Die Magie der Mokkabohnen
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Die Magie der Mokkabohnen
Die Magie der Mokkabohnen Henry Garde war talentierter Grafiker, Maler und Ratsherr Von Britta Lübbers Henry Garde in seinem Atelier bei Arbeiten für Kaffee Hag. 24 „In Bremen riecht es wieder nach Kaf- sches Schiff hatte die erste Kaffeeladung fee“, schrieb die Zeitschrift „Stern“ in ei- gebracht. „Der Kaffee ist da, aber das ner ihrer ersten Ausgaben. Im August Geld ist knapp“, so die Illustrierte. „Wer- 1948 wurde das Magazin gegründet, am begraphiker bekommen die ersten Auf- 20. Juni 1948 war die Währungsreform träge, um durch verlockende und wer- in den drei westlichen Besatzungszo- bewirksame Plakate den guten Vorsatz nen Deutschlands in Kraft getreten. Die zur Sparsamkeit ins Wanken zu brin- Blattmacher zeigten, wie sich die Men- gen.“ Bebildert ist der Text u.a. mit ei- schen zwischen Ruinen und Wiederauf- nem Foto, das einen Werber bei der Ar- bau den einen oder anderen Luxus gönn- beit zeigt. In eleganter Haltung, ein Bein ten – Kaffee gehörte dazu. Ein brasiliani- lässig über das andere gelegt, sitzt der Mann an der Staffelei. Das grau melierte davon vier Jahre als stellvertretender Haar ist nach hinten gekämmt, der Blick Bürgermeister der Stadt. Und er war konzentriert auf das Plakat vor ihm ge- vernarrt in Bernhardiner und genoss hier richtet. Mit der rechten Hand zeichnet als Fachmann und Bewertungsrichter ei- er die Konturen einer Tasse nach, aus nen hervorragenden Ruf. der Duftwölkchen aufsteigen. „Der echte Kaffee“, steht in schwungvollen Buch- Henry Garde war entschiedener Pazifist staben über der Kaffeewolke. Der ech- und als junger Mann Kommunist. Er war te Kaffee, das war in diesem Fall „Kaf- klug, belesen, amüsant, aufgeschlossen fee Hag“, der als weltweit erster kof- und unterhaltsam. Als er 1977 starb, feinfreier Kaffee Karriere machte. Der verlor die Stadt Wildeshausen eine ihrer Bremer Kaffeeröster galt als Branchen- großen Persönlichkeiten. Auch nach sei- Multi. Für die Reklame war Henry Gar- nem Tod gab es Ausstellungen mit Wer- de (1899-1977) verantwortlich, der be- ken des Künstlers, der sich selbst als Ro- reits vor dem Krieg als Chefgrafiker für mantiker und Naturalist bezeichnet hat- das Unternehmen gearbeitet hatte. Gar- te. 1983 wurde eine Straße nach ihm de war einer der ersten Werbegrafiker benannt. Im Bürger- und Geschichts- überhaupt in Deutschland. Wem seine verein gibt es einen dicken Ordner mit Handschrift vertraut war, der erkannte vielen Informationen über Henry Garde, seinen kühnen Strich sofort. hier findet sich auch der (nicht datierte) „Stern“-Artikel. Henry Garde hat Spuren Vortrefflicher Kamerad hinterlassen, durch sein Werk (darunter 1957 eine Freskomalerei für den Rat- Der damals 49-Jährige konnte aber noch haussaal nach einem Stahlstich von Meri- viel mehr. Er war auch Künstler und als an) und durch sein Wesen. Anlässlich sei- solcher ausgesprochen vielseitig. Mit Fe- nes 60. Geburtstags schrieb die Kunstkri- der und Pinsel schuf er Landschaft und tikerin Katharina Albrecht: „Er hat sich im- Porträt. Er malte in Öl und Aquarell, er mer als vortrefflicher Kamerad bewährt. nutzte gekonnt die Möglichkeiten von Li- Durch viele Jahre zeigte er in einem in sei- nolschnitt und Radierung. Vom Gegen- nem Haus ausgebauten Ausstellungsraum ständlichen aber löste er sich nie, sieht in selbstlosem Einsatz die Arbeiten seiner man von kleinen Flirts mit dem Expres- Kollegen. Immer gab er den