Eine vergessene Seuche

Transcrição

Eine vergessene Seuche
Eine
vergessene
Seuche
Erforschung und Bekämpfung
der afrikanischen Schlafkrankheit
am Swiss TPH
© Swiss TPH, 2011
Herausgeber: Swiss Tropical and Public Health Institute (Swiss TPH), Basel, Switzerland – www.swisstph.ch
Text, Interviews: Dr. Klaus Duffner, Freiburg/Brsg. – www.medizinundwissen.de
Fotos: D
avid Bygott, Klaus Duffner, Kai-Uwe Häßler, Hugo Jaeggi, Joachim Walz
und Mitarbeitende des Swiss TPH
Grafik: Bernd Uhlmann, Papyrus Medientechnik GmbH, Freiburg/Brsg. – www.papyrus-medientechnik.de
Koordination, grafische Beratung: Heidi Immler, Basel (Swiss TPH)
Druck: Hofmann Druck, Emmendingen
Inhalt
Vorwort2
Tödliche Vernachlässigung
3
Ein gefährlicher Winzling4
Eine ganz besondere Fliege8
«Das waren Meilensteine»
10
«Und es traf ihn die Schlafsucht»14
Vom Fliegenkäscher zum Hightech-Labor16
Nur Partnerschaft führt zum Erfolg24
Keine Chance ohne Behandlung27
Schlaglichter aktueller Forschung29
«Wir leben in einer Welt»
Quellen und weiterführende Literatur
32
33
Vorwort
Schon seit seiner Gründung im Jahre 1943 ist das Schweizerische Tropeninstitut (STI) eng mit der Erforschung
der Schlafkrankheit verbunden. So stand von Anfang an
die Tsetsefliege, als die Überträgerin des Krankheitserregers, im Zentrum des Instituts-Logos. Letzteres wurde
vom Gründer des STI, Professor Rudolf Geigy (1902–
1995), treffend gewählt, da es auf die faszinierende Beziehung zwischen Überträger, Parasit und Wirt hinweist.
Unser ehemaliges Logo erinnert uns aber auch daran,
dass die Schlafkrankheit bis heute zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten zählt und nach wie vor einen
beachtlichen Einfluss auf die soziale und wirtschaftliche
Entwicklung vieler Länder in Afrika hat. Deshalb sind
wir aufgefordert, die Bekämpfung der Schlafkrankheit auf
allen Ebenen konsequent anzugehen. Das STI ist diesem
Aufruf stets gefolgt und hat die Schlafkrankheit und andere vernachlässigte Krankheiten ins Zentrum von Lehre,
Forschung und direkter Umsetzungsarbeit gestellt und
dabei über Jahrzehnte hinweg international beachtete und
wegweisende Resultate erzielt.
Mitte 2009 wurde das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel ins STI integriert. Am
neu entstandenen Schweizerischen Tropen- und Public
Health-Institut (Swiss TPH), das gleichzeitig ein assoziiertes Institut der Universität Basel ist, arbeiten in Basel und im Ausland gut 500 Mitarbeitende aus über 50
­Natio­nen. Ihr Ziel ist es, wie in den Zeiten des STI durch
qualitativ hoch stehende L
­ ehre, Forschung und Dienstleistungen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes
der Bevölkerung beizutragen.
2
Mit dem Integrationsprozess kam nach 66 Jahren auch der
Wechsel des Instituts-Logos. Es weist heute auf die globalisierten, transkulturellen Facetten unserer Arbeit. Die
vernachlässigten Krankheiten bleiben jedoch ein Schwerpunkt der Langzeitstrategie des Swiss TPH. Aus diesem
Anlass widmeten wir im Dezember 2010 das 15. STI/
Swiss TPH-Symposium der Schlafkrankheit. Die vorliegende Broschüre fasst unseren Weg im Verstehen und Bekämpfen dieser «vergessenen Seuche» zusammen. Sie soll
uns auch daran erinnern, dass wir gerade jetzt, wo in vielen
Gebieten Afrikas sogar eine Eliminierung der Krankheit
möglich erscheint, unser Engagement in ­Forschung und
praktischer Umsetzung verstärken müssen.
Meinen Kollegen Thierry Freyvogel, Leo Jenni, Reto
Brun und Christian Burri sowie vielen MitarbeiterInnen
des Instituts und unseren Partnern in der Schweiz und im
Ausland, vor allem auch in den Endemiegebieten, danke
ich für ihr grosses Engagement bei der Erforschung der
Schlafkrankheit. Ihre herausragenden wissenschaftlichen
Arbeiten sind die Grundlage für eine effektive Bekämpfung. Besonderer Dank gilt auch Heidi Immler, die als
langjährige Leiterin der Bibliothek die Entstehung dieses
Hefts vortrefflich unterstützt hat. Schliesslich danke ich
dem Autor Klaus Duffner, der einen wertvollen Beitrag
geleistet hat, damit wir weder unsere Wurzeln noch die
Schlafkrankheit vergessen. Ich wünsche Ihnen eine an­
regende Lektüre.
Marcel Tanner
Basel, im Juni 2011
Tödliche Vernachlässigung
Das Auftreten der unbehandelt immer tödlich verlaufenden Schlafkrankheit in Afrika war in den vergangenen gut hundert Jahren starken Schwankungen unterworfen. So starben um die Wende ins 20. wie
auch ins 21. Jahrhundert hunderttausende von Menschen.
Zwischen 1896 und 1906 wurden vor allem das Kongo­
becken und Uganda von einer schweren Epidemie heimgesucht. Die Schlafkrankheit raffte beispielsweise in der
belgischen Missionarsschule Berghe St Marie nahe des
Kongoflusses von 1000 Schulkindern jährlich 100 hinweg. Insgesamt schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO die Zahl der damals ums Leben gekommenen
Menschen im Kongobecken auf eine halbe Million und in
Uganda auf 200 000 bis 300 000. Nachdem in den Folgejahren die Zahl der Erkrankten spürbar zurückgegangen
war, brach zwischen 1920 und 1930 schon wieder die
nächste Epidemie über Zentral­afrika herein. Aber auch
diesen Ausbruch konnte man durch konsequente Überwachungsmassnahmen, die strenge Bekämpfung der krankheitsübertragenden Tsetse­fliegen, sowie die medizinische
Behandlung der Infizierten im Laufe der nächsten Jahrzehnte wieder eindämmen. Im Jahr 1960 lag die Zahl der
Infizierten nur noch bei ­wenigen hundert pro Jahr.
Gefahr durch politische Umwälzungen
Aber auch diese glückliche Phase war nur von kurzer
­Dauer. Nach Ende der Kolonialherrschaft kam es in der
Folgezeit durch politische Umwälzungen und Bürgerkriege zum Zusammenbruch der Gesundheitssysteme und zur
Vernachlässigung der Kontrollprogramme. Ab Ende der
60er Jahre nahm daher die Zahl der Fälle wieder stetig zu.
Dies mündete in den Folgejahren in West- und in Ostafrika erneut in einer grossen Epidemie. 1998 erreichte dieser dramatische Anstieg seinen Höhepunkt mit geschätzten 500 000 infizierten Menschen. Erst nachdem um die
Jahrtausendwende die meisten Bürgerkriege geendet
hatten und von der WHO und verschiedenen Hilfsorganisationen verstärkt Bekämpfungs- und Behandlungsmass-
T. b. gambiense





Kein Vorkommen
Möglich
Regelmässig
Häufig
T. b. rhodesiense
Epidemisch
Vorkommen der Schlafkrankheit in Afrika. Die Linie gibt die
Verbreitungsgrenze der beiden Unterarten von Trypanosoma
brucei wieder.
nahmen durchgeführt werden konnten, sowie kostenfreie
Schlafkrankheitsmedikamente von den Herstellern zur
Verfügung gestellt wurden, nahm die Zahl der Erkrankten
wieder ab.
Heute geht man davon aus, dass 30 000 bis 50 000 Menschen von der Schlafkrankheit betroffen sind. Die Zahl
der im Jahr 2009 mit Trypanosoma brucei gambiense Neuinfizierten wird mit 9700 angegeben, davon alleine 7200
in der Demokratischen Republik Kongo und 1000 in der
Zentralafrikanischen Republik. Die restlichen verteilen
sich auf den Tschad (500), Sudan (400), Angola (250)
und andere. Von der ostafrikanischen Variante (T. brucei
rhodesiense) sind derzeit knapp 200 Patienten betroffen.
Trotz dieser positiven Entwicklung sollte man eines nicht
vergessen: Laut Angaben der WHO werden nach wie vor
etwa 50 Millionen Menschen von der Seuche bedroht.
60 000
Die Zahl der jährlich registrierten Neuerkrankungen von 1939 bis 2007.
50 000
40 000
30 000
20 000
10 000
0
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
3
Trypanosoma brucei zusammen mit roten und weissen Blutkörperchen (rasterelektronenmikroskopische Aufnahme)
Ein gefährlicher Winzling
Ein unbeobachteter Moment, ein kurzer schmerzhafter Stich und schon ist es passiert: Eine Ladung winziger Erreger dringt über den Speichel einer Stechfliege in unseren Körper. Ein Vorgang der sich jeden
Tag vielfach in Afrika wiederholt. Aus ein paar verlorenen Eindringlingen wird in kurzer Zeit eine unvorstellbar grosse Armada, aus einem nicht weiter beachteten Piekser eine lebensbedrohliche Er­krankung.
Eine Zelle mit Kraftwerk
Schuld an der gefährlichen Seuche ist ein hochspezialisierter Blutparasit mit dem wissenschaftlichen Namen
Trypanosoma brucei. Dieser besteht zwar nur aus einer
einzigen Zelle mit kaum einem dreissigstel Millimeter
Länge, aber die hat es in sich. Mit einer Art Kraftwerk
(dem so genannten Mitochondrium) wird die Energie für
den Antrieb einer einzelnen Geisel geliefert. Zusammen
mit dem wellenförmigen Körpersaum sorgt sie dafür, dass
der nur 25 bis 40 µm lange Erreger ständig in Bewegung
bleibt. Allerdings ändern Trypanosomen im Laufe ihres
Lebenszyklus ihre Gestalt, mal tritt die Geisel am Zellende hinter dem Kern aus, mal tritt sie in der Zellmitte vor
dem Kern aus, mal ist die freie Geisel ziemlich reduziert.
Während die Blutstromformen lang gestreckt und mit
der Geisel hochbeweglich wie Aale durch das Venen- und
­Arteriensystem jagen, sind die eher plumpen Formen für
das Leben in der Tsetsefliege vorbereitet. Alle Trypanosomen besitzen ein charakteristisches Zellorganell, den
Kinetoplasten, weswegen sie der Klasse der «Kineto­
plastea» zugeordnet werden.
darunter landlebende Säugetiere, Reptilien, Vögel, aber
auch Amphibien und Fische. Bei den landlebenden Wirts­­
tieren dienen als Überträger zumeist Insekten. Auch die
für Mensch und Säugetier gefährliche Art Trypanosoma
brucei treibt in mehreren Varianten ihr Unwesen. So ist
Trypanosoma brucei gambiense in Zentral- und Westafrika verbreitet und wird mittels Tsetsefliegen hauptsächlich
von Mensch zu Mensch übertragen. Nach der Infektion
kann der Betroffene eine chronische Form der Schlafkrankheit entwickeln und monate- oder sogar ­jahrelang
infiziert sein, ohne dass wesentliche Symptome auftreten. Macht sich die Krankheit allerdings erst in einem
West- und ostafrikanische Formen
Von der Gattung Trypanosoma (griechisch «Bohrkörper») sind bis heute mehrere hundert Arten bekannt. Sie
befallen als Parasiten eine ganze Reihe von Wirbeltieren,
4
Fleckenhyänen sind wie viele andere Wild- und Haustiere ein
Reservoir für Trypanosomen.
f­ortgeschrittenen Stadium bemerkbar, ist es sehr schwer
sie zu bekämpfen.
Dagegen kommt der Bruder T. b. rhodesiense im öst­lichen
und südöstlichen Afrika vor und wird vor allem von Wildtieren, wie z.B. Antilopen, afrikanischen Büffeln, Fleckenhyänen und Löwen, aber auch von Haustieren wie Schafen, Ziegen oder Rindern beherbergt.
Diese ostafrikanische Form verursacht beim Menschen
(der hier eher ein zufälliger Wirt ist) eine akute Erkrankung, die innerhalb weniger Wochen ausbricht und einen
wesentlich aggressiveren Verlauf als die westafrikanische
Variante nimmt. Allerdings tritt sie deutlich seltener auf
und kann rascher behandelt werden, da die Infizierten
schnell klinische Symptome zeigen.
Nagana gefährdet Haustiere
Schliesslich existieren in Afrika einige TrypanosomenFormen, die primär Haustieren gefährlich werden können. Dazu gehört T. brucei brucei, welche ostafrikanische
Zebu-Rinder, Pferde, Kamele, Hunde oder Hauskatzen
sowie verschiedene Antilopen und Raubkatzen infiziert.
Ebenfalls für Haustiere oft tödlich sind Infektionen mit
T. vivax und T. congolense, die in West- bzw. Ostafrika eine
dominierende Rolle spielen. Solche Tierseuchen werden
als Nagana («jene, die depressiv macht») bezeichnet.
Sie verursachen in den Rinderherden bisweilen grosse
­Verluste, was für eine ganz auf Viehzucht ausgerichtete
Be­völkerung eine existenzielle Bedrohung darstellt.
Parasit mit vielen Gesichtern
Nach dem ziemlich schmerzhaften Stich der Tsetsefliege
gelangen die Trypanosomen mit dem Speichel ins ­Gewebe
5
4
Speicheldrüse
6
Zebu-Rinder bilden in weiten Teilen Afrikas die Existenzgrundlage der Bevölkerung.
des Menschen. Dort wandeln sie sich in einem eng umgrenzten Gewebsareal in schlanke, bewegliche Formen
um und beginnen sich durch Längsteilung zu vermehren. In diesem frühen Infektionsstadium kann es in der
Nähe der Einstichstelle zu Entzündungen kommen. Nach
etwa zwei Wochen wandern die mobilen Erreger über die
Lymphbahnen in die Blutgefässe. Dort findet dann eine
extreme Vermehrung statt, da sich alle sechs Stunden die
Population verdoppeln kann. Die Folge: Das Blut wird in
kurzer Zeit regelrecht mit Trypanosomen überschwemmt.
Ist eine gewisse Parasitendichte erreicht, verwandelt sich
ein Teil der ehemals schlanken Erreger («long slender»)
wieder in kürzere Formen («short stumpy»). Sie warten
nun im Blut auf den Weitertransport durch Tsetsefliegen.
Stechen diese nun ein infiziertes Säugetier oder einen
Menschen, gelangen die Parasiten mit dem aufgenommenen Blut in den Fliegendarm.
Nach einer erneuten Verwandlung wandern die Trypanosomen über den Darmkanal und den Vorderdarm in die
Speicheldrüse der Tsetsefliege, wo sie zu infektiösen Formen werden. Nach drei bis vier Wochen stehen im Saugapparat der Stechfliege wieder neue Erreger in den Startlöchern – und der Zyklus beginnt von neuem. Von nun an
kann jeder Stich die hoch gefährliche Fracht auf Mensch
und Tier verladen.
Darm
Haut
Blut
3
2
1
1 Mit dem Speichel der Tsetsefliege gelangen Trypanosomen in den Menschen. Als schlanke «bloodstream»-Formen
verteilen sie sich im Körper. 2 Eine rasche Vermehrung in
unterschiedlichen Körperflüssigkeiten, aber vor allem im
Blutkreislauf, setzt ein. 3 Wenn eine gewisse Erregerdichte
im Blut erreicht ist, verwandeln sich die Trypanosomen in
kurze gedrungene Formen. 4 Eine Tsetsefliege nimmt mit der
Blutmahlzeit Trypanosomen auf, die sich im Darm der Fliege
erneut verwandeln und vermehren. 5 Sie verlassen den Darm
und wandern in die Speicheldrüse. 6 Nach erneuter Vermehrung entstehen infektiöse Trypanosomen, die bei der nächsten
Blutmahlzeit 1 wieder in den Menschen gelangen. Der Kreislauf ist geschlossen.
