Brief - HVD Hessen eV
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Brief - HVD Hessen eV
Staatssekretär Josef Dreiseitel c/o Referatsleiter Ulrich Bachmann Hessisches Ministerium für Soziales und Integration HVD Hessen e.V. Oskar-Sommer-Str. 20 60596 Frankfurt a.M. [email protected] 069-34878890 Dostojewskistr. 4 65187 Wiesbaden IBKA Hessen Vogelsbergstr. 8 60316 Frankfurt a.M. [email protected] 0170 - 3153971 Frankfurt, den 23.02.2015 Eingabe für das Treffen zur Erstellung des hessischen Aktionsplans für Akzeptanz und Vielfalt am 27. Februar 2015 Sehr geehrter Herr Bachmann, das Anliegen des Treffens, zusammen mit Selbstvertretungsorganisationen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen einen „Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt“ zu erarbeiten, um insbesondere auch an den Schulen über das Thema aufzuklären, begrüßen wir ausdrücklich. Der hessische Landesverband des IBKA e.V. („Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten“) ist ein Zusammenschluss nichtreligiöser Menschen, die für die Durchsetzung allgemeiner Menschenrechte – insbesondere die Weltanschauungsfreiheit – und die konsequente Trennung von Staat und Religion eintreten. Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD), Landesverband Hessen e.V. ist eine nicht-religiöse Weltanschauungsgemeinschaft und eine Interessenvertretung für konfessionsfreie Menschen. Gemeinsam setzten wir uns für den Abbau von ungerechtfertigten Sonderrechten der christlichen Großkirchen ein. Insbesondere die Praxis der katholischen Kirche, Arbeitnehmer_innen wegen ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren, ist uns dabei ein Anliegen. Wir halten es für gleichermaßen beschämend, jemanden aufgrund von sexueller Orientierung, Scheidung und Wiederheirat oder aufgrund seiner Nichtzugehörigkeit zu einer christlichen Kirche zu entlassen bzw. bei einem Einstellungsgespräch gar nicht erst zu berücksichtigen. Daher möchten wir die Gelegenheit nutzen, unsere diesbezüglichen Argumente und Forderungen einzubringen. Wir kritisieren insbesondere, dass die Regelungen des Antidiskriminierungsgesetzes für kirchliche Arbeitgeber nicht oder nur eingeschränkt gelten, sogar dann, wenn die Arbeitnehmer_innen nicht in verkündungsnaher Position stehen (Krankenpfleger_in, Ärzt_in, Kindergärtner_in) - und das, obwohl soziale Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft zum überwiegenden Teil (üblicherweise 80-90% bei Kindergärten, 98-99% bei Caritas und Diakonie) aus Steuergeldern und Versicherungsbeiträgen finanziert werden1. Das heißt: 99% jeder Caritasstelle finanzieren Steuer- und Beitragszahler, und damit homo- wie heterosexuelle Menschen gleichermaßen. Bei den Zugangsmöglichkeiten zu diesen Jobs bleiben homosexuelle Menschen, genau so wie Atheisten oder Andersgläubige jedoch außen vor, zumindest solange, wie die Stelle mit einem Kirchenmitglied besetzt werden kann, dessen Privatleben den kirchlichen Wertvorstellungen entspricht. Vertretungsberechtigter Vorstand gem. § 26 BGB: IBKA Hessen: Martin Wagner (Sprecher des Vorstands), Gabriele Förster (stellv. Sprecherin), Armin Vollstedt (stellv. Sprecher) HVD Hessen e.V., Vereinsregisternummer VR 14671, Registergericht Frankfurt: Florian Zimmermann (Vorsitzender), Anna Beniermann (stellv. Vorsitzende), Carsten Werner (Kassierer), Nicolai