Bildern an- sionismus einmal ab. „Ich bin ein gegen- derer Maler den besten Platz, auch wenn ständlicher Maler“, bekannte er 1967 in er seine eigenen Arbeiten zeigte“ (Bremer einem Gespräch mit der Nordwest-Zei- Nachrichten, 26. September 1959). tung. 1949 zog Henry Garde nach Wildeshausen. Er ließ sich mitten in der Natur Gegen den Krieg ein Haus ganz nach seinen Vorstellungen errichten, das ein Treffpunkt für Künst- Henry (Heinrich) Garde kam am 27. Sep- lerinnen und Künstler wurde. Er machte tember 1899 in Bremen zur Welt. Ob- viele Jahre erfolgreich Kommunalpolitik, wohl ihm rund 50 Jahre später die Stadt 25 Die undatierte kolorierte Zeichnung von Kaffee Hag ist eine der komplexesten Arbeiten von Henry Garde. 26 Wildeshausen eine zweite Heimat wur- der Kaufmann war, soll als junger Mann de, hielt er stets den Kontakt zu seiner ein Abenteurer gewesen sein. Er fuhr Geburtsstadt. Dort hatte er seine ers- heimlich zur See und bereiste fremde ten Ausstellungen, feierte erste Erfol- Länder, darunter China und Indien. Zu- ge als Grafiker und Maler. Sein Vater, rück an Land, erfuhr er von der Geburt seines Sohnes. Er gab das Nomadendasein auf und nahm eine wohl wenig aufregende Stelle beim Finanzamt an. Schon früh entdeckte der junge Henry seine Begabung für das Gestalterische. Er machte eine Lehre zum Lithografen und besuchte die Kunstgewerbeschule in Bremen, die er 1917 mit „sehr gut“ abschloss. Doch anstelle des Zeichenstifts, musste er zunächst eine Waffe halten. Man zog ihn ein und kommandierte ihn an die Westfront ab. Viele seiner Altersgenossen waren mit Hurra-Geschrei in den Ersten Weltkrieg gezogen, auch unter Künstlern und Intellektuellen stand Lehrbrief vom 4. Juni 1917 zur bestandenen Gesellenprüfung (mit „sehr gut“) im Lithografenhandwerk. der Waffendienst damals hoch im Kurs. Nach dem Ende des großen Schlachtens krochen die Überlebenden einer ganzen 1920 ging der talentierte Grafiker, Generation traumatisiert aus den Schüt- ausgestattet mit zwei Bremer Stipen- zengräben. Henry Garde lehnte den Krieg dien, an die Akademie für Buchgewer- zutiefst ab. Bestärkt in seiner pazifisti- be und Grafik nach Leipzig, das da- schen Haltung wurde er u.a. durch Hein- mals die unangefochtene Metropole rich Vogeler (1872-1942), Mitbegrün- für Gestaltung und Druckkunst war. der der Künstlerkolonie in Worpswede. Wer sich heute das druckgrafische Vogeler war Sozialist, Utopist und ge- Werk Gardes ansieht, die Detailver- scheiterter Revolutionär. 1914 meldete sessenheit, die Akribie, mit der er sei- er sich freiwillig zum Kriegsdienst, geriet nen Motiven Leben einhaucht, den si- an die Ostfront und wandelte sich zum cheren Stil, die Perfektion im Perspek- Kriegsgegner. 1931 ging er, beeinflusst tivaufbau, der kann sich gut vorstel- durch bolschewistische Ideen, in die So- len, dass der junge Student ein sehr wjetunion, wo er als Deutscher nicht Fuß gelehriger fassen konnte. Er wurde deportiert und ler war. In einer Radierung aus sei- starb in der kasachischen Verbannung. nem Nachlass, die das Bremer Rat- Vogeler und Garde trafen 1919 aufein- haus zeigt, glaubt man, die Fugen von ander, als Garde Worpswede besuchte. jedem Stein zu erkennen. In Leipzig Sie wurden enge Freunde, die sich viel hatte Garde Kontakt zu sozialistischen bedeuten. Ob ihre Beziehung auch Gar- Gruppen. Bis 1924 war er Mitglied der des Hinwendung zum Kommunismus Kommunistischen Partei. Kriegsgeg- förderte, ist nicht gesichert. ner blieb er ein Leben lang. und erfolgreicher Schü- 