5
­rhodesiense) und der Verursacher der Nagana-Seuche
(T. brucei brucei) im Wesentlichen nur durch ein einziges Gen (verantwortlich für den «Serum Resistance
Associated»-Faktor, SRA) unterscheiden. Daher ist es
kein Wunder, dass die drei Unterarten von Trypanosoma
brucei mikroskopisch nicht voneinander zu trennen sind,
obwohl sie verschiedene Wirte bevorzugen und auch teilweise ungleiche Symptome nach einer Infektion hervorrufen.
Immer einen Schritt voraus
Als eines der bemerkenswertesten Ergebnisse dieser Forschungen erwies sich die Entdeckung einer Schutzhülle
aus Proteinen, mit der Trypanosomen umgeben sind. Dieser im Englischen als «Variable Surface Glycoprotein»
(oder VSG) bezeichnete hauchdünne Film, besteht aus
etwa 10 Millionen Molekülen und wirkt wie ein undurchdringlicher Mantel. Das Raffinierte dabei: Trypanosomen
können die Struktur dieses Eiweiss-Panzers verändern.
Zwar wird nach einer Infektion und der sich anschliessenden Vermehrung der grösste Teil der Parasiten durch
das körpereigene Immunsystem wieder vernichtet – der
Kampf ist dadurch aber nicht gewonnen. Denn die vom
Körper produzierten Antikörper richten sich gegen die
Oberflächenantigene der ersten Welle der Eindringlinge.
In der Zwischenzeit haben sich aber schon wieder neue
Erregerklone mit neuen VSG-Schutzhüllen gebildet.
Diese wachsen nun ihrerseits ungehindert zu einer neuen
Parasiten-Population heran, bis das Immunsystem wieder
Antikörper auch gegen diese zweite Generation der VSG
gebildet hat. Obwohl nun wiederum ein grosser Teil der
Eindringlinge angegriffen und eliminiert wird, ist dieses
sich vielmals wiederholende Katz-und-Maus-Spiel vom
Immunsystem nicht zu gewinnen, da immer wieder neue
Lichtmikroskopische Aufnahme von roten Blutkörperchen
(Durchmesser 7,5 µm) und zwei langgestreckten Trypanosomen der Blutstrom-Form.
Parasit mit 9000 Genen
Durch neue molekularbiologische Methoden erfuhr die
Erforschung von Trypanosoma brucei in den vergangenen
30 Jahren einen enormen Aufschwung. Viele Grundlagen
zellulärer oder genetischer Mechanismen wurden zuerst
am Verursacher der Schlafkrankheit entdeckt und dann
erst von anderen Zellen beschrieben. Im Jahr 2005 konnte
zudem das Genom (also das gesamte Erbgut) des Erregers
mit gut 9000 Genen, 11 grossen Chromosomen und etwa
100 „Minichromosomen“ entziffert werden.
Die molekularbiologischen Untersuchungen ergaben dabei, dass die Unterschiede zwischen den Unterarten von
Trypanosoma brucei äusserst gering sind. So sollen sich
der ­Erreger der ostafrikanischen Schlafkrankheit (T. ­brucei
U
Anatomie eines Trypanosomen
Z
FFlagelle
O
G
GGlykosom
KKinetoplast
OGolgi-Körper
M
T
Pelliculare Mikrotubuli
RRiesen-Mitochondrium
TFlagellentasche
R
K
M
F
6
U
Undulierende Membrane
Z
Zellkern
Klon B
Klon C
Klon D
Klon E
4
5
Klon F
Anzahl Trypanosomen
Klon A
Ist die erste Welle der
Trypanosomen vom Immunsystem eliminiert,
entwickelt sich schon
wieder die nächste
Generation mit einem
Mantel aus neuen variablen Oberflächenproteinen (VSG) – ein Wettlauf
der vom Körper nicht zu
gewinnen ist.
0
1
2
3
Wochen
VSG-Generationen in den Startlöchern sitzen. Dadurch
sind übrigens auch die wellenförmigen Fieberschübe erklärbar, welche die Erkrankten parallel zum Entstehen der
neuen Trypanosomen-Populationen alle sechs bis zehn
Tage heimsuchen.
Impfstoffentwicklung aussichtslos
Man hat insgesamt rund 800 Gene gefunden, die den
«Variable Surface»-Glykoproteinen zugeschrieben werden, allerdings soll nur ein Teil davon wirklich funktionsfähige Proteinvarianten herstellen können. Durch die
Fähigkeit sich in einer solch grossen Bandbreite immer
wieder mit neuen Schutzhüllen einzukleiden, ist es nahezu aussichtslos einen wirksamen Impfstoff gegen T. brucei
entwickeln zu wollen. Trotzdem ist man nicht machtlos,
da die molekularbiologischen Erkenntnisse der jüngsten
Vergangenheit auch neue Perspektiven für die Entwicklung moderner Medikamente liefern.
Als mögliche Angriffspunkte stehen besonders die VSGProteine und verschiedene Stoffwechselvorgänge im
Fokus der Wissenschaftler. So könnten sowohl ein spezielles Verankerungssystem für die Proteinhülle als auch
bestimmte stabile Genregionen des Parasiten als thera­
peutische Ansatzpunkte dienen.
6
7
­ arasiten entlang von vorne nach hinten treiben. Dadurch
P
sind die Antikörper nicht in der Lage, an der Zellhülle
anzudocken. Ein Teil der Moleküle landet zudem im Zellmund der Einzeller. Das hat zwei Effekte: Erstens können
die Antikörper als Glykoproteine aufgenommen und verdaut werden (und stellen damit eine gute Nahrungsquelle dar) und zweitens werden auf diese Weise die lästigen
­Widersacher dezimiert. Die ununterbrochene, fast hektische Bewegung der Geisel und des Körpersaumes ist für
Trypanosomen daher überlebensnotwendig.
Man hat in Versuchen beobachtet, dass bewegungslose
Parasiten tatsächlich innerhalb von wenigen Stunden absterben. Würde es nun durch neue Wirkstoffe gelingen,
einzelne Elemente dieses Bewegungsmechanismus zu stören, so die Hoffnung der Wissenschaftler, wäre dies eine
mögliche Ausgangsbasis für Medikamente.
Den Antikörpern entwischen
Allerdings sind es nicht nur solche Täuschungsmanöver,
mit denen sich Trypanosomen dem Immunsystem in den
Weg stellen. Vor wenigen Jahren wurde festgestellt, dass
sie sogar in der Lage sind, ihre Angreifer direkt aufzufressen. Durch die permanenten Schwimmbewegungen
werden nämlich Strömungen erzeugt, welche die angreifenden Antikörper wie im Fahrtwind an der Hülle der
Die gesamte Oberfläche der Trypanosomen ist von VSG
bedeckt (Fluoreszenz-Aufnahme).
7
Der Lebensraum der Tsetsefliege: Savannen und Buschland (Ostafrika) sowie Feuchtsavannen und Regenwälder (Westafrika)
Eine ganz besondere Fliege
Sowohl die afrikanische Schlafkrankheit als auch die Nagana-Seuche werden von Tsetsefliegen (oder
«Glossinen») übertragen. Wie bei den Erregern existieren auch bei den Überträgern dieser Krankheiten
west- und ostafrikanische Formen. Sei es nun das weite Verbreitungsgebiet, die auffällige «Stichwaffe»
oder die ungewöhnliche Brutfürsorge: Tsetsefliegen sind ganz besondere Insekten.
Obwohl zumeist von «der» Tsetsefliege gesprochen
wird, sind in Wirklichkeit 31 dieser auch als «Glossinen» bezeichneten Arten bekannt. Sie allesamt leben in
Afrika und stellen an ihren Lebensraum, abhängig vom
Klima, dem Einfluss der Meereshöhe, der Vegetation und
dem Vorhandensein von bestimmten Wirtstieren, ganz
spezielle Ansprüche.
Allerdings sind nur wenige Arten tatsächlich in der Lage,
Mensch und Tier mit Trypanosomen zu infizieren. Die
wichtigsten davon werden in zwei Haupttypen eingeteilt:
Tsetsefliegen der westafrikanischen palpalis-Gruppe, die
an feuchte Regen- und Galeriewälder in der Nähe von
Gefährliche Mahlzeit: Mit dem Speichel der Tsetsefliege können Trypanosomen übertragen werden.
8
Gewässern gebunden sind und Tsetsefliegen der ost- bzw.
südafrikanischen morsitans-Gruppe, die Savannen­bio­tope
bevorzugen.
Nur wenige Fliegen infiziert
Damit steht den Tsetsefliegen ein riesiges Verbreitungsgebiet in sehr unterschiedlichen Landschaftstypen zur
Verfügung. Es erstreckt sich über elf Millionen Quadrat­
kilometer südlich der Sahara (etwa am 14. nördlichen
Breitengrad) bis ins nördliche Botswana und ins südliche
Mosambik (etwa am 29. südlichen Breitengrad). Trotz
dieses breiten «Tsetsegürtels» tritt die Schlafkrankheit
tatsächlich nur punktuell auf. Das heisst, obwohl genügend Überträger vorhanden wären, sind viele Gegenden
zum Glück ohne Schlafkrankheit. Möglicherweise hat
dies mit dem sehr geringen Trypanosomen-Befall in den
Stechfliegen zu tun.
Am Schweizerischen Tropeninstitut (heute Swiss TPH)
hat man in aufwendigen Studien festgestellt, dass
­höchstens 0,1% der untersuchten Tsetsefliegen tatsächlich eine Speicheldrüseninfektion mit T
­rypanosomen
aufweist.
Eine mögliche Erklärung für die geringe Rate infektiöser
Glossinen ist die Tatsache, dass sich die Fliegen nur während der ersten Blutmahlzeit mit dem Erreger infizieren
lassen. Aber aufgepasst: Ist dies geschehen, bleiben sie für
Mensch und Tier zeitlebens infektiös.
Bedrohlicher Stechrüssel
Die Tsetsefliege ähnelt einer mittelgrossen Bremse. Wie
diese trägt sie vorne am Kopf einen auffälligen, nach vorne
gerichteten hohlen Stechrüssel, den sie wie eine bedrohliche Waffe stets vor sich her trägt. Durch allerlei Borsten
an den Beinen und Antennen, macht die Fliege überhaupt
einen ziemlich «haarigen» Eindruck. Charakteristisch
ist auch die Haltung der Flügel. In Ruhestellung werden
die Flügel wie bei einer Schere immer vollständig über­
einander gelegt, was ihnen ein zungenförmiges Aussehen
verleiht. Der wissenschaftliche Name Glossina («Glossa»
von griechisch «Zunge, Sprache») soll übrigens auf diese Ähnlichkeit hinweisen. Nach anderer Auffassung steht
der Stechrüssel für die Namensgebung Pate.
Lieber tagaktiv
Tsetsefliegen haben eine Lebenszeit von bis zu fünf
­Monaten und benötigen zwei bis dreimal in der Woche
eine Blutmahlzeit. Um das Wild (und natürlich auch
Menschen) zu finden, verlassen sich die Fliegen hauptsächlich auf ihre Augen, aber auch auf ihren Geruchssinn
(z.B. riechen sie Aceton und CO2 im Atem) und mechanische Stimuli. Als Wirtstiere spielen neben einer ganzen
Reihe von Säugetieren (z.B. Warzenschweine, verschiedene Antilopenarten, div. Haustiere) für manche Arten auch
Reptilien (z.B. Krokodile und Eidechsen) eine wichtige
Rolle. Nach dem schmerzhaften Stich wird der Mitteldarm der Glossine schnell mit Blut gefüllt. Dabei werden
gerinnungshemmende Enzyme mit dem Speichel in die
Wunde abgegeben. Da die voll gesogenen Fliegen ziemlich schwerfällig sind und dadurch leicht Beute für andere
Tiere werden können, folgt die Verdauung an einem geschützten schattigen Plätzchen. Überhaupt zieht es die
Fliegen während der heissen Tageszeit oft in den Schatten
von Bäumen, Baumstümpfen oder Astlöchern. Während
Die Tsetsefliege vor (oben) und nach einer Blutmahlzeit (unten); links die Puppe, aus der nach 20 bis 30 Tagen das fertige
Insekt schlüpft.
Die Verbreitung der Tsetsefliege umfasst weite Teile des tropischen Afrikas.
Moskitos abend- und nachtaktive Blutsauger sind, ­halten
sich Tsetsefliegen in der Nacht gerne auf Blättern der oberen Baumetagen verborgen; sie sind lieber tagsüber in
Bewegung. Weiterer Unterschied: Bei den Stechmücken
sind nur die Weibchen hinter dem Blut ihrer Opfer her,
bei Stechfliegen benötigen beide Geschlechter hin und
wieder eine Blutmahlzeit. Entsprechend sind Männchen
wie Weibchen in der Lage, Trypanosomen zu übertragen.
Viel Aufwand für den Nachwuchs
Als Besonderheit gilt die Tatsache, dass Tsetsefliegen lebendgebärend sind. Denn nach der Befruchtung des Eies
schlüpft die kleine Larve bereits im Mutterleib. Sie wird,
und das ist für Insekten sehr ungewöhnlich, dort über
«Milchdrüsen» mit protein- und fettreichen Nährstoffen versorgt. So werden mehrere Larvenstadien im immer
schwerer werdenden Abdomen der Mutter durchlaufen.
Wenige Stunden vor der Geburt zeigen die trächtigen
Weibchen dann eine ungewöhnlich starke Aktivität. Der
Grund: Sie suchen für ihren wertvollen Nachwuchs einen
schattigen und nicht zu trockenen Brutplatz. Nachdem
eine einzige grosse Larve dort geboren wurde, verkriecht
sich diese bald im Boden und erstarrt zu einer Puppe.
Nach durchschnittlich drei bis vier Wochen wühlt sich die
frisch geschlüpfte Stechfliege dann durch das Erdreich ins
Freie und steht bereit für neue Stechattacken. Mit dieser
sehr aufwendigen Brutpflege können Tsetsefliegenweibchen in ihrem Leben nur höchstens acht Larven erzeugen.
Das sind extrem wenig Nachkommen. Ihre sehr erfolgreiche Ausbreitung scheint dieser Strategie Recht zu geben.
9
Leo ­Jenni, Reto Brun, Thierry Freyvogel und Marcel Tanner (von links nach rechts) im Gespräch
«Das waren Meilensteine»
Das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) in Basel kann bei der Erforschung
der Schlafkrankheit auf eine lange Tradition zurückblicken. Während in den 50er Jahren die Grundlagen
zur Biologie von Trypanosoma brucei und dessen Überträger der Tsetsefliege erarbeitet wurden, standen
in den Feldarbeiten der 60er Jahre die Ökosysteme im Vordergrund. Mit den profunden Laborstudien
der 70er Jahre in Basel wurde, parallel zu den verbesserten technischen Verfahren, die Basis für spätere
Medikamentenentwicklungen gelegt, die dann in den 90er Jahren realisiert wurden. In einem RoundtableGespräch erinnern sich Reto Brun, Thierry Freyvogel, Leo Jenni und Marcel Tanner an diese aufregenden
Jahrzehnte und ihre Erlebnisse mit Rudolf Geigy.
Wie stehen die Schlafkrankheit und das
Basler Tropeninstitut in Verbindung?
Tanner: Die Schlafkrankheit und ihre Verursacher, die
Trypanosomen, waren für das Institut immer sehr
wichtig. Viele der Entwicklungen, die wir bis heute gemacht haben, wären nicht möglich gewesen, ohne die
Arbeit an den Trypanosomen. Mit ihnen sind wir auf
neue Ebenen der Parasitologie, Ökologie, Epidemiologie, Molekularbiologie, Medizin und Medikamentenentwicklung vorgedrungen. Rudolf Geigy und Thierry
Freyvogel waren in den 50er Jahren sehr oft in Afrika.
Viele Grundlagen unserer Arbeit stammen aus diesen
ganz frühen Zeiten.
