Unvollendet vollendet Venzago
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Unvollendet vollendet Venzago
hubert c S d n u t r a z o A r ie n v o n M ie N r. 7 n o f in S t r e b Schu io Venzago r a M : g n u it e L Mühlemann la u g e R : n a o Basel r in s a Sop c t d a t S r, .30 Uh Fr, 4.3.16 – 19 Fr 4.3.2016, 19.30 Uhr | Stadtcasino Basel Besetzung Kammerorchester Basel Leitung Mario Venzago Sopran Regula Mühlemann Flöte 18.45 Uhr Einführung mit SRF2 Redaktor Florian Hauser 1. Violine Peter Rainer Barbara Bolliger Irmgard Zavelberg Valentina Giusti Regula Schär Kazumi Suzuki Krapf Tamás Vásárhelyi 2. Violine Matthias Arter Francesco Capraro Anna Faber Ewa Miribung Fanny Tschanz Elisabeth Kohler Cordelia Fankhauser Betina Pasteknik Klarinette Viola Isabelle Schnöller Hildebrandt Matthias Ebner Oboe Markus Niederhauser Guido Stier Fagott Matthias Bühlmann Claudio Matteo Severi Horn Konstantin Timokhine Silvia Centomo Trompete Simon Lilly Christian Bruder Posaune Theo Banz Adrian Weber Beat Felder Bodo Friedrich Mariana Doughty Renée Straub Stefano Mariani Carlos Vallés García Cello Christoph Dangel Hristo Kouzmanov Georg Dettweiler Ekachai Maskulrat Kontrabass Stefan Preyer Daniel Szomor Peter Pudil Franz Schubert (1797–1828) Ouvertüre D-Dur D 556 1. Allegro maestoso 2. Andante sostenuto 3. Allegro vivace «Auf dem Strom» D 943 für Orchester bearbeitet von Hermann Scherchen (E-Dur) Hornsolo: Konstantin Timokhine Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) «Un moto di gioia» KV 579, Arie der Susanna aus «La nozze di Figaro» «Misera, dove son!» Rezitativ und Arie für Sopran und Orchester KV 369 Franz Schubert «Der Hirt auf dem Felsen» D 965 für Sopran, Klarinette und Orchester Klarinettensolo: Markus Niederhauser Pause Franz Schubert Sinfonie Nr. 7 «Unvollendete» D 759 1. Allegro moderato 2. Andante con moto Vervollständigt durch Mario Venzago 3. Scherzo. Allegro 4. Allegro moderato Pauken Matthias Würsch Unterstützt vom 2 Programm 4.3.2016 | UNVOLLENDET VOLLENDET VENZAGO 3 Mario Venzago Leitung Mario Venzago ist Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Berner Symphonieorchesters und Artist in Association bei der finnischen Tapiola Sinfonietta. Er leitete als Chefdirigent bzw. Generalmusikdirektor das Musikkollegium Winterthur, das © Adrian Moser Orchester und das Theater der Stadt Heidelberg, die Deutsche Kammerphilharmonie Frankfurt (heute Bremen), die Grazer Oper und das Grazer Philharmonische Orchester, das Sinfonieorchester Basel, das Baskische Nationalorchester San Sebastian, Göteborgs Symfoniker und das Indianapolis Symphony Orchestra. Von 2010 bis 2014 war er Principal Conductor der Royal Northern Sinfonia. Vor seiner dirigentischen Tätigkeit war Venzago Konzertpianist beim Rundfunk der Italienischen Schweiz und spielte als Solist und Begleiter in ganz Europa. Mario Venzago dirigierte u.a. die Berliner Philharmoniker, das Gewandhausorchester Leipzig, die Orchester von Philadelphia und Boston, das London Philharmonic Orchestra, das Orchestre Philharmonique de Radio France, die Filarmonica della Scala und das NHK Symphony Orchestra. Er ist regelmässiger Gast international renommierter Sinfonieorchester wie z.B. Finnish