Alternative im Weitverkehr
Transcrição
Alternative im Weitverkehr
NETZE Alternative im Weitverkehr Mit Carrier Ethernet - Provider Backbone Transport in die Zukunft? Burkhard Germer Im Transport-/Netzbereich der Carrier-Welt, einer Infrastruktur, die entscheidend zu den gesamten Servicekosten des Carriers beiträgt, vollzieht sich ein Wandel. Mit Multiprotocol Label Switching (MPLS) glaubte man noch vor kurzem, jetzt endlich das Protokoll gefunden zu haben, um alle Services und Netzstrukturen optimal abbilden zu können. Jetzt sieht man sich mit neuen Möglichkeiten konfrontiert, die einen Großteil der Netzintelligenz und Netzsteuerung in den Ethernet Layer verlagern und ohne MPLS auskommen. Burkhard Germer ist Business Development Manager Metro Ethernet bei Nortel 32 Der sicherlich prominenteste – und wohl kontroverseste – Ansatz zur MPLS-Alternative ist Provider Backbone Transport (PBT). Die unter diesem Namen bekanntgewordene Funktion wird derzeit als Provider Backbone Bridging – Traffic Engineering (802.1Qay) von der IEEE standardisiert. Einige Hersteller integrierten die Funktion bereits in ihre Komponenten, und viele Service Provider bekunden ihr Interesse. So kündigte die British Telekom (BT) unlängst an, große Bereiche ihres 21st-Century-Netzes mit der Funktion zu realisieren. Situation der Service Provider Überall gibt es heute die Erwartungshaltung nach hohen Bandbreiten zu attraktiven Preisen, ohne jedoch große Abstriche in der Servicequalität in Kauf nehmen zu wollen. Der Aufbau von sehr leistungsfähigen und flexiblen Netzen ist daher unabdingbar. Aber das Geld fließt nicht mehr in klassische Netzstrukturen auf Basis von ATM oder SDH: Ethernet hat sich in den letzten zwei Jahren als attraktive Lösung für Carrier in den Vordergrund geschoben. Keine andere Technologie ist so gut in der Bandbreite skalierbar, keine andere bietet ein besseres Kosten-zu-Megabit-Verhältnis. Geschwindigkeiten bis zu 10 Gbit/s sind heute problemlos möglich, mit einer deutlichen Preisdifferenz zu beispielsweise STM-64 Packet over Sonet (POS). Die Ethernet-Schnittstelle ist deshalb in allen Gerätebereichen unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Im Umfeld der Geschäftskunden werden breitbandige Ethernet-Anschlüsse für den Zugang zu IP-VPNs zunehmend interessant. Außerdem steigt die Nachfrage nach reinen Layer-2Ethernet-Diensten, die die heutigen ATM- und Frame-Relay-basierten Services ersetzen sollen. Mit diesen Lösungen behält der Kunde die Auto- rität über die IP-Routing-Funktionen und benutzt das Carrier-Netz lediglich als Transportmedium. Es wird angenommen, daß schon in wenigen Jahren die Standardbandbreite nicht mehr unter 2 Mbit/s liegen wird, sondern bei 11 bis 100 Mbit/s. Das bedeutet eine Erhöhung der Bandbreite um den Faktor 10, wofür der Carrier Backbone vorbereitet sein muß. Ethernet auch im Mobilfunk: Neue datenbasierte Dienste wie Highspeed Downlink Packet Access (HSDPA) sollen nicht mehr durch direkte E1-Verbindungen realisiert werden, sondern mittels E1 Circuit Emulation über Ethernet/DSL; 3G Base Stations mittelfristig sogar direkt über Ethernet. DSLAMs werden heute überwiegend mit Gigabit Ethernet ausgestattet. Und diese breitbandigen Anschlüsse sind für heutige und zukünftige Multimediaanwendungen auch nötig. Die Beispiele verdeutlichen die Motivation in Richtung Ethernet: Kostenvorteile bei möglichen sehr hohen Bandbreiten. Ethernet dringt deshalb in alle Netzbereiche eines Carriers vor, so in den • Access Layer (Ethernet in the First Mile, VDSL, PON oder Active Ethernet to the Home über Glasfaser); Das Thema in Kürze Mit den Varianten MPLS und dem neueren