MitOstmagazin
Transcrição
MitOstmagazin
03.09.2003 12:55 Uhr Seite 1 MitOst Nr. 11| Mai 2003 MO NR.11|03_PDF VERSION Werte Liebe, Moral in Ost und West (Seiten 16 – 29) Wirken Interview mit dem Schriftsteller Alexander Ikonnikow Warten Im Laufe von Zeitlichkeit: eine Bergarbeiterliebe Wunden Jakes. Ein guter Ort (Seiten 4/5) (Seite 32) Wichtig MitOst-Festival in Pécs Weite (Seite 28) (Seite 13) Begegnungen mit dem Buddhismus in Burjatien (Seiten 34/35) Mitteilungen des MitOst e.V. – Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-, Ost- und Südosteuropa – gegründet von ehemaligen Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung ISSN 1610-6598 MitOst magazin MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 2 EDITORIAL INHALT Liebe Leser, Inhalt MitOst - Projekte im Jahr 2003 Frühjahr ◗ „Kunst und Sprache – Sprache ist (keine?) Kunst“: 1. Internationale Werkstatt für Fremdsprachen (Pecín, Tschechien) ◗ MitOst-Studienreise nach Sibirien ◗ Zweiter Band der MitOst-Editionen „Jan Patocka und die Idee von Europa“ Sommer ◗ Drittes Gedenkdienst-Seminar in Südpolen ◗ Mitgliederreise nach Weißrussland und Litauen ◗ 5. Internationale Sommerakademie „MEZIUM Rychnov 2003“ (Tschechien) Herbst ◗ Russisch-deutsches Filmprojekt – Kurzfilme über erste Erfahrungen im Ausland (St. Petersburg und Berlin) ◗ „Theatralische Konzepte – Musiktheater jenseits der klassischen Gattungen“. Workshop während der 17. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik Ganzjährig ◗ „Okno – Fenster zur russischen Kultur“: Lesungen, Konzerte und Podiumsdiskussionen, jeweils an einem Sonntag im Monat (Zürich, Schweiz) ◗ „MitOst-Salon Berlin“: Themenabende, Filmvorführungen, Diskussionsabende, Ausstellungen, Lesungen, jeweils einmal im Monat (Berlin) ◗ Studierendenprojekt: „Grenzorte – Grenzreisen“ (Polen, Ukraine, Deutschland) ◗ „Soforthilfe-Pool“: Möglichkeit, relativ schnell und unbürokratisch kleinere Projekte im laufenden Geschäftsjahr zu realisieren: Lesungen, Filmvorführungen, Konzerte, Theater uvm. Projekte 2002 - Im Laufe von Zeitlichkeit MitOst wird immer attraktiver, die Fakten beweisen das: Die Mitgliederzahlen des Vereins steigen weiter an, neue Projekte, Initiativen und Foren - Lasst uns weiter knüpfen 10 Mitglieder miteinander ? Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, haben - Das Klavier kracht zu 11 - Zwischen Westkreuz und Ostbahnhof – der Berliner MitOst-Salon 12 ganz individuelle Sichtweisen, manchmal liegen „Welten dazwischen“. 9 MitOst intern - „Es war viel wärmer...“ – die ProjektNetzWerkStatt im November 2002 13 - 1. Internationales MitOst-Festival 2003 in Pécs/Ungarn 13 D-10627 Berlin - Der neue Vorstand 14 thema dieses MitOst-Magazins mit Werte- und Moralvorstellungen: Men- Tel.: +49 - (0)30 - 31 51 74 - 70 - Regionalisierung von MitOst: Die Ländervertreter Fax +49 - (0)30 - 31 51 74 - 71 schen aus Ost und West beschreiben ihre Sichtweisen zu Familie, gesell- [email protected] - Ein Leben nach Bosch? – Alumnivertreter bei MitOst Geschäftsstelle MitOst e.V. Um diese Frage näher zu untersuchen, beschäftigt sich das Schwerpunkt- schaftlichen Normen und Brüchen, zu Selbstverwirklichung und Zwängen. Schillerstraße 57 w w w. m i t o s t . d e Die Ergebnisse (Seiten 16/17) sind sicherlich nicht repräsentativ, bieten aber interessante Einblicke. Thema - Land und Liebe Impressum MitOst-Magazin Heft Nr. 11| Mai 2003 Die zahlreichen Berichte in diesem Heft geben einen Überblick über das erheblich angewachsene Angebot des MitOst e.V. Darüber hinaus finden Herausgeber: 20 - „Warme Brüder“ ins kalte Sibirien? 21 - 12m2 Lebenslabor 22/23 - Contra spem spero – Porträts ukrainischer Frauen 24/25 25 - Verbotenes und Halbverbotenes 26 - Warum ich als Frau lieber im Westen leben will 26 Ost- und Südosteuropa, gegründet von ehemaligen Verantwortlich: anderer Initiativen. Künstler-Porträts, Festival- und Reiseberichte runden Schillerstraße 57 Gereon Schuch, Vorstandsvorsitzender MitOst e.V. D -10627 Berlin - Haushaltsdebatte Interview - Lachen aus Kummer – ein Interview mit Alexander Ikonnikow Feuilleton - Unbehagen zwischen den Welten – der ukrainische Fotograf Michailov 27 28/29 30 [email protected] - Jakes. Ein guter Ort. 31 Projektleitung, Redaktion: - Kioski 32 Dorothea Leonhardt, München - Ästhetik der Leere. Ein Buch über moderne Architektur in Zentralasien 33 - Das Sorgentelefon in Rostow am Don 34 - Kinderplanet Georgien – Hilfe für Kinder 34 Arndt Lorenz, Dresden/Leipzig Ein herzliches Dankeschön an alle, die uns Artikel und Fotos geschickt Lektorat: haben. Viel Spaß beim Lesen! Das Redaktionsteam Julia Holzem, Volker Joksch, Alexandra Zander Dorothea Leonhardt und Arndt Lorenz. Titelfoto: Susanne Hausner, Robert m. Sobotta, Sören Urbansky, Frankfurt an der Oder s o e r e n @ u r b a n s k y. o r g Gestaltung: - Grenzen überwinden – Note für Note Reise - Neujahrsfest in Burjatien Theodor-Heuss-Kolleg - Unabhängige Zeitungen in Russland und der Ukraine gibt es doch! Lektorenprogramme - Boschlektoren in MOE – Interesse so groß wie nie Susanne Töpfer, Grafik-Design, Dresden - Willkommen im Jenseits – Regionaltreffen in Jekaterinburg Tel: +49-(0)351-310 22 60 - Nicht nur Wodka und Vampire – „n-ost“ stellt sich vor [email protected] Preis: Einzelpreis EUR 3,50, bei Vereinsmitgliedern ist der Bezugspreis im Mitgliederjahresbeitrag enthalten Druck: Union Druckerei Dresden GmbH das Magazinteam (v.l.n.r.) Susanne Töpfer, Dresden (Gestaltung) Arndt Lorenz, Dresden (Redaktion) Dorothea Leonhardt, München (Redaktion) 19 - Rosarot und Himmelblau: Lesben und Schwule in Russland - Tendenzen in der Ukraine – Ost oder West? Theodor-Heuss-Kollegs, der Programme der Robert Bosch Stiftung und kein Cent bleibt in der Verwaltung hängen. 15 18 Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-, Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung kommt zu 100 Prozent den Projekten zu gute, 15 16/17 MitOst e.V. Sie Informationen über Projekte, Praktika und Arbeitsangebote des das Magazin ab. Außerdem wird das neue Praxishandbuch für Projekt- - Leben und leben lassen – Eine MitOst-Umfrage - Undercover-Theologe in Polen Zudem befragten wir die Vereinsmitglieder zu ihren Lebensumständen. des gemeinnützigen MitOst e.V.! Ihre Spende Stichwort: „Projektspende“ 8 - Buchmacher in der Sommerfrische Unterstützen Sie die ehrenamtliche Projektarbeit BLZ 100 700 24 Konto-Nr. 101 50 15 00, 7 - Hoch der Diskurs! – MitOst Editionen: 2. Band sen und Zielen zusammengefunden haben. Doch was verbindet die MitOst- Mit jeder Spende kommen wir unserem Ziel einen Schritt näher. Projektkonto: MitOst e.V., Deutsche Bank Berlin, 6 - off-beats – experimentelle Kunst aus Litauen entstehen. Das scheint zu bedeuten, dass sich Leute mit gleichen Interes- leiter vorgestellt. Weitere Informationen, Projektausschreibungen und Bewerbungshinweise unter w w w. m i t o s t . d e 4/5 - Krakauer Suite Auflage: 2.500 Exemplare Wir danken der Robert Bosch Stiftung für die Unterstützung - 10 Jahre Lektorenprogramme Kooperationspartner - Angebote, Ausschreibungen und Projekte der Kooperationspartner Rätsel - Auflösung aus dem vorhergehenden MitOst-Magazins Kochrezept - Piroggen mit Pilzfüllung MitOst Intern - Beitrittsformular 35 36/37 38/39 40 40 41 41 42–44 45 45 45/46 - Praxishandbuch für ehrenamtliche Projekte 46 - Vorschau auf die nächste Ausgabe 46 Lyrik - herzlich – ein Gedicht von Gintaras Grajauskas Anmerkung: Einige Texte sind in der originalen Orthographie von Autoren aus Ländern in Mittel- und Osteuropa wiedergegeben. 48 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 4 PROJEKTE 2002 Im Laufe von Wahnsinn Im Laufe von Wahnsinn dachte sie, dass er zurückgekehrt ist und in acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, einem Tag ihre Hochzeit geschieht, ihr Nestlein in Falun wurde in ihrem Haus gebaut und mit Freude beobachtet sie, wie er sein Todeskleid nicht mehr trägt. Sie suchen keinen andren Platz in dieser Welt, alles geschieht und geht an ihnen vorbei. Viel später erfuhren sie, dass eine Reihe Tode in der Welt geschah, Maria Theresia, Leopold der Zweite, andere; sie hatten aber genug zu tun, um diese Neuigkeiten altern zu lassen, die Kinder wachsen, die Eltern sterben, der ewige Kreis des Lebens bewegt sich, wie Seewellen, wie Luftströmungen, wie Pflanzen, die von Samen zu Früchten tanzen; man sät, man schneidet, man mahlt, man hämmert, keine Änderungen und Wandlungen, nur die Kinder werden groß und Eltern alt. Alles aber kann nicht ewig sein, obwohl die Welt und der liebe Gott ewig sind, das Nestlein wird leer, Söhne und Töchter fliegen irgendwo in der Welt und teilen seltsame Briefe mit, erster, zweiter, dritter, vierter ist gestorben, allmählich alle, im Nestlein bleiben zwei Alte, sie und er, er arbeitet noch und sie kann leider ohne Krücke nicht gehen, es bleiben immer weniger Jahre bis zum Tod und es gibt keine Hoffnung mehr. Eines Tages kommt er nicht zurück, sie hörte ihn am Morgen ans Fenster klopfen und am Abend kehrte er nicht zurück; in der Nacht verließ sie das Haus und versuchte das Bergwerk zu erreichen, am Mittag des nächsten Tages erreicht, wurde er schon ausgegraben, aber sie sah den jungen Mann, den sie nur einmal gesehen hat, Im Laufe von Zeitlichkeit: eine Bergarbeiterliebe Bergmann könnte dieser nicht sein, allmählich kamen die Erinnerungen, er ist lang her gestorben und nur sie bewegte sich in ihren Jahren, und keine Kinder; kein Nestlein; nur leere 50 Jahre, Tod der Verwandten, einsames Leben, keine Wanderungen zu irgendwelchen anderen Plätzen, zur Hochzeit zog sie das Todeskleid an, zum Tode wird sie ein Hochzeitskleid tragen, alles wird mit Seewasser bedeckt, im Seewasser versinken die Jahre, ihr Leben, alles ertrinkt mit Wahnsinnswasser, die ganze Welt, alles, was am Leben ist, nur er vermied dieses Schicksal, 50 Jahre unter der Erde begraben. Lesung mit Jurgis Kuncinas Fotos: Storokha Bogdan, Kamila Mieszczak, Margrit Fiederer 27, Literatur-Dozent an der Universität von Poltawa/Ukraine Im Laufe von Anfang Im Laufe von Anfang in Falun in Schweden küsste ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut. In Falun in Schweden küsste ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut acht Tage vor der Hochzeit. Eine junge hübsche Braut acht Tage vor der Hochzeit sah ihn zum Bergwerk gehen. Acht Tage vor der Hochzeit sah sie ihn zum letzten Mal zum Bergwerk gehen. Vor der Hochzeit, Weggegangener, kehrte nicht zurück. Vor der Hochzeit blieben nur acht Tage. Nur acht Tage. Acht Tage. ach ... Im Laufe von Sterben Er trifft sie – sie trifft ihn. Er arbeitet – sie hofft. Er verspricht – sie träumt. Er klopft ans Fenster – sie wartet dahinter. Er kehrt nicht zurück – sie weint. Er verschwindet – sie erinnert. Die Jahre gehen vorbei – sie liebt. Die Leute sterben – sie hofft. Kriege brechen aus – sie verliert Flamme. Das Leben geht weiter – sie wird alt. Im Laufe von 50 Jahren gesäet geschnitten gemahlen gegraben gehämmert gehämmert gesäet geschnitten gemahlen gegraben gegraben gehämmert gesäet geschnitten gemahlen gemahlen gegraben gehämmert gesäet geschnitten geschnitten gemahlen gegraben gehämmert gesäet von schmieden von ackerleuten von müllern von bergleuten von bergleuten von schmieden von ackerleuten von müllern 50 Jahre sind vergangen – sie ist noch Braut. Er erscheint – sie erkennt. Er kehrt zurück – sie freut sich. Er klopft nicht – sie an einer Krücke. Er schweigt – sie spricht. Er liegt im Sarg – sie geht fort. Er ist jung – sie ist tot. Er ist gestorben – sie ist in der Flamme. Er ist Leichnam – sie verspricht. von müllern von bergleuten von schmieden von ackerleuten von ackerleuten von müllern von bergleuten von schmieden gesäet von ackerleuten geschnitten von müllern gemahlen von bergleuten gegraben von schmieden gehämmert von ackerleuten gesäet von müllern geschnitten von bergleuten gemahlen von schmieden gegraben von ackerleuten gehämmert von müllern gesäet von bergleuten geschnitten von schmieden gemahlen von ackerleuten gegraben von müllern gehämmert von bergleuten gesäet von schmieden geschnitten von ackerleuten gemahlen von müllern gegraben von bergleuten gehämmert von schmieden gesäet von ackerleuten geschnitten von müllern gemahlen von bergleuten gegraben von schmieden gehämmert. 4 MitOst Nr. 11| Mai 2003 PROJEKTINFO Der hier auszugsweise gedruckte Text entstand in der Literaturwerkstatt, zur der sich16 Literaturinteressierte aus Deutsch- Im Laufe von Werden Sie wartet auf ihn jeden Morgen an ihr Fenster klopfen, um mal zu schauen und überzeugt zu sein, dass bestimmt vorbei daran geht und niemand andrer stiehlt diesen Augenblick der Freude von heutiger Braut und künftiger Frau, die mit allen Kräften ihr Traumnestlein schützt, bis er kommt und ans Fenster klopft, bis er nicht zurückgekommen ist, bis er nicht zurückgebracht wird, bis er gestohlen ist, bis sie acht Tage im Gesicht veraltet ist, bis sie hofft, bis die Flamme in der Brust erlischt, bis nächste Jahre fliehen und die Braut ist noch die Braut, und Frau noch nicht geboren ist, land, Tschechien, Polen, Russland, Lettland und der Ukraine im September 2002 an der Universität Ostrava einfanden, um eine Woche lang eigene Texte und einen Fotoroman zu produzieren. Das ehemals „stählerne Herz“ der Tschechischen Republik, Ostrava, sollte der Bergmannsgeschichte „Unverhofftes Wiedersehen“ von und Nestlein nur träumend gesehen wird, und kraftlos fließen die nächsten Jahre und Alter, bis es niemanden gibt, Flamme im Stüblein anzuzünden, und Nestlein liegt tief versteckt, und lieber Mann liegt im kühlen Bett in Vitriolwasserwäsche und träumt nicht, bis Flammesnestlein in ihrem Herz stirbt und sie wird Altweib, aber keine Frau, bis alle sterben, die Hindernisse mitzuteilen haben können, und niemand außer Tod hat sich gemeldet, bis alle ausgestorben sind, bis die Welt ganz Johann Peter Hebel die angemessene unfähig, ihn zu erkennen, geworden ist. und Tod. Kulisse bieten. Stets mit Hebels Geschichte im Hinterkopf entstanden Texte über den Tod, das Warten, das Alleinsein, über Abschied und Träume, das Unerklärliche, über die unio mystica von Hochzeit Die Literaturwerkstatt wurde unterstützt Im Laufe von Gang linke rechte krücke linke rechte krücke ausatmen rechte linke krücke rechte linke ausatmen einatmen ausatmen linke rechte krücke träne linke rechte ausatmen krücke schritt krücke linke rechte schritt einatmen ausatmen linke rechte rechte linke krücke schritt krücke schritt linke ausatmen schritt krücke krücke schritt schritt ausatmen träne schritt schritt schritt schritt träne schritt vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfond Cesko-Nemeck y’ Fond Budoucnosti Weitere Informationen: bei Margrit Fiederer, [email protected] MitOst Nr. 11| Mai 2003 5 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 6 PROJEKTE 2002 P R O J E K T E 20 0 2 OFF-BEATS – experimentelle Kunst aus Litauen Fotos: Ein Gespräch mit Egmontas Bzeskas, Nerijus Grigas-Pluhar Regisseur und Gründer des Tanztheaters „Karman“ aus Vilnius. Das Gespräch führte Nerijus Grigas-Pluhar von „off-beats – Verein für Kulturkontakt“, Berlin Krakauer Suite oder wie man ein bisschen Schwung gegen den germanistischen Marasmus 1 aufbringt „Krakauer Gruppe“ Fotos: Kamila Mieszczak Germanistikstudenten der Uni Krakau ALLEMANDE Alles begann mit zwei Leuten, die sich zufällig in Kosice auf der MitOst-Mitgliederversammlung kennen lernten, dadurch, dass an einem Tisch nur Platz für zwei Personen war. Die beiden nahmen sich PROJEKTINFO: Am internationalen Filmseminar im April 2002 in Krakau nahmen tschechische, polnische und deutsche Studenten teil. Die aus 25 Personen bestehende Gruppe sah sich deutsche Filme zum Nationalsozialismus an. Während des Workshops wurden die Streifen ausgewertet und mit den Meinungen der Teilnehmer konfrontiert. Das Zusammentreffen sollte helfen, Kontakte zwischen den Germanisten der Nachbarländer auszubauen. vor, die ewige Nichtstungrenze mit einem Workshop zu überwinden. Boris Blahak, Boschlektor in Brünn (Tschechien), schlug Gosia Tomaszkiewicz vom Germanistenzirkel an der Uni Krakau vor, zu seinem lange geplanten Filmseminar in Brünn zusätzlich noch ein Filmseminar in Polen zu organisieren. Da die Krakauer Gruppe von der Germanistik ein bisschen gelangweilt war, nahm man Blahaks Angebot mit größter Freude an. Es dauerte keine drei Wochen, bis es nach Brünn ging. Erwünscht, erträumt, so begann der erste Teil. COURANTE Es ist aber so, der Appetit kommt beim Essen! Schon im Zug, während der Rückkehr nach Krakau, wurde das polnische Seminar geplant. Fünf Germanistikstudenten setzten sich als Ziel, ein Gegentreffen zu veranstalten und Leute dafür zu gewinnen. Die Jagd nach Teilnehmern ist immer die schwerste Schufterei. Die Leute sind nun einmal so, dass man ihnen einreden muss – manchmal mit Gewalt – Seit wann arbeitet ihr zusammen, wie habt ihr euch kennen gelernt ? Die Gruppe „Karman“ existiert seit dem Jahr 2000. Gründer sind die Choreografin Karina Krysko und ich. Der Kern der Gruppe besteht aus fünf Tänzern, die ein Tanzstudium am Konservatorium in Vilnius absolviert haben und sich vom Studium kennen. Die anderen Teilnehmer unserer Stücke haben keine tänzerische Ausbildung, sie werden nach den zu spielenden Protagonisten ausgewählt. Das ist übrigens unsere grundsätzliche Konzeption. Wir sind der Meinung, dass Personen, die wir aus dem realen Leben für unsere Stücke „einladen“, ihre Rollen besser und überzeugender spielen. Wir zeigen „echtes“ Leben und versuchen, es nicht mit unnatürlichen Schauspielern oder Bewegungen zu verstecken. Auf der Bühne betonen wir das, was für jeden authentisch ist, deswegen könnte man unsere Stücke auch „Reality Show“ nennen. Ist der Auftritt einer „echten“ Gogo-Tänzerin in dem in Berlin gezeigten Stück „Struggle with Gravity Pull“ nicht chauvinistisch? Wie hat das Publikum in Litauen und in Berlin darauf reagiert? Wir versuchen das echte Leben zu zeigen, ohne etwas daraus zu streichen. Gogo-Tanz existiert – wir zeigen ihn. Es ist interessant, einen echten Striptease im Theater zu sehen, wenn ihn eine echte „Straßenfrau“ und keine Schauspielerin aufführt. Oft spürt das Publikum gewisse Hemmungen hinzuschauen. Feminismus in der Form wie in Deutschland kennen wir gar nicht. Wie in alten Zeiten experimentelle Kunst in Berlin das Tanz- Gastland der Frankfurter Buchmesse war, Festivals war es, Litauen, das 2002 auch in Berlin bekannter zu machen und seine An einer anderen Stelle in eurem Stück sah man eine Szene, wo nach einer Art Boygroup- geht um innere Probleme des Menschen, Schmerz, Angstgefühle. Das Publikum wird absichtlich in die Dunkelheit der Gefühle gesteuert. Dann kommt der Tanz: locker, leichtsinnig. Mit Absicht zerstören wir die Regie- und Gefühlsskala, formen Ungewissheit. Kultur vorzustellen. Realisiert wurde der Auftritt des Tanztheaters „Karman“ mit Geldern aus dem Soforthilfe-Pool des MitOst e.V. Der Sofortilfe-Pool ermöglicht die schnelle und unbürokratische Finanzierung von kleineren MitOst-Projekten. Kurz zu euren neuen Plänen... gen muss man Verzögerungen in Kauf nehmen. Viele Mitgestalter, viele Ideen. Einigkeit in der Vielfalt kann man nur schwer erreichen, doch auch diese Hürde ist zu überspringen. Jetzt nur die Suche nach Räumlichkeiten, Referenten und allem, was dazu gehört. Die Zeit läuft, und wir müssen den Stein ins Das neue Stück fertigstellen und damit durch die europäischen Theater ziehen, unter anderem auch an dem neuen Festival „off-beats 2“ teilnehmen. Rollen bringen. Wer sonst? Haltet ihr euch für typisch osteuropäisch oder eher für westlich? Typisch litauisch können wir gar nicht sein. Wir sind alle total genetisch durchmischt! Die Reisen, das Gesagt, getan. Eine binationale Werkstatt verwandelt sich in ein Forum, an dem drei Seiten – Tschechen, Polen und Deutsche – beteiligt sind. Das bringt Schwung in die anschließende Diskussion. Stattgefunden. Ein großer Erfolg. Unser Lehrstuhl scheint beeindruckt zu sein. Das des „off-beats – Festivals“ für litauische theater „Karman“ aus Vilnius. Ziel des SARABANDE Keine Mitspieler, keine Lust, weiterzumachen und sich aufzuraffen, im Kopf den Gedanken, aufzugeben: keine finanziellen Mittel. Plötzlich fiel uns ein, dass wir beim guten alten MitOst-Verein oder? Also Muttersprachler fehlen noch. Man hört doch so selten die echte, heilsam ins Ohr fließende und beruhigende deutsche Sprache. Man muss also Deutsch-Sprechende auftreiben. 