Rödiger (Beisitzer), Jennifer Zimmermann (Beisitzerin) Die inhumane Personalpolitik insbesondere der katholischen Kirche (siehe beiliegende Fallbeispiele) muss durch eine Ausweitung des AGG auf kirchliche Einrichtungen beendet werden. Uns ist bewusst, dass eine entsprechende Gesetzesänderung nur auf Bundesebene erfolgen kann. Dennoch sind auch Länder und Kommunen nicht machtlos: Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen und Pflegeheimen fällt in den Hoheitsbereich der Länder und Kommunen. Sie haben die Macht zu entscheiden, ob und mit welchen privaten Trägern sie zur Wahrung ihrer Verpflichtungen zusammenarbeiten. Die Seite, die die Kosten einer Einrichtung fast vollständig trägt (also Steuer- und Beitragszahler_innen vertreten durch Stadträte und Abgeordnete in den Kommunen und Ländern) hat auch die Macht, festzulegen, unter welchen Bedingungen eine Zusammenarbeit möglich ist. Dass eine solche Einflussnahme möglich ist, zeigt das Beispiel der Gemeinde Königswinter 2: In Königswinter hat die katholische Kirche eine Kindergartenleiterin wegen „Ehebruchs“ (Wiederheirat nach Scheidung) gekündigt. Und dies, obwohl die Kommune Königswinter den Kindergarten zu 100% finanzierte. Die Eltern rebellierten, und die Kommune kündigte den Zusammenarbeitsvertrag mit dem katholischen Träger. Auch der Stadtrat von Osnabrück geht mit positivem Beispiel voran: er hat im November 2013 einen Beschluss erwirkt, der gleiche Rechte für Mitarbeiter_innen in kirchlichen Arbeitsverhältnissen fordert und der bundesweit als „Osnabrücker Initiative“ 3 für Aufsehen sorgte. Der Beschluss im Rat der Stadt Osnabrück ist bislang einzigartig in Deutschland, die Stadt des Westfälischen Friedens ist damit Vorreiter in der Diskussion um die Sonderrechte der beiden großen christlichen Kirchen beim Arbeitsrecht. Das betrifft Mitarbeiter_innen aller kirchlichen Institutionen, also auch in Kindergärten, Krankenhäusern und weiteren sozialen Einrichtungen. Der Rats-Beschluss beinhaltet, dass die Stadtverwaltung "mit den von der Stadt finanzierten kirchlichen Einrichtungen Gespräche (...führen soll), die zum Ziel haben, dass diese bis zu einer entsprechenden Gesetzesänderung freiwillig auf die derzeit noch bestehenden Sonderrechte im Umgang mit den bei Ihnen Beschäftigten verzichten." Die Stadtverwaltung wird außerdem aufgefordert, "zu prüfen, ob bei künftigen Verträgen mit Einrichtungen/externen Trägern (konfessionsgebunden und konfessionsneutral) Vereinbarungen bezüglich der arbeitsrechtlichen Regelungen der dort Beschäftigten getroffen werden können. Ziel dieser Vereinbarung soll die Gewährleistung der vollen ArbeitnehmerInnenrechte in allen von der Stadt finanzierten Einrichtungen sein." Die Kündigung oder Neuverhandlung bestehender Verträge zwischen Kommunen und kirchlichen Trägern und ggf. eine Übertragung der Trägerschaft an besser geeignete Organisationen eröffnet die Möglichkeit, durch vertragliche Vereinbarungen dafür zu sorgen, dass Angestellten von Einrichtungen, die weitgehend oder vollständig aus Steuermitteln finanziert werden, auch endlich die Grundrechte genießen, die in jedem anderen Betrieb selbstverständlich sind: unter anderem das Recht, gleichgeschlechtliche Partnerschaften einzugehen, ohne deshalb eine Entlassung oder Benachteiligung bei der Bewerbung befürchten zu müssen. Unser Anliegen