Provider Backbone Bridging – Traffic Engineering (PBBTE) lassen sich leistungsfähige Aggregationsnetze aufbauen. Doch ist es falsch, hier einen Konflikt zu sehen, bei dem nur ein Protokoll Sieger sein kann. Somit lohnt die vom Autor vorgenommene genauere Betrachtung beider Techniken – auch unter der Fragestellung, warum es überhaupt zu dieser Diskussion kommt. NET 7-8/07 Alternative im Weitverkehr • Aggregation/Metro Layer (Ethernet over Optics oder Native Ethernet über Dark Fiber); • Core Layer (Interconnect von CoreKomponenten als Ersatz zu POS). Der problematische Punkt ist der Aggregation/Metro Layer. Er ist im Normalfall in bezug auf die geographische Ausdehnung und die Zahl der Knoten weit größer als der Core Layer. Entscheidungen über die Realisierung und Funktionsweise haben daher entscheidenden Einfluß auf die operationalen Kosten eines Netzbetreibers. Das Aggregationsnetz muß in der Lage sein, verschiedene Dienste mit möglichst hoher Servicegüte und klarer Trennung vom Access zum Core zu transportieren und auch redundante Verbindungen erlauben. Die Transportleistungen stehen hier im Vordergrund. Die Weiterverarbeitung der IPInformationen vom Access Layer findet typischerweise am Service Edge Layer des Core-Netzes statt. Das klassische Ethernet-Protokoll kann die meisten dieser Transportanforderungen nur unzureichend erfüllen. Bedenkt man seinen Ursprung in Local Area Networks, ist dies nicht weiter verwunderlich. Daher gilt es, folgende Aspekte zu erfüllen: • Sichere Separierung verschiedener Kunden und klare Abgrenzung zwischen Carrier und Kunde; • Service-Skalierbarkeit; • Traffic Engineering und Quality of Service; • „Carrier-grade“-Verfügbarkeit und Bandbreiteneffizienz; • mindestens vergleichbar gute Operation, Administration and Maintenance (OAM) wie bei klassischen Transportprotokollen. Wo liegt also die Lösung? Multiprotocol Label Switching Die MPLS-Basisfunktionalität behebt bestimmte Routing-Problematiken in großen IP-Netzen. Den „Durchbruch“ in der Wahrnehmung hat MPLS aber sicher durch die Spezifikation für IPVPNs erlangt (allgemein als RFC2547 bekannt). Man hört nicht selten die Aussage, daß MPLS nur aufgrund von IP-VPNs eine derartige Bedeutung für Carrier erlangt hat. Aus Sicht der Ser- NET 7-8/07 vice-Layer sind aber neben IP-VPNs auch andere Dienste spezifiziert: • Virtual Private LAN Services (VPLS) für Ethernet-LAN-Dienste; nen sowie Labels für die Tunnel als auch Services. Das innere Label definiert den Service. Das äußere TunnelLabel definiert den Weg durch das Möglichkeiten der Verkapselung im Vergleich (SA – Source MAC Address; DA – Destination MAC Address; VID – VLAN ID; C-VID – Customer VID; I-SID – Service ID; B-VID – Backbone VID; BDA – Backbone DA; B-SA – Backbone SA; MPLS SL – Service Label; MPLS TL – Tunnel Label) • Pseudo Wire Emulation (PWE) für den Punkt-zu-Punkt-Transport diverser Protokolle über MPLS (inklusive Ethernet PWEs zur Abbildung von Ethernet LINE-Diensten). MPLS arbeitet verbindungsorientiert und bringt damit einen wesentlichen Aspekt in das verbindungslose Ethernet-Protokoll. Denn nur durch vordefinierte „Pfade“ lassen sich viele der genannten Aspekte wirklich lösen. Mit MPLS auf Basis von Ethernet können alle genannten Anforderungen erfüllt werden. Der Grundgedanke für MPLS war, ein Protokoll zu kreieren, das generell auf alle Netztopologien und -technologien anwendbar ist. Daher gibt es eine klare Definition von verschiedenen Funktionseinheiten, die letztlich auf sich ändernde Anforderungen angepaßt werden kann. Die Funktionseinheiten sind zum einen Kontroll-Layer zur Signalisierung zwischen den Netzknoten und zum anderen