Charles Bowlus - Die Schlacht auf dem Lechfeld
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Charles Bowlus - Die Schlacht auf dem Lechfeld
Inhalt Vorwort von Stefan Weinfurter 7 13 Vorwort des Autors 19 Einleitung 22 Die Schlacht und ihre Bedeutung 25 Zeitgenössische Berichte 41 Ungarische Kriegsführung 46 Pferde und Weiden Die Kunst des Bogenschießens 52 64 Die Magyaren: Krieger und Räuber Die Militärreformen Heinrichs I. Militärorganisation und Gesellschaft Krieg gegen die Slawen 75 79 96 Der ungarische Einfall von 933 106 Die Ungarn und das lateinische Abendland Hintergründe 114 Das Herzogtum Bayern 118 Rebellionen und Invasionen, 953–954 Der Weg zum Lechfeld Die ungarische Strategie Ottos Strategie 152 145 134 144 114 166 Die Umklammerung 172 Die Hauptschlacht Der Weg vom Lechfeld Stürmisches Wetter 187 Krieger und Burgen 194 Das Erbe von St. Lorenz 186 214 Zusammenfassung 227 Ungarische Niederlage – Ottonischer Triumph Karten 242 Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis 250 253 Abbildungsnachweis 272 Register 273 227 Die Militärreformen Heinrichs I. Diskussionen über den entscheidenden Ungarnsieg Ottos I. im Jahr 955 beginnen häufig mit einer Erörterung der Militärreformen, die sein Vater Heinrich I. (919–36) Mitte der 920er Jahre in Sachsen durchgeführt hatte.1 Nach Widukind suchte dieser Herrscher der magyarischen Bedrohung durch eine Neuordnung der Militärstruktur im Herzogtum Sachsen, seinem Stammland, zu begegnen. Als dieser Plan erfolgreich durchgeführt war, stellte er die fälligen Tributzahlungen an die Ungarn abrupt ein, worauf diese aus Rache 933 in Thüringen und Sachsen einfielen. Heinrichs neu erstarkten Streitkräften gelang es jedoch, den Feind in die Flucht zu schlagen und bar jeder Beute ins Karpatenbecken zurückzujagen. Den eindrücklichsten Sieg errangen die Sachsen 933 an der Unstrut bei Riade, einer unbekannten Örtlichkeit, die in der Nähe von Merseburg an der östlichen Grenze Thüringens gelegen haben muss.2 Die so genannte Schlacht von Riade, die einst auf einem Wandbild im Palast zu Merseburg dargestellt war, brachte König Heinrich erheblichen Ruhm als Heerführer. Auch wenn sich der Sieg über die Ungarn 933 kaum mit Ottos glorreicher Vernichtung des gesamten magyarischen Heers vergleichen lässt, stimmen die meisten Historiker überein, dass der glückhafte Ausgang des Konflikts von 955 z. T. den sächsischen Militärreformen zu verdanken war und dass diese in Riade erstmals erfolgreich eingesetzt worden waren. Allerdings ist man sich über das eigentliche Wesen von Heinrichs Reformen nicht einig. Meistens dreht sich die Diskussion um eine einzige Passage in Widukinds Res gestae, die auf ganz verschiedene Weisen interpretiert worden ist.3 Im 19. und frühen 20. Jahrhundert glaubten viele 1 K. Leyser, Saxon Empire und Battle, Medieval Germany and Its Neighbours, hg. v. Dems., London 1982; der Artikel »Saxon Empire« z. B. wird als wichtige Vorstudie für den Essay »Battle« betrachtet. Die Sekundärliteratur über Heinrichs Militärreformen ist unendlich groß. Für eine kurze, aktuelle Bibliographie vgl. J. Laudage, Otto der Große, Regensburg 2001, S. 313, in dem Unterkapitel »Das Vermächtnis Heinrichs I.«, S. 85–95. 2 M. Lintzel, Die Schlacht von Riade, Ausgewählte Schriften 2, hg. v. Dems., Berlin 1961, vermittelt die beste Behandlung dieser Schlacht. 3 Widukind von Corvey, Sachsengeschichte, hg. v. P. Hirsch und H.