Eine vergessene Seuche
Transcrição
Eine vergessene Seuche
Eine vergessene Seuche Erforschung und Bekämpfung der afrikanischen Schlafkrankheit am Swiss TPH © Swiss TPH, 2011 Herausgeber: Swiss Tropical and Public Health Institute (Swiss TPH), Basel, Switzerland – www.swisstph.ch Text, Interviews: Dr. Klaus Duffner, Freiburg/Brsg. – www.medizinundwissen.de Fotos: D avid Bygott, Klaus Duffner, Kai-Uwe Häßler, Hugo Jaeggi, Joachim Walz und Mitarbeitende des Swiss TPH Grafik: Bernd Uhlmann, Papyrus Medientechnik GmbH, Freiburg/Brsg. – www.papyrus-medientechnik.de Koordination, grafische Beratung: Heidi Immler, Basel (Swiss TPH) Druck: Hofmann Druck, Emmendingen Inhalt Vorwort2 Tödliche Vernachlässigung 3 Ein gefährlicher Winzling4 Eine ganz besondere Fliege8 «Das waren Meilensteine» 10 «Und es traf ihn die Schlafsucht»14 Vom Fliegenkäscher zum Hightech-Labor16 Nur Partnerschaft führt zum Erfolg24 Keine Chance ohne Behandlung27 Schlaglichter aktueller Forschung29 «Wir leben in einer Welt» Quellen und weiterführende Literatur 32 33 Vorwort Schon seit seiner Gründung im Jahre 1943 ist das Schweizerische Tropeninstitut (STI) eng mit der Erforschung der Schlafkrankheit verbunden. So stand von Anfang an die Tsetsefliege, als die Überträgerin des Krankheitserregers, im Zentrum des Instituts-Logos. Letzteres wurde vom Gründer des STI, Professor Rudolf Geigy (1902– 1995), treffend gewählt, da es auf die faszinierende Beziehung zwischen Überträger, Parasit und Wirt hinweist. Unser ehemaliges Logo erinnert uns aber auch daran, dass die Schlafkrankheit bis heute zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten zählt und nach wie vor einen beachtlichen Einfluss auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder in Afrika hat. Deshalb sind wir aufgefordert, die Bekämpfung der Schlafkrankheit auf allen Ebenen konsequent anzugehen. Das STI ist diesem Aufruf stets gefolgt und hat die Schlafkrankheit und andere vernachlässigte Krankheiten ins Zentrum von Lehre, Forschung und direkter Umsetzungsarbeit gestellt und dabei über Jahrzehnte hinweg international beachtete und wegweisende Resultate erzielt. Mitte 2009 wurde das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel ins STI integriert. Am neu entstandenen Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH), das gleichzeitig ein assoziiertes Institut der Universität Basel ist, arbeiten in Basel und im Ausland gut 500 Mitarbeitende aus über 50 Nationen. Ihr Ziel ist es, wie in den Zeiten des STI durch qualitativ hoch stehende L ehre, Forschung und Dienstleistungen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung beizutragen. 2 Mit dem Integrationsprozess kam nach 66 Jahren auch der Wechsel des Instituts-Logos. Es weist heute auf die globalisierten, transkulturellen Facetten unserer Arbeit. Die vernachlässigten Krankheiten bleiben jedoch ein Schwerpunkt der Langzeitstrategie des Swiss TPH. Aus diesem Anlass widmeten wir im Dezember 2010 das 15. STI/ Swiss TPH-Symposium der Schlafkrankheit. Die vorliegende Broschüre fasst unseren Weg im Verstehen und Bekämpfen dieser «vergessenen Seuche» zusammen. Sie soll uns auch daran erinnern, dass wir gerade jetzt, wo in vielen Gebieten Afrikas sogar eine Eliminierung der Krankheit möglich erscheint, unser Engagement in Forschung und praktischer Umsetzung verstärken müssen. Meinen Kollegen Thierry Freyvogel, Leo Jenni, Reto Brun und Christian Burri sowie vielen MitarbeiterInnen des Instituts und unseren Partnern in der Schweiz und im Ausland, vor allem auch in den Endemiegebieten, danke ich für ihr grosses Engagement bei der Erforschung der Schlafkrankheit. Ihre herausragenden wissenschaftlichen Arbeiten sind die Grundlage für eine effektive Bekämpfung. Besonderer Dank gilt auch Heidi Immler, die als langjährige Leiterin der Bibliothek die Entstehung dieses Hefts vortrefflich unterstützt hat. Schliesslich danke ich dem Autor Klaus Duffner, der einen wertvollen Beitrag geleistet hat, damit wir weder unsere Wurzeln noch die Schlafkrankheit vergessen. Ich wünsche Ihnen eine an regende Lektüre. Marcel Tanner Basel, im Juni 2011 Tödliche Vernachlässigung Das Auftreten der unbehandelt immer tödlich verlaufenden Schlafkrankheit in Afrika war in den vergangenen gut hundert Jahren starken Schwankungen unterworfen. So starben um die Wende ins 20. wie auch ins 21. Jahrhundert hunderttausende von Menschen. Zwischen 1896 und 1906 wurden vor allem das Kongo becken und Uganda von einer schweren Epidemie heimgesucht. Die Schlafkrankheit raffte beispielsweise in der belgischen Missionarsschule Berghe St Marie nahe des Kongoflusses von 1000 Schulkindern jährlich 100 hinweg. Insgesamt schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO die Zahl der damals ums Leben gekommenen Menschen im Kongobecken auf eine halbe Million und in Uganda auf 200 000 bis 300 000. Nachdem in den Folgejahren die Zahl der Erkrankten spürbar zurückgegangen war, brach zwischen 1920 und 1930 schon wieder die nächste Epidemie über Zentralafrika herein. Aber auch diesen Ausbruch konnte man durch konsequente Überwachungsmassnahmen, die strenge Bekämpfung der krankheitsübertragenden Tsetsefliegen, sowie die medizinische Behandlung der Infizierten im Laufe der nächsten Jahrzehnte wieder eindämmen. Im Jahr 1960 lag die Zahl der Infizierten nur noch bei wenigen hundert pro Jahr. Gefahr durch politische Umwälzungen Aber auch diese glückliche Phase war nur von kurzer Dauer. Nach Ende der Kolonialherrschaft kam es in der Folgezeit durch politische Umwälzungen und Bürgerkriege zum Zusammenbruch der Gesundheitssysteme und zur Vernachlässigung der Kontrollprogramme. Ab Ende der 60er Jahre nahm daher die Zahl der Fälle wieder stetig zu. Dies mündete in den Folgejahren in West- und in Ostafrika erneut in einer grossen Epidemie. 1998 erreichte dieser dramatische Anstieg seinen Höhepunkt mit geschätzten 500 000 infizierten Menschen. Erst nachdem um die Jahrtausendwende die meisten Bürgerkriege geendet hatten und von der WHO und verschiedenen Hilfsorganisationen verstärkt Bekämpfungs- und Behandlungsmass- T. b. gambiense Kein Vorkommen Möglich Regelmässig Häufig T. b. rhodesiense Epidemisch Vorkommen der Schlafkrankheit in Afrika. Die Linie gibt die Verbreitungsgrenze der beiden Unterarten von Trypanosoma brucei wieder. nahmen durchgeführt werden konnten, sowie kostenfreie Schlafkrankheitsmedikamente von den Herstellern zur Verfügung gestellt wurden, nahm die Zahl der Erkrankten wieder ab. Heute geht man davon aus, dass 30 000 bis 50 000 Menschen von der Schlafkrankheit betroffen sind. Die Zahl der im Jahr 2009 mit Trypanosoma brucei gambiense Neuinfizierten wird mit 9700 angegeben, davon alleine 7200 in der Demokratischen Republik Kongo und 1000 in der Zentralafrikanischen Republik. Die restlichen verteilen sich auf den Tschad (500), Sudan (400), Angola (250) und andere. Von der ostafrikanischen Variante (T. brucei rhodesiense) sind derzeit knapp 200 Patienten betroffen. Trotz dieser positiven Entwicklung sollte man eines nicht vergessen: Laut Angaben der WHO werden nach wie vor etwa 50 Millionen Menschen von der Seuche bedroht. 60 000 Die Zahl der jährlich registrierten Neuerkrankungen von 1939 bis 2007. 50 000 40 000 30 000 20 000 10 000 0 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 3 Trypanosoma brucei zusammen mit roten und weissen Blutkörperchen (rasterelektronenmikroskopische Aufnahme) Ein gefährlicher Winzling Ein unbeobachteter Moment, ein kurzer schmerzhafter Stich und schon ist es passiert: Eine Ladung winziger Erreger dringt über den Speichel einer Stechfliege in unseren Körper. Ein Vorgang der sich jeden Tag vielfach in Afrika wiederholt. Aus ein paar verlorenen Eindringlingen wird in kurzer Zeit eine unvorstellbar grosse Armada, aus einem nicht weiter beachteten Piekser eine lebensbedrohliche Erkrankung. Eine Zelle mit Kraftwerk Schuld an der gefährlichen Seuche ist ein hochspezialisierter Blutparasit mit dem wissenschaftlichen Namen Trypanosoma brucei. Dieser besteht zwar nur aus einer einzigen Zelle mit kaum einem dreissigstel Millimeter Länge, aber die hat es in sich. Mit einer Art Kraftwerk (dem so genannten Mitochondrium) wird die Energie für den Antrieb einer einzelnen Geisel geliefert. Zusammen mit dem wellenförmigen Körpersaum sorgt sie dafür, dass der nur 25 bis 40 µm lange Erreger ständig in Bewegung bleibt. Allerdings ändern Trypanosomen im Laufe ihres Lebenszyklus ihre Gestalt, mal tritt die Geisel am Zellende hinter dem Kern aus, mal tritt sie in der Zellmitte vor dem Kern aus, mal ist die freie Geisel ziemlich reduziert. Während die Blutstromformen lang gestreckt und mit der Geisel hochbeweglich wie Aale durch das Venen- und Arteriensystem jagen, sind die eher plumpen Formen für das Leben in der Tsetsefliege vorbereitet. Alle Trypanosomen besitzen ein charakteristisches Zellorganell, den Kinetoplasten, weswegen sie der Klasse der «Kineto plastea» zugeordnet werden. darunter landlebende Säugetiere, Reptilien, Vögel, aber auch Amphibien und Fische. Bei den landlebenden Wirts tieren dienen als Überträger zumeist Insekten. Auch die für Mensch und Säugetier gefährliche Art Trypanosoma brucei treibt in mehreren Varianten ihr Unwesen. So ist Trypanosoma brucei gambiense in Zentral- und Westafrika verbreitet und wird mittels Tsetsefliegen hauptsächlich von Mensch zu Mensch übertragen. Nach der Infektion kann der Betroffene eine chronische Form der Schlafkrankheit entwickeln und monate- oder sogar jahrelang infiziert sein, ohne dass wesentliche Symptome auftreten. Macht sich die Krankheit allerdings erst in einem West- und ostafrikanische Formen Von der Gattung Trypanosoma (griechisch «Bohrkörper») sind bis heute mehrere hundert Arten bekannt. Sie befallen als Parasiten eine ganze Reihe von Wirbeltieren, 4 Fleckenhyänen sind wie viele andere Wild- und Haustiere ein Reservoir für Trypanosomen. fortgeschrittenen Stadium bemerkbar, ist es sehr schwer sie zu bekämpfen. Dagegen kommt der Bruder T. b. rhodesiense im östlichen und südöstlichen Afrika vor und wird vor allem von Wildtieren, wie z.B. Antilopen, afrikanischen Büffeln, Fleckenhyänen und Löwen, aber auch von Haustieren wie Schafen, Ziegen oder Rindern beherbergt. Diese ostafrikanische Form verursacht beim Menschen (der hier eher ein zufälliger Wirt ist) eine akute Erkrankung, die innerhalb weniger Wochen ausbricht und einen wesentlich aggressiveren Verlauf als die westafrikanische Variante nimmt. Allerdings tritt sie deutlich seltener auf und kann rascher behandelt werden, da die Infizierten schnell klinische Symptome zeigen. Nagana gefährdet Haustiere Schliesslich existieren in Afrika einige TrypanosomenFormen, die primär Haustieren gefährlich werden können. Dazu gehört T. brucei brucei, welche ostafrikanische Zebu-Rinder, Pferde, Kamele, Hunde oder Hauskatzen sowie verschiedene Antilopen und Raubkatzen infiziert. Ebenfalls für Haustiere oft tödlich sind Infektionen mit T. vivax und T. congolense, die in West- bzw. Ostafrika eine dominierende Rolle spielen. Solche Tierseuchen werden als Nagana («jene, die depressiv macht») bezeichnet. Sie verursachen in den Rinderherden bisweilen grosse Verluste, was für eine ganz auf Viehzucht ausgerichtete Bevölkerung eine existenzielle Bedrohung darstellt. Parasit mit vielen Gesichtern Nach dem ziemlich schmerzhaften Stich der Tsetsefliege gelangen die Trypanosomen mit dem Speichel ins Gewebe 5 4 Speicheldrüse 6 Zebu-Rinder bilden in weiten Teilen Afrikas die Existenzgrundlage der Bevölkerung. des Menschen. Dort wandeln sie sich in einem eng umgrenzten Gewebsareal in schlanke, bewegliche Formen um und beginnen sich durch Längsteilung zu vermehren. In diesem frühen Infektionsstadium kann es in der Nähe der Einstichstelle zu Entzündungen kommen. Nach etwa zwei Wochen wandern die mobilen Erreger über die Lymphbahnen in die Blutgefässe. Dort findet dann eine extreme Vermehrung statt, da sich alle sechs Stunden die Population verdoppeln kann. Die Folge: Das Blut wird in kurzer Zeit regelrecht mit Trypanosomen überschwemmt. Ist eine gewisse Parasitendichte erreicht, verwandelt sich ein Teil der ehemals schlanken Erreger («long slender») wieder in kürzere Formen («short stumpy»). Sie warten nun im Blut auf den Weitertransport durch Tsetsefliegen. Stechen diese nun ein infiziertes Säugetier oder einen Menschen, gelangen die Parasiten mit dem aufgenommenen Blut in den Fliegendarm. Nach einer erneuten Verwandlung wandern die Trypanosomen über den Darmkanal und den Vorderdarm in die Speicheldrüse der Tsetsefliege, wo sie zu infektiösen Formen werden. Nach drei bis vier Wochen stehen im Saugapparat der Stechfliege wieder neue Erreger in den Startlöchern – und der Zyklus beginnt von neuem. Von nun an kann jeder Stich die hoch gefährliche Fracht auf Mensch und Tier verladen. Darm Haut Blut 3 2 1 1 Mit dem Speichel der Tsetsefliege gelangen Trypanosomen in den Menschen. Als schlanke «bloodstream»-Formen verteilen sie sich im Körper. 2 Eine rasche Vermehrung in unterschiedlichen Körperflüssigkeiten, aber vor allem im Blutkreislauf, setzt ein. 3 Wenn eine gewisse Erregerdichte im Blut erreicht ist, verwandeln sich die Trypanosomen in kurze gedrungene Formen. 4 Eine Tsetsefliege nimmt mit der Blutmahlzeit Trypanosomen auf, die sich im Darm der Fliege erneut verwandeln und vermehren. 5 Sie verlassen den Darm und wandern in die Speicheldrüse. 6 Nach erneuter Vermehrung entstehen infektiöse Trypanosomen, die bei der nächsten Blutmahlzeit 1 wieder in den Menschen gelangen. Der Kreislauf ist geschlossen. 