16-21 camarque

Transcrição

16-21 camarque
Wildnis Camar
Zu den letzten grossen Naturlandschaften unseres Kontinents
gehört das Rhonedelta im Süden Frankreichs. Obschon der Mensch
auch hier Hand an die Wildnis gelegt hat, gehören das Stromdelta
und seine Tier- und Pflanzenwelt zum Eindrücklichsten,
was das westliche Europa in dieser Hinsicht zu bieten vermag.
Text und Fotos: Karl Weber
D
icht und verholzt steht das
Schilf am Seeufer. Die schlanken, hohen Halme wiegen sich
sachte im Wind; kaum hörbar
raschelt ihr Laub. In der Schneise, die der
Fischer für sein Boot in den Rohrdschungel geschlagen hat, schweben Scharen
winziger Zuckmücken lautlos auf und
nieder. Kleine, gläsern durchscheinende
16 Natürlich | 8-2004
Fische treiben nahe der Wasseroberfläche; unruhig zittern ihre Schatten über
den flachen Grund. Eine olivgrüne Vipernatter sonnt sich auf angeschwemmten
Tangbüscheln. Rauchschwalben durchmessen im Tiefflug die Rohrgasse und
schnappen nach den Mücken, ohne dass
es indessen deren jemals weniger würden. Nahe dem Ufer bedeckt eine dicke
Schicht abgestorbener Algen den festen
Grund. Wenn sie aufgewühlt wird, trüben tintige Schwaden das Wasser in weitem Umkreis. Der Geruch von Fäulnis
und Verwesung hängt in der Luft.
Im nördlichen Teil des annähernd
einen Kilometer langen und an der
breitesten Stelle nicht viel weniger tiefen
Schilfgürtels nisten Purpurreiher. Leicht
Reportage NATUR
Zauberwort Tourismus
Camargue – der Name hat internationalen Klang. Als Vogelparadies, als Land
halbwilder Rinder und Pferde, als Treffpunkt der Zigeuner und als Mekka sonnenhungriger Badegäste ist das Rhonedelta bekannt geworden. Zur Ferien- und
Reisezeit ergiesst sich ein Strom von Besuchern aus allen Teilen Westeuropas
über die Gegend. Das Zauberwort Tourismus wird heute in der Camargue und in
deren Umkreis gross geschrieben. Die
traditionellen Erwerbszweige – Fischfang, Pferde-, Rinder- und Schafzucht –
dagegen sind längst in den Hintergrund
gedrängt. Mag diese Entwicklung der
Region einerseits zwar den erwünschten
und auch begrüssenswerten ökonomischen Aufschwung gebracht haben, ohne
negative Folgen für die Landschaft und
deren Flora und Fauna verläuft der
Zustrom der Touristen bei weitem nicht.
gue
lässt sich im Dämmerlicht des hier fast
doppelt mannshohen Röhrichts die Orientierung verlieren. Wo immer man auch
hinblickt, nichts als Halme und Blätter.
Vorne und hinten, links und rechts; Licht
und Schatten – Schatten und Licht. Selbst
über einem: steil aufragende, grüne Rohrriesen und ein schmaler blauer Streifen,
ein Stück Himmel. Kaum ein Laut dringt
von aussen her in dieses Labyrinth. Nur
die Stimmen des Rohrwaldes flüstern und
wispern und schnalzen. Mal hier, mal da;
jetzt näher, dann wieder weiter entfernt.
Eine Rohrweihe streicht pfeifend ab.
Wasserrallen quieken; Bartmeisen läuten.
Und in noch undefinierbarer Ferne das
heisere Krächzen der Reiher. Nach einer
Stunde kräfteraubenden Ankämpfens gegen Wasser, Schlamm und verstricktes
Rohrwerk sind wir froh, müde und erschöpft wieder auf die eigene Spur zu
stossen – und festzustellen, dass wir im
Kreise gegangen sind.
Daneben droht dem Rhonedelta von den
Randgebieten her zusätzliche Gefahr
durch eine stark angewachsene Industrie.
Auch sie könnte leicht zum Verlust eines
Teils der für das Land so typischen Pflanzen- und Tierarten führen. Trotz mehrerer Totalreservate mit einer Gesamtfläche
von rund 200 Quadratkilometern scheint
der Fortbestand dieses Naturparadieses
noch immer nicht völlig gesichert. Die
Balance zwischen Ökologie und Ökonomie zu finden, erweist sich auch hier
als eine grosse Herausforderung.
