Die Magie der Mokkabohnen

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Die Magie der Mokkabohnen
Die Magie der Mokkabohnen
Henry Garde war talentierter Grafiker,
Maler und Ratsherr
Von Britta Lübbers
Henry Garde in seinem Atelier bei Arbeiten für Kaffee Hag.
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„In Bremen riecht es wieder nach Kaf-
sches Schiff hatte die erste Kaffeeladung
fee“, schrieb die Zeitschrift „Stern“ in ei-
gebracht. „Der Kaffee ist da, aber das
ner ihrer ersten Ausgaben. Im August
Geld ist knapp“, so die Illustrierte. „Wer-
1948 wurde das Magazin gegründet, am
begraphiker bekommen die ersten Auf-
20. Juni 1948 war die Währungsreform
träge, um durch verlockende und wer-
in den drei westlichen Besatzungszo-
bewirksame Plakate den guten Vorsatz
nen Deutschlands in Kraft getreten. Die
zur Sparsamkeit ins Wanken zu brin-
Blattmacher zeigten, wie sich die Men-
gen.“ Bebildert ist der Text u.a. mit ei-
schen zwischen Ruinen und Wiederauf-
nem Foto, das einen Werber bei der Ar-
bau den einen oder anderen Luxus gönn-
beit zeigt. In eleganter Haltung, ein Bein
ten – Kaffee gehörte dazu. Ein brasiliani-
lässig über das andere gelegt, sitzt der
Mann an der Staffelei. Das grau melierte
davon vier Jahre als stellvertretender
Haar ist nach hinten gekämmt, der Blick
Bürgermeister der Stadt. Und er war
konzentriert auf das Plakat vor ihm ge-
vernarrt in Bernhardiner und genoss hier
richtet. Mit der rechten Hand zeichnet
als Fachmann und Bewertungsrichter ei-
er die Konturen einer Tasse nach, aus
nen hervorragenden Ruf.
der Duftwölkchen aufsteigen. „Der echte Kaffee“, steht in schwungvollen Buch-
Henry Garde war entschiedener Pazifist
staben über der Kaffeewolke. Der ech-
und als junger Mann Kommunist. Er war
te Kaffee, das war in diesem Fall „Kaf-
klug, belesen, amüsant, aufgeschlossen
fee Hag“, der als weltweit erster kof-
und unterhaltsam. Als er 1977 starb,
feinfreier Kaffee Karriere machte. Der
verlor die Stadt Wildeshausen eine ihrer
Bremer Kaffeeröster galt als Branchen-
großen Persönlichkeiten. Auch nach sei-
Multi. Für die Reklame war Henry Gar-
nem Tod gab es Ausstellungen mit Wer-
de (1899-1977) verantwortlich, der be-
ken des Künstlers, der sich selbst als Ro-
reits vor dem Krieg als Chefgrafiker für
mantiker und Naturalist bezeichnet hat-
das Unternehmen gearbeitet hatte. Gar-
te. 1983 wurde eine Straße nach ihm
de war einer der ersten Werbegrafiker
benannt. Im Bürger- und Geschichts-
überhaupt in Deutschland. Wem seine
verein gibt es einen dicken Ordner mit
Handschrift vertraut war, der erkannte
vielen Informationen über Henry Garde,
seinen kühnen Strich sofort.
hier findet sich auch der (nicht datierte)
„Stern“-Artikel. Henry Garde hat Spuren
Vortrefflicher Kamerad
hinterlassen, durch sein Werk (darunter 1957 eine Freskomalerei für den Rat-
Der damals 49-Jährige konnte aber noch
haussaal nach einem Stahlstich von Meri-
viel mehr. Er war auch Künstler und als
an) und durch sein Wesen. Anlässlich sei-
solcher ausgesprochen vielseitig. Mit Fe-
nes 60. Geburtstags schrieb die Kunstkri-
der und Pinsel schuf er Landschaft und
tikerin Katharina Albrecht: „Er hat sich im-
Porträt. Er malte in Öl und Aquarell, er
mer als vortrefflicher Kamerad bewährt.