27. und 28. September 2002 im Rahmen und fallende Frau. Das ist aktuell und wir zeigen es. Choreografie getanzt wurde, war das ironisch gemeint? Sicher, ja. Unser Stück kann man in zwei unterschiedliche Teile teilen. Der erste ist unangenehm, es MENUETT Was wünschst du dir noch, armer Germanistikstudent? Die Sprache? Die sollte schon Deutsch sein, Der MitOst-Salon Berlin präsentierte am dient hier die Frau dem Mann und das ist nicht gut. Einige Szenen in unserem Stück geben dieses Gefühl wider: das Hämmern eines Hammers an eine Wand und im anderen Raum eine schreiende dass ihnen dieses Abenteuer etwas bringt! finanzielle Unterstützung finden könnten. In Hast und Eile beantragt, aber gelungen: Das Geld ist da! Manchmal hätte es Vorteile, wenn es nur einen Organisator gäbe; denn bei demokratischen Vorgän- PROJEKTINFO: Weitere Informationen zum Soforthilfe Pool gibt es bei Kamila Mieszczak, [email protected] Leben in Europa hat uns auch stark verändert. Dem Lebensstil nach sind wir, denke ich, mehr europäisch. Der Osten hat sich uns auch quasi verschlossen, so dass Europa näher gekommen ist. Viele junge Leute waren noch nie in Russland, alle versuchen, sich nach Westen zu orientieren. Unser Theater will seinen eigenen Charakter behalten: Wir filtern das, was aus dem Westen kommt, ohne dabei das Eigene zu verlieren. Organisationsteam – und noch wichtiger, die Teilnehmer – zufrieden. 6 MitOst Nr. 11| Mai 2003 GIGUE Vielleicht sollte man noch ein Seminar machen? Wieder mit einem Film im Hintergrund, diesmal, um moralisch zu beunruhigen? Die Idee ist längst da, alle Organisatoren sind bereit mitzumachen, leider immer dieselben. Aber – Moment mal! Warum „leider“, das hat uns doch Spaß gemacht, oder? Jetzt also krempeln wir die Ärmel hoch und los an die Arbeit! Nur nicht meckern, dafür findet sich immer Zeit... 1 Marasmus: allgemeiner geistig-körperlicher Kräfteverfall Vom 23. bis 27. September 2003 lädt das zweite „off-beats Festival“ Künstler aus Litauen, Belarus und Kaliningrad nach Berlin ein. Weitere Informationen: off-beats – Verein für Kulturkontakt, Nerijus Grigas-Pluhar, n e r g r i g a s @ g m x . d e 7 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 8 PROJEKTE 2002 Hoch der Diskurs! – Jan Patocka und die Idee von Europa. MitOst-Editionen: 2. Band Buchmacher in der Sommerfrische Anton Rauch Monika Bukantaite, Radiojournalist, Studium der slawischen Philologie und Geschichte Osteuropas, München 22, Studentin für Germanistik und Lituanistik, Kaunas/Litauen Fotos: Michael Klees PROJEKTINFO: „Nur wenn eine Mentalität ausgebildet wird, welche alle Traditionalitäten als Glieder einer notwendig einseitigen, immer endlichen Enthüllung des Seins des Ganzen zu fassen fähig ist, wird den Gefahren der Ideologisierung der verhärteten Traditionsmassen im Zeitalter der Giganten, welche die neue Epoche gestalten werden, entgegengearbeitet werden können, in einem entsprechend planetarischen, wirklich menschlichen Geist.“ Nur so, schreibt Jan Patocka, könne eine Gesinnung ausgebildet werden, die das Problem der nacheuropäischen Menschheit zu lösen imstande ist. Patocka fordert die „offene Seele“ und bewährt sich dadurch als der MitOst-Philosoph schlechthin. Jan Patocka Foto: © Center for Phenomenological Research, Prag Die „nacheuropäische Epoche“ war zu Patockas Zeit vom Ost-West-Konflikt gekennzeichnet, inzwischen ist die bipolare Welt längst abgelöst durch eine Epoche, in deren Vordergrund die weltweit agierende Handlungsmacht USA in einer (teil)globalisierten Welt steht. Das spezifisch europäische Erbe, das sich aus klassischer Antike (attischer polis) und (weströmischem) Christentum speist, hat machtpolitisch und militärisch sein Gewicht verloren. Selbstbewusstsein gewinnen können die Europäer jedoch durch andere Werte, zum Beispiel durch ihre Diskussionskultur, durch die Fähigkeit, alles radikal in Frage zu stellen und Solidarität zu üben, wie Patocka schreibt. Alles hat seinen Anfang, so auch diese Geschichte. Im Frühling Der MitOst-Workshop zur Verlagsarbeit und Editionswissenschaft fand in Gießen 2002 wurde bei uns an der Universität Kaunas Werbung für den zweiten MitOst-Verlagsworkshop gemacht. Ich habe mir die Aus- vom 18. bis 24. August 2002 statt. 22 Teilnehmer aus Litauen, Polen, Rumänien, Deutschland, Slowakei und Weißrussland sollten lernen, wie eine Publikation entsteht. Während des Work- schreibung gründlich angesehen und entdeckt, dass mich das shops wurde durchgespielt, wie der Weg Thema sehr interessiert und dass es nicht schaden könnte, auch Außerdem erhielten die Teilnehmer Ein- im Sommer was fürs Köpfchen zu tun. vom Text zum fertigen Produkt erfolgt. blick in das deutsche Pressewesen anhand von Exkursionen. Der Workshop entstand in Zusammenarbeit mit der JustusLiebig-Universität Gießen und dem Litblockín- Verlag, Fernwald bei Gießen Weitere Informationen: PROJEKTINFO: Jan Patocka und die Idee von Europa hrsg. von Armin Homp und Markus So unterschiedlich wie im Band 2 der MitOst-Editionen könnten die Aufsätze zur Idee Europas kaum sein. Die kluge Einleitung von Markus Sedlaczek umreißt den Bogen, den die Autoren von Chvatík bis Wassiljew schlagen. Sedlaczek, erschienen bei MitOst e.V., Berlin 2003, MitOst-Editionen 2, ISBN 3-9808083-1-9 Der hier besprochene zweite Band der MitOst-Editionen entstand im Anschluss an das Forum Philosophie, das unter dem Titel „Jan Patočka und die Idee ‘Europa’“ vom 26. bis 29. September 2002 an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und dem Collegium Polonicum in Slubice statt fand. Der Band ist für 2,50 EUR (zuzügl. Porto) Ludger Hagedorn macht das Wirken Patockas über die Charta 77 und seinen Einfluss auf Václav Havel in der CSSR nach Niederschlagung des Prager Frühlings deutlich. Fruchtbar ist auch der Vergleich Hagedorns zwischen dem skeptischen Dissidenten und dem polnischen Mazowiecki: Während Patocka auf eine radikale Fragwürdigkeit setzt, hält Mazowiecki am Christentum als dem spezifischen Wert Europas fest. Gerade die ketzerische Haltung des Philosophen erläutert der bekannte Prager Patocka-Interpret Ivan Chvatík: Was laut Patocka vom Menschen erwartet wird, „ist nicht Glaube, sondern Einsicht.“ Andrei Laurukhin aus Minsk beschreibt in einer phänomenologischen Analyse, wie schwer sich Demokratie in einer anders gearteten Lebenswelt durchsetzt, denn „formal importierte Demokratie bleibt leblos, weil sie eben nicht ihre kulturelle Lebenswelt mitbringt [...], wird sie rein formal imitiert.“ zu beziehen bei: Geschäftsstelle des MitOst e.V., Schillerstraße 57, D-10627 Berlin, g e s c h a e f t s s te l l e @ m i t o s t . d e 8 MitOst Nr. 11| Mai 2003 Die Philosophie Danilewskijs greift Gennadij Wassiljew auf. Dieser russische Denker hat die klassische Frage, ob Russland denn nun zu Europa gehöre oder nicht, so klar verneint wie kaum ein Slawophiler danach. Es habe „weder Anteil am europäischen Guten noch am europäischen Bösen“, behauptete Danilewskij und hat es damit mehr als 100 Jahre nach seinem Tod in die Hirne der russischen Rotbraunen geschafft. Wie diese sein Denken für ihre chauvinistische Sache nutzen, legt Julian Pänke dar, wobei er Belege für das Übergewicht des gemeinsamen Erbes Russlands und Europas liefert. Fazit: Für den wenig mit philosophischen Texten vertrauten Leser sind manche der Artikel hartes Brot. Aber wie beim Brot entfaltet sich auch hier die Süße der Lektüre nach einigem Kauen. Das von Armin Homp und Markus Sedlaczek herausgegebene Bändchen bringt viel Neues und genügend Stoff, über Altes nachzudenken. Die 2,50 EUR Schutzgebühr für den im Marlboro-Design erschienenen 2. Band der MitOst-Editionen sind also in jedem Fall besser angelegt als in einer Schachtel Billigzigaretten. Der August ließ nicht lange auf sich warten. Um die Reise angenehm und günstig zu machen, wurde ein Minibus gemietet. Wir alle aus Litauen waren sehr gespannt auf das, was uns in Gießen erwartet, denn der Workshop sollte ja international sein, was bedeutet, dass wir mit Studenten anderer Nationalitäten zusammentreffen würden. Gute Verhältnisse und Austausch sind nicht ganz unwichtig, besonders jetzt, wenn wir alle der EU beitreten und in Zukunft ein Teil des vereinigten Europas sein wollen. In Gießen waren wir bereit, alles aufzunehmen, was uns angeboten wurde. Ich selber fand das Programm sehr gut, weil man vieles praktisch sehen und erarbeiten konnte. Die Übungen reichten von wissenschaftlicher Textproduktion über die Grundlagen des Textlektorats bis hin zur Erstellung satzfertiger Dateien am Computer. Außer den praktischen Übungen erhielten wir auch Einführungen in die Geschichte und den derzeitigen Stand des Verlags- und Pressewesens in Deutschland, in das Autoren- und Verlagsrecht sowie die Buchpreisbindung. Als Höhepunkte würde ich aber die Besuche beim S. Fischer Verlag und bei der Gießener Allgemeinen Zeitung hervorheben. Ich selber fand toll, dass alle sehr freundlich und voller Geduld auf alle unsere Fragen geantwortet haben, zum Beispiel, wie eine Zeitung heutzutage entsteht und wie es früher gemacht wurde, als die Computer noch nicht da waren. Fast genauso wichtig war das Freizeitprogramm: eine Wanderung zum Schiffenberg mit altem Kloster in schöner Natur, Besichtigungen in Lich und Frankfurt am Main. Was mir auch noch sehr gefallen hat, waren die gemeinsamen Abendessen. Da hatte man die beste Gelegenheit, mit Professoren, Lektoren und Studenten zu reden, zu diskutieren und sich auszutauschen. Das Spektrum der Teilnehmer war breit: Litauer, Polen, Slowaken, Rumänen und Weißrussen. Trotz ähnlicher Vergangenheit haben sich die Länder auf unterschiedliche Weise entwickelt. Und so sind während des Workshops zwei große Fraktionen entstanden: die litauische und die polnische. Wir hatten nur einen männlichen Teilnehmer, welcher sich als Hahn im Korb fühlte, aber wenn man ein gemeinsames Ziel hat, dann spielen die Nationalitäten eher eine Nebenrolle, und es ließ sich sogar mit dem Hahn arbeiten. Am letzten Abend erhielten wir Teilnahme-Zertifikate und so wurde der Abend sehr festlich und lang, da keiner wollte, dass der Workshop zu Ende geht. Michael Klees, k l e e s @ k a u n a s . o m n i te l . n e t MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 10 PROJEKTE 2002 Lasst uns weiter knüpfen! Cartoon: Florian Tilzer, Elie Nasser Mitbegründer des Kulturní Cirkus, tschechischer Koordinator des ACCC (Austrian Czech Cultural Cooperation), Sprachlektor und Übersetzer, Brünn Sandl ist ein kleines Dorf im Mühlviertel unweit der tschechisch-österreichischen Grenze, das böse Zungen wohl am ehesten als „Kaff“ bezeichnen. Also genau der richtige Ort für ein Seminar, in dessen Rahmen auch ein international besetzter Roundtable zum Thema „Die Bedeutung der Kommunikation beim Aufbau von lokalen, regionalen und internationalen Netzwerken“ stattfand. So trafen sich tschechische, österreichische und deutsche KulturveranstalterInnen, StudentInnen, Kultur- und SprachvermittlerInnen, KünstlerInnen und KommunikationstrainerInnen unterschiedlichen Alters, um nicht nur zweisprachig zu quatschen, sondern auch nonverbal kommunizierend Grenzen zu überschreiten, sich auszutauschen, sich weiterzubilden, … und nicht zuletzt, Konnektschns zu knüpfen, allerdings nicht für die persönliche Karriere, sondern – wie soll’s bei einem MitOst-Projekt anders sein – zum Wohle der Menschheit. Neben dem Roundtable standen folgende Themenbereiche auf dem Programm: „Kommunikation in Projektgruppen“ (mit dem Innsbrucker Kommunikationstrainer und Theaterpädagogen Wolfgang Jäger), „Interkulturelle Kommunikation“ (mit Kamila Hlavsová und Carsten Lenk von der tschechischdeutschen Jugendaustauschorganisation „Tandem“) und „Grenzüberschreitende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ (mit dem tschechischen Journalisten Ondřej Tomek und dem österreichischen Publizisten Peter Klimitsch). PROJEKTINFO: Die Vernetzung von Netzwerken stand im Mittelpunkt eines Roundtables im Rahmen des MitOst-Kreisseminars „Komunikace – verbale und andere Grenzüberschreitungen“, das vom 10. bis 11. Oktober 2002 in Sandl bei Freistadt/ Oberösterreich stattfand. Das Projekt Komunikace wurde gefördert aus Mitteln der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart, und des Europäischen Fonds Beim Roundtable saßen vier VertreterInnen sehr unterschiedlich aufgebauter mitteleuropäischer Netzwerke am Tisch. Die Vorstellungsrunde eröffnete Ludvík Hlaváček vom Prager Zentrum für zeitgenössische Kunst, das zusammen mit anderen Zentren in Mittel- und Osteuropa das mitteleuropäische Netzwerk I_CAN bildet. Bei den drei anderen Netzwerken handelte es sich um die Veranstalter des Seminars, das in Kooperation mit der ACCC (Austrian Czech Cultural Cooperation) und dem Brünner Verein Kulturní Cirkus organisiert worden war, wobei letzterer sowohl MitOstMitglied als auch ACCC-Partner ist. ACCC bemüht sich um eine systematische Vernetzung der Kulturund Kunstszene der tschechisch-österreichischen Grenzregionen, also um den Aufbau eines regionalen bzw. Regionen verbindenden Netzwerks. MitOst stellt dagegen ein internationales Netzwerk dar, das wohl in erster Linie im Bildungsbereich anzusiedeln ist. Die Mitglieder des Vereins Kulturní „Miteinander – Erfahrungen in Mitteleuropa“ unter diesem Motto fand vom 3. - 6. Oktober 2002 in Dresden ein Foto: Philipp Unger, Workshop und Konzert mit „The Frescos„ Steffen Giersch 25, Student für Soziologie, Projektassistent am Dresdner Contemporary Music Ensemble, Odessa, Zentrum für Zeitgenössische Musik sowie jungen Autoren und Komponisten aus Mittel- und Osteuropa statt. Während des Workshops wurde ein musikalisch- Bei einem internationalen Treffen im Oktober 2002 begegneten sich junge Autoren Internationale Projekte werden nicht nur durch gezielte Vernetzung ermöglicht, sondern fördern auch nach Chancen, Lyrik und Musik auf einer gemeinsamen Bühne zu präsentieren. Es und Texte zusammen. Außerdem wurden weitere Vernetzung, woraus wiederum weitere Projekte entstehen können. Ich versetze mich hier in die Rolle eines Visionärs und stelle mir folgendes Szenario vor: Lasst uns einige Stränge miteinander verknüpfen zu Projektpartnerschaften. Lassen wir doch im Jahr 2004 entlang der gesamten tschechischen Grenze Kunst, Kultur und Kommunikation in tausend und einer Sprache aufleben. Feiern wir beispielsweise in Brünn das Festival Multi-Kulti Brno ohne Bomben und Granaten, aber sollten bestehende Barrieren zwischen beiden Künsten aufgebrochen werden. Mit Konzerte besucht, um sich mit interna- Unterstützung der Berliner Autorin Marion Porschmann und des Dresdner schen Musik auseinanderzusetzen. Das Komponisten Hartmut Dorschner erarbeiteten die Teilnehmer ihre Präsentationen. öffentliche Abschlusskonzert des Work- Elektroakustische Klangteppiche und Hintergrundgeräusche wurden verwendet oder Betriebsgenossenschaftlichen Akademie mit Farben, Tanz, Musik, Gedichten und Straßenkunst. Natürlich gäb’s in diesem Rahmen auch ein klassisches MitOst-Projekt mit StudentInnen aus ganz Mittel-, Ost- und Südosteuropa, die beispielsweise eine Festivalwanderzeitschrift schreiben und herausgeben oder der Frage „Ist Multikultur eine Monokultur?