Radio Symphony Orchestra, Danish National Symphony Orchestra, Göteborgs Symfoniker und Nederlands Philharmonisch Orkest als auch namhafter Kammerorchester wie Tapiola Sinfonietta und Orchestre de Chambre de Lausanne. Mario Venzago konzertierte mit den berühmtesten Solisten der Welt, und Regisseure wie Ruth Berghaus, Peter Konwitschny oder Hans Neuenfels arbeiteten an seiner Seite. Mehrere seiner CDs wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, wie dem Grand Prix du Disque, dem Diapason d´or und dem Prix Edison. Die Einspielungen der Opern «Venus» und «Penthesilea» sowie die Aufnahme aller Chorwerke von Othmar Schoeck mit dem MDR 4 Programm 4.3.2016 | UNVOLLENDET VOLLENDET VENZAGO Chor und Sinfonieorchester fanden grosse internationale Anerkennung und erhielten höchste Auszeichnungen, so auch sein erster Kinofilm «Mein Bruder der Dirigent» von Alberto Venzago, der europaweit in den Kinos lief und auf DVD erschien. Im Frühjahr 2015 wurde die Zusammenarbeit zwischen Mario Venzago und dem Label CPO an dem Projekt «Der andere Bruckner» mit der Gesamtaufnahme aller zehn Bruckner Sinfonien abgeschlossen. Die von der internationalen Kritik hoch gelobten Einzelveröffentlichungen als auch die gesamte CD-Box und ein Dokumentarfilm sind bei CPO (www.jpc.de) erhältlich. Regula Mühlemann Sopran Regula Mühlemann wurde in Adligenswil bei Luzern geboren und studierte an der Hochschule Luzern bei Prof. Barbara Locher. Meisterkurse bei Margreet Honig, Klaus Mertens, Rudolf Piernay, Juliane Banse und Marieke Spaans vervollständigten ihre Ausbildung. Erste Erfahrungen auf der Opernbühne sam© Shirley-Suarez-Photography melte die junge Sopranistin schon früh am Theater in ihrer Heimatstadt Luzern. Danach führten sie Engagements u.a. als Despina («Così fan tutte») ans Teatro La Fenice Venedig und ans Opernhaus Zürich, wo sie als Giannetta in Donizettis «L‘elisir d'amore» an der Seite von Rolando Villazón zu erleben war. Im Sommer 2012 gab sie ihr Debüt als junge Papagena in der Oper «Das Labyrinth» von P. v. Winter bei den Salzburger Festspielen. In der Spielzeit 2015/16 wird Regula Mühlemann u.a. als Zerlina (Don Giovanni) in einer konzertanten Produktion im Rahmen des Yehudi Menuhin Festivals Gstaad sowie in zahlreichen Konzerten mit dem Schottish Chamber Orchestra, dem Kammerorchester Basel und Mozarts c-Moll Messe mit dem Dresdner Kammerchor sowie in Carmina Burana am Grand Théâtre de Genève mitwirken. 5 Darüber hinaus gastierte Regula Mühlemann in der Spielzeit 2013/14 an der De Nederlandse Opera als Papagena in Mozarts «Zauberflöte», gab zahlreiche Konzerte u.a. bei den Festivals in Zermatt und Verbier und ging mit dem Aargauer Symphonie Orchester auf Konzerttournee. In den vergangenen Spielzeiten war Regula Mühlemann als Serpetta in einer Neuproduktion von Hans Neuenfels «La finta giardiniera» an der Berliner Staatsoper, als Isolier in Rossinis «Le Comte Ory» an der Seite von Cecilia Bartoli am Theater an der Wien, als Papagena an der Opéra de Paris, beim Festival in Aix-En-Provence und in Baden Baden sowie als Alisa in Mozarts «Il Re pastore» beim Verbier Festival zu erleben. Als regelmässiger Gast des Lucerne Festivals wirkte sie dort u.a. in Mozarts Requiem und in Rossinis Petite Messe Solenelle mit. Regula Mühlemann arbeitet mit Dirigenten wie Nello Santi, Sir Simon Rattle, Daniel Harding, Enoch zu Guttenberg, Pablo Heras-Casado und Ivor Bolton. Ihre erste CD-Einspielung als Barbarina in «Le nozze di Figaro» an der Seite von Rolando Villazón und Thomas Hampson unter der musikalischen Leitung von Yannick Nézet-Séguin wird 2016 von der Deutschen Grammophon veröffentlicht. 