Freyvogel: Rudolf Geigy ist es bald nach der Gründung
des Tropeninstituts als erstem gelungen, Tsetsefliegen
­unter Laborbedingungen zu züchten. Wir sind 1954
zusammen nach Ostafrika gegangen. Er hat mir auf
den Exkursionen gezeigt, wo Tsetsefliegen vorkommen,
wo ihre Larven leben, wie man sie aufspürt und wie sie
mit speziellen Netzen gefangen werden. Wir haben die
­Tsetsefliegen dann in Reagenzgläsern ins Labor transportiert und die Arten bestimmt.
10
Jenni: Um möglichst authentisches Material zu bekommen war es immer unsere Philosophie, die Parasiten
mitsamt den Überträgern aus dem Feld sehr schnell ins
Tropeninstitut nach Basel zu bringen. Erreger, die nämlich im Labor über Jahre gezüchtet werden, verhalten
sich biochemisch und molekularbiologisch ganz anders
als frisches Material.
Tanner: Im Jahr 1982 hatten wir mit Trypanosomen
infizierte, wertvolle weisse Mäuse in Tansania. Tony
­Degrémont, mein Vorgänger als Direktor am Tropeninstitut, ist dann mit vier lebenden Mäusen zum Flughafen in Tansania gefahren und von den dortigen Sicherheitsleuten sehr erstaunt angeschaut worden. Daraufhin
sagte er, dass diese Mäuse seine Haustiere seien, die er
immer auf seine Reisen mitnähme. Er wurde tatsächlich
durchgelassen. Der damals isolierte Trypanosomen-
Die grosse Bedeutung der
Tsetsefliege für das Tropen­
institut spiegelt sich im alten
Logo wider.
stamm ist übrigens weltweit nun der Schlüsselstamm
für Medikamentversuche.
Was wurde erforscht?
Tanner: Wir konnten neben vielem anderen die Infek­
tiosität beim Menschen aufklären, konnten Sexuali­
tät bei Trypanosomen nachweisen oder auch deren
variablen Oberflächenstrukturen zeigen. Das waren
Meilensteine bei der Erforschung der Schlafkrankheit. Auf diese Resultate konnten dann später
die Medikamententests aufgebaut werden.
Auch die Entwicklung von künstlichen Membranen, an
denen die Tsetsefliegen Blut sogen, war sehr wichtig für
spätere Forschungen. Folglich wollten wir auch Impfstoffe entwickeln. Allerdings mussten wir bald erkennen, dass die Trypanosoma-Stämme so unterschiedlich
waren, dass eine Immunisierung aussichtslos war.
Wie würden Sie die vergangenen
­Jahrzehnte in der Erforschung der
Schlafkrankheit charakterisieren?
Tanner: In den 50er Jahren war man sehr an den Reservoir-Tieren interessiert, also z.B. an Antilopen, in denen
die Erreger eine Art Reservoir bilden. Rudolf Geigy
war d­ amals ein Pionier bei der Identi­fikation dieser
Reser­voire.
In den 60er Jahren wurde mit ausgedehnter Feldarbeit
sehr viel Material gesammelt, um die Diversität der Erreger bzw. Überträger sowie die Ökosysteme kennen zu
lernen. In den 70er Jahren wurden Laborarbeiten und
technische Neuerungen immer wichtiger.
Fütterung von Tsetsefliegen mit dem sogenannten «Meerschweinchen-Sandwich».
Jenni: In den 70er haben wir Kultursysteme sowohl für
die Insekten als auch für die Erreger entwickelt. Damit
wurde die Grundlage für das spätere MedikamentenScreening gelegt. In den 80er Jahren, wurde zwar an vielen Dingen geforscht, das Drugscreening war aber noch
kein Thema.
Tanner: In den 80er Jahren wollte man weder im öffentlichen Sektor noch in der Industrie in die «neglected
diseases», also die vernachlässigten Krankheiten, investieren. Dieses Jahrzehnt war für die Schlafkrankheit ein
Desaster. Das hat sich in den 90er Jahren verändert.
Brun: Da konnten wir mit unseren Kultursystemen in
grossem Umfang Medikamente gegen die Schlafkrankheit testen. Darunter war auch die Arsenverbindung
Rudolf Geigy, ein leidenschaftlicher Erforscher der Schlafkrankheit, im Labor in Ifakara, Tansania
11
Freyvogel: Rudolf Geigy hat diese Entwicklung in seiner
Rede als Universitätsrektor schon 1962 vorausgeahnt –
nur damals hat das noch gar niemand verstanden, weil
er den Leuten weit voraus war.
Von links: Ernst Heusser (Architekt), Leo Jenni, Reto Brun und
Rudolf Geigy (1971 in Tororo, Uganda).
Melarsoprol, das heute einen sehr schlechten Ruf hat,
das aber seinerzeit das beste und einzige Medikament
gegen die Schlafkrankheit war.
Tanner: Aufgrund unserer Entdeckungen, konnten in den
90er Jahren eine Serie von Arbeiten zu Stoffwechsel­
fragen und besserer Dosierung durchgeführt werden.
Nach der Jahrtausendwende wurde das Medikamenten-­
Screening stark ausgebaut, was wiederum die Suche
nach neuen Molekülen stimuliert hat. Von Vorteil war
dabei, dass wir hier am Institut ganz unterschiedliche
Tropenkrankheiten im Visier haben, so dass bei der
­Medikamentensuche immer wieder unerwartete Querverbindungen entstanden sind.
Jenni: Auch die Überträger der Krankheit, die Tsetsefliegen, waren immer wieder Gegenstand der Forschung.
Beispielsweise stechen mit Trypanosomen infizierte
Glossinen wie wild. Wir konnten zeigen, dass eine solche Fliege innerhalb von wenigen Minuten sechs verschiedene Mäuse infizieren kann. Dann haben wir zusammen mit englischen Kollegen festgestellt, dass die
Sensillen solcher Fliegen voller Trypanosomen waren.
Das Stechverhalten der Tsetsefliegen wird also massiv
durch die Parasiten beeinflusst.
Tanner: Das Problem ist die herdförmige Verteilung der
Tsetsefliege. Dazu kommen die Heterogenität der Reservoir-Tiere und die Wanderungen von Tieren und
Menschen. Entlang dieser Migrationsströme kann man
nämlich eine hochinteressante Evolutionsbiologie verfolgen. Das ist heute, zu einem Zeitpunkt wo die ganze
Welt unterwegs ist, wieder topaktuell.
Brun: Um die Häufigkeit des Erregers im Überträger zu
bestimmen, haben wir über 13000 Tsetsefliegen seziert.
Der Befall mit Trypanosomen lag aber im Promillebereich. Allerdings hatten wir anfangs der 70er Jahre
noch keine so feinen Nachweismethoden wie heute.
Jenni: Das ist ein wichtiger Punkt. Mit den Fortschritten
in der Biochemie, Molekularbiologie, Molekulargenetik und Immunologie verbesserten sich die Nachweise.
Für die Zukunft dieser Kinder dürfen die Anstrengungen bei der Bekämpfung der Schlafkrankheit nicht nachlassen
12
Auf der Suche nach Warzenschweinen mussten auch ungewöhnliche Wege begangen werden.
Wie sind die Perspektiven bei der
­Bekämpfung der Schlafkrankheit?
Tanner: Das Thema «neglected diseases» ist auch heute
noch sehr aktuell. Wichtig ist die historische Betrachtung: Mit dem Zusammenbruch der kolonialen Strukturen hat sich die Schlafkrankheit wieder massiv ausgebreitet. Auch wenn die Neuinfektionen heute wieder
bis auf 10 000 Fälle pro Jahr heruntergedrückt werden
konnten, wäre es fatal zu meinen, das Problem sei unter
Kontrolle. Für Schlafkrankheit und andere durch Einzeller verursachte Infektionskrankheiten brauchen wir
neue Medikamente.
Brun: Ich bin der Meinung, dass die Schlafkrankheit in Zukunft eliminiert werden kann, so dass sie
praktisch keine Bedeutung mehr hat. Eliminieren
heisst aber nicht ausrotten. Das ist wegen der vielen
Reservoir-­Tiere gar nicht möglich. Notwendig wäre
aber eine bessere D
­ iagnostik, bessere Medikamente
und eine konsequente Bekämpfung der Tsetsefliegen.
Dabei sollten alle an einem Strang ziehen. Schon seit
den 90er Jahren pflegen wir deshalb eine intensive Zusammenarbeit mit nationalen afrikanischen Instituten
der betroffenen Länder.
Schon für Rudolf Geigy war diese Einbindung entscheidend...
Tanner: Als Rudolf Geigy nach Tansania gegangen ist,
hat er sich immer auch mit den Menschen beschäftigt,
nicht nur mit den Tsetsefliegen oder den Trypanosomen. Viele seiner Arbeiten zu den Initiationsriten der
Bevölkerung haben gar nichts mit Krankheiten zu tun.
Sein Spitzname war übrigens «Bwana Ngiri», was Warzenschwein bedeutet.
Wie kam er zu diesem Namen?
Freyvogel: Rudolf Geigy hat sich 1954 mit der Frage beschäftigt, ob Warzensäue Reservoir-Tiere für Borrelien
sind, die das afrikanische Rückfallfieber auslösen. Er ist
damals über sechs Wochen in den Busch gefahren und
hat mit afrikanischen Jägern Warzenschweine gesucht
und gejagt. Wir waren also unterwegs als unser afrikanischer Begleiter zu einem Termitenhügel lief und aufgeregt rief, drin im Termitenhügel habe es junge Warzenschweine. Nach zwei vergeblichen Versuchen unserer
Helfer die Tiere aufzuspüren, wollte niemand mehr in
das dunkle Loch kriechen. Also bin eben ich selbst Kopf
voraus, Taschenlampe mit ausgestrecktem Arm, in den
Bau gekrochen. Tatsächlich entdeckte ich diese Tiere.
Nachdem man mich dann wieder an den Beinen herausgezogen hatte, gruben wir den Hügel auf und holten drei junge Warzenschweine heraus. Aus dieser Zeit
stammte Geigys Name «Bwana Ngiri». Mich nannte
man «Ndege Huru», das ist die wörtliche Übersetzung
von Freyvogel. Marcel Tanner hiess «Bwana Kongoni», die Kuhantilope und Leo Jenni «Bwana Kesho».
Die Teilnehmer des Round Table
Alle Teilnehmer waren in der Trypanosomiasen Forschung engagiert und arbeiteten im Labor oder im
Feld, inspiriert und gefördert von Rudolf Geigy.
Prof. Dr. Thierry Freyvogel war von 1972–1987
­Direktor des Schweizerischen Tropeninstituts und
damit Nachfolger von Prof. Rudolf Geigy.
Prof. Dr. Marcel Tanner ist seit 1997 Direktor des
Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts
(Swiss TPH) in Basel.
Prof. Dr. Reto Brun leitet die Abteilung Parasitäre
Chemotherapie am Swiss TPH, dem er seit 1976 angehört.
Prof Dr. Leo Jenni ehemals Vizedirektor am Swiss
TPH war ab 1992–2002 Leiter des MGU (MenschGesellschaft-Umwelt) Koordinationsstelle an der
Uni­versität Basel
13
Das Klima im alten Ägypten war weitaus feuchter und damit lebensfreundlicher für die Tsetsefliege. Relief aus dem Grab des Nefer
und seines Vaters Ka-hay, Sakkara, 5. Dynastie, 2425 – 2400 v. Chr.
«Und es traf ihn die Schlafsucht»
Frühe Berichte aus Ägypten oder von arabischen Historikern aus Schwarzafrika zeigen, welchen dramatischen Einfluss die Schlafkrankheit auf Mensch und Tier schon in der Vergangenheit hatte.
Nagana im alten Ägypten
Die in ägyptischen Gräbern vorgefundenen Malereien
und Reliefs weisen darauf hin, dass die Flora und Fauna
des Niltals im Alten Reich eine ganz andere war als heute.
An der gesamten Küste Nordafrikas wuchs eine wesentlich üppigere Vegetation, ausgedehnte Sümpfe mit Krokodilen und Nilpferden waren keine Seltenheit. Man ist
sich sicher, dass dieses Klima den Tsetsefliegen und mit
ihnen Trypanosomen ermöglichte, bis nach Nordafrika
vorzudringen. Auch über den Haustierbestand geben die
Zeichnungen Auskunft: Zahme Rinder wurden zusammen mit Wildtieren wie Büffeln, Gazellen, Antilopen,
Wildschafen und Steinböcken abgebildet und offenbar
auch gehalten. Die Dominanz der seuchenunanfälligen
Wildtiere könnte mit der von der Tsetsefliege übertragenen Nagana-Seuche zu tun haben.
Tatsächlich veränderte sich ab dem mittleren Reich (2100 –
1800 v. Chr.) mit der zunehmenden Trockenheit und dem
dadurch zwangsläufigen Rückzug der Tsetsefliege auch der
Viehbestand. Nicht mehr die seuchenfesteren schwarzen
Büffel prägten die Malereien der Gräber, sondern die immer heller werdenden Kreuzungen mit den weissen Zeburindern. Trotzdem hatten die Ägypter offenbar auch noch
im 2. Jahrtausend v. Ch. mit der Rinderseuche zu kämpfen. Ein Text eines «Veterinär­papyrus» aus dieser Zeit
beschreibt nämlich die Symptome an Nagana leidenden
Viehs aussergewöhnlich genau: «es ist benommen», «es
brüllt nicht» (Apathie) «wenn das Fell an seinen Schläfen
struppig ist» (Struppiges Fell), «wenn seine Augen triefen»
(tränende Augen), «wenn sein Magen stöhnt» (Durchfall).
14
Auch die vielen Misserfolge bei der Zucht von Pferden, die
ab 1700 v. Ch. in Ägypten eingeführt worden waren, wird
mit der Trypanosomen-Infektion durch Tsetsefliegen in Zusammenhang gebracht. Dazu passen mehrere Beschreibungen aus dem Alten Testament (2. Mose 8 und 9), nach denen
«die Häuser der Ägypter» voller «Stechfliegen» seien.
«Kaum mehr bei Besinnung»
Auch die Araber machten ihre Erfahrungen mit der todbringenden Schlafkrankheit. Als der arabische Feldherr
Mûsa ibn Nassair Anfang des 8. Jahrhunderts von Nord­
afrika durch die Sahara nach Süden zog und in die gesuchte Messingstadt einrückte, war er fassungslos. «Sie sahen
Türhüter, Diener, Kammerherren und Hauptleute, die
dort allesamt tot auf seidenen Pfühlen lagen. ... an e­ inem
grossen Marktplatz standen die Läden offen, die Waren
hingen da, die Messinggeräte waren aufgereiht, und die
Speicher waren voll von Waren aller Art. Sie sahen auch
die Kaufleute, aber sie sassen tot in ihren Läden, ihre
Haut war eingeschrumpft.»
Auch aus dem Spätmittelalter existieren mehrere Berichte
über diese Heimsuchung. Aus dem Jahre 1373 berichtet
der arabische Historiker Ibn Chaldun, dass der Sultan von
Mali in der sagenhaften Stadt Timbuktu an der Schlafkrankheit gestorben sei: «Und es traf ihn die Schlafsucht;
das ist eine Krankheit, welche die Bewohner dieser Gegend sehr häufig befällt... Den Kranken überkommt dabei die Bewusstlosigkeit des Schlafes zu allen möglichen
­Tageszeiten, bis er überhaupt kaum mehr zur Besinnung
erwacht und man ihn nur für kurze Augenblicke wachrütteln kann. Das Leiden schwächt ihn und führt schliesslich
zum Tode.»
«Lethargische Sklaven»
Ohne die Tsetsefliege und die Nagana bei Huftieren wäre
die Kolonialgeschichte von Zentralafrika wohl anders verlaufen. Während sich die Spanier bei ihren Eroberungen
in Mittel- und Südamerika stets auf das Pferd verlassen
konnten, fiel es in Afrika südlich der Sahara komplett aus.