“ nachgehen oder vielsprachiges Theater spielen… zumindest den Ideen sind hierbei keine Grenzen gesetzt. Doch an dieser Stelle geht’s eher um eine Skizzierung als um eine umfas- MitOst Nr. 11| Mai 2003 PROJEKTINFO: Cirkus wiederum sehen ihren Verein nicht nur als eine Art Knotenpunkt dieser beiden Netzwerke, sie fühlen mit ihren künstlerischen Aktivitäten in Brünn auch eine starke Verwobenheit mit der Kulturszene dieser Stadt. für regionale Entwicklung – INTERREG III A 10 Das Klavier kracht zu Workshop und Konzert während der Dresdner Tage der Zeitgenössischen Musik literarisches Programm erarbeitet. und Komponisten aus Ländern Mittel- und Osteuropas in Dresden. Ziel war die Suche Die Teilnehmer aus der Ukraine, Polen, Deutschland, Mazedonien und Rumänien stellten zeitgenössische Musik tionalen Tendenzen in der Zeitgenössi- shops war am 5. Oktober in der Aula der Gedichte in mehreren Sprachen gleichzeitig vorgelesen. Auf diese Art und Weise ent- in Dresden. standen neue, eigenständige Werke. (Der Workshop wurde auch unterstützt von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und dem Kulturamt Dresden) sende Darstellung von Möglichkeiten. Eingebettet wurden die Ergebnisse in ein Konzert des Ensembles THE FRESCOS aus Odessa. Auf dem Programm standen u.a. drei Uraufführungen; Darija Andovska vertonte Eindrücke aus Mazedonien: den Krieg der letzten Jahre und die Suche nach innerem Frieden, den Wunsch nach einem Abschluss mit der Vergangenheit – verarbeitet durch lautes Zukrachen des Klavierdeckels. Eindrücke eines Aufenthalts auf dem Lande spiegelten sich im Stück von Ludmila Yurina wider. Am Ende des Abends erklang die Komposition „For Hero“ von Alla Zagaykewytsch, eine Suche nach der Musik eines in einer Novelle von Milorad Pavic spielenden Quartetts. Weitere Informationen: Nur folgendes sei noch erwähnt: Es laufen bereits Kooperationsgespräche mit unterschiedlichen Leuten. Wer Ideen hat und Lust verspürt, mitzumachen, ist aufgefordert, es zu tun! Meldet euch einfach beim Autor unter folgender Adresse: Kulturní Cirkus, Veverí 59, CZ-602 00 Brno. [email protected]. Andreas Lorenz, [email protected] MitOst Nr. 11| Mai 2003 11 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 12 PROJEKTE 2002 MITOST INTERN Es war viel wärmer, als ich es mir vorgestellt habe PROJEKTINFO: Zitate aus der ProjektNetzWerkStatt im November 2002 Die Zitate stammen aus der ProjektNetzWerkStatt, die im Anschluss an die Mitgliederversammlung vom 3.- 6. November 2002 in Werftpfuhl bei Berlin stattfand. Ehrenamtliche Projekte sind vielfältig: Boris Blahak, Boschlektor in Brünn/Tschechien Filmworkshop in Brünn, Studentenzeitung Die Werkstatt war in ihrer heterogenen Zusammensetzung als Kontaktform sehr erfrischend, anregend und in Nowosibirsk oder Künstlerfestival in motivierend. Ein Durchexerzieren konkreter Projektbeispiele, die Vergabe von konkreten Textmustern Tschechien. Aber die konkrete Durchfüh- (Pressemitteilungen, Anträge) sowie eine Verlängerung der Werkstatt um 2-3 Tage, um den informellen rung wirft viele Fragen auf: Wie berechne Austausch zwischen den Teilnehmern zu fördern, sind jedoch zu empfehlen. ich die Projektkosten? Wo lassen sich Part- Anna Sosna, MitOst-Mitglied, Polen ner und Förderer finden? Wie kann ich Die Teilnahme an der ProjektNetzWerkStatt war für mich eine tolle Gelegenheit, mein Wissen rund um die mein Projekt optimal evaluieren und do- Projektarbeit zu systematisieren und zu bereichern. Der Leitfaden, den wir bekommen haben (z.B., wie macht kumentieren? man die Abrechnung, wie schreibt man eine gute Pressemitteilung), wird mir in Zukunft viel Zeit ersparen und Auf der ProjektNetzWerkStatt Nr. 1 wurde meine Arbeit konstruktiver machen. 40 Teilnehmern eine umfassende Schulung im Projektmanagement angeboten. In Heike Mall, Boschlektorin, Irkutsk/Russland Für mich als Boschlektorin war besonders wichtig, direkten Kontakt zu Kollegen und anderen Projektleitern zu haben, die sonst Tausende Kilometer von meinem Lektoratsort entfernt sind. Die Kreativität, die dabei freigesetzt wurde und die Ideen haben nicht nur Impulse gegeben, sondern die Projektarbeit weitergebracht. Weniger hilfreich waren teilweise die Programmangebote, die oft zu allgemein und elementar waren. Foto: Nils-Eyk Zimmermann kleinen Gruppen und rotierenden Workshops wurde vier Tage lang intensiv gearbeitet. Es ging gleichzeitig um die Vernetzung von Menschen: den eingeladenen Projektleitern des MitOst e.V., des Theodor-Heuss-Kollegs, der Lektoren- Zwischen Westkreuz und Ostbahnhof – der Berliner MitOst-Salon programme und des Tutorenprogramms. Die ProjektNetzWerkStatt soll künftig regelmäßig stattfinden – das nächste Mal im Rahmen des Internationalen MitOstFestivals 2003 in Pécs. Nils-Eyk Zimmermann, Studium der Politikwissenschaften, Mitarbeit in der Berliner Regionalgruppe und der Internet AG des MitOst-Vereins, Berlin Neben roten, grünen und blauen Salons, Gummi-, Friseur-, Autound Hundesalons hat die deutsche Hauptstadt seit einiger Zeit auch einen MitOst-Salon. Mit seinem monatlichen Programm hat er sich mittlerweile etabliert und ist zu einem der Fixpunkte in den Terminplanern der Berliner MitOst-Mitglieder sowie weiterer Bindestrichund Ohne-Bindestrich-Europäer geworden. Ziele des Salons sind der Austausch und die Kooperation mit anderen MOE-Enthusiasten: Bei gemeinsam organisierten Veranstaltungen können diese ihre Arbeit und ihre Ideen in angenehmer Atmosphäre vorstellen. Raumzeit An jedem dritten Mittwoch im Monat ist Salonzeit. Der Ort hängt vom Thema und vom Programmpartner der jeweiligen Veranstaltung ab. Die Website des Salons informiert über die genauen Koordinaten: www.mitost-salon.de. Wem das zu umständlich ist, der kann sich auch einen regelmäßig erscheinenden Newsletter zuschicken lassen, der über alle Termine informiert. Foto: Jewgenij Muratow Dieser Platz ist einer der wichtigsten Knotenpunkte von Menschenströmen im östlichen Europa. Im Collegium Hungaricum, dem ungarischen Kulturinstitut in Berlin, diskutierte das Publikum mit dem Regisseur Zoran Solomun. 1. Internationales MitOst-Festival 11.-16. November 2003 in Pécs/Ungarn In den nächsten Monaten sind weitere Kooperationen geplant, etwa mit der Sprach- und Kulturbörse an der Technischen Universität Berlin. Einen Austausch wird es auch mit dem internationalen Theaterfestival Unidram in Potsdam geben, das die Zusammenarbeit mit Künstlern verschiedener Länder in Gang bringt. Foto: Gereon Schuch Kontakt und Kooperation Die Saloneros und Salonitas freuen sich über jedes Interesse sowie Das Festival, das die klassischen Mitgliederversammlungen der letzten Jahre ablöst, ist die zentrale MitOst-Veranstaltung im Jahr 2003. Fünf Tage lang präsentieren Vereinsmitglieder und Vorschläge und Ideen. Kontakt über [email protected] Partnerinstitutionen einer breiten Öffentlichkeit die Ergebnisse erfolgreicher MitOst-Projektarbeit: internationale Künstlerwerkstätten, länderübergreifende Seminare, Kultur- und Medienprojekte und vieles andere. Parallel entwickeln die Festival-Teilnehmer in kleinen, fachkundig w w w. m i t o s t - s a l o n . d e betreuten Teams neue Projektideen für das folgende Jahr, werden im Projektmanagement geschult und nehmen an kreativen Workshops teil. Anne Stalfort, Geschäftsführerin des MitOst e.V. Programm und Ausblick Den Schwerpunkt des Salons bilden kulturelle Veranstaltungen. So wurde im Januar 2003 der Kurzfilm „Granica“ gezeigt, der vom Alltag am Grenzübergang auf der Stadtbrücke zwischen Frankfurt/Oder und Slubice berichtet. In drei Episoden erzählt Granica von deutschpolnischer Nachbarschaft, von jungen Ganoven und alten Ressenti- ■ ■ deutsch-polnische Kulturverein REJS e.V. vor. Ein weiterer Salonabend: Jenseits von Grass, Goethe und Co. - über das Übersetzen und aktuelle deutsche Literatur in Polen mit der Übersetzerin ■ ■ ■ Warschau Visa, Flüge, Hotels Minsk 1- bis 12-wöchige Sprachkurse Kiew Kleingruppen und Einzelunterricht St. Petersburg Moskau Bildungsurlaub Sopot Geschäftsrussisch, PERELINGUA Sprachreisen Irkutsk Dolmetschen Varziner Straße 5 Lwiw 12159 Berlin Jalta und Übersetzen Telefon: (0 30) 8 51 80 01 Twer www.perelingua.de Krakau Gruber. Das Festival wird neben der Robert Bosch Stiftung von zahlreichen nationalen und internationalen Institutionen und Organisation unterstützt. PROJEKTINFO: Auf der Homepage w w w. m i t o s t . d e sind ständig aktualisierte Informationen zum Festival und zur Anmeldung zu finden. Das Organisationsteam in Pécs ist für Anzeige Im April wurde der Film: „Der chinesische Markt“ gezeigt. Er dokumentiert einen der größten europäischen Märkte in Budapest. Universitätsstadt Pécs. Zahlreiche lokale und überregionale Partner ermöglichen ein breites kulturelles Rahmenprogramm und sorgen so für die öffentliche Präsenz des Festivals in der ganzen Stadt. Die Schirmherrschaft übernimmt der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Ungarn, Wilfried Sprach- und Individualreisen ments, von Furcht und Liebe. An diesem Abend stellte sich auch der Alicja Rosenau. Sie übertrug Thomas Brussigs „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ und Richard Wagners „Miss Bukarest“ ins Polnische. Mit Teilnehmern aus mehr als 20 Ländern sorgt das Festival für multikulturelles Flair in der Rußland · Polen · Ukraine · Belarus Ziel des Internationalen MitOst-Festivals ist die Förderung ehrenamtlichen Engagements für kulturelle und künstlerische Ost-West-Verbindungen durch öffentliche Präsentation erfolgreicher Projekte. Das jährlich in verschiedenen Städten Mittel- und Osteuropas stattfindende Festival soll durch seine Außenwirkung und die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern einen großen Kreis von Interessierten erreichen, die ihrerseits als Teilnehmer oder Initiatoren von Folgeprojekten ermuntert, vernetzt und gefördert werden. Außerdem soll genügend Zeit bleiben, um auch inhaltlich über die weitere Entwicklung des Vereins zu diskutieren … und natürlich, um gemeinsam zu f e i e r n ! ! ! jede neue Idee offen und freut sich auf Anregungen und Vorschläge unter [email protected] A n m e l d e s c h l u s s : 01 . A u g u s t 20 0 3 MitOst Nr. 11| Mai 2003 13 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 MITOST INTERN 12:55 Uhr Seite 14 Der neue Vorstand Regionalisierung von MitOst: Die Ländervertreter Gereon Schuch, (1. v. links) 1. Vorsitzender, 32, Studium der Osteurop. Geschichte, Rechtswissenschaft und Ethnologie, 1998-2000 Boschlektor in Pécs (Ungarn), 2001-2003 Seit langem wird über die Regionalisierung der MitOst- Promotion über ungarische Hochschulgeschichte, seit 2000 im MitOst-Vorstand Waldemar Czachur, (ganz rechts) 2. Vorsitzender, 26, Studium der Germanistik, gegenwärtig Promotion an der Universität Warschau, Seminarleiter beim Theodor-Heuss-Kolleg, seit 2000 im MitOst-Vorstand Esther Smykalla, (5. v. links) Schatzmeisterin, 31, Studium der Romanistik, Germanistik und Komparatistik, 19992001 Boschlektorin in Banská-Bystrica (Slowakei), 2001-2003 Aktivitäten diskutiert. Die Mitgliederversammlung in Berlin setzte diese Idee nun um und benannte für jedes MitOst-Land einen „Ländervertreter“. Dieser ist als Ansprechpartner für die Mitglieder in seiner Region zuständig, betreut sie und koordiniert gemeinsame Aktivitäten. Anfang Februar 2003 haben sich die Ländervertreter in Berlin getroffen, um das Profil ihres Amtes und dessen Zuständigkeiten gemeinsam zu entwickeln und festzulegen. Auf der Mitgliederversammlung während des MitOst-Festivals im November 2003 werden dann die neuen Ländervertreter für das Jahr 2004 gewählt. DAAD-Lektorin in Bratislava (Slowakei), seit 2003 Geschäftsführerin des Internationalen Universitätskollegs der TU-Chemnitz, seit 2001im MitOst-Vorstand Anna Veigel, (oben) Beisitzerin, 34, Studium der Soziologie und Erziehungswissenschaften in Marburg, 2000-2002 Boschlektorin in Szeged (Ungarn), gegenwärtig Programmkoordinatorin beim Internationalen Christlichen Jugendaustausch e.V. in Berlin, seit 2002 im MitOst-Vostand. Barbara Baumann, (2. v. links) Beisitzerin, 29, Studium der Germanistik, Geschichte, Englischen Sprachwissenschaft und des Deutschen als Fremdsprache, 2000 -2002 Boschlektorin in Pécs (Ungarn), Seminarleiterin im TheodorHeuss-Kolleg, gegenwärtig Vorstandsassistentin bei der Signal Versicherung Budapest, seit 2002 im MitOst-Vorstand Malgorzata Tomaszkiewicz, (vorne) Beisitzerin, 24, Studentin der Germanistik, Musik (Klavier), der internationalen Migrationsbewegungen und der Völkerkunde in Krakau (Polen), Foto: Anne Stalfort seit 2 Jahren erste Vorsitzende des Germanistenkreises an der Krakauer Universität, seit 2002 im MitOst-Vorstand MitOst-Mitgliederstruktur-Länderstruktur Slowenien 2 Japan 1 Finnland 1 Deutschland 325 Polen 59 Weißrussland 44 Tschechien 43 Mitglieder insgesamt: 718 (Stand 30.05.2003) Ukraine 37 Russland 44 Ungarn 28 Georgien 27 Gereon Schuch, 1. Vorsitzender Bulgarien 11 Litauen 16 des MitOst-Festivals im November 2003. Im Rahmen des Festivals werden wir dieses Mal „Länderforen“ veranstalten, bei denen MitOst-Aktivitäten in den einzelnen Ländern entwickelt und initiiert werden können. Daneben wird es „Programmforen“ für die Alumniarbeit von ehemaligen Stiftungsstipendiaten, also z.B. ehemaligen Lektoren oder Tutoren, geben. Außerdem gibt es noch die Internet AG und die Fundraising AG, das Magazinteam, den MitOst-Salon in Berlin sowie die zahlreichen Projektgruppen... MitOst Nr. 11| Mai 2003 [email protected] ❚ Russland (europäischer Teil): Sergej Leonow, Nikolai Kokko [email protected] ❚ Slowakei: Daniela Miceková [email protected] ❚ Tschechien: Stanislav Jilek [email protected] ❚ Ukraine: Sergej Dovshenko [email protected] ❚ Ungarn: Szilvia Varga Armenien 6 Rumänien 5 Bosnien-Herzegowina 1 Serbien und Montenegro 3 Allen, die sich dafür interessieren, Ländervertreter zu werden, steht Waldemar Czachur vom Vorstand zur Verfügung; [email protected] MitOst lebt – das zeigt sich deutlicher denn je – vom Engagement seiner Mitglieder! Wir freuen uns über weitere Ideen und Aktivitäten! Seit November 2002 amtiert der neue Vorstand: Barbara Baumann, Malgorzata Tomaszkiewicz und Anna Veigel wurden neu als Beisitzerinnen in den Vorstand gewählt. Ein Leben nach Bosch ? Alumnivertreter bei MitOst Stärkung der „zweiten Säule“ in MitOst vor, der „Alumniplattform“. Wie geht’s weiter? Die Ergebnisse werden auf der MitOst-Homepage vorgestellt und auf dem MitOst-Festival im November 2003 in Pécs (Ungarn) werden die bis dahin umgesetzten Ideen präsentiert und neue Alumnivertreter gewählt. Eine erste große Aufgabe bestand für den neuen Vorstand darin, die Anfrage der Robert Bosch Stiftung zur Übernahme des Stiftungsprogramms „Junge Wege in Europa“ in die Trägerschaft des MitOst e.V. zu diskutieren, den Mitgliedern gegenüber darzustellen und eine Entscheidung herbeizuführen. Die überwiegend positive Resonanz aus Katrin Peerenboom war mit dem Programm „Völkerverständigung dem Kreis der MitOstler hat den Vorstand in seiner Meinung bestätigt, dass sich das neue Programm sehr gut in das MitOst-Profil einfügt. Im Herbst wird die nächste Ausschreibung dieses ab Sommer in unserer Trägerschaft durchgeführten Programms veröffentlicht. Nach erfolgreichem Auf- und Ausbau der Projektarbeit im Rahmen von MitOst in den letzten Jahren war auf der Mitgliederversammlung im November 2002 klar: die Alumniarbeit im Rahmen des Vereins Monika Sus (THK): m o n i k a . s u s @ p s i . w r o c . p l muss neu aufgestellt werden. Die jeweils zwei Vertreter der vier verschiedenen Programme (Theodor-Heuss-Kolleg, Völkerverständigung macht Schule, Lektoren, Tutoren) begaben sich in Stuttgart auf die Suche nach Struktur, Identität und Bedürfnissen der Altstipendiaten. Nach zwei Tagen Diskussion, Konzeptentwurf und anschließender Präsentation in der Stiftung stand das Gerüst für die weitere Alumniarbeit. Diese sieht vor allem eine inhaltliche und strukturelle Katrin Peerenboom (VmS): p e e r e n b @ g m x . d e MitOst ist in Bewegung! Und wir alle gestalten den Weg! Wir wünschen weiterhin viel Spaß bei MitOst! 