6 Programm 4.3.2016 | UNVOLLENDET VOLLENDET VENZAGO «Unvollendet vollendet Venzago» ... für nichts als das Komponieren auf die Welt gekommen ... Dank der Zeugnisse seiner Freunde wissen wir ungefähr, wie ein «typischer» Tag im Leben Franz Schuberts ausgesehen haben könnte. Auch wenn er sehr spät ins Bett kommt (wir werden noch sehen, warum), setzt er sich täglich um 6 Uhr an den Schreibtisch und arbeitet bis mittags. Ohne Ablenkung, abgesehen von der einen oder anderen Pfeife. Anders sehen die Nachmittage aus, sie sind vollkommen kompositionsfrei: Nach dem Mittagessen macht Schubert lange Spaziergänge in und ausserhalb der Stadt oder man sieht ihn im Kaffeehaus beim kleinen Braunen, da raucht er und liest die Journale. Abends trifft er sich gern mit Freunden auf ein Glas Bier oder Wein. Was bleibt von dieser Lebensweise im öffentlichen Bewusstsein bis weit ins 20. Jahrhundert hinein übrig? Die Nachmittage. Das Gesellige. Dass er 600 Lieder komponiert. Dass er ein Komponist von sozusagen rundlicher Gemütlichkeit ist, nicht allzu ehrgeizig und eher den angenehmen Seiten des Lebens zugetan. Klavierstunden gibt er nur, wenn es denn unbedingt sein muss und nichts mehr zu Essen im Haus ist. «Mich soll der Staat erhalten», schreibt er. «Ich bin für nichts als das Komponieren auf die Welt gekommen.» Der Staat erhält ihn nicht. Gelegentlicher Unterricht und die Freunde tun es. An so etwas wie den Ehrensold, den der internationale Star Beethoven von Aristokraten erhält, kann Schubert nicht einmal denken. Die Häuser des Hochadels, der Fürsten und Grafen, sind ihm verschlossen. Schubert hat keinen Mäzen. Er ist nicht begünstigt wie Beethoven. Oder wie Joseph Haydn mit seiner dreissigjährigen Dienstzeit als Kapellmeister am Hof Esterhazy. Oder wie Christoph Willibald Gluck, den ein lombardischer Fürst mit sich nimmt, als er Anfang 20 ist. Und Schubert? Ein «Liedercompositeur». Er ist nicht öffentlich genug. Zwar tritt er der Gesellschaft der Musikfreunde bei, aber Kompositionsaufträge gibt es kaum, Verlage interessieren sich nicht für ihn, also zumindest nicht die renommierten internationalen Verlage wie Breitkopf oder Schott. Sie schreiben ihm abschmetternde Antworten wie «wir sind mit dem merkantilen Erfolg Ihrer Kompositionen noch ganz unbekannt» oder «wenn Sie gelegentlich etwas minder Schweres und doch Brillantes auch in einer leichteren Tonart komponieren, dann belieben Sie uns dieses ohne weiteres 7 zuzusenden.» Schubert versucht das, aber meist ohne Erfolg. Er wohnt kostenlos bei seinen Freunden, hat viele Wohnungen, aber kein Zuhause (in elf Jahren wechselt er sechzehnmal die Adresse) und verdient durch Kompositionsgagen, Lehrerhonorare und Auftritte 62 Gulden im Monat. Natürlich: zum Leben reicht es. Knapp. Zum Vergleich: Paganini