5 rhodesiense) und der Verursacher der Nagana-Seuche (T. brucei brucei) im Wesentlichen nur durch ein einziges Gen (verantwortlich für den «Serum Resistance Associated»-Faktor, SRA) unterscheiden. Daher ist es kein Wunder, dass die drei Unterarten von Trypanosoma brucei mikroskopisch nicht voneinander zu trennen sind, obwohl sie verschiedene Wirte bevorzugen und auch teilweise ungleiche Symptome nach einer Infektion hervorrufen. Immer einen Schritt voraus Als eines der bemerkenswertesten Ergebnisse dieser Forschungen erwies sich die Entdeckung einer Schutzhülle aus Proteinen, mit der Trypanosomen umgeben sind. Dieser im Englischen als «Variable Surface Glycoprotein» (oder VSG) bezeichnete hauchdünne Film, besteht aus etwa 10 Millionen Molekülen und wirkt wie ein undurchdringlicher Mantel. Das Raffinierte dabei: Trypanosomen können die Struktur dieses Eiweiss-Panzers verändern. Zwar wird nach einer Infektion und der sich anschliessenden Vermehrung der grösste Teil der Parasiten durch das körpereigene Immunsystem wieder vernichtet – der Kampf ist dadurch aber nicht gewonnen. Denn die vom Körper produzierten Antikörper richten sich gegen die Oberflächenantigene der ersten Welle der Eindringlinge. In der Zwischenzeit haben sich aber schon wieder neue Erregerklone mit neuen VSG-Schutzhüllen gebildet. Diese wachsen nun ihrerseits ungehindert zu einer neuen Parasiten-Population heran, bis das Immunsystem wieder Antikörper auch gegen diese zweite Generation der VSG gebildet hat. Obwohl nun wiederum ein grosser Teil der Eindringlinge angegriffen und eliminiert wird, ist dieses sich vielmals wiederholende Katz-und-Maus-Spiel vom Immunsystem nicht zu gewinnen, da immer wieder neue Lichtmikroskopische Aufnahme von roten Blutkörperchen (Durchmesser 7,5 µm) und zwei langgestreckten Trypanosomen der Blutstrom-Form. Parasit mit 9000 Genen Durch neue molekularbiologische Methoden erfuhr die Erforschung von Trypanosoma brucei in den vergangenen 30 Jahren einen enormen Aufschwung. Viele Grundlagen zellulärer oder genetischer Mechanismen wurden zuerst am Verursacher der Schlafkrankheit entdeckt und dann erst von anderen Zellen beschrieben. Im Jahr 2005 konnte zudem das Genom (also das gesamte Erbgut) des Erregers mit gut 9000 Genen, 11 grossen Chromosomen und etwa 100 „Minichromosomen“ entziffert werden. Die molekularbiologischen Untersuchungen ergaben dabei, dass die Unterschiede zwischen den Unterarten von Trypanosoma brucei äusserst gering sind. So sollen sich der Erreger der ostafrikanischen Schlafkrankheit (T. brucei U Anatomie eines Trypanosomen Z FFlagelle O G GGlykosom KKinetoplast OGolgi-Körper M T Pelliculare Mikrotubuli RRiesen-Mitochondrium TFlagellentasche R K M F 6 U Undulierende Membrane Z Zellkern Klon B Klon C Klon D Klon E 4 5 Klon F Anzahl Trypanosomen Klon A Ist die erste Welle der Trypanosomen vom Immunsystem eliminiert, entwickelt sich schon wieder die nächste Generation mit einem Mantel aus neuen variablen Oberflächenproteinen (VSG) – ein Wettlauf der vom Körper nicht zu gewinnen ist. 0 1 2 3 Wochen VSG-Generationen in den Startlöchern sitzen. Dadurch sind übrigens auch die wellenförmigen Fieberschübe erklärbar, welche die Erkrankten parallel zum Entstehen der neuen Trypanosomen-Populationen alle sechs bis zehn Tage heimsuchen. Impfstoffentwicklung aussichtslos Man hat insgesamt rund 800 Gene gefunden, die den «Variable Surface»-Glykoproteinen zugeschrieben werden, allerdings soll nur ein Teil davon wirklich funktionsfähige Proteinvarianten herstellen können. Durch die Fähigkeit sich in einer solch grossen Bandbreite immer wieder mit neuen Schutzhüllen einzukleiden, ist es nahezu aussichtslos einen wirksamen Impfstoff gegen T. brucei entwickeln zu wollen. Trotzdem ist man nicht machtlos, da die molekularbiologischen Erkenntnisse der jüngsten Vergangenheit auch neue Perspektiven für die Entwicklung moderner Medikamente liefern. Als mögliche Angriffspunkte stehen besonders die VSGProteine und verschiedene Stoffwechselvorgänge im Fokus der Wissenschaftler. So könnten sowohl ein spezielles Verankerungssystem für die Proteinhülle als auch bestimmte stabile Genregionen des Parasiten als thera peutische Ansatzpunkte dienen. 6 7 arasiten entlang von vorne nach hinten treiben. Dadurch P sind die Antikörper nicht in der Lage, an der Zellhülle anzudocken. Ein Teil der Moleküle landet zudem im Zellmund der Einzeller. Das hat zwei Effekte: Erstens können die Antikörper als Glykoproteine aufgenommen und verdaut werden (und stellen damit eine gute Nahrungsquelle dar) und zweitens werden auf diese Weise die lästigen Widersacher dezimiert. Die ununterbrochene, fast hektische Bewegung der Geisel und des Körpersaumes ist für Trypanosomen daher überlebensnotwendig. Man hat in Versuchen beobachtet, dass bewegungslose Parasiten tatsächlich innerhalb von wenigen Stunden absterben. Würde es nun durch neue Wirkstoffe gelingen, einzelne Elemente dieses Bewegungsmechanismus zu stören, so die Hoffnung der Wissenschaftler, wäre dies eine mögliche Ausgangsbasis für Medikamente. Den Antikörpern entwischen Allerdings sind es nicht nur solche Täuschungsmanöver, mit denen sich Trypanosomen dem Immunsystem in den Weg stellen. Vor wenigen Jahren wurde festgestellt, dass sie sogar in der Lage sind, ihre Angreifer direkt aufzufressen. Durch die permanenten Schwimmbewegungen werden nämlich Strömungen erzeugt, welche die angreifenden Antikörper wie im Fahrtwind an der Hülle der Die gesamte Oberfläche der Trypanosomen ist von VSG bedeckt (Fluoreszenz-Aufnahme). 7 Der Lebensraum der Tsetsefliege: Savannen und Buschland (Ostafrika) sowie Feuchtsavannen und Regenwälder (Westafrika) Eine ganz besondere Fliege Sowohl die afrikanische Schlafkrankheit als auch die Nagana-Seuche werden von Tsetsefliegen (oder «Glossinen») übertragen. Wie bei den Erregern existieren auch bei den Überträgern dieser Krankheiten west- und ostafrikanische Formen. Sei es nun das weite Verbreitungsgebiet, die auffällige «Stichwaffe» oder die ungewöhnliche Brutfürsorge: Tsetsefliegen sind ganz besondere Insekten. Obwohl zumeist von «der» Tsetsefliege gesprochen wird, sind in Wirklichkeit 31 dieser auch als «Glossinen» bezeichneten Arten bekannt. Sie allesamt leben in Afrika und stellen an ihren Lebensraum, abhängig vom Klima, dem Einfluss der Meereshöhe, der Vegetation und dem Vorhandensein von bestimmten Wirtstieren, ganz spezielle Ansprüche. Allerdings sind nur wenige Arten tatsächlich in der Lage, Mensch und Tier mit Trypanosomen zu infizieren. Die wichtigsten davon werden in zwei Haupttypen eingeteilt: Tsetsefliegen der westafrikanischen palpalis-Gruppe, die an feuchte Regen- und Galeriewälder in der Nähe von Gefährliche Mahlzeit: Mit dem Speichel der Tsetsefliege können Trypanosomen übertragen werden. 8 Gewässern gebunden sind und Tsetsefliegen der ost- bzw. südafrikanischen morsitans-Gruppe, die Savannenbiotope bevorzugen. Nur wenige Fliegen infiziert Damit steht den Tsetsefliegen ein riesiges Verbreitungsgebiet in sehr unterschiedlichen Landschaftstypen zur Verfügung. Es erstreckt sich über elf Millionen Quadrat kilometer südlich der Sahara (etwa am 14. nördlichen Breitengrad) bis ins nördliche Botswana und ins südliche Mosambik (etwa am 29. südlichen Breitengrad). Trotz dieses breiten «Tsetsegürtels» tritt die Schlafkrankheit tatsächlich nur punktuell auf. Das heisst, obwohl genügend Überträger vorhanden wären, sind viele Gegenden zum Glück ohne Schlafkrankheit. Möglicherweise hat dies mit dem sehr geringen Trypanosomen-Befall in den Stechfliegen zu tun. Am Schweizerischen Tropeninstitut (heute Swiss TPH) hat man in aufwendigen Studien festgestellt, dass höchstens 0,1% der untersuchten Tsetsefliegen tatsächlich eine Speicheldrüseninfektion mit T rypanosomen aufweist. Eine mögliche Erklärung für die geringe Rate infektiöser Glossinen ist die Tatsache, dass sich die Fliegen nur während der ersten Blutmahlzeit mit dem Erreger infizieren lassen. Aber aufgepasst: Ist dies geschehen, bleiben sie für Mensch und Tier zeitlebens infektiös. Bedrohlicher Stechrüssel Die Tsetsefliege ähnelt einer mittelgrossen Bremse. Wie diese trägt sie vorne am Kopf einen auffälligen, nach vorne gerichteten hohlen Stechrüssel, den sie wie eine bedrohliche Waffe stets vor sich her trägt. Durch allerlei Borsten an den Beinen und Antennen, macht die Fliege überhaupt einen ziemlich «haarigen» Eindruck. Charakteristisch ist auch die Haltung der Flügel. In Ruhestellung werden die Flügel wie bei einer Schere immer vollständig über einander gelegt, was ihnen ein zungenförmiges Aussehen verleiht. Der wissenschaftliche Name Glossina («Glossa» von griechisch «Zunge, Sprache») soll übrigens auf diese Ähnlichkeit hinweisen. Nach anderer Auffassung steht der Stechrüssel für die Namensgebung Pate. Lieber tagaktiv Tsetsefliegen haben eine Lebenszeit von bis zu fünf Monaten und benötigen zwei bis dreimal in der Woche eine Blutmahlzeit. Um das Wild (und natürlich auch Menschen) zu finden, verlassen sich die Fliegen hauptsächlich auf ihre Augen, aber auch auf ihren Geruchssinn (z.B. riechen sie Aceton und CO2 im Atem) und mechanische Stimuli. Als Wirtstiere spielen neben einer ganzen Reihe von Säugetieren (z.B. Warzenschweine, verschiedene Antilopenarten, div. Haustiere) für manche Arten auch Reptilien (z.B. Krokodile und Eidechsen) eine wichtige Rolle. Nach dem schmerzhaften Stich wird der Mitteldarm der Glossine schnell mit Blut gefüllt. Dabei werden gerinnungshemmende Enzyme mit dem Speichel in die Wunde abgegeben. Da die voll gesogenen Fliegen ziemlich schwerfällig sind und dadurch leicht Beute für andere Tiere werden können, folgt die Verdauung an einem geschützten schattigen Plätzchen. Überhaupt zieht es die Fliegen während der heissen Tageszeit oft in den Schatten von Bäumen, Baumstümpfen oder Astlöchern. Während Die Tsetsefliege vor (oben) und nach einer Blutmahlzeit (unten); links die Puppe, aus der nach 20 bis 30 Tagen das fertige Insekt schlüpft. Die Verbreitung der Tsetsefliege umfasst weite Teile des tropischen Afrikas. Moskitos abend- und nachtaktive Blutsauger sind, halten sich Tsetsefliegen in der Nacht gerne auf Blättern der oberen Baumetagen verborgen; sie sind lieber tagsüber in Bewegung. Weiterer Unterschied: Bei den Stechmücken sind nur die Weibchen hinter dem Blut ihrer Opfer her, bei Stechfliegen benötigen beide Geschlechter hin und wieder eine Blutmahlzeit. Entsprechend sind Männchen wie Weibchen in der Lage, Trypanosomen zu übertragen. Viel Aufwand für den Nachwuchs Als Besonderheit gilt die Tatsache, dass Tsetsefliegen lebendgebärend sind. Denn nach der Befruchtung des Eies schlüpft die kleine Larve bereits im Mutterleib. Sie wird, und das ist für Insekten sehr ungewöhnlich, dort über «Milchdrüsen» mit protein- und fettreichen Nährstoffen versorgt. So werden mehrere Larvenstadien im immer schwerer werdenden Abdomen der Mutter durchlaufen. Wenige Stunden vor der Geburt zeigen die trächtigen Weibchen dann eine ungewöhnlich starke Aktivität. Der Grund: Sie suchen für ihren wertvollen Nachwuchs einen schattigen und nicht zu trockenen Brutplatz. Nachdem eine einzige grosse Larve dort geboren wurde, verkriecht sich diese bald im Boden und erstarrt zu einer Puppe. Nach durchschnittlich drei bis vier Wochen wühlt sich die frisch geschlüpfte Stechfliege dann durch das Erdreich ins Freie und steht bereit für neue Stechattacken. Mit dieser sehr aufwendigen Brutpflege können Tsetsefliegenweibchen in ihrem Leben nur höchstens acht Larven erzeugen. Das sind extrem wenig Nachkommen. Ihre sehr erfolgreiche Ausbreitung scheint dieser Strategie Recht zu geben. 9 Leo Jenni, Reto Brun, Thierry Freyvogel und Marcel Tanner (von links nach rechts) im Gespräch «Das waren Meilensteine» Das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) in Basel kann bei der Erforschung der Schlafkrankheit auf eine lange Tradition zurückblicken. Während in den 50er Jahren die Grundlagen zur Biologie von Trypanosoma brucei und dessen Überträger der Tsetsefliege erarbeitet wurden, standen in den Feldarbeiten der 60er Jahre die Ökosysteme im Vordergrund. Mit den profunden Laborstudien der 70er Jahre in Basel wurde, parallel zu den verbesserten technischen Verfahren, die Basis für spätere Medikamentenentwicklungen gelegt, die dann in den 90er Jahren realisiert wurden. In einem RoundtableGespräch erinnern sich Reto Brun, Thierry Freyvogel, Leo Jenni und Marcel Tanner an diese aufregenden Jahrzehnte und ihre Erlebnisse mit Rudolf Geigy. Wie stehen die Schlafkrankheit und das Basler Tropeninstitut in Verbindung? Tanner: Die Schlafkrankheit und ihre Verursacher, die Trypanosomen, waren für das Institut immer sehr wichtig. Viele der Entwicklungen, die wir bis heute gemacht haben, wären nicht möglich gewesen, ohne die Arbeit an den Trypanosomen. Mit ihnen sind wir auf neue Ebenen der Parasitologie, Ökologie, Epidemiologie, Molekularbiologie, Medizin und Medikamentenentwicklung vorgedrungen. Rudolf Geigy und Thierry Freyvogel waren in den 50er Jahren sehr oft in Afrika. Viele Grundlagen unserer Arbeit stammen aus diesen ganz frühen Zeiten. Freyvogel: Rudolf Geigy ist es bald nach der Gründung des Tropeninstituts als erstem gelungen, Tsetsefliegen unter Laborbedingungen zu züchten. Wir sind 1954 zusammen nach Ostafrika gegangen. Er hat mir auf den Exkursionen gezeigt, wo Tsetsefliegen vorkommen, wo ihre Larven leben, wie man sie aufspürt und wie sie mit speziellen Netzen gefangen werden. Wir haben die Tsetsefliegen dann in Reagenzgläsern ins Labor transportiert und die Arten bestimmt. 