14 ❚ Baltikum (Lettland, Litauen, Estland): Jurgita Aniunaite [email protected] ❚ Weißrussland: Aksana Zaverakhina [email protected] Lettland 6 Estland 5 Stuttgart, in Pécs treffen sich MitOstler regelmäßig zur Vorbereitung ❚ Polen: Ich bin Dorota Wozowicz aus Rzeszów (Süd-Ost-Polen). Ich betreue über 50 polnische MitOstler. Oft ist es nicht so einfach, die MitOst-Mitglieder dazu zu bringen, Rückantwort zu geben. Auf sichtbare Erfolge muss ich noch ein bisschen warten. [email protected] ❚ Georgien: Nino Tshirakadze [email protected] ❚ Polen: Dorota Wozowicz [email protected] ❚ Russland (Sibirien): Maria Sacharowa Schweiz 7 USA 1 Italien 4 Belgien 1 Österreich 4 Türkei 1 Spanien 1 Irland 1 Griechenland1 Slowakei 21 MitOst jedem Einzelnen zahlreiche Möglichkeiten der aktiven Teilnahme am Vereinsleben, internen Diskussion und Weiterentwicklung: Erstmals kamen im Februar die „Ländervertreter“ aus allen MitOst-Ländern zu einem Treffen nach Berlin, die „Alumnivertreter“ aller bei MitOst präsenten Stiftungsprogramme tagten im April in Die Arbeit als Ländervertreterin macht richtig Spaß. Ich hoffe, ich gewinne noch mehr aktive Mitglieder für MitOst. ❚ Russland (europäischer Teil): Ich bin Nikolai Kokko und studiere Internationale Beziehungen an der Sankt Petersburger Universität. Zusammen mit Sergej Leonow versuche ich, die Ideen von MitOst in Russland bekannt zu machen. Bisher sind folgende Ländervertreter tätig: Liebe MitOst-Mitglieder, die Dynamik von MitOst ist ungebremst! Rasant startet das neue Jahr mit zahlreichen Aktivitäten. Auch wenn unsere Mitgliederzahl mit über 700 schon eine beachtliche Größe erreicht hat, bietet Hier stellen sich einige Ländervertreter vor: ❚ Slowakei: Ich heiße Daniela Miceková und studiere Germanistik in Prešov. macht Schule“ in Krakau Andreas Goldthau, 2001/2002 Boschlektor in Tjumen/Russland Dies war ein erster Schritt der Vertreter, das Projekt und seine Umsetzung lebt von Euch! Hinweise, Anregungen und Wünsche zur Mitarbeit bitte an die Alumnivertreter: Susan Rößling (VmS): s u s a n _ r o e s s l i n g @ y a h o o . d e Silvia Machein (Lektoren): m e d i a t r i x x @ w e b . d e Andreas Goldthau (Lektoren): a n d r e a s @ g o l d t h a u . d e Sergey Logvinov (Tutoren): l o g v i n o v @ n e w m a i l . r u Monika Paluch (Tutoren): m o n i k a . p a l u c h @ g m x . d e MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 16 THEMA Leben und leben lassen… Dorothea Leonhardt, Marketing-Managerin, München Arndt Lorenz, Journalist, Dresden Fotos: ... gaben gleich 3 von 71 MitOstlern als Lebensmotto an, die sich die Mühe machten, eine Umfrage des MitOst- Sören Urbansky, 23, Studium der Magazins zu Werte- und Moralvorstellungen zu beantworten. Es beteiligten sich 33 Mitglieder aus Deutschland, Kulturwissenschaften an der Viadrina/ eins aus Frankreich und 37 aus den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOE). Das heißt, etwa jedes zehnte Frankfurt an der Oder. Vereinsmitglied schickte uns die Antworten zurück. Da pro osteuropäischem Land zwischen einer und sechs E- Die Bilder zeigen Wohnungen in Moskau Mails eingingen, fassten wir kurzerhand diese Antworten zu einer gemeinsamen„MOE-Gruppe“ zusammen. Unter und gehören zum Fotoprojekt „Lebens- den Einsendern war jedes Alter zwischen 18 und 42 vertreten. Viele der antwortenden MitOstler aus Osteuropa welten“, das soziale Milieus untersucht. hielten sich gerade in Deutschland auf. Herausgekommen ist eine Statistik, die in keiner Weise repräsentativ ist, [email protected] aber trotzdem einige interessante Rückschlüsse zulässt. Foto: Sören Urbansky Umfrage-Auswertung Anzahl der Antworten: Deutschland 33, Frankreich 1, MOE = 37 (MOE: Polen = 9, Weißrussland = 6, Russland = 6, Slowakei = 1, Estland = 1, Georgien = 1, Tschechien = 4, Ukraine = 6, Ungarn = 2, Rumänien = 1) Eine große Familie Allgemein hat sich bei der Auswertung gezeigt, dass die Unterschiede zwischen den Ländern nicht sehr gravierend sind (Ausnahmen bestätigen die Regel). So möchten viele der Befragten gern mit ihrem Lebenspartner zusam- Haben Sie einen Lebenspartner? menleben. Auch den Wert der Familie an sich will niemand in Abrede stellen. Auffällig ist, dass fast alle Befragten Ja: aus MOE-Ländern die Familie wichtig finden - nur einer ist unentschieden -, während von den 33 Deutschen doch Nein: D = 12 immerhin 3 nichts mit Familie im Sinn haben und 6 sich nicht festlegen wollen. Heiraten wird vor allem in MOELändern als wichtig erachtet, obwohl es natürlich auch hier Kritik an der Ehe als Institution gibt. So fordert ein Pole, die Ehe solle doch keine „Wette um das Alter“ sein. Interessant ist, dass sich 19 – also über die Hälfte der 33 Deutschen - in puncto Heiraten nicht festlegen wollen. Glaube ja – Kirchgang nein Viele der Befragten messen der Religion eine wichtige Rolle bei. Die meisten gehen jedoch kaum noch in die Kirche oder beteiligen sich nur sporadisch am Gemeindeleben. Hier gibt es aber von Land zu Land starke Unterschiede: D = 21 Sollte man heiraten? Ja: MOE = 17 Nein: Ja: D = 14 MOE = 5 Nein: D = Sind Sie verheiratet? Ja: D =9 MOE = 4 MOE = 32 Nein: D = 27 der moralische Zwang zum Kirchgang betont wird. In Ländern der ehemaligen Sowjetunion mit eher atheistischer Ja: Tradition spielt die Kirche keine so dominante Rolle. Die Anzahl von Katholiken, evangelisch Gläubigen und Gesamtzahl „MitOst-Kinder“: D = 16 MOE = 32 D =7 MOE = 4 D = 11 D =0 D = 12 MOE = 6 Wie wohnen Sie ? Eigene Wohnung: D = 26 Bei den Eltern: D =0 Dem Thema Homosexualität stehen die meisten MitOstler tolerant gegenüber. Manche Befragte aus MOE-Ländern In WG: D =4 weisen aber auf Schwierigkeiten hin, mit denen diese Menschen in ihrer Heimat zu kämpfen haben (s. auch S. 20 Mit mehreren im Zimmer: D = 1 Orthodox: D =0 MOE = 9 D =0 MOE = 1 MOE = 7 D =3 Keinen: D = 11 oder Äpfel, Frauen oder Männer“. Allein: D =4 D = 24 Bei Eltern: D =3 Viele geben an, dass der Beruf für sie wichtig sei, schließlich verbringe man ja viel Zeit seines Lebens mit Arbeiten. D =2 Dabei steht für die meisten weniger die Karriere im klassischen Sinne als vielmehr die Selbstverwirklichung und die In WG: D =1 MOE = 16 MOE = 8 MOE = 3 MOE = 7 Oft: D =1 MOE = 4 Selten: D = 10 MOE = 11 D = 11 MOE = 7 Nie: Wie würden Sie gerne wohnen? Mit Lebenspartner: D = 13 Unentschieden: D = 7 Geringen: Nehmen Sie am kirchlichen Gemeindeleben teil? MOE = 6 genehm. Aus Weißrussland kam die Antwort, dass jeder ein Recht darauf hätte, was er am liebsten mag: „Orangen Ohne Eltern: MOE = 14 MOE = 2 MOE = 7 MOE = 16 – 22). Von den 6 an der Umfrage beteiligten Ukrainern empfindet die Hälfte von ihnen Homosexualität als unan- Rennende Ratten MOE = 7 MOE = 4 Islam: Großen: Orangen und Äpfel ein zwanzigjähriger Ukrainer will Karriere machen, damit er seiner Heimat etwas Gutes tun kann. Keiner: Christlich: Katholisch: Welchen Stellenwert hat für Sie die Religion? Atheisten unter den deutschen Befragten ist etwa gleich. Die Osteuropäer sind vorwiegend katholisch oder ortho- nicht um jeden Preis teilnehmen wolle. Die Selbstverwirklichung spielt manchmal sogar eine untergeordnete Rolle: MOE = 6 Evangelisch: D = 11 Nein: D = 22 Haben Sie eigene Kinder ? mit der Familie zu vereinbaren. Eine Polin vergleicht den Drang nach Karriere mit einem Rattenrennen, an dem sie MOE = 9 D =8 Welcher Religion gehören Sie an? 12MOE = 20 viel öfter von den Befragten hervorgehoben als anderswo. Erstaunlich ist, dass unter den polnischen Einsendern oft Freude an der Tätigkeit im Vordergrund. Vor allem für weibliche Befragte aus MOE-Ländern ist es wichtig, den Beruf MOE = 17 Leben Sie mit Ihrem Lebenspartner zusammen? So wird in religiös stark geprägten Ländern wie Polen erwartungsgemäß die Integration der Religion in den Alltag dox. Ein Mitost-Mitglied der Umfrage bekennt sich zum islamischen Glauben. D =6 Unentschieden: D = 20 MOE = 20 Wie denken Sie über Homosexualität? MOE = 8 MOE = 26 MOE = 2 MOE = 1 Normal, natürlich: D = 30 Problematisch, unangenehm: D =3 Krankhaft: D =1 MOE = 25 MOE = 6 MOE = 5 MOE = 1 Wie bedeutet Ihnen Ihre eigene Karriere? Ist Ihnen Familie und Ehe wichtig? Ja: D = 25 Unentschieden: D = 6 Nein: D =3 MOE = 33 MOE = 1 MOE = 0 Fernsehen macht blöd Wichtig: D = 17 Nicht wichtig: D =6 MOE = 15 MOE = 3 Arbeit muss vor allem Spaß machen: D = 5 MOE = 3 Will mich selbst verwirklichen: D =5 MOE = 7 Familie ist wichtiger: D =0 MOE = 6 Erstaunt hat uns, dass der Einfluss der Massenmedien auf Werte und Moralvorstellungen nur in Deutschland als Wer hat den größten Einfluss auf Werte- und Moralvorstellungen? hoch eingeschätzt wird - gab es doch gerade in den MOE-Ländern lange Zeit sehr viel Massenpropaganda über Presse, Familie und Bekannte: D = 20 Funk und Fernsehen. Möglicherweise messen heute die Osteuropäer den Massenmedien nach ihrer Liberalisierung Bildungswesen: D =1 in den 90er Jahren weniger Bedeutung bei. Also keine Angst vor „den Superstars“? Die meisten der Befragten finden, Massenmedien: D = 10 MitOst-Verein: D =0 Unentschieden: D =5 dass die Werte- und Moralgrundlagen in erster Linie immer noch von den Eltern im trauten Zuhause vermittelt werden. MOE = 32 MOE = 1 MOE = 2 MOE = 1 MOE = 3 Alles wird gut 16 MitOst Nr. 11| Mai 2003 Bleibt zum Schluss noch die Frage, welches Lebensmotto den Mitostlern eigen ist: „Ora et labora“(Bete und Was ist Ihr Lebensmotto? Arbeite) wird gleich zweimal genannt, aber auch „In die Vollen gehen“. Die Antworten reichen von „Vorbereitung Aktivität: auf den Tod“ bis hin zum Zweckoptimismus „Alles wird gut“. Zum Glück lässt sich nun wirklich nicht alles in Schub- Sorgenfreiheit: D = 11 laden fassen - die unterschiedlichen Antworten zum Sinn des Lebens sprechen für sich. Die Umfrage hat gezeigt, dass Bildung/Erkenntnis: D =7 Sonstiges (Geld etc.): D =6 der MitOst-Verein eine bunte Truppe ist, deren Mitglieder vieles verbindet und für die gilt: „Leben und leben lassen“. (Eine ausführlichere Auswertung ist im Internet unter www.mitost.de abrufbar.) D = 10 MOE = 14 MOE = 11 MOE = 6 MOE = 1 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Undercover-Theologe in Polen Andreas Prokopf, Studium der Publizistik und kath. Theologe, seit 2002 Boschlektor in Chelm Während meines Lektorats für deutsche Landeskunde in Chelm (Ostpolen) merkte ich bald, dass ich den Schülern Deutschland am besten über für mich vertrautes Terrain, die Religion, nahe bringen konnte: die (Ab)-Gründe und Konsequenzen des Calvinismus für Schwaben und Norddeutschland, die deutsche Vorliebe dezentraler Regierungsformen, die Folge eines nachre1 formatorischen „cuius regio, eius religio“ war, und die religiös-kultischen Wurzeln des (katholischen) Karnevals im Gegensatz zur protestantischen Verstandesbezogenheit. Diese Themen weckten bei den Lernenden Interesse: Neu für die Schüler war, dass so viel Pluralität aus einer religiösen Quelle entsprang. Dies wurde interessiert, aber auch mit gewissen Vorbehalten angenommen; kannte man doch bisher nur das Christentum in der polnisch-katholischen Variante, die im Lande kein Konkurrenzmodell hat – die Kirche gilt als Autorität. Den Schülern hat diese neue Sichtweise geholfen, die Vielfalt deutscher Mentalitäten anhand der unterschiedlichen konfessionellen Herkunft zu begreifen. Neben meiner Tätigkeit in Chelm hatte ich Gelegenheit, einen Gastvortrag an der Hochschule der Jesuiten in Krakau (Ignacianum) zu halten. Die Vorträge begannen mit einer für mich ‚befremdlichen’ Zeremonie: einem Gebet. Mir als deutschem Theologen war dies beinahe unheimlich, ich fühlte mich in meiner Privatsphäre belangt. Logo: Boris Bartels, dreimarketing GmbH THEMA Seite 18 THEMA Land und Liebe Holger Schnelle, freier Autor und Journalist, München Fotos: Sören Urbansky Einer der ersten Kommentare meiner damals zukünftigen slowenischen Schwiegermutter zu mir, ihrem deutschen Schwiegersohn, war, dass ein Verhältnis zwischen zwei Menschen aus unterschiedlichen Ländern, aus rund 800 Autobahn-Kilometer voneinander entfernt liegenden Geburtsorten, nicht funktionieren könne; warum also überhaupt damit anfangen. Nach zehn Jahren deutsch-slowenischer Partnerschaft bzw. Ehe mussten wir feststellen, dass 800 Kilometer tatsächlich zuviel waren. Um mit Elisabeth Beck-Gernsheim zu sprechen: „Die traditionellen Bindungen der vormodernen Gesellschaft lösen sich zunehmend auf (...) , der Lebenslauf wird an vielen Punkten offener und gestaltbarer. (...) Das gemeinsame Fundament muss immer mehr von den beiden Personen individuell hergestellt werden. Dies wird um so 1 schwieriger, je ferner die Welten sind, aus denen sie kommen.” Wo liegen die Unterschiede? Mein Schwiegervater protestierte, als ich Slowenien als „agrarisch geprägten Staat” bezeichnete, dessen Einwohner infolgedessen traditionelleren Lebensformen verhaftet sind, als dies im deutschen Durchschnitt üblich ist. Tatsächlich weist selbst das CIA Fact Book Wisla Kraków hatte gerade Schalke 04 im Ruhrpott 4:1 abgefertigt, und ich nahm das zum Anlass, über kultanaloges Verhalten von Fußballfans zu ‚dozieren’: Ein Blick in die wöchentliche Sportpresse zeigt, wie eng die Bande des Fußballsportes zu den rituell-religiösen Wurzeln geknüpft sind: Slowenien als „starke Wirtschaft” aus. Dennoch kommen auf jeden Slowenen rein rechnerisch 10.000 Quadratmeter Heimatland. In Deutschland bleiben jedem Einwohner 4.300 Quadratmeter; in Großstädten viel weniger. Ein Stückchen Land zu bestellen spielt in Slowenien eine andere Rolle als in Deutschland. Allein der Balkon meiner Schwiegermutter – ein geduckter Betonrahmen in einem 70er-Jahre-Block in München – legt dafür beredtes Zeugnis ab. Aus den Früchten, die sie diesen knappen zweieinhalb Quadratmetern abringt, ließen sich viele Mittagessen bestreiten. Mein Opa „[...] das Unglaubliche geschieht. Der gütige Himmel schenkt dem Tabellenletzten Mainz 05 zwei hatte einen Reihenhausgarten – die einzige Nutzpflanze war ein Büschel Schnittlauch, von dem meine Oma hin und wieder etwas in die Suppe schnitt. Tore. Wenn nicht alles täuscht, bahnt sich ein Leben nach dem Tod beim FSV Mainz 05 an“. Hier, fasste ich zusammen, wird Stoff tradiert, den die Fans in ihren Lebensvollzug aufnehmen, hier geschieht die schriftlich fixierte Überhöhung des Fußballgeschehens. Oft ist die Rede von einem „Fußballgott“, nicht selten wird ein Tor in die Form einer legendenhaften Wundererzählung gebracht, einzelne Spieler erhalten eine bestimmte Rolle in der Heilsdramaturgie der Fußballwelt. Das kultische Ausagieren all dieser Affekte müsste die Fans meiner Meinung nach viel interessanter für die Kirche machen, denn sie sind bereits eine spielende Gemeinde. Nach dem Vortrag gab es verhaltenen Beifall. Dann die ersten Rückfragen: Ist das nicht ein wenig übertrieben, Fußballfans und deren offensichtlich sinnloses Verhalten so überzuinterpretieren? Ich antwortete, dass ich nur beobachtet hätte, wo Kult und Ritus im deutschen Alltag vorkommen. Ich wies darauf hin, dass sich nur noch eine Minderheit in der jungen Generation in Deutschland zur Kirche bekenne und man deshalb die Religion da wahrnehmen müsse, wo sie auftauchte. Nein, schallte es mir entgegen, Evangelisation und Nachfolge Christi seien zu lehren, man dürfe sich nicht der ‚Welt’ und ihrem Konsumzwang aussetzen. Ich fragte nach, ob nicht Christus genau in diese Welt hineingeboren wurde? Es kam zurück, dass er sich aber nicht mit der ‚Welt’ identifiziert habe. Ich hielt zum Besten, dass er sein Leben aber mit gesellschaftlich randständigen Menschen verbrachte und diese zu verstehen suchte. Nein, lautete der Konter, er sei ein Menschenfischer gewesen und habe die Menschen von ihren Götzen befreit. Abends traf ich mich dann mit Studenten anderer Fachrichtungen: Wieder kam das Thema Kirche auf, und nun machte sich eine antiklerikale Haltung breit, die ich nach meinem Erlebnis bei den Jesuiten nicht erwartet hätte: Der ständige Zwang zum Kirchgang, die unreflektierten Moralhämmer aus dem klerikalen Lager gegen jugendliche Befreiungsversuche, die Sinnleere moralisierender Predigten ungebildeter Priester: Auch diese Stimmen gibt es in Polen. Meine Frau verbrachte ihre Kindheit zu einem Gutteil bei einer Tante auf dem großväterlichen Hof. Der Hof wurde nie richtig gewerblich genutzt: Opa, Onkel und Tante lebten von ihren Gehältern als Angestellte bzw. von der Rente. Doch die Zeit nach Feierabend ging ganz in die Bewirtschaftung der Felder und Tiere. Solange ich denken kann, verbrachte mein Vater seine komplette Zeit im Betrieb; meine Mutter später dann ihre im Büro. Für eine Art Arbeit auf irgendwelchen Feldern noch so klein hätte keiner Zeit gehabt. Man arbeitete mit ganzer Kraft am Wirtschaftswunder, nicht an der heimischen Krumme. So unterschiedlich das Verhältnis zum Land, so unterschiedlich sind auch die Familienverhältnisse: Als wir unsere älteste Tochter in Lubljana taufen ließen, war die slowenische Verwandtschaft zahlreich erschienen. Von meiner Seite vertrat nur meine Mutter die Familie. Nach der Feier wurden alle in Autos verfrachtet und eine Tante irgendwo auf dem Land besucht. Es ist leicht, bei jemandem auf einen Sprung oder ein Glas selbstgemachten Wein vorbeizuschauen. Meine Frau fand es immer sehr bemerkenswert, wie lose sich in meiner Familie der Kontakt gestaltet. Ich telefoniere mit meinem Bruder vier Mal im Jahr, obwohl ich sagen würde, dass wir ein gutes Verhältnis haben. Meine Frau telefoniert mit ihrer Mutter fast täglich, obwohl auch sie selbst sagen würde, dass ihr Verhältnis mindestens schwierig ist. In Ihren Gesprächen wimmelt es nur so von Cousinen, Nichten, Onkeln, Großtanten und weitläufigen Bekannten, deren Eltern irgendein Verwandter schon lange kennt. Ich selbst habe schon Schwierigkeiten mir zu merken, wie man das verwandtschaftliche Verhältnis nennt, in dem ich zu den Söhnen meiner Schwester stehe. So wie mein Schwiegervater mit dem Verlauf der Ereignisse und unserer bevorstehenden Scheidung hadert, so haben sich meine Eltern schnell mit den praktischen Konsequenzen unserer Trennung befasst. Sie selbst haben sich scheiden lassen und nichts anderes vorgelebt. Dort, wo meine Schwiegereltern am Maßstab eines tradierten Lebensmodells noch eine gewisse Empörung spüren, sehen meine Eltern nur die Brüche in ihren eigenen Biographien. Kein Wunder, meine Eltern hatten nie einen Garten. 