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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
AUSGABE 02/14
Wie krank sind unsere Kliniken?
Die Krankenhäuser der Region versuchen, aus der Krise zu kommen – Hausgemachte Probleme bremsen sie
EINZELPREIS 1,90 €
E D I TO R I A L
GESUNDHEITSWESEN
Chancen für
Patienten
VON BERTHOLD HAMELMANN
Bürger gehen
für ihre Hospitäler
auf die Straße.
Die Personalkosten
steigen schneller
als die Einkünfte.
Einige Häuser haben
mit Scheuklappenblick
investiert.
Aderlass. NKG-Chef Gerhard Tepe
spricht von einem „Systemversagen“ und meint damit an erster
Stelle die Finanzierung. Die kommt
in Deutschland seit 1972 aus zwei
Töpfen: Die Investitionskosten
übernehmen die Länder. Sie zahlen
etwa für den Neubau eines Bettentraktes oder die Modernisierung eines Operationssaals. Die Krankenkassen finanzieren die laufenden
Betriebskosten. Der Konflikt: Die
Kassen wollen Standorte und Bettenzahl reduzieren, die Klinikbetreiber dagegen drängen auf mehr Geld
vom Land.
Niedersachsens Sozial- und Gesundheitsministerin Cornelia Rundt
stellt sich zwischen die Streitenden.
Sie will vermitteln, will die Kontrahenten bei sogenannten Regionalgesprächen an einen Tisch bekommen. Eines für den Raum Osnabrück fand im Februar bereits statt,
für das Emsland und die Grafschaft
VON KIM KAROTKI,
CHRISTIAN SCHAUDWET
UND HILDEGARD
WEKENBORG-PLACKE
BRAMSCHE/OSNABRÜCK/MEPPEN/THUINE. Viele Kliniken in
der Region sind in Not. Sie bekommen zu wenig Geld vom
Land und machen einander Konkurrenz. Der Druck steigt, denn
Landesregierung und Krankenkassen wollen Reformen sehen.
Klinik-Schließungen drohen.
Aber die steigende Nachfrage
nach Altersmedizin birgt für die
Branche auch Chancen.
Marianne Dierkes hat eine Mission:
Bramsche ohne Klinik? Undenkbar.
„Eine Demonstration in zwei Tagen
zu organisieren ist kein Problem“,
sagt die Aktivistin des Bramscher
Seniorenrates. 48 Stunden später
fordern Hunderte auf dem Marktplatz der 30 000-Einwohner-Stadt
nördlich von Osnabrück: Unser
Krankenhaus muss bleiben. Nach
zehn Tagen sind 12 600 Unterschriften gesammelt. Eine Region kämpft
um ihr Krankenhaus. Denn für die
Niels-Stensen-Kliniken Bramsche
geht es ums nackte Überleben.
Die Krankenhäuser sind krank.
Nach Diagnose ihres Lobbyverbandes sogar sehr krank: Die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft
(NKG) sieht zwei Drittel der Hospitäler „mittelfristig in ihrer Existenz
bedroht“. Die Häuser seien zu zukunftssichernden
Investitionen
nicht in der Lage, besonders der
Personalentwicklung drohe ein
„Zwei Drittel
der Häuser sind
mittelfristig
bedroht.“
Foto: Imago, Montage: Matthias Michel
Niedersächische
Krankenhausgesellschaft
Viele Kliniken in den roten Zahlen
Wirtschaftliche Situation und Erwartung niedersächsischer Krankenhäuser
positiv
50
ausgeglichen
negativ
40
30
20
10
0
Abschluss
2010
Abschluss
2011
Abschluss
2012
Abschluss
2013
Prognose
2014
4 198252 601901
140 02
Quelle: Niedersächsische Krankenhausgesellschaft, Umfrage unter 162 Kliniken · Grafik: Matthias Michel
MACHER &
MÄRKTE
BRANCHEN &
BETRIEBE
GELD &
GESCHÄFT
Bentheim ist noch nicht klar, ob
und wann es zu einer solchen Aussprache kommt. Dort, wo es sie
gibt, ist das Ziel der Gespräche, „ein
zukunftsfähiges und wirtschaftliches Konzept für eine wohnortnahe
und medizinisch hochwertige Versorgung zu erarbeiten“, so die Auskunft des Ministeriums. Von Standortschließungen nahm das Sozialministerium bisher Abstand. Ministerin Rundt wies im vergangenen
Herbst Forderungen des Verbandes
der Ersatzkassen zurück, 33 der 193
Krankenhäuser in Niedersachsen zu
schließen.
Eine Büroetage mit traumhaftem
Blick über die Stadt Osnabrück,
Rechner, Flipchart, Konferenzmobiliar – dazwischen referiert Werner
Lullmann über Bilanzzahlen, DRGs
(Diagnosebezogene Fallgruppen),
Spezialisierung,
Prozessmanagement und politisches Tauziehen um
dringend benötigte Investitionsmittel. Der gebürtige Emsländer ist Geschäftsführer der katholischen
Niels-Stensen-Kliniken, eines mit
4400 Beschäftigten, sieben Krankenhäusern, zwei Pflegeheimen und
einer eigenen Nachwuchsschule inzwischen großen mittelständischen
Unternehmens.
Hightech-Medizin wird vorausgesetzt, gute Pflege auch. Beides ist
teuer. In Niedersachsen liegt die
Durchschnittsfallpauschale bei 3117
Euro pro Patient. In den letzten
Jahren wurde die Pauschale zwar
regelmäßig angehoben, aber die
Personalkosten stiegen schneller.
Und dennoch: „Hightech wird gut
bezahlt, high touch leider nicht“,
sagt Lullmann und meint damit die
seiner Ansicht nach im mer noch
viel zu niedrige Honorierung der
Pflege und der „sprechenden Medizin“.
Niels Stensen schreibt rote Zahlen – zwar nicht so tiefrot wie etwa
das Klinikum Osnabrück und das
Klinikum Osnabrücker Land in Dissen oder wie bis vor Kurzem das
Marienkrankenhaus in Papenburg,
aber besorgniserregend genug. Verluste von 5,4 Millionen Euro 2011
und immerhin noch 1,6 Millionen
im Folgejahr ließen die Gruppe Ende 2013 die Notbremse ziehen: Kürzungen von Tarifleistungen, Stellenabbau und eine straffere Prozesssteuerung sollen Remedur bringen.
Der Einkauf wird über den in Bayern ansässigen, 200 Kliniken umfassenden Sana-Verbund abgewickelt.
Aber das ist für den Niels-Stensen-Geschäftsführer nur ein Teil des
Weges aus der Talsohle: „Reserven
sind nicht mehr da. Wenn der Basis-Fallwert nicht steigt, müssen wir
durch einen Ausbau der Leistungspalette Ertrag generieren“, sagt
Lullmann. Oder in Kurzform: „Wer
überleben will, muss ständig wachsen.“ Und sich spezialisieren, daran
lässt Lullmann keinen Zweifel. Das
gelte auch und gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion
um Betten-Überkapazitäten und
medizinisch Parallelstrukturen.
Genau hier liegt der Hase im
Pfeffer: Krankenhausmanager sprechen nicht gern darüber, aber es
gibt sie, die konkurrierenden, Angebote.
Fortsetzung auf Seite 2
M
anchmal hilft der Blick
über den Großen Teich,
um Verhältnisse im Gesundheitswesen geradezurücken. Wie gut,
dass wir beispielsweise nicht in
den USA, sondern in Deutschland
leben.
Im Land mit der größten Volkswirtschaft der Welt ist es Sache
des Einzelnen, für seinen Krankenversicherungsschutz zu sorgen.
Die generelle Krankenversicherung durch den Arbeitgeber ist
dort beispielsweise unbekannt.
Aber auch in Deutschland gibt
es seit Langem einen Wandel: Viele der Wohltaten, die das Gesundheitssystem ehemals bereithielt,
sind schon längst dem Rotstift
zum Opfer gefallen. Das spüren
besonders alle gesetzlich Krankenversicherten. Schnell mal eine
Brille kostenlos auf Rezept – das
war einmal. Wenn Kosten explodieren, werden Leistungen gekürzt.
Auch der Gang zum nächsten
Arzt stellt die Patienten in einem
Flächenland wie Niedersachsen
vor Herausforderungen. Denn gerade auf dem Land sinkt die Zahl
der niedergelassenen Ärzte dramatisch. In unserem Bundesland gibt
es nach Berechnungen der Bundesärztekammer vergleichsweise
wenig Ärzte. Statistisch betreut
hier ein Arzt 261 Einwohner. Im
Stadtstaat Hamburg dagegen liegt
das Verhältnis bei 1:151.
Eines der politisch brisantesten
Themen ist die Schließung von
Kliniken. Wenn Personal- und
Behandlungskosten steigen, die
Einnahmen aber sinken, gibt es
nur wenig Spielraum. Ein Ausweg ist die zunehmende Spezialisierung. Die Patienten können
vom gebündelten Know-how nur
profitieren.
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LEBEN &
LEIDENSCHAFT
Warum Ärztemangel
Unternehmen schadet
Das Comeback
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Wie Firmen ihre
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Wellness-Bereich
Osnabrück-Emsland
Seiten 4/5
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
MACHER &
MÄRKTE
Steigender Bedarf: Geriatrische Rehabilitation im Klinikum Osnabrück, hier mit Ergotherapeutin Marion Bodde und Patientin Maria Henke.
Fortsetzung von Seite 1
Beim Klinikum Osnabrück und
Osnabrücker Land und dem
Niels-Stensen-Verbund sind es beispielsweise die Onkologie, die Senologie (Brustzentrum) und die
Geriatrie. Bei der Neurochirurgie
– der operativen Behandlung von
Hirn- und Rückenmarksverletzungen sowie Tumoren – machen sich
sogar drei Träger Konkurrenz: Neben Klinikum und Marienhospital
zählt die Paracelsus-Klinik dazu.
Der Versorgungsauftrag für Neurochirurgie für die Region liegt bei
Paracelsus. 60 Betten sind hier
vom Land Niedersachsen ausgewiesen. Aber auch das Marienhospital aus dem Niels-Stensen-Verbund verfügt als zentrale Versorgungseinrichtung über ein Neurochirurgie-Angebot für Notfälle. Tumor-Patienten, bei denen OP-Termine planbar sind, darf jedoch
nur die „Para-Klinik“ behandeln.
Alle drei Häuser versuchen, in diesem Bereich der Hightech-Medizin
ihre Profile zu schärfen, da es als
Wachstumsmarkt gilt.
Niels Stensen und die Städtischen haben in den zurückliegenden Jahren auf Expansion gesetzt
und dabei offenbar teils mit allzu
engem Blick investiert. Die Geschäftsführer der beiden Klinikverbünde, Werner Lullmann und
Thomas Fehnker (städtisches Klinikum), räumten im vergangenen
Herbst ein, erst seit Kurzem miteinander über die zugespitzte Lage
zu reden. Dieser Meinungsaustausch sei bislang aber eher „zaghaft“.
Christoph Prehn von der NKG
nimmt die Krankenhäuser gegen
den Vorwurf, kurzsichtig Doppelstrukturen aufgebaut zu haben, in
Schutz: „Sie sind seit Jahren dabei, sich zu spezialisieren, wo
möglich“, aber für allgemeine
Foto: Michael Gründel
Krankenhäuser sei das schwierig.
Immerhin: Auf die Psychiatrie
und Psychotherapie hat sich nach
Angaben des Landkreises Emsland
in den vergangenen Jahren das
St.-Vinzenz-Hospital in Haselünne
spezialisiert. Im Raum Osnabrück
gilt das im vergangenen Jahr gegründete „Traumanetzwerk SüdWest-Niedersachsen“ als Positivbeispiel in Sachen Synergie und
Ergänzung. Daran beteiligen sich
neben dem Klinikum Osnabrück
und den Niels-Stensen-Kliniken
weitere neun Häuser im Bundesland. Das Ziel: eine flächendeckende Versorgung von Schwerstverletzten durch enge Zusammenarbeit bei der Unfallchirurgie.
Im Emsland werden unter anderem das Bonifatius-Hospital in
Lingen, das Hümmling-Hospital in
Sögel und das Marien-Hospital in
Papenburg im Verbund geführt.
Arbeitsteilungen und Kooperationen gibt es nach Aussage der
Landkreis-Verwaltung viele, etwa
bei der Medikamentenversorgung
und bei der Teleradiologie, also
der digitalen Übertragung von
Röntgendaten von Standort zu
Standort.
Das Sozial- und Gesundheitsministerium befürwortet die Bildung
von Verbünden wie im Emsland
und im Osnabrücker Land und
warnt zugleich: „Ruinöse Konkurrenz dagegen wirkt sich negativ
auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten und die nachhaltige wirtschaftliche Existenzsicherung der Krankenhäuser aus.“
Sind also Spezialisierung einzelner Häuser und mehr Ergänzung
in Verbünden der Ausweg aus der
Misere? Nicht unbedingt, sagt
NKG-Vertreter Prehn. Denn Spezialisierung könne auch bedeuten,
das volle Risiko zu tragen – dann
nämlich, wenn die Leistung, auf
Der Geburtenrückgang zwingt die Krankenhausstrategen zum Umplanen in der Kindermedizin (im Bild die Frühgeborenenstation des Marienhospitals Osnabrück). Foto: Klaus Lindemann
die man sich spezialisiert habe,
vom Gesundheitssystem nicht
mehr ausreichend finanziert werde.
Auch Dr. Gisbert Voigt, Vizepräsident der Ärztekammer Niedersachsen und niedergelassener Kinder- und Jugendarzt in Melle bei
Osnabrück, erkennt an: „Es gibt
durchaus Bestrebungen der Krankenhäuser, ihre Strukturen besser
aufeinander abzustimmen.“ Dennoch, schränkt er ein, werde manches immer noch doppelt und
dreifach angeboten.
Ob Pro oder Kontra, ob Verständnis oder Kritik, eines steht
fest: Den Krankenhäusern fehlt es
teils dramatisch an Geld. Das Marienkrankenhaus in Papenburg etwa stand vor Kurzem noch vor
dem Finanzkollaps, 2012 lag der
Jahresfehlbetrag bei mehr als dreieinhalb Millionen Euro. Die Gesellschafter griffen ein. Seit Ende
2011 gehört das Haus deshalb zur
Lingener
Bonifatius-Hospitalgesellschaft. Der rettende Befreiungsschlag war das aber noch
nicht: „Wir befinden uns nach wie
vor in einer Sanierungsphase“,
sagte der Papenburger Geschäftsführer Matthias Bitter Ende 2013.
Für 2014 erhofft er sich „eine
schwarze Null“. Doch sei das
Krankenhaus auf Investitionszuschüsse Dritter angewiesen.
Fällt das Stichwort „Zuschüsse“,
drehen sich alle Köpfe in der regionalen Krankenhausbranche reflexartig nach Hannover. „Die Unterstützung durch das Land ist
seit Jahren völlig unzureichend“,
sagt
auch
Ärztekammer-Vize
Voigt. Bei Niels Stensen liegen Pläne vor, das Bramscher Krankenhaus durch Investitionen in Höhe
von rund 15 Millionen Euro überlebensfähig zu machen, als eine
Art Leuchtturm des Verbundes
Das Land
attestiert
der Region
Überversorgung.
Demonstriert für das Klinikum in seiner
Stadt: der Dissener Bürgermeister Hartmut
Nümann.
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Foto: Egmont Seiler
Neubautrakt des Krankenhauses Ludmillenstift in Meppen. Die Klinik ist nach eigenen Angaben gut ausgelastet und will weiter zubauen.
mit dem Schwerpunkt Altersmedizin. Hundert Betten, zum großen
Teil in der Inneren und der Geriatrie, aber auch in der Chirurgie
hängen davon ab, 205 Mitarbeiter
bangen derzeit um ihre Zukunft.
„Bis zum Sommer brauchen wir
eine Entscheidung“, sagt Lullmann. „Ohne Investitionen lässt
sich Bramsche auf die Dauer nicht
wirtschaftlich führen.“
Aber das Gesundheitsministerium attestiert der Region – gemessen am Landesdurchschnitt –
Überkapazitäten. „Mit 17 Krankenhäusern und 3257 Planbetten ist
die Krankenhausdichte im Osnabrücker Land sehr hoch“, teilt die
Behörde mit.
Weniger dicht stehen die Betten im Emsland. Die Auslastung
liege bei „weit über 90 Prozent“,
sagte Ende 2013 Wilhelm Wolken,
der
Verwaltungsdirektor
des
Krankenhauses Ludmillenstift in
Meppen. Daher liefen auf Landesebene Anträge auf eine Erhöhung
der Bettenzahl, so Wolken. Zudem habe das Ludmillenstift ein
40 Millionen Euro schweres Bauprogramm aufgelegt.
Wolken will Wachstum. Funktionieren kann das nach Ansicht
von Experten im niedersächsischen
Gesundheitsministerium
aber nur, wenn es abgestimmt
auf den demografischen Wandel
geschieht. In der Tat: Einen
Rückgang der Krankenhauskapazitäten erwartet das Ministerium
nicht, dagegen eine deutliche Verschiebung des Leistungsspektrums „hin zu den Erkrankungen
im höheren Lebensalter“. Die
Nachfrage steige insbesondere in
der Geriatrie, der Neurologie und
der Inneren Medizin. Bei der Gynäkologie, der Geburtshilfe sowie
der Kinderheilkunde seien dagegen schon jetzt deutliche Bele-
Foto: Hermann-Josef Mammes
gungsrückgänge zu verzeichnen.
Dr. Gisbert Voigt von der Ärztekammer hält es für „durchaus
möglich, dass wir nicht alle Kinderkliniken erhalten werden können“.
Die Patienten der Zukunft werden Prognosen zufolge beispielsweise Demenz-Kranke sein. Auf
dieses Szenario stellt sich bereits
das emsländische Elisabeth-Krankenhaus in Thuine ein: Seit April
2012 verfügt es über eine Krankenstation für an Demenz Erkrankte, seit diesem April zudem
über ein stationäres Hospiz.
Angefangen hat dieser Wandel
bereits 2005 mit acht palliativmedizinischen Betten innerhalb der
Abteilung der Inneren Medizin,
2006 wurde Thuine zum „Palliativstützpunkt Südliches Emsland“, und 2009 folgte die spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Das neue stationäre Hospiz
St. Veronika bezeichnet der zuständige Landrat Reinhard Winter als „das letzte fehlende Glied
in der palliativen Versorgungskette im Landkreis Emsland“. Das
mit acht Einzelzimmern ausgestattete Hospiz stellt im Emsland
die erste stationäre Einrichtung
ihrer Art dar.
Eine ebensolche Vorreiterrolle
spielt das Krankenhaus mit seiner „Station C3“. In der niedersachsenweit ersten interdisziplinären Krankenstation für Patienten mit Nebendiagnose Demenz
können hier akut erkrankte Demenzpatienten behandelt werden. Der mit Handläufen an den
Wänden und speziellen Türen
ausgestattete Baukörper in Form
einer Acht ermöglicht es den Patienten, ihrem krankheitsbedingten Bewegungsdrang nachzugehen, ohne sich zu verirren oder in
Gefahr zu bringen.
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
MACHER & MÄRKTE
Apotheker mit
Sendungsbewusstsein
Drogerie und Parfümerie im Internet
ergänzen die Online-Apotheke Sanicare
VON STEFANIE ADOMEIT
BAD LAER. Die Bezeichnung „um-
triebig“ ist für Volkmar Schein
fast zu verhalten. Vor einem
Jahr hat der gebürtige Berliner
die Online-Apotheke Sanicare
aus der Insolvenzmasse der
Mönter-Gruppe in Bad Laer gekauft. Seitdem ist viel passiert.
In diesem Jahr feiert die nach eigenen Angaben größte Versandapotheke Deutschlands ihren zehnten
Geburtstag – bei guter Gesundheit.
Dass es überhaupt zu diesem Jubiläum kommen würde, war vor gut
einem Jahr noch keineswegs absehbar.
Für die meisten Mitarbeiter
überraschend, hatte sich nach dem
Tod des Bad Laerer Sanicare-Gründers Johannes Mönter herausgestellt, dass das Unternehmen hoch
verschuldet war. 1000 Gläubiger
warten auf insgesamt 100 Millionen Euro. Das Insolvenzverfahren
ist so komplex, dass es wohl erst
Ende dieses Jahres abgeschlossen
werden kann.
Im April 2013 konnte der 53-jährige Apotheker Volkmar Schein Sanicare kaufen. Andere Bewerber
hatten lediglich Interesse am guten
Volkmar Schein war als niedergelassener
Apotheker im Saarland tätig, bevor er
Sanicare übernahm.
Foto: Achim Köpp
Namen der Firma. Schein, der zuvor eine Präsenzapotheke im saarländischen Losheim am See mit 25
Mitarbeitern hatte, erhielt den Zuschlag, weil er den Großteil der Arbeitsplätze und das Unternehmen
selbst in Bad Laer erhalten wollte.
Bald nach der Mönter-Gruppe
ging auch die Bauherrengemeinschaft „Grüner Weg“ pleite. Sie fungiert als Vermieterin für die einzelnen Geschäfte, Praxen und Firmen
im Gesundheitszentrum – damit
auch für die Versandapotheke. Gelegenheit für Volkmar Schein, sich
gleich um die gesamte Immobilie
„Gesundheitszentrum“ zu bewerben. Aufgerufener Verkaufspreis:
um die zehn Millionen Euro.
Bisher ist er Mieter in dem Gebäudekomplex, den ein Hamburger
Makler seit einigen Monaten als
„renditestarkes Einzelhandelsobjekt“ anbietet: mit einem 24 000
Quadratmeter großen Grundstück
und einer fast ebenso großen Gesamtmietfläche.
Sahnehäubchen
für den Käufer: Er muss keine
Courtage zahlen. Und das ausgemusterte Flugzeug des früheren
jordanischen Königs Hussein gibt’ s
dazu.
„Wir wollen hier bleiben und den
Standort sichern und weiterentwickeln. Dafür brauchen wir aber
auch Handlungsspielräume, um
entsprechend agieren zu können“,
betont Schein. Dazu sei mit dem
jetzigen Eigentümer, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ihrem Insolvenzverwalter, eine Lösung und vernünftige Kaufpreisfindung anzustreben, die die Gesamtumstände berücksichtigten, ergänzt Detlef Dusel, Kaufmännischer Leiter bei Sanicare. Nachdem
die Sparkasse die Immobilie bewertet und Sanicare diesen Betrag
nach eigenen Angaben „nicht unerheblich aufgestockt hat“, sei nun
das Votum des Gläubigerausschusses entscheidend.
Doch der Verkauf zieht sich hin.
Schon Anfang April sollte eine Ent-
Herzstück der
Versandapotheke
ist das Logistikzentrum im Untergeschoss. Hier
werden die
Medikamente
versandfertig
gemacht.
Foto: Elvira Parton
scheidung fallen. Doch Schein wartet noch immer auf den Zuschlag.
Erhält er ihn, will er auch wieder
eine Kinderbetreuung und eine
Gastronomie am Grünen Weg einrichten. Denn Dreiviertel der Mitarbeiter sind Frauen.
Unabhängig vom Kauf stehen
andere Veränderungen. Das Reformhaus wandelt Schein in einen
Drogeriemarkt der auch nach der
Insolvenz der Kette noch existierenden Marke „Ihr Platz“ um. Franchise macht’ s möglich. Im Mai
wird der Markt eröffnet, doch damit nicht genug: Er soll Ausgangspunkt für die weitere Versandsparte „Drogerieartikel“ sein.
Zur Körperpflege und den Medikamenten soll dann noch eine dritte, luxuriöse Sparte hinzukommen:
„Wir haben vor Kurzem einen Parfümerie-Versand eröffnet. Das Ladenlokal dazu liegt in Versmold neben unserer Sonnenapotheke.“
Scheins Ehefrau kümmert sich um
dieses Geschäftsfeld. Und in den
Katakomben des Gesundheitszentrums lagern nun in einem ExtraRaum edle Duftwässerchen und
teure Cremes.
Wie sich Schein die Expansion
und den geplanten Immobilienkauf
leisten kann? Schon seit Juni vergangenen Jahres arbeitet Sanicare
nach eigenen Angaben wieder profitabel. 340 Mitarbeiter (auf 260
Vollzeitstellen) bedienen insgesamt
1,6 Millionen Kunden und bringen
für die drei Apothekenmarken Sanicare, Aliva und Medicaria täglich
10 000 Medikamenten-Lieferungen
auf den Weg.
„Wir verzeichnen ein leichtes
Umsatzplus von zwei bis drei Prozent“, freut sich Detlef Dusel. Dafür
sorge auch das außergewöhnlich
„Wir haben
unsere
Hausaufgaben
gemacht.“
Detlef Dusel, kaufmännischer
Leiter bei Sanicare
große Sanicare-Sortiment von
50 000 Produkten. Eine normale
Apotheke habe nur 7000 Produkte
vorrätig.
Für diesen Erfolg hat Schein einiges getan. „Wir haben Strukturen
überprüft und festgestellt, dass wir
manches optimieren können.“
Schlank, bodenständig, solide will
sich das Unternehmen darstellen.
Dazu gehören auch vernünftige Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter. Handlungsbedarf habe es unter
anderem in den Büros der Führungskräfte in der Logistik gegeben. Diese sollen ihre Tage in Zukunft nicht mehr in fensterlosen,
schlecht belüfteten Räumen verbringen.
Allein 100 000 Euro hat Schein
nach eigenen Angaben in die Ausstattung des Kundenservicecenters
gesteckt: Schallschluckender Teppichboden, ebensolche Wände,
Raumteiler und eine Klimaanlage
sollen dafür sorgen, dass die 75
Mitarbeiter den Kontakt zum Kunden in entspannter Atmosphäre
halten. Aufenthalts- und Sanitärräume
wurden
modernisiert.
Schein: „Außerdem verbessern wir
die Arbeitsbedingungen für die
Kommissionierer.“ Fortbildungen
und Seminare zur Persönlichkeitsbildung ergänzen das Programm.
„Die Mitarbeiter sollen sich
wohlfühlen“, erklärt Detlef Dusel.
„Wir haben unsere Hausaufgaben
gemacht.“ Wohl auch deshalb gebe
es kaum Fluktuation unter den Angestellten.
Ein EDV-System und der größte
vollautomatische Kommissionierapparat für Arzneimittel in
Deutschland sorgen für reibungslose Lieferprozesse. Das Warenlager
hält pharmazeutische Produkte
und andere Gesundheitsartikel im
Wert von 7,5 Millionen Euro bereit.
Im Callcenter stehen die Mitarbeiter für Kunden montags bis freitags
von 8 bis 22 Uhr und samstags von
8 bis 14 Uhr zur Verfügung. So könne eine telefonische Erreichbarkeit
von nahezu 95 Prozent realisiert
werden, erklärt Schein. Die Kunden sollen zuverlässig gut beraten
werden. „Den Kundenstamm von
Johannes Mönter konnten wir zum
Glück erhalten“, sagt Schein.
Nicht von ungefähr sei Sanicare
Sieger des Online-Handels Awards
2014 als Ergebnis einer Kundenzufriedenheitsstudie geworden. Über
zehntausend Online-Käufer hätten
daran teilgenommen und das
Preis-Leistungs-Verhältnis, Sortiment, Bezahlung, Versand und Lieferung bewertet, verrät der Apotheker stolz. Außerdem sei Sanicare einer der 20 umsatzstärksten Online-Shops Deutschlands. Ein guter
Ausgangspunkt, um weiter vorzurücken.
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Umfeld.
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5
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
MACHER & MÄRKTE
MACHER & MÄRKTE
Ein Königreich für einen Landarzt
Medizinermangel wird
zum Standortnachteil
Stipendien, günstige Grundstücke, Umzugshilfen – Wie die Region versucht, Mediziner anzulocken
Nachwuchskräfte setzen intaktes Gesundheitswesen voraus
500 Euro monatlich
für Medizinstudenten,
die zurückkehren.
Papenburg
OSNABRÜCK/MEPPEN. Noch ist die
Pilotprojekt: Die KVN
eröffnet in Sögel
eine eigene Praxis.
Landkreis Emsland
d Kreistyp 4
Fachangestellte
sollen Aufgaben von
Hausärzten übernehmen.
Durchschnitt Ärzte in Kreistyp 1)
Fachärzte 1)
TWIST/SÖGEL/OSNABRÜCK. Die
Kinderärzte
Orthopäden
124,3
Fachärzte 1)
56,0
Hausärzte
Kreisverwaltungen, die Gemeinden und die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen ziehen alle
Register, um junge Ärzte zu einer
Ansiedlung in Gebieten wie dem
Emsland zu bewegen. Zugleich versuchen sie, den Beruf des Landarztes angenehmer zu machen.
111,3
111,
Ärzte insgesamt 1)
148,5
Durchschnitt Ärzte in Kreistyp 1)
Region Osnabrück-Emsland ausreichend mit niedergelassenen
Ärzten versorgt. Doch der Trend
ist eindeutig: Besonders auf dem
Land werden die Ärzte weniger.
Das bedrohe langfristig die Wirtschaftskraft der Region, warnt
die Industrie- und Handelskammer. Ihre Hoffnungen setzen Gesundheitsplaner nun vor allem
auf junge Medizinerinnen.
Landkreis Cloppenburg Kreistyp 3
128,2
Ärzte insgesamt 1)
VON DÉSIRÉE THERRE
Die Sorge war groß, als der alteingesessene Hausarzt Dr. Michael Jaron
kundtat, er werde seine Tätigkeit in
der Gemeinschaftspraxis Twist-Mitte
wegen gesundheitlicher Probleme
aufgeben. Sie wich, als der Allgemeinmediziner Dr. Jun-Young Jung sich
fürs Emsland entschied und an Jarons Stelle trat. Kennen lernte der
aus Südkorea stammende Jung die
Region während Tätigkeiten im Franziskus-Hospital Harderberg und an
der Paracelsus-Klinik in Osnabrück.
Auf Twist aufmerksam machte ihn
der aus Zentralafrika stammende
Meppener Kollege Dr. Evariste Gafumbegete, der das Praxisgebäude
von Jaron gekauft hatte. So gelang in
Twist etwas, woran Gemeinden in
ländlichen Gebieten wie dem Emsland immer häufiger scheitern: Mediziner von auswärts anzuziehen, um
frei werdende Stellen für niedergelassene Ärzte zu besetzen, ist kniffelig.
Aber nicht unmöglich. Die Kassenärztliche Vereinigung, Gemeinden
und Kreisbehörden in der Region lassen sich einiges einfallen, um junge
Ärzte aufs Land zu locken: Mit
Sprechstunden an der Uni sollen bereits früh die eigene Praxis und der
Beruf des Hausarztes schmackhaft
gemacht werden, später sind es finanzielle Anreize, die die Entscheidung fürs Land versüßen sollen. Ärzte übernehmen beispielsweise Patenschaften für Studenten – um zu zeigen: „So sieht Medizin aus“, sagt
Hausarzt Dr. Uwe Lankenfeld, der
Vorsitzender der Kassenärztlichen
Vereinigung (KVN) in Osnabrück ist.
Denn oftmals weiche die Vorstellung
der Studenten von der tatsächlichen
Arbeit eines Hausarztes ab. Derzeit
bieten 235 Haus- und Fachärzte in
Niedersachsen ihre Hilfe an, 45 Patenschaften wurden bislang geschlossen. Förderung aus Landesmitteln
soll dem Nachwuchs Anreiz bieten,
das Praktische Jahr im Fach „Allgemeinmedizin“ zu machen. Das ist eine relativ neue Entwicklung, denn generell sei die Ausbildung zum Hausarzt über Jahre „stiefmütterlich“ behandelt und von der Politik nicht beachtet worden, kritisiert Lankenfeld.
„Es gibt bis heute keine Vorgaben für
die Weiterbildungsordnung.“
Erst kürzlich hatte auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen eine Verbesserung der
Ausbildung gefordert. Mit der sogenannten Verbundweiterbildung für
Allgemeinmediziner wurde bereits
die Tätigkeitszeit nach dem Studium
reformiert. Kliniken und niedergelassene Ärzte schließen sich bei diesem
Modell zusammen, damit ein Assistenzarzt während seiner Weiterbildung nicht den Standort wechseln
muss und der Region dadurch abhan-
VON CHRISTIAN SCHAUDWET
5,4
5,9
Frauenärzte
58,0
Hausärzte
Kinderärzte
4,4
Orthopäden
3,8
9,3
Frauenärzte
Psychotherapeuten
111,3
7,0
Psychotherapeuten
1) pro 100 000
Einwohner
12,0
1) pro 100 000
Einwohner
Der Allgemeinmediziner Dr. Jun-Yong Jung (Mitte) aus Korea erhält vom Twister Bürgermeister Ernst Schmitz das Gemeindewappen. Jung hat in
Twist eine frei gewordene Praxis übernommen.
denkommt. Derzeit gibt es 40 solcher
Standorte in Niedersachsen. Der Zusammenschluss soll auch den Austausch zwischen Berufsanfängern
und erfahrenen Kollegen stärken.