27 Kecke Technik in denen er nicht lange verweilen konnte. Vom Expressionismus gelangte Arnold zur Henry Garde ließ sich in Bremen als selbst- Neuen Sachlichkeit, bis er sich dem Magi- ständiger Gebrauchsgrafiker nieder und schen Realismus zuwandte. hatte schnell Erfolg. Seine Plakate wurden in Ausstellungen gezeigt und mit Preisen Im Dritten Reich wurde Henry Garde we- ausgezeichnet. Auch sein nicht grafisches gen seiner sozialistischen und kriegsfeind- Werk wurde wohlwollend kommentiert. lichen Haltung drangsaliert. Die Gestapo „Eine neue Erscheinung ist Henry Garde, durchsuchte sein Haus, 1937 wurde er seine Aquarelle 88 und 86, und die Zeich- verhaftet, kam aber bald wieder frei. Er- nung 82 sind interessante Leistungen. Die neut musste er Kriegsdienst leisten, dies- kecke Technik macht Freude“, ist am 24. mal als Gefreiter und Unteroffizier bei der März 1924 in der Weser-Zeitung zu lesen. Luftwaffe. 1945 wurde er aus der Wehr- Zugleich riet der Rezensent: „Hüte er sich macht entlassen. Nach dem Scheitern vor falscher Manier und der Süße, welche seiner ersten Ehe heiratete Henry Garde aus anderen Blättern nicht mehr fern ge- 1940 Ella Keese, mit der er eine Tochter halten ist.“ bekam. Die Ehe hat bis zu seinem Tod gehalten. 1922 heiratete der aufstrebende Künstler Ilse Höhle, mit der er drei Söhne be- Zum Wesen der Dinge kam, darunter Henry Garde junior, der 28 ebenfalls ein erfolgreicher Grafiker und Schon während seiner frühen Künstlerjah- Maler wurde. 1923 beteiligte sich Gar- re stellte Henry Garde aus – und die Reso- de an einem Kunstwettbewerb, zu de- nanz war überwiegend positiv. „Und drü- ren Jury auch Dr. Ludwig Roselius (1874- ben auf der anderen Seite finden Sie Wer- 1943) gehört, Großunternehmer des Bre- ke eines jungen Bremer Künstlers: Henry mer Kaffee-Hag-Imperiums und Förde- Garde, der den Krieg an der Front miter- rer der Kunst. Henry Garde erhielt gleich lebt hat und der seine freien Arbeiten den zwei Auszeichnungen, sodass Roselius auf Mußestunden abringt, die ihm der Beruf den jungen Grafiker aufmerksam wurde. lässt. Gardes Bilder tragen eine ganz per- Er bat um ein Treffen, das den Beginn ei- sönliche Note. Sie sind beseelt von dem ner von großer Wertschätzung gekenn- Wunsch, zu dem Wesen der Dinge über zeichneten Beziehung markiert. Garde ar- das Phänomen, über die bloße Erschei- beitete nun für Kaffee Hag, 1932 wurde nung hinaus, vorzustoßen“ (Bremer Zei- er Chefgrafiker des erfolgreichen Unter- tung, 6. März 1935). Doch es gab auch nehmens. Künstlerisch war er damals von kritische Stimmen. „Henry Garde ist be- Christian Arnold (1889-1960) beeinflusst. kannt als guter Plakatzeichner. Er stellt Arnold gehörte zu jenen Männern, die der sich hier als Landschaftszeichner vor, Erste Weltkrieg schwer beschädigt hat- dessen Absichten ernst zu nehmen sind. te. Er war ein Ruheloser, der verschiede- Aber man spürt, er hat sich von der de- ne Kunstrichtungen wie Säle durchschritt, korativen Malerei noch nicht freigemacht. Die Farben stehen hart nebeneinander, das gilt besonders für die Stilleben. Das Zwischen-den-Dingen, Raum und Luft werden nicht spürbar“ (Bremer Zeitung, undatiert). Im Nachlass Gardes befindet sich ein Stillleben in Mokkatönen. Es zeigt eine glänzende Kaffeekanne und eine Kaffeetüte, aus der die Bohnen herausrollen. Fast meint man, den würzig-herben Duft zu riechen. Das Bild erzählt, wie jedes gute Stillleben, vom Innehalten, vom Leisesein, von der Besonderheit des Augenblicks und dessen Vergänglichkeit. Die