien um
Flüchtlinge aus Syrien, die vor dem
dort herrschenden Bürgerkrieg und
Terror geflüchtet sind. „Gerade bei
Familien finde ich es sehr wichtig,
dass sie vernünftig untergebracht
werden, wegen der Kinder“, fügt
sie hinzu.
Das Pfarrhaus stand schon länger
leer, da Harkebrügge keinen eigenen Pfarrer mehr hat, sondern sich
mehrere umliegende Gemeinden zu
einer Pfarrgemeinde zusammengeschlossen haben. Simone Lammers,
die bei den Renovierungsarbeiten
geholfen hat, erzählt: „Es wurde
schon öfter überlegt, was nun mit
dem Haus passiert. Ob es zu einem
Dorfgemeinschaftshaus umgebaut
wird oder eventuell sogar abgerissen wird, war unklar.“ Doch durch
die Flüchtlingskrise und den fehlenden Raum für Asylbewerber entwickelte sich die neue Idee. „Das
Haus wurde früher nicht nur vom
Pastor bewohnt, sondern auch eine
Haushälterin lebte dort, also war
genug Platz vorhanden, es musste
nur renoviert werden“, erklärt die
45-jährige Blondine.
Die Idee wurde vorwiegend positiv aufgenommen und von den
meisten Dorfbewohnern unterstützt,
aber es gab auch einige wenige Kritiker. „Die meisten negativen Dinge, die ich gehört habe, waren für
mich vollkommen unverständlich.
Wie kommt man nur auf solche absurden Gedanken“, fragt sich die
zierliche Julia. „Ich habe gehört,
wie jemand meinte, es bestehe eine
Gefahr, da die Wohnungen recht
nah am Kindergarten liegen. Das
hat mich schockiert. In diese Wohnungen sollen Familien einziehen,
die selber Kinder haben. Das sind
normale Menschen“, erzählt sie fassungslos. Auch die 20-jährige Annika Schütte kann das nicht nachvollziehen. „Ich habe besonders
auf Facebook oftmals Kommentare gelesen, bei denen man meiner Meinung nach nicht mehr von
negativer Kritik reden kann. Das
war Hass, meist mit sehr schlechten
Argumenten begründet, wenn man
das überhaupt Argument nennen
kann“, beschreibt die Studentin, die
in Harkebrügge geboren ist und nun
in Osnabrück lebt. „Man kann zur
Flüchtlingskrise denken, was man
möchte, aber dieser unbegründete
Hass auf Menschen, die einfach nur
Hilfe benötigen, das kann ich nicht
verstehen“, sagt sie. „Gott sei Dank
sind aber die meisten hier im Dorf
positiv gestimmt. Es ist doch schön,
wenn man helfen kann“, steuert Simone bei.
„Auf jeden Fall hilft ein fester
Wohnsitz, um die Asylbewerber zu
integrieren, und vielleicht folgen ja
bald andere unserem Beispiel. Es
gibt doch bestimmt genug leerstehende Häuser und ganz sicher genug Menschen, die helfen wollen,
man muss ihnen nur die Möglichkeit geben zu helfen“, schließt Julia
Gröneweg hoffnungsvoll.
Insa Gröneweg
Albertus-Magnus-Gymnasium
Friesoythe
kleine zeitung
Freizeit und Fernweh
Seite 9/Ausgabe 4/Dezember 2015
Zeitung in der Schule mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland
Der Unternehmer als Gipfelstürmer
Karl Schlegel ist nicht nur Manager, sondern Bergführer, Skifahrer und Paraglider
D
ie kornblumenblaue Haglöfs-Jacke sticht einem
ins Auge. Karl Schlegel
steht in Jeans und mit einem schwarzen Aktenkoffer vor dem Starbucks
Café am Zürcher Hauptbahnhof.
Heute hat er mehr Zeit für ein spontanes Treffen als früher, denn er
lebte nicht nur ein, sondern zwei
Leben gleichzeitig. Das eine spielte
sich in den Büroräumen einer internationalen Firma ab, das andere in
den Bergen. „Nie habe ich nur einen
Gedanken daran verschwendet, eines dieser Leben aufzugeben“, sagt
er bestimmt, „das eine vervollständigte das andere.“
Da war zum einen sein Job als
CEO bei einem weltmarktführenden Technologie-Unternehmen im
Rheintal zwischen Lichtenstein und
dem Säntismassiv, das Komponenten für den Zutritt zu Vakuumräumen herstellt. Da war zum anderen
seine Tätigkeit als Bergretter, vor
allem im Bezirk Sargans, aber auch
in den südamerikanischen Anden.
Schlegel, der auch ein Bergführerpatent hat, brachte nicht nur
selber Menschen in Sicherheit, sondern gab als Instruktor der Gebirgsgrenadiere sein profundes Wissen
an mehr als 10 000 Soldaten aus aller Welt weiter. Die Soldaten lernten
unter seinen Anweisungen, sich über
Fels und Eis zu bewegen, übten, wie
man sein Überleben in den Höhen
sichert, wie man sich in Schneehöhlen orientiert und was beim Sturz in
eine Gletscherspalte zu tun ist.
Seine Reputation war so hoch,
dass der Chef des peruanischen Geheimdienstes ihn und zwei weitere
Bergführer aus der Schweiz beizog,
um Entführungsopfer der Drogenmafia im Eis der Anden unter permanenter Lebensgefahr ausfindig zu
machen und zu retten. „Wir schliefen in der Wildnis, wo wir Wache
schieben mussten und nie wussten,
ob und aus welcher Ecke einer auf
uns zielt. Das war wirklicher Stress,
und wir hatten zeitweise auch Angst,
da wir wussten, dass uns in diesen
entfernten Ecken keiner schnell
helfen würde.“ Zur Ausrüstung gehörten dabei nicht nur Pistolen und
Eispickel, sondern auch geladene
Kalaschnikows. Nach vierwöchiger
Suche blieb der Erfolg aber leider
aus. Denn nichts wurde gefunden.
Das Schweizer Team durfte wieder
in seine Heimat zurückfliegen. Erst
als der Flieger in Lima abhob, hatten die drei Bergführer das Gefühl,
sicher zu sein. „Im Vergleich dazu
sind alle Aktionen im Schweizer
Militär ein Spiel gewesen“, beteuert
er.
Eine Besonderheit des schweizerischen Militärs findet er, dass
jeder sein ziviles Wissen in die Armee mitbringt. Denn anders als bei
einer Berufsarmee hat die Schweiz
eine Milizarmee, das heißt, jeder
hat neben seiner Funktion im Heer
auch noch einen zivilen Beruf. Der
jährlich stattfindende Militärdienst
dauert jeweils nur drei Wochen. „Da
macht es sich bezahlt, dass der eine
Kenntnisse aus der Landwirtschaft
mitbringt und der andere Erfahrungen aus der Medizin. So hat die
Ausbildung ein hohes Niveau und
ist sehr effizient“, sagt er mit einem
breiten Lachen.
Karl Schlegels eigentliche Profession war aber seine Tätigkeit als
CEO der Firma VAT. Er hat dieses
Unternehmen zehn Jahre lang zum
weltweit führenden Hersteller von
Vakuumventilen
mitentwickelt.
VAT ist heute dreimal größer als
der nächste Konkurrent und wächst
profitabel. In jedem I-Phone stecke
mindestens ein von VAT gefertigtes
Teil. Schlegel bekennt dazu: „Es
ist etwas sehr Nüchternes, es war
nicht Liebe auf den ersten Blick.“
Er knickt den Strohhalm in seinen
Händen zweimal um und erzählt
weiter, dass für ihn der Reiz in einer Branche mit Wachstum lag.
Auch technisch war dieses Gebiet
anspruchsvoll. Doch eine Möglichkeit, die Welt zu verändern, was ihm
am Herzen liegt, bestand in diesem
Arbeitsbereich nicht.