nutzte gekonnt die Möglichkeiten von Li-
Durch viele Jahre zeigte er in einem in sei-
nolschnitt und Radierung. Vom Gegen-
nem Haus ausgebauten Ausstellungsraum
ständlichen aber löste er sich nie, sieht
in selbstlosem Einsatz die Arbeiten seiner
man von kleinen Flirts mit dem Expres-
Kollegen. Immer gab er den Bildern an-
sionismus einmal ab. „Ich bin ein gegen-
derer Maler den besten Platz, auch wenn
ständlicher Maler“, bekannte er 1967 in
er seine eigenen Arbeiten zeigte“ (Bremer
einem Gespräch mit der Nordwest-Zei-
Nachrichten, 26. September 1959).
tung. 1949 zog Henry Garde nach Wildeshausen. Er ließ sich mitten in der Natur
Gegen den Krieg
ein Haus ganz nach seinen Vorstellungen
errichten, das ein Treffpunkt für Künst-
Henry (Heinrich) Garde kam am 27. Sep-
lerinnen und Künstler wurde. Er machte
tember 1899 in Bremen zur Welt. Ob-
viele Jahre erfolgreich Kommunalpolitik,
wohl ihm rund 50 Jahre später die Stadt
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Die undatierte kolorierte Zeichnung von Kaffee Hag ist eine der komplexesten Arbeiten von Henry Garde.
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Wildeshausen eine zweite Heimat wur-
der Kaufmann war, soll als junger Mann
de, hielt er stets den Kontakt zu seiner
ein Abenteurer gewesen sein. Er fuhr
Geburtsstadt. Dort hatte er seine ers-
heimlich zur See und bereiste fremde
ten Ausstellungen, feierte erste Erfol-
Länder, darunter China und Indien. Zu-
ge als Grafiker und Maler. Sein Vater,
rück an Land, erfuhr er von der Geburt
seines Sohnes. Er gab das Nomadendasein auf und nahm eine wohl wenig
aufregende Stelle beim Finanzamt an.
Schon früh entdeckte der junge Henry
seine Begabung für das Gestalterische.
Er machte eine Lehre zum Lithografen
und besuchte die Kunstgewerbeschule
in Bremen, die er 1917 mit „sehr gut“
abschloss.
Doch anstelle des Zeichenstifts, musste er zunächst eine Waffe halten. Man
zog ihn ein und kommandierte ihn an
die Westfront ab. Viele seiner Altersgenossen waren mit Hurra-Geschrei in
den Ersten Weltkrieg gezogen, auch unter Künstlern und Intellektuellen stand
Lehrbrief vom 4. Juni 1917 zur bestandenen Gesellenprüfung (mit „sehr gut“) im Lithografenhandwerk.
der Waffendienst damals hoch im Kurs.
Nach dem Ende des großen Schlachtens
krochen die Überlebenden einer ganzen
1920 ging der talentierte Grafiker,
Generation traumatisiert aus den Schüt-
ausgestattet mit zwei Bremer Stipen-
zengräben. Henry Garde lehnte den Krieg
dien, an die Akademie für Buchgewer-
zutiefst ab. Bestärkt in seiner pazifisti-
be und Grafik nach Leipzig, das da-
schen Haltung wurde er u.a. durch Hein-
mals die unangefochtene Metropole
rich Vogeler (1872-1942), Mitbegrün-
für Gestaltung und Druckkunst war.
der der Künstlerkolonie in Worpswede.