Ablagern und Aufschichten
Die Camargue ist ein Kind der Rhone.
Lange bevor diese ihren Weg aus der
Walliser Bergwelt zum Mittelmeer
zurückgelegt hat, ist aus dem einstmals
reissenden Gebirgsbach ein langsam und
träge dahinfliessender, behäbiger Strom
Scheuer Bewohner ausgedehnter Schilfbestände: der Purpurreiher
In der «Kinderkrippe» der Flamingos.
Die stattliche Treppennatter; hier ein
Exemplar mit der Alterszeichnung.
und Sand, die das früher viel mächtigere
Delta der Rhone bildete. Die Geografen
und Autoren der Antike nennen mehrere
Strommündungen, die eine Fläche von
weit über 2000 Quadratkilometern umfasst haben sollen. Die jährlichen Hochwasser der Rhone befruchteten das Deltagebiet mit dem Schlamm, den sie auf dem
überschwemmten Erdreich ablagerten.
Gleichzeitig schwemmten sie das in der
Erde gespeicherte und immer wieder zur
Oberfläche hochsteigende Salz aus. Der
solchermassen fruchtbar gemachte Boden dürfte reiche Ernte gebracht haben.
Wenn man den Chronisten Glauben
schenken darf, erlebte die Camargue
damals wirklich eine Zeit erfolgreicher
landwirtschaftlicher Kultur. So soll hier,
nebst anderem, der beste Weizen gewachsen sein, der zur Ernährung der römischen Legionen gebraucht wurde. Im
Mittelalter waren grosse Teile des Deltas
im Besitz von Klöstern, aber es kam
nicht – oder nicht mehr – zu einer landwirtschaftlichen Nutzung in grösserem
Ausmass. Man fürchtete die Launen des
Stromes und die des Meeres, die beide
immer wieder weite Teile des Deltas überschwemmten. Erst 1857/58 entstand die
heutige «Digue à la Mer», der grosse
Deich im Süden des Deltas. Und als eine
neue, schwere Überschwemmung das
Land heimsuchte, wurden in den daraufgeworden. So verwundert es nicht, dass
die Rhone in ihrem Unterlauf nur feinen
Sand und Schlamm als Geschiebe mit
sich führt, während alles schwerere
Geröll längst auf den Grund gesunken
ist und von der schwachen Strömung
nicht mehr weiterverfrachtet wird. Aus
diesem leichten Material hat der Strom in
seinem Mündungsgebiet im Laufe der
Jahrhunderttausende einen ausgedehnten Geschiebekegel abgelagert, aus dem
im Wandel der Zeiten die heutige «Insel»
der Camargue geworden ist.
Das allmähliche Ablagern und Aufschichten des Schwemmlandes erfolgte
nicht stetig und gleichmässig, sondern in
einem unablässigen Kampf des Stromes
gegen das Meer, den mächtigen Widersacher. Vorstösse des Landes wechselten
mit Vorstössen des Meeres ab. Oft veränderten die Mündungsarme der Rhone
ihren Lauf, gruben sich neue Betten und
trieben den Küstenstreifen da und dort
18 Natürlich | 8-2004
weiter nach Süden vor. An andern Stellen
dagegen frassen sich die Wasser des Meeres erneut in das aufgeschüttete Schwemmland hinein und eroberten verlorengegangenen Raum nach und nach wieder
zurück. Wenn schliesslich auch der Strom
immer mehr Land gewann, so hat doch
das Meer diesem Land das Gepräge gegeben, indem es bei seinem Rückzug das
Salz im Boden zurückliess. Dieses Salz ist
allgegenwärtig: im Wasser, in der Erde, in
der Luft. Zwischen Meer und Strom,
Sumpf und Steppe bestimmt es über Gedeihen und Verderben, über Sein und
Nichtsein. Öde und Fruchtbarkeit halten
im Rhonedelta ein labiles Gleichgewicht.