Privat unternimmt Schlegel leidenschaftlich gerne Skitourenrennen abseits der Pisten. Schon dreimal hat er bei der „Patrouille des
Glaciers“, dem mit vier- bis fünftausend Teilnehmern weltweit größten
und härtesten Bergsteigerskirennen,
mitgemacht. Dieses Rennen findet
alle zwei Jahre statt.
Um für solche Rennen zu trainieren, steht er jeweils um drei
oder vier Uhr morgens zuhause in
Sargans auf, geht raus in die Kälte,
schnallt sich die Skier an und besteigt den 2800 Meter hohen Pizol.
„Das macht eine Höhendifferenz
von 1700 Metern. Zehn Minuten
warmlaufen, dann nimmt man einen
Rhythmus an und kommt so in einen richtigen Flow“, erklärt er. Im
Frühling genießt er die Morgensonne und schwärmt: „Ich habe mich
dann glücklich und von der Zivilisation entrückt, privilegiert und
dankbar gefühlt, dass ich das neben
meinem Job so erleben darf.“ Punkt
acht saß er dann bereits in der ersten
Besprechung im Büro. Im Sommer
besucht er bis zu dreimal in der Woche Klettergärten: „Wenn ich an die
Felswand komme, habe ich innert
30 Sekunden alles vergessen.“
Nach der Pensionierung will der
62-Jährige nicht nur mit dem Gleitschirm hoch hinaus. Er möchte kleinere und mittelgroße Unternehmen
in Kirgistan aufbauen und unterstützen, indem er der Industrie sein Wissen weitergibt, und er hofft, dass mit
seiner Hilfe viele Leute Arbeitsstellen oder Ausbildung erhalten. All
dies macht er ehrenamtlich, „free of
charge“, wie Schlegel es nennt. Er
sprudelt vor Freude, während er von
seinen Plänen erzählt.
Seine Familie habe ihn immer
und bei all seinen Entscheidungen
unterstützt und stehe auch heute
noch dicht hinter ihm. Er habe auch
stets versucht, einen Ausgleich zwischen seinen Hobbys und der Zeit,
die er mit seiner Familie verbrachte,
zu finden. „Qualität statt Quantität“,
findet er.
Das Training für die Wintersaison hat für Karl Schlegel bereits begonnen. Er möchte zehn bis zwölf
Rennen laufen, was relativ viel ist,
da man sich nach jedem Rennen
Zeit nehmen sollte, sich wieder zu
regenerieren. Insbesondere plant er,
an der berühmten Sellaronda teilzunehmen, einer Skitour, die über die
vier Pässe Sellajoch, Pordoijoch,
Campolongopass und Grödner Joch
in Südtirol führt und die im Sommer
auch mit dem Fahrrad absolviert
werden kann.
Schlegels wichtigstes Saisonziel
ist allerdings die Verteidigung des
zweiten Ranges bei der „Patrouille
des Glaciers“ in der Kategorie seines Teams. Und wer weiß, vielleicht
reicht es beim 60 Kilometer langen
Rennen von Zermatt nach Verbier
über Gletscher, die bis 3600 Meter
hoch sind, sogar für die Goldmedaille.
Shannon Eckhardt
Kantonsschule Zürcher Oberland
Wetzikon
Wahrzeichen im Nebel: die Golden Gate Bridge
Treffen der Nationen
Eine Abschlussfahrt quer durch die Vereinigten Staaten
W
ir reisten mit dem Bus einen
Monat lang von der Ostküste zur Westküste und wieder zurück
zur Ostküste“, berichtet Simran Karnik begeistert. Die Inderin wohnt in
dem Bundesstaat Maharashtra im
Nordwesten des Subkontinents. An
der Bustour durch die Vereinigten
Staaten haben Austauschschüler
verschiedener Nationen teilgenommen, die ihr Auslandsjahr bereits in
Amerika verbracht hatten.
Die Reise war somit die Abschlussfahrt der Austauschschüler.
„Das Schöne war, dass zwischen Jugendlichen unterschiedlichster Nationen in dieser Zeit echte Freundschaften entstanden sind und dass
gemeinsam viele atemberaubende
Städte Amerikas bereist wurden“,
betont der Taiwaner Chun-Kung
Chiu.
Wo man eher eine ruhige Kugel schiebt
Boßeln ist in Nordeutschland ein beliebtes Freizeitvergnügen
W
enn ich ehrlich bin, habe
ich bis heute noch nicht begriffen, wie die Regeln eigentlich
sind. An der Reaktion der Gruppenmitglieder erkennt man aber
schnell, wie man geworfen hat, bei
mir schütteln sie meistens den Kopf
oder verdrehen die Augen“, erzählt
die erfahrene Boßelerin Bettina Toben aus Friesoythe im Landkreis
Cloppenburg. Boßeln ist eine gesellige Freizeitbeschäftigung, die
tatsächlich als anerkannte Sportart
gilt. Ziel ist es, die mit Blei gefüllte
Gummi- oder Holzkugel stets weiter als die gegnerische Gruppe zu
werfen.
„Für ein allgemeines Wohlbefinden und fortschreitende Heiterkeit sorgen die mit Getränken und
Snacks bestückten Bollerwagen
während des Ganges“, versichert
Kerstin von Hammel. Sie selber
boßelt seit 15 Jahren und hat schon
viel Lustiges auf dem Weg erlebt,
wie zum Beispiel, dass eine Kugel
im Graben versenkt wurde und der
„Angler“ danach fürchterlich stank,
weil er im Graben, der mit Abwasser verunreinigt war, landete.
Beim Boßeln steht nicht der
sportliche Aspekt im Vordergrund,
sondern die damit einhergehenden
Aktivitäten, vor allem das gesellige Trinken. „Da wir mittags schon
anfangen, auf Grund des benötigten
Tageslichts, ist ein Ende des Abends
trotz herrschender Partylaune wegen alkoholbedingter Ausfälle
seitens der Gäste meistens früh in
Sicht“, sagt Bettina Toben.
Wenn der Gang von fast vier Kilometern über die wenig befahrenen
Wegstrecken außerhalb von Friesoythe beendet ist, kehren die Teilnehmer in eine Gaststätte, die von
dem amtierenden Kohlkönigspaar
ausgewählt wurde, ein. Dort wird
nach dem gemeinsamen Kohlessen
das neue Königspaar gekürt, hierbei
sollte man annehmen, dass diese
Ehre den erfolgreichsten Boßlern
zuteil wird, dem ist aber nicht so.
Das Kohlkönigspaar steht im Normalfall schon lange vorher fest und
wurde von den Organisatoren der
Tour bestimmt. „Als Kandidaten
kommen hier vorzugsweise besonders trinkfeste Boßler und Boßlerinnen in Frage“, fügt Kerstin belustigt
hinzu. Die Bekanntgabe der Namen
obliegt dem amtierenden Königspaar des letzten Jahres und wird
meist mittels eines vorhergehenden
Rätselratens kundgetan. Wohin im
nächsten Jahr geboßelt wird, wird
dem neuen Königspaar überlassen
und bleibt bis dahin geheim.
Wann man auf keinen Fall mitboßeln sollte, wissen Kerstin und
Bettina ganz genau. Möchte man
aus gesundheitlichen oder anderen
Gründen keinen Alkohol trinken,
hält man die Veranstaltung nur
schwer durch.
Friederike Toben
Albertus-Magnus-Gymnasium
Friesoythe
Fotos Vanessa Jentgen
Freundschaften und Zusammenhalt der Teilnehmer wurden dadurch
gestärkt, dass alle fünf Tage die Zimmerverteilung gewechselt wurde,
wobei darauf geachtet wurde, dass
immer vier Jugendliche verschiedener Nationen sich ein Zimmer teilten. Gemeinsam wurden Städte wie
San Francisco, Las Vegas oder auch
Washington besucht.
„Natürlich mussten wir jeden Tag
sehr lange Bus fahren, manchmal bis
zu neun Stunden täglich“, berichtet
die Belgierin Maureen Monjardez.