Wer sich heute das druckgrafische
Vogeler war Sozialist, Utopist und ge-
Werk Gardes ansieht, die Detailver-
scheiterter Revolutionär. 1914 meldete
sessenheit, die Akribie, mit der er sei-
er sich freiwillig zum Kriegsdienst, geriet
nen Motiven Leben einhaucht, den si-
an die Ostfront und wandelte sich zum
cheren Stil, die Perfektion im Perspek-
Kriegsgegner. 1931 ging er, beeinflusst
tivaufbau, der kann sich gut vorstel-
durch bolschewistische Ideen, in die So-
len, dass der junge Student ein sehr
wjetunion, wo er als Deutscher nicht Fuß
gelehriger
fassen konnte. Er wurde deportiert und
ler war. In einer Radierung aus sei-
starb in der kasachischen Verbannung.
nem Nachlass, die das Bremer Rat-
Vogeler und Garde trafen 1919 aufein-
haus zeigt, glaubt man, die Fugen von
ander, als Garde Worpswede besuchte.
jedem Stein zu erkennen. In Leipzig
Sie wurden enge Freunde, die sich viel
hatte Garde Kontakt zu sozialistischen
bedeuten. Ob ihre Beziehung auch Gar-
Gruppen. Bis 1924 war er Mitglied der
des Hinwendung zum Kommunismus
Kommunistischen Partei. Kriegsgeg-
förderte, ist nicht gesichert.
ner blieb er ein Leben lang.
und
erfolgreicher
Schü-
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Kecke Technik
in denen er nicht lange verweilen konnte.
Vom Expressionismus gelangte Arnold zur
Henry Garde ließ sich in Bremen als selbst-
Neuen Sachlichkeit, bis er sich dem Magi-
ständiger Gebrauchsgrafiker nieder und
schen Realismus zuwandte.
hatte schnell Erfolg. Seine Plakate wurden
in Ausstellungen gezeigt und mit Preisen
Im Dritten Reich wurde Henry Garde we-
ausgezeichnet. Auch sein nicht grafisches
gen seiner sozialistischen und kriegsfeind-
Werk wurde wohlwollend kommentiert.
lichen Haltung drangsaliert. Die Gestapo
„Eine neue Erscheinung ist Henry Garde,
durchsuchte sein Haus, 1937 wurde er
seine Aquarelle 88 und 86, und die Zeich-
verhaftet, kam aber bald wieder frei. Er-
nung 82 sind interessante Leistungen. Die
neut musste er Kriegsdienst leisten, dies-
kecke Technik macht Freude“, ist am 24.
mal als Gefreiter und Unteroffizier bei der
März 1924 in der Weser-Zeitung zu lesen.
Luftwaffe. 1945 wurde er aus der Wehr-
Zugleich riet der Rezensent: „Hüte er sich
macht entlassen. Nach dem Scheitern
vor falscher Manier und der Süße, welche
seiner ersten Ehe heiratete Henry Garde
aus anderen Blättern nicht mehr fern ge-
1940 Ella Keese, mit der er eine Tochter
halten ist.“
bekam. Die Ehe hat bis zu seinem Tod gehalten.
1922 heiratete der aufstrebende Künstler Ilse Höhle, mit der er drei Söhne be-
Zum Wesen der Dinge
kam, darunter Henry Garde junior, der
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ebenfalls ein erfolgreicher Grafiker und
Schon während seiner frühen Künstlerjah-
Maler wurde. 1923 beteiligte sich Gar-
re stellte Henry Garde aus – und die Reso-
de an einem Kunstwettbewerb, zu de-
nanz war überwiegend positiv. „Und drü-
ren Jury auch Dr. Ludwig Roselius (1874-
ben auf der anderen Seite finden Sie Wer-
1943) gehört, Großunternehmer des Bre-
ke eines jungen Bremer Künstlers: Henry
mer Kaffee-Hag-Imperiums und Förde-
Garde, der den Krieg an der Front miter-
rer der Kunst. Henry Garde erhielt gleich
lebt hat und der seine freien Arbeiten den
zwei Auszeichnungen, sodass Roselius auf
Mußestunden abringt, die ihm der Beruf
den jungen Grafiker aufmerksam wurde.