10 Jenni: Um möglichst authentisches Material zu bekommen war es immer unsere Philosophie, die Parasiten mitsamt den Überträgern aus dem Feld sehr schnell ins Tropeninstitut nach Basel zu bringen. Erreger, die nämlich im Labor über Jahre gezüchtet werden, verhalten sich biochemisch und molekularbiologisch ganz anders als frisches Material. Tanner: Im Jahr 1982 hatten wir mit Trypanosomen infizierte, wertvolle weisse Mäuse in Tansania. Tony Degrémont, mein Vorgänger als Direktor am Tropeninstitut, ist dann mit vier lebenden Mäusen zum Flughafen in Tansania gefahren und von den dortigen Sicherheitsleuten sehr erstaunt angeschaut worden. Daraufhin sagte er, dass diese Mäuse seine Haustiere seien, die er immer auf seine Reisen mitnähme. Er wurde tatsächlich durchgelassen. Der damals isolierte Trypanosomen- Die grosse Bedeutung der Tsetsefliege für das Tropen institut spiegelt sich im alten Logo wider. stamm ist übrigens weltweit nun der Schlüsselstamm für Medikamentversuche. Was wurde erforscht? Tanner: Wir konnten neben vielem anderen die Infek tiosität beim Menschen aufklären, konnten Sexuali tät bei Trypanosomen nachweisen oder auch deren variablen Oberflächenstrukturen zeigen. Das waren Meilensteine bei der Erforschung der Schlafkrankheit. Auf diese Resultate konnten dann später die Medikamententests aufgebaut werden. Auch die Entwicklung von künstlichen Membranen, an denen die Tsetsefliegen Blut sogen, war sehr wichtig für spätere Forschungen. Folglich wollten wir auch Impfstoffe entwickeln. Allerdings mussten wir bald erkennen, dass die Trypanosoma-Stämme so unterschiedlich waren, dass eine Immunisierung aussichtslos war. Wie würden Sie die vergangenen Jahrzehnte in der Erforschung der Schlafkrankheit charakterisieren? Tanner: In den 50er Jahren war man sehr an den Reservoir-Tieren interessiert, also z.B. an Antilopen, in denen die Erreger eine Art Reservoir bilden. Rudolf Geigy war d amals ein Pionier bei der Identifikation dieser Reservoire. In den 60er Jahren wurde mit ausgedehnter Feldarbeit sehr viel Material gesammelt, um die Diversität der Erreger bzw. Überträger sowie die Ökosysteme kennen zu lernen. In den 70er Jahren wurden Laborarbeiten und technische Neuerungen immer wichtiger. Fütterung von Tsetsefliegen mit dem sogenannten «Meerschweinchen-Sandwich». Jenni: In den 70er haben wir Kultursysteme sowohl für die Insekten als auch für die Erreger entwickelt. Damit wurde die Grundlage für das spätere MedikamentenScreening gelegt. In den 80er Jahren, wurde zwar an vielen Dingen geforscht, das Drugscreening war aber noch kein Thema. Tanner: In den 80er Jahren wollte man weder im öffentlichen Sektor noch in der Industrie in die «neglected diseases», also die vernachlässigten Krankheiten, investieren. Dieses Jahrzehnt war für die Schlafkrankheit ein Desaster. Das hat sich in den 90er Jahren verändert. Brun: Da konnten wir mit unseren Kultursystemen in grossem Umfang Medikamente gegen die Schlafkrankheit testen. Darunter war auch die Arsenverbindung Rudolf Geigy, ein leidenschaftlicher Erforscher der Schlafkrankheit, im Labor in Ifakara, Tansania 11 Freyvogel: Rudolf Geigy hat diese Entwicklung in seiner Rede als Universitätsrektor schon 1962 vorausgeahnt – nur damals hat das noch gar niemand verstanden, weil er den Leuten weit voraus war. Von links: Ernst Heusser (Architekt), Leo Jenni, Reto Brun und Rudolf Geigy (1971 in Tororo, Uganda). Melarsoprol, das heute einen sehr schlechten Ruf hat, das aber seinerzeit das beste und einzige Medikament gegen die Schlafkrankheit war. Tanner: Aufgrund unserer Entdeckungen, konnten in den 90er Jahren eine Serie von Arbeiten zu Stoffwechsel fragen und besserer Dosierung durchgeführt werden. Nach der Jahrtausendwende wurde das Medikamenten- Screening stark ausgebaut, was wiederum die Suche nach neuen Molekülen stimuliert hat. Von Vorteil war dabei, dass wir hier am Institut ganz unterschiedliche Tropenkrankheiten im Visier haben, so dass bei der Medikamentensuche immer wieder unerwartete Querverbindungen entstanden sind. Jenni: Auch die Überträger der Krankheit, die Tsetsefliegen, waren immer wieder Gegenstand der Forschung. Beispielsweise stechen mit Trypanosomen infizierte Glossinen wie wild. Wir konnten zeigen, dass eine solche Fliege innerhalb von wenigen Minuten sechs verschiedene Mäuse infizieren kann. Dann haben wir zusammen mit englischen Kollegen festgestellt, dass die Sensillen solcher Fliegen voller Trypanosomen waren. Das Stechverhalten der Tsetsefliegen wird also massiv durch die Parasiten beeinflusst. Tanner: Das Problem ist die herdförmige Verteilung der Tsetsefliege. Dazu kommen die Heterogenität der Reservoir-Tiere und die Wanderungen von Tieren und Menschen. Entlang dieser Migrationsströme kann man nämlich eine hochinteressante Evolutionsbiologie verfolgen. Das ist heute, zu einem Zeitpunkt wo die ganze Welt unterwegs ist, wieder topaktuell. Brun: Um die Häufigkeit des Erregers im Überträger zu bestimmen, haben wir über 13000 Tsetsefliegen seziert. Der Befall mit Trypanosomen lag aber im Promillebereich. Allerdings hatten wir anfangs der 70er Jahre noch keine so feinen Nachweismethoden wie heute. Jenni: Das ist ein wichtiger Punkt. Mit den Fortschritten in der Biochemie, Molekularbiologie, Molekulargenetik und Immunologie verbesserten sich die Nachweise. Für die Zukunft dieser Kinder dürfen die Anstrengungen bei der Bekämpfung der Schlafkrankheit nicht nachlassen 12 Auf der Suche nach Warzenschweinen mussten auch ungewöhnliche Wege begangen werden. Wie sind die Perspektiven bei der Bekämpfung der Schlafkrankheit? Tanner: Das Thema «neglected diseases» ist auch heute noch sehr aktuell. Wichtig ist die historische Betrachtung: Mit dem Zusammenbruch der kolonialen Strukturen hat sich die Schlafkrankheit wieder massiv ausgebreitet. Auch wenn die Neuinfektionen heute wieder bis auf 10 000 Fälle pro Jahr heruntergedrückt werden konnten, wäre es fatal zu meinen, das Problem sei unter Kontrolle. Für Schlafkrankheit und andere durch Einzeller verursachte Infektionskrankheiten brauchen wir neue Medikamente. Brun: Ich bin der Meinung, dass die Schlafkrankheit in Zukunft eliminiert werden kann, so dass sie praktisch keine Bedeutung mehr hat. Eliminieren heisst aber nicht ausrotten. Das ist wegen der vielen Reservoir-Tiere gar nicht möglich. Notwendig wäre aber eine bessere D iagnostik, bessere Medikamente und eine konsequente Bekämpfung der Tsetsefliegen. Dabei sollten alle an einem Strang ziehen. Schon seit den 90er Jahren pflegen wir deshalb eine intensive Zusammenarbeit mit nationalen afrikanischen Instituten der betroffenen Länder. Schon für Rudolf Geigy war diese Einbindung entscheidend... Tanner: Als Rudolf Geigy nach Tansania gegangen ist, hat er sich immer auch mit den Menschen beschäftigt, nicht nur mit den Tsetsefliegen oder den Trypanosomen. Viele seiner Arbeiten zu den Initiationsriten der Bevölkerung haben gar nichts mit Krankheiten zu tun. Sein Spitzname war übrigens «Bwana Ngiri», was Warzenschwein bedeutet. Wie kam er zu diesem Namen? Freyvogel: Rudolf Geigy hat sich 1954 mit der Frage beschäftigt, ob Warzensäue Reservoir-Tiere für Borrelien sind, die das afrikanische Rückfallfieber auslösen. Er ist damals über sechs Wochen in den Busch gefahren und hat mit afrikanischen Jägern Warzenschweine gesucht und gejagt. Wir waren also unterwegs als unser afrikanischer Begleiter zu einem Termitenhügel lief und aufgeregt rief, drin im Termitenhügel habe es junge Warzenschweine. Nach zwei vergeblichen Versuchen unserer Helfer die Tiere aufzuspüren, wollte niemand mehr in das dunkle Loch kriechen. Also bin eben ich selbst Kopf voraus, Taschenlampe mit ausgestrecktem Arm, in den Bau gekrochen. Tatsächlich entdeckte ich diese Tiere. Nachdem man mich dann wieder an den Beinen herausgezogen hatte, gruben wir den Hügel auf und holten drei junge Warzenschweine heraus. Aus dieser Zeit stammte Geigys Name «Bwana Ngiri». Mich nannte man «Ndege Huru», das ist die wörtliche Übersetzung von Freyvogel. Marcel Tanner hiess «Bwana Kongoni», die Kuhantilope und Leo Jenni «Bwana Kesho». Die Teilnehmer des Round Table Alle Teilnehmer waren in der Trypanosomiasen Forschung engagiert und arbeiteten im Labor oder im Feld, inspiriert und gefördert von Rudolf Geigy. Prof. Dr. Thierry Freyvogel war von 1972–1987 Direktor des Schweizerischen Tropeninstituts und damit Nachfolger von Prof. Rudolf Geigy. Prof. Dr. Marcel Tanner ist seit 1997 Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts (Swiss TPH) in Basel. Prof. Dr. Reto Brun leitet die Abteilung Parasitäre Chemotherapie am Swiss TPH, dem er seit 1976 angehört. Prof Dr. Leo Jenni ehemals Vizedirektor am Swiss TPH war ab 1992–2002 Leiter des MGU (MenschGesellschaft-Umwelt) Koordinationsstelle an der Universität Basel 13 Das Klima im alten Ägypten war weitaus feuchter und damit lebensfreundlicher für die Tsetsefliege. Relief aus dem Grab des Nefer und seines Vaters Ka-hay, Sakkara, 5. Dynastie, 2425 – 2400 v. Chr. «Und es traf ihn die Schlafsucht» Frühe Berichte aus Ägypten oder von arabischen Historikern aus Schwarzafrika zeigen, welchen dramatischen Einfluss die Schlafkrankheit auf Mensch und Tier schon in der Vergangenheit hatte. Nagana im alten Ägypten Die in ägyptischen Gräbern vorgefundenen Malereien und Reliefs weisen darauf hin, dass die Flora und Fauna des Niltals im Alten Reich eine ganz andere war als heute. An der gesamten Küste Nordafrikas wuchs eine wesentlich üppigere Vegetation, ausgedehnte Sümpfe mit Krokodilen und Nilpferden waren keine Seltenheit. Man ist sich sicher, dass dieses Klima den Tsetsefliegen und mit ihnen Trypanosomen ermöglichte, bis nach Nordafrika vorzudringen. Auch über den Haustierbestand geben die Zeichnungen Auskunft: Zahme Rinder wurden zusammen mit Wildtieren wie Büffeln, Gazellen, Antilopen, Wildschafen und Steinböcken abgebildet und offenbar auch gehalten. Die Dominanz der seuchenunanfälligen Wildtiere könnte mit der von der Tsetsefliege übertragenen Nagana-Seuche zu tun haben. Tatsächlich veränderte sich ab dem mittleren Reich (2100 – 1800 v. Chr.) mit der zunehmenden Trockenheit und dem dadurch zwangsläufigen Rückzug der Tsetsefliege auch der Viehbestand. Nicht mehr die seuchenfesteren schwarzen Büffel prägten die Malereien der Gräber, sondern die immer heller werdenden Kreuzungen mit den weissen Zeburindern. Trotzdem hatten die Ägypter offenbar auch noch im 2. Jahrtausend v. Ch. mit der Rinderseuche zu kämpfen. Ein Text eines «Veterinärpapyrus» aus dieser Zeit beschreibt nämlich die Symptome an Nagana leidenden Viehs aussergewöhnlich genau: «es ist benommen», «es brüllt nicht» (Apathie) «wenn das Fell an seinen Schläfen struppig ist» (Struppiges Fell), «wenn seine Augen triefen» (tränende Augen), «wenn sein Magen stöhnt» (Durchfall). 14 Auch die vielen Misserfolge bei der Zucht von Pferden, die ab 1700 v. Ch. in Ägypten eingeführt worden waren, wird mit der Trypanosomen-Infektion durch Tsetsefliegen in Zusammenhang gebracht. Dazu passen mehrere Beschreibungen aus dem Alten Testament (2. Mose 8 und 9), nach denen «die Häuser der Ägypter» voller «Stechfliegen» seien. «Kaum mehr bei Besinnung» Auch die Araber machten ihre Erfahrungen mit der todbringenden Schlafkrankheit. Als der arabische Feldherr Mûsa ibn Nassair Anfang des 8. Jahrhunderts von Nord afrika durch die Sahara nach Süden zog und in die gesuchte Messingstadt einrückte, war er fassungslos. «Sie sahen Türhüter, Diener, Kammerherren und Hauptleute, die dort allesamt tot auf seidenen Pfühlen lagen. ... an e inem grossen Marktplatz standen die Läden offen, die Waren hingen da, die Messinggeräte waren aufgereiht, und die Speicher waren voll von Waren aller Art. Sie sahen auch die Kaufleute, aber sie sassen tot in ihren Läden, ihre Haut war eingeschrumpft.» Auch aus dem Spätmittelalter existieren mehrere Berichte über diese Heimsuchung. Aus dem Jahre 1373 berichtet der arabische Historiker Ibn Chaldun, dass der Sultan von Mali in der sagenhaften Stadt Timbuktu an der Schlafkrankheit gestorben sei: «Und es traf ihn die Schlafsucht; das ist eine Krankheit, welche die Bewohner dieser Gegend sehr häufig befällt... Den Kranken überkommt dabei die Bewusstlosigkeit des Schlafes zu allen möglichen Tageszeiten, bis er überhaupt kaum mehr zur Besinnung erwacht und man ihn nur für kurze Augenblicke wachrütteln kann. Das Leiden schwächt ihn und führt schliesslich zum Tode.» «Lethargische Sklaven» Ohne die Tsetsefliege und die Nagana bei Huftieren wäre die Kolonialgeschichte von Zentralafrika wohl anders verlaufen. Während sich die Spanier bei ihren Eroberungen in Mittel- und Südamerika stets auf das Pferd verlassen konnten, fiel es in Afrika südlich der Sahara komplett aus. Goldgeblendete Expeditionen der Portugiesen im 16. und 17. Jahrhundert am unteren Sambesi scheiterten – nicht zuletzt wegen des auf Trypanosomen zurückzuführenden Verlustes der Pferde. Mit dem Aufkommen des Sklavenhandels wurden die Europäer aus anderer Richtung mit der Schlafkrankheit konfrontiert. Viele Sklaven wurden nämlich krank, bevor sie weiterverkauft werden konnten und bescherten den Händlern hohe «wirtschaftliche Verluste». Daher wollte man der unheimlichen «Schlafsucht» näher auf den Grund gehen. Der englische Schiffsarzt John Atkins beschreibt in einem 1734 erschienenen Buch, wie er 1721 in Guinea unter