Goldgeblendete Expeditionen der Portugiesen im 16. und
17. Jahrhundert am unteren Sambesi scheiterten – nicht
zuletzt wegen des auf Trypanosomen zurückzuführenden
Verlustes der Pferde. Mit dem Aufkommen des Sklavenhandels wurden die Europäer aus anderer Richtung mit der
Schlafkrankheit konfrontiert. Viele Sklaven wurden nämlich krank, bevor sie weiterverkauft werden konnten und
bescherten den Händlern hohe «wirtschaftliche Verluste». Daher wollte man der unheimlichen «Schlafsucht»
näher auf den Grund gehen. Der englische Schiffsarzt
John Atkins beschreibt in einem 1734 erschienenen Buch,
wie er 1721 in Guinea unter den angebotenen Sklaven
eine «sleeping distemper» beobachtete. Dabei schildert
er, wie die Betroffenen nach dem Aussetzen des Appetits
ein tiefes Schlafbedürfnis verspürten. Auch das körperliche Empfinden ging zurück. «Wenn man die Kranken
schlägt, so bringen sie kaum die Energie auf, sich zu bewegen. Danach ist der Schmerz schnell vergessen und sie
fallen in ihre Lethargie zurück.» Manche waren zwar infiziert, wurden aber erst nach der mörderischen Überfahrt
nach Amerika krank. So wurden zwischen 1806 und 1869
etwa 150 Fälle von Schlafkrankheit von den Antillen gemeldet.
Den Übeltäter entdeckt
Anfang des 19. Jahrhunderts beschrieb der englische Militärarzt Thomas Winterbottom die Schlafsucht aus dem
westafrikanischen Staat Sierra Leone und gab ihr den
Die Schlafkrankheit forderte in der Vergangenheit zahllose
Opfer.
Der englische Militärarzt
David Bruce erforschte
1894/95 im südafrikanischen Zululand die
«Tsetse-Krankheit» der
Rinder.
Nach ihm wurde der Erreger Trypanosoma brucei
benannt.
­ amen «Sleeping Sickness». Vor allem die Kolonial­
N
mächte England, Frankreich, Deutschland und Belgien
waren an der Erforschung der Krankheit interessiert.
Der erste Bericht einer möglichen Verbindung zwischen
Krankheit und Tsetsefliege kam vom Schotten David
­Livingstone. In seinem Reisebericht von 1857 beschreibt
er die Tse­tsefliege des südafrikanischen Zambezi Flusses
als «giftiges Insekt für Ochsen, Pferde und Hunde».
Allerdings betrachtete der Wissenschaftler die Fliege als
«absolut harmlos für Menschen». Als mit David Bruce
wiederum ein englischer Militärarzt 1894 einen Blutausstrich an mit Nagana infizierten Rindern untersuchte, entdeckte er als erster die mit einer Geisel versehenen Trypanosomen, die ihm zu Ehren Trypanosoma brucei benannt
wurden. Allerdings war für Bruce die menschliche Schlafkrankheit zuerst dasselbe wie Nagana. In diesen Jahren
kam es zu einer dramatischen Ausbreitung der Seuche. So
wird geschätzt, dass ihr im Kongobecken eine halbe Million und in Uganda bis zu 300 000 Menschen zum Opfer
fielen. Es war wiederum David Bruce der 1903 schliesslich die Tsetsefliege (Glossina palpalis) als den Überträger
der ­Trypanosomiasis zweifelsfrei nachwies. In dieser Zeit
hatten auch der französische Parasitologe Emile Brumpt
und der Italiener Castellani auf eine Verbindung zwischen
Glossinen und Schlafkrankheit hingewiesen. Auf Bitten
einer britischen Firma beschäftigte sich 1906 dann der
Bakteriologe R
­ obert Koch mit der Übertragung des Erregers. Dabei stellte er fest, dass Tsetsefliegen auf Feuchtigkeit und Wälder angewiesen sind. Gleichzeitig wies er
Trypanosomen im Darm und im Speichel der Fliege nach
und postulierte eine zyklische Übertragung. Sie wurde
1909 von Friedrich Karl Kleine nachgewiesen.
Kurz vor dem ersten Weltkrieg zeigte der Arzt Reinhold
Taute in einem Selbstversuch, dass weder Trypanosomen
aus Rindern noch aus Tsetse, die an infizierten Rindern
gesaugt hatten, in der Lage waren, bei ihm eine Schlafkrankheit auszulösen. Damit war klar, dass Nagana und
menschliche Schlafkrankheit von verschiedenen Erregern verursacht werden. Schliesslich konnte im Jahr 1927
W. D. Dye nachweisen, dass die Erkrankung von infizierten Wanderarbeitern oder Jägern in die Dörfer eingeschleppt und weiterverbreitet wurden.
15
Die Forschungsstation Ifakara liegt in Zentraltansania. Viele grundlegende Erkenntnisse zur Schlafkrankheit wurden hier gewonnen.
Vom Fliegenkäscher zum Hightech-Labor
Die Arbeit des Swiss TPH war von Beginn an eng mit der Erforschung der Schlafkrankheit verbunden.
So ist es kein Wunder, dass in den vergangenen 60 Jahren in Basel wichtige Entdeckungen zur Haltung,
Biologie, Epidemiologie, Biochemie und Bekämpfung der Krankheitserreger und deren Überträger gemacht wurden.
Schon bald nach der Gründung des Schweizerischen
Tropeninstituts (STI) als unabhängiges Lehr- und Forschungsinstitut im Jahre 1943, begann man sich mit der
afrikanischen Schlafkrankheit zu beschäftigen.
Im Juni 1945 startete eine von langer Hand vorbereitete
und mit grossen Startschwierigkeiten verbundene Afrikaexpedition. Da auch ein Abstecher nach Belgisch-Kongo
vorgesehen war, musste der erste Direktor des Instituts,
Prof. Rudolf Geigy, noch während des Krieges in Brüssel
die dafür notwendigen Genehmigungen einholen. Der
erste Besuch der vierköpfigen Forschergruppe in Afrika
war der «Auftakt zu einem fruchtbaren Kontakt mit der
Tropenwelt und ihren wissenschaftlichen Wundern», so
Geigy. Einige dieser Wunder brachten die Wissenschaftler
zu Forschungszwecken im Oktober 1945 mit nach Basel.
Darunter befand sich eine Kiste mit 500 lebenden Tsetsefliegen aus den Galeriewäldern des Kongo – der Beginn
einer bis heute andauernden intensiven Beschäftigung
mit einer schrecklichen, aber gleichzeitig faszinierenden
Krankheit.
Erste biologische Untersuchungen
Bereits im Jahr 1947 hatte man in Basel – zumeist in Mäusen oder Ratten – eine stattliche Sammlung von unter-
schiedlichen Trypanosomen aufgebaut. Zudem wurden
schon bald erste Experimente zur rationelleren Zucht der
Tsetsefliegen unternommen, was im Folgejahr die ersten
Insektizidversuche ermöglichte. Auch auf anderem Gebiet leisteten die Basler Pionierarbeit: Stolz teilte man
1948 mit, dass ein selbst gedrehter Film über die Biologie und Aufzucht der Tsetsefliege von verschiedenen
ausländischen Instituten für Lehrzwecke erworben worden war. Während einer Reihe von Expeditionen nach
Ifakara, einer Stadt mit 20 000 Einwohnern im südöstlichen Tansania, wurden weitere Untersuchungen zum
Verhalten verschiedener Tsetsefliegenarten durchgeführt.
Dort richtete man von 1954 bis 1957 ein Feldlabor des
Schweizer Tropeninstituts ein («Swiss Tropical Institute
Field Laboratory»; heute «Ifakara Health Institute»).
Zwar erleichterte dies die Arbeit deutlich, trotzdem mussten sich die Wissenschaftler auf allerlei Unwägbarkeiten
einstellen. So schrieb der spätere Direktor des Tropeninstituts, Thierry Freyvogel, der in den 50er Jahren lange
Zeit in Ifakara forschte: «… ich betätige mich zeitweilig
als Wissenschaftler, als Automechaniker, als Chauffeur,
als Maurerpolier, als Elektriker, als Sanitärinstallateur, als
Veterinär, Jäger, Ethnologe, Zoodirektor, Fensterputzer
etc.» Trotzdem ging die Forschung stetig weiter: 1958
suchten Geigy und Mitarbeiter in Ifakara im Darm und
1945 Erste Afrika-Expedition Belgisch-Kongo 1950 1. Dissertation zur Schlafkrankheit am STI 1957 Ifakara-Feldlabor
16
der 50er Jahre intensivierten die Basler ihre Forschungsanstrengungen zur Schlafkrankheit. So konnte 1959 nachgewiesen werden, dass im Gebiet des Viktoriasees Buschböcke mit für den Menschen gefährlichen Trypanosomen
infiziert waren und diese Wildtiere somit ein wichtiges
Reservoir für die Parasiten bildeten.
Nährmedium für Trypanosomen
Auf der Jagd nach Tsetsefliegen Anfang der 50er Jahre
der Speichel­drüse von Tsetsefliegen nach einem «Stoff»,
der die Virulenz von Trypanosomen fördert. Diese Arbeiten waren der schweizerische Teil einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Yale-Universität in New Haven/
USA.
Im selben Jahr war zudem ein ganz spezielles Insekt zu
bewundern. Zur Weltausstellung in Brüssel wurde im
Pavillon des Kongo ein viel beachtetes Riesenmodell der
Tsetsefliege ausgestellt. Es zeigte das Äussere und Innere
des Fliegenkörpers und war zusammen mit der Brienzer
Schnitzerschule, der Westinghouse AG und dem Naturhistorischen Museum in Bern gebaut worden. Ab Ende
Wenn man es nun schaffen würde, ein für den Erreger
optimales Nährmedium zu entwickeln und dadurch die
Parasiten unabhängig von den Tsetsefliegen zu züchten,
würden sich völlig neue wissenschaftliche Perspektiven
eröffnen. Dafür wurden am Tropeninstitut die Lebensbedingungen der Protozoen im Darm und der Speicheldrüse
der Fliegen genau untersucht. Nachdem es unter Mit­arbeit
von Marianne Kauffmann gelungen war, die in der Speichel­
drüse der Fliege befindlichen zuckerähnlichen Substanzen
zu identifizieren, wurde 1962 ein Blutnährmedium hergestellt, in dem Trypanosoma rhodesiense seine Infektiosität
für Warmblüter behielt. In Fortsetzung dieser Studien
wurde dann ein Jahr später in Ifakara eine bemerkenswerte Beobachtung gemacht: Die Schlafkrankheitserreger
zeigten im Nährmedium eine ausgesprochene Vorliebe
für das Speicheldrüsengewebe von Glossinen. Die Parasiten konzentrierten sich nicht nur um das Gewebe, sondern teilten sich dort auch aktiv. Kurze Zeit später stellte
man ausserdem fest, dass bei Zugabe von geeignetem Blut
Baumreiche Savannen und Galeriewälder entlang von Fliessgewässern sind Lebensraum von Tsetsefliegen.
1959 Entdeckung neuer Reservoir-Tiere 1962 Erreger behält im neuen Blutnährmedium Virulenz 1968 Forschung in Uganda
17
zuvor nicht infektiöse Parasiten wieder infektiös wurden.
Eine neue Forschungsreise nach Tansania im Jahr 1966
stand ganz im Zeichen der potenziellen Reservoir-Tiere
für Trypanosomen. Rudolf Geigy und seine Mitarbeiter
durchstreiften über zwei Monate mit einem als Minilabor
umgebauten Landrover ein grosses Gebiet in Süd-Ulanga
in Tansania. Dabei konnten sie den Erreger in 12 von 35
erlegten Wildtieren nachweisen (darunter verschiedene
Antilopenarten und Warzenschweine). Die daraufhin erfolgten Infektionsexperimente an Pferden, Rindern und
Schafen eröffneten «höchst interessante epidemiologische Perspektiven».
Völlig neue Einblicke ermöglichte dann ein neu angeschafftes Elektronenmikroskop in Basel, mit dem von Rolf
Steiger erstmals alle Formen der Trypanosomen untersucht werden konnten.
Der «Coat»
Anfang der 70er Jahre begann eine neue Forschungsrichtung. Nachdem nämlich festgestellt worden war,
dass T
­ rypanosomen spezielle Eiweissstrukturen auf i­hrer
Oberfläche tragen (damals als «Coat» bezeichnet), wollte man am damaligen STI diesem Phänomen auf den
Grund gehen. Man injizierte Trypanosomen infizierte
Tsetsefliegen mit markierten Zucker- und Eiweissmolekülen und untersuchte anschliessend, inwieweit diese
Bausteine von den Parasiten für den Aufbau der «Coats»
verwendet wurden. Mitte der 70er Jahre wurde immer
deutlicher, dass es sich dabei um sehr viele unterschiedliche Oberflächen-Proteine handelte – eine fundamental
wichtige Erkenntnis, die erstmalig auf die hoch variablen
Oberflächen-Strukturen (VSG) hindeutete.
Aber nicht nur humanpathogene Erreger wurden diesbezüglich bearbeitet, auch Auslöser von Tierseuchen, wie
z.B. die gefürchtete Nagana-Seuche, nahm man unter
Eingang zum «Medical Assistant Training Centre», Ifakara. Ab
1961 durch Prof. Geigy und STI mit Geldern der «Basler Stiftung zur Förderung der Entwicklungsländer» aufgebaut. Heute
«Tanzanian Training Centre for International Health Ifakara»
die Lupe. So wurde festgestellt, dass die in den Tsetsefliegen lebenden T.-congolense-Formen ebenfalls keine einheitlichen Oberflächenproteine besitzen. «Sollte dieser
Befund erhärtet werden, stünde zu erwarten, dass eine
Immunisierung des Viehs gegen metazyklische Formen
unmöglich wäre», so die Vermutung, die sich viele Jah-
Rudolf Geigy im Gespräch mit dem ersten Präsident und «Vater der Nation», Julius K. Nyerere (1922-1999), in Ifakara, Tansania.
1970 Erste Hinweise auf Oberflächenproteine 1971 Einführung BIIT-Test 1975 Trypanosomen-Metamorphosen beobachtet
18
Parasiten steuern Überträger
Reihenuntersuchungen an der Elfenbeinküste
re später für Mensch und Tier leider bewahrheiten sollte.
Gleichzeitig wurde immer klarer, welche Wildtiere als potenzielles Reservoir für die Krankheitserreger zu betrachten sind. Aufgrund von Tests an menschlichen Freiwilligen in Ostafrika konnte die Kuhantilope als Reservoir von
T. rhodesiense erkannt werden, ein Jahr später auch Hyäne
und Löwe. Gerade der Fleckenhyäne wurde in einer weiteren Erhebung in der Serengeti im Jahr 1975 eine besondere Bedeutung als Reservoir-Tier zugeschrieben.
Ende der 70er Jahre erlaubte es die von einem Wiener
Arzt übernommene Technik der Membran-Fütterung,
Tsetsefliegen in kontrollierter Weise Blut saugen und somit eine bestimmte Anzahl von Trypanosomen aufnehmen zu lassen. Leo Jenni und Kollegen wiesen nach, dass
die Parasiten im Stechrüssel der Fliege in der Lage sind,
das Blutsaugeverhalten der Glossinen zu ihren Gunsten zu
beeinflussen. Da kurioserweise der Saugakt von der Fliege
gar nicht mehr wahrgenommen wird, ist sie dauernd auf
der Suche nach neuen Wirten. Die Folge: Eine ungemein
rasche Ausbreitung der Erreger. In dieser Zeit konnte der
heutige Direktor des Swiss TPH, Marcel Tanner, zudem
zeigen, dass für ein Wachstum der Blutstromform von T.
brucei im Kulturmedium lebende Rinderzellen notwendig sind.
Auch mehrere neue Kultivationssysteme zur Zucht verschiedener Krankheitserreger wurden entwickelt. Das so
genannte SDM-79 zur Kultivierung der Insektenformen
Neuer Test zur Typenunterscheidung
Mediziner und Wissenschaftler, die sich mit der Schlafkrankheit beschäftigten, hatten schon lange ein Problem:
Die beiden Krankheitserreger T. gambiense, verantwortlich für die westafrikanische und T. rhodesiense, Verursacher der ostafrikanischen Erkrankungsform, waren äusserlich nicht zu unterscheiden.