Ein kümmerlicher Rest
Das etwa 800 Quadratkilometer grosse
Gebiet, das heute als Camargue bezeichnet wird, ist nur ein kümmerlicher Rest
der ungeheuren Fläche aus Wasser, Lehm
Reportage NATUR
folgenden Jahren auch die definitiven
Rhonedämme gebaut, welche die beiden heutigen Mündungsarme, die Grosse
und die Kleine Rhone, in ihren Betten
festhielten. Doch während man so einem
Übel Herr wurde, beschwor man gleichzeitig ein anderes herauf: Die regelmässigen Überschwemmungen blieben von
nun an aus, aber das im Boden und im
Grundwasser gespeicherte Salz vermochte jetzt seinen vollen Einfluss auszuüben,
und bald zeigten sich die unliebsamen
Folgen des Eingriffs. Der Boden begann
auszutrocknen, der Salzgehalt der oberen
Erdschichten und vieler Gewässer stieg
an; allmählich versteppten weite Landstriche. Mit der Veränderung der Landschaft ging jene der Pflanzen- und Tierwelt einher: Flora und Fauna wurden
zu dem, was heute ist. Es war also mehr
oder weniger der Mensch selbst, der die
Camargue zu der Wildnis machte, die
heutzutage dem Stromdelta den besonderen Reiz verleiht.
Die Rückeroberung des verlorenen
Landes für die landwirtschaftliche Nutzung bereitete erhebliche Schwierigkeiten. Mühsam und mit grossem Kostenaufwand musste ein weitverzweigtes Netz
von Bewässerungs- und Drainagegräben
gezogen werden, das den Kulturen wieder Süsswasser aus der Rhone zuführte
und das ausgewaschene Salz in Richtung
der tiefer liegenden Brackwasserlagunen
im Zentrum des Deltas schwemmte. Auf
diese Weise wurde in den flussnahen
Gebieten nicht nur der Anbau von Getreide, Luzerne, Futtergras, Reis und
Gemüse möglich, das gross angelegte
Bewässerungssystem versetzte die Bauern
der Camargue auch in die Lage, in beträchtlichem Ausmass Reben sowie Steinund Kernobst anzupflanzen.
Die Herrschaft der Winde
Fast die Hälfte der gesamten Fläche des
Rhonedeltas ist aber auch heute noch
nahezu unverfälschte Wildnis. Hier regiert nicht der Mensch, sondern die Natur und ihre formenden Kräfte. Gewiss,
der Kampf der Elemente um die karge
Landschaft hat mit dem Bau der Rhonedämme und des Deiches zwar weitgehend ein Ende gefunden. Trotzdem ist
das sich meist nur wenige Zentimeter
über den Meeresspiegel erhebende Land
noch immer nicht ganz zur Ruhe gekommen. Die Rivalität zwischen Wasser und
Land, Sonne, Wind und Regen besteht
weiter fort. Im Spätherbst und Winter
verwandeln meist heftige und lang anhaltende Regenfälle weite Flächen in
kaum passierbaren Sumpf. Etangs treten
über die Ufer, Steppenniederungen füllen
sich mit Wasser und werden alsbald zum
Weder die halbwildlebenden Pferde noch die schwarzen Camargue-Rinder kennen den Stall…
Lebensraum einer vielgestaltigen Welt
von Klein- und Kleinstlebewesen. Aber
nur so lange, bis im Frühling die Sonne
wieder hoch im Zenit steht und unter
ihren sengenden Strahlen die Erde langsam und stetig auszutrocknen beginnt.
Der Wasserstand der zahlreichen Tümpel, Teiche und Lagunen sinkt dann recht
schnell. Die Sümpfe verschwinden, der
Boden erhärtet und klafft auf. Winde fegen über die zerfressene Erde hinweg und
treiben graue Staubwolken vor sich her.
Nichts ist in der Camargue seltener als
windstille Tage. Während rund 9 Monaten
im Jahr ist die Luft über der weitoffenen
Ebene in Bewegung. An die 50 Namen für
ebenso viele Winde sind den Einheimischen bekannt. Die dominierende Rolle
spielt der oft viele Tage anhaltende und
seiner Sturmböen wegen gefürchtete
«Mistrau», der Mistral. Dieser trockene,
zu allen Jahreszeiten auftretende Nordwestwind erreicht Spitzengeschwindigkeiten um 130 Stundenkilometer. Ihre Stärke
und Häufigkeit machen die Winde zu
einem wichtigen ökologischen Faktor
für das Delta. Sand-, Humus- und Wasserverfrachtungen verändern fast ununterbrochen das Mikrorelief der Landschaft.