„Doch die langen Fahrten wurden
dadurch erträglich, dass am Ende
der Fahrt beispielsweise der Grand
Canyon oder Hollywood auf einen
wartete. Außerdem waren auch die
unterschiedlichen
Landschaftswechsel, die wir auf den Fahrten
erlebten, etwas ganz Besonderes.
So wechselte sich zum Beispiel das
Bild einer Großstadt mit dem einer
Wüste ab. Des Weiteren haben wir
die Fahrzeit beispielweise mit Kartenspielen verbracht.“
„Einmal hatten wir Jugendlichen
ein gemeinsames Picknick, zu dem
ein Mann mit einem kleinen Alligator eingeladen war, sodass jeder, der
wollte, den Alligator in den Händen
halten konnte, was ein einzigartiges
Erlebnis war“, erzählt die 18-jährige Inderin Simran.
„Eine besondere Erfahrung war
es auch, als alle 105 Teilnehmer der
Fahrt zusammen in einer umgebauten Kirche in Fort Stockton im Bundesstaat Texas auf Luftmatratzen
schliefen“, fährt sie, über ihre Brille
hinweg schmunzelnd, weiter fort.
Dem 17-Jährigen Taiwaner
Chun-Kung Chiu hat besonders der
Riverwalk in San Antonio gefallen,
den er mit Venedig vergleicht. Für
Maureen, die 19-jährige, blonde
Belgierin, waren die Universal Studios in Hollywood das Highlight,
bei denen man hinter die Kulissen
der Filmproduktion schauen konnte.
Aber auch Wyoming sagte ihr zu.
Dort wurde ein Rodeo besucht, und
alle Austauschschüler nahmen an
einer Wildwasserbootfahrt teil, bei
der sie „pitschnass“ wurden, aber
viel Spaß hatten. Gerne würde sie,
mit ein bisschen mehr Zeit, an diese
Orte zurückkehren. „Denn um diese
Fahrt in einem Monat bewältigen zu
können, gab es relativ wenig Zeit,
sich die jeweiligen Städte genauer
anzusehen.“
„Es sind nicht nur die Reiseziele, die eine Reise unvergesslich machen, sondern vor allem
die Mitreisenden“, erinnert sich
der leidenschaftliche Gitarrenspieler Chun-Kung Chiu. „Es ist zwar
schade, dass diese Zeit nun vorbei
ist, doch weine nicht, weil es vorbei
ist, sondern lache, weil es möglich
war.“
Sarah Griesoph
Albertus-Magnus-Gymnasium
Friesoythe
Schule und Beruf
kleine zeitung
Seite 10/Ausgabe 4/Dezember 2015
Zeitung in der Schule mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland
Aus der Traum
V
Wenn Berufsträume wie Seifenblasen zerplatzen
Laufbahn auf dem Acker: Sportunterricht an einer afrikanischen Schule
Foto Friedemann Bieber
Sich in Afrika fit fürs Studium machen
Ein Freiwilliges Soziales Jahr in Ghana
D
as war mit die beste Entscheidung meines Lebens
bis jetzt“, erklärt Friederike Kösjan
begeistert. Die braunhaarige, junge
Frau aus Markhausen im Landkreis
Cloppenburg absolviert seit August
2015 in Ghana ein Freiwilliges Soziales Jahr. Zusammen mit Tessa
Grunke aus Aurich, die sie dort kennengelernt hat, betreut sie Kinder
in einem Heim. „Ich wollte wieder
zurück nach Afrika“, sagt die 18jährige Ostfriesin, die bereits im
Alter von 15 Jahren für drei Monate
in Gambia zur Schule gegangen ist.
Sowohl Tessa als auch Friederike
wollen mit Kindern zusammenarbeiten und haben durch die Organisation Weltsicht die Möglichkeit bekommen, dieses im Ausland zu tun.
„In der ersten Woche hatten wir
ein Orientierungsseminar in Kumasi mit weiteren Freiwilligen zusammen“, erklärt Friederike. Hier
wurde den Jugendlichen die Umgebung gezeigt, und sie bekamen erste
Einweisungen in ihre Projekte. „Die
Verteilung in die Familien gestaltete
sich bei uns beiden anfangs schwierig“, berichtet die blonde Tessa, „da
wir erst in einem Dorf waren, wo
das Zimmer unbewohnbar war, sodass wir zurück in die Stadt kamen.“
In ihrer neuen Gastfamilie, die sich
bei der Partnerorganisation RVO
Services Ghana angemeldet hat,
wohnen die beiden Abiturientinnen
in einem Gästehaus mit eigener Küche und eigenem Badezimmer. „Wir
leben hier wie in einer WG noch mit
zwei anderen Freiwilligen zusammen“, sagt Friederike. „Die Gastfamilie ist sehr nett. Einmal am Tag
kocht sie warmes Essen für uns.“
In ihrem Projekt beschäftigen
sich beide mit Kleinkindern und
unterstützen die Lehrerin im Unterricht, indem sie mit den jüngsten Kindern im Heim spielen und
spielerisch versuchen, ihnen erste
Buchstaben beizubringen. Die 1,70
Meter große Tessa sagt: „Wir haben
beispielsweise schon das bekannte Lied Kumbaya mit den Kindern
eingeübt.“
Die Kommunikation stellt sich
jedoch manchmal als schwierig dar,
da die Kinder fast ausschließlich
Twi sprechen und die beiden jungen
Frauen viele Übungen mehrmals,
teilweise mit Händen und Füßen,
erklären müssen. Neben täglichen
Einkäufen und dem Besuch im Fitnessstudio reisen Tessa und Friederike häufig. „An den Wochenenden versuchen wir immer möglichst
viel von der Umgebung zu sehen,
beispielsweise waren wir schon
in Accra und an vielen Stränden“,
schwärmt Friederike, die später
Gesundheitsmanagement studieren
möchte. „Natürlich gehen wir auch
ab und zu mal in Discos, feiern oder
treffen uns mit Ghanaern, die wir
bereits kennengelernt haben“, fügt
Tessa hinzu.
„Ich habe es noch nie erlebt, dass
Menschen so offen gegenüber Fremden waren“, berichtet die 19-jährige
Friederike. Die beiden Jugendlichen
haben keine Probleme damit, neue
Leute kennenzulernen. „Es leben
echt wenig Weiße hier in Kumasi,
sodass wir fast eine Art Attraktion
sind und jeder uns anspricht“, schildert Tessa und lacht.
„Bis jetzt geht das noch“, erklärt Friederike auf die Frage, ob
sie ihre Familie vermisst. „Wir haben eigentlich immer was zu tun
und sind abgelenkt und haben uns
zudem schnell an die Lebenssituation hier gewöhnt“, ergänzt Tessa,
die nach ihrem Aufenthalt in Ghana
Fitnessökonomie studieren möchte.
Nach fast zwölf Monaten werden
die beiden Ende Juli 2016 zurück
nach Deutschland fliegen. „So viele Erfahrungen wie hier hätte ich,
glaube ich, an keinem anderen Ort
sammeln können“, erklärt Friederike lächelnd.
Jessica Tellmann
Albertus-Magnus-Gymnasium
Friesoythe
Als Schüler bis tief in die Nacht arbeiten
Adrian Hille macht Abitur und betreibt eine eigene Computerfirma
L
eise ertönt das Geräusch einer Computertastatur, ein tiefer Atemzug folgt gleich darauf.
Zwischen Bergen von Papier und
Computerzubehör steht ein Laptop.
Vor ihm sitzt ein schwarzhaariger
Mann, mit konzentriertem Blick auf
den Bildschirm. Adrian Hille ist 19
Jahre alt und hat bereits eine eigene
Firma. Schon als er klein war, begeisterte er sich für Computer und
wollte sein Hobby zum Beruf machen.