1 „Wessen das Land, dessen ist die Religion“ (Grundsatz des Augsburger Religionsfriedens 1555, nach dem der Landesfürst die Konfession der Untertanen bestimmte) 18 MitOst Nr. 11| Mai 2003 1 Beck/Beck-Gernsheim, Das ganz normale Chaos der Liebe, Suhrkamp, S. 73 und 114 MitOst Nr. 11| Mai 2003 19 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 20 THEMA THEMA dies weniger als Ausdruck eines gestiegenen Demokratieverständnisses zu werten, sondern vielmehr als ein Zugeständnis an den Zum einen wurden die Erwartungen vieler Aktivisten und Aktivistinnen hinsichtlich der Geschwindigkeit des Demokratisierungs- Westen. Die Abschaffung des Paragraphen 121.1 war Voraussetzung, einen Sitz im Europarat zu erlangen. Auch die Zwangspsychi- prozesses in Russland enttäuscht. Zum anderen können die meisten nichtstaatlichen Organisationen in Russland ohne Hilfe aus atrisierung wurde abgeschafft. Die Praxis hat sich seitdem zwar außerhalb der Metropolen kaum verändert – Lesbisch sein wird meist weiterhin als Persönlichkeitsstörung diagnostiziert und Zwangs- dem Ausland nur schwer bestehen. Finanzielle Unterstützung westlicher Stiftungen ist jedoch an strenge Vorgaben gebunden, die häufig an der Realität lesbisch-schwulen Lebens vorbeigehen. An einweisungen bleiben an der Tagesordnung – aber immerhin kann man gegen Missbrauch rechtlich vorgehen. erster Stelle steht für diese nämlich, Treffs zu organisieren. Diese sind auch deshalb so wichtig, weil viele in Kommunalwohnungen Die meisten der oben genannten Organisationen bestehen heute nicht mehr. Erste Zerfallserscheinungen zeigten sich bereits nach oder bei den Eltern leben, wo sie gezwungen sind, eine heterosexuelle Scheinexistenz aufrechtzuerhalten. Bis heute scheint vielen Lesben und Schwulen das Risiko eines öffentlichen Outings, das der Abschaffung des § 121.1. Dafür gibt es wohl mehrere Gründe: mit politischer Organisierung verbunden ist, zu hoch. „Warme Brüder“ ins kalte Sibirien? In Osteuropa ist Homosexualität immer noch ein Tabu Nadine Reimer, Studentin, Forschungsarbeiten über Homosexualität in Russland, Universität Bremen Foto: Sören Urbansky Rosarot und Himmelblau: Lesben und Schwule in Russland Inga Karbstein, Magister Osteuropa-Studien, Politikwissenschaften und Soziologie, Berlin Zumindest in St. Petersburg und Moskau können sich Lesben und Schwule, die auch Rosane (rozavye) und Himmelblaue (golubye) genannt werden, seit Mitte der 90er Jahre in eigenen meisten Berichte sensationslüstern und dienen wohl eher der Auflagensteigerung als der Aufklärung. Trotzdem kann das Aufbrechen des jahrzehntelangen Schweigens nicht hoch genug eingeschätzt werden. Clubs und Cafes treffen. Längst kennen diese Treffpunkte nicht nur „Insider“, auch viele junge Heterosexuelle finden diese Clubs mittlerweile chic. Goldene Zeiten also für Lesben und Schwule in Russland? Neben reißerischen Artikeln über behaarte Mannweiber, kreischende Tunten und pädophile Schwule gibt es auch Berichte von Lesben und Schwulen, die ihre Stigmatisierung und gesellschaftliche Isolierung beschreiben. Doch auch wenn die Diskussion oft in homophoben Klischees verhaftet bleibt, wird zumindest über Homosexualität gesprochen. Mitnichten, aber die Situation hat sich seit 1993 verbessert. In Interview zu Interview mal als Paar aus, mal stellen sie dies in Frage, dann wieder wollen sie normale Familien und Kinder. Die meisten halten das Auftreten der beiden eher für eine geschickte Verkaufsstrategie. Aber ob nun homosexuell oder nicht, entscheidend sind die Reaktionen, die von Entsetzen über Zensur bis hin zu Verboten reichen. In Großbritannien beispielsweise wurde die Kuss-Szene der beiden Mädchen aus dem Video „All the things she said“ herausgeschnitten. Doch nicht nur die englische Gesellschaft scheint in Bezug auf das Thema Homosexualität nicht gerade aufgeschlossen. In Russland versuchten im letzten Jahr einige Duma-Abgeordnete Gesetze einzubringen, die homosexuelle Handlungen wieder unter Strafe stellen. Ein ähnliches Gesetz gab es bereits zu sowjetischen Zeiten, als man Homosexuelle noch nach Sibirien verbannte, ins Gefängnis oder in die Psychiatrie steckte. Das Vorhaben erfährt durchaus Rückhalt in der russischen Bevölkerung. Und auch in anderen diesem Jahr wurde der Strafrechtsartikel 121.1 („Mannlager“) abgeschafft, der in den dreißiger Jahren unter Stalin eingeführt worden war. Homosexualität konnte bis dahin mit bis zu fünf Jahren Lagerhaft bestraft werden. Dort mussten die Männer unter schwersten Repressionen leiden. Lesben waren zwar nicht Gegenstand Lesben und Schwule nutzten ihrerseits die durch die Perestrojka neu gewonnenen politischen Spielräume. Bereits im Jahr 1989 gründete die Dissidentin Evgenija Debranskaja zusammen mit Roman Kalinin die Moskauer Assoziation für sexuelle Minderheiten. In den darauffolgenden Jahren formierten sich unterschiedliche des Strafgesetzbuches, mussten aber Zwangspsychiatrisierung befürchten. Diagnostiziert wurden bei ihnen Schizophrenie und ähnlich schwere psychische Krankheiten. Häufig zog dies auch den Verlust des Arbeitsplatzes und bei Lesben mit Kindern den Entzug des Sorgerechts nach sich. Gruppierungen, die sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten einsetzten. MOLLI (Moskauer Bündnis für lesbische Literatur und Kunst) wurde 1991 ins Leben gerufen. Im Jahr darauf wurde die ArgoRiskVereinigung (Vereinigung für gleiche Rechte von Homosexuellen) in Moskau offiziell registriert. Später nahm ein schwul-les- Diskriminierung Schwuler und Lesben in Osteuropa. Bei einem „Christopher Street Day“ in Belgrad vor zwei Jahren wurde eine Gesellschaftlich lag lange Zeit über den sowjetischen Lesben und Schwulen ein Mantel des Schweigens. Sie existierten schlichtweg bisches Archiv seine Arbeit auf, das auch von Journalisten und Wissenschaftlern genutzt wird. In Petersburg gründeten sich der Caikovskij-Fond, Kryl’ja sowie der Club der unabhängigen Frauen, zu einem Literaturwettbewerb aufgerufen, der nicht einmal von der Menschenrechtskommission des lettischen Parlaments kritisiert nicht in der Öffentlichkeit. Erst durch den unter Gorbačev (1985– 1991) eingeleiteten Demokratisierungsprozess konnte das gesell- der Lesben in der Provinz miteinander vernetzt. Mitte der 90er Jahre folgte die Gründung der Lesbenorganisation Labrys, die bis schaftliche Tabu „Homosexualität“ gebrochen werden. heute aktiv ist. Seit Anfang der 90er Jahre häufen sich die Artikel über Lesben und Schließlich schaffte die Jelcin-Regierung (1991-1999) Anfang der neunziger Jahre den Strafrechtsparagraphen 121.1 ab. Allerdings ist Schwule in den russischen Massenmedien. Zwar waren und sind die 20 „All the things she said“ – so schallt es derzeit aus allen Radios. Das Popduo „t.A.T.u.“ sorgt mit ihrem Lolita- und Lesben-Stil weltweit für Aufsehen. Die Moskowiterinnen geben sich von MitOst Nr. 11| Mai 2003 Ländern des ehemaligen Ostblocks sind Vorurteile gegen Homosexuelle allgegenwärtig. So berichtete das AmnestyInternational-Journal vor einigen Monaten in einem Artikel von der Gruppe Homosexueller von rechten Jugendlichen angegriffen, weder Polizei noch Passanten griffen ein. In Lettland hatte ein großes Verlagshaus mit dem Titel „Lettland ohne Homosexualität“ wurde. Umfragen zeigen, dass rund 90 Prozent der Polen Homosexualität als etwas Unnatürliches betrachten, in Rumänien wollen 90, in Litauen 70 Prozent der Befragten nicht in der Nähe von Homosexuellen wohnen. Mit dem Tabuthema Homosexualität möchte keiner in Verbindung gebracht werden. Sobald sich jemand damit beschäftigt, stößt er auf Unverständnis und wird zumeist als Betroffene/r eingestuft. Viele reagieren mit Schweigen, sind kaum aufgeklärt über das Thema oder haben keine Meinung dazu. „t.A.T.u.“ hingegen nutzen dieses Verhalten, indem sie mit diesen Vorurteilen spielen und provozieren. Im Lied „Ja sošla s uma“ (ich bin verrückt geworden) heißt es „oni govorjat nado srotšno le čit“ (sie sagen, man müsse mich dringend heilen) und genau so denkt ein Großteil der russischen Bevölkerung noch immer. Dagegen anzukämpfen versuchen seit der Perestrojka solche Organisationen wie der „Caikovskij Fond“ oder „Kryl’ja“ in St. Petersburg. Leider sind diese Gruppen eine Seltenheit. Zum einen ist die Gründung solcher Verbände rein rechtlich zwar erlaubt, wird von den Behörden jedoch auf verschiedene Weisen verhindert. Zum anderen ist der Wille zur Gründung von Gruppen, die Einzelinteressen vertreten, in Russland noch immer wenig ausgeprägt. Hinzu kommt, dass die Gründer oder Vorsitzenden der Organisationen zum Teil radikale Ansichten vertraten. So forderte der damalige Herausgeber der homosexuellen Zeitschrift „Tema“, Roman Kalinin, unter anderem eine Legalisierung von Sex mit Kindern, mit Leichen oder mit Tieren. Derartige Aussagen bleiben, im Gegensatz zu solchen der gemäßigteren Vertreter, eher in den Köpfen der Menschen haften, wodurch ein verzerrtes Bild über Homosexuelle entsteht. Die Betroffenen selbst zeigen ihre sexuelle Orientierung nur selten in der Öffentlichkeit. Einerseits ist das berufliche und persönliche Risiko sehr hoch (Entlassung, Diskriminierung, körperliche und seelische Angriffe). Zum anderen sehen die meisten es als ihre Privatsache an, die niemanden etwas angeht. Somit scheint es in Osteuropa weitaus weniger Homosexuelle zu geben als in anderen Ländern, was sicher nicht den Tatsachen entspricht. Vereinzelt versuchen Künstler wie der ukrainische Regisseur Viktjuk oder der russische Schriftsteller Sorokin solche Tabuthemen anzuschneiden, erreichen damit jedoch nur einen geringen Teil der Bevölkerung. Erschwerend für die Lage der Homosexuellen kommt der Faktor AIDS hinzu, der in den östlichen Ländern noch immer als die Krankheit der Schwulen und Lesben gilt. Dieses Vorurteil war auch das Hauptargument jener Duma-Abgeordneten, die eine Rekriminalisierung homosexueller Handlungen anstrebten. Vielleicht erreichen Jugendliche wie „t.A.T.u.“ bei ihrer Generation eine tolerantere Einstellung zu Homosexuellen, damit diese in Osteuropa in Zukunft ohne Diskriminierung leben können. MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 22 THEMA ausgeschaltet wurde. Darauf schrieben mehrere Studenten gemeinsam einen Brief an den Rektor. Bald funktionierte das Licht wieder. Sergij Dowtschenko, 22, Germanistikstudent an der Pädagogischen Universität Nyschin (Ukraine) Du hast gedacht, Indien, Nordrhein-Westfalen oder Doch nicht alles in unseren Studentenheimen ist so schwarz zu sehen. Bei solchen Bedingungen lernt man wirklich Toleranz. Es ist üblich, dass Menschen, die sich noch nie gesehen haben und aus verschiedenen Orten kommen, schon nach ein paar Monaten zu Busenfreunden werden. Auch die Probleme im Heim müssen nicht nur als etwas Negatives betrachtet werden. Im Angehen dieser Schwierigkeiten durch die Studenten steckt eine ungeheure Einigungsmacht. So erinnere ich mich zum Beispiel an eine Zeit, als in unserem Heim das Licht mehrmals am Abend richtig, aber ich kenne noch andere Plätze, wo die Überbevölkerung genauso groß ist. Ich denke da- 22 MitOst Nr. 11| Mai 2003 Doch trotz aller Nachteile des beengten Lebens, wenn ich mich zwischen dem Studentenheim und einer Wohnung entscheiden müsste, meine Wahl würde natürlich auf das Heim fallen!!! Ziegler & Partner GmbH Orzens 42 1095 Lausanne - Schweiz Tel./Fax +41 21 791 32 80 MGU Pervy gumanitarny korpus 175 117 234 Moskva Tel./Fax. +7 095 939 09 80 Jabwbfkmysq ghtlcnfdbntkm Vjcrjdcrjuj Ujcelfhcndtyyjuj Eybdthcbntnf Baltikum 2003 Estland-Lettland Litauen Königsberg / Kaliningrad St. Petersburg Farbkatalog bitte anfordern! www.schniederreisen.de MitOst Nr. 11| Mai 2003 Anzeige Stell dir ein Zimmer vor, 12 Quadratmeter groß, und auf dieser Fläche leben vier Mann. Wenn das kräftige Jungen sind, dann wird es schon manchmal wirklich eng. Bei solchen Bedingungen muss man Toleranz lernen, weil die Interessen und Wünsche vier verschiedener Menschen in einer bestimmten Zeit nicht immer zusammenfallen. Ein klassisches Beispiel ist es vielleicht, wenn du schlafen oder etwas lernen möchtest und deine Nachbarn laute Musik hören oder Lust zum Singen (nicht unbedingt eine schöne Stimme dazu) haben. Und wenn es mehrere sind? Dann Japan sind am dichtesten bewohnt? Das ist schon Ich selbst lebe schon das fünfte Jahr im Studentenwohnheim. Mehr als 50 Studenten habe ich über ihr Leben befragt. Auf „Was gefällt dir am Heimleben?“ habe ich folgende Antworten erhalten: viele Freunde und Bekannte, Spaß, Freiheit und Selbstständigkeit, außerdem fände man im Heim alles Notwendige. Dazu kam noch Folgendes: Unterstützung und Beratung von anderen, Chaos und große Familie. Als Nachteile wurden genannt: Überfüllung, bis vier Uhr morgens Musik hörende Nachbarn, defekte Beleuchtung und Wasserversorgung, fehlende Sportplätze oder der nervige Dienst in der Küche. Auch schlechte Beziehungen zu den Heimverwalterinnen (in beiden Häusern in Nyschin sind das Frauen) wurden bemängelt sowie Kälte im Winter. Russischkurse aller Niveaus an der berühmten Lomonossov Universität (MGU) in Moskau Einzel- und Gruppenunterricht Als Bildungsurlaub anerkannt Reisen mit der Transsibirischen Eisenbahn Flüge, Visaeinladungen und Hotelbuchungen Anzeige bei an die ukrainischen Studentenwohnheime. können schon Probleme entstehen. Sie sind zwar nicht so extrem wie religiöse oder nationale Konflikte, brauchen aber auch Kompromisse. Zu besonders scharfen „Kämpfen“ kommt es in der Küche, wenn alle etwas essen möchten und dieses Etwas unbedingt warm sein soll. Dann gibt es keine Älteren, Damen und Herren, dann gibt es nur eine graue Masse, die man „hungrige Studenten“ nennt. www.studyrussian.com [email protected] 12m 2 Lebenslabor Auch die Vielfalt der zwischenmenschlichen Beziehungen im Wohnheim ist breit: Liebe, Ehe, Freundschaft, Enttäuschung, Ärger usw. Diese Gefühle kennen natürlich alle Menschen. Aber ich bin überzeugt, dass es nirgendwo sonst eine solche Konzentration verschiedener Gefühle auf so kleiner Fläche gibt. Es reicht, nur in ein anderes Zimmer zu gehen und schon trittst du in eine vollkommen andere Gefühlsatmosphäre. Tel. +49-(0)40-380 20 60 Fax +49-(0)40-38 89 65 Fotos: Sören Urbansky Anzeige Das Studentenheim würde ich mit einem kleinen Lebenslabor vergleichen. Dorthin kommen einander fremde Menschen mit eigenen Interessen und Lebensentwürfen. Wenn du mehrere Zimmermitbewohner hast, dann musst du deinen individuellen Lebensstil irgendwie verringern und ihn anpassen oder mit dem der anderen konfrontieren, was natürlich nicht die beste Variante ist. Das Verständnis füreinander kommt meistens nicht nach einer Woche, sondern ist ein langfristiger und schmerzhafter Prozess, der vielleicht nie vollendet wird. 23 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 24 THEMA F E U I L L ETO N CONTRA SPEM SPERO – Porträts ukrainischer Frauen In den ersten Märztagen des Jahres 2003 trafen sich in Lviv/Ukraine 22 junge Frauen aus mehreren ukrainischen Städten und drei Boschlektorinnen, um sich eine Woche lang mit dem Thema „Frauen in der Ukraine“ zu beschäftigen. Ziel war es, ins Gespräch zu kommen – sowohl untereinander als auch mit Lviver Frauen, mit denen wir Interviews führten, um in Porträts ihre Lebenswirklichkeit in der heutigen Ukraine zu beschreiben. Es ist ein Buch entstanden: In diesem Land, wo in den letzten Jahren alte Denkmäler gegen neue, alte Helden gegen neue Helden eingetauscht wurden, haben wir die Heldinnen des Alltags zu Wort kommen lassen. Vielleicht ist es eine Besonderheit der Ukraine, dass man jede Frau, die einem zufällig über den Weg läuft, nach ihrer Lebensgeschichte fragen kann und immer interessante Biografien, Begebenheiten, oft aber auch Tragödien erfährt. Jede Lebensgeschichte ist es wert, niedergeschrieben und weitererzählt zu werden. Unser Buch reicht von Lebensläufen, die man so auch in Westeuropa finden könnte, über Biographien von Frauen, die irgendwie mit dem Leben in der heutigen Ukraine zurechtkommen und mit ungeheurer Kraft und Optimismus den Alltag meistern, bis hin zu Frauen, deren Schicksale es nicht geben dürfte. Jede der porträtierten Frauen hat in dem Land, in dem noch immer keine Normalität herrscht, doch ihre eigene gefunden, finden müssen, und auch ein bisschen Glück – ein Glück, das wir oft nicht verstehen, weil es sich im Überleben erfüllt. Die Geschichte jeder Frau spiegelt zugleich auch einen Teil der 24 MitOst Nr. 11| Mai 2003 Manja Posselt, Boschlektorin in Lviv und Regionalkoordinatorin für die Ukraine Fotos: Kamila Mieszczak ukrainischen Gesellschaft wider. Oxana, 28jährige Marketing-Dozentin, schafft sich eine philosophisch-literarische Rückzugswelt, um Kraft für den täglichen Kampf in ihrer von Männern dominierten Welt zu finden. Die 1927 geborene Lubov hat ein beschwerliches Leben, das eng mit der Geschichte ihres Landes verwoben ist, hinter sich – als 16jährige wurde sie Mitglied der ukrainischen Widerstandsarmee UPA, 1946 dafür verurteilt, verbrachte sie zehn Jahre im Arbeitslager in Kasachstan und widmete gelungener Flucht und Verurteilung wegen Besitzes gefälschter Dokumente versuchte sie, in der Ukraine wieder ein neues Leben zu beginnen. Die Ukrainerinnen wurden von Ukrainerinnen interviewt und porträtiert. So haben wir einen Zugang zu den Frauen gefunden, die es jahrzehntelang gewohnt waren, das Private als Flucht- und Schutzraum abzuschotten und die Öffentlichkeit fernzuhalten. Durch die drei deutschen Teilnehmerinnen wurde eine Sicht von verteilung, Männerfixierung und hohem Stellenwert des Aussehens aus. Das Abwerfen alter Ideale und Mythen würde sie mit der Realität konfrontieren, nämlich, dass sie ausgenutzt und missachtet werden. In einer Gesellschaft, in der Kommunikation prinzipiell schwierig ist, vor allem die Kommunikation zwischen Männern und Frauen, sind Gespräche von Frau zu Frau wie in den Begegnungen dieser Projektwoche sehr wichtig. Oft waren wir so betroffen und auf- außen eingebracht, die zu hinterfragen und Distanz zu wahren half. In der Ukraine wie auch in anderen osteuropäischen Staaten verstehen Frauen sich selbst weniger als Individuen, sondern eifern dem Ideal „Frau“ nach, das sich in der heutigen Ukraine in einer Mischung aus Traditionen sowie Bildern aus westlichen Zeitschrif- gewühlt, dass wir bis spät in die Nacht diskutierten. Viele der Teilnehmerinnen wollen weiter dokumentieren, beobachten, schreiben. Das Buch erscheint im Sommer 2003. ten konstituiert. Es drückt sich in strikter Wahrung der Rollen- Internet: h t t p : / / h o m e . a r c o r. d e / w o m e n s t u d i e s _ u k r a i n e Weitere Informationen: Manja Posselt, m p o s s e l t @ y a h o o . c o m die darauffolgenden Jahrzehnte der Pflege von Behinderten und Alkoholikern. Die Prostituierte Lisa, 19 Jahre alt, erzählt von ihrem Weg zu diesem Beruf, den ständigen Gefahren, ihrem Verhältnis zu Kolleginnen, ihren Hoffnungen und Träumen. Laryssa hängt als Politikerin und Schriftstellerin ebenso in den ukrainischen dynastischen Netzen von Abhängigkeiten und Gefälligkeiten wie ihre männlichen Kollegen und inszeniert sich selbst als moderne, patriotische Ukrainerin. Die 47jährige Halyna ist ein Beispiel dafür, dass oft gerade Akademikerinnen in der Ukraine nichts bleibt als der Handel mit Waren über die Grenze nach Polen und die Arbeit als Marktfrauen, um ihre Familie ernähren zu können. Natalja ist 19 Jahre alt und Jura-Studentin, ihre Berichte vom Studium legen das von Korruption durchdrungene Hochschulsystem offen. Lidja, 35 Jahre alt, Gattin eines Geschäftsmannes, Hausfrau und Mutter dreier Kinder, glücklich im goldenen Käfig, verkörpert exemplarisch Foto: Sören Urbansky Tendenzen in der Ukraine – Ost oder West? Iryna Khomenko, Studentin und Bibliothekarin, Kirowograd/Ukraine Wir wohnen in einem souveränen, unabhängigen Staat. Stimmt das ? Das Leben in der Ukraine ist schwer: hohe Preise, winzige Löhne ein normales Leben und bekommen die Hölle. Ein zweiter Weg für junge Frauen, ins Ausland zu gehen, ist, einen und Renten. Junge Leute finden oft keine Arbeit. Viele Menschen haben die Hoffnung auf normale Lebensbedingungen verloren. Ein Teufelskreis. Die Menschen suchen einen Ausweg und versuchen Mann in einem westeuropäischen Land zu finden und ihn zu heiraten. Es geht hier oft nicht um Liebe – sie suchen ein normales Leben. Dazu gibt es hier viele Heiratsagenturen, die für viel Geld einen die Ukraine zu verlassen. Dazu gibt es mehrere Wege: Erstens, Arbeit in einem anderen Staat finden. Viele Ukrainer und Mann im Ausland finden helfen. Sind die Männer schon verkauft? Aber! Noch gibt es Leute, die die Ukraine lieben. Und das ist nicht die in der Ukraine genauso verschwiegen werden wie neuere Umweltkatastrophen. Das tragischste Schicksal hat Olena, 28. Sie Ukrainerinnen gehen nach Italien, Deutschland und in die Türkei. Ukrainerinnen arbeiten oft als Tellerwäscherinnen, Dienstmädchen oder Haushälterinnen. Viele Mädchen gehen in die Türkei, um als nur ein Wort. Sie leben hier und wollen hier leben, sie wollen ihre Situation verändern. Vielleicht sind sie oft hilfslos, aber sie sind richtige „Heimatlieber“. Sie sagen : „Wir sollten unser Land demo- wurde von ihrem eigenen Mann ins Ausland gelockt und verkauft. Nach fünf Jahren Prostitution in Tschechien und der Schweiz, Tänzerin zu arbeiten und enden als Prostituierte. Sie wissen oft nicht, dass dieses Schicksal in einigen Staaten auf sie wartet. Sie suchen kratisieren. Wir sollten. Wir tun es, wenn es auch lange dauert. Wir werden es schaffen.