Wolfsrudel gegen Tiger
Transcrição
Wolfsrudel gegen Tiger
MEINUNG WOCHENENDE 17./18./19. JUNI 2016, NR. 115 GRÜNE WIRTSCHAFT & POLITIK „Belgien ist eine wunderschöne Stadt und ein herrlicher Ort.“ Heikle Macht Donald Trump I n dieser Gemengelage sieht nieDie Asyl-Blamage mand gut aus. im Bundesrat Nicht die Bundesregierung, nicht schadet allen die Grünen als Beteiligten, warnt Zünglein an der Waage im BundesSilke Kersting. rat. Am heutigen Freitag will die Länderkammer das schwarz-rote Gesetz durchbringen, das die drei Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern erklären soll. Diese Rechnung hat die Regierung jedoch lange Zeit ohne die Grünen gemacht – was ihr jetzt auf die Füße fällt: Denn im Bundesrat gibt nicht mehr die Große Koalition den Ton an, sondern die Grünen – und die sind aufgrund von Bedenken über die Menschenrechtslage in diesen Ländern mehrheitlich gegen das geplante Gesetz. In zehn Bundesländern reagieren die Grünen mit; ohne die Zustimmung wenigstens einiger dieser Länder bewegt sich im Bundesrat gar nichts. Die Bundesregierung indes ließ trotzdem, wenig professionell, die Diskussion laufen. Erst am vergangenen Wochenende begann sie hektisch mit den Bundesländern ins Gespräch zu kommen. Dass die Grünen darüber verärgert sind, dürfte Union und SPD nicht wundern. Die Frage lautet jetzt: Was folgt daraus? Lassen die Grünen die Regierung auflaufen? Wird der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat angerufen? Oder wird das umstrittene Gesetz noch am Freitagmorgen schnell von der Tagesordnung genommen, um es auf die nächste Sitzung im Juli zu schieben? Dafür spricht einiges. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würde eine allzu offensichtliche drohende Asyl-Blamage erspart, es bliebe zudem Zeit, die Grünen von dem Gesetz zu überzeugen, beziehungsweise es an Rückführungsbedingungen zu knüpfen, die der Partei eine Zustimmung erleichtern würden. Denn die Grünen wissen: Die Asyl-Blockade ist eine zweifelhafte Strategie. Denn die Partei steht gerade in der Öffentlichkeit als der große Blockierer eines Gesetzes da, das auch dazu beitragen soll, verunsicherte Menschen zu beruhigen und neue Zuwanderer aus dem Maghreb abzuschrecken. Bei der Debatte darf nicht vergessen werden, dass der Anlass für das Gesetz die Übergriffe zu Silvester am Kölner Hauptbahnhof waren, bei denen Frauen von Männergruppen sexuell massiv bedrängt, gar vergewaltigt worden waren. Viele der Beschuldigten waren nordafrikanischer Herkunft. Für die Grünen ist das Thema aber auch aus einem anderen Grund heikel. Schließlich vergrätzt die Partei zwei potenzielle Koalitionspartner im Bund. Für die SPD ist das Thema zwar keine Herzensangelegenheit, sie ist von einer Niederlage aber dennoch betroffen. Die Union dagegen ist schwer verärgert – trotz ihre Mitschuld am Asyl-Debakel. Niemand weiß das besser als der grüne badenwürttembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der, wie auch immer er im Bundesrat entscheidet, seinen Koalitionspartner CDU längst vor den Kopf gestoßen hat. Die Autorin ist Korrespondentin in Berlin. Sie erreichen sie unter: [email protected] WOCHENENDE 17./18./19. JUNI 2016, NR. 115 15 „Unsere Kinder und Enkel könnten uns möglicherweise verfluchen, weil wir Europa nicht zusammengehalten haben.“ „Wenn wir unsere Beziehungen auf lange Sicht und von einem breiten Gesichtspunkt aus betrachten, ist es erforderlich, solche temporären Probleme beiseitezulegen und sich auf unsere strategischen Ziele zu konzentrieren.