nimmt bei jedem seiner Konzerte im Schnitt 2500 Gulden ein. Oh, der Verstand «Wo die Aufträge von aussen fehlen, müssen die Massgaben der inneren umso rigoroser gehandhabt werden», schreibt der Dirigent Peter Gülke in seinem Schubertbuch. Schuberts Vormittage mit Arbeitsstunden unter grosser Selbstdisziplin stehen diametral den lockeren Nachmittagen und Abenden mit den Freunden gegenüber – und sind doch eng miteinander verbunden. Zum einen direkt, zum anderen logistisch. Erstens: die Freunde sind die ersten, nächsten, engsten, unmittelbaren Adressaten und Empfänger seiner Kunst – und diese Kunst, vor allem das Lied, ist geprägt vom Freundeskreis. Franz Schubert. Lithografie von C. Helfert nach Josef Kriehuber (postum) 8 Programm 4.3.2016 | UNVOLLENDET VOLLENDET VENZAGO Zweitens: 7 Stunden lang, von 6 Uhr morgens bis 1 Uhr mittags, sitzt Schubert am Schreibtisch. Der Maler Moritz von Schwind, einer der vielen Freunde, dokumentiert, wie unnahbar Schubert dann ist: «Wenn man unter Tags zu ihm kommt, sagt er grüss dich Gott, wie geht’s?, gut, und schreibt weiter, worauf man sich entfernt.» Manchmal sitzt er im Pyjama am Schreibtisch, manchmal komponiert er im Bett, wenn es im Zimmer zu kalt ist. Seine innere Enklave baut er sich umso mehr aus, je mehr er fremdbestimmt ist. In seinen verhassten Jahren als Lehrer komponiert er ein Stück nach dem anderen – allein im Juli 1815 zum Beispiel über 20 Lieder, ein Terzett und die dritte Sinfonie. Ob der Nachmittag aber durch Unterrichten fremdbestimmt ist und die Unzufriedenheit in die Vormittagsstunden hineinsickert oder ob der Nachmittag freie Mussezeit ist – die Vormittagsstunden müssen produktiv sein. Es muss schnell gehen. Schubert nimmt sich keine Zeit für Skizzen wie Beethoven. «Zu solchen Korrekturen habe ich keine Zeit», sagt er zum Beethoven-Adlatus Anton Schindler, als der ihm eine überarbeitete Fidelio-Partitur zeigt. Schubert will nicht wie ein Schachspieler jede denkbare Entwicklungsmöglichkeit einer musikalischen Gestalt schon mitdenken, wenn er sie hinschreibt. Zutiefst romantisch ist das, natürlich. Heinrich von Kleist hat es so formuliert: «Jede erste Bewegung, alle unwillkürliche ist schön; und schief und verschroben alles, was sich selbst begreift. Oh, der Verstand.» 9 Gesellig gemässigt Was war Schubert für ein Mensch? Ein Flattergeist? «Nach der Schubertiade», schreibt sein Freund Franz von Hartmann, «nahmen wir von unseren freundlichen Wirten Abschied und gingen in hellen Haufen zum Bogner, wo wir einige Pfeifen rauchten und auf der Gasse Schwind laufend durch Mantelschwingen das Fliegen einer Fledermaus täuschend nachahmten.» Ja nun: angetrunkene junge Erwachsene, die bis nachts um 3 Uhr um die Häuser ziehen. Übrigens: Nur ein einziges Mal ist Schubert selber als berauscht bezeichnet worden. Wie sein ältester Freund von Spaun schreibt, sei er immer mässig gewesen, «und wäre er es nicht aus sich selbst heraus gewesen, so würden ihn seine Finanzen dazu gezwungen haben.» Die zeitgenössischen Dokumente zeigen nur eines: Ein freundlicher, dem Leben zugetaner, heiterer und impulsiver, ein liebenswerter Typ muss er gewesen sein, «ein zu herrlicher Mensch, als dass ich nicht alles aufbieten