den angebotenen Sklaven eine «sleeping distemper» beobachtete. Dabei schildert er, wie die Betroffenen nach dem Aussetzen des Appetits ein tiefes Schlafbedürfnis verspürten. Auch das körperliche Empfinden ging zurück. «Wenn man die Kranken schlägt, so bringen sie kaum die Energie auf, sich zu bewegen. Danach ist der Schmerz schnell vergessen und sie fallen in ihre Lethargie zurück.» Manche waren zwar infiziert, wurden aber erst nach der mörderischen Überfahrt nach Amerika krank. So wurden zwischen 1806 und 1869 etwa 150 Fälle von Schlafkrankheit von den Antillen gemeldet. Den Übeltäter entdeckt Anfang des 19. Jahrhunderts beschrieb der englische Militärarzt Thomas Winterbottom die Schlafsucht aus dem westafrikanischen Staat Sierra Leone und gab ihr den Die Schlafkrankheit forderte in der Vergangenheit zahllose Opfer. Der englische Militärarzt David Bruce erforschte 1894/95 im südafrikanischen Zululand die «Tsetse-Krankheit» der Rinder. Nach ihm wurde der Erreger Trypanosoma brucei benannt. amen «Sleeping Sickness». Vor allem die Kolonial N mächte England, Frankreich, Deutschland und Belgien waren an der Erforschung der Krankheit interessiert. Der erste Bericht einer möglichen Verbindung zwischen Krankheit und Tsetsefliege kam vom Schotten David Livingstone. In seinem Reisebericht von 1857 beschreibt er die Tsetsefliege des südafrikanischen Zambezi Flusses als «giftiges Insekt für Ochsen, Pferde und Hunde». Allerdings betrachtete der Wissenschaftler die Fliege als «absolut harmlos für Menschen». Als mit David Bruce wiederum ein englischer Militärarzt 1894 einen Blutausstrich an mit Nagana infizierten Rindern untersuchte, entdeckte er als erster die mit einer Geisel versehenen Trypanosomen, die ihm zu Ehren Trypanosoma brucei benannt wurden. Allerdings war für Bruce die menschliche Schlafkrankheit zuerst dasselbe wie Nagana. In diesen Jahren kam es zu einer dramatischen Ausbreitung der Seuche. So wird geschätzt, dass ihr im Kongobecken eine halbe Million und in Uganda bis zu 300 000 Menschen zum Opfer fielen. Es war wiederum David Bruce der 1903 schliesslich die Tsetsefliege (Glossina palpalis) als den Überträger der Trypanosomiasis zweifelsfrei nachwies. In dieser Zeit hatten auch der französische Parasitologe Emile Brumpt und der Italiener Castellani auf eine Verbindung zwischen Glossinen und Schlafkrankheit hingewiesen. Auf Bitten einer britischen Firma beschäftigte sich 1906 dann der Bakteriologe R obert Koch mit der Übertragung des Erregers. Dabei stellte er fest, dass Tsetsefliegen auf Feuchtigkeit und Wälder angewiesen sind. Gleichzeitig wies er Trypanosomen im Darm und im Speichel der Fliege nach und postulierte eine zyklische Übertragung. Sie wurde 1909 von Friedrich Karl Kleine nachgewiesen. Kurz vor dem ersten Weltkrieg zeigte der Arzt Reinhold Taute in einem Selbstversuch, dass weder Trypanosomen aus Rindern noch aus Tsetse, die an infizierten Rindern gesaugt hatten, in der Lage waren, bei ihm eine Schlafkrankheit auszulösen. Damit war klar, dass Nagana und menschliche Schlafkrankheit von verschiedenen Erregern verursacht werden. Schliesslich konnte im Jahr 1927 W. D. Dye nachweisen, dass die Erkrankung von infizierten Wanderarbeitern oder Jägern in die Dörfer eingeschleppt und weiterverbreitet wurden. 15 Die Forschungsstation Ifakara liegt in Zentraltansania. Viele grundlegende Erkenntnisse zur Schlafkrankheit wurden hier gewonnen. Vom Fliegenkäscher zum Hightech-Labor Die Arbeit des Swiss TPH war von Beginn an eng mit der Erforschung der Schlafkrankheit verbunden. So ist es kein Wunder, dass in den vergangenen 60 Jahren in Basel wichtige Entdeckungen zur Haltung, Biologie, Epidemiologie, Biochemie und Bekämpfung der Krankheitserreger und deren Überträger gemacht wurden. Schon bald nach der Gründung des Schweizerischen Tropeninstituts (STI) als unabhängiges Lehr- und Forschungsinstitut im Jahre 1943, begann man sich mit der afrikanischen Schlafkrankheit zu beschäftigen. Im Juni 1945 startete eine von langer Hand vorbereitete und mit grossen Startschwierigkeiten verbundene Afrikaexpedition. Da auch ein Abstecher nach Belgisch-Kongo vorgesehen war, musste der erste Direktor des Instituts, Prof. Rudolf Geigy, noch während des Krieges in Brüssel die dafür notwendigen Genehmigungen einholen. Der erste Besuch der vierköpfigen Forschergruppe in Afrika war der «Auftakt zu einem fruchtbaren Kontakt mit der Tropenwelt und ihren wissenschaftlichen Wundern», so Geigy. Einige dieser Wunder brachten die Wissenschaftler zu Forschungszwecken im Oktober 1945 mit nach Basel. Darunter befand sich eine Kiste mit 500 lebenden Tsetsefliegen aus den Galeriewäldern des Kongo – der Beginn einer bis heute andauernden intensiven Beschäftigung mit einer schrecklichen, aber gleichzeitig faszinierenden Krankheit. Erste biologische Untersuchungen Bereits im Jahr 1947 hatte man in Basel – zumeist in Mäusen oder Ratten – eine stattliche Sammlung von unter- schiedlichen Trypanosomen aufgebaut. Zudem wurden schon bald erste Experimente zur rationelleren Zucht der Tsetsefliegen unternommen, was im Folgejahr die ersten Insektizidversuche ermöglichte. Auch auf anderem Gebiet leisteten die Basler Pionierarbeit: Stolz teilte man 1948 mit, dass ein selbst gedrehter Film über die Biologie und Aufzucht der Tsetsefliege von verschiedenen ausländischen Instituten für Lehrzwecke erworben worden war. Während einer Reihe von Expeditionen nach Ifakara, einer Stadt mit 20 000 Einwohnern im südöstlichen Tansania, wurden weitere Untersuchungen zum Verhalten verschiedener Tsetsefliegenarten durchgeführt. Dort richtete man von 1954 bis 1957 ein Feldlabor des Schweizer Tropeninstituts ein («Swiss Tropical Institute Field Laboratory»; heute «Ifakara Health Institute»). Zwar erleichterte dies die Arbeit deutlich, trotzdem mussten sich die Wissenschaftler auf allerlei Unwägbarkeiten einstellen. So schrieb der spätere Direktor des Tropeninstituts, Thierry Freyvogel, der in den 50er Jahren lange Zeit in Ifakara forschte: «… ich betätige mich zeitweilig als Wissenschaftler, als Automechaniker, als Chauffeur, als Maurerpolier, als Elektriker, als Sanitärinstallateur, als Veterinär, Jäger, Ethnologe, Zoodirektor, Fensterputzer etc.» Trotzdem ging die Forschung stetig weiter: 1958 suchten Geigy und Mitarbeiter in Ifakara im Darm und 1945 Erste Afrika-Expedition Belgisch-Kongo 1950 1. Dissertation zur Schlafkrankheit am STI 1957 Ifakara-Feldlabor 16 der 50er Jahre intensivierten die Basler ihre Forschungsanstrengungen zur Schlafkrankheit. So konnte 1959 nachgewiesen werden, dass im Gebiet des Viktoriasees Buschböcke mit für den Menschen gefährlichen Trypanosomen infiziert waren und diese Wildtiere somit ein wichtiges Reservoir für die Parasiten bildeten. Nährmedium für Trypanosomen Auf der Jagd nach Tsetsefliegen Anfang der 50er Jahre der Speicheldrüse von Tsetsefliegen nach einem «Stoff», der die Virulenz von Trypanosomen fördert. Diese Arbeiten waren der schweizerische Teil einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Yale-Universität in New Haven/ USA. Im selben Jahr war zudem ein ganz spezielles Insekt zu bewundern. Zur Weltausstellung in Brüssel wurde im Pavillon des Kongo ein viel beachtetes Riesenmodell der Tsetsefliege ausgestellt. Es zeigte das Äussere und Innere des Fliegenkörpers und war zusammen mit der Brienzer Schnitzerschule, der Westinghouse AG und dem Naturhistorischen Museum in Bern gebaut worden. Ab Ende Wenn man es nun schaffen würde, ein für den Erreger optimales Nährmedium zu entwickeln und dadurch die Parasiten unabhängig von den Tsetsefliegen zu züchten, würden sich völlig neue wissenschaftliche Perspektiven eröffnen. Dafür wurden am Tropeninstitut die Lebensbedingungen der Protozoen im Darm und der Speicheldrüse der Fliegen genau untersucht. Nachdem es unter Mitarbeit von Marianne Kauffmann gelungen war, die in der Speichel drüse der Fliege befindlichen zuckerähnlichen Substanzen zu identifizieren, wurde 1962 ein Blutnährmedium hergestellt, in dem Trypanosoma rhodesiense seine Infektiosität für Warmblüter behielt. In Fortsetzung dieser Studien wurde dann ein Jahr später in Ifakara eine bemerkenswerte Beobachtung gemacht: Die Schlafkrankheitserreger zeigten im Nährmedium eine ausgesprochene Vorliebe für das Speicheldrüsengewebe von Glossinen. Die Parasiten konzentrierten sich nicht nur um das Gewebe, sondern teilten sich dort auch aktiv. Kurze Zeit später stellte man ausserdem fest, dass bei Zugabe von geeignetem Blut Baumreiche Savannen und Galeriewälder entlang von Fliessgewässern sind Lebensraum von Tsetsefliegen. 1959 Entdeckung neuer Reservoir-Tiere 1962 Erreger behält im neuen Blutnährmedium Virulenz 1968 Forschung in Uganda 17 zuvor nicht infektiöse Parasiten wieder infektiös wurden. Eine neue Forschungsreise nach Tansania im Jahr 1966 stand ganz im Zeichen der potenziellen Reservoir-Tiere für Trypanosomen. Rudolf Geigy und seine Mitarbeiter durchstreiften über zwei Monate mit einem als Minilabor umgebauten Landrover ein grosses Gebiet in Süd-Ulanga in Tansania. Dabei konnten sie den Erreger in 12 von 35 erlegten Wildtieren nachweisen (darunter verschiedene Antilopenarten und Warzenschweine). Die daraufhin erfolgten Infektionsexperimente an Pferden, Rindern und Schafen eröffneten «höchst interessante epidemiologische Perspektiven». Völlig neue Einblicke ermöglichte dann ein neu angeschafftes Elektronenmikroskop in Basel, mit dem von Rolf Steiger erstmals alle Formen der Trypanosomen untersucht werden konnten. Der «Coat» Anfang der 70er Jahre begann eine neue Forschungsrichtung. Nachdem nämlich festgestellt worden war, dass T rypanosomen spezielle Eiweissstrukturen auf ihrer Oberfläche tragen (damals als «Coat» bezeichnet), wollte man am damaligen STI diesem Phänomen auf den Grund gehen. Man injizierte Trypanosomen infizierte Tsetsefliegen mit markierten Zucker- und Eiweissmolekülen und untersuchte anschliessend, inwieweit diese Bausteine von den Parasiten für den Aufbau der «Coats» verwendet wurden. Mitte der 70er Jahre wurde immer deutlicher, dass es sich dabei um sehr viele unterschiedliche Oberflächen-Proteine handelte – eine fundamental wichtige Erkenntnis, die erstmalig auf die hoch variablen Oberflächen-Strukturen (VSG) hindeutete. Aber nicht nur humanpathogene Erreger wurden diesbezüglich bearbeitet, auch Auslöser von Tierseuchen, wie z.B. die gefürchtete Nagana-Seuche, nahm man unter Eingang zum «Medical Assistant Training Centre», Ifakara. Ab 1961 durch Prof. Geigy und STI mit Geldern der «Basler Stiftung zur Förderung der Entwicklungsländer» aufgebaut. Heute «Tanzanian Training Centre for International Health Ifakara» die Lupe. So wurde festgestellt, dass die in den Tsetsefliegen lebenden T.-congolense-Formen ebenfalls keine einheitlichen Oberflächenproteine besitzen. «Sollte dieser Befund erhärtet werden, stünde zu erwarten, dass eine Immunisierung des Viehs gegen metazyklische Formen unmöglich wäre», so die Vermutung, die sich viele Jah- Rudolf Geigy im Gespräch mit dem ersten Präsident und «Vater der Nation», Julius K. Nyerere (1922-1999), in Ifakara, Tansania. 1970 Erste Hinweise auf Oberflächenproteine 1971 Einführung BIIT-Test 1975 Trypanosomen-Metamorphosen beobachtet 18 Parasiten steuern Überträger Reihenuntersuchungen an der Elfenbeinküste re später für Mensch und Tier leider bewahrheiten sollte. Gleichzeitig wurde immer klarer, welche Wildtiere als potenzielles Reservoir für die Krankheitserreger zu betrachten sind. Aufgrund von Tests an menschlichen Freiwilligen in Ostafrika konnte die Kuhantilope als Reservoir von T. rhodesiense erkannt werden, ein Jahr später auch Hyäne und Löwe. Gerade der Fleckenhyäne wurde in einer weiteren Erhebung in der Serengeti im Jahr 1975 eine besondere Bedeutung als Reservoir-Tier zugeschrieben. Ende der 70er Jahre erlaubte es die von einem Wiener Arzt übernommene Technik der Membran-Fütterung, Tsetsefliegen in kontrollierter Weise Blut saugen und somit eine bestimmte Anzahl von Trypanosomen aufnehmen zu lassen. Leo Jenni und Kollegen wiesen nach, dass die Parasiten im Stechrüssel der Fliege in der Lage sind, das Blutsaugeverhalten der Glossinen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Da kurioserweise der Saugakt von der Fliege gar nicht mehr wahrgenommen wird, ist sie dauernd auf der Suche nach neuen Wirten. Die Folge: Eine ungemein rasche Ausbreitung der Erreger. In dieser Zeit konnte der heutige Direktor des Swiss TPH, Marcel Tanner, zudem zeigen, dass für ein Wachstum der Blutstromform von T. brucei im Kulturmedium lebende Rinderzellen notwendig sind. Auch mehrere neue Kultivationssysteme zur Zucht verschiedener Krankheitserreger wurden entwickelt. Das so genannte SDM-79 zur Kultivierung der Insektenformen Neuer Test zur Typenunterscheidung Mediziner und Wissenschaftler, die sich mit der Schlafkrankheit beschäftigten, hatten schon lange ein Problem: Die beiden Krankheitserreger T. gambiense, verantwortlich für die westafrikanische und T. rhodesiense, Verursacher der ostafrikanischen Erkrankungsform, waren äusserlich nicht zu unterscheiden. Mit der Einführung und Verfeinerung des so genannten BIIT-Tests (Blood Incubation Infectivity Test) hatte man ab Anfang der 70er Jahre die Möglichkeit, verschiedene Formen biochemisch voneinander zu unterscheiden. Ein Meilenstein, denn Versuche mit Freiwilligen waren damit überflüssig. Auch die Kulturbedingungen für Trypanosomen konnten weiter verbessert werden. Im Jahr 1975 gelang es in Zusammenarbeit