Mit der Einführung und Verfeinerung des so genannten
BIIT-Tests (Blood Incubation Infectivity Test) hatte man
ab Anfang der 70er Jahre die Möglichkeit, verschiedene
Formen biochemisch voneinander zu unterscheiden. Ein
Meilenstein, denn Versuche mit Freiwilligen waren damit
überflüssig.
Auch die Kulturbedingungen für Trypanosomen konnten weiter verbessert werden. Im Jahr 1975 gelang es in
Zusammenarbeit mit britischen Wissenschaftlern, im
­
Kulturmedium die Umwandlung der Trypanosomen aus
der Blutform in die Tsetsefliegenform zu beobachten.
Dieses gelungene Experiment eröffnete eine Reihe weiterer Perspektiven, so dass Versuche zum Stoffwechsel von
unterschiedlichen Trypanosomen-Typen angegangen
werden konnten. Die in den Folgejahren immer weiter
verfeinerten Nährmedien ermöglichten die Haltung und
Zucht vieler unterschiedlicher Trypanosomen-Arten in
verschiedenen Lebensstadien.
Kontrolle von Studienergebnissen, Tanzania
von T. brucei war Inhalt einer der am meisten zitierten
­Publikationen des Tropeninstituts. Mit der nordamerikanischen Wühlmaus, wurde ausserdem ein Labormodell
für Trypanosoma-gambiense-Isolate gefunden.
Erster Nachweis von Trypanosomen-Sex
Die Übertragung bestimmter Trypanosomen-Isolate
durch Tsetsefliegen ist eine wichtige Voraussetzung für
die weitere Analyse der Erreger. Daher erhielten die Basler
Forscher im Jahr 1983 aus Nairobi 6700 Glossinen-Puppen. Tatsächlich wurde festgestellt, dass die Über­tragung
bestimmter Trypanosomenarten nur von speziellen Tsetsefliegen-Unterarten möglich war. Zudem verdichteten
1979 – 1981 Entwicklung neuer Kulturmedien 1983 Spezifität von Trypanosomen 1985 Analyse des Trypanosomen-Chromatins
19
sich die Hinweise, dass männliche Fliegen zu deutlich höheren Infektionsraten in der Lage sind als weibliche.
Auf ein überraschendes Resultat stiess ein Student während seiner Diplomarbeit. Nachdem er bestimmte Enzyme von T. gambiense und T. brucei charakterisiert hatte,
liess er die Erreger einzeln und gemischt von Tsetsefliegen
auf ihre Wirte übertragen. Während die Enzyme der Einzelübertragungen stabil blieben, wiesen die Enzyme der
gemischten Übertragung neue Muster auf. Schlussfolgerung: Möglicherweise kam es zum Gen-Austausch zwischen den beiden Parasitenformen – ein erster Hinweis
auf Sexualität der Trypanosomen in der Fliege.
Diese Vermutung konnte 1985 von Bruno Betschart, Leo
­Jenni, Reto Brun und anderen in Zusammenarbeit mit den
Universitäten Edinburgh, Cambridge und Brüssel durch
Übertragungsversuche erstmals eindeutig nachgewiesen
werden. Tatsächlich tauschten die Parasiten während des
«Aufenthalts» in der Tsetsefliege Genmaterial aus.
Überhaupt nahmen in dieser Zeit biochemische Untersuchungen einen immer breiteren Raum in der Wissenschaft
ein. Ob es nun Arbeiten zu den Oberflächenproteinen, zu
bestimmten Enzymmustern oder zum Chromatin (Träger der genetischen Substanz) im Zellkern der Erreger
­waren – mit den neuen technischen Methoden war man
in der Lage, die Krankheitserreger immer weiter zu enträt-
Die Struktur der DNA von Trypanosoma b. brucei. Der Massstabsbalken links oben entspricht 0,2 µm (0,0002 mm).
seln und letztlich neue Angriffspunkte für Medikamente
zu finden. So wurden einzelsträngige mini DNA-Ringe,
wie auch aufgedehnte doppelsträngige DNA bei T. b.
brucei, entdeckt (Foto). Zwei neue am STI entwickelte
Testmethoden zur Medikamentenempfindlichkeit bei
Blutstromformen der Erreger machten ab 1990 neue Sub­
stanzprüfungen möglich.
Frauen beim Wasserholen. Hier droht besondere Gefahr von Tsetsefliegen gestochen zu werden (Uganda).
1985 Nachweis von Sexualität bei Trypanosomen 1988 Forschungen zu VSG-Proteinen 1991 Entwicklung von In-vitro-Assays
20
Labor in einem ländlichen Spital in Uganda
STI Screening Centre
Die Anfang der 90er Jahre zur Verfügung stehenden Trypanosomiasis-Medikamente erwiesen sich aus verschiedenen Gründen immer noch als unbefriedigend. Um die
Entwicklung neuer Substanzen zu verbessern, wurden
1991 halbautomatische, so genannte «in vitro Assays» in
Basel entwickelt. Diese Neuerung führte schliesslich zur
Etablierung eines «STI Screening Centre», dem Rückgrat der Medikamentenforschung am Tropeninstitut. Auf
der Basis von Fluoreszenz-Messungen war es nun möglich,
neu entwickelte chemische Verbindungen auf ihre Wirksamkeit gegenüber verschiedenen Trypanosomen-Formen
effektiv zu testen.
Aber auch natürlichen Abwehrmechanismen war man
in den 90ern auf der Spur. So existieren im menschlichen
Serum Faktoren, die dabei helfen, Trypanosomen im Blut
zu eliminieren. Bemerkenswerterweise zeigten sich die
verschiedenen Stadien der Parasiten auch unterschiedlich
angreifbar gegenüber diesen Faktoren.
Denn in vielen Regionen des «Tsetsegürtels» wurden
schon seit Jahrhunderten Naturheilpflanzen gegen die
Schlafkrankheit eingesetzt. Unter den Hunderten am STI
geprüften pflanzlichen Substanzen offenbarten sich die
Flavone als die aktivsten Wirkstoffe gegen die Protozoen.
Insgesamt war man Ende des Jahrtausends in Basel in
der Lage, jährlich 700 bis 1000 synthetische oder nichtsynthetische Verbindungen – zumeist gegen protozoische
Parasiten – zu testen. Darunter befanden sich so genannte
Quinolon-Derivate (synthetische Antibiotika), Alkaloide
aus tropischen Pflanzen (in Kooperation mit den Universitäten Barcelona und Würzburg) oder Substanzen zur
Durchdringung der so genannten Blut-Hirnschranke.
Auch gegen Trypanosoma evansi, Verursacher der gefürchteten Tierseuche Surra, die weltweit Pferde, Wasserbüffel
und Kamele dahinrafft, konnten verschiedene wirksame
Substanzen identifiziert werden.
Resistenzen – ein zunehmendes Problem
Ab Ende der 90er Jahre traten in manchen der am ­stärksten
von der Schlafkrankheit betroffenen Ländern Resistenzen
gegenüber den herkömmlichen Medikamenten (Melarso­
prol) auf. Während die Resistenzrate in den 30 Jahren zuvor bei 2 bis 3% gelegen hatte, schnellte sie in einigen Gegenden (z.B. in Uganda) plötzlich auf deutlich über 20%.
Ähnliche Beobachtungen wurden aus Nordwest-Angola
und dem südlichen Sudan berichtet. Daraufhin wurden
in Angola und Uganda umfangreiche Untersuchungen
durchgeführt und resistente T.-gambiense-Stämme isoliert.
Die Basler Forscher vermuteten, dass Veränderungen (z.B.
durch Mutationen) im Energiestoffwechsel für die Resistenz verantwortlich sein könnten. Für die betroffenen
Patienten blieb als einzige medikamentöse Alternative
Eflornithin, das allerdings nur gegen die westafrikanische
Afrikanische Heilpflanzen im Test
Durch politische Unruhen, dem daraus folgenden Zusammenbruch der staatlichen Gesundheitssysteme und
dem Rückzug von Entwicklungshilfeorganisationen sowie durch das Nachlassen der Medikamentenwirksamkeit
war Mitte der 90er Jahre eine dramatische Zunahme der
Schlafkrankheit in Ländern wie Angola, Uganda, Kongo
oder dem Sudan zu beobachten. Umso dringlicher wurde
die Entwicklung neuer effektiver Medikamente.
Neue Substanzen wurden jedoch nicht nur durch die Herstellung synthetischer Moleküle gesucht (z.B. Biosynthese- und Enzymhemmer, Purinanaloga, Acridin-Derivate),
sondern auch in der traditionellen afrikanischen Medizin.
Aufbruch zu Feldstudien in Mbongo Banza und Misay, Demokratische Republik Kongo.
Gründung des STI Screening Centre 1992 Studien zum Wirkstoff Melarsoprol 1997 verbessertes 10-tägiges Melarsoprol-Schema
21
Trypanosomenform T. gambiense wirksam war und zudem in dieser Zeit vielerorts nicht mehr zur Verfügung
stand.
Netzwerke gegen die Schlafkrankheit
Auch die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern wurde
fortgesetzt. So regte man im Jahr 1993 eine Kooperation mit der «Uganda Trypanosomiasis Research Organisation» (UTRO) an. Schwerpunkt der Aktivitäten war
die Unterstützung der Forschung, Training von jungen
Wissenschaftlern in Afrika und die Etablierung neuer
Techniken am UTRO. Um diverse Bekämpfungs-, Forschungs-, Ausbildungs- und Aufklärungsmassnahmen in
den betroffenen Ländern besser durchführen und koordinieren zu können, nahm unter Beteiligung des STI (u.a.
Marcel Kaiser) und der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) das «
­ Eastern Africa
Network for Trypanosomiasis» ­(EANETT) seine Arbeit
auf. Vorteilhaft waren dabei gute Kontakte des Tropeninstituts zu Trypanosomiasis-Forschungseinrichtungen in
Kenia (KETRI) und Uganda (LIRI) sowie Institutionen
in ­Tansania und dem Sudan (TTRI). Sie alle wurden Mitglieder von EANETT.
Im Laufe der folgenden Jahre (inzwischen waren auch
Malawi und Sambia als Mitglieder hinzugekommen)
standen primär Bemühungen um das Überleben der Patienten im Vordergrund. So wurden tausende Menschen
getestet, infizierte Patienten behandelt und die Gesundheitsversorgung verbessert. Zudem kümmerte man sich
in Uganda, Kenia und Tansania um die von der NaganaSeuche ­betroffenen Nutztiere.
Parasiten-Oberfläche im Fokus
Seit vor über 30 Jahren die ersten Hinweise auftauchten,
dass die Oberfläche der Trypanosomen von einem schützenden Eiweissmantel umgeben sein könnte, liess dieses
faszinierende Geheimnis die Basler Wissenschaftler nicht
mehr los. So zeichnete sich immer deutlicher ab, wie vielfältig diese Proteine waren: Während die Wissenschaftler
um Hermann Hecker Ende der 80er Jahre von etwa 20
unterschiedlichen Antigen-Typen ausgingen, entdeckte
man in den Folgejahren ein Vielfaches davon. Im Jahr
1997 konnten genetisch modifizierte Trypanosomen in
Tsetsefliegen übertragen werden. In Zusammenarbeit mit
der Universität Bern, der Universität Osaka in Japan, dem
Institut für Molekular- und Zellbiologie in Strassburg und
der Yale Universität in New Haven/USA wurde am STI
die Rolle spezieller Glykoproteine und die Verankerung
der Proteinhülle (als möglicher medikamentöser Angriffspunkt) untersucht.
Auch der Blick auf andere Blutsauger lohnte sich: Während Glossinen von Trypanosomen als «Transporter»
ohne weiteres benutzt werden können, ist das bei Stomoxys calcitrans, einer anderen blutsaugenden afrikanischen
Fliege, nicht möglich. Eventuell schützen antibiotisch
wirksame Substanzen, die man aus dem Fliegendarm isolieren konnte, vor den Parasiten. Allerdings wehrt sich
auch das Immunsystem der Tsetsefliegen, wie die Wissenschaftler um Reto Brun um 2007 herausfanden. So
wird die Parasiten-Population während ihrer Wanderung
durch den Fliegenkörper stark dezimiert, aber eben nicht
vollständig. Auch die in Bern genetisch veränderten und
in Basel gezüchteten Trypanosomen könnten vielleicht
helfen, neue Angriffspunkte zu finden.
Mit modernere Analysetechnik kann wesentlich effektiver nach neuen Substanzen gesucht werden.
1997 Naturstoff-Screening
22
1999 Klonierung Adenosin-Transporter
2000 EANETT – Testung aromatischer Diamidine
Infizierte Tsetsefliegen-Speicheldrüse, die Trypanosomen
fluoreszieren rot.
Auf der Suche nach besseren Therapien
Währendessen ging die Suche nach neuen Therapie-­
Optionen weiter. Das sich schon seit Jahrzehnten im Einsatz befindliche, wegen seiner Nebenwirkungen aber sehr
problematische Melarsoprol war lange Zeit das einzige
Medikament für die Behandlung von Patienten im fortgeschrittenem Stadium der Schlafkrankheit. Ein massgeblich von Christian Burri und seinem Team zwischen
1997 und 2004 entwickeltes neues Therapieschema für
Patienten mit T.-b.-gambiense-Infektion sah nicht mehr
die herkömmlich 25- bis 32-tägige, sondern nur noch eine
10-tägige Behandlung mit Melarsoprol vor. Dies reduzierte einerseits die Kosten und förderte andererseits die
Akzeptanz unter den Betroffenen. Infolgedessen erhielt
das neue Schema im Jahr 2004 die Empfehlung als Standardtherapie. Neue Studien in Uganda und Tansania zur
Behandlung der ostafrikanischen Schlafkrankheit wurden
2009 abgeschlossen. Sehr hoffnungsvoll ist die Entwicklung von NECT (Nifurtimox-Eflornithin-Wirkstoffkombination). In Zusammenarbeit mit der DNDi (Drugs for
Neglected Diseases Initiative) wurde festgestellt, dass die
Kombination aus Nifurtimox mit Eflornithin genauso
wirksam und sicher wie die Einzelkomponenten ist, aber
deutlich einfacher in der Handhabung. Derzeit wird unter
der Leitung des Swiss TPH im Kongo die Studie «NECTfield» durchgeführt, in die auch Kinder und schwangere
Patientinnen mit Schlafkrankheit einbezogen sind.
ab 2005 Zusammenarbeit DNDi
Zu einem Rückschlag führte hingegen die Entwicklung
eines oral einzunehmenden Medikaments, das gemeinsam
mit dem «Consortium for Parasitic Drug Development»
als hoffnungsvoller Kandidat zur Weiterentwicklung
ausgewählt und zwischen 2001 und 2008 in klinischen
Studien in Afrika getestet wurde. Wegen möglicher Schädigungen von Leber- und Nierenfunktionen mussten die
Studien abgebrochen werden. Allerdings stehen heute
aus der gleichen Wirkstoffgruppe (Diamidine) zwei neue
Moleküle als Kandidaten zur Auswahl.
In einem weiteren, gemeinsam mit der DNDi bearbeiteten Projekt wurden mehr als 600 Nitroimidazol-Verbindungen auf ihre Wirksamkeit gegenüber T. b. rhodesiense
getestet.
Als die hoffnungsvollste Substanz erwies sich Fexinidazol,
das gegenwärtig in klinischer Prüfung steht.
Derzeit werden am TPH genetische Analysen von Trypanosomen zur Erforschung der Medikamentenresistenz
durchgeführt. Dies könnte zu neuen Angriffspunkten für
die medikamentöse Therapie gegen die Schlafkrankheit
führen.
Fazit
In den vergangenen 65 Jahren waren mehrere Wissenschaftlergenerationen am STI (heute Swiss TPH) in Basel
sowohl den Erregern als auch den Überträgern der afrikanischen Schlafkrankheit auf der Spur. Die dabei eingesetzten technischen Mittel veränderten sich im Laufe der
Jahrzehnte radikal. Während zu Beginn lediglich einfache
Mikroskope und simple Tests zur Verfügung standen,
kann man heute auf modernste computergestützte Technik und ein hochentwickeltes molekular- und zellbiologisches Know-how zurückgreifen.