Den niedergelassenen Praxen zahlt
die KVN mittlerweile einen Beitrag,
um die Weiterbildung zu finanzieren.
Auch im Emsland findet diese Art
der Fortbildung statt. Vor vier Jahren
gründete der Landkreis die Weiterbildungsgesellschaft „Meilenstein“, um
die Region im Wettbewerb um medizinisches Personal zu stärken.
Vielerorts in ländlichen Gebieten
Deutschlands sollen Geldspritzen
oder Kredite zu guten Konditionen
jungen Kollegen den Start auf dem
Land erleichtern. Die Grafschaft
Bentheim hält Kontakt zu Medizinstudenten aus der Region und bietet
jenen, die sich zu einer späteren Niederlassung in der Grafschaft ver-
„Bürgermeister
und Landräte
können sich
immer etwas
einfallen lassen.“
Oliver Christoffers, KVN
pflichten, Stipendien von 500 Euro
monatlich. Zudem hat sie Umzugshilfen und subventionierte Grundstücke
im Sortiment. Auch der Landkreis
Emsland unterhält einen AdressenPool Studierender und versucht, diese
zu einer Rückkehr mit Abschluss in
der Tasche zu bewegen.
Mit ihrer Kampagne „Niederlassen
in Niedersachsen“ will die KVN in
diesem Jahr ihr Werben um ärztlichen Nachwuchs steigern. Und in Sögel betritt sie mit einer eigenen Modellpraxis Neuland: Gemeinsam mit
dem Berliner Unternehmen „patiodoc“ übernimmt die Vereinigung die
Kosten für die Praxis – und damit
auch das Risiko. Ein Hausarzt dafür
wurde im vergangenen Jahr gefunden, am 1. Juni beginnt Dr. NielsChristian Höllger aus NordrheinWestfalen mit der Arbeit. Genau wie
Foto: Manfred Fickers
der Rest des Praxisteams wird auch
Höllger angestellt sein. Später könne
er die Praxis natürlich auch übernehmen, betont Lankenfeld.
Meppen
Von 2010 bis 2013 gehörte
die Region Emsland neben
dem Heidekreis und Wolfenbüttel zur „Zukunftsregion Gesundheit“. Modellprojekte wurden hier
getestet.
Beispielsweise
auch „MoNi“ – das Modell
Niedersachsen, das Ende
vergangenen
Jahres
auslief. Zwecks Entlastung der Ärzte
wurden
MediziniKreistyp 4
sche Fachangestellte
befugt, Blutdruck zu
messen, Fäden zu zieÄrzte insgesamt 1)
hen oder Patienten zu
133,4
133,
beraten. Um den Erfolg zu messen, liegen
Durchschnitt Ärzte in Kreistyp 1)
148,5
bislang zu wenige Ergebnisse vor. Denn nur wenige Praxen beteiligten sich
Fachärzte 1)
an dem Projekt. Noch bis Ende 2014 fährt die „Rollende
Arztpraxis“ durch die Region
Hausärzte
58,5
Wolfenbüttel. Von einigen
Medizinern wird das als NotKinderärzte 5,9
lösung angesehen, am Jahresende soll ausgewertet werden,
Orthopäden 6,7
ob die Patienten die fahrende
Praxis genutzt haben.
Frauenärzte 9,3
Ärzte aufs Land zu locken
erfordert Kreativität: „Bürger1) pro 100 000
meister und Landräte können
Psychotherapeuten 13,7
Einwohner
sich immer etwas einfallen
lassen“, sagt Oliver Christoffers, Geschäftsführer der
KVN-Bezirksstelle Osnabrück. Dazu wurden kaum in Anspruch gegehöre beispielsweise auch, bei der nommen“, sagt Christoffers. Für
Suche nach einem Kita-Platz oder ei- angehende Ärzte erhöhen solche
ner Tagesbetreuung für das Kind zu Reformen die Attraktivität des Behelfen. Seit 2013 ist auch die soge- rufs. Für die Patienten indes heißt
nannte Residenzpflicht abgeschafft: es, in manchen Regionen auch mal
Ein Arzt, der in einem Dorf arbeitet, eine etwas längere Anfahrt zum Arzt
vielleicht eine Familie gründen wollmuss nun nicht mehr unbedingt dort in Kauf nehmen zu müssen.
Die sogenannten „weichen Fakto- ten, sei Arbeit in Teilzeit eine Mögwohnen. Außerdem wurde der Bereitschaftsdienst umstrukturiert und auf ren“ seien für junge Ärzte immer lichkeit, sagt Oliver Christoffers. In
mehr Ärzte erweitert. Kleine Bereit- wichtiger, sagt auch Uwe Köster von speziellen Seminaren informiert die
schaftsringe aus 20 bis 30 Ärzten der KVN Hannover. Mit kleinen Mit- KVN über Zulassungsverfahren und
wurden auf solche mit bis zu 120 ver- teln, wie beispielsweise die Praxis mögliche Kooperationen. Ein klassigrößert. „Für Osnabrück und Umge- besser zu organisieren, könne die At- sches Existenzgründerseminar gehört
bung ist das sehr gut gelungen“, sagt traktivität erhöht werden: morgens auch zum Angebot.
„Der Beruf hat später eine enorme
Lankenfeld. Von bis zu sechs Tagen früher anzufangen, längere MittagsNotdienst sei nur noch einer übrig – pausen, um Zeit für die Kinder zu ha- Vielfalt“, wirbt Lankenfeld. Auch
dies sei eine große Entlastung für die ben – sprich: den Job familienver- wenn derzeit die ärztliche Versorträglicher zu gestalten. Und sich die gung in Osnabrück und dem „SpeckÄrzte.
Gerade läuft eine weitere Reform, Praxis mit einem anderen Kollegen gürtel“ gut sei, rechnet Lankenfeld in
die dazu beitragen soll, die Kräfte der zu teilen. Mittlerweile stellt die An- spätestens fünf Jahren mit einem
Ärzte zu schonen. Der Bereitschafts- stellung in einem Krankenhaus oder Rückgang. Aber dann erst über die
dienst für Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, in einer Praxis eine Alternative zur Zukunft nachzudenken sei zu spät:
für Gynäkologen und Hautärzte läuft Selbstständigkeit dar. Gerade für älte- „Eine Ausbildung zum Arzt dauert
nur noch bis zum 30. Juni 2014. „Die re Kollegen oder jüngere Frauen, die mindestens elf Jahre.“
Nied
dergelassene Ärzte
in der Region
Laandkreis Osnabrück Kreistyp 2
Grafschaft Bentheim
Ärzte insgesamt 1)
1141,2
Durchs
hschnitt Ärzte in Kreistyp 1)
144,1
Landkreis Vechta Kreistyp 2
Lingen
Fachärzte 1)
53,7
Hausärzte
Kinderärzte
1)
K
Kinderärzte
5,9
Or
Orthopäden
4,8
Frauenärzte
6,1
4,4
Frauenärzte
65,7
Hausäärzte
144,1
Durchschnitt Ärzte in Kreistyp 1)
Orthopäden
Fachärz
rzte
123,6
Ärzte insgesamt 1)
10,0
Psychotherapeuten
15,1
1) pro 100 000
Einwohner
8,8
Psychotherapeuten
22,6
1) pro 100 000
Einwohner
Bramsche
Osnabrück Kreistyp 1
286,9
Ärzte iinsgesamt 1)
Noch war es keine Krisensitzung,
doch der Anlass der Zusammenkunft am Flughafen Münster/Osnabrück war ernst: In ländlichen Gegenden wie dem Emsland droht auf
lange Sicht ein gefährlicher Ärztemangel. Gefährlich? Für die Wirtschaft durchaus. Gute medizinische
Versorgung sei „ein wesentlicher
Standortfaktor für die Gewinnung
neuer Einwohner und Arbeitnehmer
sowie für die Ansiedlung neuer Unternehmen in ländlichen Regionen“,
sagte Eckhard Lammers, Geschäftsführer für Standortpolitik bei der Industrie- und Handelskammer Osnabrück - Emsland - Grafschaft
Bentheim (IHK) während der Veranstaltung im November. Ihr Titel: „Landarzt gesucht! Die Medizinische Versorgung als Standortfaktor“.
Unternehmen sorgen sich um ihre Attraktivität für Fach- und Führungskräfte, sollte es auf dem Land
künftig immer weniger Ärzte geben:
In vielen Bewerbungsgesprächen
schwinge die Frage des Kandidaten
nach der ärztlichen Versorgung für
seine Familie mit, sagt Magdalena
Knappik, IHK-Referentin und Leiterin des regionalen Gesundheitsnetzwerks Gewinet. „Unternehmen, die
auf der Suche nach Personal sind,
beschäftigt das sehr.“
Es treibt auch die niedersächsische Gesundheits- und Sozialministerin um, die bei der IHK-Veranstaltung zugegen war. Cornelia Rundt
erhofft sich die Lösung vor allem
von den Frauen: Gut ausgebildete
junge Ärztinnen böten „wesentliches Potenzial“ zur Vermeidung von
Ärzte-Engpässen auf dem Land,
sagte sie. Dieser Schatz allerdings –
zwei Drittel der Medizinstudenten
in Deutschland sind weiblich –
muss erst einmal gehoben werden.
Am schwierigsten dürfte das auf
dem Land werden. Wohl nirgends
beeinträchtigt die Tätigkeit des Arztes dessen Familienleben stärker als
dort, wo er im Prinzip rund um die
Uhr Bereitschaftsdienst hat, weil
kein anderer Mediziner in der Nähe
ist. Nun wird der ärztliche Nachwuchs bald jedoch zu 70 Prozent
aus Frauen bestehen, von denen die
meisten Familien gründen wollen.
Für eine junge Mutter ist die Arbeitslast des klassischen Landarztes
aber kaum zu bewältigen. Also sind
Lücken absehbar.
Nicht nur die hohe Arbeitsbelastung schreckt viele Frauen und zunehmend auch Männer von einem
Leben als Landarzt ab. Einer Umfrage der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) unter
jungen Ärzten zufolge fehlt es auf
dem Land oft an interessanten Arbeitsplätzen für die Partnerin oder
den Partner und an nahen Kita-Angeboten. Hinzu kommt die Furcht
vor Verschuldung: „Junge Ärzte
scheuen zunehmend das finanzielle
Risiko, eine Praxis zu eröffnen“,
sagt Detlef Haffke, Sprecher der
KVN. Die Investitionskosten liegen
für einen Allgemeinmediziner bei
rund 250 000 Euro, für eine Radiologen-Praxis kann locker eine Million fällig werden.
Trotz des beunruhigenden Trends
ist die Versorgungslage nach Einschätzung von Branchenkennern
noch gut, in Osnabrück sogar außerordentlich gut. Dort herrscht gemäß der Rechensystematik der
KVN bei Hausärzten ein Versorgungsgrad von 117 Prozent, im benachbarten Georgsmarienhütte sogar von 130 Prozent. Auch in den
Bereichen Bramsche, Quakenbrück
und Lingen im Emsland liegt der
Versorgungsgrad deutlich über 100
Prozent. Dünner gesät sind die
Hausärzte in den Bereichen Melle
(93 Prozent), Meppen (92 Prozent)
und Papenburg (96 Prozent)
Die Belegung der Region mit Ärzten bedarfsgerecht zu planen ist
Aufgabe der KVN. Nach Prognosen
der Planer in Hannover gehen in
Niedersachsen in den kommenden
zehn Jahren rund 4200 von etwa
11 000 Kassenärzten in den Ruhestand. Werde nicht gegengesteuert,
schmelze die Zahl von derzeit 5300
Hausärzten auf dem Land um 1000
ab, warnt die KVN. Derzeit fehlen
in Niedersachsen zur Vollversorgung 357 Hausärzte.
Die Herausforderung für den
ländlichen Raum sieht Josef Hilbert
aber nicht nur bei der Quantität,
sondern auch bei den Qualitäten
der Ärzte. Nach Ansicht des Direktors des Instituts für Arbeit und
Technik an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen Bottrop Recklinghausen müssen Landärzte in
Zukunft „Brückenschläge“ zur Sozialarbeit, der Wohnungswirtschaft,
zu Sport und Freizeit bewerkstelligen. „Das klassische Qualifikationsprofil der Ärzteschaft“, sagt der Soziologe, „ist für diese Herausforderungen unzureichend vorbereitet.“
Der Grund ist derselbe, der auch
die Krankenhauswirtschaft und
weit darüber hinaus Unternehmenslenker sowie Planer in praktisch allen Bundesministerien zum
Grübeln bringt: Deutschland ergraut – die Alten werden mehr, die
jungen weniger. Die Landärzte von
morgen müssen also zugleich Experten für Altersmedizin sein.
233,3
Durchs
hschnitt Ärzte in Kreistyp 1)
Fachärz
rzte 1)
Osnabrück
68,9
68
Hausäärzte
Kinderärzte
9,1
Orthopäden
9,1
Frauenärzte
Georgsmarienhütte
17,7
Psycho
hotherapeuten
Melle
71,3
1) pro 1000
000 Einwohner
Kreistyp 1: Kreisfreie
K
Großstädte · Kreistyp 2: Städtische Kreise
Kreistyp 3: Ländliche
L
Kreise mit Verdichtungsansätzen
Kreistyp 4: Dünn
D
besiedelte ländliche Kreise
Quellen: ver
ersorgungsatlas.de/Zentralinstitut für die kassenärztliche
Versorgungg in der Bundesrepublik Deutschland, Kassenärztliche
Vereinigungg Niedersachsen · Grafik: Matthias Michel
Ärztehäuser und Medizinische Versorgungszentren gelten als Weg, mehr Teilzeittätigkeit für
Ärztinnen zu ermöglichen und den Beruf familienfreundlicher zu machen.
Foto: Jörn Martens
6
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
MACHER & MÄRKTE
„Krankenhäuser gehören nicht an die Börse“
Die Osnabrücker Paracelsus-Kliniken setzen in der Krise der Krankenhausbranche auf Spezialisierung
VON HENDRIK STEINKUHL
OSNABRÜCK. Dass die Osnabrü-
cker „Para-Klinik“ nicht nur ein
Krankenhaus, sondern Stammsitz einer der größten Krankenhausketten Deutschlands ist,
wissen die wenigsten. Trotz harten Wettbewerbs und kapitalstarker Konkurrenten will Paracelsus aber auf keinen Fall an
die Börse gehen.
Wie kann man vorhersagen, ob ein
Parkinson-Patient an ausgeprägten Bewegungseinschränkungen
erkranken wird, an psychischen
Symptomen oder auch einer frühen Demenz? Welche Art von Behandlung ist für diabetische Fußwunden die beste? In den Paracelsus-Kliniken in Kassel und Hannover werden diese wichtigen medizinischen Fragen derzeit erforscht.
Sie stehen beispielhaft für das
Konzept, mit dem sich die Osnabrücker Krankenhauskette laut
Pressesprecherin Simone Hoffmann am Markt behaupten will:
„Wir setzen auf Spezialisierung!“
Das Gesundheitsgeschäft ist ein
hartes Brot. In ganz Deutschland
leiden die Krankenhäuser darunter, dass die Personal- und Behandlungskosten steigen, die Einnahmen aber sinken.
2012 erwirtschaftete Paracelsus
bei einem Umsatz von 344,8 Millionen Euro nach einem verlustreichen Vorjahr ein Jahresergebnis
von 2,4 Millionen Euro, Zahlen für
2013 will das Unternehmen im Mai
vorlegen. Um ihren Arbeitsplatz zu
sichern, mussten und müssen die
5000 Mitarbeiter der ParacelsusKliniken 2013 und 2014 auf Weihnachtsgeld und Tariferhöhungen
verzichten. Ab 2015 allerdings soll
es wieder einen Weihnachtszuschlag geben. Zudem sollen die
Löhne um zwei Prozent steigen.
Planen nicht den Gang an die Börse: die Paracelsus-Kliniken (Bild: Gehirnoperation am Unternehmensstandort Osnabrück). Der Patient solle im Mittelpunkt stehen, nicht die Rendite, sagt das Management.
Da nach Auskunft von Pressesprecherin Simone Hoffmann eine
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
dem Unternehmen noch Anfang
dieses Jahres ins Stammbuch geschrieben hat, sie müsse die Kosten senken, stellt sich die Frage:
Wie will die Klinik-Kette das bezahlen? „Vor allem durch Spezialisierung“, sagt Simone Hoffmann
und lächelt. Natürlich wolle ihr
Unternehmen zuallererst sparen,
indem es Prozesse optimiere. Was
das konkret bedeutet, kann oder
PARACELSUS-KLINIKEN
Nach amerikanischem Vorbild
Die Paracelsus-Kliniken gründete der
Osnabrücker Hartmut Krukemeyer
im Jahr 1968. Der
Radiologe und Unternehmer starb im
Jahr 1994. Sein
Sohn Manfred Georg Krukemeyer,
ebenfalls Mediziner, ist heute Vorsitzender der Ge-
sellschafterversammlung. Nach
dem Vorbild der
amerikanischen
Mayo-Kliniken hat
die Osnabrücker
Krankenhauskette
das Belegarzt-System in Deutschland
eingeführt. Das bedeutet, dass die behandelnden Ärzte
eine eigene Praxis
innerhalb einer Klinik haben. Insgesamt gibt es in
Deutschland über
40 ParacelsusEinrichtungen an
22 Standorten und
eine in der Schweiz.
Dazu gehören
Akut-Krankenhäuser, Rehabilitationskliniken und ambulante Einrichtungen.
möchte Simone Hoffmann nicht
sagen. Darüber hinaus aber verfolge Paracelsus das klare Ziel, die
Patientenzahl und damit die Einnahmen zu steigern, indem man
professionelle Schwerpunktmedizin betreibe.
Die Klinik in Kassel etwa ist
führend bei der Erforschung und
Behandlung von Parkinson. In
Düsseldorf wiederum betreibt die
Klinikgruppe das einzige urologische Fachkrankenhaus Deutschlands. Am Unternehmenssitz in
Osnabrück schließlich ist die Neuromedizin stark vertreten.
Gute und spezialisierte Medizin
anzubieten sei aber nur die halbe
Miete, sagt Simone Hoffmann.
„Man muss auch über das gute
Angebot sprechen. Und das können Krankenhäuser nicht.“ Die
Chefin der Unternehmenskommunikation sieht also gerade in ihrem Ressort Nachholbedarf –
kann aber auch schon erste Erfolge vermelden. Mit regelmäßigen
Vorträgen etwa locken die Paracelsus-Kliniken zahlreiche Zuhörer
an und vergrößern somit ihren Bekanntheitsgrad. Erfreulich sei
auch, dass die erwähnte Klinik in
Kassel im Krankenhausreport der
Zeitschrift „Focus“ auftauche. „Es
ist zwar sehr zweifelhaft, wie dieser Report zustande kommt“, sagt
Simone Hoffmann. „Aber die Patienten beeindruckt das natürlich.“
Ein großes Thema unter Patienten wie auch in den Medien ist seit
einigen Jahren die Krankenhaushygiene. Ein Riesenproblem verursacht in Deutschland der sogenannte Krankenhauskeim MRSA.
Die Paracelsus-Kliniken haben darauf reagiert, laut Simone Hoffmann
soll etwa in Osnabrück noch in diesem Jahr ein Chef-Hygieniker eingestellt werden.
Was schließlich den Wettbewerb
um die besten Köpfe angeht, hat
Paracelsus laut Simone Hoffmann
einen großen Vorteil gegenüber
der Konkurrenz: „Bei uns muss
der Arzt nicht 15 Prozent Rendite
erwirtschaften.“ Anders als die
großen Mitbewerber Rhön-Klinikum AG und Helios sind die Paracelsus-Kliniken nicht an der Börse
notiert – und das soll so bleiben.
Manfred Krukemeyer, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Paracelsus-Kliniken, sagte in einem Interview mit dem
Deutschen Ärzteblatt: „Krankenhäuser gehören nicht an die Börse.
Punkt.“ Der Sohn des Unternehmensgründers vertritt die Auffassung, dass man im Krankenhaus
auf Dauer nicht Gewinne maximieren kann, wie es von den Aktionären erwartet werde. „Die Fallpauschalen decken die Kosten für
die Fälle ab, also die Kosten der
Behandlung, nicht aber den Kapitaldienst.“
So wollen die Paracelsus-Kliniken zumindest im Blick auf die
Foto: Hermann Pentermann
Unternehmensstruktur ein im
besten Sinne traditioneller Krankenhausbetreiber bleiben, der seinen Patienten zuallererst eine
ausgezeichnete medizinische Versorgung bietet. Laut Simone
Hoffmann dürfe man als Krankenhausbetreiber aber auch einen anderen Faktor niemals außer Acht lassen: „Das Essen ist
für die Patienten sehr, sehr wichtig!“
Auch auf Helgoland gibt es eine Einrichtung des Paracelsus-Verbands: Die Nordseeklinik hat
sich auf Neurologie spezialisiert.
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8
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
MACHER & MÄRKTE
Aus Lemförder Gips entstehen
Zahnmodelle in aller Welt
In den Werkshallen des Herstellers Shera wird es eng
VON ALEXANDER KLAY
LEMFÖRDE. Shera macht Gips.
Nicht den aus dem Baumarkt,
sondern Gips für Zahnabdrücke. Bei dem Werkstoff kommt
es auf höchste Präzision an.
Denn die entstehenden Gebissmodelle dienen als Grundlage
für Zahnimplantate für Patienten in mittlerweile 70 Ländern.
Eigentlich waren Textilien das
Ding von Günther Grill. Doch als
sich die Produktion für Versandkataloge Anfang der 1980er-Jahre
nicht mehr lohnte, tüftelte der gebürtige Schwabe an einem neuen
Produkt: In einem Betonmischer
setzte Grill erste Mixturen für
Dentalgipse an, mit denen Zahnabdrücke gefertigt werden. Daraus
entwickelte sich Shera WerkstoffTechnologie in Lemförde – einer
der Marktführer in Deutschland.
Die Zeit des Betonmischers ist
längst überwunden. Heute zählt
Shera nach eigenen Angaben 7300
Kunden in Deutschland und Österreich, exportiert wird in 70 Länder. 2013 lag der Umsatz bei 15
Millionen Euro. Vor fünf Jahren
waren es noch 13,5 Millionen Euro. Während am Heimatmarkt zu-
letzt ein Zuwachs von einem Prozent erzielt worden sei, lag das
Plus im Export bei zehn Prozent.
Im Januar und Februar ist der
Umsatz nochmals um 12,3 Prozent
gestiegen, sagt Geschäftsführer
Jens Grill. Er hat das Unternehmen im August 2001 übernommen. Täglich produziert das Unternehmen unter anderem rund 13
Tonnen Dentalgips. Das Spezialprodukt weise eine besonders ge-
Dentalgips darf
sich nur um
0,08 Prozent
ausdehnen.
ringe Ausdehnung auf, wenn es
mit Wasser angerührt wird. Grill
spricht von 0,08 Prozent. „Wenn
es mehr ist, wird das Modell
falsch“, sagt er. Handelsübliche
Produkte aus dem Baubedarf dehnen sich um mehrere Prozent aus.
Doch
Zahnlabore
arbeiten
längst nicht mehr nur mit Gipspräparaten. Abdrücke werden zunehmend eingescannt und Kronen, Brücken oder Implantate am
Bildschirm entworfen. „Im digitalen Bereich wird sich technisch
noch sehr viel tun“, sagt Grill. Aktuell stockt er dazu sein Personal
auf.
Durch
das
kontinuierliche
Wachstum ist es in den Werkshallen eng geworden. Einst grenzten
Wohn- und Geschäftsräume direkt
aneinander. Heute sitzt im ehemaligen Wohnzimmer die Finanzbuchhaltung. Alle Hallen wurden
unterkellert. Wo Jens Grill früher
sein Jugendzimmer hatte, entwickeln Mitarbeiter digitale Anwendungen. „Wir müssen dringend,
dringend erweitern“, meint der
Shera-Chef.
In welche Richtung sich diese
Pläne entwickeln werden, ist noch
nicht klar. Wegen einer Überlandleitung über den Dächern jeden-
13 Tonnen Dentalgips verlassen bei der Firma Shera täglich die Produktion.
falls nicht in die Höhe. Mit den
Nachbarn werde über einen Flächenkauf verhandelt.
Eng wird es auch im Lager für
das Auslandsgeschäft. Auf 750 Palettenstellplätzen sammelt das Unternehmen hier Lieferungen, bis
sie von einer Spedition abgeholt
werden. Wegen des hohen Gewichts der Gipstüten lohne sich
ein Einzelversand nicht. Im Ver-
sandraum sind Paletten mit Türkei, Jemen und Ukraine beschriftet – Shera hat sich international
einen Namen gemacht.
Den unternehmerischen Erfolg
und das soziale Engagement würdigte 2013 die Oskar-Patzelt-Stiftung, die jährlich den „Großen
Preis des Mittelstandes“ vergibt.
Shera erhielt eine Ehrenplakette.
Das Engagement in der Region
Foto: Shera
„ist auf die enge Zusammenarbeit
mit Universitäten und berufsbildenden Schulen ausgerichtet“,
hieß es in der Laudatio.
Eine nähere Bedeutung hat der
Firmenname übrigens nicht. Er
geht auf einen Rotweinabend zurück, erzählt Grill. Als der Firmengründer 1983 einen Begriff suchte,
der markenrechtlich noch nicht
belegt war, bot sich Shera an.
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FIRMENPORTRÄT
emco Group – fit für die Zukunft
Seit der Firmengründung
vor fast 70 Jahren hat sich
die emco Group zu einem
weltweit agierenden Unternehmen entwickelt. Mit
rund 20 Produktions- und
Vertriebsstandorten
ist
die Gruppe international
präsent, von den mehr als
1200 Mitarbeitern ist etwa
die Hälfte außerhalb des
Lingener Stammsitzes ansässig. Für den internationalen Wettbewerb sieht
sich die Gruppe gut aufgestellt.
INTERNATIONALES
WACHSTUM
Bereits heute werden die
Produkte der vier Tochtergesellschaften emco Bad,
emco Bau- und Klimatechnik, Novus Dahle und emco
elektroroller in mehr als 100
Ländern der Welt vertrieben.
„Die Exportmärkte werden
weiter an Bedeutung für uns
gewinnen“, betont Christian Gnaß, geschäftsführender Gesellschafter der emco
Group. Um sich auf den globalen Märkten besser positionieren zu können, hat sich
das Traditionsunternehmen
im März diesen Jahres einer
Umfirmierung
unterzogen:
Aus der Erwin Müller Gruppe
Lingen ist die emco Group
geworden.
„Die Bezeichnung emco
Group ist international leichter anzuwenden und somit
ein Schritt in die zukunftsorientierte Entwicklung unseres Unternehmens“, erklärt
Gnaß. „Gleichzeitig ist emco
Bereits 180 Mitarbeiter nutzen das Firmenfitnessprogramm emco FIT und trainieren in Fitnessstudios, Schwimmbädern oder
beim Physiotherapeuten.
die älteste Produktmarke unseres Hauses, die sich übrigens aus den Initialen unseres Unternehmensgründers
Erwin Müller und der damaligen Firmierung Erwin Müller
& Co. ableitet und international hohe Bekanntheitswerte
genießt.“
IM TEAM ZUM ZIEL
Der neue Firmenname emco Group trägt der zunehmenden Internationalisierung Rechnung.
Von links: Harald Müller und Christian Gnaß, die beiden geschäftsführenden Gesellschafter der
Unternehmensgruppe.
Foto: emco /H.Kramer
Ein hohes Innovationspotenzial sichert dem Unternehmen immer wieder
Wettbewerbsvorteile
und
marktführende
Positionen.
Beste Voraussetzungen dafür bietet nicht nur das 2012
eingeweihte
Forschungsund Entwicklungszentrum,
sondern auch gut ausgebil-
Als Arbeitgeber setzt emco Group auf …
- flexible Arbeitszeiten und Vergütungssysteme
- demografische Angebote (z.B. Altersteilzeit)
- ein großes Schulungs- und
Weiterbildungsangebot
- optimale Entwicklungschancen im Team
- Familienförderung
- Gesundheitsförderung (emco FIT)
und Betriebssport
- Sicherheit am Arbeitsplatz und modernste
Technologien
detes Fachpersonal. Als Arbeitgeber punktet die emco
Group deshalb mit einem
breit angelegten Schulungsund Weiterbildungsangebot
ebenso wie mit familienfreundlichen Arbeitsplatzangeboten. Das firmeneigene
Fitnessprogramm „emco FIT“
motiviert die Mitarbeiter dazu,
auf ihre Gesundheit zu achten – mit Erfolg: Heute nutzen
bereits rund 180 Mitarbeiter
das Fitnessangebot, das ihnen ermöglicht, ausgewählte
Fitnessstudios, Schwimmbä-
der und Physiotherapeuten
gegen einen geringen Eigenkostenanteil besuchen zu
können.
INFO/KONTAKT ::::::::::::::
Erwin Müller GmbH
Breslauer Str. 34-38
49808 Lingen (Ems)
Tel. 05 91 9 14 0 -0
Fax 05 91 9 14 0-811
[email protected]
www.emco-group.de
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
BRANCHEN &
BETRIEBE
9
Spiel und Kommunikation – aber nicht nur: Die Pflegekräfte der Zukunft, die derzeit im Emsland ausgebildet werden, sollen deutlich mehr können und selbstständig anwenden dürfen.
Foto: dpa
Tun, was sonst nur Ärzte dürfen
In Lingen und Meppen wird die Ausbildung von Pflegepersonal umgekrempelt – das macht den Beruf attraktiver
Prognose: Im Jahr
2030 fehlen eine halbe
Million Pflegekräfte.
Neue Konzepte sollen
Neugier auf den
Pflegeberuf wecken.
In Lingen wird
das Pflegestudium
international.
VON KIM KAROTKI
LINGEN/MEPPEN. Pflegenotstand
macht erfinderisch: Die Hochschule Osnabrück bietet auf ihrem Campus Lingen einen dualen Studiengang an, der den Beruf aufwerten kann und für junge Menschen attraktiver macht.
Die Pflegerinnen und Pfleger
der Zukunft handeln selbstständiger und argumentieren gegenüber Ärzten auf Augenhöhe. Das
Konzept stammt aus den USA.
Auch ein nicht akademisches
Weiterbildungsangebot im Emsland zielt in diese Richtung.
Zypern, Finnland, die Niederlande,
Portugal und Wales – die Pflegeausbildung auf dem Campus Lingen wird international. Zwölf von
20 Studierenden im sechsten Semester des dualen Bachelor-Studiengangs Pflege sind Mitte März für
drei Monate ausgeschwärmt, um
eine andere Pflegekultur in Europa
kennenzulernen. In vielen europäischen Staaten sind akademische
Pflegekräfte keine Seltenheit, und
der Pflegeberuf ist besser angesehen. In Deutschland hat sich das
Bild vom Pflegenden in einer Einrichtung mit alten, pflegebedürftigen Menschen in Kopf festgesetzt.
Dass Pflege in der Praxis heute anders aussieht und der Beruf mehr
Möglichkeiten bietet als bekannt,
zeigt der Pflegestudiengang an der
Hochschule Osnabrück.
Spätestens seit dem „Pflegereport 2030“ der Bertelsmann Stiftung ist der drohende Pflegenotstand in vieler Munde. Demnach
wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zunehmen, werden bundesweit eine halbe Million Vollzeitkräfte in der Pflege fehlen. Im Osnabrücker Land und im Emsland
immerhin stellen der duale Bachelorstudiengang Pflege und die
Weiterbildung zur nicht ärztlichen
Praxisassistenz in Meppen Bausteine dar, um den Einstieg in den
Pflegeberuf attraktiver machen.
Die Gründe für die Versorgungslücke bei den Pflegekräften
sind vielfältig: Nach Einschätzungen von Experten gehören dazu
der demografische Wandel, das
schlechte Image des Berufs. Geringe Bezahlung und Schichtdienst
sowie Dienste am Wochenende
schrecken viele ab. Trotzdem lässt
sich immerhin bereits eine positive Entwicklung ausmachen. Das
Kultusministerium
Niedersachsens verweist auf 6756 Schüler in
der Altenpflegeausbildung 2013,
verglichen mit 4549 im Jahr 2007.
Niedersachsens Gesundheitsministerin Cornelia Rundt weist auf
die Notwendigkeit zum Umdenken hin. Stellschrauben sind ihrer
Meinung nach die Aufwertung der
Pflegeberufe, die tarifliche Anhebung, bessere Arbeitsverteilung
und die Schaffung von Karrieremöglichkeiten. „Um den Einstieg
Auslandspraktikum inklusive: Pflege-Studentinnen des Campus Lingen der Hochschule Osnabrück vor der Abreise zu ihren Tätigkeitsorten.