mit britischen Wissenschaftlern, im Kulturmedium die Umwandlung der Trypanosomen aus der Blutform in die Tsetsefliegenform zu beobachten. Dieses gelungene Experiment eröffnete eine Reihe weiterer Perspektiven, so dass Versuche zum Stoffwechsel von unterschiedlichen Trypanosomen-Typen angegangen werden konnten. Die in den Folgejahren immer weiter verfeinerten Nährmedien ermöglichten die Haltung und Zucht vieler unterschiedlicher Trypanosomen-Arten in verschiedenen Lebensstadien. Kontrolle von Studienergebnissen, Tanzania von T. brucei war Inhalt einer der am meisten zitierten Publikationen des Tropeninstituts. Mit der nordamerikanischen Wühlmaus, wurde ausserdem ein Labormodell für Trypanosoma-gambiense-Isolate gefunden. Erster Nachweis von Trypanosomen-Sex Die Übertragung bestimmter Trypanosomen-Isolate durch Tsetsefliegen ist eine wichtige Voraussetzung für die weitere Analyse der Erreger. Daher erhielten die Basler Forscher im Jahr 1983 aus Nairobi 6700 Glossinen-Puppen. Tatsächlich wurde festgestellt, dass die Übertragung bestimmter Trypanosomenarten nur von speziellen Tsetsefliegen-Unterarten möglich war. Zudem verdichteten 1979 – 1981 Entwicklung neuer Kulturmedien 1983 Spezifität von Trypanosomen 1985 Analyse des Trypanosomen-Chromatins 19 sich die Hinweise, dass männliche Fliegen zu deutlich höheren Infektionsraten in der Lage sind als weibliche. Auf ein überraschendes Resultat stiess ein Student während seiner Diplomarbeit. Nachdem er bestimmte Enzyme von T. gambiense und T. brucei charakterisiert hatte, liess er die Erreger einzeln und gemischt von Tsetsefliegen auf ihre Wirte übertragen. Während die Enzyme der Einzelübertragungen stabil blieben, wiesen die Enzyme der gemischten Übertragung neue Muster auf. Schlussfolgerung: Möglicherweise kam es zum Gen-Austausch zwischen den beiden Parasitenformen – ein erster Hinweis auf Sexualität der Trypanosomen in der Fliege. Diese Vermutung konnte 1985 von Bruno Betschart, Leo Jenni, Reto Brun und anderen in Zusammenarbeit mit den Universitäten Edinburgh, Cambridge und Brüssel durch Übertragungsversuche erstmals eindeutig nachgewiesen werden. Tatsächlich tauschten die Parasiten während des «Aufenthalts» in der Tsetsefliege Genmaterial aus. Überhaupt nahmen in dieser Zeit biochemische Untersuchungen einen immer breiteren Raum in der Wissenschaft ein. Ob es nun Arbeiten zu den Oberflächenproteinen, zu bestimmten Enzymmustern oder zum Chromatin (Träger der genetischen Substanz) im Zellkern der Erreger waren – mit den neuen technischen Methoden war man in der Lage, die Krankheitserreger immer weiter zu enträt- Die Struktur der DNA von Trypanosoma b. brucei. Der Massstabsbalken links oben entspricht 0,2 µm (0,0002 mm). seln und letztlich neue Angriffspunkte für Medikamente zu finden. So wurden einzelsträngige mini DNA-Ringe, wie auch aufgedehnte doppelsträngige DNA bei T. b. brucei, entdeckt (Foto). Zwei neue am STI entwickelte Testmethoden zur Medikamentenempfindlichkeit bei Blutstromformen der Erreger machten ab 1990 neue Sub stanzprüfungen möglich. Frauen beim Wasserholen. Hier droht besondere Gefahr von Tsetsefliegen gestochen zu werden (Uganda). 1985 Nachweis von Sexualität bei Trypanosomen 1988 Forschungen zu VSG-Proteinen 1991 Entwicklung von In-vitro-Assays 20 Labor in einem ländlichen Spital in Uganda STI Screening Centre Die Anfang der 90er Jahre zur Verfügung stehenden Trypanosomiasis-Medikamente erwiesen sich aus verschiedenen Gründen immer noch als unbefriedigend. Um die Entwicklung neuer Substanzen zu verbessern, wurden 1991 halbautomatische, so genannte «in vitro Assays» in Basel entwickelt. Diese Neuerung führte schliesslich zur Etablierung eines «STI Screening Centre», dem Rückgrat der Medikamentenforschung am Tropeninstitut. Auf der Basis von Fluoreszenz-Messungen war es nun möglich, neu entwickelte chemische Verbindungen auf ihre Wirksamkeit gegenüber verschiedenen Trypanosomen-Formen effektiv zu testen. Aber auch natürlichen Abwehrmechanismen war man in den 90ern auf der Spur. So existieren im menschlichen Serum Faktoren, die dabei helfen, Trypanosomen im Blut zu eliminieren. Bemerkenswerterweise zeigten sich die verschiedenen Stadien der Parasiten auch unterschiedlich angreifbar gegenüber diesen Faktoren. Denn in vielen Regionen des «Tsetsegürtels» wurden schon seit Jahrhunderten Naturheilpflanzen gegen die Schlafkrankheit eingesetzt. Unter den Hunderten am STI geprüften pflanzlichen Substanzen offenbarten sich die Flavone als die aktivsten Wirkstoffe gegen die Protozoen. Insgesamt war man Ende des Jahrtausends in Basel in der Lage, jährlich 700 bis 1000 synthetische oder nichtsynthetische Verbindungen – zumeist gegen protozoische Parasiten – zu testen. Darunter befanden sich so genannte Quinolon-Derivate (synthetische Antibiotika), Alkaloide aus tropischen Pflanzen (in Kooperation mit den Universitäten Barcelona und Würzburg) oder Substanzen zur Durchdringung der so genannten Blut-Hirnschranke. Auch gegen Trypanosoma evansi, Verursacher der gefürchteten Tierseuche Surra, die weltweit Pferde, Wasserbüffel und Kamele dahinrafft, konnten verschiedene wirksame Substanzen identifiziert werden. Resistenzen – ein zunehmendes Problem Ab Ende der 90er Jahre traten in manchen der am stärksten von der Schlafkrankheit betroffenen Ländern Resistenzen gegenüber den herkömmlichen Medikamenten (Melarso prol) auf. Während die Resistenzrate in den 30 Jahren zuvor bei 2 bis 3% gelegen hatte, schnellte sie in einigen Gegenden (z.B. in Uganda) plötzlich auf deutlich über 20%. Ähnliche Beobachtungen wurden aus Nordwest-Angola und dem südlichen Sudan berichtet. Daraufhin wurden in Angola und Uganda umfangreiche Untersuchungen durchgeführt und resistente T.-gambiense-Stämme isoliert. Die Basler Forscher vermuteten, dass Veränderungen (z.B. durch Mutationen) im Energiestoffwechsel für die Resistenz verantwortlich sein könnten. Für die betroffenen Patienten blieb als einzige medikamentöse Alternative Eflornithin, das allerdings nur gegen die westafrikanische Afrikanische Heilpflanzen im Test Durch politische Unruhen, dem daraus folgenden Zusammenbruch der staatlichen Gesundheitssysteme und dem Rückzug von Entwicklungshilfeorganisationen sowie durch das Nachlassen der Medikamentenwirksamkeit war Mitte der 90er Jahre eine dramatische Zunahme der Schlafkrankheit in Ländern wie Angola, Uganda, Kongo oder dem Sudan zu beobachten. Umso dringlicher wurde die Entwicklung neuer effektiver Medikamente. Neue Substanzen wurden jedoch nicht nur durch die Herstellung synthetischer Moleküle gesucht (z.B. Biosynthese- und Enzymhemmer, Purinanaloga, Acridin-Derivate), sondern auch in der traditionellen afrikanischen Medizin. Aufbruch zu Feldstudien in Mbongo Banza und Misay, Demokratische Republik Kongo. Gründung des STI Screening Centre 1992 Studien zum Wirkstoff Melarsoprol 1997 verbessertes 10-tägiges Melarsoprol-Schema 21 Trypanosomenform T. gambiense wirksam war und zudem in dieser Zeit vielerorts nicht mehr zur Verfügung stand. Netzwerke gegen die Schlafkrankheit Auch die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern wurde fortgesetzt. So regte man im Jahr 1993 eine Kooperation mit der «Uganda Trypanosomiasis Research Organisation» (UTRO) an. Schwerpunkt der Aktivitäten war die Unterstützung der Forschung, Training von jungen Wissenschaftlern in Afrika und die Etablierung neuer Techniken am UTRO. Um diverse Bekämpfungs-, Forschungs-, Ausbildungs- und Aufklärungsmassnahmen in den betroffenen Ländern besser durchführen und koordinieren zu können, nahm unter Beteiligung des STI (u.a. Marcel Kaiser) und der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) das « Eastern Africa Network for Trypanosomiasis» (EANETT) seine Arbeit auf. Vorteilhaft waren dabei gute Kontakte des Tropeninstituts zu Trypanosomiasis-Forschungseinrichtungen in Kenia (KETRI) und Uganda (LIRI) sowie Institutionen in Tansania und dem Sudan (TTRI). Sie alle wurden Mitglieder von EANETT. Im Laufe der folgenden Jahre (inzwischen waren auch Malawi und Sambia als Mitglieder hinzugekommen) standen primär Bemühungen um das Überleben der Patienten im Vordergrund. So wurden tausende Menschen getestet, infizierte Patienten behandelt und die Gesundheitsversorgung verbessert. Zudem kümmerte man sich in Uganda, Kenia und Tansania um die von der NaganaSeuche betroffenen Nutztiere. Parasiten-Oberfläche im Fokus Seit vor über 30 Jahren die ersten Hinweise auftauchten, dass die Oberfläche der Trypanosomen von einem schützenden Eiweissmantel umgeben sein könnte, liess dieses faszinierende Geheimnis die Basler Wissenschaftler nicht mehr los. So zeichnete sich immer deutlicher ab, wie vielfältig diese Proteine waren: Während die Wissenschaftler um Hermann Hecker Ende der 80er Jahre von etwa 20 unterschiedlichen Antigen-Typen ausgingen, entdeckte man in den Folgejahren ein Vielfaches davon. Im Jahr 1997 konnten genetisch modifizierte Trypanosomen in Tsetsefliegen übertragen werden. In Zusammenarbeit mit der Universität Bern, der Universität Osaka in Japan, dem Institut für Molekular- und Zellbiologie in Strassburg und der Yale Universität in New Haven/USA wurde am STI die Rolle spezieller Glykoproteine und die Verankerung der Proteinhülle (als möglicher medikamentöser Angriffspunkt) untersucht. Auch der Blick auf andere Blutsauger lohnte sich: Während Glossinen von Trypanosomen als «Transporter» ohne weiteres benutzt werden können, ist das bei Stomoxys calcitrans, einer anderen blutsaugenden afrikanischen Fliege, nicht möglich. Eventuell schützen antibiotisch wirksame Substanzen, die man aus dem Fliegendarm isolieren konnte, vor den Parasiten. Allerdings wehrt sich auch das Immunsystem der Tsetsefliegen, wie die Wissenschaftler um Reto Brun um 2007 herausfanden. So wird die Parasiten-Population während ihrer Wanderung durch den Fliegenkörper stark dezimiert, aber eben nicht vollständig. Auch die in Bern genetisch veränderten und in Basel gezüchteten Trypanosomen könnten vielleicht helfen, neue Angriffspunkte zu finden. Mit modernere Analysetechnik kann wesentlich effektiver nach neuen Substanzen gesucht werden. 1997 Naturstoff-Screening 22 1999 Klonierung Adenosin-Transporter 2000 EANETT – Testung aromatischer Diamidine Infizierte Tsetsefliegen-Speicheldrüse, die Trypanosomen fluoreszieren rot. Auf der Suche nach besseren Therapien Währendessen ging die Suche nach neuen Therapie- Optionen weiter. Das sich schon seit Jahrzehnten im Einsatz befindliche, wegen seiner Nebenwirkungen aber sehr problematische Melarsoprol war lange Zeit das einzige Medikament für die Behandlung von Patienten im fortgeschrittenem Stadium der Schlafkrankheit. Ein massgeblich von Christian Burri und seinem Team zwischen 1997 und 2004 entwickeltes neues Therapieschema für Patienten mit T.-b.-gambiense-Infektion sah nicht mehr die herkömmlich 25- bis 32-tägige, sondern nur noch eine 10-tägige Behandlung mit Melarsoprol vor. Dies reduzierte einerseits die Kosten und förderte andererseits die Akzeptanz unter den Betroffenen. Infolgedessen erhielt das neue Schema im Jahr 2004 die Empfehlung als Standardtherapie. Neue Studien in Uganda und Tansania zur Behandlung der ostafrikanischen Schlafkrankheit wurden 2009 abgeschlossen. Sehr hoffnungsvoll ist die Entwicklung von NECT (Nifurtimox-Eflornithin-Wirkstoffkombination). In Zusammenarbeit mit der DNDi (Drugs for Neglected Diseases Initiative) wurde festgestellt, dass die Kombination aus Nifurtimox mit Eflornithin genauso wirksam und sicher wie die Einzelkomponenten ist, aber deutlich einfacher in der Handhabung. Derzeit wird unter der Leitung des Swiss TPH im Kongo die Studie «NECTfield» durchgeführt, in die auch Kinder und schwangere Patientinnen mit Schlafkrankheit einbezogen sind. ab 2005 Zusammenarbeit DNDi Zu einem Rückschlag führte hingegen die Entwicklung eines oral einzunehmenden Medikaments, das gemeinsam mit dem «Consortium for Parasitic Drug Development» als hoffnungsvoller Kandidat zur Weiterentwicklung ausgewählt und zwischen 2001 und 2008 in klinischen Studien in Afrika getestet wurde. Wegen möglicher Schädigungen von Leber- und Nierenfunktionen mussten die Studien abgebrochen werden. Allerdings stehen heute aus der gleichen Wirkstoffgruppe (Diamidine) zwei neue Moleküle als Kandidaten zur Auswahl. In einem weiteren, gemeinsam mit der DNDi bearbeiteten Projekt wurden mehr als 600 Nitroimidazol-Verbindungen auf ihre Wirksamkeit gegenüber T. b. rhodesiense getestet. Als die hoffnungsvollste Substanz erwies sich Fexinidazol, das gegenwärtig in klinischer Prüfung steht. Derzeit werden am TPH genetische Analysen von Trypanosomen zur Erforschung der Medikamentenresistenz durchgeführt. Dies könnte zu neuen Angriffspunkten für die medikamentöse Therapie gegen die Schlafkrankheit führen. Fazit In den vergangenen 65 Jahren waren mehrere Wissenschaftlergenerationen am STI (heute Swiss TPH) in Basel sowohl den Erregern als auch den Überträgern der afrikanischen Schlafkrankheit auf der Spur. Die dabei eingesetzten technischen Mittel veränderten sich im Laufe der Jahrzehnte radikal. Während zu Beginn lediglich einfache Mikroskope und simple Tests zur Verfügung standen, kann man heute auf modernste computergestützte Technik und ein hochentwickeltes molekular- und zellbiologisches Know-how zurückgreifen. Viele der heute als selbstverständlich betrachteten Kultivierungsmethoden für die empfindlichen Parasitenstadien mussten erst in jahrelangen mühsamen Versuchen am STI entwickelt