Viele der heute als selbstverständlich betrachteten Kultivierungsmethoden für die empfindlichen Parasitenstadien mussten erst in jahrelangen mühsamen Versuchen am
STI entwickelt werden. Die in dieser langen Zeit erhaltenen Resultate sind Steinchen eines faszinierenden, aber
noch lange nicht vollständigen Mosaiks. Alle die daran
mitarbeiteten, hatten – trotz sehr unterschiedlicher Voraussetzungen – ein gemeinsames Ziel: eine der grausamsten Infektionskrankheiten in ihre Schranken zu weisen.
ab 2008 Phase-III-Studie «NECT-field»
ab 2009 Genomanalysen zur Resistenz
23
Klinische Studien in Angola – Christian Burri im Gespräch mit Mitarbeitern
Nur Partnerschaft führt zum Erfolg
Gegen Ende der 90er Jahre drohte die Produktion von Medikamenten gegen die afrikanische Schlafkrankheit ganz eingestellt zu werden. Nachdem dies durch eine internationale Anstrengung abgewendet
wurde, arbeitet man heute wieder an mehreren Substanzen bzw. neuen Kombinationsstrategien. An diesen Projekten ist auch das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut mit klinischen Untersuchungen beteiligt. Ein Gespräch mit dem Pharmakologen PD Dr. Christian Burri vom Swiss TPH.
Herr Dr. Burri, die Schlafkrankheit gehört schon seit
Jahren zu Ihren Forschungsschwerpunkten. Woran
­arbeiten Sie gegenwärtig?
Unsere Aktivitäten richten sich derzeit vor allem auf die
Entwicklung neuer Medikamente. In Pariser Spitälern
läuft gerade in Zusammenarbeit von Sanofi-Aventis und
der Organisation «Drugs for Neglected Diseases initiative» die Phase-I-Prüfung von Fexinidazol. DNDi ist eine
unabhängige und gemeinnützige Initiative für Medikamente gegen die so genannten vernachlässigten Krankheiten. Fexinidazol ist im Grunde genommen eine sehr alte
Substanz, die eigentlich schon aussortiert wurde. Nach
der «Wiederentdeckung» und erfolgreichen präklinischen Entwicklungen in den Jahren 2007 und 2008 wird
das Medikament im Augenblick an gesunden Freiwilligen hinsichtlich Verträglichkeit und Pharmakokinetik
erprobt. Wir werden dann zusammen mit unserem Team
in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, an der weiteren Prüfung dieses Medikaments
dabei sein.
Das zweite Projekt sind die Substanzen aus der Klasse der
Oxaborole der Firma Scynexis. Da werden momentan
präklinische Studien vorbereitet. Wir wären froh, wenn
auch diese Substanz relativ bald in die Phase I-Prüfung
gehen könnte. Auch hier werden wir voraussichtlich an
den klinischen Untersuchungen in Afrika beteiligt sein.
Zudem führen wir mit «NECT-FIELD» für DNDi im
24
Kongo eine Phase-IIIb-Studie mit 630 SchlafkrankheitPatienten durch. Dabei soll die Wirksamkeit und Verträglichkeit der kürzlich entwickelten Kombination aus
Nifurtimox und Eflornithin unter realen Bedingungen
getestet werden.
Wie sehen Ihre Aufgaben konkret aus?
An einer solchen Medikamentenentwicklung sind immer
sehr viele Partner beteiligt, aber die DNDi hat die Fäden
in der Hand. Wir arbeiten nach dem Motto: Jeder macht
das, was er am besten kann, nur dann haben wir Erfolg.
Die einen sind verantwortlich für die Chemie der Substanz, die anderen für die Formulierung und die nächsten
für die Produktion.
Unser Part ist es, die klinischen Studien zu organisieren
und durchzuführen. Wir unterstützen den Sponsor bei
der Auswahl der klinischen Zentren, sorgen dafür, dass
alle notwendigen Materialien vor Ort sind und die Leute
richtig ausgebildet werden. Zudem organisieren wir in Zusammenarbeit mit den lokalen Partnern die Rekrutierung
der Patienten und sind nicht zuletzt dafür verantwortlich,
dass die Studie gemäss den geltenden Richtlinien geführt
und die Daten korrekt erhoben und ausgewertet werden.
Die Durchführung von Schlafkrankheitsstudien ist sehr
speziell, da diese Krankheit ausschliesslich in ländlichen
und zum Teil sehr abgelegenen Gebieten und auch da nur
sehr punktuell vorkommt. Dies ist ganz anders als z.B. bei
der Malaria, wo ganze Landstriche infiziert sind. Das hat
zur Folge, dass wir sehr viele Leute screenen müssen, um
genügend Teilnehmer für eine solche Studie zu finden.
Aber wenn man diese Patienten zusammenzählt,
­kommen auch einige tausend zusammen …
Die WHO hat in den 90er Jahren geschätzt dass ungefähr 100 000 Menschen pro Jahr an der Schlafkrankheit
gestorben sind. Durch sehr viele konzertierte Aktionen
konnte man diese Zahl glücklicherweise wieder zurückzudrängen.
Was waren das für Massnahmen?
Als wir 1996 in Angola mit den ersten Trials anfingen,
herrschte Bürgerkrieg. Da war anfangs überhaupt kein
Verständnis für die Entwicklung eines neuen Medikaments da, obwohl die Schlafkrankheit damals eine sehr
akute Bedrohung darstellte. Zudem hat es 1997 kurzzeitig
danach ausgesehen, dass von der Industrie die Produktion
von Anti-Trypanosomen-Substanzen sogar ganz eingestellt werden könnte. Im Jahr 1998 gab es dann in Lomé,
der Hauptstadt von Togo, eine Konferenz aller Staatspräsidenten der betroffenen Länder.
Damals wurde deutlich, welch grosses Entwicklungsproblem die Schlafkrankheit in diesen Staaten darstellte. Daraufhin wurde dem Thema oberste Priorität und wesentlich mehr Unterstützung zugebilligt. Gleichzeitig hat sich
die WHO stark engagiert und eine Interessengruppe gegründet, welche zusammen mit der «Access to Essential
Medicines» Kampagne von MSF Druck auf die Indus­
trie ausübte, um die Produktion aufrecht zu erhalten und
die Entwicklung neuer Medikamente anzustossen. Vom
Schweizerischen Tropeninstitut waren Prof. Brun und ich
in der Gruppe mit dabei.
Und wie kam es schliesslich zum Durchbruch?
Anfangs war es sehr mühsam. Ein entscheidender Faktor
war meiner Ansicht nach das Engagement eines sich im
Ruhestand befindlichen Topmanagers aus der Industrie.
Der sprach mit den Firmen und wurde nicht als Aktivist, sondern als gleichwertiger Partner wahrgenommen.
Er wusste wie die Entscheidungsprozesse funktionieren,
die zur Entwicklung eines neuen Medikaments führen.
Gleichzeitig wurde zufällig damit begonnen das zuvor
eingestellte Eflornithin wieder zu produzieren. Allerdings
nicht gegen die Schlafkrankheit, sondern gegen Hirsutismus, also gegen die übermässige Körperbehaarung bei
Frauen. In dieser Zeit kam es ausserdem zu acht neuen
Fällen ostafrikanischer Schlafkrankheit bei amerikanischen Touristen. Diese Leute wurden sehr schnell sehr
krank. Alle diese Ereignisse fielen zusammen und haben
dazu beigetragen, dass die Produktion der Anti-Schlafkrankheit-Medikamente wieder aufgenommen wurde.
Wir hatten zwischen 1996 und 2000 aufgezeigt, dass es
möglich ist, grössere Studien auf dem Gebiet der Schlafkrankheit gemäss den internationalen Regularien überhaupt durchzuführen. Bald darauf wurde in Angola der
Krieg beendet und auch in der Demokratischen Republik
Entscheidend für Erfolge im Kampf gegen die Schlafkrankheit ist internationale Kooperation und Erfahrungsaustausch
25
Gespräch zur Vorbereitung eines Eingriffes, Kikongo, Demokratische Republik Kongo
Kongo ­stabilisierte sich die politische Situation. Das gab
dem ganzen Projekt ebenfalls Auftrieb.
Was ist von den neuen Medikamenten zu erwarten?
Die Ergebnisse zum Wirkstoff Oxaborole sehen im Moment sehr gut aus. Da hoffen wir auf einen Durchbruch.
Allerdings erfordert dies noch ein gewaltiges Stück Arbeit. So müssen die Toxikologie und mögliche Substanz­
anreicherungen im Körper geprüft werden, und auch hinsichtlich der Formulierung gibt es viel abzuklären.
Da kann es noch Überraschungen geben. Fexinidazol ist
eine Nitroimidazol-Verbindung mit eher schwierigem
Substanzprofil. Da kann man zwar ein Medikament draus
machen, was aber nicht einfach sein wird. Wichtig für all
diese Medikamente ist die orale Verfügbarkeit. Zurzeit
werden alle Patienten in relativ wenigen spezialisierten
Stationen in den betroffenen Ländern behandelt. Das
heisst, dass die Patienten sehr grosse Wege und Kosten auf
sich nehmen müssen, um sich versorgen zu lassen.
Die Schlafkrankheit führt zu starken Psychosen verschiedenster Prägung, zum Beispiel können die Menschen
hochaggressiv und somit zu einer grossen Belastung der
Lebensgemeinschaft werden. Damit die Behandlung auch
in kleineren Zentren des örtlichen Gesundheitssystems
durchgeführt werden kann, ist eine einfachere Behandlung in Zukunft sehr wichtig,
Auch epidemiologisch gibt es noch enormen Forschungsbedarf. Da die Schlafkrankheit extrem lokal vorkommt,
weiss man bis heute nicht genau, in welchem Umfang sie
effektiv verbreitet ist. Es ist sehr, sehr schwierig hier verlässliche Aussagen zu machen. Die wahrscheinlich wichtigsten Foki, sind in Gegenden, die man derzeit gar nicht
erreicht. Das sind der westliche Südsudan, Nordostkongo, gewisse Gebiete im Süden des Tschad, der Norden
und Osten der Zentralafrikanischen Republik und möglicherweise auch Südwestnigeria. Entscheidend für die
Bekämpfung der Schlafkrankheit ist die Zugänglichkeit
der betroffenen Gegenden. Angola ist ein klassisches Beispiel. Als man während des Krieges vor einigen Jahren die
Dörfer nicht erreichte, waren es noch 10 000 bis 20 000
Erkrankte. Heute haben wir im ganzen Land nur noch ungefähr 200 Fälle. In manchen Ländern wie im Sudan oder
in Angola waren und sind Landminen nach Konflikten
ein grosses Problem.
Wird am Basler Tropeninstitut die Erforschung der
Schlafkrankheit weiterhin ein zentrales Anliegen sein?
Mit Sicherheit. Das wirklich Aussergewöhnliche an unserem Institut ist die Breite, in der man hier arbeitet. Das
geht von der Epidemiologie, Parasitologie, Zellbiologie,
Molekularbiologie, Pharmakologie bis in die Bioinformatik und natürlich auch in die GesundheitssystemForschung. Der grosse Vorteil ist die hohe Kompetenz an
einem Standort. Der Parasitologe bekommt sofort vom
Epidemiologen profunde Auskunft über die aktuelle Verbreitung der Trypanosomen oder Tsetsefliegen in einer
ganz bestimmen Region in Afrika. Der Molekularbiologe
zeigt dem Pharmakologen mögliche Schwachstellen und
damit Angriffspunkte auf der Oberfläche des Erregers.
Wir haben auch das Know-how Trypanosomen zu halten,
wozu nur ganz wenige Labors in der Lage sind. Da müssen
Temperatur, Belüftung, CO2-Gehalt und Nährmedium
perfekt stimmen. Mein persönliches Interesse für Trypanosomen ist immer noch riesig. Es ist eben eine aussergewöhnliche Krankheit mit einem verrückten Erreger und
einem verrückten Überträger.
Wo besteht in Zukunft noch Forschungsbedarf ?
PD Dr. Christian Burri
Ganz sicher auf Seiten der Diagnostik. Heute müssen wir
diagnostisch zwischen dem ersten und zweiten Stadium
der Krankheit unterscheiden. Das erfahren wir über eine
sehr problematische Lumbalpunktion am Lendenwirbel.
Die Therapie richtet sich dann nach dem jeweiligen Stadium. Da wäre ein Schnelltest dringend notwendig. Noch
besser wäre es, ein Medikament zu finden, welches gleich
für beide Stadien der Schlafkrankheit eingesetzt werden
kann. Dann wären wir eine grosse Sorge los.
ist Leiter des Department of Medicines Research am
Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut.
Der Pharmakologe ist seit langem an der Erforschung
der afrikanischen Schlafkrankheit beteiligt und war
unter anderem Studiendirektor für klinische Untersuchungen der afrikanischen Trypanosomiasis der
University of North Carolina (unterstützt von der
Bill & Melinda Gates Foundation).
26
Typische Symptome der Schlafkrankeit sind Fieber, Lymphknotenschwellungen, Müdigkeit, Gewichtsverlust und Apathie,
­Demokratische Republik Kongo
Keine Chance ohne Behandlung
Kaum eine Infektionskrankheit führt unbehandelt so sicher zum Tod, wie die Schlafkrankheit. Umso notwendiger ist die rechtzeitige Behandlung mit Medikamenten. Allerdings sind deren Nebenwirkungen gefürchtet.
Bereits wenige Tage nach dem Stich kann bei einem Teil
der Infizierten um die Einstichstelle eine bis zu Handteller grosse, entzündliche Schwellung auftreten. In diesem
so genannten Trypanosomenschanker vermehren sich die
Erreger, um sich dann über das Lymph- und Blutsystem
im gesamten Körper auszubreiten. In dieser als Stadium
1 bezeichneten Phase leiden die Patienten unter teilweise
wellenartigem hohem Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Juckreiz, Schwellungen im Gesicht sowie Müdigkeit.
Typisch sind auch starke Schwellungen der Lymphknoten, wobei diese speziell bei der westafrikanischen Trypanosomiasis im Bereich des hinteren Halses oft gut tastbar
sind («Winterbottom-Zeichen»). Allerdings treten die
Symptome gerade bei T.-b.-gambiense-Infektionen in dieser ersten Phase bisweilen nur leicht oder überhaupt nicht
auf. Bei der ostafrikanischen Form der Schlafkrankheit
(T. b. rhodesiense) machen sich die Beschwerden hingegen
schneller und deutlich stärker bemerkbar, zumal sie dort
häufig mit schweren Entzündungen der Gefässe und des
Herzens verbunden sind. Nicht selten sterben solche Patienten an Herzversagen, noch bevor Nerven und Gehirn
in Mitleidenschaft gezogen werden.
Im zweiten Stadium der Erkrankung wird dann das Nervensystem angegriffen. Während der Erregerübertritt ins
zentrale Nervengewebe bei Rhodesiense-Infektionen schon
nach wenigen Wochen erreicht sein kann, dauert dies bei
der westafrikanischen Form Monate oder sogar Jahre.
Typisch sind Schlafstörungen, Verwirrtheitszustände,
Persönlichkeitsveränderungen und schnelle Ermüdung.
Dazu kommen Koordinationsprobleme, Krampfanfälle,
Apathie und Gewichtsverlust. Im Endstadium fallen die
Patienten in völlige Apathie und einen kontinuierlichen
Dämmerzustand. Ohne eine rechtzeitige Behandlung
führen beide Formen der Schlafkrankheit immer zum
Tod.