lässt. Gardes Bilder tragen eine ganz per-
Er bat um ein Treffen, das den Beginn ei-
sönliche Note. Sie sind beseelt von dem
ner von großer Wertschätzung gekenn-
Wunsch, zu dem Wesen der Dinge über
zeichneten Beziehung markiert. Garde ar-
das Phänomen, über die bloße Erschei-
beitete nun für Kaffee Hag, 1932 wurde
nung hinaus, vorzustoßen“ (Bremer Zei-
er Chefgrafiker des erfolgreichen Unter-
tung, 6. März 1935). Doch es gab auch
nehmens. Künstlerisch war er damals von
kritische Stimmen. „Henry Garde ist be-
Christian Arnold (1889-1960) beeinflusst.
kannt als guter Plakatzeichner. Er stellt
Arnold gehörte zu jenen Männern, die der
sich hier als Landschaftszeichner vor,
Erste Weltkrieg schwer beschädigt hat-
dessen Absichten ernst zu nehmen sind.
te. Er war ein Ruheloser, der verschiede-
Aber man spürt, er hat sich von der de-
ne Kunstrichtungen wie Säle durchschritt,
korativen Malerei noch nicht freigemacht.
Die Farben stehen hart nebeneinander,
das gilt besonders für die Stilleben. Das
Zwischen-den-Dingen, Raum und Luft
werden nicht spürbar“ (Bremer Zeitung,
undatiert). Im Nachlass Gardes befindet
sich ein Stillleben in Mokkatönen. Es zeigt
eine glänzende Kaffeekanne und eine Kaffeetüte, aus der die Bohnen herausrollen.
Fast meint man, den würzig-herben Duft
zu riechen. Das Bild erzählt, wie jedes
gute Stillleben, vom Innehalten, vom Leisesein, von der Besonderheit des Augenblicks und dessen Vergänglichkeit. Die
Farben sind weich und fließen ineinander
– festgehalten ist ein magischer Moment
„zwischen den Dingen“.
Doppelte Leidenschaft: Sein Interesse an Bernhardinerhunden hat Garde auch grafisch in zahlreichen Arbeiten umgesetzt. Signiert: „Brigitta von
Brassenhof 8348. Bes: W. Meier, Hemelingen b.
Bremen. Henry Garde 28“
Während der Künstler Garde sich in seinem Metier verfeinerte, ging draußen die
Welt unter. Henry Garde und seine Frau
wurden ausgebombt, sie flüchteten in die
Nähe von Nienburg, wo sie das Kriegsende erlebten. Danach waren die Würfel
gefallen. Garde wollte nicht zurück in die
Stadt, sondern sich auf dem Land niederlassen, die Wahl fiel auf Wildeshausen.
Das Alte bewahren
In Schneverdingen hatte Henry Garde ein
altes Bauernhaus entdeckt, in das er sich
spontan verliebte. Das Fachwerkgebäude entsprach genau seinen Vorstellungen
Typischer Garde, Zeichnung mit Wildeshauser Motiv: „Alte Bürgerhäuser in Wildeshausen 1940“.
vom Leben und Arbeiten auf dem Land. Er
übernahm den Grundriss und baute sich
innerhalb von zwei Jahren sein Traumdo-
Kriegsende vonstatten ging. „Mein Va-
mizil an den Stadtrand von Wildeshausen.