werden. Die in dieser langen Zeit erhaltenen Resultate sind Steinchen eines faszinierenden, aber noch lange nicht vollständigen Mosaiks. Alle die daran mitarbeiteten, hatten – trotz sehr unterschiedlicher Voraussetzungen – ein gemeinsames Ziel: eine der grausamsten Infektionskrankheiten in ihre Schranken zu weisen. ab 2008 Phase-III-Studie «NECT-field» ab 2009 Genomanalysen zur Resistenz 23 Klinische Studien in Angola – Christian Burri im Gespräch mit Mitarbeitern Nur Partnerschaft führt zum Erfolg Gegen Ende der 90er Jahre drohte die Produktion von Medikamenten gegen die afrikanische Schlafkrankheit ganz eingestellt zu werden. Nachdem dies durch eine internationale Anstrengung abgewendet wurde, arbeitet man heute wieder an mehreren Substanzen bzw. neuen Kombinationsstrategien. An diesen Projekten ist auch das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut mit klinischen Untersuchungen beteiligt. Ein Gespräch mit dem Pharmakologen PD Dr. Christian Burri vom Swiss TPH. Herr Dr. Burri, die Schlafkrankheit gehört schon seit Jahren zu Ihren Forschungsschwerpunkten. Woran arbeiten Sie gegenwärtig? Unsere Aktivitäten richten sich derzeit vor allem auf die Entwicklung neuer Medikamente. In Pariser Spitälern läuft gerade in Zusammenarbeit von Sanofi-Aventis und der Organisation «Drugs for Neglected Diseases initiative» die Phase-I-Prüfung von Fexinidazol. DNDi ist eine unabhängige und gemeinnützige Initiative für Medikamente gegen die so genannten vernachlässigten Krankheiten. Fexinidazol ist im Grunde genommen eine sehr alte Substanz, die eigentlich schon aussortiert wurde. Nach der «Wiederentdeckung» und erfolgreichen präklinischen Entwicklungen in den Jahren 2007 und 2008 wird das Medikament im Augenblick an gesunden Freiwilligen hinsichtlich Verträglichkeit und Pharmakokinetik erprobt. Wir werden dann zusammen mit unserem Team in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, an der weiteren Prüfung dieses Medikaments dabei sein. Das zweite Projekt sind die Substanzen aus der Klasse der Oxaborole der Firma Scynexis. Da werden momentan präklinische Studien vorbereitet. Wir wären froh, wenn auch diese Substanz relativ bald in die Phase I-Prüfung gehen könnte. Auch hier werden wir voraussichtlich an den klinischen Untersuchungen in Afrika beteiligt sein. Zudem führen wir mit «NECT-FIELD» für DNDi im 24 Kongo eine Phase-IIIb-Studie mit 630 SchlafkrankheitPatienten durch. Dabei soll die Wirksamkeit und Verträglichkeit der kürzlich entwickelten Kombination aus Nifurtimox und Eflornithin unter realen Bedingungen getestet werden. Wie sehen Ihre Aufgaben konkret aus? An einer solchen Medikamentenentwicklung sind immer sehr viele Partner beteiligt, aber die DNDi hat die Fäden in der Hand. Wir arbeiten nach dem Motto: Jeder macht das, was er am besten kann, nur dann haben wir Erfolg. Die einen sind verantwortlich für die Chemie der Substanz, die anderen für die Formulierung und die nächsten für die Produktion. Unser Part ist es, die klinischen Studien zu organisieren und durchzuführen. Wir unterstützen den Sponsor bei der Auswahl der klinischen Zentren, sorgen dafür, dass alle notwendigen Materialien vor Ort sind und die Leute richtig ausgebildet werden. Zudem organisieren wir in Zusammenarbeit mit den lokalen Partnern die Rekrutierung der Patienten und sind nicht zuletzt dafür verantwortlich, dass die Studie gemäss den geltenden Richtlinien geführt und die Daten korrekt erhoben und ausgewertet werden. Die Durchführung von Schlafkrankheitsstudien ist sehr speziell, da diese Krankheit ausschliesslich in ländlichen und zum Teil sehr abgelegenen Gebieten und auch da nur sehr punktuell vorkommt. Dies ist ganz anders als z.B. bei der Malaria, wo ganze Landstriche infiziert sind. Das hat zur Folge, dass wir sehr viele Leute screenen müssen, um genügend Teilnehmer für eine solche Studie zu finden. Aber wenn man diese Patienten zusammenzählt, kommen auch einige tausend zusammen … Die WHO hat in den 90er Jahren geschätzt dass ungefähr 100 000 Menschen pro Jahr an der Schlafkrankheit gestorben sind. Durch sehr viele konzertierte Aktionen konnte man diese Zahl glücklicherweise wieder zurückzudrängen. Was waren das für Massnahmen? Als wir 1996 in Angola mit den ersten Trials anfingen, herrschte Bürgerkrieg. Da war anfangs überhaupt kein Verständnis für die Entwicklung eines neuen Medikaments da, obwohl die Schlafkrankheit damals eine sehr akute Bedrohung darstellte. Zudem hat es 1997 kurzzeitig danach ausgesehen, dass von der Industrie die Produktion von Anti-Trypanosomen-Substanzen sogar ganz eingestellt werden könnte. Im Jahr 1998 gab es dann in Lomé, der Hauptstadt von Togo, eine Konferenz aller Staatspräsidenten der betroffenen Länder. Damals wurde deutlich, welch grosses Entwicklungsproblem die Schlafkrankheit in diesen Staaten darstellte. Daraufhin wurde dem Thema oberste Priorität und wesentlich mehr Unterstützung zugebilligt. Gleichzeitig hat sich die WHO stark engagiert und eine Interessengruppe gegründet, welche zusammen mit der «Access to Essential Medicines» Kampagne von MSF Druck auf die Indus trie ausübte, um die Produktion aufrecht zu erhalten und die Entwicklung neuer Medikamente anzustossen. Vom Schweizerischen Tropeninstitut waren Prof. Brun und ich in der Gruppe mit dabei. Und wie kam es schliesslich zum Durchbruch? Anfangs war es sehr mühsam. Ein entscheidender Faktor war meiner Ansicht nach das Engagement eines sich im Ruhestand befindlichen Topmanagers aus der Industrie. Der sprach mit den Firmen und wurde nicht als Aktivist, sondern als gleichwertiger Partner wahrgenommen. Er wusste wie die Entscheidungsprozesse funktionieren, die zur Entwicklung eines neuen Medikaments führen. Gleichzeitig wurde zufällig damit begonnen das zuvor eingestellte Eflornithin wieder zu produzieren. Allerdings nicht gegen die Schlafkrankheit, sondern gegen Hirsutismus, also gegen die übermässige Körperbehaarung bei Frauen. In dieser Zeit kam es ausserdem zu acht neuen Fällen ostafrikanischer Schlafkrankheit bei amerikanischen Touristen. Diese Leute wurden sehr schnell sehr krank. Alle diese Ereignisse fielen zusammen und haben dazu beigetragen, dass die Produktion der Anti-Schlafkrankheit-Medikamente wieder aufgenommen wurde. Wir hatten zwischen 1996 und 2000 aufgezeigt, dass es möglich ist, grössere Studien auf dem Gebiet der Schlafkrankheit gemäss den internationalen Regularien überhaupt durchzuführen. Bald darauf wurde in Angola der Krieg beendet und auch in der Demokratischen Republik Entscheidend für Erfolge im Kampf gegen die Schlafkrankheit ist internationale Kooperation und Erfahrungsaustausch 25 Gespräch zur Vorbereitung eines Eingriffes, Kikongo, Demokratische Republik Kongo Kongo stabilisierte sich die politische Situation. Das gab dem ganzen Projekt ebenfalls Auftrieb. Was ist von den neuen Medikamenten zu erwarten? Die Ergebnisse zum Wirkstoff Oxaborole sehen im Moment sehr gut aus. Da hoffen wir auf einen Durchbruch. Allerdings erfordert dies noch ein gewaltiges Stück Arbeit. So müssen die Toxikologie und mögliche Substanz anreicherungen im Körper geprüft werden, und auch hinsichtlich der Formulierung gibt es viel abzuklären. Da kann es noch Überraschungen geben. Fexinidazol ist eine Nitroimidazol-Verbindung mit eher schwierigem Substanzprofil. Da kann man zwar ein Medikament draus machen, was aber nicht einfach sein wird. Wichtig für all diese Medikamente ist die orale Verfügbarkeit. Zurzeit werden alle Patienten in relativ wenigen spezialisierten Stationen in den betroffenen Ländern behandelt. Das heisst, dass die Patienten sehr grosse Wege und Kosten auf sich nehmen müssen, um sich versorgen zu lassen. Die Schlafkrankheit führt zu starken Psychosen verschiedenster Prägung, zum Beispiel können die Menschen hochaggressiv und somit zu einer grossen Belastung der Lebensgemeinschaft werden. Damit die Behandlung auch in kleineren Zentren des örtlichen Gesundheitssystems durchgeführt werden kann, ist eine einfachere Behandlung in Zukunft sehr wichtig, Auch epidemiologisch gibt es noch enormen Forschungsbedarf. Da die Schlafkrankheit extrem lokal vorkommt, weiss man bis heute nicht genau, in welchem Umfang sie effektiv verbreitet ist. Es ist sehr, sehr schwierig hier verlässliche Aussagen zu machen. Die wahrscheinlich wichtigsten Foki, sind in Gegenden, die man derzeit gar nicht erreicht. Das sind der westliche Südsudan, Nordostkongo, gewisse Gebiete im Süden des Tschad, der Norden und Osten der Zentralafrikanischen Republik und möglicherweise auch Südwestnigeria. Entscheidend für die Bekämpfung der Schlafkrankheit ist die Zugänglichkeit der betroffenen Gegenden. Angola ist ein klassisches Beispiel. Als man während des Krieges vor einigen Jahren die Dörfer nicht erreichte, waren es noch 10 000 bis 20 000 Erkrankte. Heute haben wir im ganzen Land nur noch ungefähr 200 Fälle. In manchen Ländern wie im Sudan oder in Angola waren und sind Landminen nach Konflikten ein grosses Problem. Wird am Basler Tropeninstitut die Erforschung der Schlafkrankheit weiterhin ein zentrales Anliegen sein? Mit Sicherheit. Das wirklich Aussergewöhnliche an unserem Institut ist die Breite, in der man hier arbeitet. Das geht von der Epidemiologie, Parasitologie, Zellbiologie, Molekularbiologie, Pharmakologie bis in die Bioinformatik und natürlich auch in die GesundheitssystemForschung. Der grosse Vorteil ist die hohe Kompetenz an einem Standort. Der Parasitologe bekommt sofort vom Epidemiologen profunde Auskunft über die aktuelle Verbreitung der Trypanosomen oder Tsetsefliegen in einer ganz bestimmen Region in Afrika. Der Molekularbiologe zeigt dem Pharmakologen mögliche Schwachstellen und damit Angriffspunkte auf der Oberfläche des Erregers. Wir haben auch das Know-how Trypanosomen zu halten, wozu nur ganz wenige Labors in der Lage sind. Da müssen Temperatur, Belüftung, CO2-Gehalt und Nährmedium perfekt stimmen. Mein persönliches Interesse für Trypanosomen ist immer noch riesig. Es ist eben eine aussergewöhnliche Krankheit mit einem verrückten Erreger und einem verrückten Überträger. Wo besteht in Zukunft noch Forschungsbedarf ? PD Dr. Christian Burri Ganz sicher auf Seiten der Diagnostik. Heute müssen wir diagnostisch zwischen dem ersten und zweiten Stadium der Krankheit unterscheiden. Das erfahren wir über eine sehr problematische Lumbalpunktion am Lendenwirbel. Die Therapie richtet sich dann nach dem jeweiligen Stadium. Da wäre ein Schnelltest dringend notwendig. Noch besser wäre es, ein Medikament zu finden, welches gleich für beide Stadien der Schlafkrankheit eingesetzt werden kann. Dann wären wir eine grosse Sorge los. ist Leiter des Department of Medicines Research am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut. Der Pharmakologe ist seit langem an der Erforschung der afrikanischen Schlafkrankheit beteiligt und war unter anderem Studiendirektor für klinische Untersuchungen der afrikanischen Trypanosomiasis der University of North Carolina (unterstützt von der Bill & Melinda Gates Foundation). 26 Typische Symptome der Schlafkrankeit sind Fieber, Lymphknotenschwellungen, Müdigkeit, Gewichtsverlust und Apathie, Demokratische Republik Kongo Keine Chance ohne Behandlung Kaum eine Infektionskrankheit führt unbehandelt so sicher zum Tod, wie die Schlafkrankheit. Umso notwendiger ist die rechtzeitige Behandlung mit Medikamenten. Allerdings sind deren Nebenwirkungen gefürchtet. Bereits wenige Tage nach dem Stich kann bei einem Teil der Infizierten um die Einstichstelle eine bis zu Handteller grosse, entzündliche Schwellung auftreten. In diesem so genannten Trypanosomenschanker vermehren sich die Erreger, um sich dann über das Lymph- und Blutsystem im gesamten Körper auszubreiten. In dieser als Stadium 1 bezeichneten Phase leiden die Patienten unter teilweise wellenartigem hohem Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Juckreiz, Schwellungen im Gesicht sowie Müdigkeit. Typisch sind auch starke Schwellungen der Lymphknoten, wobei diese speziell bei der westafrikanischen Trypanosomiasis im Bereich des hinteren Halses oft gut tastbar sind («Winterbottom-Zeichen»). Allerdings treten die Symptome gerade bei T.-b.