Foto: Hochschule Osnabrück
attraktiver zu machen, müssen auf
Bundesebene die Kranken-, Altenund Kinderkrankenpflege-Ausbildung zusammengelegt werden“,
lautet ihr Vorschlag.
Einen Schritt in diese Richtung
stellt der duale Studiengang der
Hochschule Osnabrück dar. Innerhalb von vier Jahren erwerben
Auszubildende der Alten-, Gesundheits- und Kranken- sowie Kinderkrankenpflege ihren Berufsabschluss und den Bachelor of Science in Pflege. Vorteil: „Die Studierenden sparen zwei Jahre“, so
Dajana Benner, Dozentin im Bereich Pflege am Campus Lingen.
Der bisherige Weg, Ausbildung
mit anschließendem Bachelorstudium, dauerte sechs Jahre.
„Außerdem kann ein Master
aufgesattelt werden, und es besteht die Möglichkeit zu einem
Auslandsaufenthalt“, sieht die Dozentin die Vorteile klar umrissen.
Insgesamt 40 Plätze stehen Interessierten jeweils in Osnabrück
und auf dem Campus Lingen zur
Verfügung. Das praxisorientierte
Studium gründe sich auf drei Säulen, erklärt Werner Koop, Leiter
des Schulungszentrums des Ludmillenstifts in Meppen: „Die Schulen machen den fachtheoretischen
Teil, die Pflegeeinrichtungen den
praktischen, und an der Hochschule wird die Pflegewissenschaft
vermittelt.“
Zu den angestrebten Tätigkeiten
gehören die Steuerung pflegetherapeutischer Prozesse, die Anleitung und Beratung von Patienten,
Angehörigen und Assistenzkräften: Vorbild sei das „Primary Nursing“, sagt Benner. Hinter dem aus
den USA stammenden Konzept
steht die Idee, einem Patienten eine Pflegekraft als Bezugsperson
zuzuordnen. Das beinhaltet, den
Pflegeprozess eigenverantwortlich
zu planen. Die Studierenden
müssten sehr selbstständig arbeiten, betont Koop: „Sie müssen Arbeitsabläufe gezielter durchdenken, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis bringen, Arbeitsabläufe reflektieren und anpassen,
Pflegediagnosen erstellen und umsetzen.“ So könnten sie gegenüber
Ärzten auf einer anderen Ebene
argumentieren.
Bei aller Aufbruchstimmung –
einen Wechsel hin zur Akademisierung strebe man mit dem neuen Studiengang jedoch nicht an,
macht Koop deutlich: „Ich glaube,
dass wir in der Zukunft in der
Pflege ganz anders denken müssen: Wir werden einen Kompetenzmix haben müssen, und da
sind wir noch im Entwicklungsstadium.“
Die Hochschule
Osnabrück
verleiht den
Titel „Bachelor
of Science“
in Pflege.
Einen nicht akademischen Weg
zu einer besseren Arbeitsverteilung im Gesundheitswesen soll
die Weiterbildung zur „nicht ärztlichen Praxisassistenz für medizinische Fachangestellte“ bieten.
Der bundesweit anerkannte Abschluss geht im Emsland auf die
Initiative regionaler Vertreter des
Gesundheitswesens und der Ärztekammer Niedersachsen im Rahmen des Landesmodellprojekts
„Zukunftsregion Gesundheit Emsland“ zurück. Bei diesem Pionierprojekt legten bundesweit erstmalig vor zwei Jahren 18 medizinische Fachangestellte ihre die
Prüfungen ab.
Nach der Weiterbildung sind
medizinische Fachangestellte in
Abstimmung mit dem Arzt zu
selbstständigen
Hausbesuchen
und Besuchen in Altenheimen befugt. Die Bundesärztekammer
sieht großen Bedarf, besonders
vor dem Hintergrund des Landärztemangels: „Speziell in unterversorgten Gebieten entlasten
derart geschulte Fachkräfte den
Arzt oder die Ärztin enorm“,
heißt es bei der Kammer.
Dafür benötigen medizinische
Fachangestellte Kompetenzen in
der
Palliativversorgung,
der
Onkologie und der Psychosomatik.
Die vermitteln ihnen in Meppen Ärzte praxisnah in 220 Stunden; ein ausbildungsbegleitendes
Praktikum rundet die Ausbildung
ab.
Nicht ärztliche Praxisassistenten sind damit befugt, Wunden
zu versorgen, Blutdruck- und
Blutzuckerwerte zu kontrollieren,
beurteilen das häusliche Umfeld
und koordinieren die Zusammenarbeit mit der ambulanten Pflege
oder anderen Dienstleistern.
10
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
BRANCHEN & BETRIEBE
Gütesiegel für Umdenker
Die Emsländische Stiftung Familie und Beruf zertifiziert Unternehmen, die das Familienleben ihrer Angestellten fördern
SÖGEL/MEPPEN. „Mama, du
weißt doch, ich esse kein Fleisch
mehr“, „Papa, was gibt es heute
zu essen?“ „Mama, ich habe keine Zeit fürs Mittagessen, ich
muss lernen“ – wenn das Mittagessen zu Hause zum Stressfaktor wird, kann es schon eine
große Entlastung sein, das passende Essen vom Arbeitsplatz
mitzunehmen. Die Emsländische Stiftung Familie und Beruf
prüft, was Unternehmen für ihre Mitarbeiter tun.
Abwechslungsreich, vegetarisch,
schnell, je nach Bedarf. Die Kantine des Hümmling-Hospitals Sögel
gibt gestressten Mitarbeitern die
Care-Pakete mit auf den Weg, für
2,50 Euro pro Person. Eine kleine,
aber sehr effektive Maßnahme, die
das Krankenhaus im Zuge der Zertifizierung als familienfreundlicher Betrieb für sich erarbeitet
hat. Weniger Stress bedeutet auch
zufriedenere und gesündere Mitarbeiter.
Das Gütesiegel „Familienfreundlichkeit“ wurde von der Emsländischen Stiftung Beruf und Familie
entwickelt und wird seit 2010 vergeben. Rund 50 Betriebe haben
sich seitdem zertifizieren lassen.
Vom fünfköpfigen Büro für Landschaftsplanung bis zum Großbe-
trieb wie der Meyer Werft mit
3000 Mitarbeitern. Die Stiftung
selbst wurde vom Wirtschaftsverband und dem Landkreis Emsland
2006 gemeinsam ins Leben gerufen mit dem Ziel, das Emsland familienfreundlicher zu machen und
damit auch attraktiver für heiß begehrte Fachkräfte.
Inge Otten von der Alwin Otten
GmbH aus Meppen bringt es auf
den Punkt: „Wir haben einen
Fachkräftemangel hoch zehn, da
tut man alles, um ein guter Arbeitgeber zu sein.“
Unternehmenscoach
Ursula
Günster-Schöning, die im Auftrag
der Stiftung die Unternehmen zertifiziert, bestätigt diese Motivation
der Unternehmen. Längst sei das
Thema
Familienfreundlichkeit
kein „Nice to have“ mehr, sondern
absolut wichtig, um im Wettbewerb um gute Mitarbeiter bestehen zu können.
Und im Vergleich zu vielen anderen Gütesiegeln, die es mittlerweile zum Thema „Familienfreundlichkeit“ in Deutschland gebe, werde das emsländische Siegel
in enger Zusammenarbeit mit den
jeweiligen Unternehmen vergeben. Es reicht also nicht, nur einen Fragebogen auszufüllen oder
sich im Internet von den Mitarbeitern bewerten zu lassen, die Unternehmen müssen sich auf etwas
mehr Arbeit und Nachdenken
Mittagessen „to go“ beim Hümmling-Hospital in Sögel.
über das Thema Familie und Beruf
einlassen. So gehört zu jedem Zertifizierungsprozess ein halbtägiger
Workshop, an dem Mitarbeiter
aus verschiedenen Bereichen des
Unternehmens teilnehmen, um
die Bedürfnisse, Wünsche und
Ideen für mehr Familienfreundlichkeit zu ergründen und konkrete Maßnahmen zu entwickeln.
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mann in Hüntel sind diese Dinge
ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur: „Bei uns hängen die Leitlinien wie ,Wir sind
ein Familienunternehmen‘ nicht
nur an den Wänden, sondern sie
werden gelebt.“ Als Beispiele führt
sie die Einführung einer Geburtsbeihilfe in Höhe von 400 Euro für
jedes neugeborene Kind eines Mitarbeiters an, die Ausgabe von Gutscheinheften für Freizeitunterneh-
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VON CAROLIN APPELBAUM
mungen oder das Angebot zum
Jobsharing. Außerdem nähmen
seit der Zertifizierung auch Männer viel häufiger die Elternzeit in
Anspruch. Vor der Zertifizierung
sei das Thema nie angesprochen
worden, zurzeit seien aber fünf
oder sechs Väter in Elternzeit.
Familie und Beruf unter einen
Hut zu bringen, das ist längst
nicht mehr ein reines Frauenthema. Auch für Männer ist ein familienfreundlicher Arbeitsplatz ein
Anreiz. Das stellt auch Unternehmenscoach Ursula Günster-Schöning fest: „Familienfreundlichkeit
ist nicht nur ein Gedöns, was man
mitmacht, sondern eine konkrete
Serviceleistung.“
Bei einer aktuellen Umfrage unter mittelständischen Unternehmen, so Günster-Schöning, haben
74 Prozent der Chefs bestätigt: „Ja,
die Männer wollen Erziehungsverantwortung.“
Und darauf müssen die Unternehmen reagieren. Dass sie das
auch tun, zeigt der große Anteil
von zertifizierten Unternehmen,
die eher klassische Männerarbeitsplätze anbieten. Wie zum Beispiel
die Kampmann GmbH. Der Heizungs-, Klima- und Lüftungsbauer
aus Lingen beschäftigt 500 Mitarbeiter, 411 davon sind männlich.
Natürlich bedeutet Familienfreundlichkeit nicht nur die Möglichkeit, Kinder und Beruf zu ver-
einbaren, bei Kampmann wurde
ein ganz anderer Bedarf offenbar:
Beruf und häusliche Pflege unter
einen Hut zu bringen.
Bei einer älter werdenden Belegschaft komme es immer häufiger vor, dass Mitarbeiter auch
pflegebedürftige Eltern zu Hause
betreuen. Christiane Schomaker
wurde eigens dafür als Beraterin
für Pflege und Beruf fortgebildet
und ist nun Ansprechpartnerin für
die Mitarbeiter.
Eine der wichtigsten Hilfestellungen bei allen zertifizierten Unternehmen ist es, möglichst flexibel auf die Arbeitszeit-Bedürfnisse
der Mitarbeiter einzugehen.
Bei dem Kälte-, Klima- und
Elektrofachbetrieb Alwin Otten
GmbH steht dieses Thema ganz
oben auf der Tagesordnung. Das
Unternehmen hat dafür ein sogenanntes
Lebensarbeitszeitkonto
eingeführt. Überstunden, Urlaubstage oder Lohnbestandteile können angespart und später wieder
in freie Zeit umgerechnet werden.
Das kann sein, wenn man Pflegezeit braucht, in Altersteilzeit gehen oder eine Auszeit nehmen
möchte.
Unternehmenscoach
Ursula
Günster-Schöning ist zufrieden
mit dem emsländischen Siegel für
Familienfreundlichkeit: „Hier tun
die Firmen wirklich etwas, es ist
nicht nur ein Zettel an der Wand.“
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
BRANCHEN & BETRIEBE
Mit einem neuen Job zurück ins Leben
Arbeit kann psychisch kranken Menschen bei der Genesung helfen – Doch viele Betriebe schrecken vor Einstellungen zurück
VON EVA VOSS
OSNABRÜCK. Menschen mit psychischen Erkrankungen haben
es häufig schwer auf dem Arbeitsmarkt. Sie sind meist nicht
so belastbar wie ihre Kollegen,
deshalb schrecken viele Personalchefs vor der Einstellung zurück. Dabei ist Arbeit für die Genesung von psychisch Kranken
sehr wichtig.
Arbeitsunfähigkeiten
aufgrund
psychischer Erkrankungen nehmen zu. Der Krankenkasse Barmer GEK zufolge gab es 2012 in
Niedersachsen und Bremen rund
26 000 Arbeitsunfähigkeitsfälle
aufgrund psychischer Erkrankungen, 6,7 Prozent mehr als im Vorjahr. „In Osnabrück gab es mit
3800 Fällen sogar eine Steigerung um 14,1 Prozent“, sagt Landespressesprecher Michael Erdmann.
Wenn Heike B. (Name geändert) heute von ihrer Arbeit in einem Osnabrücker Seniorenzentrum erzählt, spürt der Zuhörer
auf Anhieb ihre Begeisterung. Vor
ein paar Jahren war das noch undenkbar, denn die Osnabrückerin
ist psychisch krank. Mithilfe des
neuen Jobs und der Unterstützung durch die Heilpädagogische
Hilfe Osnabrück (HHO) hat sie
sich zurück ins Leben gekämpft.
Früher hatte die 42-Jährige keine
Schwierigkeiten, in der Arbeitswelt zurechtzukommen. Sie hat
zwei Ausbildungen abgeschlossen:
zunächst die als Kinderkrankenschwester, dann noch eine als Erzieherin. Viele Jahre hat sie in einem Kindergarten in der Region
gearbeitet – dann wurde sie arbeitslos. „Es war, als würde ich in
ein riesiges schwarzes Loch fallen“, beschreibt sie die damalige
Situation. Sie habe sich plötzlich
nicht mehr gebraucht gefühlt, obwohl sie zwischenzeitlich auch als
Tagesmutter tätig war. Als sie einige Zeit später wieder Arbeit
fand, fühlte sie sich nicht mehr so
belastbar wie früher: „Ich ließ
mich plötzlich ganz schnell von
den Kindern aus der Ruhe bringen. Ich habe einfach gemerkt,
dass ich das nervlich nicht mehr
schaffe“, sagt sie.
Dass solche Entwicklungen
häufig vorkommen, bestätigt Professor Wolfgang Maier, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und
Nervenheilkunde in Berlin: „Längere Arbeitslosigkeit löst oft De-
moralisierung, Frustration und
Kränkung aus. Daraus resultieren psychische Erkrankungen,
oder schon vorhandene Erkrankungen werden verstärkt“, erklärt Maier, der Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie
und Psychotherapie an der Uniklinik in Bonn ist.“ Eine Beschäftigung dagegen wirke auf Erkrankte stabilisierend und erhöhe ihr Selbstwertgefühl. Doch gerade für psychisch Schwerkranke
sei es sehr schwierig, Arbeit zu
bekommen. Nur etwa zehn Prozent der psychisch Schwerkranken gingen einer regulären Beschäftigung nach. Sie seien häufig nicht so belastbar wie andere
Arbeitnehmer, gleichzeitig würden die Ansprüche immer höher.
Maier ist überzeugt, dass das sogenannte „Supported Employment“, eine begleitete Beschäftigung, in Deutschland noch viel
mehr praktiziert werden müsse,
um die Teilhabe der Betroffenen
zu ermöglichen – bislang sei das
eher die Ausnahme. Bei dieser
Form der Wiedereingliederung
werden psychisch schwer kranke
Menschen in eine Arbeitsstelle in
einem Unternehmen vermittelt
und erhalten begleitende Unterstützung. „Dabei ist es wichtig,
dass der Arbeitsplatz auf den
Menschen zugeschnitten ist und
nicht umgekehrt“, betont Maier.
Er fordert, Supported Employment sozialrechtlich zu verankern, denn laut UN-Behindertenrechtskonvention hätten psychisch Kranke ein Recht auf Arbeit. Darüber hinaus müsse es
bezuschusst werden. Bei leichteren psychischen Erkrankungen
wie etwa Burn-out fordert Maier,
dass Betroffene schnelle Hilfe
von Experten bekommen und
nicht zu lange krankgeschrieben
werden:
„Im
Wesentlichen
schützt Arbeit vor psychischen
Erkrankungen, denn Arbeit stabilisiert den Selbstwert, ermöglicht Selbstverwirklichung und
ist sinnstiftend.“
Heike B. war etwa ein halbes
Jahr lang krankgeschrieben.
„Persönlichkeitsstörung
mit
Zwangsstörung“ lautete damals
die Diagnose. Behandelt wurde
sie in einer Tagesklinik. Eine Ärztin überwies B. später an das Reha-Zentrum am Hesselkamp
(RPK) in Osnabrück. „Krankheitsbedingt fiel es mir sehr
schwer, mich zu konzentrieren.
Die Therapie dort hat das sehr
geübt“, erzählt sie. Über das RPK
absolvierte die 42-Jährige mehre-
Arbeit kann zwar krankmachen, doch für die Genesung von psychisch kranken Menschen ist sie essenziell wichtig.
„Der Arbeitsplatz
muss auf den
Menschen
zugeschnitten
sein und nicht
umgekehrt.“
Professor Wolfgang Maier,
Vorsitzender der DGPPN
Von Profis für Profis.
re Praktika, unter anderem in
dem Seniorenzentrum, in dem
sie auch jetzt arbeitet. Dort war
sie zunächst im Hauswirtschaftsbereich beschäftigt: „Das lag mir
nicht so. Ich fühlte mich dort
schnell überfordert“, sagt B. und
wechselte daraufhin in die Betreuung der Bewohner. „Damit
ist sie richtig aufgeblüht“, findet
Manfred Ende von der Fachberatung Berufliche Integration der
HHO. Er begleitet B. auf ihrem
Weg zurück ins Berufsleben und
unterstützt sie, wenn es Probleme gibt. Bei dieser Form der Beruflichen Integration handelt es
sich um genau das, was Professor
Maier gerne häufiger in Deutschland sehen würde: Supported
Employment. „Aufgrund ihrer
Zwänge fällt Heike das strukturierte Arbeiten manchmal noch
Foto: Colourbox.de
schwer. Weil sie einen ausgelagerten Arbeitsplatz der HHO hat,
ist der Druck nicht so groß, und
sie darf auch mal etwas falsch
machen“, erklärt Ende das Prinzip. Trotzdem würde es für B.
Herausforderungen und auch
Frustration geben: „Ich muss lernen, auch damit umzugehen“,
sagt sie. Würde es mehr entsprechend gestaltete Arbeitsplätze
geben, könnten auch mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen am Arbeitsmarkt teilhaben, ist Ende überzeugt. Die
Fachberatung Berufliche Integration der HHO könne Unternehmen bei der Gestaltung der Arbeitsplätze unterstützen. Zusammen mit Manfred Ende hat Heike B. einen Eingliederungsplan
erstellt und Ziele vereinbart.
Wenn es ihr Gesundheitszustand
zulässt, möchte die Osnabrückerin eine Umschulung zur Betreuungskraft für Demenzerkrankte
machen.
Einen anderen Weg ist die
Hamburgerin Stefanie Stopat gegangen. Seit vier Jahren ist sie
Peer-Beraterin. „Peer“ ist englisch und heißt etwa „auf gleicher Ebene“. Dazu hat die 49Jährige, die an einer bipolaren
Störung erkrankt ist, die einjährige Ex-In-Fortbildung gemacht.
Diese soll psychisch kranke Menschen befähigen, ihre Erfahrung
weiterzuverarbeiten und gemeinsam zu reflektieren, um andere
psychisch kranke Menschen als
Genesungsbegleiter zu unterstützen. „Der Kurs hat alles verändert. Ich habe gelernt, dass ich
nicht nur krank bin, sondern
dass ich auch Krisen überwunden habe. Die Fortbildung hat
mir gezeigt, dass ich trotz meiner
Krankheit wichtig für andere
Menschen sein kann“, erzählt
Stopat. Sie hilft den Menschen,
die zu ihr kommen, den Tag zu
strukturieren, bei der Beantragung des Schwerbehindertenausweises oder bei der Wiedereingliederung. Der Unterschied zwischen ihr und einem professionellen Therapeuten sei, dass sie
den Betroffenen auf Augenhöhe
durch die eigene Erfahrung begegne. Profis dürfen darüber hinaus nichts von sich selbst preisgeben: „Ich kann mit meinem positiven Beispiel zeigen, dass man
auch anders mit psychischen Krisen umgehen kann“, sagt Stopat
selbstbewusst. Ihr Erfolg bei der
Betreuung sei wiederum Motivation, weiter an sich zu arbeiten.
„Bei den Erkrankten kommt die
Peer-Beratung sehr gut an“, erklärt Candelaria Mahlke. Sie ist
Psychologin und Wissenschaftlerin im Peer-Projekt Hamburg, Teil
des Verbundes Psychenet am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf. „Wir bekommen Anfragen von Betroffenen aus ganz
Deutschland.“ In vielen Ländern
gebe es diese Form der Beratung
schon. Deshalb sei es auch ihr
Ziel, die Peer-Beratung in die Regelversorgung aufzunehmen und
sie an allen psychiatrischen Kliniken zu etablieren. „Für die Berater wirkt die Begleitung anderer
stabilisierend, sie erfahren Wertschätzung. Ihre Erkrankung ist
nicht mehr nur ein Makel, sondern ihre Qualifikation“, erklärt
die Psychologin. In Hamburg gibt
es zurzeit 28 Peer-Berater für Betroffene und deren Angehörige.
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Surwold, Januar 2014 - Man nennt
sie Systemhalle, Typenhalle, Normhalle, Schnellbauhalle, Fertighalle
oder Bausatzhalle. Je nach Region
und Geschmack heißen sie anders.
Gemeint ist aber immer das Gleiche:
elementierte Bauweise im Stahlhallenbau. Systemhallen stellen im Hallenbau eine besonders wirtschaftliche Variante dar. Viele baugleiche
Teile ermöglichen eine effizienzoptimierte Bauweise. Die Effekte: Eine
deutliche Verkürzung der Liefer- und
Montagezeiten sowie die Reduzierung der Investitionshöhen.
Die Idee ist nicht neu, gewinnt aber
stetig an Perfektion. So zum Beispiel
bei dem emsländischen Unternehmen „HUSEN – Die Stahlbauer“. Die
Stahlbauspezialisten bieten System-
hallen der neuesten Generation an.
Wolfgang Husen, Geschäftsführer
des Unternehmens dazu: „Das gut
durchdachte Husen-Baukastensystem sichert den Kunden eine extrem
hohe Qualität, made in Germany.
Das Ziel, das wir uns bei der Weiterentwicklung der Husen-Systemhalle
gesteckt haben, den Kunden ein
optimales Preis-Leistungs-Verhältnis
zu bieten, wurde erreicht.“ Husen
gilt seit jeher als Innovator in der
Branche.
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Surwold. Zu Recht, denn diese und viele
andere Stahlhallen hat Husen in den
vergangenen 66 Jahren gebaut. Mehr
Infos unter www.husen.com
Kontakt:
W. Husen Stahlbau GmbH & Co. KG
Am Hafen 2, 26903 Surwold
Telefon: 04965 9188-0
Telefax: 04965 9188-21
E-Mail: [email protected]
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
BRANCHEN & BETRIEBE
BRANCHEN & BETRIEBE
Der Kleinste
unter den Kurorten
wächst und gedeiht
Saphir, Smaragd und Rubin
Auch die Kleinodien Bad Iburg, Bad Laer und Bad Rothenfelde wollen sich
auf dem umkämpften Markt der touristischen Möglichkeiten behaupten
Blickfang: Die Solearena in Bad Essen lockte
nicht nur zu Zeiten der Landesgartenschau Besucher an. Noch heute kommen zahlreiche
Kur- und Tagesgäste in den Ort.
Foto: Jörn Martens
vals und zahlreichen Livekonzerten – unter anderem waren The
Boss Hoss zu Gast – war es die
„Gartenschau der Gärten“.
Eine von der IHK OsnabrückEmsland unabhängig durchgeführDie Solequelle
te Gästebefragung zeigt eine positiverspricht Gesundheit
ve Besucherbeurteilung auf – im
und Genuss.
Schnitt wurde die Schulnote 1,8 gegeben. Am Ende hatten Landesgartenschau GmbH und Gemeinde eiDer Besuchermagnet
nen satten Überschuss von 1,4 MilLandesgartenschau 2010
lionen Euro erwirtschaftet.
zieht immer noch.
Laut Befragung gaben die Tagesgäste im Durchschnitt 34 Euro aus,
Übernachtungsgäste 168 Euro (jeVON ANDREAS SCHNABEL
weils ohne Eintritt). Die Landesgartenschau gilt im Rückblick als
BAD ESSEN. Bereits im 19. Jahreine Bereicherung nicht nur für
hundert kamen die ersten KurBad Essen, sondern für die gesamgäste in den kleinen Ort am Wiete Region – finanziell, wirtschafthengebirge. Über die Jahre musslich und marketingstrategisch.
ten immer wieder neue StrateDenn durch die „Marke“ Landesgien her, damit Bad Essen der
gartenschau haben zahlreiche GäsKonkurrenz anderer Bäder
te die Gemeinde Bad Essen kenstandhalten konnte. Heute setzt
nengelernt, und viele von ihnen
der Ort auf einen Mix aus Touriskommen immer wieder.
mus und Gesundheit.
Was aber ist anders am Kurort
Bad Essen? Worauf beruht sein Erfolg?
Die Landesgartenschau 2010, zum
Als sich bei den Verantwortliallgemeinen Erstaunen im Lande
chen in den 1980er-Jahren die Ervon der nur 15 000 Einwohner zähkenntnis durchsetzte, dass Bad Eslenden Gemeinde mutig geplant
sen künftig nicht mit anderen Kurund realisiert, erwies sich dabei als
orten und dem „klassischen“ KurGlücksfall. „Unser Mut zum Risiko
orteangebot würde mithalten könist belohnt worden“, sagt Bürgernen, setzte man auf die Zweigleimeister Günter Harmeyer rückblisigkeit von Tourismus und Geckend mit berechtigtem Stolz. In
sundheitswirtschaft. In Sachen
Bad Essen und in den Gärten von
Tourismus konzentriert man sich
Schloss Ippenburg erlebte Niederauf Tagesgäste und Wochenendursachsen eine Landesgartenschau,
lauber. „Wir haben jedes Jahr zwidie für das „Bad im Blütenmeer“
schen 400 000 und 450 000 Tagesdie Fortsetzung einer Erfolgsgebesucher. Das kann sich sehen
schichte bedeutete.
lassen. In den Bereichen Tourismus und Gesundheitswirtschaft haben wir allein 900
Arbeitsplätze“, berichtet Bürgermeister Harmeyer. Die
Gesundheitswirtschaft
betrifft die Kliniken ebenso wie
Firmenaktivitäten im Bereich Kieferorthopädie.
Der Erste Gemeinderat Carsten Meyer ergänzt: „Mit unseren verkaufsoffenen Sonntagen, dem Familienpark,
der Sole-Arena, kulturellen
Angeboten, unserem urigen
Wochenmarkt, der Himmelsterrasse, dem Forum
Natur, den Saurierfährten
und einer attraktiven Gastronomie versuchen wir,
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den Geschmack des Publi5
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Eisenbahn verband.
Essen mit dem Netz der
die
Wittekindsklinik
und die Wiehengebirgsklinik (alle Paracelsus400 000 Besucher wurden anfangs erwartet, 513 000 kamen –
und waren begeistert. Mit einem
enormen Tempo, das infolge der
sehr knappen Vorbereitungszeit
von nur einem Jahr vorgelegt wurde, konnte das Konzept einer Landesgartenschau an zwei Standorten verwirklicht werden.
Trotz eines schmalen Budgets
(6,8 Millionen Euro
Durchführungshaushalt und 3,2 Millionen
Euro Investitionsvolumen) lernten viele Besucher Bad Essen kennen und verinnerlichten den Slogan „In Bad Essen ist’ s gemütlich“.
Mit mehr als 100 Garten- und
Ausstellungsbeiträgen, zwölf Blumenhallenschauen, 13 Gartenfesti-
Hat sonst keiner:
ein gegen alle
Einflüsse
geschütztes
Urmeer.
e-Quellen •
• Aufschwung dank Sol
BAD IBURG/BAD LAER/BAD ROTHENFELDE. Ist Bad Essen die Perle des
Wiehengebirges, schillern die drei
Bäder am Südhang des Teutoburger Waldes wie Saphir, Smaragd
und Rubin in seiner Entourage.
Bad Iburg, Bad Laer, Bad Rothenfelde: So nahe sie einander sind, so
unterschiedlich sind die drei Bäder – und ihre Strategien, sich auf
dem umkämpften Markt der touristischen Möglichkeiten zu behaupten.
Bad Essen lockt seine Besucher mit einem Mix
aus Tourismus, Gesundheit und Ideenreichtum
Die Fachwerkstraße
lockt Tages- und
Kurgäste in die Stadt.
VON STEFANIE ADOMEIT
Gruppe) und das Neurozentrum
Niedersachsen. Die drei erstgenannten Einrichtungen behandeln
alkohol- und medikamentenabhängige Patienten sowie Essstörungen, das Neurozentrum Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben oder an Multipler Sklerose leiden.
Die Sole, also das stark salzhaltige Wasser, das heute aus der Sole-
quelle in der Gemarkung Harpenfeld sprudelt, war einst Ausgangspunkt der Kurortentwicklung für
das Dorf (Bad) Essen und trägt
auch künftig den Namen des kleinen Kurortes hinaus in die Welt.
In einer Tiefe von 800 Metern
liegt unter dem kleinen Kurort ein
vor allen Umwelteinflüssen geschütztes Urmeer, dessen Mineralgehalt mit über 30 Prozent höher
ist als der des Toten Meeres und jeder anderen europäischen Solequelle.
Diese Quelle ist seit 1991 erschlossen. Das Bad Essener Urmeersalz ist mehr als nur Gesundheit –
Gesundheit und Genuss verbinden
sich in den Produkten der Salzmanufaktur Grönemeyer. Hier werden
aus der mineralreichsten Solequelle
Europas mit einem schonenden
Spezialverfahren sämtliche Inhaltsstoffe der Natursole erhalten.
Das Gesundheits- und TherapieZentrum Wolfgang Bielefeld bietet
im Wellness-Komplex „Lacuna Spa“
neben der Sole-Fototherapie für Jugendliche und Erwachsene für Kinder ab dem Säuglingsalter das Sea
Climate (Sole-Sauerstoff-Kabine) zu
Therapiezwecken an. In der Kabine
entsteht ein Meeresreizklima unter
Zugabe von ultraschallvernebelter
Bad Essener Sole und ionisiertem
Sauerstoff.
In Bad Essen will man sich eben
auf vergangene Meriten nicht ausruhen. Mit Millioneninvestitionen
für den Bau der Marina und einer
Promenade am Mittellandkanal,
mit Wohnen am Wasser und dem
Geosolar-Wohnpark im Ort geht
Bad Essen seinen Weg weiter.
Wer sich an einem sonnigen Wochenende nach Bad Rothenfelde
wagt, muss vor allem mit einem
rechnen: vielen Menschen, die auf
den Einkaufsmeilen rund um die
Galerie am Alten Gradierwerk, der
Carpesol-Therme und dem Rosengarten flanieren, Eis essen, einkaufen. Bad Rothenfelde, leuchtender
Rubin unter den Bädern, ist das
mondäne und traditionsreiche Heilbad mit mächtigen Gradierwerken,
historischer Bäderarchitektur, zehn
Kliniken und dem strahlenden
Farbspiel der Carpesol-Kuppel.
Nicht umsonst kam das Örtchen
schon vor elf Jahren in der Kurortanalyse des Landes unter die Top
Ten, vor allem dank seiner kurzmedizinischen Kompetenz. Bei Bademöglichkeiten und Kulturpotenzial
reichte es allerdings nur für das
Mittelfeld, das Ortsbild brachte Rothenfelde gar in die Gefahrenzone.
Seitdem hat der Kurort viel getan. Er baute Kureinrichtungen aus
und versuchte, das Ortsbild mit Investitionen aufzuwerten. An kultureller Strahlkraft gewann Bad Rothenfelde vor allem durch das Engagement der Firma Heristo für die
Lichtsicht-Projektions-Biennale.
Und vor einem knappen Jahr wurde
für 19 Millionen Euro die edle Gesundheitstherme Carpesol eröffnet,
ein architektonischer Hingucker,
der aber noch nicht genügend Besucher anlockt. Zur touristischen Stärkung des Ortes tragen aber auch
private Initiativen wie der Rosengartenverein bei, findet Bürgermeister Klaus Rehkämper.
Als dösendes Dornröschen gab
sich Bad Iburg in den vergangenen
Jahrzehnten saphirblau verträumt.
Sole fließt hier nicht, man setzt auf
die Reize klaren Wassers. Der Heilbadstatus ging dennoch verloren.
Bad Iburg ist nur mehr Kneippkur-
Rund um die einzige Bergburg der Region wird in Bad Iburg Geschichte großgeschrieben (Foto links). Der Kurpark in Bad Laer ist auch in den Herbstmonaten ei n Anlaufpunkt.
ort. Doch in den vergangenen drei
Jahren hat es die Stadt verstanden,
Fördergelder einzuwerben, die das
vernachlässigte Schlossumfeld zur
Attraktion mit Kneipperlebnispark
und Knotengarten machen sollen.