sollte, ihn näher an uns zu ziehen», wie einer seiner unzähligen Freunde schreibt. «Er hat die rechte Mischung vom Idealen und Realen. Die Erde ist ihm schön.» Und wie sah er sich selber? «Ich werde mit meinen Herzensgefühlen niemals berechnen und politisiere. So wie’s in mir ist, so geb‘ ich’s heraus und damit punctum.» Ob es da eine Entsprechung in seiner Kunst gibt? Bei allem Vorbehalt freilich, denn Kunst und Leben sind ja nicht deckungsgleich und die Kunst spiegelt und bricht vielfach all das, was von ihrem Schöpfer kommt. Jedenfalls hat auch Schuberts Komponierhaltung etwas Unmittelbares und Improvisatorisches, hat etwas von der Lust und dem Zwang, alles auf eine Karte zu setzen. Mit der Gefahr des Scheiterns natürlich. Die Produktion von Fragmenten hat bei ihm schon fast System: Klaviersonaten stellt er nicht fertig, Opern fängt er an und legt sie dann weg, Streichquartette beginnt er und bricht sie ab. Ist deshalb die Liedproduktion der Sockel von Schuberts Musik? Beim Lied lässt sich schnell von vorn beginnen, wenn etwas daneben geht, derselbe Text lässt sich mehrfach und wiederholt vertonen. Vollendung? Nicht so bei den beiden späten Liedern des heutigen Abends (das eine ist ein halbes Jahr vor seinem frühen Tod entstanden, das andere ist seine vorletzte Komposition). Beide vollendet, und doch ist in beiden subkutan die Thematik der Abbrüche und des Steckenbleibens wirksam. Wie ist das im Hauptwerk des Abends? Heute wird sie nicht als Torso gespielt, die «Unvollendete», sondern in Mario Venzagos Versuch, die verlorene Viersätzigkeit wiederherzustellen. Verlorene Viersätzigkeit? Schubert hat nicht nach dem 2. Satz aufgehört? Nein, denn die Reinschrift bricht mitten im dritten Satz beim Seitenwechsel ab. Entweder ist die Partitur hier auseinander gebrochen oder jemand hat sie hier getrennt. Vermutlich, sagt Venzago, habe der einstige Widmungsträger, der Komponist und Musikkritiker Anselm Hüttenbrenner, die zweite Hälfte der Partitur verloren oder sie dem unter Zeitdruck geratenen Schubert zur schnellen Fertigstellung der Rosamunde-Musik zurückgeben müssen. In dieser Rosamunde-Musik finde sich ja bekanntlich identisch instrumentierte sinfonische Musik in h-Moll. Venzagos Ergänzung besteht denn auch aus nichts anderem als aus diesen Ballettmusiken, die er neu fasste und in sinfonische Form brachte. «Es ist in dem ganzen Satz nicht eine einzige Note NICHT von Franz Schubert! Wenn wir ausserdem von der unwahrscheinlichen Brüskierung absehen, dass Schubert den Grazern 1823 zu seiner Ernennung zum Ehrenmitglied des Steiermärkischen Musikvereins nur eine halbe Partitur mitgebracht hat, so hat Hüttenbrenner als guter Freund und grosser Verehrer Schuberts das in diesem Fall einzig Richtige getan: Er hielt die unvollständig gewordene Partitur zurück. Kein Verleger hätte damals eine halbe Sinfonie publiziert. Späteren Generationen konnte man die Seiten leichter als einmaligen Torso oder als aus möglicherweise autobiographischen Gründen nicht mehr vollendetes Endzeitwerk unterschieben.» Damit will Venzago mit seiner Vervollständigung gründlich aufräumen. Denn selbstverständlich sei die Komposition viersätzig angelegt und nach allen Regeln der Kunst gebaut. «Der