Dieser Schritt folgte schneller
als er es selbst gedacht hätte. 2013
gründete er seine Firma Hille Technology und führt diese nun neben
der Schule. Wie er das neben seinem
Abitur alles schafft, wird er nicht
selten gefragt. Er selbst entgegnet
darauf gelassen: „Jeder hat doch ein
Hobby neben der Schule. Meines ist
eben gleichzeitig mein Beruf.“
Seine Arbeit besteht aber nicht
nur darin, Computer zu verkaufen
oder zu reparieren. Zu den Tätigkeiten gehören das Erstellen und Bearbeiten von Webseiten sowie das
Designen und Drucken von Flyern
und Visitenkarten.
Da Adrian vormittags seinen
Pflichten in der Schule nachgeht,
muss er manchmal bis in die Nacht
hinein arbeiten, um alle anstehenden Aufträge erledigen zu können.
Dabei trete auch schon mal der
eine oder andere Fehler auf. „Am
schwierigsten ist es für mich, wenn
ich nicht der erste Informatiker bin,
der an einem Computer oder einer
Webseite arbeitet, denn dann kommt
es gehäufter zu Problemen, die man
nicht auf Anhieb lösen kann.“
Auch Verwandte und Bekannte
fragen ihn oft, wenn sie Probleme
mit ihren technischen Geräten haben. „Ich helfe dann natürlich gern,
denn es macht mir ja Spaß“. Der
Abiturient sagt aber auch, dass es
nicht immer einfach sei, ein gutes
Zeitmanagement hinzubekommen.
Oft müsse er auch am Wochenende arbeiten, wenn alle anderen sich
vergnügen. Seine Freunde haben
dafür zumeist Verständnis, wenn
auch nicht immer.
Durch ein erfolgreich absolviertes Jahr in Michigan erlangte Adrian
Hille in Englisch gute Sprachkenntnisse. Insbesondere freute er sich
aber über die Hilfe von Wolf-Dieter Otte. „Er ist ein entfernter Verwandter von mir und vor ein paar
Jahren nach Amerika ausgewandert.
Als Professor für Informatik gab er
mir zusätzlich Motivation, meinen
Traum zu verwirklichen.“ Nach der
Schule möchte Adrian Informatik
studieren. „Informatik ist schließlich
die jüngste Wissenschaft, demnach
wird der Beruf des Webdesigners
und Programmierers eine relativ
lange Lebensdauer haben.“
Vivien Häser
Augustum-Annen-Gymnasium, Görlitz
or ein paar Jahren machte
Markus (Name geändert)
seinen erweiterten Realschulabschluss mit einem Schnitt
von 2,6 – keine Glanzleistung, aber
das sollte damals auch nicht den
Höhepunkt seiner Schulkarriere
darstellen. Sein Plan war, an einem
beruflichen Gymnasium mit dem
Schwerpunkt Sozialpädagogik das
Abitur zu schaffen, um ebendies
studieren und seinem Traumberuf,
Streetworker, nachgehen zu können.
Die Arbeit mit sozial benachteiligten Menschen hätte ihn gereizt, vor
allem mit jungen Erwachsenen, die
„ihr Leben nicht sofort auf die Reihe kriegen – so wie ich nun selbst
einer bin, welche Ironie“.
Der in einem kleinen Dorf bei
Göttingen lebende, heute 21-Jährige dachte, er könnte es bewerkstelligen durch Pauken, erzählt er voller
Elan, man kann erahnen, wie motiviert Markus war, sogar Stoff vorgearbeitet habe er, das Interesse und
das Ziel waren ja da. „Doch dann
habe ich so ziemlich die dümmste
Entscheidung überhaupt getroffen“,
schnaubt er und schüttelt den Kopf.
Um seine nicht guten, aber akzeptablen Noten zu verbessern, wiederholte er freiwillig die 11. Klasse
– eigentlich keine schlechte Idee,
wären ihm im nächsten Jahr nicht
seine persönlichen Probleme über
den Kopf gewachsen: Eine schwierige Beziehung zu einer Manisch-Depressiven sowie der plötzliche Tod
einer guten Freundin hätten ihn runtergezogen, er hätte sich nicht mehr
auf die Schule konzentrieren können, und schließlich hätte die Faulheit gesiegt, gibt er zu. Wütend und
enttäuscht sei sein Vater gewesen,
damals brüllte er Markus an, dass
er ihn auf die Straße setzen würde,
doch seine Mutter wollte ihn weiter unterstützen, sah sie doch, wie
panisch er wurde, als ihm klar war,
dass er sein Abitur nicht schafft.
Schnell jedoch kam ihm eine
neue Idee: Einen handwerklichen
Beruf wollte er erlernen und später in seinem eigenen Betrieb zur
Wiedereingliederung straffällig gewordener Jugendlicher beitragen.
Wegen versäumter Fristen bekam
Markus aber zunächst keine Stelle.
Also begann er im Sommer 2013 ein
Praktikum in einem Kinderhort, um
zumindest „in der sozialen Schiene
zu bleiben“. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte er Angst, keinen Ausbildungsplatz mehr zu bekommen,
gab es in seinem Lebenslauf doch
praktisch eine zweijährige, durch
den Misserfolg auf dem Beruflichen
Gymnasium bedingte Lücke, und so
bewarb er sich sofort wieder für das
nächste Ausbildungsjahr, und zwar
für Berufe wie Lagerlogistiker, KfzMechaniker oder Metallbauer. Nach
drei Monaten allerdings flog er aus
dem Praktikum raus, weil die Mütter Bedenken hatten, ihre Kinder
von einem ungelernten, männlichen
Praktikanten betreuen zu lassen. Die
Väter dagegen hätten sich gefreut,
dass ihre Jungs auch mal einen
männlichen Betreuer hatten. Nach
diesem zweiten Scheitern dachte
seine Mutter, er sei nicht zum Praktikum erschienen oder hätte sich mit
der Chefin angelegt. „Da war ich nur
noch sauer auf die ganze Welt, der
Rauswurf war vollkommen ungerechtfertigt“, erzählt Markus. Nach
tränenreichen Diskussionen hätten
ihm seine Eltern geglaubt.
Also bewarb er sich weiter
– mit Erfolg: Elf Betriebe wollten
ihn schließlich als Auszubildenden, seine Entscheidung fiel auf
einen Betrieb in der Nähe, in dem
er Fachkraft für Lagerlogistik lernen wollte. Das sei zwar nicht sein
Traumberuf gewesen, er habe sich
aber redlich Mühe gegeben, viele
Überstunden gemacht und zunächst
auch positives Feedback von seinen
Mitarbeitern bekommen – bis zu
dem Tag, etwa fünf Monate nach
Beginn der Ausbildung, als er zusammen mit dem zweiten Auszubildenden ins Büro gebeten wurde,
wo auf ihn eingeredet wurde, sofort die ihm vorgelegten Papiere zu
unterschreiben, was er auch in der
Aufregung tat und somit seine Kündigung und die Verzichtserklärung
auf rechtliche Schritte billigte. Den
angeblichen Grund der Kündigung,
sein mehrmaliges Fehlen in der Berufsschule, könne er durch Atteste
und Beglaubigungen der Lehrkraft
widerlegen, sagt Markus. In Wahrheit habe die neue Unternehmensführung statt Auszubildende lieber
billigere Hilfskräfte beschäftigen
wollen. Rechtsgültig war die Kündigung durch die unüberlegte Unterschrift trotzdem, sodass Markus
zur Agentur für Arbeit musste. Die
empfahl ihm, sich bei einer sogenannten berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme anzumelden, um
dort im besten Fall schnell an einen
Betrieb vermittelt zu werden.
Doch die Teilnahme an der Maßnahme brachte nicht den erhofften
neuen Ausbildungsplatz, sondern
ließ Markus nur noch mehr resignieren.