Selbst die viel befahrene Bundesstraße 51 wird aufgehübscht, im
Mai ein Barfuß-Wanderweg eröffnet. „Unser Ziel ist es, den Heilbadstatus langfristig wieder zu erreichen“, sagt die frischgebackene Bürgermeisterin Annette Niermann.
Nun ist auch der Prinz mit der Lizenz zum Wachküssen gefunden: In
vier Jahren darf der Ort rund um
die einzige Bergburg der Region zur
Landesgartenschau einladen.
Dörflicher und ein bisschen gemütlicher wirkt Nachbar Bad Laer.
Mit viel Wald und Grün ist es der
Smaragd des Dreigestirns. Bürgermeister Holger Richard findet denn
auch: „Unsere Stärke liegt im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe
privater Betriebe sowie im Gesundheitstourismus.“ Dafür baut die Gemeinde für zehn Millionen Euro ein
Fotos: Archiv/Thomas Osterfeld
Drei Orte,
verschiedene
Konzepte,
ein Ziel.
neues Bad mit Bewegungs- und
Therapiebecken,
Physiotherapie,
Wellness und Gastronomie. In Abgrenzung zu den Wettbewerbern
setzt Bad Laer auf Vor- und Nachsorgekurse mit physiotherapeutischer Anleitung.
Weil es in der Kurortanalyse
schlechte Noten in den Fächern
Verkehrserschließung und Ortsbild
gab, wurde eine Umgehungsstraße
gebaut. Das historische Zentrum
wird derzeit saniert, um Straßen
und Plätze zum „Lebensraum“ zu
machen. Weitere Meilensteine waren die Umgestaltung des Kurparks
im Jahr 2011 und des Wander- und
Radwegenetzes. In wenigen Tagen
werden ein geotouristischer Lehrpfad und ein Rückenpfad auf dem
Blomberg eröffnet.
Die Schwerpunkte, die Bad Laer,
Bad Iburg und Bad Rothenfelde setzen, sind also unterschiedlich.
Gleich ist ihr Ziel: Gästen und Touristen zu zeigen, wie schön es im
südlichen Osnabrücker Land ist –
und davon leben zu können.
Das Comeback der Heilbäder
Wie die einst verschlafenen Orte von der Wellness-Welle und dem neuen
uen Gesundheitsbewusstsein der Unternehmen profitieren
VON MICHAEL EVERS
dpa BAD ZWISCHENAHN. Das Image
der Kurorte war angestaubt, wochenlange Aufenthalte wurden
von den Kassen schon lange nicht
mehr bezahlt. Neuen Aufwind
verspüren die Kurbäder in Niedersachsen jetzt durch Menschen, die für Gesundheit und
Wellness selbst in die Tasche
greifen.
Das Ende wochenlanger Kuraufenthalte auf Kassenkosten stürzte vor
Jahren auch die Kur- und Heilbäder
in Niedersachsen in eine tiefe Krise.
Als neue Klientel haben gesundheitsbewusste Menschen, die ihren
Aufenthalt selbst zahlen, dem angestaubten Image der Kurorte inzwischen zu neuem Glanz verholfen.
Mit dem demografischen Wandel
und dem drohenden Fachkräftemangel investieren neuerdings auch
Unternehmen vermehrt in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter und
kümmern sich um Präventionsangebote. Und die Kurorte konnten sich
im vergangenen Jahr über ein leichtes Plus bei den Gäste- und Übernachtungszahlen freuen.
„Die Kur an sich war etwas, das
Oma und Opa gemacht haben, auf
Kassenkosten an einem schönen
Ort mit einem Kurschatten, das war
etwas verstaubt“, sagt der Präsident
des Heilbäderverbandes Niedersachsen, Andreas Eden. Inzwischen
habe sich bei vielen Menschen die
Überzeugung durchgesetzt, dass
man etwas für die Gesundheit tun
muss, wenn man lange fit bleiben
will.
„Die Nachfrage ist stärker geworden, und die Gäste sind deutlich
mehr dazu bereit, auch Geld dafür
zu bezahlen“, sagt der Präsident des
Heilbäderverbandes. Es ziehe eine
neue gesundheitsbewusste Generation in die Kurorte, die ein verlängertes Wellness-Wochenende auf eigene Kosten verbringe. „Das sind
Menschen mit ganz anderen Ansprüchen, die da kommen“, meint
Eden.
In allen 53 Kur- und Heilbädern
in Niedersachsen stieg die Zahl der
Übernachtungen 2013 auf 22,85
Millionen nach 22,77 im Vorjahr.
Die Zahl der Gäste legte leicht von
5,10 auf 5,11 Millionen zu. In den 30
im Verband zusammengeschlossenen Orten lag die Übernachtungszahl stabil bei 5,1 Millionen, die der
Gäste bei gut 2 Millionen.
Neben den präventiv vom Arbeitgeber zur Vorsorge in einen Kurort
geschickten Mitarbeitern steigt
auch die Zahl derjenigen, die wegen
der wachsenden Belastung am Arbeitsplatz erkranken und eine Kur
benötigen, sagte Eden. Die Krankenkassen, denen es finanziell wieder besser gehe, verschrieben Kuren
inzwischen wieder leichter als früher. „Deshalb haben wir eine bessere Auslastung.“ Es werde offenbar
erkannt, dass der in der Arbeitswelt
aufgebaute Druck aufs falsche Gleis
führe.
„Wir erwirtschaften heute 80 Prozent der Umsätze mit Angeboten,
die wir vor zwölf Jahren noch nicht
hatten“, beschreibt Bad Pyrmonts
Kurdirektor Heinz-Hermann Blome
den Wandel in den Kurorten. Ganz
im Trend sei Medical Wellness –
medizinische Gesundheitsangebote,
für die die Gäste auch selbst Geld in
die Hand nehmen.
„Was wir ganz stark feststellen,
ist, dass eine Rückbesinnung stattfindet, gerade bei den Jüngeren“,
sagt Blome. Davon profitierten klassische Kurorte. „Der Begriff Kur
steht am Beginn einer gewissen Renaissance.“ Das zeige sich auch daran, das im Tourismuskonzept des
Landes der Begriff inzwischen wieder auftauche, erklärt der Kurdirektor. Zu den Kurgästen neuen
Schlags gesellten sich zudem Gäste
aus dem Ausland, allen voran aus
den Niederlanden, aber auch aus
Russland.
In Bad Harzburg ist das klassische Kurmittelhaus, das schlichtweg unwirtschaftlich wurde, inzwischen einer Therme mit Gesund-
heitsangeboten gewichen. Diese verzeichnete in den beiden letzten Jahren ein Gästeplus von 20 Prozent,
berichtet Kurchef Bernd Vollrodt.
Die Zahl der Gesundheitsbewussten, die Wochenendangebote nutzten, steige an. „Das ist stark im
Kommen, darauf setzen wir.“ Anders als früher, als Menschen noch
zu dreiwöchigen Kuren anreisten,
habe sich die Übernachtungsdauer
dadurch natürlich verkürzt. Angebote für das betriebliche Gesundheitsmanagement will Bad Harzburg mit den Nachbarkommunen
etablieren.
Bundesweit sieht der Heilbäderverband das Land Niedersachsen
für das Comeback der Kur gut aufgestellt. Kein anderes Bundesland
habe eine solche Vielfalt an Kurmöglichkeiten zu bieten.
Zwei Gradierwerke laden in Bad Rothenfelde zum Verweilen ein.
Foto: Hermann Pentermann
14
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
BRANCHEN & BETRIEBE
Von wegen Promi-Gehabe: Zeit ist Geld
Firmen in der Region leisten sich eigene Business-Jets – Franz-Josef Gausepohl bietet einen „Concierge-Service“ für Geschäftsreisende
VON AXEL ROTHKEHL
DISSEN/OSNABRÜCK. Firmenjets
gelten noch immer als zweifelhafte Statussymbole. Viele Unternehmen sprechen nicht gern
über die hauseigene Flotte – sie
fürchten um ihren Ruf. Mit
„Gausepohl Solutions“ will
Franz-Josef Gausepohl, Junior
der Dissener Großschlachterei,
ein Concierge der Lüfte werden.
Bei ihm können sich Firmen ein
Flugzeug mieten – vom „Challenger“ bis zum „Mustang“, von
diskret bis auffällig.
Als die Unterhaltung mit der Pressesprecherin einer Osnabrücker
Unternehmensgruppe auf das Firmenflugzeug kommt, ist die Atmosphäre nicht im Sinkflug, sondern
erlebt eine Bruchlandung: „Sie
glauben nicht im Ernst, dass ich
darüber reden möchte. Dieses
Thema eckt böse an.“ Schnell heiße es: „Die gönnen sich einen Firmenjet.“ Tatsächlich betreibt die
Firma, die namentlich nicht genannt werden möchte, nur ein
Propellerflugzeug, stationiert am
Flugplatz Atterheide. Spätestens
seit der Wirtschaftskrise verheimlichen deutsche Unternehmen ihre
fliegenden Transportmittel gern,
weil Außenstehende sie als Symbole für Prahlerei und Verschwendung wahrnehmen. Neid spiele
dabei auch eine Rolle, so die Pressesprecherin. Ein Firmenflugzeug,
und sei es auch noch so klein, „ist
imagemäßig negativ behaftet“ .
Ebenso wortkarg verhält sich
der traditionell verschwiegene Gewürzhersteller Fuchs aus Dissen
im Landkreis Osnabrück zu seiner
Firmenflotte. Vor etwa 14 Jahren
hatte Fuchs von der Flugbereitschaft der Bundeswehr eine „Challenger 601“ übernommen. Zuvor
waren darin Bundeskanzler Kohl
und seine Minister unterwegs.
Den
früheren
Luftwaffen-Jet
wechselte Fuchs gegen eine „Global Express“ aus, die geräumigere
Weiterentwicklung des Herstellers
Bombardier mit wesentlich mehr
Reichweite. Für Fuchs das ideale
Verkehrsmittel, zwischen Brasilien
und China die Gewürzfelder zu erreichen – mit dem Taufnamen
„Spirit of Spices“ als Aufdruck zwischen Tür und Cockpit. Ganz in
der Nähe, auf einem ostwestfälischen Flugplatz, steht das Gerät
der Dr.-Oetker-Dynastie. Fest steht
nur: Das Luftfahrzeug heißt „Puddingmeise“.
Die Großschlachterei Gausepohl, wie Fuchs mit Sitz in Dis-
New York, London, Tokio? Wer sich keinen eigenen Firmenjet leisten will, kann sich beispielsweise den Bombardier „Challenger“ mieten.
sen, hatte ihre „Learjet 31“ und
„Learjet 60“ auch anderen Firmen für spontane Chartereinsätze angeboten. Unternehmensgründer Franz Gausepohl erwarb
schon in den 1960er-Jahren die
Berufspilotenlizenz. Er ist so etwas wie ein Urgestein der Fleisch
verarbeitenden Industrie und saß
auf dienstlichen Flügen nach
Nordafrika oder in die Sowjetunion am Steuerknüppel. Die Learjets wurden jedoch weder zum
Viehtransport eingesetzt noch als
„Kotelett-Bomber“ benannt. Lange waren sie für den „Gausepohl
AirService“ (G.A.S) am Airport
Münster/Osnabrück
für
Geschäftsreisen in Bereitschaft.
Vor ein paar Monaten gab Gausepohl die Maschinen an die Finanziers zurück. „Mit nur zwei
Jets ist der Unterhalt eines Luftfahrtunternehmens zu aufwendig“, sagt Sohn Franz-Josef Gausepohl, „wir müssen im Grunde den
gleichen Aufwand betreiben wie
eine große Airline. Dazu gehören
auch Sicherheitsleiter, Flugbetriebsleiter und die gesamte Verwaltung“. Der 33-Jährige ist Geschäftsführer der Nachfolgegesell-
Viel auf
dem Kasten
„Alles eine
Frage des
Wohlfühlfaktors.“
Franz-Josef Gausepohl,
Gausepohl Solutions
pellermaschinen lenken. Gerade
absolviert er den theoretischen
Lehrgang zum Berufspiloten. „Die
Kunden von ‚G-Solutions‘ selbst zu
fliegen ist aber nicht mein Ziel.“
Sein Konzept ist ein anderes. Er
bietet einen „Personal Assistant“
und „Concierge Service“ an. Ähnlich
wie ein Concierge in der Lobby eines Luxushotels, der dem Gast
dank guter Kontakte noch Tickets
für die ausverkaufte Theatervorstellung besorgt und den Limousinenservice mit anschließendem Restaurantbesuch gleich mitorganisiert.
Gausepohl vermittelt nun die Passagen und bedient sich dabei aus einem Pool von Vertragspartnern, die
ihre Flugzeuge überregional geparkt haben. „Ich kann ihnen in
kürzester Zeit von einer ‚Challenger‘ über ‚Falcon‘ bis zur ‚Canadair‘ für jeden Bedarf die richtige
Variante besorgen.“ Sei es für einen
innerdeutschen, europäischen oder
interkontinentalen Flug. Besonders
flugaffinen Kunden würde er auch
eine „Mustang“ mit enger Kabine
und bis zu vier Sitzen verchartern.
„Alles eine Frage des Wohlfühlfaktors“, sagt der Diplom-Ökonom und
lacht. Seine Firma sorge auch für
die Abholung von daheim oder dem
Firmengelände zum Airport. Einige
Kunden habe er von der Vorgängergesellschaft „G.A.S.“ übernommen.
Die Geschäftsfliegerei sieht er im
Wachstum. „Unsere wichtigste
Währung neben Vertrauen und
Geld ist die Zeit. Zu vielen Städten
wie Genf oder Le Mans gebe es wenige oder keine direkten Verbin-
Firmenchef Franz-Josef Gausephol hat selbst den Pilotenschein.
Foto: Axel Rothkehl
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schaft „Gausepohl Solutions“ in
Berlin, die seit März besteht.
Seinen Vater bezeichnet er als
„unternehmerisches und fliegerisches Vorbild“. Nach dem Abitur
war klar: Er wollte auch ins Cockpit. Auf Sylt machte er den Privatpilotenschein, doch der Firmenjet
war weiterhin tabu. Franz-Josef
Gausepohl darf einmotorige Pro-
Foto: www.gsolutions.de
dungen. Wege zum nächsten großen Verkehrsflughafen dauern vielen Kunden zu lange. „Manager
können sich nicht erlauben, für eine kurze Verhandlung jeweils einen
halben Tag an- und abzureisen“,
sagt Gausepohl. So meint die bereits erwähnte Pressesprecherin aus
Osnabrück: „Wenn meine drei Geschäftsführer beim Umsteigen zwei
Stunden lang in der BusinessLounge am Frankfurter Flughafen
rumsitzen, dann ist das teurer, als
wenn wir einen eigenen Flieger betreiben.“
Je nach Kundenwunsch besorgt
Gausepohl Maschinen mit Schlafsitzen und ordert das Catering.
Kaviar und Champagner werden
eher selten gefordert, seien aber
möglich. „Der Luxus unserer Zielgruppe ist ganz klar die Zeitersparnis.“ Seinen Service bewirbt
Gausepohl mit den Stichworten
„Food-Lifestyle-Travel“. Zum Portfolio gehören auch die Organisation von Clubveranstaltungen, Produktvorstellungen mit mehreren
Hundert Gästen ebenso wie prominenten Bühnenkünstlern. Als
Kooperationspartner nennt er die
„Sansibar“ auf Sylt. Der Kontakt
besteht seit Jahren über den
Schlachtereibetrieb. Die Firma
Gausepohl produziert im Werk
Arnstadt kleine Thüringer Bratwürste für die Küche des als „InLokal“ bezeichneten Restaurants.
Die Erfüllung aller Kundenwünsche hält Gausepohl für planbar,
sein persönlich schönstes Fliegererlebnis verdankt er dem Zufall.
Der elf Jahre alte Franz-Josef begleitete seinen Vater im Überaschalljet „Concorde“ auf dem
Weg nach New York. „Vier Reihen
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15
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
BRANCHEN & BETRIEBE
Kein Mittel gegen das Apothekensterben
Im Pharmazie-Einzelhandel Niedersachsen schließt Geschäft um Geschäft –das bekommt besonders das Emsland zu spüren
VON STEFAN PRINZ UND
CHRISTIAN SCHAUDWET
OSNABRÜCK/PAPENBURG. Die
Apothekenbranche in der Region steht unter Druck. Kosten
und Arbeitsaufwand nehmen
zu, die Konkurrenz auch. Arztpraxen in der Nachbarschaft
schließen, und immer weniger
junge Menschen wollen Apotheker werden.
Am 7. November 2013 endete in der
Osnabrücker Krahnstraße 3 eine
412-jährige Unternehmensgeschichte. Wie so viele Pharmazie-Einzelhandelsgeschäfte in Deutschland
musste die altehrwürdige Rats-Apotheke schließen. Den Ausschlag habe der Weggang niedergelassener
Ärzte in unmittelbarer Nähe gegeben, sagte der Apothekenleiter Thilo Rammholdt. Das Geschäft mit
verschreibungspflichtigen Medikamenten lief nicht mehr. Weitere
Gründe waren laut Rammholdt Rabattschlachten im Stadtgebiet und
die Konkurrenz der Pharmazie-Anbieter im Internet.
Die Apotheken-Anzahl im Raum
Osnabrück und im Emsland geht
unaufhaltsam zurück. Die Apothekerkammer Niedersachsen hat ermittelt, dass in den vergangenen
vier Jahren sechs Apotheken zwischen Papenburg und Salzbergen
schlossen, während nur drei neue
eröffneten. Mittlerweile werden die
mehr als 310 000 Einwohner des
Emslandes von 81 stationären Apotheken versorgt – Tendenz weiter
fallend. Dr. Hans-Georg Möller, Inhaber der Brücken-Apotheke in Papenburg und Vorstandsmitglied der
Apothekerkammer Niedersachsen,
sieht einen der Gründe für diesen
Abwärtstrend in einem „eklatanten
Mangel an approbiertem Personal“.
Dieser sei möglicherweise auf die
zu geringe Zahl von Hochschulabgängern und auf einen hohen Frauenanteil unter den Absolventen zurückzuführen, so Möller. Frauen
schrecken nach Einschätzung von
Wo 412 Jahre
eine Apotheke
stand, wird
jetzt Feinkost
verkauft.
Branchenkennern häufig vor der
Gründung oder Übernahme einer
Apotheke zurück, weil das Einplanen von Auszeiten für Schwangerschaften und Kinder und Teilzeitmodelle als Unternehmer kaum realistisch sind.
Den Schritt in die Selbstständigkeit – sei es als niedergelassener
Arzt im ambulanten Bereich oder
als selbstständiger Apotheker –
streben Möller zufolge nur noch
wenige an. Das liege auch an dem
hohen wirtschaftlichen Risiko, an
einer zurückhaltenden Bewertung
der zukünftigen Einkommenssituation und an einer hohen Arbeitsbelastung. Hinzu kämen „immer größer werdende bürokratische Erschwernisse durch Behörden und
vor allem Kostenträger“, erklärt
Möller.
Der seit Jahren erkennbare Rückgang der Zahl der ambulanten Arztpraxen und Apotheken werde vor
allem den ländlichen und kleinstädtischen Bereich, also auch das Emsland, massiv treffen und für die Bevölkerung zu einer deutlichen Verschlechterung der Versorgung führen. „Wenn in einem kleinen Ort
die Arztpraxis schließt, wird auf
Dauer auch die Apotheke dort nicht
zu halten sein“, ist der Papenburger
Mediziner überzeugt. Die Folge bekommen nach Einschätzung der
Apothekerkammer Niedersachsen
vor allem alte Menschen und Fami-
Mehr Abgänge als Zugänge
Apothekeneröffnungen und -schließungen in der Region1)
Apotheken eröffnet
Apotheken geschlossen
Osnabrück-Stadt
Osnabrück-Land
Emsland
Grafsch. Bentheim
Leer
Diepholz
Cloppenburg
Vechta
1) zwischen dem 1. 1. 2009 und dem 31. 12. 2013
Quelle: Apothekerkammer Niedersachsen · Grafik: Matthias Michel
lien mit kleinen Kindern, die nicht
mobil sind, zu spüren.
Hatten sich Kreise und Kommunen bisher meist nur um die stationäre Versorgung wie beispielsweise
um Krankenhäuser „durch nicht
unerhebliche finanzielle Zuwendungen kümmern müssen“, so Möller, hätten fortschrittliche Kommunen wie etwa die Gemeinde Rhede
(Ems) das Problem erkannt. Sie bemühten sich um Hilfestellungen für
Niederlassungswillige.
Den Trend gestoppt haben solche
Beispiele bisher nicht. Das Apothekensterben spielt sich in ganz
Deutschland ab. Stieg die Zahl der
stationären Apotheken bis 2008
noch kontinuierlich auf 21 602 an,
waren es vier Jahre später schon
681 weniger. Laut Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände
schließen derzeit wöchentlich sechs
Apotheken. In Niedersachsen ist die
Anzahl der Apotheken auf den
niedrigsten Stand seit 25 Jahren gefallen. Den eklatanten Nachwuchsmangel belegt auch die Altersstruktur der Branche: 463 der Apothekenleiter in Niedersachsen sind
über 60 Jahre alt. Davon sind 81 bereits 70 Jahre und älter.
Die Gründe für Schließungen
und ausbleibenden Nachwuchs sind
vielfältig. Neben harter Konkurrenz
sind es oft die juristischen Rahmen-
bedingungen, die den Apothekern
die Arbeit verleiden. Beispiel Rabattverträge: Dies sind Abkommen
zwischen Krankenkassen und Pharmazie-Herstellern, die jeweils für
zwei Jahre gelten und am Ende dieser Spanne oft zu einem Wechsel
des von der Krankenkasse ausgewählten Medikaments für eine von
ihr finanzierte Behandlung führen.
Das hat Nebenwirkungen für die
Apotheker: „Im Alltag bedeutet
dies, dass im Vertrag geregelte Arzneimittel nach jeder neuen Ausschreibung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgetauscht werden und
sich Patienten wieder auf ein neues
Präparat einstellen müssen“, sagt
Anja Hugenberg, die Pressesprecherin der Apothekerkammer Niedersachsen. Diese Wechsel steigerten
den Beratungsaufwand, denn viele
Patienten verlören das Vertrauen in
ihr Arzneimittel „und nehmen im
schlimmsten Fall ihre Medikamente
nicht mehr ein“, so Hugenberg.
Dann sei es an den Apothekern, das
Vertrauen wiederherzustellen. „Allerdings sind dafür mehr Zeit und
mehr Personal notwendig“, was
Kosten steigere.
Kein Wunder, dass die Eigentümerin des Hauses in der Osnabrücker Krahnstraße keinen Apotheker
als neuen Mieter für das Ladenlokal
fand. Stattdessen öffnete dort im
März ein Gewürz-Feinkostgeschäft
seine Pforten.
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
VERLAGS-SONDERVERÖFFENTLICHUNG
ZEITARBEIT
„Eine Branche mit ganz normalen Löhnen“
Zeitarbeitsunternehmen kämpfen gegen festgesetzte Meinungen und Vorurteile
VON SIEGFRID SACHSE
OSNABRÜCK. Über die Zeit- und
Leiharbeit in Deutschland unterhielten wir uns mit Thomas
Hetz, Hauptgeschäftsführer des
Bundesarbeitgeberverbandes
der Personaldienstleister e. V.
(BAP).
Herr Hetz, der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) ist die führende Interessenvertretung der Zeitarbeitsbranche in Deutschland.
Angesichts der Vorurteile bei
vielen Bundesbürgern gegenüber der Zeit- und Leiharbeit
bemüht sich Ihr Verband immer
wieder um mehr Sachlichkeit.
Wo setzen Sie dabei vor allem
an?
Um festgesetzte Meinungen und
hartnäckige Vorurteile zu bekämpfen, bedarf es eines langen Atems.
Leider wird häufig nur über Einzelfälle berichtet, bei denen es tatsächlich nicht so gut gelaufen ist.
Aber so etwas passiert in allen
Wirtschaftszweigen, ohne dass
deswegen gleich die ganze Branche in Bausch und Bogen verurteilt wird. Wir versuchen deshalb
bewusst, die Debatte um die Zeitarbeit, die ja teilweise hochemotional geführt wird, zu versachlichen. Das heißt, dass wir immer
wieder auf die Fakten hinweisen,
zum Beispiel dass Menschen
durch Zeitarbeit wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden oder
als Berufseinsteiger die Chance erhalten, erste Berufserfahrungen zu
sammeln und unterschiedliche
Unternehmen
kennenzulernen.
Und wir suchen auch immer wieder vor Ort das Gespräch – mit
den Menschen, mit Politikern und
Medienvertretern – und informieren über den tatsächlichen Charakter der Zeitarbeit.
Verschiedentlich wird in der
Öffentlichkeit die Ansicht vertreten, Zeitarbeit wäre schlecht
bezahlte und unsichere Beschäftigung. Wie beurteilen Sie diesen Vorwurf?
Das ist doch Schnee von vorgestern und ignoriert vollständig, dass
in unserer Branche zu nahezu 100
Prozent nach Tarifverträgen bezahlt wird, die die Arbeitgeberverbände der Zeitarbeit mit der DGBTarifgemeinschaft Zeitarbeit abgeschlossen haben. Die Zeitarbeit hat
sich in den letzten Jahren ganz
massiv weiterentwickelt und ist
mittlerweile eine Branche mit ganz
normalen Löhnen. Schauen Sie:
Wir haben seit dem 1. Januar 2014
einen mit den DGB-Gewerkschaften vereinbarten Mindestlohn von
8,50 im Westen. Im Osten werden
wir das Mitte 2016 erreichen. Diese
Lohnuntergrenze wurde von der
Bundesarbeitsministerin für allgemein verbindlich erklärt, gilt somit
für alle Zeitarbeitsunternehmen,
die Mitarbeiter in Deutschland einsetzen, also auch für ausländische
Personaldienstleister.
Zusätzlich
sorgen Branchenzuschlagstarifverträge dafür, dass Zeitarbeitnehmer
in Stufen an Equal Pay herangeführt werden und nach neun Monaten die Bezahlung wie vergleichbare Stammmitarbeiter im Kundenunternehmen erhalten. Die
meisten Lohndifferenzen haben
wir so schon zusammen mit den
Gewerkschaften geschlossen. Und
wir sind weiterhin im Gespräch,
um gemeinsam zu schauen, ob es
weitere Wirtschaftsbereiche gibt,
für die Branchenzuschläge sinnvoll
wären.
Auch ist immer wieder von
Kritikern zu hören, Zeitarbeit
würde Stammarbeitsplätze in
den Betrieben verdrängen. Was
ist dran?
Zeitarbeit
verdrängt
keine
Stammbelegschaft, wie wissenschaftliche Studien schon seit Jahren immer wieder belegen. Bereits
2007 gab die Hans-Böckler-Stiftung, die ja nun nicht gerade im
Ruf steht, unserer Branche besonders gewogen zu sein, eine Studie
zu diesem Thema in Auftrag. Das
Ergebnis – nichts. Die Forscher
sprachen stattdessen von „gefühl-
Beschäftigung und verdrängt keine Stammbelegschaften. Im Gegenteil, sie sichert sie und hilft sogar dabei, sie zu erhöhen. Übrigens ist es auch interessant, welches Zerrbild der Zeitarbeit Kritiker hinsichtlich ihrer Größenordnung immer wieder bemühen.
Fakt ist: Unterm Strich sind gerade einmal zwei Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland Zeitarbeitnehmer – der Anteil der
Zeitarbeit am gesamten Arbeitsmarkt ist also gering –, und das
schon seit Jahren. Damit ist eine
Verdrängung allein schon rechnerisch ausgeschlossen.
Thomas Hetz
Foto: BAP
ter Beschäftigungsunsicherheit“.
Ähnlich verhielt es sich, als das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur
für Arbeit im Jahr 2009 im Auftrag der Bundesregierung einen
großen Bericht zur Zeitarbeit erstellte. Darin schrieben die Forscher, dass es sich bei der angeblichen Verdrängung lediglich um
„prominente Einzelfälle“ handele.
2012 wurde dieser Befund dann
vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung bestätigt. Und erst im Januar 2014
belegte dann auch noch eine Studie des Instituts zur Zukunft der
Arbeit im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung: Zeitarbeit schafft
In der Debatte um die Zeitarbeit ist verschiedentlich zu hören, dass Leiharbeit den Arbeitgebern häufig nur dazu diene,
über Arbeitskräfte leichter verfügen und nach dem Hire-andFire-Prinzip vorgehen zu können. Wie berechtigt ist diese
Vermutung?
Hier werden zwei Aspekte miteinander vermischt: Da ist einerseits
das Kundenunternehmen, bei dem
die Zeitarbeitnehmer eingesetzt
werden. Der Kunde kann – je nach
Vertragsgestaltung mit dem Zeitarbeitsunternehmen – selbstverständlich kurzfristig Zeitarbeitskräfte „abmelden“, wie es im Fachjargon heißt. Das macht ja gerade
einen Teil der Flexibilität aus, den
die Zeitarbeit der deutschen Wirtschaft bietet. Aber der Kunde ist ja
nicht der Arbeitgeber der Zeitarbeitnehmer. Das ist nämlich das
Zeitarbeitsunternehmen, mit dem
die Zeitarbeitnehmer einen Arbeitsvertrag haben. Und weil die
Zeitarbeit nach deutschem Recht
wie jeder andere Arbeitgeber auch
an die einschlägigen Vorschriften
gebunden ist, müssen sich die Zeitarbeitsunternehmen an die bekanntermaßen rigiden deutschen
Kündigungsschutzregelungen halten.
Es gibt auch die These, Zeitarbeit hole die Menschen aus der
Arbeitslosigkeit.
Inwieweit
trifft dies zu?
Das ist absolut richtig: 65 Prozent der neu eingestellten Zeitarbeitnehmer waren vorher ohne Arbeit, davon acht Prozent länger als
ein Jahr und 10 Prozent ohne jegliche Berufserfahrung. Das sagen
nicht etwa unser Verband, sondern
die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Außerdem
wirkt Zeitarbeit als Integrationsinstrument für Gering- beziehungsweise Nichtqualifizierte in den Arbeitsmarkt: Mindestens 29 Prozent
der Zeitarbeitnehmer haben keinen
Berufsabschluss. Das sind mehr als
doppelt so viele wie auf dem Gesamtarbeitsmarkt, denn dort sind
es nur 13 Prozent.
Die Arbeit ruft.
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Position
IT-Telekommunikationskonzern
Sales-Manager
kunststoffverarbeitende Industrie
Leiter QM
Bauindustrie
mehrere Bauingenieure/Bauleiter
Ingenieurbüro
Fachbereichsleiter Wasserwirtschaft
Holzwerkstoffindustrie
Senior-Produktmanager
chemische Industrie
Personalleiter
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
GELD &
GESCHÄFT
17
Laufen für den Wettbewerbsvorteil
Firmen definieren Mitarbeiterfitness als Unternehmensziel – Betriebliches Gesundheitsmanagement hat Konjunktur
Krone im Emsland
stellt Mitarbeitern
Mentaltrainer zur Seite.
„Corporate Health
Award“ ging an Firmen
in der Region.
Gesundheitsberatung
für Unternehmen ist
ein Wachstumsmarkt.
VON HERMANN HINRICHS
UND CHRISTIAN SCHAUDWET
WERLTE/OSNABRÜCK. In vielen
Unternehmen steigt das Durchschnittsalter der Beschäftigten.
Zugleich werden Arbeitsprozesse schneller, Komplexität und
Stress nehmen zu. Chefs und
Personaler erkennen, dass das
auf Dauer nur gut gehen kann,
wenn ihre Mitarbeiter körperlich gesund und mental ausgeglichen sind. „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ hat
Konjunktur.
Bernd Rawe schnürt seine nagelneuen Laufschuhe – die ersten seines Lebens, wie er sagt. Sein Ziel:
Starten und ankommen beim
Fünf-Kilometer-Lauf im emsländischen Sögel. „4,5 Kilometer habe
ich einmal geschafft“, freut sich der
53-Jährige. „Ich dachte immer, ich
brauche das nicht.“ Doch inzwischen ist er froh, auf den FitnessZug aufgesprungen zu sein. „Das ist
eine super Truppe, in der wir hier
laufen“, sagt der Schlosser. Die
Truppe, das sind Kollegen und Kolleginnen aus dem Fahrzeugwerk
Bernard Krone in Werlte im Emsland. Zweimal pro Woche trainieren sie unter professioneller Anleitung, um sich fit zu machen.