erste Satz, das Allegro moderato, und der zweite, das Andante, unterscheiden sich prominent in Tempo und Duktus. Zwar werden diese beiden überlieferten Sätze meist immer noch im gleichen, langsamen Grundtempo aufgeführt, um ihnen so einen anrührenden Trauerduktus mit Requiemscharakter zu verleihen. Dabei ist gerade der erste Satz hiervon diametral entfernt und in seiner lodernden Dramatik alles andere als ein Abgesang auf die Welt. Es handelt sich um eine äusserst schnelle, Beethovens «Eroica» zum Modell nehmende, nicht auf Vierteln stehende, sondern ganztaktig ablaufende hoch expressive Musik.» Franz Liszt hatte mal über Schubert gesagt: «Fast lässt du die Grösse deiner Meisterschaft vergessen ob dem Zauber deines Gemüts.» Das hat lange nachgewirkt: Gemütlich, gefällig, sentimental ist der Mensch Schubert. Wie seine Musik. Das stimmt nicht. Florian Hauser 10 Programm 4.3.2016 | UNVOLLENDET VOLLENDET VENZAGO 11 Franz Schubert «Auf dem Strom» Op. 119, D 943 W.A. Mozart «Misera, dove son!» KV 369 nach einem Text von Ludwig Rellstab (in der Fassung des Komponisten) Rezitativ und Arie, Text aus Metastasios «Ezio» Nimm die letzten Abschiedsküsse, Und die wehenden, die Grüsse, Die ich noch ans Ufer sende, Eh' dein Fuss sich scheidend wende! Schon wird von des Stromes Wogen Rasch der Nachen fortgezogen, Doch den tränendunklen Blick Zieht die Sehnsucht stets zurück! Sieh, wie flieht der Strand vorüber, Und wie drängt es mich hinüber, Zieht mit unnennbaren Banden, An der Hütte dort zu landen, In der Laube dort zu weilen; Doch des Stromes Wellen eilen Weiter ohne Rast und Ruh, Führen mich dem Weltmeer zu! Und so trägt mich denn die Welle Fort mit unerflehter Schnelle. Ach, schon ist die Flur verschwunden, Wo ich selig Sie gefunden! Ewig hin, ihr Wonnetage! Hoffnungsleer verhallt die Klage Um das schöne Heimatland, Wo ich ihre Liebe fand. Ach, vor jener dunklen Wüste, Fern von jeder heitern Küste, Wo kein Eiland zu erschauen, O, wie fasst mich zitternd Grauen! Wehmutstränen sanft zu bringen, Kann kein Lied vom Ufer dringen; Nur der Sturm weht kalt daher Durch das grau gehobne Meer! Kann des Auges sehnend schweifen. W.A. Mozart «Un moto di gioia» KV 579 Arie der Susanna aus der Oper «La nozze di Figaro» Text Lorenzo da Ponte Un moto di gioia Mi sento nel petto, Che annunzia diletto In mezzo il timor! Di pianti di pene Ognor non si pasce, Talvolta poi nasce Il ben dal dolor: Speriam che in contento Finisca l'affanno Non sempre è tiranno Il fato ed amor. E quando si crede Più grave il periglio, Brillare si vede La calma maggior. 12 Programm 4.3.2016 | UNVOLLENDET VOLLENDET VENZAGO Misera, dove son! Laure del Tebro Son queste ch‘io respiro? Per le strade m‘aggiro Di Tebe e d‘Argo? O dalle greche sponde, Di tragedie feconde, Le domestiche furie Vennero a questi lidi, Della prole di Cadmo, e degli Atridi? Ich Ärmste, wo bin ich! Sind es die Lüfte des Tiber, die ich atme? Irre ich durch die Strassen Von Theben und Argos? Oder kamen aus Griechischen Landen, So reich an Tragödien, Die heimischen Furien des Cadmier- und Atridengeschlechts an diese Gestade? Là, d‘un monarca ingiusto L‘ingrata crudeltà m‘empie d‘orrore, D‘un padre traditore Qua la colpa m‘agghiaccia: E