Beschäftigungstherapie
sei das meiste gewesen, mehrmals
in der Woche musste er mit Holz,
Metall oder Speckstein basteln, ellenlange Tests durchführen, die nur
zu den Akten gelegt wurden. Es
wäre effektiver gewesen, meint er,
von zuhause aus Bewerbungen zu
schreiben, zumal er dann nicht gezwungen war, die Teilnahme an der
Maßnahme in seinen Lebenslauf zu
schreiben, die sowieso schon einen
schlechten Eindruck bei den Betrieben mache. Alles in allem gewann
Markus den Eindruck, dass die Teilnehmer offensichtlich nur aus der
Arbeitslosenstatistik herausgehalten werden sollten und der private
Träger der Maßnahme sie möglichst
lange dort halten wollte, um so an
Geld vom Staat zu kommen.
So beschloss er, nachdem die
Unterstützung vom Staat für die
Teilnahme an der Maßnahme von
monatlich etwa 300 Euro ausgelaufen war, diese zu beenden, um zuhause noch intensiver Bewerbungen
schreiben zu können – allerdings
kamen nur Absagen zurück, und
obwohl er es wegen seines lückenhaften Lebenslaufes fast nicht anders erwartet hätte, war er trotzdem
enttäuscht. Da sei er froh gewesen,
durch familiäre Kontakte wenigstens an ein Praktikum als Berufskraftfahrer zu kommen. Nun hofft
er, in den nächsten Wochen mit dem
LKW-Führerschein beginnen zu
können und danach in dem Betrieb
eingestellt zu werden. „Ich sehe keine andere Möglichkeit mehr, aber
ich kann schließlich nicht rumsitzen
und nichts tun, das würde mich kaputtmachen.“ Sein Vater habe wieder
eindeutige Worte gefunden: „Wenn
du das versiebst, fliegst du raus.“
Markus will dieses Mal erfolgreich
sein, obwohl dieser Job mit seinem
ursprünglichen Traumberuf nichts
zu tun hat. Er sieht die Schuld dafür
aber auch bei sich selbst, er sagt, er
hätte sich noch mehr in der Schule anstrengen müssen. Mit seinem
Schicksal hadert er trotzdem, aber
seine Einstellung bleibt positiv:
„Es kann ja nur nach vorne weitergehen, die Vergangenheit kann ich
nicht mehr ändern, meine Zukunft
schon.“
Antonia Fidler
Felix-Klein-Gymnasium, Göttingen
Sport und Spaß
kleine zeitung
Seite 11/Ausgabe 4/Dezember 2015
Zeitung in der Schule mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland
Kämpfen bis zum Umfallen
Brazilian Jiu-Jitsu findet immer mehr Anhänger
A
uf dem Boden rennen
Männer und Frauen auf
allen Vieren einem BoxHandschuh hinterher, wie Hunde
einem Ball. Es ist eine Aufwärmübung zum Brazilian Jiu-Jitsu (BJJ)
im 360 Martial Arts Trainingszentrum in Altstetten bei Zürich. Eine
Trainingseinheit ist in drei Phasen
gegliedert: In einer ersten Phase
wärmen sich die Kämpfer auf, wobei Kraft, Ausdauer und Motorik
angesprochen werden, in der zweiten Phase führt der Lehrer, meistens
ein Braun- oder Schwarz-Gurt eine
neue Technik vor, und in der dritten
Phase treten die Schüler schließlich
paarweise gegeneinander an.
„Bei diesem kontinuierlichen
Lernprozess“, erzählt Dino Carta,
ein Braun-Gurt, „wird man immer
wieder gefordert. Denn es werden
Kraft, Ausdauer, Selbstbeherrschung, Beweglichkeit, Konzentration und Gedächtnis gleichzeitig
trainiert. Außerdem fördert es die
Motivation zur gesunden Ernährung.“ Das Training habe ihn von
Alkohol und Drogen abgehalten,
„da man stets fit für die nächste Einheit sein muss“. Für den mittelgroß
gebauten, kahlköpfigen Lehrer des
Trainingszentrums ist Jiu-jitsu nicht
nur eine Sportart sondern auch eine
Lebensphilosophie. Leidenschaftlich erklärt der 38-Jährige, dass man
diese innere Sicherheit, die einem
hilft, keine Furcht vor Konfrontationen zu haben, wie sie auch im Geschäftsleben vorkämen, bekommt,
indem man sich mit seinen Emotionen und Ängsten auseinandersetzt.
„Als ich als Informatik-Supporter
bei Swisscom mit einem Kunden
zu tun hatte, der vom ganzen Team
wegen seiner strengen Art gefürchtet wurde und er an meiner Körpersprache merkte, dass seine Art
bei mir keinerlei Angst oder Verunsicherung auslöste, wollte er nur
noch mit mir zusammenarbeiten.
Wahrscheinlich hat er durch meine
ruhige, aber gezielte Art automatisch Vertrauen zu mir aufgebaut.“
BJJ kann aber auch der Selbstverteidigung gegen Angreifer, Räuber
oder Gangster dienen.
Marco Garic, ein 27-jähriger
Projektleiter, der im Kanton Glarus
aufgewachsen ist, und Blau-Gurt,
teilt diese Meinung. Der in Schlieren im Kanton Zürich ansässige
junge Mann ist durch BJJ lockerer und selbstbewusster geworden.
Außerdem achtet er auch auf seine
Ernährung und versucht, möglichst
viele Proteine und Vitamine zu sich
zu nehmen, um viel Energie für das
nächste Training zu haben. Und
während er beim Training viele Verletzungen erlitten hat, wie zum Beispiel einen Sehnenriss im kleinen
Finger, verletzt er sich im Kampf
selten, doch eine Halskehre durch
eine Wurflandung auf das Genick
ist bei ihm bereits vorgekommen.
Doch im Allgemeinen sei das Verletzungsrisiko im BJJ, verglichen
mit anderen Kampfsportarten, gering, da weder Schläge noch Tritte
erlaubt sind. Der Kampf beginnt
zwar im Stehen, wird jedoch gleich
nach dem „Takedown“ auf dem Boden weitergeführt. Trotzdem fallen
immer wieder Leute während des
Kampfes in Ohnmacht. Auch Dino
Carta gibt zu: „Im ersten Jahr bin
ich zwei Mal in Ohnmacht gefallen, denn manchmal ist das Ego und
der Stolz eines Mannes zu groß,
um abzuklopfen und aufzugeben.“
Der Jiu-Jitsu-Lehrer meint, dass die
meisten am Anfang ihre Grenzen
nicht kennen, und dies ein Hauptgrund für Verletzungen sei. Für
Frauen stellt der Stolz, der bei dieser Sportart schnell zum Verhängnis
werden kann, ein weniger großes
Problem dar, wie Karima Ennebbali
bestätigen kann. Dafür haben Frauen eher Berührungshemmungen, da
man im BJJ mit seinem Gegenüber
immer einen engen körperlichen
Kontakt hat. „Aber da muss man
einfach durch“, erklärt die 25-jährige, aus Marokko stammende Sekretärin, die in Zürich lebt. Man bleibt
stets professionell und alle wissen,
dass keinerlei böse Absichten dahinterstecken. Trotzdem werden
auch Kurse angeboten, bei denen
Frauen nur gegeneinander antreten.
„Wenn man dabei bleiben und das
Gelernte nicht vergessen will, erfordert es viel Geduld und Disziplin,
um oft ins Training zu gehen“, sagt
die 1,76 Meter große Karima. „Es
macht mir Spaß, die eigenen Fortschritte zu beobachten und motiviert
mich, weiterhin dranzubleiben.“
Seit einiger Zeit findet das BJJ
weltweit immer mehr Anhänger.
Dino Carta ist für Kämpfe schon
nach Lissabon, Holland und Sardinien gereist. Gibt es ein Geheimrezept zum Erfolg? Ambition, Geduld,
Disziplin und komplette Hingabe
seien ausschlaggebende Faktoren.
„Man muss seinen inneren Schweinehund überwinden und weitermachen, obwohl die Kräfte am Ende
sind“, erklärt Dino Carta.
Viviana D’Agrosa
Kantonsschule Limmattal, Urdorf
Sixpack mit Profil: Dieser Traktor macht sich von jedem Acker.