“ die weibliche Hälfte der „neuen Ukrainer“. Lessja kennt als Galeristin und Künstler-„Mutter“ die Lviver Szene und weiß aus eigener Erfahrung, dass die Kunst ein Feld ist, in dem es Frauen besonders schwer haben. Erschreckend sind Irynas Berichte über die Zustände des ukrainischen Gesundheitswesens, den Umgang mit Schwangerschaftsabbruch und Verhütung. Oxana ist 47 Jahre alt und Ökologin. Sie klärt über die Spätfolgen von Tschernobyl auf, MitOst Nr. 11| Mai 2003 25 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 26 THEMA TTHEMA HEMA Gespräche verlaufen überschäumend, leidenschaftlich und ungebremst. Man hat manchmal den Eindruck, dass es nicht wichtig ist, selbst gehört und verstanden zu werden oder dem anderen zu lauschen. Entscheidend scheint eher zu sein, sich zu präsentieren, als Teil einer kommunizierenden Runde präsent zu sein. Lautstärke und Pathos ist alles, erregte gestische Ausgestaltung selbstverständlich; Inhalt ist sicher auch ganz nett, aber nicht so wesentlich. Verbotenes und Halbverbotenes Warum ich als Frau lieber im Westen leben will Marc Sagnol, 1996 bis 2000 Direktor des Französischen Susanne Hausner, 1994/95 Boschlektorin in Poznan/Polen, Kulturzentrums in Kiew/Ukraine derzeit Lektorin an der Aichi University in Toyohashi/Japan Man kann über schlicht jedes Thema mit Inbrunst sprechen – sei es darüber, ob Keti gestern in der Oper eine blaue Hose und eine schwarze Bluse angehabt hat oder sei es über Gottes Wirken im Foto: Sören Urbansky Lauf der Welt. Schwierig für mich Außenstehenden ist es mitzubekommen, welche Einstellung die Sprechenden gegenüber Thema und Gesprächspartner haben – für mich klingt es fast immer so, als würden gleich die Pistolen gezogen. Schön finde ich, dass die Georgier wohl kein Volk sind, das nach- Ich bin ein großer Anhänger des Ostens und insofern sicherlich eine Ausnahme in Frankreich, wo man in der Regel wenig über Mittel- und Osteuropa weiß. Moral- und Wertvorstellungen sind natürlich etwas anders als bei uns im Westen. Was mir im Osten gefällt, sind die Beziehungen der Menschen zueinander. Es ist einfacher, bei einem Bekannten im Vorbeigehen zu klingeln, es ist leichter, Kontakt mit den Leuten aufzunehmen und die Beziehungen sind meistens nicht oberflächlich. Ich habe während meines Studiums ein Jahr in Ost-Berlin vor der Wende verbracht. Vor 1989 spürte man dort natürlich den starken Druck von oben, aber dadurch hielten die Menschen mehr zusammen und es entwickelte sich eine geistige Kultur des Verbotenen Arbeitskräfte im nur wenig automatisierten Haushalt und meist schlecht bezahlter und körperlich harter Erwerbsarbeit, eine aus den sozialistischen Zeiten rührende scheinbare Gleichstellung der Frau in Männerberufen, die zwar den Frauen den Zugang zur Berufswelt ermöglichte, doch zu welchem Preis? Hilfe im Haushalt und bei der Kindererziehung ist von den Männern dort kaum zu erwarten, gleichzeitig ist das Unverheiratetsein – im Gegensatz zum Westen – ein gesellschaftlicher Makel. Kein Wunder also, dass viele Frauen die Ehe als das kleinere Übel betrachten und sich die Partnersuche einige Mühe kosten lassen. Ist dieses Ziel erreicht, ist Jörg Kassner, Deutschlehrer in Tbilissi/Georgien Die deutsche Sprache kennt grauenhafte Wörter und erfindet immer noch neue hinzu. Schon länger im Gebrauch ist die zweifelhafte Formulierung „Gefühlshaushalt“. Sei es nun Trauer oder Freude, Glück oder Verzweiflung; alle Gefühle, von denen wir Menschen heimgesucht werden, bilden letztendlich eine runde Summe. Halten sie sich nicht, wenigstens annähernd, das Gleichgewicht, so kommen wir emotional ins Straucheln und sehen uns in Gefahr, entweder vertrocknete Misanthropen, Serienkiller oder schlimmstenfalls sogar Stammpublikum des „Musikantenstadel“ zu werden, inklusive des auf dem Gesicht festgefrorenen Dauergrinsens. oder des Halbverbotenen, die sehr reizvoll war. Ein Buch von Kafka oder Anna Achmatowa zu finden, ein Stück von Heiner Müller oder Bulgakow zu sehen, war immer ein besonderes Erlebnis. Obwohl es mit den Anstrengungen oft vorbei, was zum „Matronen- und Kittelsyndrom“ führen kann. Warum ist nun das Leben im Westen so viel angenehmer und einfacher für eine Frau? Es sind sicherlich auch die Männer, die sich nicht mehr alles erlauben dürfen, ihre Disziplinierung durch die man heute alles bekommen kann, ist trotzdem ein höheres Gefühl für die geistigen Werte geblieben, auch für die klassische Literatur Strukturen der westlichen, protestantisch geprägten Gesellschaft. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau im Westen ist wohl nicht Nun gelten wir Deutschen eher als Leute, die ihre Gefühle auf kleiner Flamme am Köcheln halten. Man ohrfeigt sich nicht auf offener Straße, übersteigt nicht zornschnaubend und ein Küchenmesser in der Hand Nachbars Ligusterhecke, küsst und liebt sich bei ausge- und Kunst. Ich habe vier Jahre in der Ukraine gelebt, dort sind die Menschen nur der Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts geschuldet, die in Osteuropa in dieser Form nicht stattgefunden hat, sondern sicher auch der Marktwirtschaft, der Aufklärung und den höfischen knipster Deckenbeleuchtung; ja selbst der Gipfel deutschen Frohsinns, der Kölner Karneval, erinnert weniger an ähnliche Festivitäten anderenorts als vielmehr an den Kindergeburtstag in der Familie besonders freundlich und aufgeschlossen. In der Familie wird eine kranke Großmutter nicht allein gelassen oder ins Hospiz gebracht. Traditionen Europas. Letztere gingen in Osteuropa durch den Sozialismus zugrunde, der den Gentleman als reaktionär und höfli- eines Staatssekretärs im Finanzministerium. Dadurch, dass die Menschen ärmer sind als bei uns, entsteht ein höheres Gefühl der Solidarität und Geld spielt eine weniger große Rolle. Trotz der schwierigen Lebensumstände, wird einem Gast che Umgangsformen als bourgeois verachtete. Westliche Frauen haben in östlichen Ländern einen schweren Stand, stehen sie doch außerhalb der üblichen Rollenmuster zwi- Wie anders die Georgier! Emotionalität ist hier der Treibstoff des täglichen Lebens. Das geht schon bei der Begrüßung und der Vorliebe für den Wangenkuss los: Hierzulande wird richtig geschmatzt, immer alles, was zur Verfügung steht, angeboten. schen den Geschlechtern, quasi als Neutrum, vor allem, wenn sie nicht verheiratet sind, alleine leben und gut verdienen. Diese Händeschütteln dagegen gilt als unüblich. An der Intensität einer georgischen Begrüßung lässt sich, wenigstens für Uneingeweihte, Was die Liebe betrifft, möchte ich hier nur sagen, dass die Frauen im Osten meist nicht so kompliziert sind wie in Frankreich. Bei den gebildeten Leuten ist die Emanzipation der Frau genau so weit fortgeschritten wie im Westen. Unabhängigkeit privilegiert sie zwar einerseits, macht sie aber auch zu Außenseitern in der bestehenden Ordnung, in der die Geschlechterrollen durch Äußerlichkeiten und Verhalten viel keinesfalls der Grad der gegenseitigen Wertschätzung ermessen, man begegnet sich gleichermaßen herzlich, egal, ob man schon vor zwanzig Jahren gemeinsam Vater-Mutter-Kind gespielt oder sich vor genauer definiert sind als im Westen. zwei Tagen zum ersten Mal gesehen hat. MitOst Nr. 11| Mai 2003 (Der Artikel erschien in der „Kaukasischen Post“, einer deutschsprachigen Zeitung in Tbilissi) tragend ist. Mit welch großem Ungestüm man auch einer Angelegenheit zugetan sein mag, in der Regel haben sich nach höchstens drei Tagen die Wogen wieder geglättet. Menschlich vielleicht angenehm, im Lehreralltag aber mitunter verwirrend, da es keine konsequenten Strafmaßnahmen gibt, die in einem nachvollziehbaren Verhältnis zum „Vergehen“ stehen und dann auch durchgesetzt werden. Der Schüler, der einen wassergefüllten Luftballon durchs Schulhaus segeln lässt und dabei das Pech hat, einen Lehrer zu treffen, wird erst mal standesrechtlich der Schule verwiesen und als Psychopath gebrandmarkt. Eine Woche später ist er wieder da und kann üben, vorsichtiger zu werfen. Verblüffend ist für mich, dass Themen, die wiederum in Deutschland mit dem uns zur Verfügung stehenden Maß an Leidenschaft debattiert werden, hier keinen hinterm Ofen hervor locken. Während in Berlin eine gute halbe Million Menschen gegen den drohenden Irak-Krieg protestierte, ging das an Georgien vorbei, so, als würde sich das Geschehen irgendwo weit jenseits des Andromedanebels zutragen. Frühstück im Kaukasus Kultur-, Abenteuer und Trekkingreisen www.kaukasus-reisen.de Frühstück im Kaukasus Kultur-, Abenteuer- und Trekkingreisen www.kaukasus-reisen.de MitOst Nr. 11| Mai 2003 Anzeige 26 Gemeinsam ist den Ländern Osteuropas oft eine gesellschaftlich niedrigere Stellung der Frauen im Vergleich zu den Männern. Die Ungleichbehandlung zeigt sich im Missbrauch der Frauen als Haushaltsdebatte 27 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 28 INTERVIEW Wie leisten Sie sich Ihre geistigen Interessen? Ich arbeite manchmal als Dolmetscher, gebe privat Deutschstunden und schreibe gelegentlich für Zeitungen. Allerdings habe ich nie behauptet, Schriftsteller zu sein. Ich erzähle lediglich harmlose Geschichten vom wahren Russland, weit weg von den großen Zentren. Sie haben Freunde im Westen. Können Sie im Vergleich zu Russland Unterschiede in den Wertvorstellungen ausmachen? Die jungen Leute im Westen haben die Möglichkeit, zu reisen und intelligente Leute zu interessanten Gesprächen zu treffen. Im Gegensatz dazu ist man in Russland isoliert. In der Isoliertheit hat sich der so genannte russische Chauvinismus entwickelt und der macht mir Angst. Zweifel sind ja nur im Vergleich möglich. Wenn die Leute aber keine Möglichkeit zum Vergleichen haben, denken sie: Wir sind der Nabel der Welt. Dazu kommt dann noch der imperiale Größenwahn eines Reiches, das nicht mehr existiert. Weshalb ist der Chauvinismus in Russland so verbreitet? Das liegt wohl zum großen Teil daran, dass Chauvinismus von Seiten des Staates gefördert wird. Zum Beispiel wurde die militärpatriotische Erziehung in den Schulen als Pflichtfach eingeführt. Da üben die Schüler ein bisschen Schießen mit Gewehren und das Tragen von Gasmasken. Sie sagten, der Chauvinismus mache Ihnen Angst. Was befürchten Sie? Dass die Aggressivität immer wieder nur Aggressivität hervorbringt. Man sollte Probleme besser mit dem Verstand lösen. Der Chauvinismus macht Russland unattraktiv für Investoren. Normale Kontakte mit dem Ausland lassen sich so nicht herstellen. Foto: Andrzej J. Koszyk L a c h e n a u s Ku m m e r E i n I n te r v i e w m i t A l e x a n d e r I k o n n i k o w ü b e r U m b r ü c h e , G r ö ß e n w a h n u n d d i e Ku n s t d e s Ü b e r l e b e n s Stichwort Überlebenskunst: Was erwarten die Menschen in Ihrer Umgebung vom Leben, welche Ziele haben sie? Das einzige Thema vor, während und nach der Abendserie im Fernsehen ist nur noch das Geld. Man bekommt sein Gehalt nicht rechtzeitig und wenn es kommt, ist es von der Inflation schon wieder überholt. Die Leute haben es aufgegeben, in Rubeln zu rechnen. Sie rechnen in Euro oder Dollar. Gleichzeitig sind alle Mittel recht, um sich zu bereichern oder zu überleben. Egal, ob dabei fremde Köpfe rollen. Es ist ein ständiger Stress um ein paar Rubel. Niemand tut irgendetwas umsonst, wie es früher oft der Fall war. Was Überlebenskunst bedeutet, ist im Westen wohl kaum vorstellbar. Mit seiner Sabine Witt, 1999 bis 2000 Boschlektorin in St. Petersburg, Journalistin, Zürich/Schweiz Alexander, in Ihrem ersten Erzählband „Taiga Blues“ versammeln Sie recht drastische Geschichten. Nehmen wir die erste Erzählung, in der eine Frau im Streit ihrem betrunkenen Mann ein Bein abhackt. Das eigentliche Sujet aber ist die Unfähigkeit der Polizisten, die das Körperteil zu entsorgen haben. Wollen Sie damit sagen, dass den Menschen die Moral abhanden gekommen ist? Nein, ganz und gar nicht. Diese Geschichte ist eine wahre Begebenheit. Ein Offizier der Miliz hat sie mir erzählt. Die Leute waren eben im Suff – damit ist alles erklärt. Man muss das nicht dramatisieren. Die älteren Generationen behaupten zwar immer wieder, dass früher das Wasser nässer war und das Kilo schwerer. Aber die heutigen Menschen unterscheiden sich fast nicht von den früheren. Und die wahren Werte im Leben – Moral und Liebe – sind ebenfalls noch immer reichlich vorhanden. Nichtsdestotrotz scheint in Ihren Geschichten moralisch vieles schief zu laufen. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Russland gerade soziale Umbrüche durchlebt. Der ausgebrochene pure Kapitalismus bewirkt, dass die Bedeutung des Körperlichen, des Materiellen alles andere überwiegt. Die Menschen in meinem Alter sind eine Übergangsgeneration: in der Sowjetunion geboren und jetzt im quasi-demokratischen Russland lebend. Das führt natürlich zu Frustrationen. Der Mensch ist auf so etwas nicht vorbereitet. In der Provinz vollzieht sich der Wandel viel langsamer als in den Großstädten. Es finden sich hier noch Kleinode aus der sowjetischen Erziehung, doch treten sie zumeist in Widerspruch zu den neuen Verhältnissen. Was sind das für Kleinode? Zum Beispiel hatte man uns beigebracht, Bäume zu pflanzen. Von der Schule aus legten wir Parks und Alleen an. Heute steht in der russischen Gesellschaft jedoch die Überlebenskunst im Vordergrund. Denn: Erst kommt das Brot und dann das Geistige. 