Farben sind weich und fließen ineinander – festgehalten ist ein magischer Moment „zwischen den Dingen“. Doppelte Leidenschaft: Sein Interesse an Bernhardinerhunden hat Garde auch grafisch in zahlreichen Arbeiten umgesetzt. Signiert: „Brigitta von Brassenhof 8348. Bes: W. Meier, Hemelingen b. Bremen. Henry Garde 28“ Während der Künstler Garde sich in seinem Metier verfeinerte, ging draußen die Welt unter. Henry Garde und seine Frau wurden ausgebombt, sie flüchteten in die Nähe von Nienburg, wo sie das Kriegsende erlebten. Danach waren die Würfel gefallen. Garde wollte nicht zurück in die Stadt, sondern sich auf dem Land niederlassen, die Wahl fiel auf Wildeshausen. Das Alte bewahren In Schneverdingen hatte Henry Garde ein altes Bauernhaus entdeckt, in das er sich spontan verliebte. Das Fachwerkgebäude entsprach genau seinen Vorstellungen Typischer Garde, Zeichnung mit Wildeshauser Motiv: „Alte Bürgerhäuser in Wildeshausen 1940“. vom Leben und Arbeiten auf dem Land. Er übernahm den Grundriss und baute sich innerhalb von zwei Jahren sein Traumdo- Kriegsende vonstatten ging. „Mein Va- mizil an den Stadtrand von Wildeshausen. ter fuhr kein Auto, die Bahnanbindung Dort, am Katenbäker Berg, wohnt heute war schlecht“, sagt sie. Auch wenn es seine Tochter Elgin Garde. Sie weiß aus wieder Kaffee gab, herrschte noch viel- Erzählungen, unter welch schwierigen fach Mangelwirtschaft, Improvisations- Bedingungen der Hausbau kurz nach kunst war gefragt. Dennoch gelang es 29 xxx 30 Garde, sich eine Wohnstatt zu schaffen, Diele verzierte Garde einen Holzbalken die ihren einzigartigen Charme bis heu- mit einem Goethe-Spruch: „Tages Ar- te konserviert hat. Gleich über den Ein- beit, abends Gäste/saure Wochen, fro- gang malte der gesellige Künstler einen he Feste!“ Jeder einzelne Buchstabe plattdeutschen Spruch, der jene, die leuchtet so frisch, als sei er gestern auf- guten Herzens sind, hereinbittet. Wer gebracht worden. Das Zitat kennzeich- Böses im Schilde führt, so heißt es wei- ne ihren Vater gut, meint Elgin Garde. ter, möge aber draußen bleiben. In der „Er war ein sehr aufgeschlossener Mann, Während einer 16-tägigen Nordseefahrt im Jahr 1957 erhielt Garde zahlreiche Inspirationen für maritime Motive. der gerne Menschen um sich hatte und sehr für den Erhalt der historischen Alt- sehr gerne diskutierte.“ Zugleich sei es stadt eingesetzt. ihm ein Herzensanliegen gewesen, Geschichte, sowie Dinge, die Geschich- 1950 trat Henry Garde in die SPD ein, te erzählen, zu bewahren. „Er hat zum baute den Ortsverein in Wildeshausen auf Beispiel dafür gekämpft, dass das alte und führte ihn in den Stadtrat. Von 1956 Zollhaus nicht abgerissen wird“, weiß bis 1964 und von 1968 bis 1972 war er sie. Als Kommunalpolitiker habe er sich Mitglied im Rat der Stadt, von 1961 bis 31 Künstlertreffen reisten Maler, Bildhauer und Grafiker aus dem gesamten Nordwesten an. Zur Gründung der „Jungen Gruppe Oldenburg“ kamen Vertreter des Niedersächsischen Kultusministeriums und des Bundes Bildender Künstler Nordwestdeutschlands. Man tat sich zusammen, „um der gemeinsamen Zielsetzung einer zeitnahen Bildschöpfung durch engeren Zusammenschluss größere Stoßkraft zu geben“, wie die Bremer Nachrichten etwas gespreizt vermerkten (19. September 1951). Ob „Herbstliche Bilderlese“, „Sommerausstellung“ oder „Kunstschau in Wildeshausen“: Das Haus der Gardes war ein beliebter Treffpunkt für Kunstschaffende und Kunstinteressierte. Auch Elgin Garde kann sich noch an manche Geselligkeit erGardes Arbeiten der letzten Jahre tragen eine etwas schwermütigere Handschrift. Holzschnitt „Bauerngehöft“ von 1974. innern. Ihr Vater (der zudem in verschiedenen Vereinen aktiv war, darunter die Deutsche Philatelisten-Jugend, die Liedertafel 1848 Wildeshausen und der St. Bernhardsclub) habe gerne eingeladen – 1972 saß er für die SPD im Kreistag. 