Foto Gregor Brzezinski
Die Traktoren ziehen mächtig an
Alle vier Jahre veranstaltet der Oldtimerclub Altenoythe ein Treffen für Freunde alter Gefährte
A
uch dieses Jahr kam wieder
gutes Feedback von allen Seiten“, sagt Gerd Henken, der Schriftführer des Oldtimerclubs Altenoythe. Denn wieder einmal tuckelten
hunderte Traktoren in das Gewerbegebiet Pirgo in Altenoythe, wo alle
vier Jahre das Oldtimertreffen des
Oldtimerclubs Altenoythe stattfindet. Seit mehr als zwanzig Jahren
können Oldtimerfreunde aus dem
Oldenburger Münsterland und darüber hinaus dann alte Autos, Motorräder, aber auch den ältesten Traktor, den Stock C-218, bestaunen. In
diesem Jahr war es das siebte Treffen dieser Art.
„Die Planung beginnt schon etwa
ein Jahr vor der Veranstaltung“, erklärt Henken, der auch im Vorstand
sitzt. So muss man erstmal den
Termin und den genauen Platz des
Treffens festlegen. Des Weiteren
muss man sich um das Programm,
Verkaufsstände, Toiletten und vieles
andere kümmern, wofür hauptsächlich der Vorstand und der Festausschuss, aber auch andere Helfer des
Oldtimerclubs Altenoythe, zuständig sind. Wenige Tage vor dem Oldtimertreffen geht es ans Aufbauen.
Dann kommen noch mal alle Helfer
zusammen.
Schon einige Tage vor dem Oldtimertreffen stehen auswärtige Oldtimerfreunde mit ihren Traktoren
und Wohnanhängern auf dem großen Platz im Gewerbegebiet. Einige
davon kommen sogar aus den Niederlanden und nehmen eine stundenlange Fahrt auf sich. „Ja, manche fahren einen ganzen Tag lang,
aber sie übernachten dann hier auch
mehrere Tage“ sagt Gerd Henken.
Am Samstag um 14 Uhr geht es
los. Nach und nach kommen immer
mehr Traktoren. Diese können sich
die Oldtimerfreunde in Ruhe anschauen, aber sie auch in Aktion,
beispielsweise beim Transport von
Bäumen erleben. Hierbei werden
die Traktoren auf einen Acker gefahren und vor einen schweren Baumstamm gebunden, den sie dann über
den Acker ziehen. Bei dieser Aktion
ist es besonders interessant, wenn
ein Traktor sich festfährt und dann
von anderen Traktoren freigezogen
werden muss.
Nebenbei kann man sich dann an
den Verkaufsständen etwas Warmes
zu essen holen oder sich gemütlich
hinsetzen und einen Kaffee trinken
und ein Stück Kuchen essen. Am
Ende des Tages gibt es eine öffentliche Fete mit einem DJ. „Der Eintritt
ist frei“, betont der 44-jährige Henken, der als kaufmännischer Angestellter arbeitet.
Am zweiten Tag kommen vor
allem Eltern mit ihren Kindern zum
Oldtimertreffen. Es gibt viele Attraktionen, wie zum Beispiel eine
Hüpfburg oder einen 70 Meter hohen Kran mit einer Gondel, aus der
man das ganze Oldtimertreffen von
oben sehen kann. Das Highlight ist
das vom Oldtimerclub Altenoythe
selbstgebaute Wackelboot. „Dies
ist ein Boot, das zwei verschiedene
Radnaben hat und somit hin und her
wackelt. In dem Wackelboot können dann mehrere Kinder sitzen, die
dann von einem Traktor über einen
Platz des Oldtimertreffens gezogen werden“, erklärt Gerd Henken.
Während des Aufenthaltes kann
man unter anderem auch Stände
besuchen, bei denen man Kfz- und
Ersatzteile für Oldtimer-Restaurationen kaufen kann.
Gegen 16 Uhr verlassen viele
Traktoren mit ihren Besitzern das
Oldtimertreffen, weil sie noch einige Stunden nach Hause fahren müssen. Jedoch bekommt jeder, der mit
seinem Traktor da war, noch einen
Pokal zur Erinnerung an das Oldtimertreffen 2015 in Altenoythe.
Insgesamt etwa 400 Traktoren
und Standmotoren sowie insgesamt
3000 Besucher haben 2015 das Oldtimertreffen besucht. Dann wird bereits schon am Sonntagabend und
dann weiter am Montag aufgeräumt
und „natürlich hoffen wir in vier
Jahren wieder auf so gute Besucherzahlen, aber jetzt genießen wir erstmal die anderen Oldtimertreffen in
der Umgebung“, sagt Gerd Henken
lächelnd.
Lars Moormann
Albertus-Magnus-Gymnasium
Friesoythe
Zirkeltraining im Galopp
Sich immer im Kreis drehen und trotzdem zum Ziel kommen: Für Voltigierer wie Hessenmeisterin Sofia Hahners muss das kein Widerspruch sein
E
s ist nicht genug, zu wollen,
man muss auch tun.“ Dieser
Spruch von Johann Wolfgang von
Goethe bezeichnet Sofia Hahners
Motivation. Die blonde, siebzehnjährige Schülerin, die in Fuldas
Stadtrandgemeinde Künzell lebt, ist
die amtierende Hessenmeisterin im
Voltigieren. Man könnte Voltigieren
als Turnen auf dem Pferd beschreiben, wobei sich das Tier in verschiedenen Gangarten bewegt.
Früher wurde Voltigieren oft
als Einstieg in den Pferdesport genutzt, doch mittlerweile wird es
auch als Leistungssport betrieben.
Sofia Hahner begann 2004 in einer „Schrittgruppe“ beim Reit- und
Fahrverein Vorderrhön in Künzell.
Der Verein war im vorherigen Jahr
mit drei Pferden an den Bauernhof
ihres Vaters gezogen. Damals turnte
sie alle Übungen der Pflicht und Kür
im Schritt auf dem Pferd. Durch hartes Training erarbeitete sie sich eine
gute turnerische Leistung und trainiert zurzeit zwei Mal in der Woche
in der M-Gruppe des RFV Vorderrhöns. Außerdem arbeitet sie zwei
Mal wöchentlich an ihrer Einzelkür
nach einem Trainingsplan, den sie
mit ihrer Trainerin entwickelt hat.
„Mich beeindruckt, dass sich die
Leistungen im Voltigiersport von
Jahr zu Jahr steigern“, sagt Sofia
Hahner. „Früher war es etwas Besonderes, einbeinig auf dem Pferd
zu stehen, und heutzutage begeistert
man schon einmal gerne mit einem
FlickFlack oder Salto auf oder von
dem galoppierenden Pferd herunter.
Voltigieren unterscheide sich insofern noch von anderen Sportarten,
als man immer im Team mit Pferd
und Longenführern und auch anderen Voltigierern arbeiten müsse.
Durch ihre Ausdauer hat Sofia es
mittlerweile schon weit geschafft.
Am Ende des Jahres 2005 ist sie in
die M-Gruppe des Vereins gewechselt und startete 2006 auf Turnieren
mit. Dabei hatte sie neue Pflichtübungen und musste alles im Galopp
auf dem Pferd turnen. Außerdem
war sie in der Kür der Obermann
und stand dabei teilweise auf dem
Rücken ihrer Mitvoltigierer. Drei
Jahre später hatte sie ihren ersten
Start als Einzelvoltigiererin. 2011
turnte sie die beste Pflicht beim nationalen Fünf-Länder-Vergleich. Die
gute Beziehung zu dem Pferd Taris
hat zum Erfolg beigetragen, weil
Sofia und ihre Trainerin Alexandra
Taris gemeinsam ausgebildet haben.
Mit 15 Jahren wurde Sofia Deutsche
Jugendmeisterin in München.
In diesem Jahr musste Sofia ihr
Pferd verlassen, da die Besitzerin
in einen anderen Stall wechselte. Auch das Ersatzpferd, das dem
Verein gehört, durfte wegen eines
Sehnenschadens nicht mehr laufen.