ter fuhr kein Auto, die Bahnanbindung
Dort, am Katenbäker Berg, wohnt heute
war schlecht“, sagt sie. Auch wenn es
seine Tochter Elgin Garde. Sie weiß aus
wieder Kaffee gab, herrschte noch viel-
Erzählungen, unter welch schwierigen
fach Mangelwirtschaft, Improvisations-
Bedingungen der Hausbau kurz nach
kunst war gefragt. Dennoch gelang es
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Garde, sich eine Wohnstatt zu schaffen,
Diele verzierte Garde einen Holzbalken
die ihren einzigartigen Charme bis heu-
mit einem Goethe-Spruch: „Tages Ar-
te konserviert hat. Gleich über den Ein-
beit, abends Gäste/saure Wochen, fro-
gang malte der gesellige Künstler einen
he Feste!“ Jeder einzelne Buchstabe
plattdeutschen Spruch, der jene, die
leuchtet so frisch, als sei er gestern auf-
guten Herzens sind, hereinbittet. Wer
gebracht worden. Das Zitat kennzeich-
Böses im Schilde führt, so heißt es wei-
ne ihren Vater gut, meint Elgin Garde.
ter, möge aber draußen bleiben. In der
„Er war ein sehr aufgeschlossener Mann,
Während einer 16-tägigen Nordseefahrt im Jahr 1957 erhielt Garde zahlreiche Inspirationen für maritime Motive.
der gerne Menschen um sich hatte und
sehr für den Erhalt der historischen Alt-
sehr gerne diskutierte.“ Zugleich sei es
stadt eingesetzt.
ihm ein Herzensanliegen gewesen, Geschichte, sowie Dinge, die Geschich-
1950 trat Henry Garde in die SPD ein,
te erzählen, zu bewahren. „Er hat zum
baute den Ortsverein in Wildeshausen auf
Beispiel dafür gekämpft, dass das alte
und führte ihn in den Stadtrat. Von 1956
Zollhaus nicht abgerissen wird“, weiß
bis 1964 und von 1968 bis 1972 war er
sie. Als Kommunalpolitiker habe er sich
Mitglied im Rat der Stadt, von 1961 bis
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Künstlertreffen reisten Maler, Bildhauer
und Grafiker aus dem gesamten Nordwesten an. Zur Gründung der „Jungen Gruppe Oldenburg“ kamen Vertreter des Niedersächsischen Kultusministeriums und
des Bundes Bildender Künstler Nordwestdeutschlands. Man tat sich zusammen,
„um der gemeinsamen Zielsetzung einer
zeitnahen Bildschöpfung durch engeren
Zusammenschluss größere Stoßkraft zu
geben“, wie die Bremer Nachrichten etwas gespreizt vermerkten (19. September
1951). Ob „Herbstliche Bilderlese“, „Sommerausstellung“ oder „Kunstschau in Wildeshausen“: Das Haus der Gardes war ein
beliebter Treffpunkt für Kunstschaffende
und Kunstinteressierte. Auch Elgin Garde
kann sich noch an manche Geselligkeit erGardes Arbeiten der letzten Jahre tragen eine etwas schwermütigere Handschrift. Holzschnitt
„Bauerngehöft“ von 1974.
innern. Ihr Vater (der zudem in verschiedenen Vereinen aktiv war, darunter die
Deutsche Philatelisten-Jugend, die Liedertafel 1848 Wildeshausen und der St.
Bernhardsclub) habe gerne eingeladen –
1972 saß er für die SPD im Kreistag. 1969
übrigens nicht immer zur Freude seiner
zeichnete ihn die Stadt Wildeshausen für
Frau Ella, die zuweilen sehr kurzfristig da-
sein langjähriges Engagement im Ehren-
von unterrichtet wurde, dass wieder zahl-
amt aus. 1970 wurde er Ehrenvorsitzen-
reiche Gäste zu bewirten seien.
der der Wildeshauser SPD.