1969 übrigens nicht immer zur Freude seiner zeichnete ihn die Stadt Wildeshausen für Frau Ella, die zuweilen sehr kurzfristig da- sein langjähriges Engagement im Ehren- von unterrichtet wurde, dass wieder zahl- amt aus. 1970 wurde er Ehrenvorsitzen- reiche Gäste zu bewirten seien. der der Wildeshauser SPD. Einbaum und Ozeanriese Ein Treffpunkt für Künstler Henry Garde war in erster Linie Grafiker 32 Was die Kunst betraf, so wollte Gar- und Maler. Die Plastik lag ihm nicht so de sein Haus zu einer kulturellen Be- sehr, er nannte sich selbst einen „Nicht- gegnungsstätte machen. In zahlreichen Bildhauer“. Trotzdem schuf er auch Ausstellungen gab er namhaften und Plastiken, darunter 1967 das Objekt neuen Künstlern ein Forum, darunter „Aufwärts-voran“ für eine Nato-Wohn- Christian Arnold, Ernst von Glasow (1897- siedlung in Zeven. Das rund sechs Meter 1969), Willy Oltmanns (1905-1979) und hohe Monument aus Zement, Eisen und Heinrich Schwarz (1903-1977). Auch sein Kupfer zeigte eine Eisenmauer mit steil Sohn Henry Garde jun. und er selbst stell- in den Himmel ragenden Pfeilen, die den ten dort aus. Zu den von ihm initiierten Drang nach vorn symbolisieren sollten. Henry Garde verzierte einen Balken in der Diele seines Hauses auf dem Katenbäker Berg mit dem Spruch von Goethe: „Tages Arbeit, abends Gäste/saure Wochen, frohe Feste!“ Man muss diese Art Skulptur heute nicht Zivilisation (...), alles wird im Bilde fest- mehr mögen. Sie unterstreicht aber die gehalten und druckreif geliefert. Täglich große Vielseitigkeit, mit der dieser Mann entstehen 6 Zeichnungen, das bedeutet begabt war. Einmal erhielt er den Auftrag, 12 Stunden harter Arbeit; allerdings ver- ein rund 1.300 Seiten starkes Schülerle- sicherte Henry Garde: ,Was ich bei Dü- xikon zu illustrieren. Etwa 1.500 Zeich- rer an Zeit versetze, kann ich bei Picas- nungen und bunte Tafeln fertigte Garde so wieder herausholen’“ (nicht datiert). an, die den Anschauungswert des 1953 „In der Arbeit war er impulsiv und folgte im Hans-Witte-Verlag (Freiburg) erschie- seinen Neigungen. Er gab manche Arbeit nenen Buches erhöhen sollten – eine im- auf, begann neu oder ließ sie liegen, und mense Fleißarbeit. Die Nordwest-Zeitung setzte sie oft sehr viel später fort (...). machte einen Hausbesuch und war be- Er arbeitete schnell und mit sehr ge- eindruckt: „Der erste Pflug entstand – in ringem Aufwand. Von seinen Arbeiten der Zeichnung – am selben Tag wie der trennte er sich leicht. Ordnen und Sam- Mähdrescher. Spielzeug, Handwerkszeug, meln, Systematisieren und Theoretisie- Höhlen und Wolkenkratzer, Ikone und ren lag ihm weniger. Anregbar, gesel- Dome, Waschlappen und modernste Ba- lig, der Lebensfreude zugewandt und in deeinrichtungen, Einbaum und Ozeanrie- der Berufsarbeit oft unter Zeitdruck war se, Bergwerk und Flugzeug, Kultur und sein Sinn, auch kunstbereit, stets auf 33 Skizzenblock ein, nahm sein Rad, mietete sich in einem Hotel ein und zeichnete jene Welt, die sich ihm auf seinen Streifzügen offenbarte. Als junger Mann war er fasziniert von alten Stadtbildern und urbanen Winkeln, als älterer Künstler war die niederdeutsche Landschaft mit ihrer Weite und