Dossier (SMD

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Dossier (SMD
Dossier (SMD-Bestand)
erstellt von Markus Somm am 08.09.13
Kommentar
Lieber Herr Adam Hier, was ich aus meinem Besuch in Frankfurt gemacht habe. Herzlich mso
Inhaltsverzeichnis
Merkel, Steinbrück, Hinz und Kunz ................................................................................................................................................... 2
© Basler Zeitung; 07.09.2013
Seite bazab3
Thema
Sind die Deutschen politikverdrossen? Kippen sie in die Lethargie? Wo ist Wahlkampf? Eine
Feldforschung
Merkel, Steinbrück, Hinz und Kunz
Von Markus Somm
Da und dort wurde moniert, dass der deutsche Wahlkampf, der
angeblich momentan stattfindet, sterbenslangweilig ist. In der
Tat: Es erfasst mich Wehmut, wenn ich daran denke, wie wir
früher von der Schweiz aus mit staunenden Augen und
glühenden Ohren die Debatten in der Bundesrepublik am
Fernsehen verfolgt haben, als sich Titanen wie Helmut
Schmidt und Franz Josef Strauss zerlegten. Tyrannosaurus Rex
traf auf King Kong.
Heute wirken die von verzweifelten Journalisten als «Duelle»
hochgeschriebenen TV-Diskussionen der Spitzenkandidaten
wie Sitzungen zweier Sachbearbeiter der
Schadensabwicklungsabteilung einer mittelgrossen
Versicherung in Bergisch Gladbach. Auch wenn Europa
derzeit die wohl bedrohlichste Krise seit den Dreissigerjahren
er­­leidet: An ihrem gemeinsamen Live-Auftritt vom
vergangenen Sonntag im Fernsehen sprachen weder Angela
Merkel, die Kanzlerin der CDU und faktische Herrin Europas,
noch Peer Steinbrück, ihr Herausforderer von der SPD, je
davon.
Euro, Schuldenkrise, der Bankrott Griechenlands, der Zerfall
Italiens, Deutschlands Rolle? Man wich aus, man redete um
den Brei, man fasste nichts an, als läge Sprengstoff im Raum.
Bezeichnenderweise bewerteten die Zuschauer den
Schlagabtausch hinterher als unentschieden. Bei permanentem
Waffenstillstand kann keiner gewinnen.
Alles so bunt hier
Was ist geschehen? Dass die deutschen Politiker, die uns
Schweizern immer so konfliktfreudig erschienen sind, kaum
mehr streiten, liegt nicht daran, dass eine Generation der
Teetrinker und Schönredner an die Macht gekommen ist – das
auch –, der wahre Grund hat mit den Grenzen der
repräsentativen Demokratie zu tun. Wer heute in Deutschland
in einer politischen Partei Karriere machen will; wer sich je
Chancen auf ein Ministeramt ausrechnet, hat gewisse Gebote
zu beachten, wovon eines lautet: Du sollst die EU und ihr
heiliges Geld nie infrage stellen!
Charme der Widerrede
Ohne Zweifel ist es legitim, den Euro für eine segensreiche
Erfindung zu halten. Ebenso legitim muss es aber in einem so
vielfältigen Land wie der Bundesrepublik sein, den Euro als
gefährlich zu betrachten, weil er die EU-Länder gegeneinander
aufbringt. Es gibt fröhliche Gewinner – und traurige Verlierer.
Wenn man auf die Umfragen abstellt, misstraut eine
Dossier (SMD-Bestand) - Markus Somm - 08.09.13
substanzielle Minderheit der deutschen Bevölkerung dem
Euro. Anders kann es nicht sein, angesichts der Tatsache, dass
der deutsche Steuerzahler nach wie vor die grössten Risiken
der Gemeinschaftswährung trägt.
Ginge es mit rechten Dingen zu, hätten sich diese Bedenken
im politischen Prozess längst widerspiegelt. Es müsste eine
Partei existieren, die im Bundestag diesen Überdruss verträte.
Normal wäre, dass eine etablierte, am besten eine grosse Partei
dieses Potenzial mittlerweile erkannt und sich des
bedeutenden Themas angenommen hätte. Wenn Merkel dann
in der Fernsehdebatte einem solchen Euro-Kritiker begegnet
wäre: Blitz und Donner.
In den grünen Auen der Demokratie
Vergangene Woche fuhr ich nach Frankfurt, um Leute zu
treffen, die den Euro bekämpfen und zu diesem Zweck eine
neue Partei gegründet haben, – weil ihnen nichts anderes übrig
geblieben ist. Wen hätten sie wählen sollen? «Alternative für
Deutschland» (AfD) nennt sich die Organisation, die derzeit
laut Demoskopen auf etwa drei Prozent der Stimmen käme.