Daten-Layer für den eigentlichen Datentransport. Letzterer mit Tunnel-Layer mit Möglichkeiten zu Traffic Engineering, FastReroute und QoS sowie Service Layer zur Abbildung von unterschiedlichen Diensten und VPNs. Über den Kontroll-Layer mittels klassischer Routing-Protokolle signalisieren sich die Router Topologie-Informatio- Netz. Hier sind viele Optionen vorhanden, wie unterschiedliche Strecken für Hin- und Rückweg, lokale Signifikanz der Label-Nummer oder auch LSP „merging“ (mehrere LSPs können an einem Knoten zusamengefaßt werden und als ein LSP weiterlaufen). Dies sind alles grundsätzlich gute Optionen, um für alle möglichen Netzszenarien die passende Lösung zu haben. Aber letztlich auch viele Funktionen, die die Konfiguration, den Betrieb und vor allen Dingen das Troubleshooting eines großen MPLS-Netzes komplex machen können. Beim „Debuggen“ eines LSPs geben die Label-Nummern keinen Hinweis auf die echte Quell- und Zieladresse des Dienstes. Durch unterschiedliche Wege für die Hin- und Rückverbindung müssen beide Wege auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft werden. Und leider ist die Definition von umfangreichen OAM-Funktionen lange Zeit nicht mit voller Konsequenz erfolgt und auch heute noch nicht abgeschlossen. Provider Backbone Bridging Traffic Engineering Genau an diesem Punkt setzt PBB-TE an. Durch die Reduzierung der Optionen und statische Programierung von Forwarding-Informationen anstelle dy33 Alternative im Weitverkehr namischer Protokolle wird eine deutliche Vereinfachung der gesamten Netzstruktur erreicht. Auch PBB-TE ermöglicht eine verbindungsorientierte Arbeitsweise im Ethernet, verlagert die „Tunnel“-Informationen allerdings in den Ethernet Layer selbst. Dabei werden grundsätzliche Ethernet-Mechanismen weitestgehend beibehalten, die Integration in bestehende Switche ist daher relativ einfach. PBB-TE wurde möglich durch die Kombination verschiedener Funktionen, die momentan von der IEEE standardisiert werden. Dies sind IEEE 802.1ah Provider Backbone Bridging und IEEE 802.1ag Connectivity Fault Management (Bild). PBB ermöglicht eine klare Hierarchie im Netz und eine saubere Trennung von Kundennetz und Providernetz. Ethernet-Pakete von Kundenseite werden am Eingangspunkt in das Providernetz in ein Provider-Ethernet-Paket verpackt, bestehend aus Source/ Destination-Backbone-MAC-Adresse Backbone VLAN-ID und Service-IDFeld. Es findet also ein Ethernet-inEthernet-Tunneling statt, was auch oft als Mac-in-Mac bezeichnet wird. Auf dem Backbone werden keine Kundenadressen zur Wegewahl benutzt, sondern nur Adressen aus dem ServiceProvider-MAC-Bereich. Verschiedene Kunden-VPNs werden durch eindeutige, bis zu 16 Mio. mögliche, ServiceID-Nummern gekennzeichnet. Die Traffic-Engineering-Aspekte von PBB-TE werden zu PBB hinzugefügt, indem die Forwarding-Tabellen der Switche durch das Provisionierungssystem statisch gefüllt werden. Die Kombination aus Destination-Backbone-Adresse und Backbone VLAN-ID ist ein eindeutiger Pfad-Identifier. Dieses „Label“ hat globale Signifikanz, bleibt also von Anfang bis Ende ohne Veränderung. Bei insgesamt 60 bit (48 für MAC und 12 für VLAN) stehen trotzdem genügend viele – bidirektionale – Pfade auch für sehr große Netze zur Verfügung. Die Kundenpakete durchlaufen das Backbone-Netz auf diesen vordefinierten Pfaden. Pfade können zu „Pfad-Gruppen“, bestehend aus Working- und Protection-Pfad, zusammengefaßt werden. Die Überwachung der Pfade ge34 schieht mittels IEEE 802.1ag durch kontinuierliche „Heartbeat“-Pakete zwischen den Switchen an beiden Enden eines Pfades. Werden diese von der Gegenseite nicht mehr empfangen, sind die Switche in der Lage, eigenständig auf den Protection-Pfad umzuschalten. Netzweite Umschaltzeiten von 50 ms werden so möglich. 