Die meist hohen Windgeschwindigkeiten
hemmen das Wachstum der Pflanzen und
beeinträchtigen das Leben der Tiere – besonders jenes der Kleintiere in den aufge-
Spätherbst und Winter sind die Zeit wassergefüllter Teiche, Sümpfe und Steppen.
wühlten Sümpfen und Lagunen. Wahrscheinlich gäbe es ohne die Herrschaft der
Winde noch weit mehr Arten und Individuen auf der Rhoneinsel.
Später dann, im Sommer, überkrusten
weissschimmernde Salzausscheidungen
den nackten Steppenboden. Bäume gibt
es hier nicht viele. Nur in der Nähe der
Flussarme oder dort, wo in der Umgebung von Gehöften und entlang von Bewässerungskanälen der Einfluss des Süsswassers erhalten bleibt, sind grössere
Busch- und Baumbestände anzutreffen. Je
weiter man aber gegen das Zentrum des
Deltas vordringt, desto ärmer, eintöniger
wird die Vegetation. Zuerst bleiben die
Laubbäume zurück, dann das Schilf und
die Tamarisken, dann die Trockenbinsen,
und schliesslich herrscht nur noch die
ausgesprochene Salzsteppenflora vor –
kilometerweit und kaum absehbar.
Kein Wunder, dass dieses abweisende,
fast ist man versucht zu sagen menschenfeindliche Land mit seinen vielgestaltigen
Erbeuten ihre Nahrung (verschiedene Insekten)
ausschliesslich im Flug: die Bienenfresser
20 Natürlich | 8-2004
Lebensräumen, mit Schilfdickichten, modernden Sümpfen, brackigen Lagunen
und verschiedenartigen Steppen zum
Asyl einer anderswo verfolgten, ja zum
Teil schon ausgerotteten Tierwelt geworden ist. So können hier im Laufe des Jahres beispielsweise gegen 300 Vogelarten
beobachtet werden, sei es als Brutvögel,
als Durchzügler während des Frühjahrsoder Herbstzuges oder als Wintergäste
und sonstige gelegentliche Besucher des
Deltas. Die Camargue ist einer der wichtigsten europäischen Rast- und Überwinterungsplätze für Zugvögel. Über 100 000
Wildenten und Gänse aus Nord- und
Osteuropa beziehen hier alljährlich ihr
Winterquartier, und im Frühling und
Herbst nehmen Scharen von Singvögeln
und andern Befiederten auf dem Flug
zwischen Tundra und Tropen den Weg
durch das Rhonedelta. Oft verweilen sie
Tage oder Wochen an den hiesigen Gewässern, ehe sie gestärkt und ausgeruht
zum Weiterflug starten.
Ein einziges Flamingo-Ei
Als unbestrittenes Paradestück des Deltalandes wird von vielen Ornithologen der
Flamingo angesehen. Die Camargue ist
der Platz in Europa, an dem sich diese
Stelzvögel regelmässig zu einer grossen
Brutkolonie zusammenfinden, aus Erde,
Salzschlamm und Salicorniatrieben geformte Nesthügel bauen und Junge grossziehen. In klimatisch günstigen Jahren
schreiten in der trostlosen Weite der Salzwasserlagunen bis zu 10 000 oder mehr
Paare zur Brut. Wesentlich kleinere Kolonien existieren in Spanien und auf Sardinien. Ein einziges Ei wird von den
Flamingoweibchen gelegt und von beiden
Altvögeln über einen Monat lang bebrütet.
Schon früh verlassen die Jungen das Nest
und rotten sich zu kopfstarken Trupps,
den so genannten «Krippen», zusammen.
Nur wenige Tage alt folgen sie den Alten
bereits ins Wasser, wo sie sich gleich auch
als ausgezeichnete Schwimmer zeigen.
Trotzdem ist die Sterblichkeit unter den
Der Tod ist so allgegenwärtig wie das Leben.
jungen Flamingos meist recht hoch. Wenn
50 von 100 überleben und die Flugfähigkeit erreichen, darf von einem guten Brutjahr gesprochen werden.