“ Sigmar Gabriel Recep Tayyip Erdogan SPD-Chef, über einen möglichen Brexit türkischer Präsident, zum angespannten Verhältnis zur EU action press US-Präsidentschaftskandidat, beweist mangelnde Geografiekenntnisse LEITARTIKEL KRIMINALITÄT Kapitulation vorm Feind Gescheiterte Hoffnungen Moskau sollte seine Abkehr vom Westen überdenken, meint Mathias Brüggmann. D er große Reichtum, den das Reich der Mitte Russland bringen sollte, ist in Moskau bisher kaum angekommen. Einzige Ausnahme sind Menschen wie Leonid Michelson, der in der Geldrangliste des Magazins „Forbes“ nun als Russlands reichster Mann rangiert. Geschätztes Vermögen: 14,4 Milliarden Dollar. Das hat er auch dank guter Geschäfte seiner Konzerne Novatek (Gas) und Sibur (Chemie) mit Chinas Energieriesen eingefahren – wenngleich bisher noch kein Gramm Flüssiggas von der sibirischen Eismeerhalbinsel Jamal in China angelandet wurde. Aber immerhin sind Michelsons Firmen erfolgreich im China-Geschäft. Das können andere russische Unternehmen kaum von sich behaupten – und so fiel der beiderseitige Handel voriges Jahr mit 63,6 Milliarden Dollar sogar um 28 Prozent niedriger aus als 2014. Dabei hatte Kreml-Chef Wladimir Putin nach Verhängung der westlichen Sanktionen im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim und Moskaus Unterstützung der ostukrainischen Separatisten 2014 großspurig verkündet, sein Land sei auf den Westen gar nicht angewiesen und sei durch die enge Partnerschaft mit China keineswegs isoliert. Doch Putins Wende ostwärts ist bisher weitgehend ein Rohrkrepierer. Ökonomisch rechnen sich große Gaslieferabkommen des vom Kreml kontrollierten Konzerns Gazprom keineswegs. Ein geplantes chinesisches Autowerk in Russland scheiterte an Pekings Vorstellungen, die Arbeitskräfte gleich mitbringen zu wollen, während Moskau auf neue Jobs hoffte. Dafür kommt nach BMW und VW nun auch Daimler mit einer Kfz-Produktion nach Russland. Russische Bankchefs klagen darüber, dass chinesische Finanzierungspläne viel größer angekündigt als umgesetzt würden. In der Folge sind von 116 Milliarden Dollar, die China im vorigen Jahr im Ausland investiert hat, gerade einmal 794 Millionen zum flächenmäßig großen Nachbarn geflossen, 0,7 Prozent. Strategische Partnerschaften oder gar ein geopolitischer Kurswechsel sehen anders aus. Doch Putins Strategie gegen die angebliche Einkreisung durch den Westen ist auch an anderen Fronten gescheitert: Wollte Russland sich noch vor einem Jahr mit Hilfe der Türkei von seiner Abhängigkeit von der EU beim Erdgas befreien, so sind Moskau und Ankara heute tief verfeindet. Mit den rivalisierenden Petro- staaten der arabischen Welt, um die sich Putin nach dem Bruch mit dem Westen verstärkt bemüht hatte, verschlechterten sich die Beziehungen drastisch seit Russlands Militärintervention in Syrien. Indien zeigt ebenfalls wieder deutlich mehr Interesse an einer Kooperation mit Europa und den USA. Lateinamerikas Liebe zu Putin steht auf dem Spiel, seitdem Brasilien ins Straucheln geraten ist und von Argentinien bis Venezuela reihenweise Regierungen kippen. So zahlt Russland einen hohen Preis für seine Außenpolitik und sein militärisches Engagement in der Ukraine und in Syrien. Europa ist also gut beraten, in seiner Russland-Politik konsequent zu bleiben, nicht nervös umzulenken und die in ihrer Wirkung erst mittelfristig funktionierenden Instrumente wie Sanktionen sich entfalten zu lassen. Ein Dialog mit Russland als größtem Nachbarn und Rohstoffreservoir vor der Haustür Europas ist notwendig, alle Gesprächskanäle zuzuschütten zeugt nicht von Weitsicht. Aber einem so entschlossen in die Sackgasse marschierenden Anführer wie Putin muss Europa