Diagnose nicht immer einfach
Während bei der westafrikanischen Form die Erkrankung
häufig erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt wird,
geschieht das bei der ostafrikanischen Form wegen der
stärkeren Symptome in der Regel früher. Als bester Erregernachweis gilt nach wie vor die mikroskopische Blutuntersuchung («dicker Tropfen»). Da der direkte Nachweis
vor allem bei T. b. gambiense fehlschlagen kann, wird über
verschiedene Anreicherungstechniken (z.B. Zentrifugation) die Wahrscheinlichkeit eines positiven Befunds erhöht. Auch Proben aus Lymphknoten können hinzugezogen werden. Ist ein solcher Nachweis erbracht, wird über
eine Lumbalpunktion im Bereich der Lendenwirbel das
Krankheitstadium bestimmt. Zudem können immundiagnostische Verfahren eingesetzt werden.
Medikamente mit Nebenwirkungen
Für die Behandlung der Schlafkrankheit stehen derzeit
nur sehr wenige und teilweise recht problematische Medikamente zur Verfügung. Im ersten Krankheitsstadium
wird in der Regel bei einer Infektion mit T. b. rhodesiense
mit Suramin ein Medikament eingesetzt, das schon seit
den 1920er-Jahren gegen Trypanosomen verwendet wird.
Als Nebenwirkungen sind u.a. Fieber, Übelkeit, Juckreiz,
Durchfall, Entzündungen der Mundschleimhaut und
vor allem Nierentoxizität bekannt. Bei Infektionen mit
27
1850
1860
1870
1880
1890
1900
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
Fowler`s Lösung KH2AsO3
2020
As203
Natriumarsenit NaAsO2
Atoxyl
Salvarsan
Tryparsamid
Arsenhaltige Medikamente
Mel-Ox.
Mel-Ox. = Melarsenoxid
Melarsoprol
Aniline
Nag. R.
Tryp. R.
Aniline (Farbstoffe)
Nag. R. = Nagana Red . Tryp. R. = Trypan Red
Tryp. B. = Trypan Blue . Afr. V. = Afridol Violet
Tryp. B.
Afr. V.
Suramin
Synthalin
St.bam.
Diamidine
St. Bam = Stilbamidin
«Stickstoff-Verbindungen» Fexinid = Fexinidazol
Andere Verbindungen
Pentamidin
DB75
DB289
CPD-0802
Nifurtimox
NECT
Fexinid.
Eflomithin
NECT
SCYX-6759
Aus den unterschiedlichsten Stoffgruppen wurden über viele Jahre Medikamente gegen die Schlafkrankheit entwickelt.
T. b. gambiense kommt hingegen im ersten Stadium der
Erkrankung Pentamidin zum Einsatz. Auch hier ist mit
einer grossen Palette von Nebenwirkungen zu rechnen.
Haben im zweiten Stadium die Parasiten das Nerven- und
Hirngewebe erreicht, blieb lange oftmals nur noch Melarsoprol, das an zehn aufeinander folgenden Tagen injiziert
wird. Dabei können Übelkeit, Durchfall, Hautentzündungen, Lyell-Syndrom (blasige Hautablösungen), aber
auch Leber-, Nieren- und Herzstörungen auftreten. In
zwei bis zehn Prozent der Fälle treten oft tödlich verlaufende Gehirnerkrankungen auf. Auch die immer mehr zu
beobachtenden Rückfälle machen in manchen Gegenden
Sorgen.
Zur Behandlung von T. b. gambiense im Spätstadium
(aber nicht von T. b. rhodesiense) kommt Eflornithin in
Blaue und schwarze Farben wirken auf Tsetsefliegen anziehend und werden als Lockfallen eingesetzt, Demokratische
Republik Kongo
28
Frage, dass seit einigen Jahren vielerorts als Therapie der
ersten Wahl gilt. Als Nebenwirkungen wurden Blut- und
Leukozytenarmut sowie Durchfall beobachtet. Die Kombination mit Nifurtimox («NECT», siehe Seite 23 und
24) weckt derzeit grosse Hoffnungen. Auch der von der
DNDi entwickelte Wirkstoff Fexinidazol zeigt bislang
viel versprechende Resultate. Tatsächlich sind solche neuen Medikamente dringend erforderlich: Gegenwärtig versterben immer noch etwa 1,5% der Erkrankten aufgrund
von Nebenwirkungen oder unzureichender Wirkung der
Behandlung.
Gift und sterile Männchen
Eines der wichtigsten Ziele bleibt die Bekämpfung des
Krankheitsüberträgers, der Tsetsefliege. Synthetische Pyrethroide ersetzen heute bei der chemischen Tsetsefliegenbekämpfung das früher verwendete DDT. Sie werden
meist mit Flugzeugen versprüht. Deutlich billiger, aber
ebenfalls effektiv sind insektizidbehandelte blaue oder
schwarze Stoffe, die den Fliegen als beliebtes Anflugsziel
dienen. Durch spezielle Düfte kann die Anziehung der
Fallen noch gesteigert werden.
Seit einigen Jahren kommen auch biologische Methoden
zum Einsatz. Da sich Tsetsefliegen-Weibchen normalerweise nur einmal in ihrem Leben paaren, bedeutet ein
durch radioaktive Strahlung unfruchtbares Männchen
eine reproduktive Sackgasse. Dadurch verringert sich der
Bestand. So konnten schon kleinere Inseln von Tsetsefliegen befreit werden.
Schlaglichter aktueller Forschung
Im Rahmen eines Symposiums über die afrikanische Schlafkrankheit trafen sich Ende 2010 führende
Fachleute zum Erfahrungsaustausch am Swiss TPH in Basel. Dabei wurden neue und alte Strategien zur
Entwicklung und Anwendung von Medikamenten diskutiert.
Die Bekämpfung der Schlafkrankheit hat in den letzten
10 Jahren beachtliche Fortschritte gemacht. Wichtige
Faktoren für den Rückgang an Neuerkrankungen waren
neben günstigeren politischen Bedingungen (z. B. dem
Ende von Bürgerkriegen) auch die Entwicklung und der
Einsatz effektiver Medikamente und neuer Diagnosetechniken. Noch immer bleiben jedoch grosse Lücken bei der
flächendeckenden Kontrolle der Erkrankung, die tatsächliche Zahl der Patienten dürfte vier mal über derjenigen
der diagnostizierten Fälle liegen.
Ziel: Einfache Diagnose
Wo liegen die Schwachstellen bei der Diagnose der Schlafkrankheit? Für Dr. François Chappuis aus Genf sollten die
unterschiedlichen Diagnoseschritte vor Ort mit einfachen
Mitteln durchgeführt werden können. Dazu gehören z.B.
serologische CATT-Untersuchungen, die weniger temperaturempfindlich sind oder neuartige Antikörper-Tests
(LFT) auf Peptid-Basis. Die Chancen, die Schlafkrankheit weiter zurückzudrängen stehen insgesamt so gut wie
nie, erklärte der Genfer Tropenmediziner und Kardiologe.
Sie dürfen nicht wieder leichtfertig verspielt werden.
Neue Angriffsziele
Wo sollten neue Medikamente ansetzen? Trypanosomen
können nur funktionieren, wenn eine ganze Reihe biochemischer Prozesse in der Zelle korrekt ablaufen. Einige
dieser Vorgänge bzw. Strukturen könnten mögliche Ziele
einer therapeutischen Intervention gegen die Schlafkrankheit werden. Typisch für Trypanosomen sind membranumschlossene Zellorganellen, die Glykosomen. Die darin
enthaltenen Enzyme spalten unter Energiegewinnung
Zucker. Nun hat man festgestellt, dass eine fehlerhafte
Enzymfunktion zur Erhöhung der Glukosekonzentration
und zum Absterben der in diese Richtung extrem empfindlich reagierenden Trypanosomen führt. «Das ist faszinierend: Krankheitserreger werden mit harmlosem Zucker getötet», erklärte Prof. Pascal Mäser vom Swiss TPH
bei seinem Vortrag. Auch die nur bei Trypanosomen vorkommende RNA-Ligase steht im Fokus der Forschung.
Würde es gelingen, ihre Funktion zu stören, könnten bestimmte Proteine der Energie-liefernden Mitochondrien
nicht mehr hergestellt werden. Das Ende des Parasiten
wäre eingeläutet. Ein weiterer Ansatzpunkt: Die Erreger
können bestimmte Bausteine, die so genannten Purine,
selbst nicht herstellen. Um nun die lebensnotwendigen
«Zutaten» von aussen in die Zelle zu schleusen, müssen
spezielle Purintransporter eingesetzt werden. Die Hoffnung der Wissenschaftler ist es nun mittels dieses Transporters neben den erwünschten Bausteinen auch toxische
Substanzen – als eine Art «trojanisches Pferd» – mit in
die Zelle zu schmuggeln.
Medikamente aus Naturstoffen
Auch in der hohen Biodiversität Afrikas liegt ein grosses
Potenzial, um neue Medikamente zu entwickeln, erklärte
Prof. Dr. Kelly Chibale aus Südafrika. So wurden in zwei
Reihenuntersuchungen 2000 ausgewählte Verbindungen
identifiziert, die alle in Naturstoffen vorkommen. Aus
den erfolgversprechendsten «Hits» sollen synthetische
Analoga hergestellt werden. Sie werden in verschiedenen
Arbeitsbereichen, den so genannten «Plattformen», weiteren Prüfungen unterzogen. Dazu gehört die Identifikation der im Körper hergestellten Metaboliten (Zwischenprodukte des Stoffwechsels), «in Silico»-Berechnungen
29
(computergestützte Simulation von biochemischen
Prozessen) oder die biochemisch Aufklärung von DNAProtein-Interaktionen. So kann jede der unterschiedlich
spezialisierten Arbeitsgruppen ihren Teil zur Aufklärung
bestimmter Verbindungen beitragen.
Effektives Hochdurchsatz-Screening
Wie pickt man aus einem schier unendlichen Pool von
Molekülen die optimale Substanz heraus, die dann zum
erfolgreichen Wirkstoff wird? Der Weg von den sehr
zeitraubenden Tests mit Reagenzglas-Kultivierungen der
Trypanosomen in der Vergangenheit bis zu modernen systematischen Testverfahren (Screenings) war lange. Nachdem die Haltung der Parasiten in den Anfangsjahren der
Erforschung der Schlafkrankheit nur in lebenden Tieren
möglich war, wurde bereits 1904 ein Blut-Agar-System
zur Kultivierung etabliert. Auch die 1948 unter Zusatz
von Glycerol eher durch Zufall entdeckte Methode zur
Kältekonservierung (Kryopräservation) war ein weiterer
wichtiger Schritt. Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre wurden am STI die «feeder layer»-Systeme eingeführt,
die embryonale Säugetierzellen (Fibroblasten) enthielten
und das Wachstum der Blutstromformen der Parasiten
förderten. Im Jahr 1987 kamen dann die ersten ScreeningExperimente mit Melarsoprol-Verbindungen hinzu. Indem
man die Trypanosomen mit Fluoreszenzfarbstoffen markierte, konnten die Überlebensraten der Erreger bestimmt
werden. Heute ist eine ganze Reihe weiterer moderner
Methoden etabliert. Trotzdem, so Prof. Dr. Reto Brun
vom Swiss TPH, seien in Zukunft noch effektivere Hochdurchsatz-Screenings, noch kürzere Durchläufe, gerichtete Gen-Expressionen und der gleichzeitige Test mehrere
unterschiedlicher Substanzen wünschenswert.
Neue Angriffspunkte für eine alte
­Krankheit?
Im Vergleich zu Bakterien ist es bei protozoischen Krankheitserregern (Einzellern) ungleich schwerer spezifische
Angriffspunkte zu finden. Grund: Die Protozoen sind ihren menschlichen Wirten biochemisch und auch genetisch
in vielen Bereichen sehr ähnlich. Daher wäre ein Angriff
auf Parasitenzellen möglicherweise auch ein Angriff auf
menschliche Zellen. Allerdings könnten solche Ähnlichkeiten auch von Nutzen sein, so Prof. Dr. Thomas Seebeck
aus Bern. Bei bereits entdeckten Enzymen und biochemischen Strukturen sei es nämlich einfacher, Forschungs­
beteiligungen zu finden als für gänzlich Unbekanntes. So
kennt man innerhalb der Phosphodisterasen eine Klasse
spezifischer Enzyme (PDE Klasse 1), die sowohl beim
Menschen als auch bei Trypanosomen eine wichtige Rolle
bei der Spaltung bestimmter Verbindungen spielt. Durch
intensive Forschung wurde der genetische Hintergrund
von mehreren PDE-Subtypen innerhalb dieser Klasse bei
30
Bei der Behandlung mit Melarsoprol, Uganda 2001
T. brucei untersucht. Nun existiert in den Zellen ein natürlicher Mechanismus (RNA-Interferenz), der in der Lage
ist, bestimmte Gene zielgerichtet abzuschalten. Wird dieser Mechanismus gegen die beschriebenen Enzyme der
Trypanosomen gerichtet, kommt es zum schnellen Tod
von Blutstromformen im Reagenzglas. Aber auch «in
vivo», nämlich an Mäusen, die mit T. brucei infiziert sind,
ist bereits wenige Stunden nach der Ausschaltung dieser
Enzyme mittels eines Toxins eine extreme Reduktion der
Parasiten im Blut zu beobachten. Derzeit wird geprüft, ob
eine neue Generation von solchen PDE-Hemmern gegen
die Schlafkrankheit entwickelt werden kann.
Fortschritte durch Kombinationstherapie
Melarsoprol war über 60 Jahre das am häufigsten verabreichte Medikament. Es ist verantwortlich für schwerwiegende Nebenwirkungen. Mit Eflornithin und Nifurtimox
standen dann zwei Subtanzen zur Verfügung, die bei begrenzter Wirksamkeit, ebenfalls mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden waren. Überraschenderweise erwies sich die Kombination beider Medikamente (NECT
= Nifurtimox-Eflornithin Combination Treatment) in
zwei kleinen französischen Pilotstudien in Uganda als
nicht nur wirksam, sondern auch als «akzeptabel verträglich». Diese Resultate wurden in den Folgejahren – unter
Beteiligung des Swiss TPH und von der DNDi finanziert
– in einer kontrollierten Phase III-Studie in der Demo­
kratischen Republik Kongo bestätigt.
NECT zeigte sich mit einer Heilungsrate von über 95%
wirksamer als Eflornithin alleine. Zudem wies es nur etwa
halb so viele schwere unerwünschte Nebenwirkungen auf
(z.B. Infektionen, Durchfallerkrankungen oder Fieber).
Gegenwärtig läuft unter Einbezug Schwangerer, Kinder
und älterer Patienten unter der Federführung des Swiss
TPH eine Phase IIIb-Studie («NECT-FIELD»). Erste
Zwischenanalysen weisen auf sehr ermutigende Ergebnisse, erklärte Dr. Christian Burri vom Swiss TPH. Die
Kombinationsbehandlung könne als ein Durchbruch
­bezeichnet werden.
Die Auswahl präklinischer Substanzen
Nach welchen Kriterien entscheidet man sich nun für die
Weiterentwicklung eines bestimmten Wirkstoffs? Die
internationale Non-Profit-Organisation «Drugs for Neglected Diseases Initiative» (DNDi) hat Regeln festgelegt
(TPP), nach denen in einer Abfolge von Auswahl- und
Optimierungsverfahren am Ende der aussichtsreichste (=wirksamste und verträglichste) Wirkstoffkandidat
ermittelt wird. Dazu gehört ein breites Screening, eine
Auswahl geeigneter Kandidaten, die chemische Optimierung einer Substanz sowie die pharmakologische und
toxikologische Prüfung. Erst danach kann das eigentliche
klinische Prüfungsverfahren beginnen (Phase I bis IV).
Wichtig sei es, so Dr. Robert Don, Direktor des HATEntwicklungsprogramms bei der DNDi in Genf, von
Beginn an im Kopf zu behalten, was am Ende von einem
Medikament erwartet wird. Im Falle der Schlafkrankheit
wären für eine solche Subtanz folgende Eigenschaften
wünschenswert: Wirksamkeit in den Krankheitsstadien
I und II, eine möglichst breite Anwendbarkeit, eine klinische Effektivität von über 95%, eine medikamentenverursachte Todesrate von weniger als 0,1%, Sicherheit auch
für Schwangere und Kinder, leichte Anwendbarkeit, ein
langes Verfallsdatum und geringe Kosten. Um wertvolle
Rückmeldungen aus der Praxis zu erhalten, sollten auch
Institutionen und Patienten in den betroffenen Staaten
von Anfang an eingebunden werden.