Auf verschiedenen Inseln in den
Brackwasserseen siedeln oft auf engstem
Raum auch Tausende von Möwen, Seeschwalben, Strandvögeln und Enten. Silbermöwe, Lachmöwe, Flussseeschwalbe,
Brand-, Lach- und Zwergseeschwalbe,
Säbelschnäbler, Seeregenpfeifer, Rotschenkel, Schnatterente und Kolbenente
gehören zu den häufigeren Arten. Andere
trifft man unregelmässiger und nur in
geringerer Zahl an. Sie alle drängen sich
auf den meist kleinen Eilanden zusammen, weil sie und ihre Brut hier den
besten Schutz vor den natürlichen Feinden und auch vor dem Menschen finden.
Anzunehmen ist überdies, dass die gegenseitige Stimulierung die Vögel in eine
bessere Brutstimmung versetzt. Ein so
enges Zusammenleben zahlreicher Arten
und vieler Individuen ist nur möglich,
weil ein Grossteil dieser Tiere nicht in der
Umgebung der Brutinseln auf Nahrungssuche geht, sondern ziemlich weite Flüge
ins Landesinnere oder zum Strand unternimmt, um Beute für ihre Jungen herbeizuschaffen.
Eine weitere wichtige Vogelgruppe
sind die Reiher. Nicht weniger als 8 Arten
nisten im Delta. Die zierlichen Seidenreiher und die heimlichen Nachtreiher
sowie Rallen- und Kuhreiher errichten
ihre mehr oder weniger soliden Horste in
den Kronen von Bäumen oder in hohem
Buschwerk. Nicht selten finden wir diese
Arten miteinander vergesellschaftet in
gemischten Brutkolonien. In Sümpfen
mit ausgedehnten Schilfbeständen nistet
der knapp 80 Zentimeter grosse Purpurreiher. Seine langen, kräftigen Greifzehen
erlauben ihm ein müheloses Sichfortbewegen zwischen den Rohrhalmen.
Fische, Frösche, auch kleine Schlangen
und Larven von Wasserkäfern stehen auf
dem Speiseplan dieses ausgesprochen
gediegen gefärbten und gezeichneten
Vogels. Im gleichen Lebensraum trifft
man die Grosse Rohrdommel und die
Zwergrohrdommel an, und auch der
Graureiher brütet da und dort in den
übermannshohen Schilfdschungeln.
Die Camargue ist nicht nur ein Eldorado für Vogelkundler. Amphibien- und
Reptilienfreunde kommen hier nicht minder auf ihre Rechnung. 7 verschiedene
Lurche und 12 Kriechtierarten beherbergt
das Delta; unter den Reptilien, neben 5
durchwegs harmlosen Schlangen, auch
die imposanteste europäische Echse, die
im Alter eine Länge um 60 Zentimeter
erreichende Perleidechse.
Stechmücken!
Der Pfad zu den botanischen und
zoologischen Schätzen des Rhonedeltas
führt über knochenharte, ausgebrannte
Erde, durch blutegelverseuchte Sümpfe,
übermannshohe Rohrdschungel und
verholzte Tamariskenbestände mit jäh
zurückschnellenden, Gesicht und Arme
blutig schlagenden Ästen. Und als wären
dies der Unannehmlichkeiten nicht
schon genug, überfällt einen, kaum hat
man irgendwo im Schatten eines Pappelhaines Zuflucht vor der sengenden Sonne
gefunden, eine neue, heimtückische
Plage: Stechmücken! Hunderte, Tausende, vielleicht auch mehr umschwärmen einen mit aufreizendem Sirren. Wo
ein Teil des von Hitze und Anstrengung
schweissbedeckten Körpers freiliegt,
stürzen sich gleich mehrere Dutzend
der verfluchten Peinigerinnen hin, eine
blutgieriger als die andere. Wo 5, 6 der
Plagegeister unter gezieltem Schlage
enden, sitzen im Handumdrehen ebenso
viele neue. In solchen Augenblicken will
es einem scheinen, als taugten alle
Sümpfe und Tümpel der Camargue zu
nichts, aber auch wirklich zu nichts
anderem als zu Brutstätten stechwütiger
Moskitos. Wer die Tugenden Geduld,
Ausdauer und Subtilität nicht kennt, ist
hier mit Sicherheit fehl am Platze.
■
Natürlich | 8-2004 21