28 MitOst Nr. 11| Mai 2003 Früher waren Werte wie Solidarität und Hilfsbereitschaft Teil der staatlich verordneten Ideologie. Was ist davon übrig? Nichts. Zum Beispiel verleiht man kein Geld mehr. Wenn man früher mit Freunden ausgehen wollte und gerade kein Geld hatte, machte das nichts. Heute bleibt man dann zu Hause. Das ist doch traurig. Kurzgeschichtensammlung „Taiga Blues“ (Alexander Fest Verlag 2002, aus dem Russischen von Annelore Nitschke) sorgte der Die Frage von Gut-Sein und moralischem Handeln hat eine lange Tradition in der russischen Literatur. Welchen Autoren stehen Sie in dieser Hinsicht am nächsten? In der deutschen Literatur schätze ich Hermann Hesse, in der russischen besonders Anton Tschechow. Mir fällt dazu ein: Das westliche Bild von Russland ist vor allem durch die russischen Klassiker geprägt. Aber diese Autoren waren doch überwiegend Adlige, die viel im Ausland gelebt und wenig mit dem wirklichen Russland zu tun hatten. Diese Vorstellungen sind veraltet. junge russische Autor Alexander Ikonnikow im deutschsprachigen Raum für einiges Aufsehen. Ikonnikow wurde 1974 in Urschum bei Kirow geboren. Er studierte Germanistik und arbeitete als Sie schreiben gerade an Ihrem ersten Roman. Bleiben Sie darin Ihren Themen treu? Er spielt in einer Großstadt. Die sozialen Brüche spielen wiederum eine Rolle – die Handlung beginnt in der Sowjetzeit. Eine einfache junge Frau befindet sich auf der Suche nach Glück und Liebe. Es geht um ganz normale menschliche Werte, die nicht spezifisch russisch sind. Die Deutung überlasse ich aber lieber den Kritikern. Dorfschullehrer. Er lebt derzeit in Kirow, gibt Deutschunterricht, dolmetscht, schreibt als freier Journalist und arbeitet an seinem ersten In den deutschsprachigen Feuilletons wurde an den Kurzgeschichten in „Taiga Blues“ des öfteren bemängelt, sie seien allzu stark auf Pointen ausgerichtet. Was halten Sie von diesem Vorwurf? Das kann ich erklären. Gerade im Kummer entwickelt sich oft der Witz, aber auch der Irrwitz. Dort wo die Lebensumstände nicht gut sind, lachen die Leute lieber und öfter. Als ich die Geschichten von „Taiga Blues“ schrieb, war ich nahe dran, auszurasten. Ich fragte mich: Wo bin ich hier eigentlich? Das Schreiben war für mich eine Art Protest. Ohne Humor kann man da allerdings gar nichts machen. Wenn man das Ganze zu ernst nimmt, möchte man nur noch weinen. Roman. Im Herbst 2003 wird er auf der Frankfurter Buchmesse auftreten und in Zürich bei der MitOst-Veranstaltungsreihe „Okno – Fenster zur russischen Kultur“ lesen. MitOst Nr. 11| Mai 2003 29 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 FEUILLETON 12:55 Uhr Seite 30 F E U I L L ETO N Unbehagen zwischen den Welten Der ukrainische Fotokünstler Boris Michailov Susanne Altmann, Kunsthistorikerin und Kuratorin, Dresden Foto: Uwe Frauendorf, Presse und Werbefotograf, [email protected] Boris Michailov (*1938) hat die westliche Kunstwelt geschockt. Und da alle Kuratoren, Galeristen und Theoretiker geglaubt hatten, dass so etwas längst nicht mehr möglich sei, lieben sie den Künstler sie aus Bauchhöhe. Den Betrachtern des armseligen, reduzierten Stadtlebens nötigt er eine Demutsgeste ab, indem er die Streifen konsequent auf Nabelniveau installiert. Diese ungewohnte Mann aus Charkov (Ukraine). Michailov, neben Ilya Kabakov einer der international renommierten Künstler aus der ehemaligen Sowjetunion, misstraut diesem Erfolg. Und das, obwohl er auch in diesem Jahr wieder zwischen Berlin und London mit großen Ausstellungen gefeiert wird. Perspektive leitet der einstige Ingenieur von einer sowjetischen Fotografiedoktrin ab: 1. Du sollst niemals von einem höheren Standpunkt als dem 2. Stock fotografieren, schon gar nicht Bahnhöfe, Fabrikanlagen oder andere Objekte von Spionageinteresse, 2. Nie sollst Du das Ansehen der Sowjetunion in Deiner Motivwahl her- In der Tate Modern (London) zeigt der Fotograf jenen provokanten Zyklus „Case History“, mit dem ihm 1999 der Durchbruch gelang. Die 500 Aufnahmen umfassende „Fallstudie“ zeichnet ein bedrükkend reales Bild aus dem Obdachlosenmilieu seiner Heimatstadt Charkov und fordert das Kunstpublikum heraus. Auf den großformatigen Hochglanzprints herrscht das Elend der postsowjetischen Gesellschaft: heruntergekommene Outcasts, Alkoholiker, mental und physisch angeschlagene Existenzen und billige Prostituierte werden zu Protagonisten erhoben, ohne Denunziation oder Verlust an Würde. absetzen und 3. Keine Aktbilder! Das letzte Gebot brach Michailov fortwährend; die sklavische Einhaltung der beiden anderen erhob er zum Stilmittel. Ohne diese Prämissen, ohne das sperrige Ambiente seiner Heimat scheint sein Werk undenkbar. Und doch vollzog sich in den letzten Jahren eine Wandlung, die ihm selbst nicht ganz geheuer scheint. Seit 2002 unterrichtet Michailov an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, als Gastdozent des DAAD. Hier, im von Bildern überfluteten Westen, stellt er sich eine Grundsatzfrage: „Was kann man heute Jakes. Ein guter Ort. Gabriele Neeb, freie Fotografin, Barcelona Nahe der Stadt Modrica in Bosnien befindet sich das Heim Jakes, ein Institut für die Behandlung, Rehabilitation und soziale Pflege psychisch kranker Menschen. In Fachkreisen galt die Anstalt lange Zeit als Alternative zu den klassischen Behandlungsmethoden der Psychiatrie. Das Konzept basiert auf dem Prinzip der Offenheit und hatte die Resozialisierung der Patienten zum Ziel. Der Krieg auf dem Balkan in den 90er Jahren, der zu mehrfachen Übernahmen von Modrica führte, Noch bis vor Kurzem behauptete Michailov hartnäckig seinen überhaupt noch fotografieren?“ Er hat seinen Lebensmittelpunkt aus logistischen Gründen mittlerweile nach Berlin verlegt und es kommt ihm vor, als verlöre er langsam seine künstlerische Identität. Standort außerhalb der Kunstmetropolen des Westens, denn: „ Der Westen lenkt mich zu sehr ab. Wo sonst könnte ich so intensiv Tagebuchartige Skizzen entstehen hier – für uns sicherlich noch immer großartige Fotografie. Für ihn selbst mangelt es den neuen arbeiten wie in Charkov?“ Dort entstanden in vier Jahrzehnten beeindruckende Bilderfolgen wie „By the Ground“. So benannt nach dem russischen Originaltitel von Maxim Gorkis „Nachtasyl“, Arbeiten an jener Unverwechselbarkeit, die seine sozialen Reflexionen in der Vergangenheit mit politischen Inhalten verknüpften. Und genau aus diesem Unbehagen heraus reist Boris Michailov immer Im Chaos der Kriegswirren hatte niemand mit den Patienten gearbeitet oder sie auch nur beim Namen genannt. Die Ärzte mussten nach Ende des Krieges feststellen, dass einige der Patienten ihren eigenen Namen vergessen hatten. Mit Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen versuchten die Ärzte zeigen die Panoramafotografien in quasi nostalgischem Sepiaton ukrainische Straßenszenen der 90er Jahre. Aufgenommen hat der wieder zurück in die Ukraine, als Chronist des dortigen Lebens. Vielleicht kehrt er eines Tages ganz nach Charkov zurück. und Pflegekräfte wieder in den normalen Alltag zurückzukehren. Seitdem wurden einzelne Stationen renoviert und eine Heizung installiert. Die wieder aufgenommene Landwirtschaft ermöglicht eine Arbeitstherapie. unterbrach diese auf Kontinuität ausgerichtete Behandlungsmethode drastisch. Die Patienten mussten in viel zu kleine Ersatzquartiere evakuiert werden. Während um die Anstalt herum Krieg herrschte, kämpften Ärzte und Patienten um das blanke Überleben. 72 Patienten starben in dieser Zeit an Infektionen und Hunger. Für die westliche Welt ist es nicht vorstellbar, dass es Glück auch in schlechten Verhältnissen gibt. Diese Vorstellung stellt ihre Werte und Normen in Frage: In der hedonistischen westlichen Welt wird Glück im Äußeren gesucht. Und doch sind die Bewohner von Jakes nicht unglücklich. Das Heim in Jakes ist eine eigene geschlossene Welt, in der die Bewohner Hilfe und Verständnis erfahren. Die Bewohner treten nur selten freiwillig durch ein meist geöffnetes Tor ins „normale“ Leben. Jakes ist ein guter Ort. Die Fotos entstanden als Abschlussarbeit an der Staatlichen Fachakademie für Fotodesign in München. Kontakt: Gabriele Neeb, [email protected] 30 MitOst Nr. 11| Mai 2003 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 32 FEUILLETON Ästhetik der Leere Ein Buch über moderne Architektur in Zentralasien Cornelia Dörries, Stadtsoziologin und Architekturkritikerin, Zeitungsund Buchpublikationen, Berlin Fotos: Anja Heß Kioski Nachdem die erste Ausgabe ein Erfolg war, Fische und Kalmare. Taschentücher oder Kondome? Kein Problem. Sie benötigen Damenbinden? Im Kiosk liegen sie bereit (jetzt müsste man nur noch wissen, was Damenbinde auf Russisch heißt). Der Kiosk bei mir um die Ecke hat bis vor kurzem auch Blumentöpfe verkauft. Wohl ohne Erfolg, jetzt gibt es Kerzen. Spielzeug, Tee oder Kaffee? Gibt’s! Kugelschreiber? Gibt’s! Nagelscheren habe ich gesehen, Klopapier, Schuhcreme und Kleiderbürsten. Gibt es alles, meist 24 Stunden am Tag. Man muss nur wissen, wie es geht. Wenn die Rede auf Kasachstan, Usbekistan oder Kirgistan kommt, ist man gewöhnlich geneigt, sich im Atlas zu vergewissern, um welche Regionen der Erde es sich dabei handelt. Meistens versinken die ohnehin vagen Vorstellungen in jenem diffusen Nebel, der die Entwicklung in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion umgibt: Umweltkatastrophen, Armut, postsozialistische Despotenregimes und Verfall. Dieses endzeitliche Leitmotiv lässt vergessen, dass neben diesen verheerenden Tatsachen in den zentralasiatischen Ländern allmählich auch Neues entsteht. Und was könnte den Anbruch einer neuen Zeit sinnfälliger verkörpern als neue Städte, neue Häuser, ergo Architektur? haben sich der damalige Sprachassistent Nehmen wir an, Sie sind neu in Nowosibirsk und Sie haben auf dem Heimweg Lust auf ein Bier. Ein des Goethe-Institutes, Jan Helfer, und die freundlicher Abend, nur fünf Grad unter Null. Das Bier wird nicht sofort in der Flasche gefrieren. Da! Ein Kiosk! Doch es ist keine Verkäuferin zu sehen, der Kiosk hat keine Öffnung. Nach einigen Minuten Den Berliner Architekten und Journalisten Philipp Meuser ver- Jan Helfer, schreibt für Novokult, Goethe-Institut, Projektberater, Saratow/Russland Kioske gibt es auch in Deutschland. Man kann da Zigaretten oder Zeitschriften kaufen. Man geht zum Kiosk, weil man zum Beispiel Zigaretten kaufen will. Der Verkäufer sitzt in seinem Kiosk, lächelt glücklich – wahrscheinlich denkt er gerade: „Oh, ein Kunde! Wie schön!“ – und sagt: „Guten Tag. Was darf’s sein?“ „Guten Tag. Bitte Zigaretten.“ „Hier, bitte. Das macht drei Euro.“ „Danke. Hier drei Euro. Bitte.“ „Ja, danke und einen schönen Tag.“ „Danke, ebenso.“ Die Glosse ist der Zeitschrift Novokult entnommen, die vor fast zwei Jahren in Nowosibirsk gegründet wurde. Die erste Ausgabe, die aus einer spontanen Idee entstand, enthielt Neuigkeiten aus Deutschland, Informationen über Studienund Stipendienmöglichkeiten, die Adressen der deutschen Organisationen in Novosibirsk und einen Kulturkalender. Bosch-Lektorin Anja Heß daran gemacht, NovoKult regelmäßig herauszugeben. Es wurden Projektgelder bei verschiedenen Institutionen beantragt und weitere Leute zur Mitarbeit angesprochen. Aus den anfänglichen acht Seiten sind zwanzig geworden. Mittlerweile arbeiten auch die ver- Geht also ganz leicht, ist aber auch etwas langweilig. Und wer will schon immer Zeitschriften oder Zigaretten kaufen? In Russland ist das alles besser. An Kiosken kann man alles kaufen außer Waffen und Pinguinen. Es gibt Schokolade, Chips, Bier und Zigaretten. Man bekommt Waldmeisterlimonade und Erdbeersaft. Hunger? Schnell zum Kiosk, Fischkonserven kaufen. Es gibt sogar richtige kleine tote entdecken Sie eine Klappe auf Bauchnabelhöhe. Wieder zwei Minuten später fassen Sie Mut. Sie klopfen. Die Klappe öffnet sich. Sie sind glücklich und warten auf das vertraute „Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?“ Die Klappe schließt sich wieder. So funktioniert es nicht. Sie klopfen erneut, es wird geöffnet und jemand fragt genervt: „Was?!“ Lassen Sie sich nicht verunsichern. Nennen Sie schnell eine Biermarke, die Sie aussprechen können. Beugen Sie sich nicht zur Klappe hinunter, das sieht Studenten und Kollegen schreiben Artikel dämlich aus. Stecken Sie nicht den Kopf durch die Öffnung. Im Kiosk tut sowieso niemand so, als dächte er: „Oh, wie schön, ein Kunde!“ Dort denkt jemand: „Wer etwas kaufen will, soll sich kurz und klar artikulieren. Ich will hier nämlich in Ruhe rauchen. Außerdem kommt sonst kalte Luft in meinen und helfen beim Layout. Die Zeitung er- Kiosk.“ Halten Sie sich daran, dann kriegen Sie auch Ihr Bier. schiedenen deutschen Kulturmittler im Redaktionsteam der Zeitung, russische scheint in einer Auflage von 1000 Exemplaren. Die Zeitschrift enthält verschiedene Rubriken wie „Neues aus Deutschland“, „Neue deutsche Literatur“, „Interviews“, „Schwerpunktthema“, „Kulturkalender Novosibirsk“, „Studieninformationen“ uvm. 32 MitOst Nr. 11| Mai 2003 schlägt es seit einigen Jahren immer wieder nach Zentralasien. Diese riesige Region ist weder pittoresk noch einladend, und unübersehbar von den üblichen gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Verwerfungen gezeichnet. Städte und Landschaft sind von den Folgen jahrzehntelangen Raubbaus an Mensch und Umwelt geprägt und werden noch lange an diesen Altlasten tragen, die auch das sich allmählich herausbildende Neue mit einer schweren Hypothek belasten. Insofern stellt sich Philipp Meuser einem fast uneinlösbaren Anspruch, wenn er nach über zehn Jahren Unabhängigkeit in Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan auf die Als ich neulich zu meinem Lieblingskiosk ging, war es schon dunkel und niemand auf der Straße. Ich beugte mich doch einmal zur Klappe hinunter. Im Kiosk saßen drei Frauen und rauchten. Ich brauchte einen Blumentopf, es gab aber nur Kerzen. Die drei Frauen rauchten immer weiter, der ganze Kiosk war schon voller Rauch. Ich nahm meine Kerzen und ging. Als ich mich umdrehte, hatte Suche nach einer eigenständigen neuen Architektur geht, die das Erbe des Sowjetzeitalters mit den ethnisch geprägten Bautraditionen zu vereinen vermag. Dafür bieten die knapp 150 Seiten des großformatigen Kompendiums schlicht zu wenig Platz. Allerdings vermitteln die eindrücklichen Fotos mit Texten von insgesamt acht der Rauch die ganze Luft im Kiosk verdrängt. Der Rauch, leichter als Luft, stieg auf und löste den Kiosk von der Erde. Unsicher taumelte er in der Nacht, stieg schneller auf und flog in eleganter Linie über das Zentrum der Stadt nach Norden. Ich blieb am Boden zurück, sah dem immer kleiner werdenden Kiosk nach, der still davonschwebte und schon weit entfernt am Nachthimmel glitzerte: Wohin werden sie wohl fliegen? Was werden sie tun? Autoren einen informativen Eindruck der gegenwärtigen Entwicklung in Architektur und Städtebau Zentralasiens. Hier löst das Buch den Anspruch seines Titels ein: Es dokumentiert die Ästhetik von vier Jahrzehnten städtebaulichen Ehrgeizes in einer Steppenlandschaft, die so groß ist wie das gesamte Mittel- und Westeuropa. Dabei beschränkt sich der Herausgeber auf die moderne Architektur von 1961 bis zur Gegenwart. Die dokumentierten Neubauten spiegeln einen Aufhol-Prozess wider, mit dem der Anschluss an die westliche Moderne der Büro- und Hotelquader gesucht wird und Identität bestenfalls in einer Art vulgarisierter Folklore daherkommt. Ein eigenes, erschütterndes Kapitel ist dem ökologisch kollabierten Aralsee und den sterbenden ehemaligen Fischerdörfern an seinen Ufern gewidmet. Da geht es weniger um architektonische Aspekte als vielmehr um einen schockierenden Tatbestand mit beängstigenden Konsequenzen für Mensch und Natur. Die Bilder in dem Buch belegen eine gravierende Unausgewogenheit zwischen Stadt und Land, den Metropolen und ihren unfassbar weiten Peripherien. Auf der einen Seite gibt es phantasmagorische Projekte wie die Planung und Errichtung der aseptischen neuen kasachischen Hauptstadt Astana, die auf Geheiß des Präsidenten Nasarbajew nach dem Masterplan des japanischen Architekten Kurokawa in die Steppe geklotzt wird, während andererseits die kleineren Städte, Dörfer und Siedlungen im Landesinneren verelenden und verfallen. Dem vergifteten politischen Humus, auf dem diese fatale Entwicklung gedeiht, widmet das Buch leider wenig Aufmerksamkeit. Dennoch gelingt es, die Neugier des Lesers auf Exotisches in tiefer gehendes Interesse am Schicksal der Länder zwischen Ural und chinesischer Grenze zu verwandeln. Philipp Meuser (Hrsg.): „Ästhetik der Leere. Moderne Architektur in Zentralasien“ Verlagshaus Braun, Berlin 2002. ISBN 3935455135, EUR 29,80 MitOst Nr. 11| Mai 2003 33 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 34 FEUILLETON Wenn du ganz allein bist... Das Jugendsorgentelefon in Rostow am Don ist oft die letzte Hilfe Lisa Borsenko und Anna Ermolenko, Journalistik-Studentinnen, Rostow am Don/Russland Es gibt Probleme, die man auch sehr nahe stehenden Menschen nur schwer mitteilen kann. Sie würden sie sowieso nicht verstehen, und Freunde lachen vielleicht nur über ernsthafte Sorgen. Zum Psychologen zu gehen wagt nicht jeder. Für manche ist ein anonymer Anruf das letzte Mittel. Das Rostower Jugendsorgentelefon existiert seit sieben Jahren und wird von der russischen nichtstaatlichen Stiftung „Humanitäre Initiativen“ getragen. Jeder Anrufer hat das Bedürfnis, dass in seiner schwierigen Situation jemand wirklich zuhört und hilft. Dazu muss dieser Jemand feinfühlig und verständnisvoll sein. Manchmal reicht ein kurzes Gespräch am Telefon, manchmal hängt vom rechtzeitigen Rat das Schicksal des Hilfesuchenden ab. Die häufigsten Probleme bei Jugendlichen sind die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Mädchen rufen an, weil sich ihre Freunde für andere Mädchen interessieren. Oder es gibt Fälle, dass der Partner viel älter ist als das Mädchen und die Eltern deswegen gegen die Beziehung sind. Im schlimmsten Fall hat der Freund schon anderswo Frau und Kinder. Oder ein Junge interessiert sich für einen anderen Mann, was seine Umwelt nicht verstehen würde. Es gibt oft auch Anrufe von Jugendlichen nach dem Sinn des Lebens. Andere wiederum sind so verzweifelt, dass ihnen ein Selbstmord als das letzte Mittel erscheint. Mit diesem Problem müssen sich die Seelsorger etwa 20-40 Mal im Monat auseinandersetzen und schnell Hilfe anbieten. Telefonnummer des Rostower Sorgentelefons für Jugendliche: + 7 ( 8 6 32 ) 4 0 - 39 - 38 (Russisch) Foto: Arndt Lorenz Die Arbeit beim Sorgentelefon ist ehrenamtlich. Jeder der fast 70 Berater leistet 6-12 Stunden pro Woche Telefondienst. „Für mich ist es ein Ort, wo man mehr über Menschen und sich selbst erfahren kann. Die stärkste Motivation war, dass mich jemand braucht“, so eine der Mitarbeiterinnen, die sonst als Wirtschaftswissenschaftlerin tätig ist. Das Alter der Helfer ist begrenzt, zwischen 19 und 29 Jahre sollten sie sein, weil in diesem Alter die persönlichen Erinnerungen an die erste Liebe oder an Probleme mit den Eltern noch frisch sind. Eine große Schwierigkeit besteht darin , dass die Telefonleitung oft besetzt ist, weil es nur eine Verbindung gibt. Ein zusätzlicher Briefdienst ermöglicht die Kontaktaufnahme für Jugendliche, die kein Telefon zur Verfügung haben oder nicht anrufen können. Das Rostower Jugendsorgentelefon ist übrigens keine staatliche und natürlich erst recht keine kommerzielle Einrichtung, deshalb ist das Problem der Finanzierung immer aktuell. Die Erfahrung, die die Berater während ihrer Arbeit in Rostow machen, ist unschätzbar. Die Erlebnisse und Gefühle des Menschen waren und bleiben in allen Zeiten entscheidend auf dem Weg zu uns selbst. Das Sorgentelefon hilft allen, einander besser zu verstehen. Kinderplanet Georgien Rusiko Nikolosischwili, Psychologin und Fotografie-Studentin, Tbilissi/Georgien Für behinderte Kinder und Jugendliche wurde im Jahr 2000 in Tbilissi ein Zentrum für Rehabilitation gegründet: Die Kinder erhalten dort umfassende psychologische Betreuung, Rehabilitation und Sozialanpassung. Eine sehr wichtige Arbeit, denn für behinderte Kinder bestehen ansonsten in Georgien nur sehr wenige Angebote. Rund 20 Fachleute - Psychologen, Neurologen, Psychiater, Therapeuten und Sozialarbeiter - betreuen zwei Gruppen mit je 20 Kindern. Eine davon besteht aus Kindern von Flüchtlingsfamilien aus Abchasien, die vor allem durch den Bürgerkrieg traumatisiert sind und im Rehabilitationszentrum eine kostenfreie Behandlung erhalten. Die Fachleute wenden moderne Therapieformen an: Kunst-, Bewegungs-, Beschäftigungs- und Spieltherapie, Logopädie und Eurythmie. Das Zentrum wird ausschließlich privat betrieben und bekommt keinerlei Unterstützung von staatlicher Seite. Der Name „Kinderplanet“ geht auf die Grace-P.