mit Geschlossenheit, Entschlossenheit und Prinzipientreue entgegentreten. Dabei hilft vielleicht auch der Hinweis, dass Russlands Handel mit den EU-Staaten mit 209,6 Milliarden Euro im Jahr 2015 aller russischen China-Rhetorik zum Trotz mehr als dreimal so hoch ist. Russlands vermeintliche Abwendung von Europa ist nichts anderes als Drohkulisse, und was hinter den Kulissen liegt, ist seit den Potemkin‘schen Dörfern bekannt. Natürlich kann kein vernünftig denkender Mensch an einem schwachen und in inneren Konflikten zerbröckelnden Russland interessiert sein oder an einer schleichenden Übernahme des Riesenreichs und seiner Ressourcen durch China. Doch es war Putin, der sein Land entgegen besserem Wissen bis heute nicht aus seiner Rohstoffabhängigkeit, der Vorherrschaft von Staatskonzernen und immer mehr Bürokratie und Korruption geführt hat. Den daraus folgenden wirtschaftlichen Niedergang versucht er durch überhartes Auftreten, die Annexion der Halbinsel Krim, die einseitige militärische Einmischung in Syrien und russische Soldaten in der Ostukraine zu übertünchen. Europa braucht Dialog und Kooperation mit Russland – aber dazu gehören immer zwei. SIERENS WELT Putins Wende ostwärts ist bisher weitgehend ein Rohrkrepierer. Ökonomisch rechnen sich die Gaslieferungen des staatlichen Konzerns Gazprom keineswegs. © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. Der Autor ist International Correspondent. Sie erreichen ihn unter: [email protected] Wolfsrudel gegen Tiger R aten Sie mal, wie viele Menschen im vergangenen Jahr weltweit in DisneyParks waren? 138 Millionen. Tendenz leicht steigend. Beeindruckend, die Softpower der amerikanischen Kultur. Von Micky Maus über den sprechenden roten Rennwagen „Lightning McQueen“, der schon Dreijährige fasziniert, bis hin zu „Frozen“, dem erfolgreichsten Animationsfilm aller Zeiten, einer Adaption von Hans Christian Andersens Märchen die Schneekönigin. Disney prägt die Welt. China hingegen hat dem noch fast nichts entgegenzusetzen. Allerdings kommen immer weniger Besucher in den Hongkonger Disney-Park, den bisher einzigen Park in China. Minus 9,5 Prozent im Jahr 2015, während die lokalen Parks boomen. Disney hat jedoch trotz des rückläufigen Trends gestern in Schanghai den ersten Park auf dem chinesischen Festland eröffnet. An diesem Park wird sich zeigen, wie durchsetzungsfähig die amerikanische Erlebnisparkkultur in Asien noch ist. Denn auch die beiden Parks in Japan, dem zweiten Disneystandort in Asien, ziehen immer weniger Besucher an. Die winkende Micky Maus und die Prinzessin Elsa mit magischen Kräften werden in China nicht überall mit offenen Armen empfangen. Einigen chinesischen Politikern passt es gar nicht, dass der Rivale USA sich mit seiner verführerischen, alles beherrschenden Softpower in die Herzen der Chinesen schleicht. Sie hätten allerdings nichts dagegen, würde China über die gleiche Softpower verfügen. Nun will ein chinesischer Unternehmer die amerikanische Dominanz brechen: Wang Jianlin, Gründer der Wanda-Gruppe, die in China die größten Filmstudios der Welt baut und weltweit Chinas Angriff auf Disney zeigt: Es braucht mehr Wettbewerb um globale Softpower, sagt Frank Sieren. die meisten Kinos besitzt, darunter die zweitgrößte Kette in den USA. Der reichste Mann Chinas polterte kürzlich, dass Disney „in China nichts zu suchen“ habe. Sein Konzern werde Disney schon bald „besiegen“. Wang ist dabei, seinen Immobilienkonzern in einen Unterhaltungskonzern umzubauen. Bereits drei Vergnügungsressorts, ähnlich groß wie das Disneyland in Schanghai, betreibt Wanda in China. 