Der in die ganze Welt exportierende Hersteller von Lkw-Aufliegern ist auf gesunde und motivierte Mitarbeiter angewiesen. Das
sind andere auch. Der Unterschied:
Krone handelt. Unternehmenschef
Bernard Krone hat Zivilisationskrankheiten wie Rückenschmerzen,
Diabetes und Herzinfarkt den
Kampf angesagt. Im Fahrzeugwerk
wird nach und nach ein umfassendes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) etabliert. Dessen
Speerspitze ist das Pilotprojekt
„Move 100“, an dem Schlosser Rawe teilnimmt.
100 Mitarbeiter sollen bis Ende
April so fit sein, dass sie am Branchenlauf für das Transport- und
Logistikgewerbe in Sögel oder am
„Hasetal-Halbmarathon“ des Baustoffherstellers Remmers und des
Sportvereins VfL Löningen am 28.
Juni teilnehmen können. Bei
„Move 100“ überlässt Krone nichts
dem Zufall. Alle interessierten Mitarbeiter sind vom Zentrum für Präventivmedizin & Leistungsdiagnostik Lingen (ZPL) gründlich untersucht worden. Dazu gehörten beispielsweise eine Blutentnahme mit
Bestimmung des Cholesterin- und
Blutzuckerspiegels sowie ein Ruhe-EKG. Darauf aufbauend, entstand der Trainingsplan für die
Mitarbeiter. Die Federführung hatte der deutschlandweit tätige Tennistrainer und Mentalcoach der
deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft Markus Hornig.
Das Betriebliche Gesundheitsmanagement bei Krone geht aber
Fertig zum Dauerlauf: Der Schlosser Bernd Rawe nimmt am Lauftraining im Rahmen des Projekts „Move 100“ teil. Der Lkw-Auflieger-Hersteller Krone will seine Beschäftigten in Bewegung bringen.
noch weiter. Willi Poll, der Personalleiter des Fahrzeugwerks, kündigt weitere Angebote an die Mitarbeiter an, darunter Raucherentwöhnungskurse, Programme zur
Stärkung des Rückens und zur gesunden Ernährung. Seit 2013 unterstütze das Unternehmen finanziell den Besuch von Fitnessstudios
und Bädern. Das BGM solle aber
auch einen Beitrag dazu leisten,
dass die Führungskräfte „gesund
führen“ können, so Poll: „Das Ziel
ist es, Führungsstile so zu wählen,
dass sie eine Leistung fördern, die
nicht krankmacht.“ Er will die Mitarbeiter dazu motivieren, „ihren
Lebensstil langfristig zu verän-
Auf das
Lauftraining
folgt der
Abschied von
der Zigarette.
dern“. Und da stünden zurzeit Bewegung und Ernährung im Vordergrund.
Für Bernard Krone sind gesunde
und zufriedene Mitarbeiter die Basis des Unternehmenserfolgs: „Allein unsere schnelllebige Welt, die
Flut an Information und ständiger
Erreichbarkeit sorgen für vielerlei
Krankheiten“, sagt der Chef und
fügt hinzu: „Schlechte Ernährung
und unzureichende Bewegung tun
ihr Übriges.“ Deshalb müsse sich
ein verantwortungsbewusster Arbeitgeber rechtzeitig Gedanken machen, womit er heutige, aber auch
künftige Mitarbeiter unterstützen
und begeistern könne. „Und dazu
gehört selbstverständlich auch das
Betriebliche Gesundheitsmanagement.“
Für Mentaltrainer Markus Hornig steht fest: „Rund zwei Drittel
aller Krankheiten in unserer Gesellschaft sind verhaltensbedingt,
sprich lebensstilbedingt.“ Zivilisationskrankheiten von Arteriosklerose
über Herzinfarkt bis hin zu Diabetes und Bandscheibenvorfall entstünden über Jahre „einzig und allein durch einen unbewusst fahrlässigen Lebensstil, basierend auf
Bewegungsmangel,
Überernährung, chronischen Stressbelastungen und Rauchen“. Deshalb sei der
erste Schritt, die Menschen dafür
zu sensibilisieren, dass ihre Leistungsfähigkeit und die Aussicht,
gesund alt zu werden, unmittelbar
mit ihrem Lebensstil verbunden
seien.
Die Botschaft scheint bei vielen
Unternehmen in Deutschland anzukommen. Eine Umfrage des
Deutschen Industrie- und Handelskammertages im November 2013
ergab, dass die Bedeutung von Gesundheitsförderung im Betrieb bei
zwei Dritteln der Firmen in den
vergangenen fünf Jahren zugenommen hat – bei Unternehmen mit
mehr als 1000 Mitarbeitern sind es
sogar 94 Prozent (siehe Grafik).
Die Gründe liegen für Magdalena Knappik auf der Hand: „Der zunehmende Fachkräftemangel und
die Alterung der Belegschaften
zwingen Unternehmen gerade in
wirtschaftlich starken Regionen,
mehr für den Erhalt der Leistungsfähigkeit ihrer bestehenden Mitarbeiter zu tun“, sagt die Geschäfts-
führerin des Gewinet Kompetenzzentrums Gesundheitswirtschaft in
Osnabrück, das rund 60 Mitglieder
aus Bereichen der Gesundheitswirtschaft in der Region WeserEms vereint. Das Thema gewinne
derzeit „ganz stark an Bedeutung“,
so Knappik, die zugleich Referentin
der Industrie- und Handelskammer
Osnabrück –Emsland – Grafschaft
Bentheim ist. Sie sieht einen wachsenden Markt für Gesundheitsexperten, die Unternehmen intern
oder als externe Dienstleister beim
Betrieblichen Gesundheitsmanagement beraten. Sie analysieren
Krankenzahlen, Krankheitsdauer,
Krankheitsarten von Mitarbeitern,
Firmen verstärken Gesundheitsmanagement
Hat oder wird Gesundheitsförderung im Betrieb über den gesetzlichen
Arbeitsschutz hinaus bei Ihnen einen größeren Stellenwert erhalten?
Bedeutung hat in den
letzten 5 Jahren zugenommen
In den nächsten 5 Jahren sind
verstärkte Aktivitäten geplant
Es sind keine (weiteren) Aktivitäten geplant
65
56
94
87
87
62
56
48
35
40
34
29
47
29
17
12
10
3
Insgesamt
0–19
Mitarbeiter
20–249
Mitarbeiter
250–499
Mitarbeiter
Umfrage unter 1500 Unternehmen. Angaben in Prozent. Mehrfachantworten möglich.
500–999
ab 1000
Mitarbeiter Mitarbeitern
Quelle: DIHK · Grafik: Matthias Michel
Foto: Hermann Hinrichs
die Folgen für die Unternehmen
und Möglichkeiten zum Gegensteuern. Die Anbieter stammen aus unterschiedlichsten Disziplinen von
Soziologie über Sportwissenschaft
bis Medizin. Das Qualifikationsniveau sei oft schwer zu bewerten,
sagt Knappik. Die IHK Osnabrück
– Emsland – Grafschaft Bentheim
bietet deshalb im Sommer einen
Lehrgang mit Zertifikat „Fachberater/-in für Betriebliches Gesundheitsmanagement“ an.
Während Betriebliches Gesundheitsmanagement insbesondere für
viele kleine Firmen Neuland ist,
sind einige größere schon vor Jahren vorgeprescht. Der Kunststoffkomponenten-Hersteller OKE in
Hörstel bei Osnabrück etwa erhielt
2012 für sein Programm mit einem
betriebseigenen Kindergarten, einer
Kantine mit regionalen Lebensmitteln in Bio-Qualität, einem eigenen
Fitness-Studio und Präventionsberatung den „Corporate Health
Award“ unter der Schirmherrschaft
des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales. Ein Jahr später wurden die Stadtwerke Osnabrück mit
dem Preis geehrt. Viele Unternehmen in der Region sind Mitglieder
im von Bremen aus koordinierten
Netzwerk Hansefit, das Mitarbeitern Sonderkonditionen beim Besuch von Fitness-Studios bietet.
Die Krone-Gruppe nimmt die
Mitarbeiter-Fitness derweil selbst
in die Hand: „Move 100“ wird zunächst im Fahrzeugwerk in Werlte
erprobt. Später könne das Projekt
auf die Landmaschinenfabrik im
emsländischen Spelle ausgeweitet
werden, sagt Krone-Personaler Poll.
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
GELD & GESCHÄFT
Kurz notiert
Wer 45 Jahre gearbeitet hat, soll nach Plänen der Bundesregierung künftig mit 63 Jahren in Rente gehen können.
Foto: dpa
Befreiungsschlag oder Zeitbombe?
Die Rente mit 63 ist nicht nur im Bundestag umstritten, sondern auch in der Region
VON STEFAN BUCHHOLZ
BRAMSCHE/HASELÜNNE. Anerkennung der Lebensarbeitsleistung
oder Neuauflage der Frühverrentung? Die geplante Rentenreform löst in der Wirtschaft
derzeit Kritik aus. Auch in den
Reihen der Großen Koalition ist
das Thema umstritten. Was meinen Verbände und Arbeitnehmer in der Region dazu?
Läuft alles nach Plan der Bundesregierung, dann können ab 1. Juli all
jene Beschäftigten sofort und abschlagsfrei ihre Rente beantragen,
die bis dato 63 Jahre und älter sind.
Einzige Bedingung: Sie müssen 45
Jahre sozialversicherungspflichtig
gearbeitet haben. Laut Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) erkenne man mit der sogenannten Rente ab 63 die Leistung
derer an, die schon in jungen Jahren ins Arbeitsleben eingestiegen
sind. Sie hätten lange für eine Stabilisierung des Rentenversicherungssystems gesorgt. Nach Angabe des
Bundesarbeitsministeriums können
anfangs 200 000 Personen das geplante Gesetz in Anspruch nehmen,
ein Viertel davon sind Frauen.
Eine von ihnen ist Hannelore
Hatke. Sie arbeitete als Prüferin bei
Essex Germany in Bramsche. „Die
Arbeit war körperlich nicht schwer,
aber du musst viel laufen und halt
Köpfchen haben“, beschreibt die
62-Jährige ihre jahrzehntelange Tätigkeit in ein und demselben Unternehmen. Wegen Krankheitszeiten in
den letzten drei Jahren „und weil
sie mich loswerden wollen“, stellte
sie der Betrieb Anfang dieses Jahres
frei. Bis Ende Oktober. Dann wird
sie 63. „Wenn ich ab 1. November in
Rente gehe, habe ich 48 Jahre geschuftet. Immer nur Schicht. Von
Sonntag bis Sonntag. Die Ärztin
sagt, das war total ungesund.“
Das Beispiel von Hannelore Hatke ist für Stefan Soldanski kein Einzelfall. „Jedem, der die betriebliche
Realität kennt, ist doch klar, dass
viele Beschäftigte, die 45 Jahre gearbeitet haben, einfach nicht mehr
können“, meint der zweite Bevollmächtigte der IG Metall Osnabrück.
Seine Gewerkschaft begrüße die
Pläne der Bundesregierung zur Rente mit 63 als einen ersten und gerechten Schritt. „Die Rente mit 67
und sinkende Rentenzahlungen –
jahrelang mussten doch Beschäftigte für immer niedrigere Renten immer mehr leisten“, kritisiert Soldanski.
Konträr dazu sind die Positionen
der Unternehmerverbände in der
Region. Aus Sicht des Industriellen
Arbeitgeberverbandes OsnabrückEmsland (IAV) etwa ist die Rente
mit 63 ein „zusätzliches Privileg, sozialpolitisch falsch und ein milliardenteures Wahlgeschenk“. Nach Ansicht des IAV seien ältere Arbeitnehmer heute meist fit genug, um
länger erwerbstätig zu sein. Sabine
Stöhr, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des IAV, weist zudem auf die demografische Entwicklung hin. „Dazu brauchen wir
Fachkräfte, junge genauso wie ältere.“ Die Unternehmen seien auf das
Erfahrungswissen der Mitarbeiter
angewiesen. „Das zeigt auch der positive Trend bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung der
über 60-Jährigen“, so Stöhr.
Dem stimmt auch Norbert Landwehr zu. Sollte das Rentenvorhaben
zum 1. Juli verabschiedet werden,
könnte er nach mehr als 45 Beitragsjahren sofort in Rente gehen.
Wird er aber nicht. Der Prokurist
und Leiter der Finanzen, des Controllings und der EDV der Kornbrennerei H. Heydt in Haselünne hält
die Rentenpläne für falsch. „Damit
entzieht man vor allem kleinen und
mittleren Unternehmen die Fachkräfte, ohne dass Nachfolger eingearbeitet werden können“, sagt der
63-Jährige.
Für die Industrie- und Handelskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim (IHK) ist die mögliche Rentenreform die „offenkundi-
„Ich habe
48 Jahre
geschuftet.
Immer nur
Schicht.“
Hannelore Hatke,
Prüferin bei Essex Germany
ge Abkehr von der Agenda 2010.“
Als Sprachrohr von 60 000 Betrieben in der Region meint die Kammer, dass das Vorhaben der Großen
Koalition ein beschäftigungspolitischer Rückschritt mit kaum absehbaren Folgen für die Beitragszahler
ist. „Die Rente mit 63 sendet auch
das völlig falsche Signal an die Beschäftigten, dass es nämlich finanziell und gesellschaftlich richtig wäre,
früher aus dem Arbeitsleben auszuscheiden“, betont die IHK. Das Gegenteil sei vielmehr richtig: Um die
Belastungen der jüngeren Generation in Grenzen zu halten, brauche
man mit steigender Lebenserwartung auch eine längere Lebensarbeitszeit.
Noch drastischer formuliert es
Handwerkskammerpräsident Peter
Voss. Für ihn ist die Rente mit 63
ein System zur Frühverrentung.
Und das zu einem Zeitpunkt, an
dem man sich bemühe, die Ressourcen älterer Mitarbeiter in den Betrieben zu erhalten.
„Mit mir hat keiner über so was
gesprochen“, sagt dagegen Werner
Künnemann. Ein Angebot, in den
Vorruhestand zu gehen, lehnte der
Bereichsleiter für Ersatzteile und
Beipacks der Firma Krone in Spelle
ab. „Damals fühlte ich mich noch zu
jung.“ Der 62-Jährige hat sich nun
aber einen eigenen Rentenplan für
das Ende seiner Berufstätigkeit gemacht. Er wird nach knapp 48 Arbeitsjahren mit genau 63 Jahren zu
Hause bleiben. Am 1. Dezember dieses Jahres ist es so weit. „Das mache
ich, gleich, ob die Rentenreform
kommt oder nicht“, sagt Künnemann, der sich dann im genau richtigen Alter für seine Rente fühlt.
Mittelstandspreis: Ab sofort
können sich mittelständische Unternehmen wieder um den VRMittelstandspreis Weser-Ems bewerben. Die Volksbanken und
Raiffeisenbanken
der
Region
schreiben den VR-Mittelstandspreis erneut gemeinsam mit allen
Industrie- und Handelskammern
und Handwerkskammern in Weser-Ems aus. Weitere Informationen sind bei allen Volksbanken
und Raiffeisenbanken in Weser-Ems und den Wirtschaftskammern erhältlich. Ein Bewerbungsbogen ist im Internet unter der
Adresse www.gvweser-ems.de, Rubrik: Aktuelles, eingestellt. Die
Ausschreibung läuft bis zum 30.
Mai.
Nachhaltigkeit: Der Rat für
Nachhaltige Entwicklung unterstützt den Wettbewerb um den
Deutschen
Nachhaltigkeitspreis. Unternehmen und Kommunen können sich ab sofort bis zum
6. Juni bewerben. Prämiert werden Unternehmen, die vorbildlich
wirtschaftlichen Erfolg mit Schonung der Umwelt und sozialer
Verantwortung verbinden, und
Städte und Gemeinden, die im
Rahmen ihrer wirtschaftlichen
Möglichkeiten ihre Entwicklung
nachhaltig gestalten. Sonderpreise
für
Unternehmen
prämieren
besondere Ressourceneffizienz
und nachhaltige Markenführung.
Weitere Infos unter www.nachhaltigkeitspreis.de.
Flugbegleiter: Der Personaldienstleister GVO versorgt künftig die Fluggesellschaft Air Berlin
mit Flugbegleitern. Die Vereinbarung mit der zweitgrößten Fluggesellschaft Deutschlands sehe vor,
dass die Beschäftigten in den Ferienflugmonaten an Bord arbeiteten
und im Winter bei anderen Kunden von GVO, teilte das Osnabrücker Unternehmen mit. Zunächst
nehmen 100 GVO-Beschäftigte aus
ganz Deutschland an der Kooperation mit der unter Kostendruck
stehenden Airline teil. Air Berlin
ergänzte, die Kooperation biete
„eine völlig neue Lösung“, um den
im Sommer höheren Personalbedarf zu decken.
Pilotprojekt:
Intermodale
Transporte finden bislang sehr
selten auf der Kurzstrecke oder
über mittlere Distanz statt. Zu unwirtschaftlich scheint vielen Akteuren die Kombination von
Lkw und Zug, zu kompliziert die
Organisation der Logistikkette.
Die Sievert Handel Transporte
GmbH (sht) will nun den Gegenbeweis antreten und hat ein Pilotprojekt für den Verpackungs- und
Displayhersteller DS Smith gestartet: Anfang April rollte der
erste Güterzug mit Kartonagen für
die Automobilindustrie von Ludwigshafen nach Osnabrück. Auch
wenn noch nicht alle Parameter
ausgewertet wurden, lässt sich
dem Unternehmen zufolge bereits
der ökologische Effekt beziffern:
Die CO2-Emission pro Auflieger
und Rundlauf habe sich nahezu
halbiert.
Jobmesse: Die „jobmesse deutschland tour“ macht auch 2014 Station
in Lingen. Die siebte Auflage der
von der Messeagentur Barlag aus
Osnabrück organisierten Veranstaltung findet am 14. und 15. Juni in
den Emslandhallen statt. Arbeitgeber und Bildungseinrichtungen der
Region präsentieren sich und beraten im direkten Kontakt über Einstiegs-, Weiterbildungs- und Karrierechancen. Anmeldungen sind
noch möglich unter www.jobmesse.de/emsland.
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CHEFREDAKTION: Ralf Geisenhanslüke (Chefredakteur), Dr. Berthold Hamelmann (stellvertretender Chefredakteur), Burkhard Ewert (Newsdesk-Leitung)
KOORDINATION: Sven Lampe, Christian Schaudwet
AUTOREN DIESER AUSGABE: Christoph Assies,
Dr. Stefanie Adomeit, Carolin Appelbaum, Dr. Marie-Luise Braun, Stefan Bucholz, Nadine Grunewald, Dr. Berthold Hamelmann, Lothar Hausfeld,
Hermann Hinrichs, Helge Holz, Marita Kammeier,
Kim Karotki, Alexander Klay, Christoph Lützenkirchen, Norbert Meyer, Kerstin Pentermann, Stefan
Prinz, Wilfried Roggendorf, Axel Rotkehl, Christian
Schaudwet, Andreas Schnabel, Hendrik Steinkuhl,
Désirée Therre, Eva Voss, Hildegard WekenborgPlacke, Stefan Wolff,
REDAKTION V.i.S.d.P.: Ralf Geisenhanslüke
FOTOGRAFEN DIESER AUSGABE: Cornelius
Braun, Manfred Fickers, Michael Gründel, Helge
Holz, Marita Kammeier, Kim Karotki, Achim Köpp,
Klaus Lindemann, Hermann-Josef Mammes, Jörn
Martens, Elvira Parton, Hermann Pentermann, Axel
Rotkehl, Gert Westdörp
GRAFIK: Matthias Michel
VERLAG: Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co.
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Die Osnabrücker Business-Kontakt-Messe
„Wir haben unser Versprechen gehalten“
pm OSNABRÜCK. Dirk Bieler,
Chef des Mediaservice Osnabrück und Organisator der
„Wirtschaft plus“, zieht im
Interview eine positive Bilanz der Messe.
Herr Bieler, was hat die
Wirtschaft plus 2014 gebracht?
Kurz gesagt: Unsere Erwartungen haben sich voll und ganz
erfüllt. Wenn uns jemand vor
der Veranstaltung gefragt hat,
was er von einem Besuch der
Wirtschaft plus habe, war unsere Antwort: „Sie werden schlauer nach Hause gehen, als Sie gekommen sind, und mit Sicherheit um einige Geschäftskontakte reicher.“ Dieses Versprechen
haben wir gehalten. Wir haben
Menschen zusammengebracht,
die geschäftlich voneinander
profitieren können, und gleichzeitig den Ausstellern und Besuchern eine gute Zeit beschert.
Dafür haben wir von vielen Seiten anerkennende Worte und so
manches Schulterklopfen „geerntet“.
Was war für Sie der Höhepunkt?
Für mich persönlich gab es
davon gleich mehrere. Interessante und inspirierende Unternehmerpersönlichkeiten
kennenzulernen hat mich ebenso
begeistert wie die erste Currywurst oder der ruhige Moment,
in dem ich mit einem Geschäfts-
partner ein sehr persönliches
Gespräch geführt habe. Und
nicht zuletzt jeder einzelne Vortrag und die damit verbundenen Aha-Erlebnisse.
Wird es eine weitere Auflage geben?
Rund 1800 Besucher und über
60 Aussteller, das schreit geradezu nach Wiederholung. Außerdem bin ich davon überzeugt,
dass eine solche netzwerkunabhängige Veranstaltung der Osnabrücker
Wirtschaft
guttut.
Schließlich entstehen großartige
Dinge oft aus neuen Kontakten
und neuen Erkenntnissen. Kurz:
Es wird wieder eine BusinessKontakt-Messe in Osnabrück geben. Spätestens 2016.
Auf große Resonanz stießen neben den Firmenpräsentationen insbesondere die Fachvorträge.
„Rundum zufrieden“
Auch die dritte Auflage der „Wirtschaft plus“ war ein Erfolg
pm/slx OSNABRÜCK. Erfolg
auch bei der dritten Auflage:
Rund 1800 Besucher kamen
am 26. und 27. März zur 3. Osnabrücker Business-KontaktMesse „Wirtschaft plus“ im
Autohaus Mercedes-Benz Beresa in Osnabrück.
Unter dem Motto „Kontakte.
Wissen. Karriere.“ wurde genetzwerkt, was das Zeug hielt.
Über 60 Aussteller und viele
lehrreiche, unterhaltsame Vorträge bildeten für die größte
Business-Veranstaltung in der
Region den perfekten Rahmen.
Neben der veranstaltenden
Agentur, dem Mediaservice Osnabrück, zeigten sich auch die
Aussteller mit der Veranstaltung zufrieden: „Das Konzept
der Messe mit seiner breiten
Themenvielfalt hat uns überzeugt. Mit unserer Präsenz als
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Foto: Mediaservice Osnabrück
Aussteller ist es uns gelungen,
abseits des Tagesgeschäfts eine
Vielzahl von interessanten Gesprächen mit Vertretern von
Unternehmen zu führen, die
wir bereits zu unserem Kundenkreis zählen dürfen“, sagt
Stefan Süß aus der Geschäftsführung der Barlag Werbe- und
Messeagentur: „Zudem konnten wir auch eine Reihe von
Besuchern an unserer ,jobmesse cocktailbar‘ begrüßen, die
großes Interesse an unseren
Messekonzepten gezeigt haben
und mit ihren Unternehmen
vielleicht schon bald zum Kreis
der Aussteller der ,Jobmesse
Deutschland Tour‘ oder der
,Immobilienmesse Osnabrück‘
gehören. Wir freuen uns, wenn
Dirk Bieler und sein Team diese Idee weiter ausbauen, und
sind gespannt auf die Neuauflage in zwei Jahren.“
Zufrieden ist auch Hartmut
Pax, Geschäftsführer der Firma
OSMO Anlagenbau aus Georgsmarienhütte: „Viele anregende
Gespräche und neue interessante Kontakte lassen uns mit
Freude auf eine erfolgreiche
dritte Business-Kontakt-Messe
zurückblicken. Die Besucher informierten sich auf unserem
innovativem Messestand über
neue Multimediakommunikationsmöglichkeiten am Arbeitsplatz und im Büro. Wir sind
schon sehr gespannt auf die
vierte Ausgabe der BusinessKontakt-Messe
Osnabrücker
Unternehmen.“
Positiv äußert sich auch
Hans-Jürgen
Klumpe,
Geschäftsführer der Firma HK
Medien aus Wallenhorst: „Die
Messe hat sich wunderbar entwickelt. Wir waren rundum zufrieden.“
21
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
GELD & GESCHÄFT
GELD & GESCHÄFT
Muskelschmerz ade:
Kleine Übungen
für zwischendurch
1
„Geistige Bewegung
ist ebenso wichtig
wie körperliche“
Halsmuskeln
aktivieren
Wer viel am Computer sitzt oder Auto fährt,
achtet oft nicht auf seine Kopfhaltung. Sie können ganz einfach Ihre tiefen Halsmuskeln aktivieren
und so die Haltung des Kopfes verbessern und stabilisieren – ohne dass die Kollegen etwas davon sehen.
Setzen Sie sich gerade auf einen Stuhl. Ziehen Sie
die Schultern nach hinten und unten, strecken
Sie die Brust vor und ziehen den Kopf so zurück,
dass Sie ein Doppelkinn machen. Ziehen Sie den
Kopf dabei nach oben. Ein paar Sekunden
halten, entspannen. Mehrmals täglich
durchführen, jeweils mit zehn
Wiederholungen.
2
Halswirbelsäule stabilissieren
3
Gesundheitscoach Doris Ostermann über
den Umgang mit sich selbst bei der Arbeit
Durch regelmäßiges Dehnen können Sie
Ihre Halswirbelsäule entlasten und so die Beweglichkeit des Kopfes und der Halswirbelsäule
verbessern. Setzen Sie sich mit geradem Rücken
hin. Dann nehmen Sie ein Handtuch in beide Hände und legen es um den Hinterkopf. Am Handtuch
den Kopf langsam nach unten ziehen. Zehn bis
15 Sekunden halten, entspannen. Zwei bis drei
Wiederholungen am Tag. Statt eines Handtuchs können Sie auch einen Schal
oder ein Tuch nehmen – oder
einfach nur die Hände.
Machen Sie während der Arbe
beit viel mit
ihren Armen? Denken Sie dannn auch an die
Haltung ihrer Halswirbelsäule? Daabei ist Stabilieichen: Nehmen
tät wichtig. Die können Sie so erreic
Sie die Ausgangsposition von Übun
ung 1) ein. Führen Sie beide Arme neben dem Köörper nach vorne und bewegen Sie diese wie bei
ei einer Schere
langsam oder
wechselseitig hoch und runter – la
schnell, mit oder ohne Gewichte
ten wie etwa
einer Trinkflasche. Zwei- oder
er dreimal
täglich mit je zehn Wied
ederholungen durchführen.
Entspannungspausen während der Arbeit wirken Wunder –
vor allem dann, wenn man sie zur Bewegung nutzt
Halswirbelsäule entlasten
VON NADINE GRUNEWALD
OSNABRÜCK. Reichen Sport und
körperliche Bewegung aus, um
sich wohler zu fühlen? Keineswegs, sagt Doris Ostermann, Supervisorin, Gesundheitscoach
und Trainerin in Osnabrück. Es
komme auch auf die geistige Einstellung an.
Viele Unternehmen
beginnen mit
Gesundheitsinitiativen.
Doch der Einzelne
kann auch selbst
etwas für sich tun.
Schon kleine Übungen
eignen sich, Schmerzen
vorzubeugen.
VON NADINE GRUNEWALD
UND GERT WESTDÖRP (FOTOS)
OSNABRÜCK. Wer beim Arbeiten
4
Freie
Armbewegungen
6
Nur wenn Ihre Brustwirbelsäule beweglich
ist, können Sie alle Armbewegungen richtig
ausführen. Verbessern können Sie die Beweglichkeit mithilfe Ihres Stuhls: Hinsetzen, Beine übereinanderschlagen und die Hände im Nacken ineinander
verschränken. Die nach außen gerichteten Ellenbogen
nach unten und hinten ziehen. Mit der Brustwirbelsäule über die Stuhllehne lehnen und das Brustbein
nach vorne oben schieben. Achtung: Nicht zu sehr
ins Hohlkreuz gehen, die Lendenwirbelsäule stabil halten. Ist die Lehne zu hoch, können Sie
sich nicht darüber strecken. Alle ein bis
zwei Stunden für ein oder zwei
Minuten wiederholen.
5
In immer mehr Unternehmen in
der Region setzt sich die Erkenntnis
durch, dass nicht nur Beschäftigte
selbst etwas für ihre Gesundheit
tun müssen, sondern auch ihre Arbeitgeber. Hauptgrund dafür ist
nach Einschätzung vieler Experten
der immer bedrohlichere Fachkräftemangel. „Die Unternehmen merken, dass sie etwas tun müssen“,
sagt Magdalena Knappik. Sie ist Referentin der Industrie- und Handelskammer Osnabrück – Emsland
– Grafschaft Bentheim und Geschäftsführerin des Gewinet Kompetenzzentrums Gesundheitswirtschaft, das rund 60 Mitglieder aus
Bereichen der Gesundheitswirtschaft in der Region Weser-Ems
verbindet. Firmen, sagt Knappik,
beschäftigten sich vermehrt mit der
Frage, wie sie ihre Mitarbeiter lange
binden und gleichzeitig lange arbeitsfähig halten könnten. „Betriebliches Gesundheitsmanagement ist
bei den Unternehmen in der Region
angekommen“, sagt sie.
Das beobachtet auch Martin
Schulze, fachlicher Leiter des Instituts für angewandte Physiotherapie
und Osteopathie (Inapo) in Osnabrück. Nicht nur in Großunternehmen gebe es Ansätze zur betrieblichen Gesundheitsförderung. „Auch
kleinere Firmen kommen dahin.“
Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages
(DIHK) unter 1500 Unternehmen
ergab: Das Bewusstsein für die betriebliche
Gesundheitsförderung
wächst auf breiter Front. In den
vergangenen fünf Jahren hat die
Bedeutung des Themas laut der Studie bei zwei Dritteln der Unternehmen zugenommen.
44 Prozent der Betriebe aus der
Region Osnabrück, Emsland, Grafschaft Bentheim, die an der Umfrage teilgenommen haben, planen
demnach, in den kommenden Jahren ihren Mitarbeitern verstärkt
Brustwirbelsäule mobilisieren
9
Angebote zu machen. Damit liegen
die Unternehmen der Region deutlich über dem Bundesdurchschnitt
(35 Prozent). Ihre Ansätze sind unterschiedlich. Dazu zählen die gesundheitsgerechte Ausstattung des
Arbeitsplatzes, Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen – oder eben
Bewegungsangebote. Das sei eine
„erfreuliche Entwicklung“, sagt
Schulze. „Aber es ist immer noch
Luft nach oben.“
In wessen Unternehmen es noch
kein betriebliches Gesundheitsmanagement gibt, der kann ganz leicht
selbst etwas für sich tun. Der erste
Schritt: Kurze Entspannungspausen
in den Arbeitsalltag einbauen. Sich
faul auf dem Stuhl zurücklehnen
und die Füße auf den Tisch legen . . .
Aber das sehen die meisten Chefs
nicht gern.
Doch es geht auch anders und effektiver. Agnes Pudelko absolviert
an der Hochschule Osnabrück ein
Physiotherapiestudium und arbeitet
als Therapeutin am Inapo. Sie weiß
viele einfache Übungen, mit denen
Sie beanspruchte Muskeln lockern
und dehnen können. Das Beste daran: Sie können die Übungen am Arbeitsplatz machen. Für die meisten
benötigen Sie nichts weiter als einen Stuhl. Falls die Kollegen Sie
schräg angucken – lassen Sie sie
doch einfach mitmachen. Und keine
Angst: Sie müssen kein Akrobat
sein! Zugegeben, nicht alle Übungen lassen sich zeitlich in den Arbeitsalltag integrieren. Suchen Sie
sich die aus, die zu ihren individuellen Problemzonen passt.
Frau Ostermann, inwieweit können körperliche Übungen am Arbeitsplatz dabei helfen, Ausgeglichenheit herzustellen?
Die Übungen sind bei eher einseitigen Tätigkeiten wie langem Sitzen
oder Stehen sehr hilfreich, muskulären Verspannungen und daraus
folgenden Schmerzen vorzubeugen.
Die körperliche Bewegung dient
dem Stressabbau und ist ein erster
Schritt zur Ausgewogenheit von Beund Entlastung.
Schmerzen Ihre Schultern nach einem
langen Arbeitstag? Um diese Körperpartie
zu entspannen, setzen Sie sich wie bei Übung 1
hhin, machen Sie ein Doppelkinn und richten den
B
Blick nach vorne. Jetzt ziehen Sie die Schultern
nnach hinten unten, zehnmal zehn Sekunden halten – fertig. So werden die Muskeln gekräftigt,
die die Schultern nach hinten ziehen. Außerdem trägt die Übung zur Verbesserung
der Schulterblattstellung bei. Entspannen Sie Ihre Schultern so
ruhig mehrmals täglich.