SCYX-7158 – ein ­Wirkstoff mit Potenzial
Schon frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass Benzoxaborole eine gute Wirksamkeit gegen T. brucei besitzen. Im Jahr 2006 wurde von der amerikanischen Firma
Scynexis ein Screeningprogram mit dem Ziel begonnen,
eine wirksame Substanz gegen den Erreger bei Patienten
Ein hoffnungsvolles Molekül: SCYX-7158
mit fortgeschrittener Schlafkrankheit (Stadium 2) zu entwickeln. Nach der Selektionsphase im Jahr 2007 wurden
zwischen 2008 und 2010 etwa 750 unterschiedliche Benzoxaborole synthetisiert, geprüft und z. T. optimiert. Die
ersten Tests wiesen für diese Substanzen auf gute physiochemische Eigenschaften hinsichtlich Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung oder Eliminierung hin. Durch
mehrfache Veränderungen liess sich die Wirksamkeit eines bestimmten Moleküls noch einmal deutlich erhöhen.
So verblieb «SCYX-7158» gegenüber Vergleichsubstanzen wesentlich länger im Nervensystem, was zu verbesserten Heilungsraten bei infizierten Mäusen führte. Bereits
12 Stunden nach Behandlung konnten keine Trypanosomen mehr im Blut nachgewiesen werden. Derzeit wird die
Toxizität und Sicherheit der Substanz an verschiedenen
Tiermodellen geprüft. An den zukünftigen Medikamentenstudien der klinischen Phase wird das Swiss TPH beteiligt sein. «Dieses Molekül», so Dr. Robert T. Jacobs
von der Firma Scynexis, «hat das Potenzial ein wirksames
orales ‹Einmal-täglich-Medikament› zu werden.»
Studien in Afrika – eine Herausforderung
Obwohl zehntausende Afrikaner an der Schlafkrankheit
leiden, macht es für die Durchführung von Untersuchungen enorme Schwierigkeiten, genügend Patienten zu finden. Der Grund: Die Krankheit tritt nur sehr punktuell auf. Für die Suche nach geeigneten Dörfern können
­nationale Gesundheitsorganisationen oder internationale
Hilfsorganisationen einbezogen werden. Auch die einheimische Bevölkerung kann nach Dörfern mit rezenten
Trypanosomiasis-Fällen befragt werden. Zudem geben
mobile Diagnostik-Teams wertvolle Hinweise. Trotzdem
kann dies sehr mühselig sein, sagte Dr. Gabriele Pohlig vom
Swiss TPH. Für eine klinische Studie im Kongo mussten
30 000 Menschen gescreent werden, um 27 Erkrankte zu
ermitteln. Weitere Schwierigkeit: Die für die Diagnostik
notwendige Lumbalpunktion wird vielerorts mit Misstrauen betrachtet, da sie nicht nur sehr schmerzhaft, sondern mit Vorurteilen (Angst vor Impotenz) behaftet ist.
Wichtig sei daher eine sehr eingehende Aufklärung und
Schulung der einheimischen Bevölkerung und Helfer.
Neben der Infrastruktur sind auch die medizintechnischen Voraussetzungen häufig sehr dürftig. Zudem stehen die Studienteilnehmer für langfristige Betreuungen
und Nach­beobachtungen nicht zur Verfügung, da sie aus
wirtschaftlichen oder politischen Gründen in anderen
Regionen ziehen, oder weil durch den scheinbar guten
Gesundheitszustand keine Notwendigkeit für weitere
Untersuchungen gesehen wird. Wegen dieser vielen Unwägbarkeiten, so Dr. Gabriele Pohlig, sei die Durchführung einer klinischen Studie zur Trypanosomiasis «eine
wirk­liche Herausforderung».
31
«Wir leben in einer Welt»
Viele der in den ärmeren tropischen Ländern verbreiteten Infektionskrankheiten, wie die afrikanische Schlafkrankheit werden von der industrialisierten Welt noch immer zu wenig beachtet. Neue Strategien für die
Entwicklung effektiver Medikamente sollen in Zukunft helfen, solche «neclected diseases» zu kontrollieren.
Prof. Marcel Tanner gab Ende 2010 am Basler Symposium einen Ausblick.
Die afrikanische Schlafkrankheit gehört zusammen
mit anderen Infektionskrankheiten wie beispielsweise
der Leishmaniose, der amerikanischen Schlafkrankheit
­(Chagas), aber auch Wurmerkrankungen, bakterielle und
virale Infektionen zu den so genannten «necleted diseases». Diese «vernachlässigten Krankheiten» sind hauptsächlich in ärmeren tropischen Ländern verbreitet und
fordern jährlich hunderttausende von Todesopfern. Vernachlässigt, weil ihnen bislang viel weniger Aufmerksamkeit gewidmet wurde als Infektionskrankheiten, die mehr
die Industrieländer betreffen. Man ist dort nicht bereit die
Forschungs- und Entwicklungskosten von Medikamenten zu tragen, wenn es «nur» um spezielle Krankheiten
der Ärmsten geht. Dies sei eine Schande, so Prof. Marcel
Tanner, Direktor des Swiss TPH, in seinem Resümee zum
Trypanosomiais-Symposium in Basel. Schliesslich lebe
man nicht in der ersten, zweiten oder dritten Welt, sondern in einer einzigen.
Das Ziel heisst Eliminierung
Obwohl in den vergangenen Jahren bei der Schlafkrankheit ein deutlicher Rückgang von Neuinfektionen zu
verzeichnen war, darf man mit den Anstrengungen, diese
Krankheit zu bekämpfen, jetzt nicht nachlassen. Das Ziel
ist es, durch die Bekämpfung zu einer Eliminierung und
vielleicht sogar zu einer Ausrottung der Trypanosomiasis
zu kommen. Ob man letzteres, angesichts der vielen Reservoir-Tiere jemals schaffen wird, ist allerdings fraglich.
Indem die lokalen Übertragungsmöglichkeiten unterbunden und geeignete Medikamente eingesetzt werden, kann
man die Schlafkrankheit zumindest soweit zurückdrängen, dass das Risiko für die Bevölkerung minimiert wird.
Ein solches Medikament sollte in beiden Krankheits­
stadien wirksam und leicht (=oral) einnehmbar sein. Bei
32
der Entwicklung neuer Substanzen sind jedoch immer
Risiko und Nutzen abzuwägen – und zwar ohne Kompromisse hinsichtlich wissenschaftlicher Kriterien und
ethischer Grundsätze, betonte Prof. Tanner. Als zukunftsträchtige Leitlinien und Prinzipien bei der Erkennung
neuer therapeutischer und diagnostischer Ziele haben sich
so genannte TPPs («Ziel-Produkt-Systeme») erwiesen,
die das Screening neuer Substanzen viel effektiver machen.
Innovationen beginnen vor Ort
Auch Aspekte, wie die praktische Durchführbarkeit bestimmter Massnahmen und die Akzeptanz in der Bevölkerung sind nicht zu unterschätzende Einflussgrössen,
die ebenfalls in solche Systeme einfliesen sollten. «Was
nützen die grössten Anstrengungen für die Etablierung
neuer Therapien, wenn Sie in der einheimischen Bevölkerung nicht akzeptiert werden?», gab Prof. Tanner zu
bedenken. Nicht mehr auf den klassischen Wegen der industriellen Forschung und Entwicklung liegen die Ideen
zukünftiger Strategien, «sondern die Innovation beginnt
in den Dörfern vor Ort».
Gleichzeitig werden auch zukünftig epidemiologische
Untersuchungen eine zentrale Rolle spielen. Denn Erhebungen zur Verbreitung der Schlafkrankheit und ihres
Überträgers helfen nicht nur wachsam zu bleiben und
bei Bedarf sofort zu reagieren, sondern sie unterstützen
die Wissenschaft auch bei der Entwicklung neuer Medikamente. In Zukunft werden Partnerschaften zwischen
öffentlichen Gesundheits- und Forschungsorganisationen und privaten Hilfsorganisationen, wie z. B. der Gates
Foundation oder dem Wellcome Trust immer wichtiger.
Sie werden zu den Eckpfeilern einer erfolgreichen Bekämpfung der Schlafkrankheit. Die Arbeit geht weiter.
Quellen
Brun R & Stich A (2010) Afrikanische Trypanosomiasis oder Schlafkrankheit. In: Tropenmedizin in Klinik und Praxis: mit Reise- und
Migrationsmedizin. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme, 617–629.
Geigy R (1950) Beobachtungen an vier Tsetsefliegenarten während der
Tropenzeit 1949 in Tanganyika. Mitt Schweizer Entomol Gesell 23,
3: 358.
Geigy R (1967) Ueber Tsetsefliegen, Trypanosomen und Schlafkrankheit. Weltwoche 1747: 31–33.
Jahresberichte und Biennial Reports 1946 bis 2010. Basel: Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH)
Regenass-Klotz M & Regenass-Klotz U (2009) Schlafkrankheit.
In: Tropenkrankheiten und Molekularbiologie – Neue Horizonte.
Basel: Birkhäuser, 19 – 34.
Steverding D (2008) The history of African trypanosomiasis. Parasit
Vectors 1: 3.
Steverding D (2010) The development of drugs for treatment of
­sleeping sickness: a historical review. Parasit Vectors 3:15.
Stich A. Steverding D (2002) Die Rückkehr einer Seuche. Biologie in
unserer Zeit 32: 294–302.
www.infektionsbiologie.ch/seiten/modellparasiten/seiten/trypanosoma/steckbrief_tryps.html
Weber U (2002) «Bwana Ngiri»: Hommage à Rudolf Geigy:100 Jahre Rudolf Geigy. Basel: Schweizerisches Tropeninstitut, 34 p.
WHO (2010) African trypanosomiasis (sleeping sickness) Fact sheet
N°259. (www.who.int).
Winkle S. (2011) Zur Geschichte der Trypanosomiasen – Die Nagana der Pferde und Rinder sowie die Schlafkrankheit der Menschen.
http://www.collasius.org/WINKLE/04-HTML/trypanosomiasen.htm
Winkle S (2005) Geisseln der Menschheit: Kulturgeschichte der Seuchen. 3. Aufl. Düsseldorf: Artemis & Winkler.
Weiterführende Literatur
Acosta-Serrano A, Vassella E, Liniger M, Kunz Renggli C, Brun R,
­Roditi I, Englund PT (2001) The surface coat of procyclic Trypanosoma brucei: programmed expression and proteolytic cleavage of
procyclin in the tsetse fly. Proc Natl Acad Sci USA 98: 1513–1518.
Balmer O, Beadell JS, Gibson W, Caccone A (2011) Phylogeography
and taxonomy of Trypanosoma brucei. PLoS Negl Trop Dis 5: e961.
Brun R & Schönenberger M (1979) Cultivation and in vitro cloning
of procyclic culture forms of Trypanosoma brucei in a semi-defined
medium. Acta Trop 36: 289–292.
Brun R, Jenni, L, Schönenberger M. & Schell K-F (1981) In vitro cultivation of bloodstream forms of Trypanosoma brucei, T. rhodesiense
and T. gambiense. J Protozool 28: 470–479.
Brun R, Schumacher R, Schmid C, Kunz C & Burri, C (2001) The
phenomenon of treatment failures in human African trypanosomosis. Trop Med Int Health 6: 906–914.
Brun R, Blum J, Chappuis F, Burri C (2010) Human African trypanosomiasis. Lancet 375: 148–159.
Burri C, Nkunku S, Merolle A, Smith, T, Blum J & Brun R (2000) A
randomised controlled clinical trial of a new, concise treatment schedule for T. b. gambiense sleeping sickness with melarsoprol. Lancet
355: 1419–1425.
Charman SA, Arbe-Barnes S, Bathurst IC, Brun R, Campbell M,
Charman WN, Chiu FC, Chollet J, Craft JC, Creek DJ, Dong
Y, Matile H, Maurer M, Morizzi J, Nguyen T, Papastogiannidis P,
Scheurer C, Shackleford DM, Sriraghavan K, Stingelin L, Tang Y,
Urwyler H, Wang X, White KL, Wittlin S, Zhou L, Vennerstrom JL
(2011) Synthetic ozonide drug candidate OZ439 offers new hope
for a single-dose cure of uncomplicated malaria. Proc Natl Acad Sci
U S A 108: 4400–4405.
Geigy R, Kauffmann M, Jenni L (1973) Wild mammals as reservoirs
for Rhodesian sleeping sickness in the Serengeti, 1970–71. Trans R
Soc Trop Med Hyg 67: 284–286.
Hoet S, Opperdoes F, Brun R, Quetin-Leclercq J (2004) Natural
products active against African trypanosomes: a step towards new
drugs. Nat Prod Rep 21: 353–364.
Jenni L, Marti S, Schweizer J, Betschart B, Le Page RW, Wells JM, Tait
A, Paindavoine P, Pays E, Steinert M (1986). Hybrid formation between African trypanosomes during cyclical transmission. Nature
322: 173–175.
Jenni L., Molyneux D. H., Livesey J. L., Galun R. (1980). Feeding behavour of tsetse flies infected with salivarian trypanosomes. Nature
283: 383–385.
Mäser P, Sütterlin C, Kralli A, Kaminsky R (1999) A nucleoside transporter from Trypanosoma brucei involved in drug resistance. Science
285: 242–244.
Maina N, Maina KJ, Mäser P, Brun R (2007) Genotypic and phenotypic characterization of Trypanosoma brucei gambiense isolates from
Ibba, South Sudan, an area of high melarsoprol treatment failure
rate. Acta Trop 104: 84–90.
Oberle M, Balmer O, Brun R, Roditi I (2010) Bottlenecks and the
maintenance of minor genotypes during the life cycle of Trypanosoma brucei. PLoS Pathog 6: e1001023.
Rottmann M, McNamara C, Yeung BK, Lee MC, Zou B, Russell B,
Seitz P, Plouffe DM, Dharia NV, Tan J, Cohen SB, Spencer KR,
González-Páez GE, Lakshminarayana SB, Goh A, Suwanarusk R,
Jegla T, Schmitt EK, Beck HP, Brun R, Nosten F, Renia L, Dartois
V, Keller TH, Fidock DA, Winzeler EA, Diagana TT (2010) Spiroindolones, a potent compound class for the treatment of malaria.
Science 329: 1175–1180.
Torreele E, Bourdin Trunz B, Tweats D, Kaiser M, Brun R, Mazué G,
Bray MA, Pécoul (2010) B. Fexinidazole – a new oral nitroimidazole drug candidate entering clinical development for the treatment of
sleeping sickness. PLoS Negl Trop Dis 4: e923.
Vennerstrom JL, Brun R, Charman SA, Chiu F, Chollet J, Dong .,
Dorn., Hunziker D, Matile H, McIntosh K, Padmanilayam M, Santo
Tomas J, Scheurer C, Scorneaux B, Tang Y, Urwyler H, Wittlin S &
Charman WN (2004) Novel antimalarial peroxides: Identification
of a trioxolane drug development candidate. Nature 430: 900–904.
Wenzler T, Boykin DW, Ismail MA, Hall JE, Tidwell RR, Brun R
(2009) New treatment option for second stage African sleeping
sickness: In vitro and in vivo efficacy of aza analogs of DB289. Antimicrob Agents Chemother 53: 4185–4192.
Die Schlafkrankheit zählt bis heute zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten und hat nach wie vor einen beachtlichen Einfluss auf die soziale und
wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder in Afrika. Wir sind aufgefordert, die
Bekämpfung der Schlafkrankheit auf allen Ebenen konsequent anzugehen.
Das Swiss TPH ist diesem Aufruf stets gefolgt und hat die Schlafkrankheit
und andere vernachlässigte Krankheiten ins ­Zentrum von Lehre, Forschung
und direkter ­Umsetzungsarbeit gestellt und dabei über Jahrzehnte hinweg
international ­beachtete und wegweisende Resultate erzielt.
U4