Konrad Adam, einer der Parteichefs, gab sich zuversichtlicher:
Zehn Prozent!, behauptete er, ohne rot zu werden – sodass ich
nicht zu erkennen vermochte, ob er es ernst meinte oder mich
auf den Arm nahm.
Im für einen Neu-Politiker hohen Alter von 71 Jahren hat sich
Konrad Adam, ein ehemaliger, glänzender Journalist der
«Frankfurter Allgemeinen» sowie der «Welt», veranlasst
gesehen, eine neue politische Bewegung ins Leben zu rufen.
«Was es heisst, in Deutschland eine Partei aufzubauen, davon
machen Sie sich keinen Begriff! Was für eine Plackerei!
Satzungen, Satzungen, Satzungen: Was Sie da alles bei den
Behörden einreichen müssen.»
Man hatte mich eingeladen, um an einer ­Veranstaltung der
Partei über die direkte Demokratie in der Schweiz zu
referieren, nicht zuletzt genau aus diesem Grund: Lebte Adam
in unserem Land und wollte eine Sache wie den Euro
be­­seitigen – er hätte es nicht auf sich nehmen ­müssen, dafür
eigens eine Partei zu etablieren. Eine Volksinitiative hätte
genügt. So wie es der Schaffhauser Unternehmer Thomas
Minder getan hat, der mit seiner «Abzocker»-Initiative im
Alleingang die hohen Löhne der Manager begrenzte.
Stunde des Bildungsbürgers
Als ich den Saal des Japan-Centers in einem der üblichen
Wolkenkratzer in Frankfurt betrat, stellte ich verblüfft fest: Er
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© Basler Zeitung; 07.09.2013
war voll. Dass so viele Leute sich für ein doch eher abstraktes
Thema wie die sonderbaren politischen Gebräuche der
unbekannten Schweiz interessierten, sprach entweder für die
legendäre deutsche Liebe zur Bildung – oder aber war
Ausdruck eines Malaise. Ich glaubte an das Zweite – worin ich
im Laufe des Abends bestätigt wurde: Was für eine anregende,
engagierte, lebendige Versammlung! Wer sich bei Merkel
versus Steinbrück düster fragte, ob Deutschland bald die
Demokratie mangels Interesse zu schliessen hatte, wäre hier
rasch eines Besseren belehrt worden.
Menschen standen auf, nannten gewissenhaft ihren Namen –
auch ihren Doktortitel – und schimpften auf die Regierung
oder auf Brüssel; Podiumsteilnehmer stimmten Hymnen an
auf die direkte Demokratie und stellten die kleine Schweiz als
Vorbild für das grosse Deutschland hin; junge Anarchisten
versuchten, die Debatte zu einem Gerichtshof politischer
Korrektheit umzufunktionieren: «Warum haben Sie gesagt,
Spanien müsse aus Europa geworfen werden?» «Niemand hat
solchen Unsinn verlangt!» – der Vertreter von AfD
dementierte umgehend, im Wissen, wie schlecht in
Deutschland alle angesehen sind, die etwas zu offen darauf
hinweisen, wie mächtig ihr Land inzwischen – wenn auch
widerwillig – geworden ist.
«Wenn wir im Bundestag sind», versprach Adam, «dann
werden wir dafür sorgen, dass über die Eurokrise geredet
wird!» Und die Leute klatschten. Erlöst wirkten sie, befreit
von jener angeblichen Politikverdrossenheit, die deutsche
Wissenschaftler mit ernster Miene diagnostizieren, weil die
Bürger nicht mehr unterscheiden wollen zwischen Parteien
und Politikern, die alle gleich schmecken – nach diesem
aseptischen Geruch, den wir von Spitälern kennen, ein
Geruch, der uns nicht beruhigt, sondern Furcht vor der
bevorstehenden Operation einflösst.
Hier in Frankfurt wurde geschrien, gepredigt, geflucht und
gelitten, gefragt und widersprochen, doziert und gegrölt. Ich
erlebte eine Stunde mustergültiger Demokratie, wo Bürger
über Dinge verhandelten, die wesentlich sind.
Strukturwandel der Öffentlichkeit
Wesentlicher als die Frage, welche die deutschen Medien am
Tag danach seiten- oder stundenweise auf ihren Kanälen
abspulten: Warum hat Merkel die Sozialdemokraten als
europapolitisch «unzuverlässig» bezeichnet? Warum diese
üble Polemik? Und hat Steinbrück zu Recht diesen
gravierenden Vorwurf zurückgewiesen, und wenn ja, stimmte
die Stellung des Kommas?
Das sind infantile, post-politische Debatten, die darüber
hinwegtäuschen, dass die Bürger in Deutschland sich nach wie
vor von Politik bewegen liessen – sobald man ihnen die
richtigen Fragen stellt. Es ist höchste Zeit, dass auch
Deutschland mehr Demokratie wagt. Die direkte.
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