802.1ag definiert noch einige weitere Funktionen auf dem Ethernet Layer, etwa Loopback, Traceroute und AIS. Darüber hinaus existiert eine enge Verbindung zu Y.1731 aus der ITU-T, über die in den gleichen Statuspaketen auch Performance-Managementinformationen zwischen den Switchen ausgetauscht werden können. Umfangreiche OAM-Funktionen sind daher mittlerweile auch auf dem Ethernet-Layer vorhanden. PBB-TE erfüllt alle definierten Anforderungen an einen Transport-Layer: Eine klare Trennung zwischen Kunden und Provider, Skalierbarkeit der Dienste, Traffic Engineering, 50 ms Umschaltzeiten für hohe Verfügbarkeit der Dienste. Dies alles wird ohne aufwendige Kontrollprotokolle „nah“ am klassischen Ethernet erreicht. Durch die vordefinierten Pfade sind auch voll vermaschte Ethernet-Netze ohne Mechanismen zur Schleifenunterdrükkung wie etwa Spanning-Tree möglich – die Effizienz im Netz steigt. Vergleich Mit beiden Varianten lassen sich leistungsfähige Aggregationsnetze aufbauen. MPLS bietet mehr Optionen, den Aufbau von Verbindungen dynamisch zu signalisieren. Dies klingt zunächst weniger aufwendig, verlangt aber im Hintergrund eine Fülle von Protokollen. Und gerade darin kann das Problem stecken. PBB-TE umgeht diese Probleme durch die statische Konfiguration von Forwarding-Informationen in den Switchen. Dies klingt für sehr große Netze nach viel Vorarbeit. Hier sollten leistungsfähige „Offline“-Planungstools helfen. Die vorhandenen SDH-Netze überall auf der Welt sind letztendlich der beste Beweis dafür, daß man mit dieser planerischen Arbeitsweise sehr große Netze realisieren kann. MPLS hat die Option für Any-to-AnyVPNs auf Basis von VPLS. Es gibt allerdings auch Skalierungsprobleme von großen VPLS-VPNs, bedingt durch die Edge-basierte Replikation von Broadcasts/Multicasts und unbekannten Unicasts. Dies sollte man auf jeden Fall berücksichtigen, speziell im Umfeld des IPTV. PBB-TE ist heute ausschließlich für Punkt-zu-Punkt-Verbindungen spezifiziert (vergleichbar mit Ethernet-Pseudowires auf Basis von MPLS). Punktzu-Mehrpunkt-Verbindungen lassen sich durch natives 802.1ah realisieren. Dabei werden die im Ethernet vorhandenen effizienten Mechanismen zur Paket-Replikation verteilt genutzt. Natürlich ist eine dem VPLS angelehnte Funktionsweise mittels PBB-TETrunks anstelle von PWE-Trunks zwischen den Virtual Switch Instances generell technisch möglich. Zudem ist ein Großteil aller notwendigen Kommunikationsbeziehungen eben durch Punkt-zu-Punkt-Verbindungen realisierbar (einzeln oder durch Kombination vieler Einzelverbindungen). Fazit Für welche Variante soll sich der Netzbetreiber entscheiden? Viele sehen hier fälschlicherweise einen Konflikt, aus dem nur ein Protokoll als Sieger hervorgehen kann. Dies ist nicht zu erwarten, da PBB-TE den EthernetTransport adressiert, während MPLS auch viele Funktionen für andere Protokoll-Layer mitbringt. MPLS ist im Core des Netzes – dort wo auch IPFunktionalität bereitgestellt wird – etabliert; PBB-TE adressiert vordringlich den Aggregation/Metro Layer. Der Netzbetreiber muß sich im Zuge des Aufbaus einer Ende-zu-EndeEthernet-Infrastruktur unter Beachtung von Capex und Opex also fragen: Ergibt die Erweiterung von MPLS von wenigen Core/Edge-Knoten auf den gesamten Aggregationsbereich einen Sinn und ist dies handhabbar? Ist ein nativer Ethernet-Mechanismus wie PBB-TE für Transportaufgaben im Aggregation Layer sinnvoller, da weniger aufwendig? Mit der Beantwortung der Fragen sollte er sich nicht zu lange Zeit nehmen. (we) NET 7-8/07