–E. Lohmann, Die Sachsengeschichte des Widukind von Corvey (MGH SS rer. Germ. [60]), Hannover 1935, und Widukind, Res gestae Saxonicae/Die Sachsengeschichte, (übers.) E. Rotter und D I E M I L I TÄ R R E F O R ME N HE INRIC HS I. 75 Historiker, dieser Text hebe die Bedeutung von statischen Verteidigungslinien gegen die Ungarn hervor, welche ja vermeintlich im Felde unbesiegbar waren.4 Das führte zur Überzeugung, dass es sich bei Heinrichs Reformen hauptsächlich um den Bau von Wehranlagen (urbes) gehandelt haben muss, die der König dann mit einer Besatzung »bäuerlicher Krieger« ausstattete. Bei Widukind erscheinen diese Männer als agrarii milites, ein Begriff, der einzig in diesem Text anzutreffen ist. Die Idee von milites aus dem Bauernstand entspricht den romantischen Vorstellungen von heldenhaften, germanischen »Bauernkriegern«, wie sie im historischen Denken des 19. Jahrhunderts üblich waren. Doch in jüngster Zeit haben deutsche Geschichtsforscher die bewusste Stelle in Widukinds Text mit kritischem Blick betrachtet und sind zu dem Schluss gekommen, dass Heinrichs (und letztlich Ottos) erfolgreicher Kampf gegen die Ungarn wenig mit statischer Verteidigung und »Bauernkriegern« zu tun hatte. Nach dieser Ansicht beruhten Heinrichs Siege auf der Entwicklung eines elitären Korps von schwer gepanzerten Reiterkriegern, die in den Quellen meist durch Begriffe wie miles, armatus oder loricatus gekennzeichnet sind. Man glaubt, eine solch geschulte und gut ausgerüstete Reiterei hätte die Fähigkeit gehabt, magyarische Reiterschützen auf freiem Feld zu stellen und sie zu besiegen.5 Was die agrarii milites betrifft, wird allgemein angenommen, dass diese innerhalb der militärischen Neuorganisation SachB. Schneidmüller (Reclam 7699), Stuttgart 1981. (Fortan gebrauche ich die Reclam Edition für lateinische und deutsche Zitate). Widukind I/35, S. 48–51. 4 Vgl. den kurzen, aktuellen bibliografischen Essay von E. G. Schoenfeld, Freedom and Military Reform, in: The Circle of War in the Middle Ages. Essays on Medieval Military and Naval History, hg. v. D. Kagay und L. Villalon, Woodbridge, Suffolk,1999. 5 Vgl. K. Leyser, Saxon Empire und Battle, wo diese Ansichten gut vertreten werden; ferner B. Scherff, Studien zum Heer der Ottonen, Dissertation Bonn 1985, S. 50–96. B. Eberl, Ungarnschlacht, Augsburg 1955, S. 34, dagegen bezweifelt, dass schwere Reiterei ohne Unterstützung anderer Streitkräfte gegen berittene Bogenschützen erfolgreich sein konnte. Allgemein zum Wandel im Militärwesen des frühen Mittelalters vgl. J. Fleckenstein, Adel und Kriegertum, Bauer und Ritter, und besonders: Zum Problem der agrarii milites, Ordnungen und formende Kräfte des Mittelalters, Ausgewählte Beiträge, hg. v. Dems., Göttingen 1989. Vgl auch K. Leysers posthume Artikel in: Communication and Power 1, London 1994, S. 29–72. Ferner gibt es zwei berühmte Essays, die den Mythos von der Überlegenheit schwerer Reiterei in manchen Kreisen bis heute aufrecht erhalten, dazu L. T. White, Medieval Technology and Social Change, Oxford 1965, S. 1–38; und G. Duby, Les origines de la chevalerie, in: Hommes et Structures du moyen age. Recueil d’articles, Paris 1973, S. 325f. B. Bachrach andererseits steht der Theorie von der Dominanz gepanzerter Reiterei kritisch gegenüber, vgl. Liste seiner verschiedenen Studien in der Bibliografie dieses Buches, besonders: Charles Martell, in: Studies in Medieval and Renaissance History 7 (1970), S. 47f. Viele zeitgenössische Historiker scheinen jedoch die Idee, dass im Frühmittelalter schwere Reiterei dominierte, fraglos akzeptiert zu haben, vgl. K. Reindel, Königtum und Kaisertum der Liudolfinger, in: Handbuch der europäischen Geschichte, hg. v. T. Schieffer, Stuttgart 76 D IE M I LI TÄR R EF OR M EN HE I N R I C HS I . sens nur