Einbaum und Ozeanriese
Ein Treffpunkt für Künstler
Henry Garde war in erster Linie Grafiker
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Was die Kunst betraf, so wollte Gar-
und Maler. Die Plastik lag ihm nicht so
de sein Haus zu einer kulturellen Be-
sehr, er nannte sich selbst einen „Nicht-
gegnungsstätte machen. In zahlreichen
Bildhauer“. Trotzdem schuf er auch
Ausstellungen gab er namhaften und
Plastiken, darunter 1967 das Objekt
neuen Künstlern ein Forum, darunter
„Aufwärts-voran“ für eine Nato-Wohn-
Christian Arnold, Ernst von Glasow (1897-
siedlung in Zeven. Das rund sechs Meter
1969), Willy Oltmanns (1905-1979) und
hohe Monument aus Zement, Eisen und
Heinrich Schwarz (1903-1977). Auch sein
Kupfer zeigte eine Eisenmauer mit steil
Sohn Henry Garde jun. und er selbst stell-
in den Himmel ragenden Pfeilen, die den
ten dort aus. Zu den von ihm initiierten
Drang nach vorn symbolisieren sollten.
Henry Garde verzierte einen Balken in der Diele seines Hauses auf dem Katenbäker Berg mit dem Spruch
von Goethe: „Tages Arbeit, abends Gäste/saure Wochen, frohe Feste!“
Man muss diese Art Skulptur heute nicht
Zivilisation (...), alles wird im Bilde fest-
mehr mögen. Sie unterstreicht aber die
gehalten und druckreif geliefert. Täglich
große Vielseitigkeit, mit der dieser Mann
entstehen 6 Zeichnungen, das bedeutet
begabt war. Einmal erhielt er den Auftrag,
12 Stunden harter Arbeit; allerdings ver-
ein rund 1.300 Seiten starkes Schülerle-
sicherte Henry Garde: ,Was ich bei Dü-
xikon zu illustrieren. Etwa 1.500 Zeich-
rer an Zeit versetze, kann ich bei Picas-
nungen und bunte Tafeln fertigte Garde
so wieder herausholen’“ (nicht datiert).
an, die den Anschauungswert des 1953
„In der Arbeit war er impulsiv und folgte
im Hans-Witte-Verlag (Freiburg) erschie-
seinen Neigungen. Er gab manche Arbeit
nenen Buches erhöhen sollten – eine im-
auf, begann neu oder ließ sie liegen, und
mense Fleißarbeit. Die Nordwest-Zeitung
setzte sie oft sehr viel später fort (...).
machte einen Hausbesuch und war be-
Er arbeitete schnell und mit sehr ge-
eindruckt: „Der erste Pflug entstand – in
ringem Aufwand. Von seinen Arbeiten
der Zeichnung – am selben Tag wie der
trennte er sich leicht. Ordnen und Sam-
Mähdrescher. Spielzeug, Handwerkszeug,
meln, Systematisieren und Theoretisie-
Höhlen und Wolkenkratzer, Ikone und
ren lag ihm weniger. Anregbar, gesel-
Dome, Waschlappen und modernste Ba-
lig, der Lebensfreude zugewandt und in
deeinrichtungen, Einbaum und Ozeanrie-
der Berufsarbeit oft unter Zeitdruck war
se, Bergwerk und Flugzeug, Kultur und
sein Sinn, auch kunstbereit, stets auf
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Skizzenblock ein, nahm sein Rad, mietete sich in einem Hotel ein und zeichnete
jene Welt, die sich ihm auf seinen Streifzügen offenbarte. Als junger Mann war er
fasziniert von alten Stadtbildern und urbanen Winkeln, als älterer Künstler war die
niederdeutsche Landschaft mit ihrer Weite und ihren windgeduckten Bäumen ein
Thema, das sich für ihn nie erschöpfte.
Platz für Jüngere
Zweimal machte Henry Garde in seinen
Wildeshauser Jahren eine Ausnahme von
der selbst gewählten Reise-Abstinenz:
1957 ging er mit dem Heuerschein eines
Leichtmatrosen an Bord des Fischdampfers „Alexander von Humboldt“ und hielt
Auch den Kamin seines Hauses gestaltete Henry
Garde kunstvoll mit einem „Hauswappen“, in dem
sich ein Bernhardiner befindet.
während der sechzehntägigen Nordseefahrt die Arbeit der Fischer und die Launen der meist stürmischen See fest. Ein
Aquarell, das er damals malte, zeigt die
Männer in ihren schweren Öljacken, wie
das Gegenwärtige gerichtet“, schreibt Dr.
sie die vollen Netze ins Boot hieven.