Dennoch wurde Sofia mit einem
neuen Pferd Hessenmeisterin und
für die Deutsche Senioren-Meisterschaft nominiert. Für ihre Kür lässt
Sofia sich von Videos international
erfolgreicher Voltigierer inspirieren.
„Da die Küren immer anspruchsvoller werden, sollte das Thema spannend gestaltet werden, dies erreicht
man mit dem passenden Outfit und
der passenden Musik“, erklärt Sofia,
die selbst auch schon die böse Königin Ravenna aus „Snow White and
the Huntsman“ imitierte.
„Voltigieren gehört zu den vielfältigsten Sportarten, die ich kenne“, sagt Sofia. „Man arbeitet mit
Tieren zusammen, man turnt in einem Team, ist gelenkig, hat einen
gut trainierten Körper und verbessert seinen Gleichgewichtssinn. Wer
Adrenalinschübe mag, muss nicht
vom Zehn-Meter-Turm springen,
sondern kann immer wieder neue
Übungen auf dem Pferd ausprobieren. Aber vor allem macht es unglaublich viel Spaß.“
Dadurch ist für ausreichend
Nachwuchs gesorgt, der unter anderem auch von Sofia trainiert wird,
deren eigene Erwartungen an sich
von Saison zu Saison steigen. „Wenn
man einmal vorne an der Spitze war,
möchte man natürlich öfter das Vergnügen haben, so wird man kritischer mit sich.“ Eine Schwierigkeit
ist, dass ihre Trainerin und Freundin
aufgrund ihres Studiums wegzieht.
Nun sucht Sofia nach einem neuen
Trainer.
Annika Felzmann
Freiherr-vom-Stein-Schule, Fulda
Vermischtes
kleine zeitung
Seite 12/Ausgabe 4/Dezember 2015
Zeitung in der Schule mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland
Sie kann auch andere Saiten aufziehen
Profi-Musikerin Astrid Schöning spielt E-Gitarre in verschiedenen Formationen und schreibt Lieder, die sie dann selbst singt
D
as erste Mal vor einem
großen Publikum habe
ich in Stuttgart gespielt.
Plötzlich stehst du auf der Bühne
und 10 000 Augenpaare schauen
dich erwartungsvoll an. Dein Herz
rast. Das ist ein wahnsinniges Gefühl“, erzählt Astrid Schöning atemlos und mit funkelnden Augen. Die
23-Jährige begleitet den Künstler
Bollmer mit ihrer Gitarre. Dieser ist
mit der Musikgruppe Unheilig auf
Tournee. „Dabei sind wir ja nur die
Vorband. Trotzdem rastet das Publikum total aus. Ich war ziemlich erschrocken“, lacht Astrid Schöning,
„und dann haben wir nach unserem
Auftritt sogar noch Autogramme
verteilt.“
Bollmer ist aber nicht der Einzige, mit dem Astrid Schöning Musik
macht. Sie spielt noch Bass in der
Band Hotel Schneider und arbeitet
an eigenen Songs und Texten. Besonders stolz ist Astrid auf ihr SoloProjekt „She’s a woman“, für das
sie ihre Lieder selbst schreibt und
singt. Das hört sich nach viel Arbeit an. Auf die Frage, ob das nicht
viel Stress bedeutet, nickt Astrid
Schöning zustimmend und erklärt:
„Man muss viel planen, vor allem
wenn man in zwei Bands gleichzeitig spielt. Die Treffen, die Proben,
der private Unterricht und auch das
Werben in sozialen Netzwerken wie
Facebook sind sehr zeitaufwendig.“
Astrid wohnt und arbeitet in Berlin, kommt aber aus Augustendorf,
einem kleinen, ländlichen Dorf in
der Nähe von Friesoythe im Landkreis Cloppenburg. „Natürlich habe
ich neben den Touren und meiner
Arbeit in Berlin nicht oft Zeit, nach
Hause zu kommen. Daher ist Mobilität von großer Bedeutung“, erklärt
sie, „aber ich bekomme auch viel
Unterstützung von meinen Eltern.“
Schon als Kind war Astrid musikalisch veranlagt. „Seit meinem achten Lebensjahr spiele ich Gitarre“,
erzählt sie, „Keyboardspielen habe
ich mir über die Jahre selbst beigebracht. In Berlin hatte ich zudem
zwei Jahre Gesangsunterricht.“
Nach ihrem Abitur wollte Astrid
Schöning eigentlich zunächst Musikmanagement studieren. Durch
Zufall erfuhr sie von einem einjährigen Musikerlehrgang in Berlin.
Dies war zwar nichts, was staatlich
anerkannt wird, aber ihr zuständiger Lehrer hat ihr dort viel über
Songwriting beigebracht und ihr
Einblicke in viele Musikrichtungen
gegeben. Danach hat Astrid Schöning noch ein zweijähriges Praktikum in einem Tonstudio gemacht.
„Diese beiden Abschnitte meines
Lebens haben mir viele Kontakte eingebracht. Diese sind für die
Musikbranche elementar“, betont
sie. „Der Kreis der Leute, die in
Deutschland professionelle Musik
machen, ist sehr klein. Berühmte Sänger und Bands wie Casper,
K.I.Z oder Kraftklub haben alle den
gleichen Produzenten.“
Trotzdem braucht man viel Talent und auch Glück, um in der
Musikszene erfolgreich zu werden.
„Das Musikgeschäft ist eine Achterbahnfahrt“, sagt Astrid Schöning
und gibt zu, dass sie am Anfang
etwas blauäugig war. „Fehler und
Tiefpunkte sind notwendig, um die
Astrid Schöning hat am Albertus-Magnus-Gymnasium in Friesoythe ihr Abitur gemacht.
Branche besser kennenzulernen.
Auch ich habe schon sehr negative
Erfahrungen gemacht.“ Die Band
Serge beispielsweise, in der sie früher Gitarre gespielt habe, habe sich
plötzlich aufgelöst. Das Schlimme
daran war für sie, hilflos zusehen zu
müssen, wie sie sich trennt. „Es gibt
Momente, da weiß man halt nicht
mehr weiter. Da ist es gut zu wissen,
dass meine Familie hinter mir steht.“
Enttäuscht ist Astrid Schöning über
Foto Tanya Davidow
die Vorgehensweise der Plattenfirmen. „Viele berühmte Künstler und
Bands aus den Charts sind nur noch
Gebilde der Musikindustrie. Es geht
um Vermarktung, Musik wird zum
kommerziellen Produkt gemacht“,
erklärt Astrid traurig. Sie wird nachdenklich bei der Frage, was Musik
denn für sie bedeute.
„Wenn ich selbst auf einem Konzert bin, schaue ich mir gerne das
Publikum an. Die Leute sind so
glücklich und scheinen von ihren
Problemen und dem Alltagsstress
gelöst zu sein. Wenn ich auf der
Bühne stehe und spiele, versuche
ich dem Publikum dieses Gefühl
zu vermitteln. Menschen so emotional berühren zu können“, erzählt
sie strahlend, „das macht Musik für
mich aus.“
die Farben und das Direkte mit dem
Stift. Es ist fast wie gezeichnete Malerei.“ Sie sitzt in ihrer gemütlichen
Wohnküche und umfasst mit ihren
Händen die heiße Teetasse. Ruhig
fährt sie fort: „Es ist auch so etwas
wie unser Lebensmotto, die künstlerischen und die landwirtschaftlichen
Interessen irgendwie zusammenzubringen und das Künstlerische überall ins Leben einfließen zu lassen.“
Dies ist nur eine Besonderheit, mit
der Sybille Voigt-Nenneckes Ponyhof sich von herkömmlichen Reitanlagen unterscheidet.
Auf ihrem Hof gibt es keine
Einsteller, also Pferde von Privatpersonen, und die Schulpferde nehmen auch nicht an Turnieren teil.
