WOCHENENDE Atlantic - Neue Zürcher Zeitung
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WOCHENENDE Atlantic - Neue Zürcher Zeitung
Ulme ,3iird)cr WOCHENENDE Mittag .Uli Strand von Atlantic City, WO steh Samsiag.Sonm.iB. lü./N'. Oktober 1977 Nr. 2-12 75 früher der A'c'iv Yorker Geldadel von der Sonne bescheinen liess, herrscht heute permanenter JohrniurKtibetrieb; die Schaubuden wachsen sogar weit ins Meer hinaus Atlantic City. Las Vegas Ost (Photos) r Von Peter Figlestahler (ZT?.) und WlHy Spille Noch ist in dem einst berühmtesten amerikanischen Badeort Atlantic City, knapp zweieinhalb Autostunden südlich von New York gelegen, eigentlich nicht sehr viel davon zu sehen, dass er schon Ende kommenden Jahres zu einem zweiten Las Vegas werden soll. Noch gleicht die Stadt, die bis Anfang der sechziger Jahre bevorzugte Sommerresidenz des New Yorker Geldadels gewesen war, eher einer vergammelten Geisterstadt. Die pompösen Hotels um Badestrand, einst im Zuckerbäckerstil und nach Art von Cecil B. DeMille erbaut, sind weitgehend heruntergekommen und stehen halbleer. Auf dem legendären Boardwalk, mit sechs Meilen noch immer die längste Uferpromenade in der westlichen Welt, flanieren allenfalls noch alte Leute, Minderbemittelte und Kinder, schläfrig, dösend, am Schicksal von Atlantic City total desinteressiert. Wie viele Städte im Nordosten der Vereinigten Staaten ist auch Atlantic City nicht von der urbanen Unwirtlichkeit verschont geblieben, die dort in den letzten fünfzehn Jahren unaufhaltsam um sich griff. Pornokinos, Schaubuden und «billige» Schnellimbisslokale haben die wohlhabenden Touristen aus Atlantic City vertrieben. Als marktschreierische Reklameflächen, lautes Jahrmarktsgetingcl und die zumeist Gestank verbreitende Hot-Dog- und Hamburger-Kultur in rd e Stadt Einzug hielten, haben die Reichen dem ehemaligen Deauville der nordamerikanischen Atlantikküste den Rücken gekehrt und es damit dem Verfall preisgegeben. Kleintheater, Kinos, Zirkus und Schaubuden sorgen für Unterhaltung. Die pompösen Hotels am boaräwalk stehen heute halbUei Atlantic City gleicht heute einem deprimierenden Ghetto. Armut und Arbeitslosigkeit sind eklatant. Rund ein Drittel rd e noch Bewohner, vornehmlich Schwarze und Puertoricaner, le000 43 ben von der Fürsorge; die Arbeitslosenrate ist mit 22 Prozent dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt, wenn nicht effektiv noch höher. Aber nun soll sich die Situation des verfallenen Badeorts zum Besseren wenden. Im vergangenen November haben sich die Bewohner des US-Bundesstaats New Jersey, zu dem missglückten auch Atlantic City gehört, in einem nach mehreren Einführung Versuchen endlich positiven Volksentscheid- für die ausgesprochen. von Kasinos und Spielsalons Entscheidung einige Wie nicht anders zu erwarten, hat diese Machtkämpfe hinter den Kulissen bewirkt. Jeder möchte an der Riesige Kasinoneuen Prosperität von Atlantic City teilhaben. konzerne und Unterhaltungsunternehmen haben inzwischen Millionenbeträge für die alten Hotels angeboten, die deren momentanen Wert bei weitem übersteigen. Natürlich hat auch die New Yorker Unterwelt schon ihre Ansprüche angemeldet, auch wenn diese nicht offen und öffentlich formuliert worden sind. Doch es ist kein Geheimnis, dass sogenannte Mafiakreise die Lobby für ein zweites Las Vegas jahrelang mitfinanzierten. Trotz strikten neuen Spielgesetzen und Regulierungen seitens rd e New Jerseyer Landesregierung wird es wohl unvermeidlich sein, dass sieh das organisierte Verbrechen eines Teils- von Atlantic City bemächtigen wird. Allein schon unter diesem Aspekt erscheint es recht fraglich. ob Atlantic City tatsächlich zu seinem früheren Glanz zurückgelangen kann. Auch gibt es. wie amerikanische Experten erklären, keine Garantie dafür, dass das gepinnte Las Vegas Ost so zahlreiche Besucher wird anlocken können, wie sie nötig wären, rund zwanzig an der Zahl um alle vorgesehenen Kasinos zu füllen. Nachbarstaaten von New Jersey, New York vor allem und Pennsylvania, tragen sich neuerdings zudem mit dem Gedanken, in ihren Grenzen ebenfalls Spielkasino* zuzulassen, die jahrzehntelang verboten waren. Anderseits hat Atlantic City kaum eine andere Chance, als eben alles auf eine Karte zu setzen. Andernfalls ist die Stadt, ein trauriges Kapitel amerikanischer Urbankultur, sicherlich dem Untergang geweiht. Unzählige Restaurants und Schnellimbissstätten säumen n d e legendären Boardwalk, Leuchtschriften werben für Produkte und Attraktionen. Neue Zürcher Zeitung vom 15.10.1977