Karl Veit Riedel, ehemaliger Oberkustos
Mit wenigen feuchten Pinselstrichen
am Landesmuseum Oldenburg, über den
gelang es Garde, den Charakter der
Künstler (Riedel: „Henry Garde“, Isensee
silbrigen Fischschuppen mit ihrem ty-
Verlag Oldenburg, 1980). Auch Elgin Gar-
pischen Metallglanz festzuhalten. Ob-
de erinnert sich an einen fleißigen Vater,
wohl Autodidakt in der Malerei, verfüg-
den sie als Kind durchaus bei der Arbeit
te er über großes künstlerisches Ge-
stören durfte. Oft war er mit mehreren
schick, das ihn nach Ansicht von Karl
Projekten gleichzeitig beschäftig. Dass es
Veit Riedel vor zu glatter Vollendung
nichts zu tun gab, kam bei ihm nicht vor.
bewahrte: „Nur durch die volle Beherr-
Und dann waren da ja noch die Bernhar-
schung der Mittel wahrte er die Grenze
diner (einmal hatte die Familie drei Hun-
des Allzuverständlichen.“
de gleichzeitig), die Hühner, Schafe und
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der Garten. Anders als viele seiner Künst-
1968 verbrachte Henry Garde eine
lerkollegen reiste Henry Garde nicht gern
arbeitsintensive Zeit in den Nieder-
und wenn, dann bevorzugte er nahe Zie-
landen. Viele Jahre später reiste El-
le. „Ich mache Urlaub in Dötlingen“, sag-
gin Garde auf den Spuren ihres Vaters
te er beispielsweise. Er packte den
dorthin. In einem Hotel in Giethorn, in
So war Henry Garde in Wildeshausen bekannt: Fröhlich, aufgeschlossen und freundlich.
dem auch er während seines Aufent-
1970, so schreibt Karl Veit Riedel, trat
halts gewohnt hatte, entdeckte sie ein
Henry Garde von all seinen politischen
Bild, das eindeutig von ihm stammte.
Ämtern zurück, um Jüngeren Platz zu
Es kommt gelegentlich vor, dass man
machen. Doch war dieser Rückzug wohl
sie in Kunsthandlungen auf seine Wer-
nicht frei von Wehmut. Als alter Mann
ke hinweist. Manchmal kauft sie die
habe ihr Vater zuweilen in sich gekehrt
Bilder zurück. Auch in ihrem Eltern-
gewirkt, erinnert sich Elgin Garde. Sein
haus hat der Vater als Künstler sei-
Haus war nicht mehr das Epizentrum
nen Platz behalten. Die Arbeiten der
der kulturellen Szene, andere Künstler
letzten Jahre tragen eine schon etwas
rückten nach. In seinem letzten Lebens-
schwermütige Handschrift. „Alter Fluß-
jahr musste er mehrmals ins Kranken-
arm im Winter“ (1976) z.B. zeigt eine
haus. Am 27. Oktober 1977 starb Hen-
melancholisch wirkende Schneeland-
ry Garde. Er wurde unter großer Anteil-
schaft. „Im Moor“ (1976) beugen sich
nahme auf dem Wildeshauser Friedhof
die Zweige der Birken einem heftigen
beigesetzt. Denen, die ihn kannten, wird
Wind. Aber bis zum Schluss arbeitete
„seine stattliche Gestalt, sein lebhaftes,
Henry Garde seine Motive zeichnerisch
freundliches Temperament und seine le-
durch, ist sein Strich sicher und ele-
bensbejahende Vielseitigkeit“ (Riedel) in
gant zugleich.
Erinnerung geblieben sein.
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