Lebhaft erklärt die Reitpädagogin:
„Mir ist wichtig, dass keine Konkurrenz zwischen den Mädchen entsteht. Ich möchte diesen typischen
Zickenkrieg nicht.“ Die täglichen
Reitgruppen sind darum fest zusammengesetzt, und meistens sind die
Kinder auch über das Reiten hinaus
befreundet.
Außerdem wird speziell betreuter Reitunterricht für die ganz jungen Reitanfänger ab fünf Jahren
angeboten. „Meistens gibt es diese
Möglichkeit für kleine Kinder nur
auf Ferienreithöfen. Bei uns bemühen wir uns das ganze Jahr um eine
Ferienhofstimmung“, fügt Sybille
Voigt-Nennecke stolz hinzu.
Eine weitere wichtige Angelegenheit ist ihr das Erhalten selten
gewordener Ponyrassen. Aus diesem Grund sind knapp ein Drittel
ihrer Schulpferde Dartmoorponys.
Das ist eine alte englische Ponyrasse, die für ihr freundliches Gemüt,
ihre guten Reiteigenschaften und
ein elegantes Aussehen bekannt ist.
Einen Jugendtraum hat die Pferdeliebhaberin sich indessen mit dem
Kauf einiger Islandpferde erfüllt.
„Ich wollte immer gerne Islandpferde haben und konnte sie mir früher
lange nicht leisten.“ Heute sind die
langen Ausritte mit ihrem persönlichen Reitpferd Grund zur Freude
und Erholung in einem oft anstrengenden Alltag.
Der Schlüssel zum eigenen Reitbetrieb war die Geburt ihres ersten
Kindes während des Bildhauerstudiums. In der durch die Mutterschaft bedingten Studiumsunterbrechung überwog die Leidenschaft für
Pferde und Sybille Voigt-Nennecke
entschloss sich, doch Reitlehrerin
zu werden. Dazu absolvierte sie
die nötigen Abzeichen und eignete
sich ebenfalls erweiterte pädagogische Fähigkeiten an. „Letztendlich
bin ich genau da gelandet, wo ich
gelandet wäre, wenn ich das alles
vielleicht schon eher gemacht hätte“, gibt Sybille Voigt-Nennecke lachend zu. Zufrieden sagt sie: „Es ist
eine tolle Arbeit und eine sinnvolle
Arbeit, über die ich mich sehr freue
und die mir auch viele schöne und
zwischenmenschliche Erlebnisse
schenkt.“
Zum Beispiel unterrichtet meine Tochter Vera in der Reittherapie
ein vierjähriges Mädchen, das blind
und Spastikerin ist. Eigentlich kann
es sich nur an Vera klammern, aber
auf dem Pferderücken entspannt es
sich dann langsam immer mehr. Das
mitzuerleben, ist sehr berührend.“
In manchen Fällen liegt das Glück
der Erde eben wirklich auf dem Rücken der Pferde.
Maike Lüken
Albertus-Magnus-Gymnasium
Friesoythe
Wo Lebenskünstler fest im Sattel sitzen
Sybille Voigt-Nennecke ist Künstlerin, Landwirtin und Reitlehrerin
D
ie Liebe zu Pferden besaß
ich schon, bevor ich denken
konnte“, sagt Sybille Voigt-Nennecke lächelnd und erklärt, dass sie
bereits als Kleinkind auf dem Arm
ihrer Großmutter aufgeregt auf jedes Pferd am Zaun gezeigt hat. Die
Tochter des berühmten Werbefachmanns Jürgen Scholz wurde 1959 in
Mülheim an der Ruhr geboren und
wuchs in ländlicher Umgebung von
Düsseldorf auf. Ihre Familie hatte
nichts mit Pferden zu tun, und außer der glühenden Liebe zu Pferden
deutete wenig darauf hin, dass die
emphatische Frau später einmal einen eigenen Ponybetrieb und Biolandhof in Schleswig-Holstein betreiben würde.
„Ich bin die ganze Kindheit über
geritten, mit zehn bekam ich die ersten zehn Reitstunden geschenkt und
mit zwölf mein erstes eigenes Pony.
Pferde haben meine Jugend gerettet“, erzählt Sybille Voigt-Nennecke ernst. „Meine Eltern haben sich
getrennt, als ich sechs Jahre alt war,
und nach der Scheidung habe ich bei
meinem Vater weitergelebt. Er hatte
oft wenig Zeit für mich, und Pferde
und Reiten waren meine Zuflucht.
Später war das auch eine Motivation für mich, Kindern die Möglichkeit zu geben, auf meinem Hof dieses Freiheitserlebnis mit dem Pferd
und so ein bisschen den Traum vom
eigenen Pony zu erleben.“
Gemeinsam mit ihrem Mann
Paul Nennecke betreibt Sybille
Voigt-Nennecke seit 15 Jahren einen Biolandhof mit integriertem
Reitbetrieb in der Ortschaft Götheby, einem Ortsteil der Gemeinde Fleckeby im Kreis RendsburgEckernförde in Schleswig-Holstein.
Zuvor war sie bereits aus Herzensgründen ins nördlichste Bundesland
Deutschlands gezogen und lebte auf
einem Bauernhof in Kappeln an der
Schlei. Dort hielt sie allerdings nur
privat Pferde. Nach dem Umzug
nach Götheby zu ihrem zweiten
Mann Paul Nennecke entwickelte
sich aus einigen Unterrichtsstunden
für Bekannte nach und nach der Ponyhof.
Die Unterrichtsstunden stellen
dabei einen wesentlichen Betriebszweig des Hofes dar. Derzeit besitzt
die Frau mit den dichten grauen Lo-
Impressum
kleine zeitung
Herausgeber:
IZOP–Institut zur Objektivierung
von Lern- und Prüfungsverfahren,
Heidchenberg 11, 52076 Aachen
Redaktion:
Norbert Delhey (Jugend schreibt),
Titus Maria Horstschäfer (Jugend
und Wirtschaft)
Förderung des Projektes „Jugend und Wirtschaft“:
cken etwa 20 Ponys und unterrichtet
auf ihrem Hof bis zu 60 Kinder im
klassischen englischen Reitstil, der
am meisten verbreiteten Reitart in
Deutschland.
„Zusätzlich lege ich großen Wert
auf die Selbständigkeit meiner Ponykinder und lehre sie Harmonie
zwischen Pferd und Mensch. Die
Begeisterung der Kinder und ihre
Entwicklung zu tollen Reitern und
Menschen zu beobachten, macht
einen großen Reiz meiner täglichen Arbeit aus und entschädigt für
die viele anstrengende Stallarbeit“,
sagt Sybille Voigt-Nennecke und
setzt zwinkernd hinzu: „und für das
frühe Aufstehen“. Die dreifache
Mutter führt zwar einen „Ein-FrauBetrieb“, erfährt aber viel Unterstützung durch ihre Familie und Reiterfreunde aus der Umgebung.
Bevor Sybille Voigt-Nennecke
sich endgültig für den Reitlehrerberuf entschieden hatte, wollte sie mit
16 Jahren bereits die Schule abbrechen und eine Bereiterlehre anfangen. Dies ist die Grundausbildung
und Voraussetzung für die meisten
Berufe, die mit Pferden zu tun haben. Ihre Mutter setzte sich allerdings dagegen durch, und so folgte
nach dem Abitur zunächst ein einjähriges Erzieherseminar. Anschließend begann die Hobbykünstlerin
ein Bildhauerstudium in Alfter bei
Bonn. Später setzte sie das Studium
in Basel fort.
„Mein Vater war Grafiker, und
wir haben immer gezeichnet. Von
ihm habe ich auf jeden Fall diese
künstlerische Ader geerbt.“ Zurzeit
arbeitet Sybille Voigt-Nennecke,
deren Mann ebenfalls malt, bevorzugt mit Ölpastellkreide auf großformatigen Leinwänden. „Ich liebe
Annika Jessen
Lornsenschule
Schleswig