-gambiense-Infektionen in dieser ersten Phase bisweilen nur leicht oder überhaupt nicht auf. Bei der ostafrikanischen Form der Schlafkrankheit (T. b. rhodesiense) machen sich die Beschwerden hingegen schneller und deutlich stärker bemerkbar, zumal sie dort häufig mit schweren Entzündungen der Gefässe und des Herzens verbunden sind. Nicht selten sterben solche Patienten an Herzversagen, noch bevor Nerven und Gehirn in Mitleidenschaft gezogen werden. Im zweiten Stadium der Erkrankung wird dann das Nervensystem angegriffen. Während der Erregerübertritt ins zentrale Nervengewebe bei Rhodesiense-Infektionen schon nach wenigen Wochen erreicht sein kann, dauert dies bei der westafrikanischen Form Monate oder sogar Jahre. Typisch sind Schlafstörungen, Verwirrtheitszustände, Persönlichkeitsveränderungen und schnelle Ermüdung. Dazu kommen Koordinationsprobleme, Krampfanfälle, Apathie und Gewichtsverlust. Im Endstadium fallen die Patienten in völlige Apathie und einen kontinuierlichen Dämmerzustand. Ohne eine rechtzeitige Behandlung führen beide Formen der Schlafkrankheit immer zum Tod. Diagnose nicht immer einfach Während bei der westafrikanischen Form die Erkrankung häufig erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt wird, geschieht das bei der ostafrikanischen Form wegen der stärkeren Symptome in der Regel früher. Als bester Erregernachweis gilt nach wie vor die mikroskopische Blutuntersuchung («dicker Tropfen»). Da der direkte Nachweis vor allem bei T. b. gambiense fehlschlagen kann, wird über verschiedene Anreicherungstechniken (z.B. Zentrifugation) die Wahrscheinlichkeit eines positiven Befunds erhöht. Auch Proben aus Lymphknoten können hinzugezogen werden. Ist ein solcher Nachweis erbracht, wird über eine Lumbalpunktion im Bereich der Lendenwirbel das Krankheitstadium bestimmt. Zudem können immundiagnostische Verfahren eingesetzt werden. Medikamente mit Nebenwirkungen Für die Behandlung der Schlafkrankheit stehen derzeit nur sehr wenige und teilweise recht problematische Medikamente zur Verfügung. Im ersten Krankheitsstadium wird in der Regel bei einer Infektion mit T. b. rhodesiense mit Suramin ein Medikament eingesetzt, das schon seit den 1920er-Jahren gegen Trypanosomen verwendet wird. Als Nebenwirkungen sind u.a. Fieber, Übelkeit, Juckreiz, Durchfall, Entzündungen der Mundschleimhaut und vor allem Nierentoxizität bekannt. Bei Infektionen mit 27 1850 1860 1870 1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 Fowler`s Lösung KH2AsO3 2020 As203 Natriumarsenit NaAsO2 Atoxyl Salvarsan Tryparsamid Arsenhaltige Medikamente Mel-Ox. Mel-Ox. = Melarsenoxid Melarsoprol Aniline Nag. R. Tryp. R. Aniline (Farbstoffe) Nag. R. = Nagana Red . Tryp. R. = Trypan Red Tryp. B. = Trypan Blue . Afr. V. = Afridol Violet Tryp. B. Afr. V. Suramin Synthalin St.bam. Diamidine St. Bam = Stilbamidin «Stickstoff-Verbindungen» Fexinid = Fexinidazol Andere Verbindungen Pentamidin DB75 DB289 CPD-0802 Nifurtimox NECT Fexinid. Eflomithin NECT SCYX-6759 Aus den unterschiedlichsten Stoffgruppen wurden über viele Jahre Medikamente gegen die Schlafkrankheit entwickelt. T. b. gambiense kommt hingegen im ersten Stadium der Erkrankung Pentamidin zum Einsatz. Auch hier ist mit einer grossen Palette von Nebenwirkungen zu rechnen. Haben im zweiten Stadium die Parasiten das Nerven- und Hirngewebe erreicht, blieb lange oftmals nur noch Melarsoprol, das an zehn aufeinander folgenden Tagen injiziert wird. Dabei können Übelkeit, Durchfall, Hautentzündungen, Lyell-Syndrom (blasige Hautablösungen), aber auch Leber-, Nieren- und Herzstörungen auftreten. In zwei bis zehn Prozent der Fälle treten oft tödlich verlaufende Gehirnerkrankungen auf. Auch die immer mehr zu beobachtenden Rückfälle machen in manchen Gegenden Sorgen. Zur Behandlung von T. b. gambiense im Spätstadium (aber nicht von T. b. rhodesiense) kommt Eflornithin in Blaue und schwarze Farben wirken auf Tsetsefliegen anziehend und werden als Lockfallen eingesetzt, Demokratische Republik Kongo 28 Frage, dass seit einigen Jahren vielerorts als Therapie der ersten Wahl gilt. Als Nebenwirkungen wurden Blut- und Leukozytenarmut sowie Durchfall beobachtet. Die Kombination mit Nifurtimox («NECT», siehe Seite 23 und 24) weckt derzeit grosse Hoffnungen. Auch der von der DNDi entwickelte Wirkstoff Fexinidazol zeigt bislang viel versprechende Resultate. Tatsächlich sind solche neuen Medikamente dringend erforderlich: Gegenwärtig versterben immer noch etwa 1,5% der Erkrankten aufgrund von Nebenwirkungen oder unzureichender Wirkung der Behandlung. Gift und sterile Männchen Eines der wichtigsten Ziele bleibt die Bekämpfung des Krankheitsüberträgers, der Tsetsefliege. Synthetische Pyrethroide ersetzen heute bei der chemischen Tsetsefliegenbekämpfung das früher verwendete DDT. Sie werden meist mit Flugzeugen versprüht. Deutlich billiger, aber ebenfalls effektiv sind insektizidbehandelte blaue oder schwarze Stoffe, die den Fliegen als beliebtes Anflugsziel dienen. Durch spezielle Düfte kann die Anziehung der Fallen noch gesteigert werden. Seit einigen Jahren kommen auch biologische Methoden zum Einsatz. Da sich Tsetsefliegen-Weibchen normalerweise nur einmal in ihrem Leben paaren, bedeutet ein durch radioaktive Strahlung unfruchtbares Männchen eine reproduktive Sackgasse. Dadurch verringert sich der Bestand. So konnten schon kleinere Inseln von Tsetsefliegen befreit werden. Schlaglichter aktueller Forschung Im Rahmen eines Symposiums über die afrikanische Schlafkrankheit trafen sich Ende 2010 führende Fachleute zum Erfahrungsaustausch am Swiss TPH in Basel. Dabei wurden neue und alte Strategien zur Entwicklung und Anwendung von Medikamenten diskutiert. Die Bekämpfung der Schlafkrankheit hat in den letzten 10 Jahren beachtliche Fortschritte gemacht. Wichtige Faktoren für den Rückgang an Neuerkrankungen waren neben günstigeren politischen Bedingungen (z. B. dem Ende von Bürgerkriegen) auch die Entwicklung und der Einsatz effektiver Medikamente und neuer Diagnosetechniken. Noch immer bleiben jedoch grosse Lücken bei der flächendeckenden Kontrolle der Erkrankung, die tatsächliche Zahl der Patienten dürfte vier mal über derjenigen der diagnostizierten Fälle liegen. Ziel: Einfache Diagnose Wo liegen die Schwachstellen bei der Diagnose der Schlafkrankheit? Für Dr. François Chappuis aus Genf sollten die unterschiedlichen Diagnoseschritte vor Ort mit einfachen Mitteln durchgeführt werden können. Dazu gehören z.B. serologische CATT-Untersuchungen, die weniger temperaturempfindlich sind oder neuartige Antikörper-Tests (LFT) auf Peptid-Basis. Die Chancen, die Schlafkrankheit weiter zurückzudrängen stehen insgesamt so gut wie nie, erklärte der Genfer Tropenmediziner und Kardiologe. Sie dürfen nicht wieder leichtfertig verspielt werden. Neue Angriffsziele Wo sollten neue Medikamente ansetzen? Trypanosomen können nur funktionieren, wenn eine ganze Reihe biochemischer Prozesse in der Zelle korrekt ablaufen. Einige dieser Vorgänge bzw. Strukturen könnten mögliche Ziele einer therapeutischen Intervention gegen die Schlafkrankheit werden. Typisch für Trypanosomen sind membranumschlossene Zellorganellen, die Glykosomen. Die darin enthaltenen Enzyme spalten unter Energiegewinnung Zucker. Nun hat man festgestellt, dass eine fehlerhafte Enzymfunktion zur Erhöhung der Glukosekonzentration und zum Absterben der in diese Richtung extrem empfindlich reagierenden Trypanosomen führt. «Das ist faszinierend: Krankheitserreger werden mit harmlosem Zucker getötet», erklärte Prof. Pascal Mäser vom Swiss TPH bei seinem Vortrag. Auch die nur bei Trypanosomen vorkommende RNA-Ligase steht im Fokus der Forschung. Würde es gelingen, ihre Funktion zu stören, könnten bestimmte Proteine der Energie-liefernden Mitochondrien nicht mehr hergestellt werden. Das Ende des Parasiten wäre eingeläutet. Ein weiterer Ansatzpunkt: Die Erreger können bestimmte Bausteine, die so genannten Purine, selbst nicht herstellen. Um nun die lebensnotwendigen «Zutaten» von aussen in die Zelle zu schleusen, müssen spezielle Purintransporter eingesetzt werden. Die Hoffnung der Wissenschaftler ist es nun mittels dieses Transporters neben den erwünschten Bausteinen auch toxische Substanzen – als eine Art «trojanisches Pferd» – mit in die Zelle zu schmuggeln. Medikamente aus Naturstoffen Auch in der hohen Biodiversität Afrikas liegt ein grosses Potenzial, um neue Medikamente zu entwickeln, erklärte Prof. Dr. Kelly Chibale aus Südafrika. So wurden in zwei Reihenuntersuchungen 2000 ausgewählte Verbindungen identifiziert, die alle in Naturstoffen vorkommen. Aus den erfolgversprechendsten «Hits» sollen synthetische Analoga hergestellt werden. Sie werden in verschiedenen Arbeitsbereichen, den so genannten «Plattformen», weiteren Prüfungen unterzogen. Dazu gehört die Identifikation der im Körper hergestellten Metaboliten (Zwischenprodukte des Stoffwechsels), «in Silico»-Berechnungen 29 (computergestützte Simulation von biochemischen Prozessen) oder die biochemisch Aufklärung von DNAProtein-Interaktionen. So kann jede der unterschiedlich spezialisierten Arbeitsgruppen ihren Teil zur Aufklärung bestimmter Verbindungen beitragen. Effektives Hochdurchsatz-Screening Wie pickt man aus einem schier unendlichen Pool von Molekülen die optimale Substanz heraus, die dann zum erfolgreichen Wirkstoff wird? Der Weg von den sehr zeitraubenden Tests mit Reagenzglas-Kultivierungen der Trypanosomen in der Vergangenheit bis zu modernen systematischen Testverfahren (Screenings) war lange. Nachdem die Haltung der Parasiten in den Anfangsjahren der Erforschung der Schlafkrankheit nur in lebenden Tieren möglich war, wurde bereits 1904 ein Blut-Agar-System zur Kultivierung etabliert. Auch die 1948 unter Zusatz von Glycerol eher durch Zufall entdeckte Methode zur Kältekonservierung (Kryopräservation) war ein weiterer wichtiger Schritt. Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre wurden am STI die «feeder layer»-Systeme eingeführt, die embryonale Säugetierzellen (Fibroblasten) enthielten und das Wachstum der Blutstromformen der Parasiten förderten. Im Jahr 1987 kamen dann die ersten ScreeningExperimente mit Melarsoprol-Verbindungen hinzu. Indem man die Trypanosomen mit Fluoreszenzfarbstoffen markierte, konnten die Überlebensraten der Erreger bestimmt werden. Heute ist eine ganze Reihe weiterer moderner Methoden etabliert. Trotzdem, so Prof. Dr. Reto Brun vom Swiss TPH, seien in Zukunft noch effektivere Hochdurchsatz-Screenings, noch kürzere Durchläufe, gerichtete Gen-Expressionen und der gleichzeitige Test mehrere unterschiedlicher Substanzen wünschenswert. Neue Angriffspunkte für eine alte Krankheit? Im Vergleich zu Bakterien ist es bei protozoischen Krankheitserregern (Einzellern) ungleich schwerer spezifische Angriffspunkte zu finden. Grund: Die Protozoen sind ihren menschlichen Wirten biochemisch und auch genetisch in vielen Bereichen sehr ähnlich. Daher wäre ein Angriff auf Parasitenzellen möglicherweise auch ein Angriff auf menschliche Zellen. Allerdings könnten solche Ähnlichkeiten auch von Nutzen sein, so Prof. Dr. Thomas Seebeck aus Bern. Bei bereits entdeckten Enzymen und biochemischen Strukturen sei es nämlich einfacher, Forschungs beteiligungen zu finden als für gänzlich Unbekanntes. So kennt man innerhalb der Phosphodisterasen eine Klasse spezifischer Enzyme (PDE Klasse 1), die sowohl beim Menschen als auch bei Trypanosomen eine wichtige Rolle bei der Spaltung bestimmter Verbindungen spielt. Durch intensive Forschung wurde der genetische Hintergrund von mehreren PDE-Subtypen innerhalb dieser Klasse bei 30 Bei der Behandlung mit Melarsoprol, Uganda 2001 T. brucei untersucht. Nun existiert in den Zellen ein natürlicher Mechanismus (RNA-Interferenz), der in der Lage ist, bestimmte Gene zielgerichtet abzuschalten. Wird dieser Mechanismus gegen die beschriebenen Enzyme der Trypanosomen gerichtet, kommt es zum schnellen Tod von Blutstromformen im Reagenzglas. Aber auch «in vivo», nämlich an Mäusen, die mit T. brucei infiziert sind, ist bereits wenige Stunden nach der Ausschaltung dieser Enzyme mittels eines Toxins eine extreme Reduktion der Parasiten im Blut zu beobachten. Derzeit wird geprüft, ob eine neue Generation von solchen PDE-Hemmern gegen die Schlafkrankheit entwickelt werden kann. Fortschritte durch Kombinationstherapie Melarsoprol war über 60 Jahre das am häufigsten verabreichte Medikament. Es ist verantwortlich für schwerwiegende Nebenwirkungen. Mit Eflornithin und Nifurtimox standen dann zwei Subtanzen zur Verfügung, die bei begrenzter Wirksamkeit, ebenfalls mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden waren. Überraschenderweise erwies sich die Kombination beider Medikamente (NECT = Nifurtimox-Eflornithin Combination Treatment) in zwei kleinen französischen Pilotstudien in Uganda als nicht nur wirksam, sondern auch als «akzeptabel verträglich». Diese Resultate wurden in den Folgejahren – unter Beteiligung des Swiss TPH und von der DNDi finanziert – in einer kontrollierten Phase III-Studie in der Demo kratischen Republik Kongo bestätigt. NECT zeigte sich mit einer Heilungsrate von über 95% wirksamer als Eflornithin alleine. Zudem wies es nur etwa halb so viele schwere unerwünschte Nebenwirkungen auf (z.B. Infektionen, Durchfallerkrankungen oder Fieber). Gegenwärtig läuft unter Einbezug Schwangerer, Kinder und älterer Patienten unter der Federführung des Swiss TPH eine Phase IIIb-Studie («NECT-FIELD»). Erste Zwischenanalysen weisen auf sehr ermutigende Ergebnisse, erklärte Dr. Christian Burri vom Swiss TPH. Die Kombinationsbehandlung könne als ein Durchbruch bezeichnet werden. Die Auswahl präklinischer Substanzen Nach welchen Kriterien entscheidet man sich nun für die Weiterentwicklung eines bestimmten Wirkstoffs? Die internationale Non-Profit-Organisation «Drugs for Neglected Diseases Initiative» (DNDi) hat Regeln festgelegt (TPP), nach denen in einer Abfolge von Auswahl- und Optimierungsverfahren am Ende der aussichtsreichste (=wirksamste und verträglichste) Wirkstoffkandidat ermittelt wird. Dazu gehört ein breites Screening, eine Auswahl geeigneter Kandidaten, die chemische Optimierung einer Substanz sowie die pharmakologische und toxikologische Prüfung. Erst danach kann das eigentliche klinische Prüfungsverfahren beginnen (Phase I bis IV). Wichtig sei es, so Dr. Robert Don, Direktor des HATEntwicklungsprogramms bei der DNDi in Genf, von Beginn an im Kopf zu behalten, was am Ende von einem Medikament erwartet wird. Im Falle der Schlafkrankheit wären für eine solche Subtanz folgende Eigenschaften wünschenswert: Wirksamkeit in den Krankheitsstadien I und II, eine möglichst breite Anwendbarkeit, eine klinische Effektivität von über 95%, eine medikamentenverursachte Todesrate von weniger als 0,1%, Sicherheit auch für