Eine weitere Übung zur Mobilisierung der
Brustwirbelsäule beginnt im sogenannten
Kutschersitz. Dazu stellen Sie Ihre Beine leicht
auseinander auf den Boden. Die Hände lassen
Sie locker neben dem Körper hängen. Jetzt
machen Sie zunächst den Rücken rund und
lassen den Kopf locker hängen. Dann strecken Sie das Brustbein vor und ziehen die
Schulterblätter zurück. Diese Übung
können Sie jede Stunde für ein
bis zwei Minuten machen.
den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzt, hinter der Ladentheke steht oder schwere Lasten tragen muss, der merkt es irgendwann unweigerlich: Die Belastung schadet der Gesundheit –
und damit auch der Leistungsfähigkeit. „Die Wirtschaft“-Autorin Nadine Grunewald hat sich
von der Physiotherapeutin Agnes
Pudelko Übungen zeigen lassen,
mit denen Sie sich und Ihre Muskeln während der Arbeit entspannen können.
Schultern
entspannen
Wenn Sie im Büro arbeiten oder viel im
Auto unterwegs sind, sollten Sie Ihre Lendenwirbelsäule stabilisieren und die Hüftmuskulatur dehnen. Nehmen Sie dazu eine große Schrittstellung ein, beugen Sie das vordere Knie und
ziehen Sie die hintere Ferse an. Dann verlagern
Sie das Gewicht nach vorne, bringen die Hüfte
nach vorne und spannen den Bauch an, indem Sie sozusagen den Bauchnabel nach
innen ziehen. Zwei bis drei Sekunden
in der Endstellung verharren,
zehnmal pro Seite.
Wie meinen Sie das?
Unser heutiges Leben mit all seinen Möglichkeiten ist eine Herausforderung. Hinzu kommen Veränderungen in der Arbeitswelt. Waren
Arbeitnehmer früher eher körperlichen Beanspruchungen ausgesetzt,
sind es heute eher die psychischen.
Um körperliche Spannungen und
innere Unruhe abzubauen, hilft körperliche Bewegung – durch Übungen oder einen Spaziergang in der
Pause.
12
Also lässt sich ein Burn-out
durch körperliche Balance verhindern?
Hinter „Burn-out“ verbirgt sich
ein sehr komplexes Thema. Es geht
nicht nur um den Körper, sondern
auch um die Seele. Es ist richtig,
dass gut dosierter und somit wohltuender Sport die Leistungsfähigkeit des Menschen erhöhen kann.
Körperliche Bewegung beeinflusst
den Stoffwechsel günstig und senkt
den Blutdruck und die Blutfette.
Frei werdende Endorphine wirken
sich positiv auf unser seelisches
Wohlbefinden aus. Um eine emotionale Erschöpfung oder eine Erschöpfungsdepression zu verhindern, braucht es in der Regel mehr
als nur körperliche Bewegung.
7
Lendenwirbelsäule & Hüfte
Lendenwirbelsäule stabilisieren
Auch so können Sie Ihre Lendenwirbelsäule stabilisieren: Setzen Sie sich gerade
hin, sodass Kopf, Brustkorb und Becken in
einer Linie sind. Nicht zu sehr ins Hohlkreuz gehen oder den unteren Rücken zu rund machen.
Bauchmuskeln anspannen, leicht nach vorne
beugen und dabei die Arme nach vorne ziehen. Das Kinn ist unten, die Schulterblätter
ziehen Sie nach hinten unten. Führen Sie
die Bewegung langsam aus. Zehnbis 20-mal wiederholen.
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Arme, Hände
& Finger (1)
Nach stundenlanger Arbeit am Computer
sind Ihre Unterarme verspannt? Dann dehnen
Sie die Beugermuskeln von Hand und Fingern.
Drehen Sie den linken Arm so, dass Ellenbeuge und
Handinnenfläche zur Decke zeigen. Der Arm ist gestreckt. Mit der rechten Hand drücken Sie die Finger
der linken Hand nach unten. Legen Sie die rechte
Hand dazu etwa in die Mitte der anderen. Wichtig:
Den Arm nicht zu sehr überstrecken. Dann mit
der anderen Seite. Alternativ können Sie den
Arm im 90-Grad-Winkel neben den Körper halten. 20 Streckbewegungen
pro Seite und Tag.
Arme, Hände
& Finger (2)
Um den Strecker der Finger und Hände anzusprechen, drehen Sie den linken
Arm so, dass die Handaußenfläche zur
Decke zeigt. Ziehen Sie dann die Hand des
linken Arms mit der rechten Hand nach
unten. Der Arm bleibt dabei gerade. Seite wechseln. Sie sollten immer beide
Muskelgruppen, also Strecker
und Beuger, ansprechen.
10
8
Lendenwirbelsäule mobilisieren
Um die Lendenwirbelsäule zu mobilisieren und deren Beweglichkeit zu fördern, setzen Sie sich hin. Dann kippen Sie Ihr Becken in
einer sanften Bewegung nach vorne und hinten.
Dabei können Sie die Hände seitlich ans Becken
stützen. Führen Sie die Übung stündlich für
ein oder zwei Minuten aus. Das geht auch
im Stehen. Spätestens wenn Sie merken,
dass Sie steif werden und Schmerzen
haben, sollten Sie sich an diese
Bewegung erinnern.
Lendenwirbelsäule entlasten
Wollen Sie Ihre Lendenwirbelsäule entlasten
und so Schmerzen in diesem Bereich reduzieren?
Dazu setzen Sie sich hin – am besten recht weit vorne
auf den Stuhl – und stellen die Füße mit etwas Abstand
auf den Boden. Legen Sie sich eine Handtuchrolle in die
Leiste und beugen Sie sich darüber nach vorne. Machen
Sie einen Rundrücken und lassen Sie Kopf und Arme hängen. Entspannen Sie sich und ziehen Sie die Schultern
nach unten. Etwa 30 Sekunden halten, zwei bis drei
Wiederholungen am Tag.
Alternativ können Sie die Handtuchrolle nur auf
eine Seite der Leiste legen. Ziehen Sie das
Knie auf dieser Seite nach oben und
fahren wie beschrieben fort.
Fotos Gerd Westdörp/Colourbox.de, Montage: Matthias Michel
13
Gegen Nackenschmerzen
Nackenschmerzen können Sie durch die
Dehnung der seitlichen Nacken- und Schultermuskulatur den Kampf ansagen. Greifen
Sie mit dem linken Arm über den Kopf, legen Sie
die flache Hand oberhalb des Ohres darauf und
ziehen Sie den Kopf zur linken Schulter. Einen verstärkenden Effekt erzielen Sie, indem Sie gleichzeitig den rechten Arm neben dem Körper
ausstrecken und die Finger anziehen. Dann
die Seite wechseln. Jeweils zehn bis 20
Sekunden lang halten, zwei- bis
dreimal am Tag ausführen.
Was empfehlen Sie dann?
Mir ist wichtig zu sagen, dass es
nicht die Empfehlung und das Rezept gibt. Jeder Mensch ist einzigartig und einmalig. Trotzdem gilt allgemein: Kommen Sie körperlich
wie geistig in Bewegung! Viele Menschen wissen, dass körperliche Bewegung neben einer gesunden Ernährung wesentliche Gesundheitsfaktoren sind. Mit geistiger Bewegung meine ich, sich mit sich selbst
und dem eigenen Lebensstil geistig
auseinanderzusetzen. Das geschieht
durch Fragen an die eigene Person:
Wie geht es mir? Wie zufrieden bin
ich mit mir, meinem Beruf und meiner privaten Situation? Achte ich
auf mich?
Ist so eine generelle persönliche
Standortbestimmung immer notwendig?
Ich denke, dass Check-ups der
Seele genauso wichtig sind wie regelmäßige körperliche Check-ups
und medizinische Vorsorgeuntersuchungen. Über eine ehrliche Betrachtung des Inneren können neben positiven Aspekten die sogenannten Stressoren erkannt werden: Was macht mir Druck? Wann
Coach Doris Ostermann.
Foto: Jörn Martens
und wo erlebe ich mich gestresst
und körperlich angespannt?
Und wie geht es dann weiter?
Ein wichtiger Schritt für die Prävention ist das Wissen um die Faktoren, die mich belasten und mir
Druck machen. So kann ich mich
vorbereiten – denn die Stressoren
tauchen immer wieder auf. Entsprechend des Stressors kann jeder eine
Umgangsweise entwickeln, die weniger belastend für ihn ist. Es ist
immer möglich, selbst etwas zu verändern. Wenn ich die Dinge nicht
verändern kann, kann ich meine
persönliche Einstellung korrigieren.
Also soll man die geistige Einstellung in eine andere Richtung
bewegen.
Genau. Ein wichtiger Schritt ist
es, die inneren Denkmuster zu
überprüfen, denn Stress entsteht im
Kopf. Es gibt sogenannte innere Antreiber wie: „Sei perfekt“, „Streng
dich an“, „Mach es allen recht“ und
„Sei stark“. Sie bestimmen zum Teil
wesentlich unser Leben und beeinflussen unser Verhalten. Sie verbrauchen Energie und erzeugen inneren Druck. Wenn die antreibenden Gedanken „Sei perfekt“ in die
Richtung „Ich darf Fehler machen“
bewegt werden, ist ein gelassenerer
Umgang möglich.
Körperliche und geistige Bewegung – wo legen Sie den Schwerpunkt?
Auch das ist wieder individuell.
Es geht um eine gute Mischung.
Nicht jeder kann oder möchte
während der Arbeit körperliche
Übungen machen. Was für Alternativen gibt es?
Entscheidend ist, dass eine Pause
gemacht wird. Unsere Leistungsfähigkeit verläuft wellenförmig. Wichtig ist es, am Tag kleine Entspannungspausen einzuplanen. Darunter verstehe ich: Übungen durchzuführen, zehn Minuten die Mittagssonne genießen oder einen lustigen
Austausch mit einem Kollegen zu
haben. Es geht darum, sich selbst
etwas Gutes zu tun und Energie zu
tanken. Das Wie ist individuell.
Haben Sie eine Anregung, die
dabei hilft, sich selbst etwas Gutes zu tun?
Seien Sie sich selbst ein guter
Freund. Seien Sie gut zu sich selbst,
freuen Sie sich über Gelungenes
und Schönes. Wenn Ihnen Bewegungsübungen am Arbeitsplatz guttun, führen sie diese durch. Das
Wichtigste ist, dass Sie sich für eine
Pause in Richtung Wohlgefühl und
Entspannung bewegen – geistig wie
körperlich.
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
GELD & GESCHÄFT
Von Melle bis nach Malle
Der Software-Hersteller @l-DATA organisiert Abrechnungen für deutsche und spanische Ärzte auf Mallorca
VON MARITA KAMMEIER
MELLE/CALA RATJADA. Die meis-
ten Ärzte wünschen sich mehr
Zeit für die Patienten und weniger Aufwand für Verwaltung
und Bürokratie. Das erkannte
auch Anja Lange-Huber und
gründete in Melle das Unternehmen @l-DATA. Die Software,
die es vertreibt, nutzen Ärzte,
um Abrechnungen, Labordaten
oder die Urlaubsplanung leichter abwickeln zu können – von
Melle bis Mallorca.
Die Praxis soll reibungslos laufen: ohne Probleme mit Computern,
Quartalsabrechnungen,
dem schnellen Versenden von Labordaten sowie dem gesamten
administrativen Prozedere mit
sensiblen Patientendaten. Diesen
Wunsch teilen die deutschen und
spanischen Ärzte auf Mallorca
mit ihren Kollegen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Denn ihre Arbeit mit den Patienten gerät immer mehr in ein
Spannungsverhältnis mit der
Wirtschaftlichkeit. Ohne die aber
lässt sich eine Praxis nicht erfolgreich betreiben.
Dr. Carlos de Quero Kops hat
seine Praxis im Deutschen Facharztzentrum in Cala Ratjada im
Nordosten Mallorcas. Früher
musste er die Patienten zur Blutabnahme in die Klinik von Palma
de Mallorca schicken. Heute
fährt ein Bote von Ort zu Ort und
holt die Proben zeitnah in den
einzelnen Praxen ab. Mit dem Ferienflieger werden sie noch am
selben Tag nach Hannover trans-
Wartet aus Melle die Software, die auch Ärzte auf Mallorca verwenden: das @l-DATA-Team (von links) mit Florian Fischer, Achim Lange, Andrea Loske, Chefin Anja Lange-Huber und Birgit Altehoff.
portiert und im Bad Salzufler Labor Krone untersucht. Das medizinische Fachpersonal auf Mallorca kann die Laborergebnisse
schon am Tag nach der Probeentnahme über eine Datenfernübertragung der Firma Medatixx per
Mausklick, Modem und Telefonleitung abfragen und direkt in
die Patientenkarteikarte übertragen.
Der Vorteil dieser Datenabfrage liegt für Quero Kops darin,
dass kein DSL oder sonstige
Hochgeschwindigkeitsverbindungen notwendig sind. Denn was in
Deutschland längst zum Standard gehört, ist in anderen Ländern nicht ohne Weiteres selbstverständlich. Quero Kops findet:
„Die Fernübertragung der Labordaten ist spitze.“ Mit der Medatixx-Software habe er schon in
seiner Praxis in Deutschland gearbeitet. „Ich war froh, als ich
hörte, dass damit auch deutsche
Ärzte in Spanien betreut werden.“
Anja Lange-Huber aus Melle
hat den Wunsch der Mediziner
nach mehr Entlastung von den
alltäglichen Verwaltungs- und
Foto: Marita Kammeier
Ärztealltag:
viel Bürokratie,
wenig Zeit
für Patienten.
EDV-Aufgaben als Marktlücke erkannt. Die gelernte Arzthelferin
blickt auf eine 20-jährige Erfahrung mit Praxis-ManagementSystemen zurück und ist seit Jahren Vertriebspartnerin von Medatixx. 2005 gründete sie dann
ihr eigenes Unternehmen @l-DATA. Heute organisiert und betreut sie mit einem achtköpfigen
IT-Spezialisten- und Schulungsteam 400 Arztpraxen, Kliniken
und Notdienstambulanzen.
Die Standorte liegen größtenteils in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, aber auch auf
Mallorca und im südspanischen
Málaga. Dort, in Spanien, arbeitet der Promi-Arzt Dr. Petr Spurek nur wenige Kilometer entfernt in Marbella ebenfalls mit
Software von@l-Data. Der Experte für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Sportmedizin,
Fuß- und Sprunggelenkschirurgie
reist in der ganzen Welt umher,
um besonders komplizierte Operationen durchzuführen.
Auch im milden mallorquinischen Klima bleiben die Urlauber
und Ruheständler nicht immer
von Krankheiten und Unfällen
verschont. Etliche Ärzte aus
Deutschland haben bereits auf
diese Situation reagiert und ihre
Praxis daher auf die Insel verlegt.
Dort behandeln sie die Patienten
sowohl nach den in Deutschland
geltenden Richtlinien als auch
nach den spanischen Vorgaben.
Im Fokus stehen dabei die Versorgung von Unfall-Patienten sowie zahlreiche Präventions- und
Wellness-Angebote.
Die deutschen Ärzte auf Mal-
lorca sind offenbar eine lohnende Klientel die Meller Unternehmerin, die auch schon mal
schnell in den Flieger steigt, um
auf der Mittelmeerinsel persönlich Fragen zu klären. Lange-Huber betreut, schult und begleitet
die medizinischen Fachkräfte im
Alltag, dabei hilft ihr ihre langjährige berufliche Erfahrung in
der Branche.
Von der Beschaffung der Computer, dem Aufbau und der Wartung auf der Insel über die Programmierung individueller Softwarelösungen bis zur Installation
von Software in der Arztpraxis
kümmert sich das Meller Unternehmen um IT-Prozesse der Mediziner von Malle. Dazu kommen
Datensicherungskonzepte, Netzwerk- und Archivlösungen. Das
von der Firma für die Arztpraxen
entwickelte System „doc-Time“
etwa dient der Zeiterfassung und
managt die Arbeits- und Urlaubszeitverwaltung für Vollzeit-, Teilzeitkräfte und Auszubildende.
Zusätzlich bietet Unternehmerin
Lange-Huber Ideen zum Wartezimmer-Marketing mit Präsentationen, Filmen sowie Spracherkennungssysteme für die Mediziner an.
Aber auch die Angestellten bei
@l-DATA haben etwas von der
Standortwahl ihrer Kunden auf
der klimatisch milden Mittelmeerinsel: Damit das Team aus
Melle nicht nur über Fernwartung mit den mallorquinischen
Fachkräften in Verbindung steht,
organisierte die Chefin einen Betriebsausflug kurzerhand auf die
Insel.
Veränderte Regeln für
Reisekosten bergen Risiken
Neues Recht für Abrechnungen – Fallstricke inklusive
VON STEFAN BUCHHOLZ
OSNABRÜCK. Das seit Jahresan-
fang geltende neue Reisekostenrecht soll für mehr Einheitlichkeit sorgen. Gleichwohl kann es
zur Stolperfalle für Unternehmen werden, wenn sie beim
wichtigsten Punkt der Neuregelung nicht aufpassen.
Ein Grund für die Reform waren
die häufig unterschiedlichen Interpretationen, mit denen Verwaltung
und Rechtsprechung das bisherige
Reisekostenrecht anwendeten. Darauf habe die damals noch schwarzgrüne Bundesregierung im Februar
letzten Jahres mit dem „Gesetz zur
Änderung und Vereinfachung der
Unternehmensbesteuerung und des
steuerlichen Reisekostenrechts“ reagiert, erläutert Christoph Averdiek-Bolwin. Weitere Motive seien
Bürokratieabbau sowie vereinfachte
steuerliche Regelungen gewesen,
sagt der Wirtschaftsprüfer, Steuerund Unternehmensberater, der für
die Osnabrücker Kanzlei Klein,
Mönstermann und Partner (KMP)
arbeitet.
Im Zentrum der Reisekostenreform steht der Begriff der „ersten
Tätigkeitsstätte“. Er löst den bisherigen Terminus der „regelmäßigen
Arbeitsstätte“ ab. Arbeitgeber haben ab jetzt für jeden Mitarbeiter
eine erste Tätigkeitsstätte zu definieren. Sie muss eine ortsfeste, betriebliche Einrichtung des Arbeitge-
bers sein. Dazu kann ebenso die
Tochter- oder Muttergesellschaft
des Unternehmens zählen. Selbst
die betriebliche Einrichtung eines
Kunden oder Entleihers des Arbeitgebers darf zur ersten Tätigkeitsstätte werden. Nicht ortsfest sind
das Home Office eines Arbeitnehmers sowie Lastwagen, Flugzeuge
und Schiffe plus die Arbeitsstätte
etwa von Vertriebsmitarbeitern und
mobilen Pflegekräften. Zeitlich festgeschrieben wird die erste Tätigkeitsstätte etwa unbefristet, für ein
Dienstverhältnis oder für 48 Monate.
Die wichtigste
Frage lautet:
Wo arbeiten
Sie am
häufigsten?
Ein Beispiel: Ein in Osnabrück lebender Angestellter arbeitet jeweils
von Montag bis Mittwoch am Firmensitz in Münster. Donnerstag
und Freitag hat er im Zweigwerk in
Osnabrück zu tun. Der Arbeitgeber
kann als erste Tätigkeitsstätte entweder Münster oder Osnabrück zuweisen. Wird der Angestellte laut
Arbeitsvertrag dem Firmensitz in
Münster zugeordnet, ist die Fahrt
zur Arbeit in Osnabrück eine
Dienstreise. Arbeitet der Angestellte
in Münster, entfällt die Verpflegungspauschale. Bis auf die Fahrten
mit dem Fahrrad und die Aufnahme
von Mitfahrern gilt weiterhin für die
einfache Fahrt zum ersten Arbeitsort die Entfernungspauschale von
30 Cent pro Kilometer.
Die Wahl der ersten Tätigkeitsstätte erfordert genaue betriebsinterne und zu fixierende Überlegungen, sagt Steuerfachmann AverdiekBolwin. „Für Unternehmen geht es
hier um viel Geld. Wenn die Zuordnungen nicht gut überlegt getroffen
werden, drohen hohe Steuernachforderungen oder überhöhte Reisekostenabrechnungen der Mitarbeiter.“
Ist der Arbeitnehmer länger an einem anderen Ort tätig, der nicht als
seine erste Tätigkeitsstätte festgelegt
ist, sollte dies schriftlich als vorübergehende Regelung festgehalten werden. Fehlt diese Dokumentation,
nimmt das Finanzamt automatisch
den Arbeitsort, an dem der Mitarbeiter die meiste Zeit verbracht hat.
Hin und her: Berufstätige reisen für ihre Arbeit oft. Wie die Reisekosten abzurechnen sind, hat die Regierung neu festgelegt.
Festgehalten hat der Gesetzgeber
am Begriff „berufliche Auswärtstätigkeit“, schildert Michael Braksiek.
Sie umfasse sämtliche dienstliche
Aufgaben außerhalb der Wohnung
und der ersten Tätigkeitsstätte, sagt
der Fachanwalt für Arbeitsrecht von
der Osnabrücker Kanzlei Brinkschröder-Braksiek-Rochel.
Auch Arbeitnehmer, die bei ihrer
individuellen beruflichen Tätigkeit
typischerweise nur an „ständig
wechselnden Einsatzstellen“ oder
auf einem Fahrzeug eingesetzt werden, fallen unter die reisekostenrechtlich relevante Auswärtstätigkeit, sagt Braksiek.
Das trifft etwa auf den Facharbeiter eines Elektroinstallateurbetriebes zu, der ausschließlich auf auswärtigen Baustellen arbeitet, zu denen er täglich von zu Hause mit seinem Auto fährt. „Die Einsätze begründen die berufliche Auswärtstätigkeit, da der Arbeitnehmer inso-
weit nicht an einer ersten Tätigkeitsstätte tätig ist“, interpretiert Braksiek. Sämtliche Fahrten im Beispiel
fielen unter die Reisekostenvorschriften. Für die Gesamtstrecke
dürfte der Kilometersatz von 30
Cent dem Werbungskostenabzug
beim Arbeitnehmer oder steuerfreien Ersatz durch den Arbeitgeber zugrunde gelegt werden.
Bei Arbeitsaufenthalten im Ausland von bis zu 48 Monaten sind
Hotel- und Mietkosten seit 2014 unbeschränkt als Werbungskosten absetzbar. Dauert die Arbeit anderswo
länger als vier Jahre, können diese
Kosten als doppelte Haushaltsführung berücksichtigt werden. Allerdings gilt dabei jetzt nur noch eine
Höchstgrenze von bis zu 1000 Euro
pro Monat.
Fazit: Da der Arbeitgeber aufgrund seines sogenannten Direktionsrechtes die „erste Tätigkeitsstätte“ bestimmen kann, ist erfreuli-
Foto: Imago
cherweise die in der Vergangenheit
wenig praxisorientierte Abgrenzung
nach dem Schwerpunkt der beruflichen Beschäftigung nicht mehr zu
beachten, bilanziert Arbeitsrechtexperte Braksiek die Reisekostenreform.
Unterm Strich sind die Neuregelungen im Reisekostenrecht positiv
für Unternehmer und Arbeitnehmer, meint Christoph Averdiek-Bolwin von KMP. „Insgesamt bleibt
aber eine durchgreifende Vereinfachung der betrieblichen Reisekostenabrechnung für die Praxis offen.“
Unternehmer sollten auf mitarbeitende Ehegatten und Familienangehörige achten. „Bei angestellten
Verwandten und Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH schaut
das Finanzamt besonders streng darauf, dass die Zuordnung der ersten
Tätigkeitsstätte nicht missbräuchlich ist“, rät Averdiek-Bolwin.
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
GELD & GESCHÄFT
Einbecker beendet die Durststrecke
Dem traditionsreichen Brauhaus geht es wieder besser, doch Aktionäre haben bisher wenig davon
VON STEFAN WOLFF
EINBECK. Es dürfte auf dieser
Welt nur wenige Aktiengesellschaften geben, deren Wurzeln
bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen. Die Einbecker Brauhaus AG gehört dazu.
In wenigen Tagen ist es wieder so
weit. Im Münchner Hofbräuhaus
findet der traditionelle Maibockanstich statt. Wie immer wird dabei
nicht nur das im Frühjahr sehr beliebte Starkbier ausgeschenkt. Die
anwesende Politikprominenz bekommt von „Derbleckern“ auch
kräftig eingeschenkt. Die satirischen
Reden kennen nur wenige Tabus.
Bockbier gehört zu Bayern wie
Weißwurst und Lederhosen. Doch
seinen Ursprung hat das Starkbier
weit nördlich des Weißwurst-Äquators. Auch stammt der Name nicht
vom Ziegenbock, wie zahlreiche Abbildungen auf den Etiketten suggerieren. Das Bier stammt aus dem
niedersächsischen Einbeck: Im Jahr
1612 warb das Hofbräuhaus einen
Einbecker Braumeister ab, um das
„Ainpöckische Bier“ zu brauen.
Durch Verballhornung des Namens
von „Einpöckisch“ über „Oanpock“
entstand die Bezeichnung „Bockbier“.
Bockbier in mehreren Varianten
von dunkel bis hell befindet sich
immer noch im Sortiment der Ein-
becker Brauhaus AG. Doch die Auswahl hat sich deutlich ausgeweitet.
Das vergangene Geschäftsjahr verlief für das Unternehmen erfolgreich. Einbecker verkaufte zwar mit
6557 Hektolitern ein Prozent weniger Bier als im Vorjahr, doch steigerte den Gewinn. Das Betriebsergebnis nach Biersteuer wuchs um 13
Prozent auf 1,2 Millionen Euro. Der
Jahresüberschuss 2013 stieg mit
208 000 auf mehr als das Doppelte
des Vorjahreswerts.
Damit scheint das Brauhaus die
Trendwende geschafft zu haben. In
den Geschäftsjahren 2009, 2010
und 2011 wies die Bilanz einen Fehlbetrag aus. Die Branche hat es generell schwer. Der Bierkonsum geht
zurück. Trank jeder Deutsche Anfang der 1990er noch etwa 140 Liter
Bier pro Jahr, waren es im vergangenen Jahr noch 107 Liter. Die Folge
ist ein heftiger Preiskampf der
Brauereien untereinander, während
die Kosten für die Rohstoffe kontinuierlich steigen.
Am 28. April 1378 lieferte eine
Einbecker Brauerei zwei Tonnen
Bier nach Celle. Diese älteste noch
erhaltene Rechnung wies die damalige Hansestadt als Handelszentrum
für Bier aus. Es gab mehr als 700
Brauherren in der Stadt, die vor allem für den eigenen Bedarf produzierten. Im Jahr 1794 entstand die
„Städtische Brauerei“. Die Einzelbraurechte der Hausbrauereien
wurden zu diesem Zweck zusammengelegt, das war der Grundstein
für die Einbecker Brauhaus AG. 57
Jahre später wurde das Bier erstmals in Flaschen abgefüllt.
Der schrumpfende Biermarkt in
Deutschland wird von großen Konzernen dominiert. Es gibt zwar insgesamt 1300 Brauereien, die vor allem in lokalen Nischen produzieren,
doch das große Geschäft machen
die großen Unternehmen. So befindet sich unter dem Dach des Familienunternehmens Oetker die Radeberger Gruppe, die unter anderem
die Marken Jever, Binding und
Schöfferhofer vertreibt. Unter dem
Dach der niederländischen AB-Inbev produzieren unter anderem
Becks, Hasseröder und Diebels. Zu
den Marken der Bitburger Holding
zählen Köstritzer, König Pilsner und
Licher.
Mit einer Marktkapitalisierung
von etwa 23 Millionen Euro gehört
die Einbecker Brauhaus AG damit
eher zu den mittelgroßen Bierkonzernen. Das Unternehmen fusionierte 1969 mit der Berliner Schultheiss Brauerei AG und drei Jahre
später mit der Dortmunder Union
zur Brau und Brunnen AG. Im September 1997 erwarb eine private Investorengruppe das Einbecker Unternehmen.
Zu diesem gehören heute die Göttinger Brauhaus AG, die BrauManufaktur Härke, die erst im vergangen
Jahrhundertealte Biertradition: Ausschank der Einbecker Brauhaus AG.
Jahr gekauft wurde, und die Kasseler Martini Brauerei. Außerdem
wird die Marke Nörten-Hardenberger bei Martini abgefüllt – ein Bier,
das im Billigsegment rasant ge-
Cewe bereitet nicht nur Urlaubern Freude
Kursverlauf LPKF Laser & Electronics AG
Angaben in Euro
bundesweit flächendeckend tätig - regional für Sie da!
Ihre Ansprechpartner
im Standort Osnabrück
tecis gehört zu den größten ungebundenen
Finanzdienstleistern Deutschlands. Seit mehr
als 25 Jahren haben wir unser Know-how in
den folgenden Bereichen stetig ausgebaut:
OLDENBURG/GARBSEN. Nicht nur
den Bestellern von Fotobüchern, auch seinen Anteilseignern hat der Oldenburger Fotodienstleister Cewe zuletzt Freude bereitet. Enttäuschend verlief die Entwicklung hingegen
beim Lasertechnologie-Spezialisten LPKF aus Garbsen bei
Hannover. Aber es gibt dort
Hoffnung auf Besserung.
Nachdem Cewe seinen Umsatz
und Gewinn im vergangenen Jahr
weiter steigern konnte, hat die
Norddeutsche
Landesbank
(Nord/LB) das Kursziel für den Foto- und Print-Dienstleister von 60
auf 69 Euro angehoben und die
Einstufung auf „Kaufen“ belassen.
Der Kursanstieg der Aktie habe
sein Bewertungsniveau noch nicht
ausgeschöpft, schrieb Analystin
Julia Siekmann in einer Studie
Anfang April. Die Produktpalette
im Fotofinishing verspreche weiteres Wachstum. Außerdem seien
langfristig weitere Zukäufe nicht
ausgeschlossen. Das Ergebnis
nach Steuern hatte bei Cewe im
vergangenen Jahr 21,6 Millionen
Euro betragen nach 18,8 Millionen
Euro im Vorjahr. Der Umsatz war
von 507,2 auf 528,6 Millionen Euro gewachsen. Die wichtigsten Geschäftsfelder sind Digitalfotos und
Fotobücher, von denen im vergangenen Jahr 5,8 Millionen Stück
verkauft wurden. Die junge Sparte
Online-Druck legte um knapp 40
Prozent auf 60 Millionen Euro
Umsatz zu. Das Unternehmen beschäftigt rund 3200 Mitarbeiter.
Die positive Entwicklung wichtiger Kennzahlen bei den Oldenburgern dürfte maßgeblich dazu
beigetragen haben, dass der Kurs
der Cewe-Aktie im Zeitraum 15.
Januar bis 15. April um gut 26
Prozent auf knapp 57 Euro anstieg
19,5
18,5
17,5
Betriebliche Altersvorsorge
16,5
Unternehmensabsicherung
15,5
Keyman Policen
Produkte für Beschäftigte im
öffentlichen Dienst
14,5
Januar
Februar
März
Kursverlauf Cewe Stiftung & Co. KGAA
April
Angaben in Euro
Jan Nicolas Bison
[email protected]
Alexander Warner
57,5
[email protected]
55,0
Erich-Maria-Remarque-Ring 22
49074 Osnabrück
Telefon 05 41 / 76 02 98 90
www.tecis.de
52,5
50,0
45,0
42,5
40,0
Januar
wachsen ist, was zwar zu höheren
Umsätzen, aber zu geringeren Margen führt.
Generell aber verweigert sich das
Unternehmen
einem
ruinösen
tecis Finanzdienstleistungen AG
Fotodienstleister Favorit bei Anlegern – Laserspezialist LPKF floppt
VON NORBERT MEYER
Foto: dpa
Preiskampf. „Wir setzen vielmehr
auf unsere hohe regionale Präsenz,
auf unsere starken und unverwechselbaren Marken sowie auf entsprechende Kundenbindung“, heißt es
im Geschäftsbericht für das Jahr
2012.
Die regionale Verbundenheit
zeigt sich auch in den Investitionen.
Bis 2015 will die Einbecker Brauhaus AG alle Abfüll- und Logistikaktivitäten am Standort Einbeck konzentriert haben. Und stockt dazu
auf: Eine zweite Abfüllanlage und
eine neue Fassabfüllanlage wurden
im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben.
Aktionäre hatten derweil wenig
Spaß an der Einbecker Brauhaus
AG. Binnen fünf Jahren haben die
Papiere knapp 32 Prozent an Wert
verloren. Die Aktie wird im Segment „Mittelstandsbörse“ an der
Börse Hannover sowie im Freiverkehr in Berlin und Frankfurt gehandelt. Dieses in Frankfurt als „Open
Market“ bezeichnete Börsensegment ist schwach reguliert. Unternehmen, die ihre Aktien dort handeln lassen, sind beispielsweise von
der Pflicht befreit, Ad-hoc-Meldungen zu veröffentlichen.