eine bescheidene Rolle spielten. Ihre Funktion bestand namentlich darin, Wehranlagen zu unterhalten und zu verteidigen, nicht aber die milites armati in eine offene Feldschlacht gegen ungarische Bogenschützen zu begleiten. Obwohl diese Neuinterpretation von Widukinds Text viele deutsche Mittelalterforscher überzeugt hat, gibt es einige, die bezweifeln, dass die schwerfällige, gepanzerte Reiterei fähig gewesen wäre, Einheiten von leicht bewaffneten magyarischen Reiterschützen im Felde einzuholen und zu vernichten.6 Einzig K. Leyser hat zu erklären versucht, wie schwer gepanzerte Reiter die gefürchteten Bogenschützen hätten überwältigen können.7 Seines Erachtens beschützten Kettenhemden die schwere Reiterei vor den scharfen Pfeilspitzen des Feindes und ermöglichten es Heinrichs Kriegern, »die man fast Ritter nennen könnte«, durch einen Sturmangriff ein Gefecht zu erzwingen. Im Nahkampf konnten die Panzerreiter dann mit ihren robusten eisernen Waffen den leicht bewaffneten Gegner niedermetzeln. In einem Zusammenstoß mit solch ungeheuerlichen »Zentauren« blieben den Bogenschützen nur zwei Möglichkeiten: Tod oder Flucht. Leyser glaubte, Ottos Vernichtung der Ungarn auf dem Lechfeld lasse sich auf ein Fehlurteil der ungarischen Befehlshaber zurückführen. Statt eine Scheinflucht zu inszenieren und ihre Gegner auf der weit offenen Ebene in Hinterhalte und Fallen zu locken, hätten sich die Magyaren einem Heer von schwer gepanzerten Reitereinheiten entgegen gestellt, die ihnen an Panzerschutz und Waffen weit überlegen waren. In diesem Sinne brachte also das elitäre Korps von Panzerreitern, das König Heinrich aufgestellt hatte, Otto I. 955 den Sieg, und nicht der Bau seiner Wehranlagen. Allerdings ist es merkwürdig, dass keine Quelle des 10. Jahrhunderts einen derartigen Frontalangriff schwerer Reiterei gegen ein ordentlich aufgestelltes Heer von Bogenschützen erwähnt. Leyser zitiert zwar zwei unbestrittene Beispiele erfolgreicher Sturmangriffe durch schwere Reiterei, doch in beiden Fällen wurden die Bogenschützen von Panzerreitern überrascht und waren nicht vorbereitet auf einen Nahkampf. Das geschah erstmals, als Heinrichs leichte Reiterei die Magyaren bei Riade in eine Falle 1971, S. 671; G. Althoff und H. Keller, Heinrich I. und Otto der Große, Göttingen/Zürich 1985, S. 85; J. Semmler, Francia Saxoniaque, in: Deutsches Archiv 46 (1990), S. 357. 6 B. Eberl, Lechfeldschlacht, und W. Störmer, Zum Wandel der Herrschaftsverhältnisse, in: Festschrift für K. Bosl (2), hg. v. F. Seibt, München 1988, S. 286. 7 K. Leyser, Saxon Empire und Battle, in: Medieval Germany and ist Neighbours, London 1982. D I E M I L I TÄ R R E F O R ME N HE INRIC HS I. 77 lockte.8 Da letzteren keine Zeit blieb, sich in der nötigen Ordnung aufzustellen, war es ihnen unmöglich, ihre Schießkunst effizient einzusetzen. In dieser Situation konnten sie nur eine Salve abfeuern, bevor sich des Königs armati auf sie stürzten. Leysers zweites Beispiel betrifft eine Konfrontation am Tag der Lechfeldschlacht, nämlich den Gegenangriff Konrads des Roten auf die ungarische Einheit, die Ottos Marschkolonne umgangen und die böhmische Legion samt Tross von hinten her überfallen hatte.9 In diesem Fall hatte sich die Kampfordnung der Ungarn, die sich aufs Plündern verlegt hatten, schon längst aufgelöst. In beiden Situationen hatten die Bogenschützen keine Gelegenheit, aus der Ferne Pfeile auf ihre Gegner niederprasseln zu lassen, und waren so ihrer erfolgreichsten Taktik beraubt. Später werden wir die genannten Beispiele noch genauer analysieren. Hier genügt es lediglich festzustellen, dass