Schwangere und Kinder, leichte Anwendbarkeit, ein langes Verfallsdatum und geringe Kosten. Um wertvolle Rückmeldungen aus der Praxis zu erhalten, sollten auch Institutionen und Patienten in den betroffenen Staaten von Anfang an eingebunden werden. SCYX-7158 – ein Wirkstoff mit Potenzial Schon frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass Benzoxaborole eine gute Wirksamkeit gegen T. brucei besitzen. Im Jahr 2006 wurde von der amerikanischen Firma Scynexis ein Screeningprogram mit dem Ziel begonnen, eine wirksame Substanz gegen den Erreger bei Patienten Ein hoffnungsvolles Molekül: SCYX-7158 mit fortgeschrittener Schlafkrankheit (Stadium 2) zu entwickeln. Nach der Selektionsphase im Jahr 2007 wurden zwischen 2008 und 2010 etwa 750 unterschiedliche Benzoxaborole synthetisiert, geprüft und z. T. optimiert. Die ersten Tests wiesen für diese Substanzen auf gute physiochemische Eigenschaften hinsichtlich Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung oder Eliminierung hin. Durch mehrfache Veränderungen liess sich die Wirksamkeit eines bestimmten Moleküls noch einmal deutlich erhöhen. So verblieb «SCYX-7158» gegenüber Vergleichsubstanzen wesentlich länger im Nervensystem, was zu verbesserten Heilungsraten bei infizierten Mäusen führte. Bereits 12 Stunden nach Behandlung konnten keine Trypanosomen mehr im Blut nachgewiesen werden. Derzeit wird die Toxizität und Sicherheit der Substanz an verschiedenen Tiermodellen geprüft. An den zukünftigen Medikamentenstudien der klinischen Phase wird das Swiss TPH beteiligt sein. «Dieses Molekül», so Dr. Robert T. Jacobs von der Firma Scynexis, «hat das Potenzial ein wirksames orales ‹Einmal-täglich-Medikament› zu werden.» Studien in Afrika – eine Herausforderung Obwohl zehntausende Afrikaner an der Schlafkrankheit leiden, macht es für die Durchführung von Untersuchungen enorme Schwierigkeiten, genügend Patienten zu finden. Der Grund: Die Krankheit tritt nur sehr punktuell auf. Für die Suche nach geeigneten Dörfern können nationale Gesundheitsorganisationen oder internationale Hilfsorganisationen einbezogen werden. Auch die einheimische Bevölkerung kann nach Dörfern mit rezenten Trypanosomiasis-Fällen befragt werden. Zudem geben mobile Diagnostik-Teams wertvolle Hinweise. Trotzdem kann dies sehr mühselig sein, sagte Dr. Gabriele Pohlig vom Swiss TPH. Für eine klinische Studie im Kongo mussten 30 000 Menschen gescreent werden, um 27 Erkrankte zu ermitteln. Weitere Schwierigkeit: Die für die Diagnostik notwendige Lumbalpunktion wird vielerorts mit Misstrauen betrachtet, da sie nicht nur sehr schmerzhaft, sondern mit Vorurteilen (Angst vor Impotenz) behaftet ist. Wichtig sei daher eine sehr eingehende Aufklärung und Schulung der einheimischen Bevölkerung und Helfer. Neben der Infrastruktur sind auch die medizintechnischen Voraussetzungen häufig sehr dürftig. Zudem stehen die Studienteilnehmer für langfristige Betreuungen und Nachbeobachtungen nicht zur Verfügung, da sie aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen in anderen Regionen ziehen, oder weil durch den scheinbar guten Gesundheitszustand keine Notwendigkeit für weitere Untersuchungen gesehen wird. Wegen dieser vielen Unwägbarkeiten, so Dr. Gabriele Pohlig, sei die Durchführung einer klinischen Studie zur Trypanosomiasis «eine wirkliche Herausforderung». 31 «Wir leben in einer Welt» Viele der in den ärmeren tropischen Ländern verbreiteten Infektionskrankheiten, wie die afrikanische Schlafkrankheit werden von der industrialisierten Welt noch immer zu wenig beachtet. Neue Strategien für die Entwicklung effektiver Medikamente sollen in Zukunft helfen, solche «neclected diseases» zu kontrollieren. Prof. Marcel Tanner gab Ende 2010 am Basler Symposium einen Ausblick. Die afrikanische Schlafkrankheit gehört zusammen mit anderen Infektionskrankheiten wie beispielsweise der Leishmaniose, der amerikanischen Schlafkrankheit (Chagas), aber auch Wurmerkrankungen, bakterielle und virale Infektionen zu den so genannten «necleted diseases». Diese «vernachlässigten Krankheiten» sind hauptsächlich in ärmeren tropischen Ländern verbreitet und fordern jährlich hunderttausende von Todesopfern. Vernachlässigt, weil ihnen bislang viel weniger Aufmerksamkeit gewidmet wurde als Infektionskrankheiten, die mehr die Industrieländer betreffen. Man ist dort nicht bereit die Forschungs- und Entwicklungskosten von Medikamenten zu tragen, wenn es «nur» um spezielle Krankheiten der Ärmsten geht. Dies sei eine Schande, so Prof. Marcel Tanner, Direktor des Swiss TPH, in seinem Resümee zum Trypanosomiais-Symposium in Basel. Schliesslich lebe man nicht in der ersten, zweiten oder dritten Welt, sondern in einer einzigen. Das Ziel heisst Eliminierung Obwohl in den vergangenen Jahren bei der Schlafkrankheit ein deutlicher Rückgang von Neuinfektionen zu verzeichnen war, darf man mit den Anstrengungen, diese Krankheit zu bekämpfen, jetzt nicht nachlassen. Das Ziel ist es, durch die Bekämpfung zu einer Eliminierung und vielleicht sogar zu einer Ausrottung der Trypanosomiasis zu kommen. Ob man letzteres, angesichts der vielen Reservoir-Tiere jemals schaffen wird, ist allerdings fraglich. Indem die lokalen Übertragungsmöglichkeiten unterbunden und geeignete Medikamente eingesetzt werden, kann man die Schlafkrankheit zumindest soweit zurückdrängen, dass das Risiko für die Bevölkerung minimiert wird. Ein solches Medikament sollte in beiden Krankheits stadien wirksam und leicht (=oral) einnehmbar sein. Bei 32 der Entwicklung neuer Substanzen sind jedoch immer Risiko und Nutzen abzuwägen – und zwar ohne Kompromisse hinsichtlich wissenschaftlicher Kriterien und ethischer Grundsätze, betonte Prof. Tanner. Als zukunftsträchtige Leitlinien und Prinzipien bei der Erkennung neuer therapeutischer und diagnostischer Ziele haben sich so genannte TPPs («Ziel-Produkt-Systeme») erwiesen, die das Screening neuer Substanzen viel effektiver machen. Innovationen beginnen vor Ort Auch Aspekte, wie die praktische Durchführbarkeit bestimmter Massnahmen und die Akzeptanz in der Bevölkerung sind nicht zu unterschätzende Einflussgrössen, die ebenfalls in solche Systeme einfliesen sollten. «Was nützen die grössten Anstrengungen für die Etablierung neuer Therapien, wenn Sie in der einheimischen Bevölkerung nicht akzeptiert werden?», gab Prof. Tanner zu bedenken. Nicht mehr auf den klassischen Wegen der industriellen Forschung und Entwicklung liegen die Ideen zukünftiger Strategien, «sondern die Innovation beginnt in den Dörfern vor Ort». Gleichzeitig werden auch zukünftig epidemiologische Untersuchungen eine zentrale Rolle spielen. Denn Erhebungen zur Verbreitung der Schlafkrankheit und ihres Überträgers helfen nicht nur wachsam zu bleiben und bei Bedarf sofort zu reagieren, sondern sie unterstützen die Wissenschaft auch bei der Entwicklung neuer Medikamente. In Zukunft werden Partnerschaften zwischen öffentlichen Gesundheits- und Forschungsorganisationen und privaten Hilfsorganisationen, wie z. B. der Gates Foundation oder dem Wellcome Trust immer wichtiger. Sie werden zu den Eckpfeilern einer erfolgreichen Bekämpfung der Schlafkrankheit. Die Arbeit geht weiter. Quellen Brun R & Stich A (2010) Afrikanische Trypanosomiasis oder Schlafkrankheit. In: Tropenmedizin in Klinik und Praxis: mit Reise- und Migrationsmedizin. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme, 617–629. Geigy R (1950) Beobachtungen an vier Tsetsefliegenarten während der Tropenzeit 1949 in Tanganyika. Mitt Schweizer Entomol Gesell 23, 3: 358. Geigy R (1967) Ueber Tsetsefliegen, Trypanosomen und Schlafkrankheit. Weltwoche 1747: 31–33. Jahresberichte und Biennial Reports 1946 bis 2010. Basel: Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) Regenass-Klotz M & Regenass-Klotz U (2009) Schlafkrankheit. In: Tropenkrankheiten und Molekularbiologie – Neue Horizonte. Basel: Birkhäuser, 19 – 34. Steverding D (2008) The history of African trypanosomiasis. Parasit Vectors 1: 3. Steverding D (2010) The development of drugs for treatment of sleeping sickness: a historical review. Parasit Vectors 3:15. Stich A. Steverding D (2002) Die Rückkehr einer Seuche. Biologie in unserer Zeit 32: 294–302. www.infektionsbiologie.ch/seiten/modellparasiten/seiten/trypanosoma/steckbrief_tryps.html Weber U (2002) «Bwana Ngiri»: Hommage à Rudolf Geigy:100 Jahre Rudolf Geigy. Basel: Schweizerisches Tropeninstitut, 34 p. WHO (2010) African trypanosomiasis (sleeping sickness) Fact sheet N°259. (www.who.int). Winkle S. (2011) Zur Geschichte der Trypanosomiasen – Die Nagana der Pferde und Rinder sowie die Schlafkrankheit der Menschen. http://www.collasius.org/WINKLE/04-HTML/trypanosomiasen.htm Winkle S (2005) Geisseln der Menschheit: Kulturgeschichte der Seuchen. 3. Aufl. Düsseldorf: Artemis & Winkler. Weiterführende Literatur Acosta-Serrano A, Vassella E, Liniger M, Kunz Renggli C, Brun R, Roditi I, Englund PT (2001) The surface coat of procyclic Trypanosoma brucei: programmed expression and proteolytic cleavage of procyclin in the tsetse fly. Proc Natl Acad Sci USA 98: 1513–1518. Balmer O, Beadell JS, Gibson W, Caccone A (2011) Phylogeography and taxonomy of Trypanosoma brucei. PLoS Negl Trop Dis 5: e961. Brun R & Schönenberger M (1979) Cultivation and in vitro cloning of procyclic culture forms of Trypanosoma brucei in a semi-defined medium. Acta Trop 36: 289–292. Brun R, Jenni, L, Schönenberger M. & Schell K-F (1981) In vitro cultivation of bloodstream forms of Trypanosoma brucei, T. rhodesiense and T. gambiense. J Protozool 28: 470–479. Brun R, Schumacher R, Schmid C, Kunz C & Burri, C (2001) The phenomenon of treatment failures in human African trypanosomosis. Trop Med Int Health 6: 906–914. Brun R, Blum J, Chappuis F, Burri C (2010) Human African trypanosomiasis. Lancet 375: 148–159. Burri C, Nkunku S, Merolle A, Smith, T, Blum J & Brun R (2000) A randomised controlled clinical trial of a new, concise treatment schedule for T. b. gambiense sleeping sickness with melarsoprol. Lancet 355: 1419–1425. Charman SA, Arbe-Barnes S, Bathurst IC, Brun R, Campbell M, Charman WN, Chiu FC, Chollet J, Craft JC, Creek DJ, Dong Y, Matile H, Maurer M, Morizzi J, Nguyen T, Papastogiannidis P, Scheurer C, Shackleford DM, Sriraghavan K, Stingelin L, Tang Y, Urwyler H, Wang X, White KL, Wittlin S, Zhou L, Vennerstrom JL (2011) Synthetic ozonide drug candidate OZ439 offers new hope for a single-dose cure of uncomplicated malaria. Proc Natl Acad Sci U S A 108: 4400–4405. Geigy R, Kauffmann M, Jenni L (1973) Wild mammals as reservoirs for Rhodesian sleeping sickness in the Serengeti, 1970–71. Trans R Soc Trop Med Hyg 67: 284–286. Hoet S, Opperdoes F, Brun R, Quetin-Leclercq J (2004) Natural products active against African trypanosomes: a step towards new drugs. Nat Prod Rep 21: 353–364. Jenni L, Marti S, Schweizer J, Betschart B, Le Page RW, Wells JM, Tait A, Paindavoine P, Pays E, Steinert M (1986). Hybrid formation between African trypanosomes during cyclical transmission. Nature 322: 173–175. Jenni L., Molyneux D. H., Livesey J. L., Galun R. (1980). Feeding behavour of tsetse flies infected with salivarian trypanosomes. Nature 283: 383–385. Mäser P, Sütterlin C, Kralli A, Kaminsky R (1999) A nucleoside transporter from Trypanosoma brucei involved in drug resistance. Science 285: 242–244. Maina N, Maina KJ, Mäser P, Brun R (2007) Genotypic and phenotypic characterization of Trypanosoma brucei gambiense isolates from Ibba, South Sudan, an area of high melarsoprol treatment failure rate. Acta Trop 104: 84–90. Oberle M, Balmer O, Brun R, Roditi I (2010) Bottlenecks and the maintenance of minor genotypes during the life cycle of Trypanosoma brucei. PLoS Pathog 6: e1001023. Rottmann M, McNamara C, Yeung BK, Lee MC, Zou B, Russell B, Seitz P, Plouffe DM, Dharia NV, Tan J, Cohen SB, Spencer KR, González-Páez GE, Lakshminarayana SB, Goh A, Suwanarusk R, Jegla T, Schmitt EK, Beck HP, Brun R, Nosten F, Renia L, Dartois V, Keller TH, Fidock DA, Winzeler EA, Diagana TT (2010) Spiroindolones, a potent compound class for the treatment of malaria. Science 329: 1175–1180. Torreele E, Bourdin Trunz B, Tweats D, Kaiser M, Brun R, Mazué G, Bray MA, Pécoul (2010) B. Fexinidazole – a new oral nitroimidazole drug candidate entering clinical development for the treatment of sleeping sickness. PLoS Negl Trop Dis 4: e923. Vennerstrom JL, Brun R, Charman SA, Chiu F, Chollet J, Dong ., Dorn., Hunziker D, Matile H, McIntosh K, Padmanilayam M, Santo Tomas J, Scheurer C, Scorneaux B, Tang Y, Urwyler H, Wittlin S & Charman WN (2004) Novel antimalarial peroxides: Identification of a trioxolane drug development candidate. Nature 430: 900–904. Wenzler T, Boykin DW, Ismail MA, Hall JE, Tidwell RR, Brun R (2009) New treatment option for second stage African sleeping sickness: In vitro and in vivo efficacy of aza analogs of DB289. Antimicrob Agents Chemother 53: 4185–4192. Die Schlafkrankheit zählt bis heute zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten und hat nach wie vor einen beachtlichen Einfluss auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder in Afrika. Wir sind aufgefordert, die Bekämpfung der Schlafkrankheit auf allen Ebenen konsequent anzugehen. Das Swiss TPH ist diesem Aufruf stets gefolgt und hat die Schlafkrankheit und andere vernachlässigte Krankheiten ins Zentrum von Lehre, Forschung und direkter Umsetzungsarbeit gestellt und dabei über Jahrzehnte hinweg international beachtete und wegweisende Resultate erzielt. U4