15 bis 20 weitere sollen in den nächsten fünf Jahren folgen: „Ein Tiger kann niemals ein Wolfsrudel besiegen“, sagt Wang. Es ist das erste Mal, dass Disney von einem Wettbewerber aus einer anderen Kultur so umfassend angegriffen wird. Um zu Disney global aufzuschließen, will Wang nicht warten, bis er sich in China durchgesetzt hat. Er expandiert gleichzeitig nach Europa, einer Weltregion, in der die Menschen ebenfalls offen für eine Alternative zu Disney sein könnten. Allerdings ist der Disney-Park auch auf dem alten Kontinent mit zehn Millionen Besuchern pro Jahr der Platzhirsch. Tendenz ebenfalls steigend. Der nächstgrößte Park, der Europa-Park Rust bei Freiburg, hat nur halb so viele Besucher. Wang versucht es dennoch. Im Februar hat er den Bau der EuropaCity, eines drei Milliarden Dollar teuren Vergnügungsparks am Flughafen Charles de Gaulle, verkündet. Er soll 2024 eröffnet werden. Dann tritt der Panda-Bär erstmals auf neutralem Gelände gegen Micky Maus an. Doch welche chinesischen Figuren können es bis dahin mit Lightning McQueen und Prinzessin Elsa aufnehmen? Der Autor gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit über 20 Jahren in Peking. Sie erreichen ihn unter: [email protected] W as hat Thomas de Maizière da nur geritten? Der Vorschlag des Innenministers, bewaffnete Hilfspolizisten auf Streife gegen organisierte Einbrecherbanden zu schicken, kann bei der verunsicherten Bevölkerung nur als Kapitulationserklärung vor einem übermächtigen Feind ankommen. De Maizière ist gut darin, das Vertrauen in die Sicherheitskräfte zu untergraben. So jüngst auch mit seiner Empfehlung, jeder Bürger müsse aufpassen, ob sein Nachbar sich radikalisiere. Dann werde auch die Terrorgefahr sinken. Sicherheit ist aber vorrangige Aufgabe des Staates, nicht des Bürgers. Und das Vertrauen in den wehrhaften Rechtsstaat ist angesichts der Welle von Wohnungseinbrüchen, der zunehmenden Übergriffe auf Frauen, der Hooligan-Gewalt und der Terrorbedrohung immer weiter gesunken. Die Mängel sind seit langem bekannt: Schwächen bei der Polizeiausbildung, Hürden bei der Kooperation der Strafverfolger in den Bundesländern, nicht kompatible Computersysteme. Hier anzusetzen, das wäre die Aufgabe von de Maizière und seinen Länderkollegen. Genau so, wie für ausreichend Personal zu sorgen. Und da der Bundesinnenminister hier offensichtlich noch Handlungsbedarf sieht, ist es seine Aufgabe, bei den Finanzministern von Bund und Ländern für zusätzliche Mittel und Ausbildungskapazitäten zu werben. Wenn er nun auf schlechter bezahlte „Hilfssheriffs“ setzt, macht er es sich zu leicht. Und er liefert all jenen eine Steilvorlage, die ohnehin das Gefühl haben, besser selbst für Recht und Ordnung sorgen zu können. Die Bürgerwehren, die Anwohner vor der vermeintlichen Gefahr aus dem Flüchtlingsheim schützen wollen, sollten Warnung genug sein. Und auch private Sicherheitsdienste, deren Personal nicht immer unbedingt Vertrauen einflößt, haben wir schon genug in Deutschland. Solchen Tendenzen lässt sich sicher nicht begegnen, indem die Politik selbst eine Art Bürgerwehr gründet und ihr mit Uniform einen offiziellen Anstrich gibt. Zumal ja selbst die „echte“ Polizei ein zunehmendes Autoritätsproblem hat. Das Gewaltmonopol gehört in die Hände von gut ausgebildeten und trainierten Polizisten. Und nicht von Hilfssheriffs, die gegen organisierte Banden nur den Kürzeren ziehen können. Innenminister de Maizière stellt leichtfertig das Gewaltmonopol infrage, sieht Frank Specht. Illustration: Max Fiedler 14 Der Autor ist Korrespondent in Berlin. Sie erreichen ihn unter: [email protected]