Viele kleinere Unternehmen wählen diesen Handelsplatz aber nicht
wegen der nicht so stark ausgeprägten Transparenz, sondern weil eine
Börsennotierung am amtlichen
Markt sehr hohe Kosten verursacht.
Februar
– und das, obwohl das Unternehmen zur Erhöhung des Streubesitzes am 9. April 500 000 eigene Aktien (6,76 Prozent des Grundkapitals) zum Stückpreis von 54 Euro
am Markt platziert hat. Der Zufluss von 27 Millionen Euro sei
auch zur Verringerung der Verschuldung verwendet worden, erklärte Cewe. Der Streubesitz liege
nun bei 69,2 Prozent.
Aus Sicht der Nord/LB hat
LPKF trotz guter Wachstumsaussichten mit einem durchwachsenen Jahresstart und stagnierender
Dividende die Erwartungen enttäuscht. Analysten der Bank stuf-
März
April
ten daher die Aktien von LPKF
von „Kaufen“ auf „Halten“ ab. Das
Unternehmen hatte 2013 den
Umsatz um 13 Prozent auf 129,7
Millionen und das operative Ergebnis (Ebit) auf 23,3 (20,4) Millionen Euro gesteigert. Die Dividende blieb bei 25 Cent je Aktie.
2014 will der Konzern seinen Umsatz auf 132 bis 140 Millionen Euro steigern, danach sollen die Erlöse pro Jahr um zehn Prozent
zulegen. Alles Zukunftsmusik,
entschieden die Anleger: Zwischen Mitte Januar und Mitte April verloren LPKF-Titel 27 Prozent
ihres Wertes.
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Ein Unternehmen der
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
LEBEN &
LEIDENSCHAFT
25
Kurztrip zum Wohlfühl-Planeten
Wer sich mit Leib und Seele darauf einlässt, erlebt in den Wellness-Bädern der Region Urlaub nach Feierabend
Dampf und Düfte, draußen wie drinnen: Das Bad Rothenfelder Carpesol, ein Römisch-Irisches Spa nach dem Vorbild des Friedrichsbades in Baden Baden, wartet mit zehn Stationen auf.
Im Carpesol
erreicht jeder den
Schwebezustand.
Honolulu liegt
direkt im Osnabrücker
Nettetal.
Stress ausschwitzen
in den Linus
Wasserwelten.
VON CHRISTOPH ASSIES,
WILFRIED ROGGENDORF
UND HENDRIK STEINKUHL
OSNABRÜCK/LINGEN/BAD NIEUWESCHANS. Dass Gesundes nicht
mit Anstrengung oder Verzicht
verbunden sein muss, erfährt,
wer sich die Zeit für einen Wellness-Aufenthalt in einem Spa
gönnt. Drei „Die Wirtschaft“Autoren haben Wellness-Angebote in der Region ausprobiert.
Gibt es etwas Schöneres, als auf
dem Rücken in warmem Wasser
zu liegen und sich einfach treiben zu lassen? Dank
zwölfprozentiger Bad
Rothenfelder
Sole
kann der Besucher
des Römisch-Irischen
Spa im Carpesol einen
echten Schwebezustand
erleben. „Bei unseren
Gästen ist das Starksolebad enorm beliebt“,
sagt Carpesol-Betreiber
Helmut De Witt.
Erst seit wenigen Monaten gibt
es die Therme in Bad Rothenfelde,
noch lässt der große Besucher-Ansturm auf sich warten. Und als wir
an einem Dienstagabend das Römisch-Irische Spa testen, sind wir
dort sogar alleine. Die Entspannung wird dadurch aber nur verstärkt: Ob im Warmluftbad „Daglind“ mit Infrarot-Wärmestrahlung oder im Dampfbad „Freya“ –
ganz ohne andere Gäste lässt es
sich natürlich hervorragend relaxen. Doch warum eigentlich haben
sich die Carpesol-Betreiber dafür
entschieden, ein Römisch-Irisches
Spa zu bauen? „Wir wollen unseren Gästen neben der klassischen
Sauna noch ein qualitativ höheres
Angebot machen“, sagt Helmut De
Witt. Entspannung deluxe also,
Vorbild ist das Friedrichsbad in
Baden-Baden. Die Bad Rothenfelder Variante kann mit zehn Stationen aufwarten. Die Kombination
aus römischer Badekultur und irischen Heißluftbädern richtet sich
laut Helmut De Witt vor allem an
eine Zielgruppe: Damen. Während
Männer sich oft damit rühmen,
wie lange sie es auf der obersten
Stufe in der 120-Grad-Sauna aushalten, schätzten Frauen vor
allem die langsame Erwärmung.
Zum besonderen
Wellness-Angebot
des Carpesol gehören zahlreiche Massagen. Wir testen das sogenannte Stempelmassage-Ritual, bei dem
der Körper mit Massagesäckchen bearbeitet
wird, die erhitzt und
mit Mineralschlamm gefüllt sind. Das Ganze ist tatsächlich enorm entspannend – und
als Clou darf man das Massagesäckchen mitnehmen und sich damit zu Hause weitermassieren.
Wer danach noch Lust hat zu
schwimmen, kann das im Aktivbad der Therme tun. Besonders
reizvoll: ein 20 Meter langes SoleAußenbecken mit einer Temperatur von 33 Grad. Die mäßige Temperierung erfüllt ihren Zweck:
„Für das sportliche Schwimmen
ist das natürlich schon zu warm –
für das mobilisierende Schwimmen aber genau richtig“, sagt Helmut De Witt. Es gehe eben nicht
darum, die Gäste im Außenbecken
nur planschen zu lassen. Das kann
man in einem der deutlich wärmeren Pools im Aktivbad machen.
Das Sole-Außenbecken soll vielmehr Menschen dabei unterstützen, sich etwa nach einer Operation besser zu regenerieren oder
Rückenschmerzen zu überwinden.
Das Osnabrücker Nettebad, ein
Schwimm- und Erlebnisbad, liegt
mit seinen Besucherzahlen laut
Wolfgang Hermle deutschlandweit
auf Platz 6. „Unser Einzugsgebiet
reicht im Norden bis Wilhelmshaven, im Süden bis Dortmund und
im Westen bis in die Niederlande“,
sagt der Bäderchef der Osnabrücker Stadtwerke.
Obwohl das Nettebad, vor allem
mit seinen Erlebnisrutschen, als
Familienbad auftritt, lockt die große Loma-Sauna viele Gäste. Von
2010 bis 2012 hat die Saunalandschaft einen Zuwachs von über
15 000 Besuchern verzeichnet. Der
Grund? Die neu errichtete TurboRutsche mit dem Namen „Sloop“.
„Viele Eltern bringen ihre Kinder
ins Bad und gehen dann selbst in
die Sauna“, sagt Bäderchef Hermle. „Wir nennen das das ,Elterntaxi‘ .“
Im vergangenen Jahr hat aber
auch die Saunalandschaft deutlich
aufgerüstet. In der riesigen Stelzensauna „Meri“ kann der Gast
auf Tribünenrängen Platz nehmen
und schaut durch eine PanoramaGlasfront ins Nettetal. Als wir die
Sauna ausprobieren, treiben sich
am See mehrere Fischreiher herum, außerdem grünt es bereits
überall. Der Ausblick ist wahrhaft
großartig.
Im Anschluss an den Saunagang
machen wir dann eine sehr exotische Erfahrung: Wir probieren eine hawaiianische Tempelmassage,
auch bekannt unter dem Namen
„Lomi Lomi Nui“. Die Masseurin
streicht vor allem mit ihren Unterarmen über den Körper, dabei
gleitet sie durch warmes Kokosöl.
Im Hintergrund läuft dabei typisch hawaiianische Musik, man
fühlt sich tatsächlich schon ein
wenig wie in Honolulu.
Deutlich bodenständiger und
weniger an Wellness orientiert
geht es dagegen im ebenfalls von
den Osnabrücker Stadtwerken betriebenen Schinkelbad zu. Das
Schwimmbad mit seinem großen
Solebecken und dem Cabrio-Dach
wird seinem selbst verordneten
Image als Gesundheitsbad vor allem durch die „Salounge“ gerecht.
Der Salzinhalationsraum bietet
neben Entspannung auch Linderung bei Problemen mit den
Atemwegen und der Haut.
In den Linus Wasserwelten in
Lingen haben die Gäste die Qual
der Wahl: In sieben verschiedenen
Saunen, drei davon im Außenbereich, können sie den Alltagsstress
ausschwitzen. Dazu kommt das
Angebot, sich massieren
oder – egal ob Frau
Foto: Gert Westdörp
oder Mann – kosmetisch behandeln zu lassen. Pediküre, Maniküre, Gesichts- oder nur Augenbehandlung, Rücken-, Nacken-, Fußreflexzonen- oder Ganzkörpermassage – jeder wird im Linus individuell verwöhnt.
Der Eintritt wird über ein bargeldloses Chipsystem abgebucht.
„Unsere Gäste können bei freien
Kapazitäten jederzeit die Massageund Kosmetikangebote spontan
nutzen und auf ihren Chip aufbuchen“, sagt Betriebsleiter Heinz
Gossling. Ob der Gast der „Linus
Wasserwelten“ dabei die Übersicht
behält? Wohlfühlen und entspannen hat seinen Preis. Der Saunaund Wellnessbereich ist wegen seiner Eintrittspreise nicht unumstritten. Wer sich mit einem einmaligen dreistündigen Saunavergnügen für mindestens 15 Euro
pro Erwachsenen wohlfühlt, dem
bieten die Linus Wasserwelten alles, was das Herz begehrt.
Unweit der deutsch-niederländischen Grenze liegt das Thermalbad Fontana Resort Bad Nieuweschans. Hier erholen sich re-
gelmäßig auch viele deutsche Gäste. Schnell erreichbar an der niederländischen Autobahn 7, bietet
sich die Wellnessanlage zum Ausspannen nach Feierabend an.
Herzstück sind mineralreiche
Thermalbäder und eine große Saunalandschaft. Darüber hinaus werden Kurbehandlungen im Massage-, Thalasso- und Hautpflegestudio angeboten. Das Thermalwasser
kommt aus 630 Meter Tiefe und
enthält so viel Salz, dass man wie
im Toten Meer auf der Wasseroberfläche treibt. Neben Salz enthält es
Jod, Magnesium und Bromid, die
allesamt heilsame Wirkung haben.
In der angeschlossenen Saunalandschaft stehen neben der traditionellen finnischen Sauna eine
Infrarot-Sauna, eine Kelo-Sauna
im Saunagarten und ein Dampfbad zur Verfügung.
Nach dem Bad im mineralhaltigen Wasser oder den Saunagängen
bieten Ruheräume wie das Lavendelzimmer mit heißen Lavasteinen
in Lavendelwasser die komplette
Entspannung nach einem anstrengenden Tag im Büro.
Zum Fontana Bad Nieuweschans (links) gleich hinter der deutsch-niederländischen Grenze
gehört ein zehn Hektar großer „Bademantelpark“. Im Osnabrücker Nettebad (oben) gibt es
viel mehr als nur Wasserrutschen.
Fotos: Fontana Bad Nieuweschans, Nettebad
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
LEBEN & LEIDENSCHAFT
Aus dem
Kräutergarten
auf den Teller
Saisonal und frisch: Gerichte mit Giersch,
Gänseblümchen und Gundermann
VON KERSTIN PENTERMANN
BAD ESSEN. „Born to be wild“
steht auf der Zusatzkarte des
Restaurants „Kaffeemühle“ am
Kirchplatz in Bad Essen. Gesunde Gaumenfreuden, im Garten
eher als Unkraut abgetan, halten hier als Genuss für die Sinne
Einzug in die Küche: einheimische Wildkräuter. Denn die Gerichte mit Giersch, Spitzwegerich, Gundermann, Löwenzahn,
Gänseblümchen und Co. boomen und sind stark nachgefragt.
Unter der Überschrift der Zusatzkarte leckt sich ein Löwe genüsslich das Maul. So exotisch wie die
Karte sind auch die Speisen, die
angeboten werden. Allerdings ist
Löwensteak nicht dabei – höchstens Löwenzahn. Denn aus den
heimischen Wildkräutern schöpfen Jutta Kessen und Liane Bendrich ihr eigenes unternehmeri-
Küchenchefin Jutta Kessen zaubert aus heimischen Kräutern würzige Gerichte.
sches Potenzial. Den Trend zur regionalen Küche nutzten auch Küchenchefin Jutta Kessen und Inhaberin Liane Bendrich. Scharbockskraut, Knoblauchsrauken, Mädesüß – schmeckt das?
Die Idee, die zu Unrecht als Unkraut titulierten Wildkräuter auf
den Teller zu bringen, hatte Jutta
Kessen, die für die Küche in der
„Kaffeemühle“ zuständig ist. „Natur“, meint sie, „ist wieder in.“
Auch auf dem Teller zeigt sich,
dass Menschen zunehmend wieder wissen wollen, woher ihre
Nahrung stammt. Von März bis
November letzten Jahres nahm
Jutta Kessen deshalb an der Fortbildung „Essbare einheimische
Wildpflanzen“ der „Ländlichen Erwachsenenbildung“ in Wallenhorst teil und wurde zur zertifizierten
Wildpflanzenkundigen.
Die LEB-Bereichsleiterin Gabriele
Wosnitza ist stolz auf die zahlreichen unternehmerischen Erfolge,
die aus der ungewöhnlichen Fortbildung hervorgegangen sind. Eins
haben alle Geschäftsideen gemeinsam. Sie setzen auf den bewussten
Umgang mit der Umwelt.
„Früher hat jedes Kind auf den
Wiesen Kräuter benennen können.
Wir sind ebenfalls in Gummistiefeln im Wald unterwegs gewesen,
um zu lernen und angeleitet zu
probieren“, erinnert sich Kessen
gerne an die Weiterbildung zurück. Inzwischen findet sie fast alle Wildkräuter, die sie braucht, in
ihrem eigenen Garten. Den hat sie
absichtlich verwildern lassen, um
ihre Küche zu bestücken. Im Wald
sollte man keine Kräuter auf eigene Faust sammeln, zumal es für jedes „gute Kraut“ auch einen Gegenspieler gibt. Löwenzahn kann
verwechselt werden mit Pippau,
Saisonal und hübsch anzusehen: Im April steht Schnippelschinken mit Knoblauchsraukenbutter (links) auf der Speisekarte. Auch das Frühlingskraut Bärlauch hat gerade Hochsaison. Hier trifft es
auf Mangoschnitten und Mozzarella. In der „Kaffeemühle“ in Bad Essen erlebt Unkraut ein Comeback als Spezialität.
der Durchfall verursacht. Außerdem führt eine zu exzessive Ernte
zur Ausrottung der Kräuter vor
Ort.
„Wir sind ausgezogen, um die
reichhaltigen Geschenke zu finden, welche die Natur uns macht.
Aber: Wo bitte ist hier was Essbares? Antwort: Da. Direkt vor deinen Füßen!“, heißt es im Vorwort
der Kräuterkarte der „Kaffeemühle“. Jeden Monat gibt es saisonal
eine andere Wildkräuterspezialität. Nach Knoblauchsraukenbutter
mit Schnippelschinken und Baguette hat jetzt Bärlauch Saison
und wird mit Steak- und Spargelgerichten kombiniert und als kleine Vorspeise als Pesto mit Mango
und Mozzarella gereicht.
Im Juni geht es weiter mit aromatischen Gundermannnudeln in
brauner Butter mit Parmesan und
Rucola. „Gundermann ist wunderbar geschmacksintensiv und sieht
„Wo bitte
ist hier was
Essbares?
Dort.“
Jutta Kessen, Küchenchefin
mit seinen kleinen Blüten dekorativ aus. Zuerst isst man die Blüten,
dann die Blätter. Das Auge isst bei
den Wildkräutergerichten immer
mit“, so Jutta Kessen. Im Juli wird
sie wilden Sommersalat mit Eichblattsalat kombinieren, und im
August serviert sie Wildblütengelee mit gebackenem Ziegenkäse.
Süß ist der September mit luftiger
Vanillecreme auf Holunderbeerspiegel und Knusperstroh. Im
Herbst wird es bunt – im Oktober
gibt es Kürbis-Möhren-HaselnussTaubnessel-Frischkäseaufstrich
auf Baguette, und im November
sorgt eine Süßkartoffelsuppe mit
Giersch-Paprikapesto für Gaumengenuss.
„Mein Wunsch sind Gäste, die
genießen und sich nach dem Essen pudelwohl fühlen“, so Jutta
Kessen. Denn Wildkräuter enthalten viel mehr Spurenelemente, Mineralstoffe und Vitamine als ge-
Fotos: Hermann Pentermann
züchtete Kräuter und Salatsorten.
Denn sie wachsen ohne menschliche Fürsorge und überleben in der
Wildnis. „Wir kommen immer
wieder mit unseren Gästen über
Wildkräuter ins Gespräch“, erzählt
Jutta Kessen. Insbesondere ältere
Kunden erinnern sich an die gesundheitsfördernden Eigenschaften der Pflanzen, die früher regelmäßig genutzt wurden.
Zum Konzept gehört auch, dass
je nach Wetter auch mal spontan
ein anderes Gericht auf der Wildkräuterkarte Platz findet. Eben
das, was gerade wächst. Die „Kaffeemühle“ wird auch in Zukunft
Speisen mit Wildkräutern anbieten – weil es den Gästen schmeckt.
Auch wenn die Ernte im eigenen
Garten sehr zeitintensiv für Küchenchefin Jutta Kessen ist. Denn
Wildkräuter erntet man per Hand,
um sie für den Küchengebrauch
„zu zähmen“.
Mit Farbe aus Pflanzen die Welt verbessern
Ein Teppich-Unternehmer setzt auf soziale und ökologische Standards – in Wallenhorst kehrt Frank Kochmann zurück zur Natur
VON MARIE-LUISE BRAUN
WALLENHORST. Die Kinderarbeit
abschaffen, den Handel fairer
gestalten, den Gesundheitsschutz für die Arbeiter fördern
und umweltschonender produzieren: Es gibt einige Ansätze,
die Teppichbranche nachhaltiger zu machen. Davon zeugen
verschiedene Gütesiegel. In
Wallenhorst setzt der Chef der
Kochmann-Gruppe auf Farbstoffe aus Pflanzen.
5000 Quadratmeter misst die Verkaufsfläche der Kochmann-Gruppe
in Wallenhorst bei Osnabrück. Hier
reiht sich Teppich an Teppich, sind
Brücken – kleine Teppiche – gleicher Größe aufeinandergestapelt.
Manch eine Ecke ist umgeklappt,
umso leuchtender machen sich die
gegensätzlichen Farben aus. Mit einigen dieser Teppiche will Unternehmenschef Frank Kochmann die
Welt ein bisschen besser machen.
Ganz in der Nähe seiner Arbeitsräume weist Kochmann auf
den Boden: „Das ist einer, das da
auch, und daneben ist noch einer
– ach nee, der nicht.“ Die Teppiche
in dieser Abteilung fallen kaum
auf, zu sehr gleichen sie den anderen – dabei haben sie einen wesentlichen Unterschied, und auf
den ist der Teppichimporteur
sichtbar stolz: Seit diesem Jahr
bietet die Kochmann-Gruppe eine
Kollektion an, deren Wolle und
Seide mit Pflanzen gefärbt wurde.
„Das ist einmalig“, beeilt sich der
69-Jährige zu betonen.
Kochmann möchte die indische
und die nepalesische Teppichbranche dazu bringen, ihre Ware gesundheits- und umweltfreundlicher zu produzieren. „Darf ich die
Namen nennen? Nein, lieber
nicht“, sagt Kochmann zu Beginn
des Gesprächs in seinem Besprechungsraum. Mit dabei sind seine
Kooperationspartner von der niederländischen Firma Rubia, einem
Hersteller pflanzlicher Farben.
„Wenn die Großen es machen,
müssen die anderen mitziehen“,
ist sich Kochmann sicher. Er habe
die größten Hersteller in Indien
und Nepal angesprochen, die hätten großes Interesse gezeigt, mit
jeweils einem Hersteller habe er
die derzeitige Kollektion produziert.
Zurück zu den Ursprüngen der Färberei: satte Farben, aus Pflanzen gewonnen.
Pflanzenfarben seien nicht nur
für die Gesundheit der Knüpfer
gut, sondern auch für die derjenigen, die sich die Brücken in ihr
Zuhause legten. Und natürlich sei
das auch gut für die Umwelt, betont Rudolph de Jong, Marketingund Verkaufsdirektor bei Rubia.
Die nachhaltige Entwicklung, der
Foto: Rubia
Schutz der Erde, das seien die
ethischen Prinzipien, nach denen
das Unternehmen handele, ergänzt er.
Ein Label, das Nachhaltigkeit in
der Teppichbranche sichern und
fördern will, ist „Step“ mit Sitz im
schweizerischen Bern. Seit 1995
engagieren sich die Mitarbeiter
für faire Bedingungen in Produktion und Handel von handgefertigten Teppichen in Ländern wie Indien, Nepal, Iran und Pakistan.
Das Label wird ausschließlich an
Händler vergeben, die sich für gute Arbeitsbedingungen, faire Einkaufspreise und gegen missbräuchliche Kinderarbeit engagieren. Die Händler müssen auf umweltfreundliche Produktionsmethoden ebenso achten wie auf unabhängige Produktions- und Handelskontrollen. Zudem müssen sie
sich für Projekte engagieren, die
die Lebensbedingungen verbessern.
Auch beim Label „GoodWeave“
wird auf Umwelt- und Sozialstandards und auf Kriterien der
Nachhaltigkeit geachtet. Drehund Angelpunkt des Labels mit
Sitz in Konstanz ist jedoch die
Abschaffung
missbräuchlicher
Kinderarbeit in der Teppichbranche. So dürfen in den Fabriken
Kinder unter 15 Jahren nicht arbeiten, weil ihre Mitarbeit nicht
auf Kosten ihrer Schulbildung gehen darf.
Schulprojekte fördert auch die
Indien-Stiftung, in der sich die
Kochmann-Gruppe mit indischen
Herstellern für soziale Projekte engagiert. An sie sollen die Gewinne
aus dem Handel mit den pflanzengefärbten Teppichen gehen.
Früher war es üblich, mit Pflanzen zu färben – es gab nichts anderes. Später kamen die synthetischen Farben auf den Markt. Deren Vorteile sind zum einen die
Vielfalt der Farbtöne und ihre
Gleichheit. Bei Pflanzenfarben
hingegen variieren die Töne, für
farblich identische Teppiche können Hersteller bislang nicht garantieren. Um dieses Problem zu
lösen, setze Rubia auf den Anbau
genetisch-identischer
Pflanzen,
sagt Verkaufsdirektor Klaus Steimann. Auch die Farbvielfalt sei
möglich, ergänzt de Jong.
Nach der Entwicklung der ersten Teppich-Kollektion will Frank
Kochmann nun auch die großen
Einzelhändler ins Boot holen, um
den Verkauf anzukurbeln. Dabei
werde er die Entwicklung langsam
vorantreiben, betont er. Das ist
fast schon Teil des Plans, denn:
„Es geht nicht um den schnellen
Erfolg, es geht um Nachhaltigkeit.“
27
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
LEBEN & LEIDENSCHAFT
In der Schwingung
liegt die Kraft
Klang-Massage bringt Körper,
Geist und Seele zueinander
VON MARIE-LUISE BRAUN
OSNABRÜCK. Wie viel mehr
Schwere ist eigentlich möglich?
Mit jedem Ton scheint mein
Körper tiefer in der Liegematte
zu versinken. Wohlige Entspannung durchzieht meinen Nacken, meine Arme, meinen Rücken. Sie setzt sich nach und
nach bis in die Füße fort. So also
wirkt eine Klangschalen-Massage. Körper, Geist und Seele soll
sie in Einklang bringen und damit die Gesundheit fördern.
Vorne an der Bramscher Straße in
Osnabrück brummt der Verkehr,
quälen sich Busse zwischen parkenden Autos durch das Wohngebiet am Osnabrücker Sonnenhügel. Hier führt ein schmaler Gang
zwischen zwei Wohnhäusern ins
Klangzentrum von Jörg Kerll im
Hinterhaus.
Es sind zwar nur wenige Schritte, aber es scheint eine lange Strecke zu sein, denn hier hinten ist es
nahezu still, die Atmosphäre dörflich. Und die Fenster an der Rückseite des Hinterhauses geben den
Blick frei in einen Garten mit
Hühnern, Gemüsebeeten, Spielzeug, Tischen und Stühlen.
So großzügig der Behandlungsraum, so viel Platz bietet er für die
unterschiedlichsten Instrumente.
Acht Didgeridoos hängen an der
Wand, daneben lehnen weitere Exemplare des australischen Blasinstruments. Drumherum schart sich
eine Galerie kupferfarbener Klangschalen, wie auch an der gegenüberliegenden Wand unter den
Fenstern. Dazwischen steht ein
Bett, das sich bei genauem Hinsehen als Klangliege entpuppt. Denn
unter der Matratze sind Saiten angebracht, die Kerll während seiner
Sitzungen zum Klingen bringt.
Durch eine runde Öffnung an der
Seitenverblendung kann er ein
Didgeridoo unter seinem Gast
platzieren und die Liege auch auf
diese Weise in Schwingungen versetzen. Außerdem mit im Raum
sind weitere Utensilien für Klangund andere Massagen: diverse
Trommeln und japanische Gongs.
Zudem gibt es zwei Sessel. Denn
am Anfang steht das Gespräch.
„Ich erstelle keine Diagnose, ich
bin kein Arzt“, sagt der Klang- und
Lomi-Lomi-Masseur,
Musiker,
Trainer, Didgeridoo-Bauer und Qigong-Lehrer. Eine Menge Berufe
für einen einzelnen Mann, aber irgendwie hängen sie alle zusammen. Meistens haben sie mit
Klang und Entspannung zu tun,
manchmal auch nur mit einem
von beiden.
Angefangen hat Kerll mit der
Lomi-Lomi-Massage. Diese Methode aus Hawaii hat der Osnabrücker ab dem Jahr 2000 angeboten.
Mit ihren etwa zwei Stunden Dauer ähnelt sie eher therapeutischer
Körperarbeit. Denn sie dient der
Entspannung, aber auch dazu,
sich innerlich neu zu strukturieren. Ähnlich sind auch die anderen Angebote ausgerichtet, die
nach und nach im Klangzentrum
dazugekommen sind.
Die Arbeit mit dem Klang hat
Kerll durch seine Musik entdeckt.
Als er ein Didgeridoo spielte,
merkte er, wie sehr er sich durch
dessen gleichmäßige Schwingung
entspannte, loslassen konnte und
die Gedanken aufhörten, um den
Alltag zu kreisen. Das würde doch
auch bei anderen Menschen so
wirken, dachte er sich.
Und so entwickelte Kerll sein
Angebot, besuchte Schulungen
und Kurse, kaufte Klangschalen
und baute Didgeridoos, um ein
möglichst großes Spektrum unterschiedlicher Töne und damit
Schwingungen erzeugen zu können. Ein ganzes Ensemble von
Schalen braucht er für die Klangmassage. Er platziert sie zunächst
auf verschiedenen Stellen der Vorderseite des Körpers, später auf
dem Rücken. Durch das Anschlagen der Schalen entwickelt sich eine Schwingung, die sich im Körper fortsetzt und durch die Wiederholung Blockaden löst.
In meinem Rücken ist so eine
Blockade. Die zeigt sich dadurch,
dass ich genau da erst einmal gar
nichts spüre. Die Schwingung
wird gestoppt. Doch nach und
nach löst sich die Verspannung,
setzt sich die Schwingung im Kör-
Für Gedanken
ist während der
Klangmassage
kein Platz.
Behandlung auf der Klangliege: Das Didgeridoo läuft in das Bett, an der Unterseite sind zusätzlich Saiten angebracht, um Körper und Geist durch Töne zu entspannen.
Versetzt den Körper in Schwingungen: Jörg Kerll bietet in Osnabrück Klangmassagen an und erzeugt mit Klangschalen Wellen.
per fort. Kerll beschreibt das Phänomen so: „Wenn ich eine Klangschale in Sand setze und schlage,
ist in ihrem Umkreis auch erst
mal keine Veränderung festzustellen. Erst nach und nach zeigen
sich leichte Wellen im Sand, die
sich um die Schale fortsetzen.“
Schon bei einer kurzen Demonstration beweist sich das auch bei
den anderen Anwendungen, wie
auf der Klangliege, wenn Kerll
über die Saiten streicht, wenn er
die Trommeln schlägt oder auch
wenn ich mit den Füßen in einer
der großen Schalen stehe. Angenehmer Nebeneffekt: Gedanken
haben in der Zeit keinen Platz. Ich
fühle mich total geerdet, genieße
den Augenblick.
Auch bei Kindern wirke diese
Form der Massage, erläutert Kerll,
der das auch bei seinem eigenen
Nachwuchs beobachtet. Zum Beispiel bei den gefürchteten DreiMonats-Koliken.
„Die
Kinder
krampfen nicht, sondern entspannen, und pups, ist Erleichterung
da.“
Kerll ist nicht der einzige Klangmasseur in Osnabrück. Beispielsweise hat Irene Loose mit der
Klang Arche eine Praxis für Klangarbeit und ganzheitliche Bewusstseinsentwicklung eröffnet. Und
auch im Emsland gibt es Anbieter.
Beate van Dülmen ermöglicht
klangpädagogische Lern- und Lebensberatung in Haren/Ems. Rita
Gautier offeriert in Papenburg
Wohlbefinden nicht nur durch Yoga-Kurse, sondern auch durch
Ayurveda- und Klangmassagen.
Letztere setzt sie auch bei Tieren
ein. Speziell für Pferde neben ihren Angeboten für Menschen
macht das Delia Kraemer in Colnrade.
Wie war das gleich noch mal?
Klang macht was mit Körper,
Geist und Seele? Das aber ist jetzt
gerade ziemlich weit weg. Und für
den Moment ist das egal, denn es
fühlt sich einfach gut an.
Klangmassagen-Anbieter
in der Region:
www.klangzentrum-osnabrueck.de
www.klang-arche.de/
www.beate-van-duelmen.de/
www.yoga-ritananda.de/
www.klang-spuren.de
Fotos: Jörn Martens
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
LEBEN & LEIDENSCHAFT
LEBEN & LEIDENSCHAFT
Schöne neue Mobilität
NAVIGATION
Die Automobilindustrie setzt auf das digital vernetzte Fahrzeug – Sie hofft auf einen Megatrend und einen gigantischen zusätzlichen Absatzkanaal
MOBILITÄT
Fahrzeug und
Smartphone sollen
verschmelzen.
WLAN oder
Telefon? Hier scheiden
sich die Geister.
BERU
UF
Technischer
Fortschritt mit
Schattenseiten.
NACHRICHTEN
MUSIK
FILME
PRIVAT
KOLLEGEN
OSNABRÜCK. Automatischer Hilfe-
ruf im Falle eines Verkehrsunfalls, kabelloses Abspielen der
Musik vom MP3-Player, rechtzeitige Warnung vor dem Stau auf
der Autobahn – das Auto von heute kann in Kombination mit einem Smartphone einiges. Geht es
nach den Herstellern, ist das aber
nur der Anfang: Sie wollen Auto
und Smartphone miteinander
verschmelzen.
FREUNDE
TERM
MINKALENDER
FREIZEIT- UND
URLAUBSPLANUNG
EINKÄUFE
EINKÄUF
Einmal Niesen
kostet 30 Meter
Automobilhersteller rüsten ihre Fahrzeuge zunehmend mit intelligenter Kommunikations- und Steuertechnik aus. Mercedes (Bild) entwickelt eine automatische Einparkhilfe, die sogar das Lenken übernimmt. Künftig soll nicht nur der Fahrer, sondern auch das Fahrzeug mit seiner Umwelt kommunizieren.
informationen für das Urlaubsziel
abgerufen werden und vieles mehr.
Derzeit wird der Fahrer schon zeitnah über Verkehrsprobleme informiert, zukünftig wird dieses Angebot noch erweitert: In Großstädten
soll der BMW-Fahrer bessere Mobilitätsalternativen angeboten bekommen. Wenn die Straßen überlastet
sind, empfiehlt Connected Drive
den Wechsel auf öffentliche Verkehrsmittel, lotst das Fahrzeug zum
besten Parkplatz in der Nähe der
anvisierten Bus- oder Bahn-Haltestelle, über die der Fahrer dann
schneller sein Ziel erreicht.