lo sposo innocente ho sempre in faccia. Oh immagini funeste! Oh memorie! Oh martire! Ed io parlo, infelice, ed io respiro? Dort erfüllt mich die infame Grausamkeit Eines ungerechten Monarchen mit Schaudern, Hier lässt mich die Schuld des Verräterischen Vaters erstarren; Und den unschuldigen Bräutigam habe ich Stets vor Augen. O unselige Bilder! O Erinnerungen! O welche Qual! Und ich, Unglückliche, spreche Noch und atme? Ah ! non son‘io che parlo, È il barbaro dolore Che mi divide il core, Che delirar mi fa. Non cura il ciel tiranno L‘affanno, in cui mi vedo: Un fulmine gli chiedo, E un fulmine non ha. Ach! Nicht ich bin es, die hier spricht, Es ist dieser entsetzliche Schmerz, Der mir das Herz zerreisst, Der mir die Besinnung raubt. Den grausamen Himmel Kümmert nicht all meine Pein: Um einen Blitzstrahl bitte ich ihn, Und er hat keinen für mich. 13 Franz Schubert «Der Hirt auf dem Felsen» D 965 Nach Texten von Wilhelm Müller und Karl August Varnhagen von Ense Wenn auf dem höchsten Fels ich steh’, In’s tiefe Tal hernieder seh’, Und singe. Fern aus dem tiefen dunkeln Tal Schwingt sich empor der Widerhall Der Klüfte. Je weiter meine Stimme dringt, Je heller sie mir wieder klingt Von unten. Mein Liebchen wohnt so weit von mir, Drum sehn’ ich mich so heiss nach ihr Hinüber. In tiefem Gram verzehr’ ich mich, Mir ist die Freude hin, Auf Erden mir die Hoffnung wich, Ich hier so einsam bin. So sehnend klang im Wald das Lied, So sehnend klang es durch die Nacht, Die Herzen es zum Himmel zieht Mit wunderbarer Macht. Der Frühling will kommen, Der Frühling, meine Freud’, Nun mach’ ich mich fertig Zum Wandern bereit. Franz Schubert (Gábor Melegh, 1827, Ungarische Nationalgalerie Budapest) 14 Programm 4.3.2016 | UNVOLLENDET VOLLENDET VENZAGO 15 Nächste Konzerte «Sacred Duetti» – Unterwegs So, 13.3., 17.00 Uhr Rapperswil, Schloss | Di, 15.3., 20.00 Uhr Landau, Festhalle | Mi, 16.3., 20.00 Uhr Villingen-Schwenningen, Franziskaner Konzerthaus Nuria Rial Sopran, Valer Sabadus Contratenor, Julia Schröder Leitung und Violine «Mozart Requiem» – Unterwegs Do, 24.3., 20.00 Uhr Freiburg i. Br., Konzerthaus | Fr, 25.3., 18.30 Uhr Luzern, KKL | Sa, 26.3., 19.30 Uhr Riehen, Landgasthof Regula Mühlemann Sopran, Marion Eckstein Alt, Georg Poplutz Tenor, Raimund Nolte Bariton, Camerata Vocale Freiburg i. Br., Winfried Toll Leitung «Heimatlieder aus drei Himmelsrichtungen» – Nachtklang Fr, 8.4., 20.15 Uhr Laufen, Kulturforum | Fr, 13.5., 22 Uhr Basel, Ackermannshof «Jeunehomme» – Unterwegs Sa, 9.4., 20.00 Uhr Rheinfelden, Bahnhofssaal | So, 10.4., 17.00 Uhr Lutry, Temple de Lutry | Di, 12.4., 18.00 Uhr Ermatingen (am Bodensee), Schloss Wolfsberg | Mi, 13.4., 19.30 Uhr Zürich, Tonhalle Bertrand Chamayou Klavier, Yuki Kasai Leitung und Violine «Variationen und Veränderungen» – Nachtklang Fr, 22.4., 22.00 Uhr Basel, Ackermannshof «Drundalg» – Familienkonzert So, 24.4., 11.00 und 14.30 Uhr Basel, Gare du Nord Vorverkauf www.kulturticket.ch | www.kammerorchesterbasel.ch Impressum Herausgeber Text Redaktion Design Satz Druck 16 Kammerorchester Basel Florian Hauser Nadin Zeisse, Matthias Müller Stadtluft Nadin Zeisse Hornberger Druck GmbH Programm 4.3.2016 | UNVOLLENDET VOLLENDET VENZAGO