ihren windgeduckten Bäumen ein Thema, das sich für ihn nie erschöpfte. Platz für Jüngere Zweimal machte Henry Garde in seinen Wildeshauser Jahren eine Ausnahme von der selbst gewählten Reise-Abstinenz: 1957 ging er mit dem Heuerschein eines Leichtmatrosen an Bord des Fischdampfers „Alexander von Humboldt“ und hielt Auch den Kamin seines Hauses gestaltete Henry Garde kunstvoll mit einem „Hauswappen“, in dem sich ein Bernhardiner befindet. während der sechzehntägigen Nordseefahrt die Arbeit der Fischer und die Launen der meist stürmischen See fest. Ein Aquarell, das er damals malte, zeigt die Männer in ihren schweren Öljacken, wie das Gegenwärtige gerichtet“, schreibt Dr. sie die vollen Netze ins Boot hieven. Karl Veit Riedel, ehemaliger Oberkustos Mit wenigen feuchten Pinselstrichen am Landesmuseum Oldenburg, über den gelang es Garde, den Charakter der Künstler (Riedel: „Henry Garde“, Isensee silbrigen Fischschuppen mit ihrem ty- Verlag Oldenburg, 1980). Auch Elgin Gar- pischen Metallglanz festzuhalten. Ob- de erinnert sich an einen fleißigen Vater, wohl Autodidakt in der Malerei, verfüg- den sie als Kind durchaus bei der Arbeit te er über großes künstlerisches Ge- stören durfte. Oft war er mit mehreren schick, das ihn nach Ansicht von Karl Projekten gleichzeitig beschäftig. Dass es Veit Riedel vor zu glatter Vollendung nichts zu tun gab, kam bei ihm nicht vor. bewahrte: „Nur durch die volle Beherr- Und dann waren da ja noch die Bernhar- schung der Mittel wahrte er die Grenze diner (einmal hatte die Familie drei Hun- des Allzuverständlichen.“ de gleichzeitig), die Hühner, Schafe und 34 der Garten. Anders als viele seiner Künst- 1968 verbrachte Henry Garde eine lerkollegen reiste Henry Garde nicht gern arbeitsintensive Zeit in den Nieder- und wenn, dann bevorzugte er nahe Zie- landen. Viele Jahre später reiste El- le. „Ich mache Urlaub in Dötlingen“, sag- gin Garde auf den Spuren ihres Vaters te er beispielsweise. Er packte den dorthin. In einem Hotel in Giethorn, in So war Henry Garde in Wildeshausen bekannt: Fröhlich, aufgeschlossen und freundlich. dem auch er während seines Aufent- 1970, so schreibt Karl Veit Riedel, trat halts gewohnt hatte, entdeckte sie ein Henry Garde von all seinen politischen Bild, das eindeutig von ihm stammte. Ämtern zurück, um Jüngeren Platz zu Es kommt gelegentlich vor, dass man machen. Doch war dieser Rückzug wohl sie in Kunsthandlungen auf seine Wer- nicht frei von Wehmut. Als alter Mann ke hinweist. Manchmal kauft sie die habe ihr Vater zuweilen in sich gekehrt Bilder zurück. Auch in ihrem Eltern- gewirkt, erinnert sich Elgin Garde. Sein haus hat der Vater als Künstler sei- Haus war nicht mehr das Epizentrum nen Platz behalten. Die Arbeiten der der kulturellen Szene, andere Künstler letzten Jahre tragen eine schon etwas rückten nach. In seinem letzten Lebens- schwermütige Handschrift. „Alter Fluß- jahr musste er mehrmals ins Kranken- arm im Winter“ (1976) z.B. zeigt eine haus. Am 27. Oktober 1977 starb Hen- melancholisch wirkende Schneeland- ry Garde. Er wurde unter großer Anteil- schaft. „Im Moor“ (1976) beugen sich nahme auf dem Wildeshauser Friedhof die Zweige der Birken einem heftigen beigesetzt. Denen, die ihn kannten, wird Wind. Aber bis zum Schluss arbeitete „seine stattliche Gestalt, sein lebhaftes, Henry Garde seine Motive zeichnerisch freundliches Temperament und seine le- durch, ist sein Strich sicher und ele- bensbejahende Vielseitigkeit“ (Riedel) in gant zugleich. Erinnerung geblieben sein. 35