klassiker
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Noch ein g-ladener VW www.autobild.de/go/corrado VW Golf gti g60 Der irre G-Lader klassiker mit Aufladung Kurz vor der Rente macht VW dem „Zweier“ noch mal Druck: Dank G-Lader rockt es im Golf nun richtig. Beeindruckend: die Elastizität. Der GTI G60 erreicht fast Werte wie der – Achtung, kein Witz – BMW M5! Es riecht immer noch nach Golf. Und es fühlt sich immer noch so an. In einen „Zweier“ einzusteigen, das ist fast wie Klassentreffen in der alten Schule. Erinnerungen kommen hoch. Nur dass im Falle des G60 vorn nicht mehr das Schulorchester fiedelt, sondern eine Heavy-Metal-Combo loslegt. Endlich rockt es unter der Haube des braven Musterschülers mal so richtig! Dank G-Lader kann er jetzt alle jagen, die ihm auf der Autobahn nie Platz gemacht haben. 160 PS sind 1990 eine Ansage, erst recht in der Kompaktklasse. Leistungskurve, Drehmoment und Beschleunigungswerte ähneln denen des 325i von BMW – obwohl der eine ganze Liga höher spielt und selbst dort noch als Referenz in Sachen Sportlichkeit gilt. Die Freude am Fahren ist bei VW indes einige Tausender billiger zu haben. 35 650 Mark sind trotzdem eine Menge Holz, vor allem für einen Golf, schließlich steht der kleine Bruder mit CLTypenschild und 55 PS schon mit 17 460 Mark in der Preisliste. Dass der Golf einem BMW aufs Blech rückt, beeindruckt zwar, ist für die GTI-Jünger damals aber gar nicht so entscheidend. Viel wichtiger: Der gebührende Abstand zum Erzrivalen Opel ist durch den G60 wieder hergestellt. Schließlich hatte sich der Kadett erdreistet, ein Denkmal vom Sockel zu stoßen. Otto . Foto: R. Rätzke Der G60 bietet rauen Charme wie die Weiten Schleswig-Holsteins. Für beide gilt: Es kann stürmisch werden 38 www.autobild-klassik.de | Nr. 2 · Februar 2014 Februar 2014 · Nr. 2 | www.autobild-klassik.de 39 Willenbockel, Chef der Motorenentwicklung bei Opel, konstruierte in Rüsselsheim sein Meis terwerk: den Zweiliter-16V, mit dem der Kadett dem Golf davonfuhr. Denn anders als sein Vorgänger ist der GTI II zu Beginn seiner Karriere längst nicht mehr wild und unvernünftig – das sind allenfalls noch seine Fahrer. Kat und Konkurrenz machen ihm schwer zu schaffen. Durch die Verdoppelung der Ventilzahl schwimmen sich die Wolfsburger zwar wieder frei. Doch das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Da trifft es sich prima, dass ein schon vor Jahren entwickelter Spirallader fertig im Regal liegt. Glück für VW, Pech für Opel. Denn Kadett-Fahrer ereilt von nun an das gleiche Schicksal wie seit einigen Jahren die Fußballfans des Revierclubs Schalke 04: Sie bleiben der ewige Zweite. Als VW den Rallye-Golf lanciert, reiben sich Fans verwundert die Augen, denn die breiten Pausbacken stellen selbst die Kotflügel eines Delta Integrale in den Schatten. VW hatte sich den Italiener doch nicht wirklich als Konkurrenten auserkoren? Ziviler kam der GTI G60 daher, wenngleich auch er sich, bedingt durch die 15-Zoll-Reifen, etwas mehr aufplusterte als seine schwächeren Brüder. Doch im Gegensatz zum Rallye-Golf behielt er jenes Understatement, das von Anfang an sein Markenzeichen war. Der dezente Auftritt findet in gewissen Kreisen jedoch wenig Anklang. Die Tiefer-breiter-härter-Fraktion findet auch im G60 ein wehrloses Opfer. Wer sich heute auf die Suche begibt, gewinnt den Eindruck, als hätten die