betrifft kein Randproblem: mehr als 1,2 Millionen Arbeitnehmer_innen sind derzeit bei Caritas, Diakonie und anderen kirchlichen Einrichtungen beschäftigt. Zehntausende Menschen sind gezwungen, ihre sexuelle Orientierung und/oder ihre religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen zu verheimlichen, um nicht den Job zu verlieren oder um diesen überhaupt erst zu bekommen. Wir bitten Sie daher, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass die kirchlichen Wohlfahrtsverbände die Bestimmungen des AGG in ihren Betrieben anerkennen. Machen Sie diese Anerkennung zur Grundlage von Zusammenarbeitsverträgen und Vergaberichtlinien. Vertretungsberechtigter Vorstand gem. § 26 BGB: IBKA Hessen: Martin Wagner (Sprecher des Vorstands), Gabriele Förster (stellv. Sprecherin), Armin Vollstedt (stellv. Sprecher) HVD Hessen e.V., Vereinsregisternummer VR 14671, Registergericht Frankfurt: Florian Zimmermann (Vorsitzender), Anna Beniermann (stellv. Vorsitzende), Carsten Werner (Kassierer), Nicolai Rödiger (Beisitzer), Jennifer Zimmermann (Beisitzerin) Bitte bedenken Sie, dass mittlerweile sogar Unternehmen der freien Wirtschaft von ihren Vertragspartnern die Einhaltung ethischer Mindestnormen einfordern, auch und insbesondere, was die Rechte homosexueller Menschen betrifft. So fordert beispielsweise die Firma IBM in Punkt 5 ihrer Richtlinien für Lieferanten4: „IBM Lieferanten verpflichten sich, bei der Einstellung Bewerber nicht aufgrund der Rasse, der Religion, des Alters, der Nationalität, des sozialen oder ethnischen Ursprungs, der sexuellen Orientierung, des Geschlechts, der Identität oder des Ausdrucks des Geschlechts, des Familienstands, einer Schwangerschaft, der politischen Gesinnung oder aufgrund einer Behinderung zu diskriminieren“ Umso mehr sehen wir es als die Pflicht demokratisch gewählter Volksvertreter_innen in Ländern und Kommunen, kritisch zu überprüfen, ob ein Kooperationspartner ethische Mindeststandards erfüllt. Denn es ist keine angemessene Verwendung der Steuergelder von homosexuellen und kirchenfernen Menschen, wenn Kommunen kirchlich getragene Krankenhäuser und Pflegeheime praktisch vollständig finanzieren, ohne dabei sicherzustellen, dass diese Bevölkerungsgruppen die gleichen Chancen auf eine Anstellung und ein diskriminierungsfreies Arbeitsleben haben wie alle anderen Bürger_innen auch. Die aktuelle Praxis der Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit kirchlichen Trägern sozialer Einrichtungen stellt eine institutionelle Diskriminierung homosexueller Menschen dar. Eine Neubestimmung halten wir für dringend erforderlich. Wir hoffen, dass der Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt auch an der bestehenden Situation vieler Beschäftigter in kirchlichen Einrichtungen etwas ändert. Über diese Fragen möchten wir mit Ihnen gerne ein Gespräch über mögliche Fortschritte führen und würden uns über einen Terminvorschlag sehr freuen. Mit freundlichen Grüßen i.A. des IBKA e.V. Landesverband Hessen und des HVD Hessen e.V. unterstützt durch die GBS Mainz/Rheinhessen e.V. Kopie Marcus Bocklet, MdL, Hessischer Landtag Mürvet Öztürk, MdL, Hessischer Landtag Schlossplatz 1-3 65183 Wiesbaden Vertretungsberechtigter Vorstand gem. § 26 BGB: IBKA Hessen: Martin Wagner (Sprecher des Vorstands), Gabriele Förster (stellv. Sprecherin), Armin Vollstedt (stellv. Sprecher) HVD Hessen e.V., Vereinsregisternummer VR 14671, Registergericht Frankfurt: Florian Zimmermann (Vorsitzender), Anna Beniermann (stellv. Vorsitzende), Carsten Werner (Kassierer), Nicolai Rödiger (Beisitzer), Jennifer Zimmermann (Beisitzerin) Fallbeispiele: • • • • • • Eine lesbische Erzieherin aus Ulm hat 2012 aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ihren Arbeitsplatz bei einem katholischen Kindergarten verloren. Die Kindergartenleitung schaltete daraufhin den zuständigen Gemeindepfarrer Markus Mattes ein. Dieser bezeichnete ihre homosexuelle Lebensweise als „unnatürlich“.5 Im November 2010 wurde einer Raumpflegerin in einem katholischen Kindergarten des Bistums Essen gekündigt, weil sie mit ihrer Freundin eine eingetragene Partnerschaft eingegangen war.6 Eine katholische Kirchengemeinde in Neu-Ulm kündigte einer Erzieherin wegen ihrer Homosexualität sogar noch während ihrer Elternzeit fristlos. 7 In dem Buch „Loyal Dienen“ von Cornelia Gekeler meldet sich eine junge lesbische Altenpflegerin, die in einer katholischen Alteneinrichtung arbeitet, anonym zu Wort. Für sie ist der katholische Arbeitgeber praktisch alternativlos, da sie in einem ländlich geprägten Raum lebt: „Wir sind so frisch verliebt und trauen uns nicht auf Partys zusammen das ist schon bitter. Wir wohnen zwar nicht zusammen, aber wenn wir uns in der Öffentlichkeit bewegen, müssen wir uns sehr zusammenreißen, das fängt schon beim gemeinsamen Einkaufen an.“ Anfangs sei sie ganz blauäugig gewesen und habe einigen Kollegen erzählt, dass sie lesbisch ist. Ein schwuler Kollege klärte sie dann darüber auf, dass das ein Kündigungsgrund ist. „Inzwischen weiß ich, dass Arbeitgeber sogar auf Facebook schauen können und dass man sehr vorsichtig sein muss“. Weil Elisabeth Sinnerbrink zum zweiten Mal geheiratet hat, wurde die Leiterin des St. Vitus Kindergartens im Kreis Gütersloh von der katholischen Kirche zum 31. März 2014 gekündigt. 8 Aus gleichem Grund feuerte die katholische Kirche in der Gemeinde Königswinter eine Kindergartenleiterin, und dies, obwohl die Kommune Königswinter den Kindergarten zu 100% finanzierte.9 1 2 3 4 5 6 Zur Finanzierung von Caritas und Diakonie: „Violettbuch der Kirchenfinanzen“ von Dr. Carsten Frerk SPIEGEL-ONLINE: „Kindergartenkampf in Königswinter“, 23. März 2012 hpd: „Osnabrück gegen kirchliches Arbeitsrecht“, 15. Nov 2013 IBM Corporation 2009: „Verhaltensregeln für IBM Lieferanten: Richtlinien“ Die Welt vom 11. August 2012; http://www.welt.de/108573956 ZEIT, 8. Oktober 2012; http://www.zeit.de/gesellschaft/2012-10/katholische-kirche-lesbischeerzieherin-einigung 7 SPIEGEL-ONLINE; 19.06.2012: http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/kirche-keine-kuendigungin-elternzeit-fuer-lesbische-erzieherin-a-839767.html 8 „Die Glocke“ Lokalnachrichten Kreis Gütersloh 13. Dez 2013 9 SPIEGEL-ONLINE: „Kindergartenkampf in Königswinter“, 23. März 2012 Vertretungsberechtigter Vorstand gem. § 26 BGB: IBKA Hessen: Martin Wagner (Sprecher des Vorstands), Gabriele Förster (stellv. Sprecherin), Armin Vollstedt (stellv. Sprecher) HVD Hessen e.V., Vereinsregisternummer VR 14671, Registergericht Frankfurt: Florian Zimmermann (Vorsitzender), Anna Beniermann (stellv. Vorsitzende), Carsten Werner (Kassierer), Nicolai Rödiger (Beisitzer), Jennifer Zimmermann (Beisitzerin)