diese Situationen zeigen, wie unter gewissen taktischen (aber eben nicht allen) Umständen eine Attacke von Panzerreitern für berittene Bogenschützen verheerend sein konnte. Trotzdem muss Leysers These von der allgemeinen Überlegenheit schwer gepanzerter Streitkräfte mit Skepsis begegnet werden, denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass ein Heer von Panzerreitern ohne Unterstützung anderer Waffengattungen eine Streitmacht von Steppenkriegern, die nach den Regeln der Bogenschießkunst operierten, besiegen konnte. Demnach vertrete ich die Ansicht, dass Heinrich und Otto die Ungarn nicht hätten besiegen können, wenn sie sich ausschließlich auf schwer gepanzerte Reiterei verlassen hätten. Im Zuge seiner Militärreformen entwickelte Heinrich I. eine Strategie, die sich am besten mit dem Begriff Verteidigung in der Tiefe umschreiben lässt und die sich auf die Fähigkeiten ganz verschiedenartiger Truppeneinheiten stützt. In diesem Zusammenhang dienten Wehranlagen nicht allein zum Schutz, sondern speziell auch als Stützpunkte, wo Einsätze im Feld vorbereitet werden konnten. Im Folgenden wollen wir das Konzept der Verteidigung in der Tiefe näher unter die Lupe nehmen, indem wir Widukinds Beschreibung von Heinrichs Reformen, die soziale Zusammensetzung seiner Streitkräfte und die Kriege mit den benachbarten Slawen genauer untersuchen. Die Konflikte mit den transelbischen Slawen bildeten gleichsam ein Vorspiel zu den Zusammenstößen mit den Ungarn. Danach folgten die Ungarneinfälle in Thüringen und Sachsen, die König Heinrich 933 durch seinen Sieg bei Riade beendete. Die Darstellung bei Widukind konzentriert sich auf die Reformen in Sach8 Widukind, I/38, S. 58, und Liudprand von Cremona, Antapodosis, hg. v. J. Becker (MGH SS rer. Germ [41]), Hannover 1915, II/31, S. 51–52, beschreiben, wie schwere Reiterei berittene Bogenschützen angreifen sollte. 9 Widukind, III/44, S. 125. 78 D IE M I LI TÄR R EF OR M EN HE I N R I C HS I . sen, also auf Heinrichs unmittelbaren Herrschaftsbereich, auf das Gebiet, wo der Chronist lebte und schrieb. Da König Heinrich außerhalb von Sachsen und Thüringen nur beschränkte Autorität ausübte, ist es unwahrscheinlich, dass militärische Reformen in anderen Regionen wie z. B. Bayern vom sächsischen König veranlasst wurden. Im restlichen Teil der Studie will ich jedoch zeigen, dass auch in Bayern, wo 955 die entscheidenden Kämpfe stattfanden, unabhängig von den Anstrengungen in Sachsen ähnliche Reformen durchgeführt worden waren. Militärorg an i sat i on un d Ge se l l s ch a f t Verteidigung in der Tiefe ist ein Konzept, das heutige Historiker verwenden, um die groß angelegte Strategie des späten Römerreichs zu erklären – obwohl die Römer dafür keinen spezifischen Namen kannten.10 Dabei handelt es sich um ein dreiteiliges militärisches System mit folgender Struktur: 1. Lokale Aufgebote, deren Ausrüstung und Training sich auf die Verteidigung von Wehranlagen beschränkt; 2. Expeditionsstreitkräfte aus einem Bestand von Männern, die über genügend Reichtum und Freizeit verfügen, um sich während mehrmonatigen Feldzügen selbst zu versorgen, wobei es sich auch um Invasionen in feindliche Territorien handeln kann; 3. Mobile Einheiten von geschulten Berufskriegern zu Pferd. Allerdings wäre es ein Fehler zu denken, dass diese »Berufssoldaten« ausschließlich als schwer gepanzerte Reiter fochten, denn wenn es die Umstände verlangten, stiegen sie häufig vom Pferd und kämpften zu Fuß. Auch unterstützten leichte Reitereinheiten diese Truppen, sei es als Späher, Boten oder Köder. Obwohl befestigte Anlagen (urbes, civitates und castellae) bei der Verteidigung in der Tiefe eine wichtige Funktion erfüllten, stützte sich dieses System nicht ausschließlich auf statische Abwehrmaßnahmen. Sowohl die Expeditionstruppen als auch die Berufskrieger waren dazu ausgebildet, sich im Kampf in einer offenen Feldschlacht zu bewähren. Ein byzantinischer General, dem das Konzept der Verteidigung in der Tiefe offensichtlich vertraut war, vermittelt uns eine scharfsinnige Beschreibung dieses Begriffs, obwohl er ihn nicht mit einem bestimmten Namen behaftet: »Statt sich den Feinden bei ihrem Eindringen in die Romania (byzantinisches Territorium) entgegenzustellen, ist es häufig vorteilhafter und praktischer, sie auf dem Rückweg in ihr Land abzufangen, denn dann wer10 E. N. Luttwak, The Grand Strategie of the Roman Empire, Baltimore 1976. M I L I TÄ RO R G A N I S ATI O N U ND GE S E L L S C HAFT 79 den sie von ihrem langen Aufenthalt im römischen Gebiet erschöpft und geschwächt sein. Wahrscheinlich haben sie sich mit viel Gepäck, Gefangenen und Tieren belastet. Die Männer und ihre Pferde werden so müde sein, dass sie im Kampf bald erlahmen … Deshalb darf sie ein General nie ungeschoren heimkehren lassen. Der Versuch, dem Feind zu Beginn einer Invasion in etwaigen Engen entgegenzutreten, ist viel weniger effizient und oft sogar eine völlige Kraftverschwendung. Schließlich ist es ja kaum möglich, Infanterie-Einheiten innerhalb weniger Tage schnell zu mobilisieren und sich ihrer Kampfbereitschaft zu versichern. Überdies wären die Feinde dann [zu diesem Zeitpunkt] unverbraucht, gut bewaffnet und schwierig zu bekämpfen. Aber wenn man sie auf dem Rückweg angreift, hat das folgenden Vorteil: Jedes Mal wenn sie [in unser Land] eindringen wollen, müssen sie fürchten, dass wir die Pässe besetzen, und mit der Zeit geben sie dann vielleicht ihre ständigen Einfälle in römische Gebiete auf.«11 Verteidigung in der Tiefe als Strategie umfasst weit mehr als den gleichsam zufälligen Bau von Wehranlagen als Fluchtburgen.12 Festungen dienten nicht in erster Linie zum Schutz der sesshaften Bevölkerung und von deren Habe; vielmehr erfüllten sie die Funktion, Eindringlinge zu bekämpfen und zu bestrafen. Daher errichtete man Burgen an Orten, die sich leicht verteidigen, aber schwer einnehmen ließen. Überdies sollte die Gegend um die Wehranlage verhältnismäßig dicht bevölkert und die zur Verteidigung vorgesehenen Männer gut trainiert und ausgerüstet sein. Natürlich waren Festungen innerhalb eines Systems der Verteidigung in der Tiefe naturgemäß statisch, ihre Besatzungen dagegen zeichneten sich durch ihre Beweglichkeit aus. Das Ziel der Verteidigung in der Tiefe bestand letztlich darin, möglichst viele Feinde zu vernichten. Während bei dieser Methode nicht bewegliche Habe oft geopfert werden musste, blieben Truppenkontingente und lebenswichtige Güter wie Nahrung und Futter geschützt. Bei der Verteidigung in der Tiefe ließ man zuweilen absichtlich besonders attraktive Objekte als Köder zurück. Statt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man den Eindringlingen den Zugang versperren könnte, hofften die Befehlshaber, die Marodeure durch leichte Beute zu verführen. Wenn dann die Reiterkrieger schwer belastet mit Raubgut den Heimweg antraten, konnten sie von geübten Spezialtruppen unversehens aus einem Hinterhalt überrascht und aufgerieben werden. 11 G. T. Dennis (Hg.), Three Byzantine Military Treatises, (Dunbarton Oaks), Washington D. C. 1984, S. 159. 12 E. N. Luttwak, The Grand Strategy of the Roman Empire, Baltimore 1976. 80 D IE M I LI TÄR R EF OR M EN HE I N R I C HS I .