Fahrer damals alles geordert, was der D&W-Katalog hergab. Andere fühlen sich berufen, die Motorleistung ihres Golf auf das Niveau eines Porsche 911 zu hieven. Zugute kommt ihnen dabei, dass sich der G-Lader leicht tunen lässt – Fluch und Segen zugleich, denn im gleichen Maß, wie die PS-Zahl steigt, sinkt seine Lebensdauer. Rasch handelt sich der Spirallader daher den Ruf ein, anfällig zu sein. Dabei halten originale oft länger als 200 000 Kilometer. Und eigentlich muss gar keiner an der Leistungsschraube dieses Motors drehen. Vor allem beim Zwischenspurt glänzt der G60 mit herzhaftem Durchzug, eine Folge des fülligen Drehmoments. Von 80 auf 120 km/h zoomt er sich im fünften Gang in 11,6 Sekunden – und ist damit gerade mal zwei Zehntel langsamer als ein 315 PS starker BMW M5! Autofahrer sehen daher von ihm auch heute häufig nur das Heck, auf dem neben dem G60Emblem die bekanntesten drei Buchstaben der Autobranche prangen: GTI. Tatsächlich ist es vor allem die enorme Elastizität, die dem Fahrer nachhaltig in Erinnerung bleibt. Der Golf schiebt so kräftig wie die späteren TDI – jedoch mit dem Vorteil, dass praktisch kein Turboloch zu spüren ist, oder besser gesagt: kein G-Loch. Auch ist die Freude nicht von kurzer Dauer, so wie bei den Dieseln, denn der Druck endet erst jenseits von 6000 Touren – wobei das letzte Drittel für besondere Glücksgefühle sorgt. Ab etwa 4500 Touren legt der G60 noch mal richtig zu. Man kann hier also beides haben: gemütliches Bummeln im fünften Gang, bei 80 drauftreten und den nachhaltigen Druck im Rücken spüren. Oder am Rand des roten Bereichs das Lasso nach den letzten Pferdestärken auswerfen. Selbst im Stau kommen G60-Treiber noch auf ihre Kosten, schließlich dringt auch im Leerlauf dieses unnachahmliche Ladergeräusch aus dem Motorraum ans Ohr, das zwar nicht recht zu definieren ist, aber perfekt zum Klang des Sportauspuffs passt. Kenner hören jedenfalls sofort, wenn ein G60 auf den Hof rollt. Nicht unerwähnt bleiben soll die Tatsache, dass der G60 als Edition One-Version, wie hier gezeigt, keinen Golfball als Schaltknauf besitzt – womit bewiesen wäre, dass nicht überall GTI drin steckt, wo GTI draufsteht. Trotzdem greift der Fahrer gern zum Hebel, der butterweich durch die Kulisse des Fünfganggetriebes aus dem Passat schlüpft – sofern der Fahrer den Hebel exakt führt. Die serienmäßige Servolenkung dagegen verlangt – aus heutiger Sicht überraschend – eine zupackende Hand. Immerhin ergibt sich so wieder dieses Gefühl des ursprünglichen Autofahrens, genauso wie damals zu Schulzeiten. Der G60 war wie die Abi-Party: Das Beste kam zum Schluss. Hinrich Blume 40 www.autobild-klassik.de | Nr. 2 · Februar 2014 Sportlich, sportlich: Der Tacho stapelt zu hoch, aber echte 219 km/h Spitze sind 1990 in einem Kompaktwagen auch nicht zu verachten. Serie: Doppelrohrauspuff, Fünfganggetriebe und beim „Edition One“ Recaro-Sitze Letztlich auch bloß ein Golf: Innen gibt sich der G60 betont sachlich. Bedingt durch das vom Passat übernommene Fünfganggetriebe wurden allerdings ein größerer Mitteltunnel und eine andere Mittelkonsole benötigt. Apropos anders: Der Golfball, eigentlich Inbegriff der GTI-Folklore, fehlt hier. In der „Edition One“ sind Schaltknauf, Handbremsgriff und Lenkrad aus Leder Fotos: R. Rätzke (5) klassiker mit Aufladung VW Golf gti g60 Februar 2014 · Nr. 2 | www.autobild-klassik.de 41