Beim Elektroauto i3 zeigt BMW
bereits, wie man sich in Zukunft die
Kommunikation zwischen Smartphone und Auto vorstellt. Mit der
speziell für die Anforderungen der
Elektromobilität entwickelten Applikation kann der Fahrer jederzeit
und überall auf alle Fahrzeugdaten
oder auf routenrelevante Informationen zugreifen. So ist auf dem
Smartphone zum Beispiel eine Status-Checkliste des Fahrzeugs abrufbar. Der Fahrer erkennt, wo sich
sein Fahrzeug befindet, welche Ziele
Blick in die Zukunft: Beim Elektroauto i3 zeigt BMW, wie man sich in Zukunft die Kommunikation
zwischen Smartphone und Auto vorstellt.
E-MAILS
ADRESSBUCH
BÜRO/ARBEIT
B
VON LOTHAR HAUSFELD
Aus diesem Grunde verkünden immer mehr Automobilbauer eine intensive Zusammenarbeit mit Technikproduzenten. Mercedes, Volvo
oder Ferrari beispielsweise haben
sich mit Apple zusammengetan, um
die Integration des iPhones in ihren
Modellen voranzutreiben. Auf den
Apple-Konkurrenten Google mit seiner Android-Technik setzen beispielsweise General Motors, Hyundai oder Honda, zahlreiche Navigationssysteme arbeiten schon heute
mit Google Maps. Weitere Hersteller werden folgen, denn in der Autoindustrie hofft man auf einen Megatrend. Nicht weniger als ein zusätzlicher, gigantischer Absatzkanal
soll erschaffen werden, der den Autobauern die Möglichkeit einräumt,
weit mehr als „nur“ ein Hersteller
von Fahrzeugen zu sein: Kundenbindung, Navigations- und Telekommunikationsdienste, Apps – all
das soll vermarktet werden. Eine intensive und umfangreiche Datenanalyse mit all ihren Aspekten – so
wie sie im Internet oder eben auf
dem Smartphone bereits lange üblich ist – inklusive.
BMW, Audi und Co. bewerben
solche Dienste, die in Teilen bereits
heute erhältlich sind, mit Komfortund Sicherheitsvorteilen. Beispiel
BMW Connected Drive: Dort wird
der Fahrer automatisch informiert,
wenn Service-Besuche in der Werkstatt anstehen, über einen Concierge-Dienst kann ein Tisch im
Restaurant bestellt werden, Wetter-
WETTER- UND
VERKEHRSDATEN
Foto: BMW
Autos sollen
künftig
selbstständig mit
der Umgebung
kommunizieren.
er im Umkreis des Fahrzeugs mit
dem aktuellen Ladestand der Batterie erreichen kann. Der Innenraum
des Fahrzeugs kann aus der Ferne
klimatisiert werden. Ist das Fahrzeug an eine öffentliche Ladestation
oder die BMW-Wallbox angeschlossen, kann der Ladevorgang aus der
Ferne gesteuert und mit einer Timerfunktion auf preisgünstige Ladezeiten programmiert werden. Ein
Navigationsziel sowie eine freie Ladestation können gesucht, ausgewählt und anschließend ins Fahrzeug übertragen werden. Sowohl in
der Navigationseinheit als auch auf
dem Smartphone oder Computer
werden alle relevanten Ladestationen mit dem Hinweis dargestellt,
ob sie gerade frei oder belegt sind.
Die in die App integrierte Fußgängernavigation, die den öffentlichen
Personennahverkehr berücksichtigt,
begleitet den Fahrer nach Verlassen
des Fahrzeugs bis an sein Ziel. Das
Ziel der im Fahrzeug oder zu Hause
geplanten Reise wird dem Fahrer
Autohersteller forcieren das
Thema Sicherheit und Gesundheit
Foto: Mercedes
nach Verlassen des Fahrzeugs direkt in der App angezeigt.
Während heute jeder Hersteller
noch seinen eigenen Weg bei der
Bedienung geht, mal auf Touchscreens setzt, mal auf Drück-/Drehregler, sollen sich die zentralen
Bildschirme im Auto zukünftig so
bedienen lassen, wie es der Benutzer bereits vom Smartphone kennt.
Der Fahrer sieht so dann das von
seinem Mobiltelefon gewohnte Bild,
kann seine Apps nutzen, seine Musiksammlung ansteuern oder das
Kartenmaterial zur Navigation nutzen. Für die Hersteller bietet sich
der Vorteil, dass teure Eigenentwicklungen der Vergangenheit angehören würden. Stattdessen würden sie von den schnelleren Entwicklungszyklen der Elektronikkonzerne profitieren. Dass etwa ein teures Navigationssystem schon wenige Monate nach dem Kauf eines
Neuwagens bereits veraltet ist, soll
dann der Vergangenheit angehören.
Neben der verbesserten Einbindung des Handys in die Bordelektronik ist noch ein zweiter Megatrend zu beobachten: die Kommunikation des Autos mit seiner Umwelt. Während das Auto bisher isoliert von seiner Umgebung agierte,
wird es zukünftig mit ihr interagieren. Im Zentrum steht dabei die
sogenannte Car-2-X-Technologie,
die die Vernetzung von Fahrzeugen
untereinander sowie mit Straßen,
Ampeln und anderen Infrastruktur-Einheiten ermöglicht. Das Auto
soll seinen Fahrer so vor zahlreichen Gefahren warnen können.
Glatteis, Staus, Geisterfahrer – Zulieferer Bosch beruft sich auf Studien, die davon ausgehen, dass eine derartige Technik die Verkehrstotenzahlen um bis zu 90 Prozent
senken könnte. Und auch der Verkehrsfluss soll sich um rund
80 Prozent verbessern, wenn etwa
das Auto schon lange vor der Ampel weiß, mit welcher Geschwindigkeit es sich nähern muss, um
die nächste Grünphase zu erreichen.
Für eine flächendeckende Einführung solcher Car-2-X-Techniken
müssten die Hersteller ihre Fahr-
VON LOTHAR HAUSFELD
OSNABRÜCK. Im Laufe der Fahr-
zeugentwicklung hat das Thema Sicherheit und Gesundheit einen immer größeren Stellenwert bei den
Herstellern bekommen. Vom Sicherheitsgurt über Airbags und
Fußgängerschutzsysteme bis hin zu
Sicherheitsassistenten, die selbstständig bremsen oder den Fahrer
vor dem Einschlafen warnen, haben die Entwickler in den vergangenen Jahrzehnten zahllose Innovationen auf den Markt gebracht.
Auch an die unmittelbare Gesundheit des Fahrers wird immer häufiger gedacht. Hersteller wie Opel,
Mercedes-Benz oder Volkswagen
bieten mittlerweile Sitze an, die
das Gütesiegel der „Aktion Gesunder Rücken“ (AGR) verliehen bekommen haben. „Optimales Sitzen
beim Autofahren ist besonders
wichtig für den Fahrer – nicht nur
zur Vermeidung von Rückenschmerzen, sondern auch für Komfort und Fahrsicherheit“, heißt es
bei der AGR, die darauf setzt, dass
in Zukunft weitere Hersteller ihre
Sitze zertifizieren lassen.
Mit Ford gibt es derzeit nur einen
Hersteller, der seinen Innenraum
vom TÜV hinsichtlich der Allergiebelastung überprüfen lässt. Mehr
Foto: B
MW, M
ontag
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zeuge allerdings mit WLAN-Zugriff
ausstatten – und genau an dieser
Stelle tritt die Technik derzeit auf
der Stelle: Nur mit der Bereitstellung von WLAN-Systemen lassen
sich für die Hersteller nur sehr
schwer Extra-Einnahmen generieren. Stattdessen setzen sie wie bisher auf den Mobilfunk – und auf
eigene, monetarisierbare Funktionen. Einige Experten rechnen
schon damit, dass die Car-2-XTechnologie in einigen Jahren ohnehin kaum mehr eine vergangene
Episode der Autogeschichte sein
wird: Wenn Firmen wie Google ihr
Tempo beim Entwickeln von autonom fahrenden Autos beibehalten,
machen die Autos in Zukunft solche Dinge ohnehin untereinander
aus.
Der komplett vernetzte Straßenverkehr dürfte zwar genau wie das
selbstfahrende Auto noch relativ
weit entfernte Zukunftsmusik
sein, doch schon in den kommenden Monaten wird sich das Auto
so oder so in die große Datenwolke einklinken müssen. Denn ab
2015 sollen nach dem Willen der
EU alle Neuwagen mit dem automatisierten Notrufsystem e-Call
ausgerüstet sein. Die Technik setzt
bei einem Unfall automatisch einen Notruf ab und sendet gleich
auch seinen Standort an die Rettungsdienste. Allerdings sind noch
etliche Fragen ungeklärt – welche
Daten werden überhaupt erhoben,
wem gehören die Daten, wer wird
für die Hilfe an die Unfallstelle ge-
schickt, und wer darf das Auto anschließend abschleppen? Kritiker
befürchten zudem, dass gezielt
Informationen über das Fahrverhalten des Piloten ausgelesen werden und im Zuge eines Rechtsstreits – etwa mit Versicherungen
– gegen ihn verwendet werden
können.
Der technische Fortschritt hat also auch seine Schattenseiten. Datenschützer warnen schon heute davor,
dass die Autos der Zukunft Hackern
ausgeliefert sind, die Einfluss auf
die Fahreigenschaften nehmen
oder die Autos gar kapern könnten.
Ebenso wird befürchtet, dass die Autofahrer der Zukunft von Herstellerseite als unfreiwillige Datenlieferanten ausgenutzt werden könnten.
Mobiltelefone liefern schon heute
Bewegungsprofile, Navigationssysteme bieten ebenso Ansätze für Hersteller oder Datensammler der Kategorie Google, um die Nutzer eingehend zu analysieren. Die BluetoothVerbindung oder die On-Board-Diagnose per Fehlerspeicher sind weitere Schnittstellen, an denen Datensammler und Hacker ansetzen kön-
nen. Und während Ford die Technik
dazu nutzt, durch das System „My
Key“ Eltern die Möglichkeit zu geben, das Auto bei Benutzung durch
ihren Nachwuchs bei der Geschwindigkeit zu limitieren, die maximale
Radiolautstärke zu drosseln oder
das Abstellen der Sicherheitssysteme zu verhindern, geht Renault einen ganz anderen Weg: Ist der Kunde bei der monatlichen Rate für die
Batterie seines Elektroautos in
Rückstand, wird per Fernzugriff der
Saft abgestellt. Schöne neue Mobilität …
als 100 Materialien analysieren die
Prüfer im Rahmen der Zertifizierung auf Schadstoffe. Außerdem
werden alle Materialien, mit denen
die Autoinsassen in Kontakt kommen können, auf ihre Hautverträglichkeit untersucht. Dazu gehören
unter anderem die Bezüge des
Lenkrads und Schalthebels, die Sicherheitsgurte und die Schalter. So
will man sichergehen, dass die
Oberflächen keine Kontaktallergien
auslösen können. Zusätzlich untersuchen die TÜV-Prüfer die Luftqualität und ermitteln die Konzentration organischer Substanzen wie Lösungsmittel und Formaldehyd. Das
ist nicht nur für Allergiker von Vorteil: Wer bei der Fahrt am Lenkrad
niest, ist zwar nur eine Sekunde abgelenkt – doch bei Tempo 100 legt
das Auto dabei rund 30 Meter zurück – 30 Meter, die im Falle einer
Notbremsung über Leben und Tod
entscheiden können.
Im Konzeptfahrzeug der kommenden Generation des FamilienVans Ford S-Max überwacht ein
EKG-Sitz die Pulsfrequenz des Fahrers über integrierte Sensoren und
zeichnet sie für eine spätere medizinische Analyse auf. Erkennt das
System eine bedrohliche Anomalie,
kann es den Fahrer warnen oder
bei einem Notfall via Bordtechnologie ärztliche Hilfe anfordern.
Beglaubigt rückenfreundlich: Autositze in einem Opel-Fahrzeug.
Foto: Opel
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
LEBEN & LEIDENSCHAFT
„Fehler nimmt sie sofort übel“
Der Bramscher Richard Möhlenkamp hat sich im Wohnzimmer sein eigenes Rennflugzeug gebaut
VON CHRISTOPH
LÜTZENKIRCHEN
BRAMSCHE. Im Jahr 1958 fliegt
Tom Cassutts mit dem von ihm
entworfenen Leichtflugzeug
zum Sieg: Er gewinnt mit der
Cassutt das „National Championship Midget Air Race“ in
den USA. Noch heute bauen
Tüftler den legendären Rennflieger nach. Der Bramscher Richard Möhlenkamp bastelte fast
vier Jahre lang an seiner Version der Maschine – damit will er
nun bei der „Formel 1 der Lüfte“
antreten.
Der Mann sagt Sätze wie: Ich suche die Herausforderung. Oder:
Das Leben ist zu kurz, um sich
Konventionen zu unterwerfen. Er
sagt das anders als die stets sorgfältig geföhnten Kerle in der Kinowerbung. Richard Möhlenkamp
stellt es fest, ganz nüchtern, sachlich. Der 56-Jährige legt die kräftigen Hände auf den Holztisch in
der Küche seines Bauernhauses im
Bramscher Ortsteil Evinghausen.
Ganz ruhig sitzt er da und erzählt.
Der Mann ist echt; er meint, was
er sagt, und er handelt danach.
Seit vielen Jahren bedeutet das:
Möhlenkamp lebt seinen Traum,
den Traum vom Fliegen, den
Traum von einem selbst gebauten
Rennflugzeug. Der Weg dorthin
war lang. Vor inzwischen fast vierzehn Jahren begann der Bramscher das ambitionierte Projekt –
im Wohnzimmer. Seine Frau erklärte sich damit einverstanden,
nachdem er beteuert hatte, er werde alle schmutzigen Arbeiten in
der benachbarten kleinen Werkstatt erledigen. Als Erstes sollte
der Stahlrohrrahmen für den
Rumpf entstehen. Nicht einfach
ein Flugzeug wollte er bauen, sondern eine modifizierte Version der
legendären Rennmaschine „Cassutt III“. Im Horizontalflug könne
seine „Cassutt III MM“ (Möhlenkamps Modifikation) Geschwindigkeiten von mehr als 300 Stundenkilometern erreichen, so der
stolze Flugzeugbauer. Die Original-Version von Tom Cassutts aus
den 60er-Jahren brachte maximal
rund 370 Kilometer pro Stunde
auf den Tacho. Möhlenkamp
plant, mit der Maschine an der
„Formel 1 der Lüfte“ teilzunehmen. Das Rennen tragen Piloten
aus verschiedenen europäischen
Ländern mit ihren Rennflugzeugen in Frankreich aus.
Für den Bau des nur fünf Meter
langen Flugzeugs veranschlagte
Ein Perfektionist und sein Werk: Richard Möhlenkamp aus Bramsche lehnt sich an seine „Cassutt III MM“ . Die fliegt mit mehr als 300 Kilometer pro Stunde.
Möhlenkamp vier Jahre, doch es
kam alles anders, und das gleich
mehrfach. Beispiel Flügel: Mit den
Feinarbeiten hatte er einen Spezialisten beauftragt. Das Ergebnis
fiel niederschmetternd aus: Der
Profi hatte schlampig gearbeitet,
der Flügel war unbrauchbar. Drei
Jahre Arbeit für die Katz. Drei
weitere Jahre sollte es dauern, bis
Möhlenkamp einen Neuen hergestellt hatte. Manche Teile baute er
nicht nur zwei-, sondern drei-,
vier- und fünfmal; eben so lange,
bis sie seinen Ansprüchen genügten. „Ich habe mich in jedes ein-
zelne Element verbissen, es als Herausforderung gesehen“, erklärt er.
Und gibt unumwunden zu, dass er
ein Perfektionist und Pedant ist.
Seine Vorstellung von Qualität beschränkt sich nicht auf Funktionalität. Er will einen ästhetischen
Gesamteindruck. „Was gut aussieht, funktioniert auch gut“, sagt
Möhlenkamp. Mit seinem bis in
Details durchgestylten Flugzeug
schaffte er es bis auf die Titelseite
des renommierten „Fliegermagazins“. Das Flugzeug sei eines der
„extremsten Selbstbauprojekte in
ganz Deutschland“ heißt es da. Die
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Anerkennung der Fliegerkameraden ist Möhlenkamp sicher.
Ruhm und Ehre für das beeindruckende Ergebnis sind schmeichelhaft, doch wie gelang es ihm,
trotz zahlreicher großer und kleiner Rückschläge mehr als dreizehn Jahre an seinem Traum festzuhalten? Im Kern geht es um Leidenschaft, darauf kommt Möhlenkamp immer wieder zu sprechen.
Kein Zufall, dass er seine Cassutt
„Passion Play“ getauft hat – Leidenschaft und Spiel. Die besondere Beziehung zu dem Flugzeug ist
auch ohne Worte erkennbar. An
der Art, wie Möhlenkamp es behutsam aus dem Hangar schiebt.
Wie er sorgfältig alles für den Flug
vorbereitet. Das ist technisch, das
sind notwendige Handgriffe, das
ist aber auch ein Ritual. Er ist fokussiert bis in die Haarspitzen,
lässt alles andere fallen und ist
ganz bei der Sache.
Genau das hat Möhlenkamp gesucht, ein Flugzeug, das ihn fordert. „Die Cassutt ist mein Flugzeug, weil sie anspruchsvoll zu
fliegen ist“, sagt er: „Der Pilot
braucht sehr viel Disziplin. Fehler
nimmt sie sofort übel, man muss
sie permanent kontrollieren.“ Seine Cassutt III MM ist zu 80 Prozent eine Neukonstruktion. Den
besonderen Reiz des Selbstbauens
beschreibt er so: „Für mich ist es
die Kombination von eigentlichem
Flugzeugbau auf der einen Seite
und Erlebnissen und Begegnungen mit neuen Menschen auf der
anderen Seite, die einem solchen
Projekt die besondere Würze verleiht.“ Um sich die handwerklichen Fertigkeiten anzueignen, die
er für den Bau seiner Cassutt
brauchte, reiste Möhlenkamp
durch ganz Deutschland und lernte Experten der jeweiligen Gewerke kennen. Nur wenige Arbeiten
hat er an Dritte vergeben, zum
Beispiel den Propeller. Mit dem ist
er unzufrieden. „Ich werde selbst
einen bauen“, verrät er. Das ist
jetzt keine Überraschung.
Richard Möhlenkamp war 14
Jahre alt, als er am Segelflugplatz
Achmer mit der Fliegerei begann.
„Ich wollte das schon immer“, erinnert er sich. Beim Segelfliegen
würde es auf Dauer nicht bleiben,
das war dem gebürtigen Osnabrücker schnell klar. „Für mich muss
es immer krachen“, sagt er. Im
ersten Beruf wurde er Radio- und
„Ich habe
mich in jedes
Element
verbissen.“
Richard Möhlenkamp
Foto: Cornelius Braun
Fernsehtechniker. Doch schon vor
der Prüfung war klar: Das ist es
nicht. Ein Freund, der zur See
fuhr, brachte ihn auf die Idee, sich
zum Funkoffizier ausbilden zu lassen. Mit gerade 20 Jahren reiste
Möhlenkamp einige Jahre rund
um die Welt nach Singapur, Japan, Australien. Nächste Station:
die
Uhrmacherwerkstatt
der
Schwiegereltern. Der Seemann beendete sein Vagabundenleben und
erlernte den dritten Beruf. Zusammen mit seiner Frau übernahm er
Laden und Werkstatt.
Finanzielle Reserven aus den
vielen Monaten auf See nutzte
Möhlenkamp für die nächsten
Schritte in der Fliegerei. Er erwarb
den lange ersehnten Pilotenschein
für Motorflugzeuge. Aus seinem
Hobby wurde nach und nach die
Lebensgrundlage. Wieder folgte
Möhlenkamp seiner Intuition, seinem Interesse, seiner Leidenschaft. Die Uhrmacherei habe ihn
immer weniger ausgefüllt, erzählt
er. Er entschied, sich ganz der
Fliegerei zu widmen, und kaufte
das erste alte Flugzeug. Die sorgfältig instand gesetzte Maschine
verkaufte er mit Gewinn weiter.
Bei einem Flugzeug blieb es nicht.
Der Uhrmacher wurde zum Spezialisten für historische Flugzeuge.
„Ich habe damit gehandelt, an jeder Maschine aber auch selbst gearbeitet“, sagt er. Vom Radio- und
Fernsehtechniker zum Flugzeugmakler, wie erklärt er diese erstaunliche Karriere? Der Bramscher sagt wieder so einen Satz,
der aus dem Mund von manch anderem großspurig klingen würde:
„Ich habe mir meine Ziele immer
selbst gesteckt. Eins hat sich aus
dem anderen ergeben.“
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DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
LEBEN & LEIDENSCHAFT
Nichts für Warmduscher
Wellness? Schnickschnack! Der Kneipp-Verein Meppen schwört auf die alte Schule
VON KIM KAROTKI
MEPPEN. Die Kneipp’ sche Therapie mit kalten Wassergüssen
und sogar Bädern in kaltem
Wasser lässt WarmwasserVerwöhnte des WellnessHypes mit den Ohren schlackern. Kein Verwöhnprogramm, sondern Verantwortung für die eigene Gesundheit
zu übernehmen, hat Sebastian
Kneipp gepredigt. Der
Kneipp-Verein in Meppen tritt
mit seiner Anlage an der Koppelschleuse in die Fußstapfen
des Pfarrers.
„Welch furchtbaren Fortschritt hat
heutzutage die Verweichlichung
gemacht“, klingt mir ein Zitat
Kneipps in den Ohren, als ich
mich auf dem Barfußpfad erprobe
und mich über Tannenzapfen,
Kies und Kokosnussschalen vorwärtstaste und versuche zu lächeln. Es reicht nur zum Zähneknirschen. Verweichlichungsgrad
fortgeschritten. Der Wasser- und
Pflanzendoktor hat bereits im 19.
Jahrhundert die sogenannten Zivilisationskrankheiten vorausgesehen. Abhilfe schafft da vor allem
Abhärtung. Der Kneipp-Verein in
Meppen hat an der Koppelschleu-
KNEIPPEN IN DER REGION
Reichlich kaltes Wasser
Obwohl Bad Wörishofen in Bayern
der Ursprungsort
der Kneipp’schen
Lehre ist, sind
Kneipp-Anlagen
nicht nur im Süden
verbreitet. Auch im
Emsland und im
Osnabrücker Land
können Kneippianer und Interessierte fündig werden: Im Emsland
gibt es außer der
Meppener Wohlfühloase einen
Kneipp-Verein in
Lingen, eine
Kneipp-Anlage am
Saller See in Freren
und ein Kneipp-Becken an der Erlebnisroute „Straße
der Lieder“ in Thuine. Auf dem Ferienhof Niemann in Haselünne-Lahre
können ein Wassertretbecken, Be-
cken für Arm- und
Fußbäder und
Kneipp-Aufsätze
für die Dusche genutzt werden.
Im Osnabrücker
Landkreis ist der
Kneipp-Verein
Quakenbrück aktiv, und als
Kneipp-Kurort
kann Bad Iburg mit
einem besonders
breiten Angebot
aufwarten.
se eine öffentliche Anlage errichtet, die ganz im Sinne Kneipps
steht, und doch ist der Gesundheitsverein nicht nur etwas für
Hartgesottene.
Auf der 1105 Quadratmeter großen Fläche hat der Meppener Verein eine Wassertretanlage, zwei
Barfußpfade, einen Kräutergarten,
einen Meditationsplatz und einen
Übungsplatz mit Outdoor-Trainingsgeräten geschaffen. Für die
Kneippianer
ist
dies
die
„Wohlfühloase“ des Vereins. Das
für die Bevölkerung frei zugängliche Areal werde besonders bei gutem Wetter gut genutzt, berichtet
der Vorsitzende des Vereins, Hartmut Voss, „auch von außerhalb“.
Während der Meppener die
Geschichte des Pfarrers erzählt, der von den Ärzten mit
einer Tuberkulose-Diagnose
abgeschrieben worden war
und sich mithilfe eines
Buchs über die Heilkraft des
Wassers durch Bäder im
Winter in der eiskalten Donau heilte,
kommt eine neue
Anhängerin der
Kneipp’ schen
Lehre vorbei, um
sich beim Wassertreten zu ertüchtigen. „Ich bin den
ganzen Winter hier
gewesen und habe
durchgehalten und bin zum ersten
Mal gar nicht erkältet gewesen“,
ruft Anne Fredewehs aus dem Becken, wo sie wie ein Storch durch
das Wasser stakst. Beim Stichwort
Wassertreten im Winter fällt Voss
das Beispiel von der Vereinsältesten ein: „Unsere Queen Mum ist
109 Jahre alt geworden und hat
noch mit 105 am Silvester-Wassertreten teilgenommen.“
Der Gesundheitsverein mit über
500 Mitgliedern bietet Kurse im
Wassergymnastik, Yoga, rhythmischen Tanzen, Nordic Walking,
Radfahren und Wandern an. Außerdem gibt es Ausflüge, Kegelgruppen und Klön-Nachmittage.
„Das Soziale ist auch ganz wichtig“, erklärt Voss. Kneipp-Therapie bedeutet nämlich
nicht nur Behandlung mit
kaltem Wasser. „Kneipp
hat durch Beobachtung
erkannt, dass Wasser zu
wenig ist, und hat fünf
Säulen
entwickelt:
Wasser,
Bewegung,
Heilpflanzen, Ernährung und
Lebensordnung.“
Der zweite Barfußpfad mit Hindernissen
und
Schwebebalken –
laut
Kneipp
Kaltes Wasser hält den Kreislauf der Meppener Kneippianer in Schwung (oben). Sebastian
Kneipp (unten) sagte der Verweichlichung den Kampf an.
Fotos: Kim Karotki, Imago
reicht ein Spaziergang nicht zur
körperlichen Ertüchtigung aus –
umschließt den Kräutergarten.
Kräuterfrau Ammie Hebers pflegt
dort insgesamt 50 verschiedene
Heilpflanzen. Auf den roten Klee
ist sie besonders stolz: „Den hat
man früher benutzt, um Hitzewallungen zu behandeln.“ Ihr Wissen
über Kräuter hat sie sich nach und
nach
angelesen.
„Heilkräuter
spielten ja mal eine viel größere
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IENST
32
DONNERSTAG, 24. APRIL 2014
LEBEN & LEIDENSCHAFT
Mit Knuddeln
statt mit Drill
Tiertrainerin Anne Krüger hilft Mensch
und Tier, sich besser zu verstehen
VON HELGE HOLZ
MELLE. Es sind die leisen Worte,
die kleinen Gesten, mit denen
sich Tiertrainerin Anne Krüger
die Aufmerksamkeit der Tiere
verschafft – und ihr Vertrauen.
Auf ihrem Bio-Hof in Melle ist
sie die Chefin über 40 Enten, 30
Ziegen und 300 Schafe. In Seminaren zeigt sie, wie sich Mensch
und Tier besser verstehen lernen. Labrador Dr. Watson hilft
beim Training.
„Wir leben hier in einem typischen
‚Niedersachsen-Hof‘ “, sagt Anne
Krüger, die gemeinsam mit ihrer
Familie hier in Melle das eigene
Gut bewirtschaftet, und ergänzt:
„Hier leben Mensch und Tier noch
unter einem Dach.“ Diese räumliche Nähe ist nicht nur der Tradition und der historischen Architektur geschuldet. Sie kommt auch
ihrer Arbeit zupass. Denn neben
ihrer alltäglichen landwirtschaftlichen Arbeit auf dem Bio-Hof kann
sie hier in aller Ruhe ihrer eigentlichen Leidenschaft nachgehen, ihrer Arbeit als Tiertrainerin.
„Angefangen hat alles mit ‚Der
Doktor und das liebe Vieh‘ “, erinnert sie sich und schmunzelt. Die
autobiografischen Erinnerungen
des Tierarztes Alfred Wight, der
diese einst unter seinem Pseudonym James Herriot veröffentlichte, hatten es ihr angetan, sie wollte Tierärztin werden. Nach ihrem
Abitur schnupperte sie zunächst
in die Landwirtschaft und absolvierte eine Ausbildung zur Tierwirtschaftsmeisterin. Statt der Behandlung kranker Tiere stand die
mit gesunden auf dem Tagesplan.
Erst kam die Schäferei, dann eine Hundeschule, wo der beste
Freund des Menschen auf seine
Aufgaben in der Landwirtschaft
vorbereitet werden sollte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Jan Degener und zwei Mitarbeitern ist
sie heute Chefin über 40 Enten, 30
Ziegen, 300 Schafe sowie 12 Hunde und ein Dutzend Hühner. Nicht
zu vergessen sind die zehn Pferde,
die ebenfalls zum Degener-Hof gehören. Mittlerweile hat sich die
Wahl-Mellerin auch aus Tiertrainerin einen Namen gemacht.
Heute soll sich Socio, ein portugiesischer Lusitano, von seiner
Schokoladenseite zeigen. Geduldig
lässt er sich aus seiner Box führen.
Die Trainerin kümmert sich jetzt
intensiv um ihren Schimmel.
Während sie ihrem Pferd das Halfter anlegt, neigt es die Ohren
Richtung Rücken. Ist der Hafermotor ein Morgenmuffel? „Nein,
er hört ganz genau zu, er will mitarbeiten und wartet nur darauf,
dass ich ihm sage, was er zu tun
hat“, erklärt Krüger. Ihre Stimme
wird leiser, aber auch präziser. Dabei strahlt sie eine Ruhe aus, sie
weiß genau, was sie von ihren Tieren will und von ihnen erwarten
kann. „Wir Menschen können zwischen Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft unterscheiden, ein
Tier nicht. Es lebt im Jetzt, und
das müssen wir jederzeit berücksichtigen, wenn wir mit ihnen
kommunizieren wollen“, ergänzt
Krüger.
Jetzt fehlt nur noch Labrador
Dr. Watson. Kaum erscheint auch
er auf der Bildfläche, macht sich
das Trio auf den Weg zur Reithalle. Hier befindet sich nicht die
„Dekoration“, wie sie eigentlich
für eine Reithalle üblich wäre. So
steht hier das Chassis eines alten
2CV – einer Ente, dem „Spielplatz“
Erinnert an die Bremer Stadtmusikanten: Labrador Dr. Watson versteht sich mit dem Schimmel Socio. Tiertrainerin Anne Krüger gibt Hilfestellung.
des gleichnamigen Federviehs.
Heute Morgen lassen die drei jedoch die weißgraue Ente aus
Blech links liegen. Ein, zwei Worte
ins Ohr geflüstert, schon legt sich
Socio vollkommen entspannt auf
den Boden. Dann die kurze Aufforderung an Dr. Watson, er möge
seinen grünen Ball aus dem Regal
holen: Der Labrador saust quer
durch die Halle, schnappt sich den
gewünschten Ball und düst wieder
zurück zu Frauchen. Zur Belohnung gibt es eine Runde Knuddeln.
In stoischer Gelassenheit lässt
der Schimmel den Labrador auch
auf seinen Rücken klettern; er
bleibt vollkommen unbeeindruckt
liegen, als der ihn auch als
„Sprungbrett“ benutzt, weil er seinem grünen Ball hinterhersprin-
„Zwiegespräch,
respektvolles
Miteinander
und sehr viel
Vertrauen.“
Anne Krüger,
Tiertrainerin
ANGEBOT NUR FÜR GEWERBETREIBENDE
gen will. Ein paar Streicheleinheiten und Dankesworte, flugs richtet
das Pferd sich wieder auf, und Dr.
Watson bringt sein Spielzeug wieder zurück ins Regal.
Intensiver Drill? „Nein!“, verrät
Anne Krüger und lacht, „es ist ein
Zwiegespräch, ein respektvolles
Miteinander und sehr viel Vertrauen.“ Der Mensch muss das
Verhalten der Tiere „lesen“ und
nicht interpretieren – so das Credo der Fachfrau. Nur so lasse sich
in einen Dialog mit dem Pferd,
mit dem Hund eintreten. „Man
muss ihnen kleine Fragen stellen,
damit diese von sich aus ein Lösungsangebot präsentieren.“ Eigens zu diesem Zweck hat Anne
Krüger das Konzept der „Harmonielogie“ entwickelt: damit Pferde, Hunde und deren Besitzer ge-
Foto: Helge Holz
meinsam „ins Gespräch kommen“.
Wie erfolgreich Anne Krüger
und ihr Team die Kommunikation
von Mensch und Tier verbessert
haben, stellen sie auch außerhalb
ihrer Schule vor. Seit einigen Jahren treten sie auf diversen Veranstaltungen mit einer eigenen Tiershow auf, um die Leistungen ihrer
tierischen Protagonisten ins rechte Licht zu setzen. Wie beispielsweise beim Gartenfest an der Ippenburg in Bad Essen. Selbst im
fernen Oman hat die Tiertrainerin
bereits die niedersächsische Fahne
vertreten. Am 25. bis 27. April
2014 werden sie und ihr Mann Jan
in Hamburg bei der Hansepferde
demonstrieren, wie perfekt die
Kommunikation von Zwei- und
Vierbeinern harmonieren kann.
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