-Kelly-Stiftung zurück, die vor 30 Jahren von der Grünen-Politikerin Petra Kelly gegründet wurde. Diese Einrichtung fördert Projekte wie dieses in Georgien, um soziale Schutzräume zu schaffen, damit kranke Kinder mit ihren gesunden Geschwistern und Eltern am Ort ihrer Behandlung zusammen sein können. „Kinderplaneten“ gibt es u.a. in einem Rehabilitationszentrum in Halle/Saale oder in der Rehabilitationsklinik Schönwald/ Schwarzwald. Gerade wird auch ein „Kinderplanet“ in Tibet aufgebaut. Spenden an „Sonderkonto Kinderplanet Georgien“, Sparkasse Pforzheim Calw, BLZ 60651070, Konto-Nummer 466950. Weitere Informationen: Rusiko Nikolosischwili ([email protected]) Grenzen überwinden – Note für Note Victoria Owen, Studium der Kommunikationswissenschaften und Musik (Cello), Marketing Managerin, München Das Camerata Pannonica International Chamber Orchestra wurde vor 12 Jahren von Dr. Martin Donner und dem Dirigenten Walter Fotos: Martin Donner (oben), Victoria Owen (unten) Kobéra gegründet. Die Teilnehmer – Amateurund Profimusiker – treffen sich jedes Jahr im Sommer im Eszterházy Kastély in Fertöd. Ein gleißender Augusttag – die Hitze lähmt die Bewegungen der Touristen, die vor dem Anfragen beantwortet Dr. Martin Donner Eszterházy Kastély in Fertöd in Ungarn auf Einlass warten. Plötzlich dringt eine Melodie (Tel.: +43-1-535-4443). von Bartók aus dem Gemäuer. Neugierige suchen nach ihrem Ursprung. Tief im Inneren Das Orchester ist offen, eine Teilnahme erfolgt des Schlosses, in einem unrenovierten Seitenflügel, würden sie eine überraschende auf Einladung und hängt jeweils von der Zusammensetzung des Orchesters ab. Entdeckung machen: Probt dort doch ein vollständiges Sinfonie-Orchester! Jedes Jahr im Sommer trifft sich hier das Camerata Pannonica International Chamber Orchestra. Diesjährige Konzerte: Donnerstag, den 7. August 2003 um 19:00, Kammermusik Das Orchester besteht aus Amateur- und Profimusikern. Die meisten Musiker kommen aus West- und Osteuropa, aber einige nehmen die Reise aus Nordamerika und dem Südpazifik auf sich, um im Schloss 12 Tage voller Musik zu erleben. Der Aufenthalt im Eszterházy Kastély endet stets mit einem Konzert, das im wunderschönen Konzertsaal des Schlosses aufgeführt wird. Das Repertoire des Orchesters bezieht sich auf das historische und kulturelle Erbe der Region. Normalerweise werden einige Werke von Haydn gespielt, der 30 Jahre seines Musikerlebens in der Residenz Eszterházys verbrachte. Daneben stehen selbstverständlich die Werke der ungarischen Musiker Béla Bartók und Zoltán Kodály auf dem Programm, die beiden nahmen ungarische Volksmusik als Grundlage für ihre Werke. Die Orchestermitglieder verbringen ihre Zeit mit festen Proben am Tag und spontanen Kammermusik-Spiel am Abend. Daneben genießen sie die schöne Landschaft, den Tokajer Wein, den Aprikosenlikör Barack und das deftige ungarische Essen. Alle Orchestermitglieder sind sich einig, dass die Gruppe ein besonderer Geist verbindet. „Man kann das schwer in Worten beschreiben“, sagt Fons Plansschaert, der Holländische Konzertmeister des Orchesters, „Gott sei Dank haben wir die Musik, so dass wir auch ohne Worte auskommen können.“ In jeder Hinsicht ein wichtiges Moment, denn bei so vielen Sprachen ist mit dem gesprochenen Wort oft nicht viel auszurichten. Was die Musiker verbindet, ist das Spiel, die Proben, die Konzerte, das Lampenfieber, der Applaus, die Fehlschläge und Erfolge. Nicht selten entstehen hier langjährige Freundschaften. Die Musiker von Camerata Pannonica nutzen die unvergleichbare Möglichkeit, Grenzen von Kultur und Sprache zu überwinden – Note für Note. Übersetzung aus dem Amerikanischen: Dorothea Leonhardt Sonntag, den 10 August um 11:00, Sinfonie-Konzert Reservierungen unter Tel.: +43-1-894-0614 MitOstNr. Nr.11| 11|Mai Mai 2003 2003 MitOst 35 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 36 REISE REISE Fotos: Andreas Stocker Neujahrsfest in Burjatien Lenin im Moskauer Mausoleum sieht bedeutend schlechter aus, trotz aller aufwändigen Konservierungsmaßnahmen. Andreas Stocker, DAAD -Stipendiat, Irkutsk/Russland Sagaalganar! Sagaan haraar! Buddhistische Gesänge, endlose Steppe, Holzhäuser mit blauen Fenstern. Ich reiste in die burjatische Steppe, um dort mit einer Familie auf traditionelle Weise das buddhistisch-lamaistische Neujahr nach dem Mondkalender zu feiern. Im Kloster treffen wir einen anderen Cousin Aldars, Bair Dondukow, in seiner kleiner Holzhütte. Er unterbricht sein Gebet und empfängt uns freundlich. Man fühlt sich bei ihm nicht nur wegen der warmen Stube wohl. Bair studiert seit drei Jahren im Kloster. Wir unterhalten uns über das Studium und die Schwierigkeiten des Buddhismus in Russland. „Aufgrund der Annäherung Chinas und Russlands ist die gegenwärtige Situation des Buddhismus schwierig“, meint er. Der Dalai Lama sei zuletzt 1991 hier gewesen, er erhalte schon seit einiger Zeit kein Visum mehr. Man wolle schließlich China nicht verärgern, so Bair. 31.1. Um 6 Uhr morgens erreiche ich die Hauptstadt Burjatiens, Ulan-Ude, wo mich mein Bekannter Aldar erwartet. Die Begrüßung ist herzlich, aber kurz. Bei –20° Celsius und eisigem Wind verliert man nicht viele Worte. Im nahegelegenen Studentenwohnheim merke ich gleich, dass ich noch immer in Russland bin: Trotz Reservierung weiß hier niemand etwas was von meiner Ankunft, das Wohnheim Burjatische Nationalspeise: Rindfleisch in Teigbällchen Die Burjatische Republik erstreckt sich im Süden Ostsibiriens entlang des Baikalsees. Sie gehört zu den ärmsten Regionen Russlands. Im Süden grenzt Burjatien an die Mongolei. Der Fläche nach entspricht Burjatien der Bundesrepublik Deutschland. Die Einwohnerzahl beträgt etwa eine Million, was einer Einwohnerzahl von drei Personen pro Quadratkilometer entspricht. 400.000 der Einwohner leben in der Hauptstadt Ulan-Ude. Die vorherrschende Religion der burjatischen Bevölkerung ist der Buddhismus tibetischer Richtung (Lamaismus), daneben sind noch schamanistische Religionen anzutreffen. Nur 24% Prozent der Bevölkerung sind Burjaten, 68% Russen. Auf dem Gebiet des heutigen Burjatiens wurde Dshingis ist voll belegt. Aldar schlägt vor, bei seinem Cousin in der Stadt zu übernachten. Kurz vor 10 Uhr treffen wir Aldars Mutter. Sie hat Teigbällchen dabei, mit denen wir uns das Gesicht abtupfen. Der Teig soll das Schlechte aufnehmen und den Körper vom Bösen reinigen. Auf ein Stück Papier schreiben wir unsere Wünsche und umwickeln damit den Teig. Aldar. Die Schlafenden hielte der Gott für tot und übergehe sie. Damit er uns nicht übersieht, machen wir Feuer aus dem Müll, der überall herumliegt. Aldar opfert Tee mit Milch und spricht ein Gebet. Am Abend fahren wir zum größten buddhistischen Kloster Russlands, Iwolginskij Dazan, das außerhalb Tibets als das wichtigste Zentrum des lamaistischen Buddhismus gilt. Hier findet die traditionelle Reinigungszeremonie statt, bei der der Körper von schlechtem Karma gereinigt werden soll. Wir umrunden im Uhrzeigersinn das Klostergelände und drehen die am Weg aufgestellten Gebetsmühlen, bis wir zum Iwolga Tempel gelangen. Im Inneren des Tempels erinnert wenig an die beschauliche typisch burjatischen blauen Fensterläden. Es erwarten uns schon Aldars Vater, seine Mutter und sein zwölfjähriger Bruder, alle in ihre farbenprächtigen Nationaltrachten gekleidet. Zuerst gehen Aldar und ich zum Altar und drehen an der Gebetsmühle. Während Aldar betet, schaue ich mich im Haus um. Es ist an einem Abhang gelegen und bietet einen atemberaubenden Blick über die endlose Weite der Steppe. Neben der Küche besteht das Haus nur noch aus einem großen Zimmer. Es ist Schlafzimmer Ruhe, die ich bei meinem ersten Besuch hier erlebt habe. Eine riesige Menschenmasse wälzt sich bzw. mich durch den Raum. Ich bin froh, als ich wieder an der frischen Luft bin, aber nicht lange – es hat –35° Celsius. Ohne Handschuhe, den Fotoapparat stets griffbereit, warte ich eine Stunde auf die Lamas. Als für Kinder und Eltern, Wohnzimmer, Studierzimmer und Gebetsraum in einem. Ein Badezimmer suche ich vergebens. Telefon und fließendes Wasser gibt es hier nicht. Einmal in der Woche bringt ein Lastwagen frisches Wasser. Die Toilette ist in einem Häuschen im Garten. Ofen und Herd werden mit sie endlich aus dem Tempel kommen ist die Spitze meines Daumens erfroren. Die Lamas begeben sich zu einem Scheiterhaufen, auf dem sich jetzt die Teigbällchen befinden. Das Feuer wird entfacht, die Holz beheizt, Birke natürlich. Die Familie gehört zur neu entstandenen Mittelklasse. Der Vater ist Zahnarzt, die Mutter arbeitet nicht, ein Zeichen des Wohlstandes. MitOst Nr. 11| Mai 2003 Dann fahren wir zu Aldar nach Hause: nach einstündiger Busfahrt marschieren wir noch eine halbe Stunde durch die schneebedeckte Steppe. Von weitem sehen wir das neu erbaute Haus mit seinen Menschenmenge strömt auseinander, ohne zurück zu blicken. Ein Blick in die Flammen bringt Unglück. 1.2. Erst nach dem Gebet erfolgt die Begrüßung. Ich lege meine Arme unter die ausgestreckten Arme der Gastgeber als Zeichen meiner Wertschätzung den Ältern gegenüber und spreche die Worte: Am Vormittag erhalten wir bei Dugarow Tschimit-Dorshi, einem buddhistischen Arzt und Freund der Familie, einen Privattermin. Er fühlt meinen Puls. Über 300 verschiedene Arten davon gäbe es, meint „Sagaalganar! Sagaan haraar!“ – „Alles Gute zum Neujahr, zum weißen Monat.“ Wir setzen uns um den Tisch, der von Leckereien überquillt, Wodka wird gereicht. Der Reihe nach erheben sich die Männer, er. „Man kann daraus den Zustand des Körpers spüren.“ Seine Schülerin packt mir Heilpulver in kleine Tütchen ab. Ich solle es als Tee trinken, meint sie, dann werde das mit dem Daumen schon wieder. Der Daumen hat sich danach mehrmals verfärbt und noch drei Wochen geschmerzt, ist jetzt aber wieder in Ordnung. Trinksprüche folgen. Auf das Neujahrsfest, auf die Gesundheit, auf die Liebe und die Frauen. Dann wird gemeinsam die burjatische Nationalspeise zubereitet: Posi, kleine mit Rindfleisch gefüllte Teigbällchen, die dann ebenfalls verspeist werden. Khan geboren. 36 2.2., Neujahr Als ich um 5 Uhr aufstehe, betet Aldar schon vor dem Hausaltar. Noch vor den ersten Sonnenstrahlen des neuen Jahres wollen wir auf der Straße den Gott Paldan Lchamo treffen. Er fliege in diesen Stunden über die Häuser und bringe denjenigen ein gutes neues Jahr, die frühmorgens aufgestanden sind, erklärt Auch heute fahren wir wieder zum Kloster Iwolginskij Dazan. Dort wird der Leichnam eines Mönches ausgestellt, der seine Schüler beauftragt hatte, ihn 75 Jahre nach seinem Tod auszugraben. Sein Leichnam ist einwandfrei erhalten. Er sitzt in seiner tiefroten Gebetskleidung mit orangem Tuch in einem Glaskasten. Auf dem Heimweg am Abend begleitet mich die ganze Familie. Sie singen burjatische Volkslieder. Die Sonne steht schon tief am Himmel und taucht die schneebedeckte Steppe in glühendes Rot. In der Ferne stehen vereinzelt kleine Holzhäuser mit rauchenden Kaminen. Ich blicke ein letztes Mal über die Steppe, bevor ich in den engen Kleinbus einsteige. Die Gastgeber in Nationaltracht MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 38 THEODOR-HEUSS-KOLLEG Unabhängige Zeitungen in Russland und der Ukraine gibt es doch! Zeitungs- und Medienprojekte im Theodor-Heuss-Kolleg der Zeitungsmacher im Theodor-Heuss-Kolleg schaffen sich langfristige Strukturen Robert Bosch Stiftung Fischka, Jekaterinburg, [email protected] Kipisch, Krasnojarsk, [email protected] Karen Hauff, Kollegkoordinatorin beim Theodor-Heuss-Kolleg, Berlin Odissej, Nowosibirsk, [email protected] In den vergangenen 2 Jahren wurden im Theodor-Heuss-Kolleg 10 Zeitungsprojekte von Studenten in Freedom, Omsk, [email protected] Russland, der Ukraine und der Slowakei ins Leben gerufen. Vor allem in Sibirien ist eine kleine Freedom, Tjumen, [email protected] Presselandschaft studentischer Zeitungen entstanden. Zwei russische und eine ukrainische Zeitung sind Obras Rosij, Jekaterinburg, bereits als Nichtregierungsorganisationen registriert und wollen sich auf dem freien Markt behaupten. Chid, Lwiw, [email protected] [email protected] Interstube, Banska Bystrica, [email protected] Parallelen und Meridiane, Kirowograd, „Mit der Registrierung waren hohe Kosten und viel Bürokratie verbunden. Aber es war uns [email protected] wichtig, eine Organisation zu gründen, die als offizieller Herausgeber der Zeitung „Freedom“ auftreten kann. Das wird die Suche nach Förderern leichter machen und unsere Auflage über Kleine Völker im großen Reich Foto: Ulrike Fischer die Tausender Grenze erhöhen“, berichtet Wladimir Katunzew, Chefredakteur der Zeitung (Artikelzyklus), Ufa, [email protected] Information: „Freedom“ in Tjumen. Unermüdlich arbeitet das siebenköpfige Redaktionsteam an einem [email protected] immer professionelleren Auftreten des Blattes. Die Artikel der Zeitung erscheinen in drei Das funktioniert in manchen Fällen und ist eine Erleichterung. Eine der Chefredakteurinnen Sprachen und enthalten viele Informationen: Stipendienausschreibungen, Auslandsstudium winkt jedoch ab: „Mehrfach versuchten Direktoren und Lehrende, auf unsere Inhalte Einfluss oder aktuelle Berichte aus Politik und Gesellschaft. Die gleichnamige „Freedom“ in Omsk wid- zu nehmen. Da suchen wir uns die Unterstützung lieber anderswo.“ Information zum Theodor-Heuss-Kolleg der Robert Bosch Stiftung met sich ähnlichen Themen. Ihre Korrespondenten sind Studenten, die gerade im Ausland sind Die persönliche Laufbahn im Blick den Freedom-Ausgaben verschiedene Ansichten zu Wort kommen und die Zeitung ihrem Nicht alle Kollegiaten, die nun Zeitungen an ihren Hochschulen herausgeben, haben ihre berufliche Anspruch der Interkulturalität gerecht wird. Der Leser soll ruhig einmal über den eigenen Zukunft im Journalismus gesehen. Sie studieren zum Beispiel Sprachen, Internationale Tellerrand blicken. Auch „an der Nowosibirsker Verwaltungsakademie ist es schon zu einer Beziehungen, Jura oder Informatik. Inzwischen finden sie die journalistische Tätigkeit aber sehr und Osteuropa, sich in ihrem Umfeld guten Tradition geworden, alle zwei Monate auf die neue Ausgabe der „Odissej“ zu warten“, attraktiv. Sie schärft ihr Auge für Ereignisse oder Missstände in ihrem Umfeld und für wichtige öffentlich zu engagieren, demokratische erzählen die beiden Chefredakteurinnen Jekaterina Smirnowa und Maria Schamajewa stolz. politische Entwicklungen. Die internationalen Seminare des Theodor-Heuss-Kollegs führten Regelmäßig suchen sie das Feedback der Leser in Umfragen oder laden auch schon mal zu dazu, dass Themen der Zeitungen sich um Austausch zwischen Ländern drehen. Diese einer öffentlichen Diskussion ihrer Zeitung ein. Einstellung und die Praxiserfahrung in den Zeitungsprojekten ist nun oft die Eintrittskarte zu In diesem Jahr wurden aus 540 Bewer- anderen Stipendienprogrammen oder Praktikumsplätzen für Journalisten. bungen 100 junge Erwachsene ausge- Programm der Robert Bosch Stiftung in Trägerschaft des MitOst e.V. Es ermutigt Jugendliche aus Deutschland und Mittel- Spielregeln einzuüben und verantwortliche Aufgaben in der Gesellschaft zu übernehmen. wählt, die zweiwöchige Sommerseminare Schreib- und Lesernetze absolvieren. Dort werden gesellschafts- Die Projekte stehen nicht alleine da. Neben dem Korrespondentennetzwerk tauschen alle Den eigenen Stil finden Zeitungen, die mit Hilfe des Theodor-Heuss-Kollegs erscheinen, regelmäßig Artikel aus; Kon- In diesem Frühjahr fand schon zum zweiten Mal eine Fortbildung des Theodor-Heuss-Kollegs bezogenen Übungen Kenntnisse von takte bestehen auch zum Online Magazin „Spinne“ des Theodor-Heuss-Kollegs, „vitamin de“, für junge Journalisten statt. Dort wurde von früh bis sehr spät Schreiben trainiert, Layout-Kritik Demokratie, interkultureller Verständi- der „Petersburgischen Zeitung“ und Medien der russlanddeutschen Gemeinden. Leser werden geübt und Strategien für das Zeitungsmanagement diskutiert. So manches ist verbesserungs- gung und der Rolle der Medien vermit- über E-Mail-Umfragen inhaltlich einbezogen und können jederzeit zu Wort kommen. Die fähig, so wird zum Beispiel oft an der Zielgruppe vorbeigeschrieben. Die deutsche Auffassung Online-Versionen einiger Zeitungen erleichtern die Verbreitung. von Recherche und journalistischem Schreiben unterscheidet sich stark vom Stil russischer politische Themen diskutiert und in praxis- telt. Die Kollegiaten entwickeln Ideen für innovative Projekte, die sie in ihren Heimatstädten umsetzen können. Bei Journalisten. „Es war mir nicht klar, dass es so unterschiedliche journalistische Schulen gibt“, der Projektarbeit werden die Kollegi-aten Der Preis der Unabhängigkeit staunt Daria Kudrjawzewa aus Moskau. Die lebhafte Diskussion, die sich zwischen einer durch ein Projektstipendium, Projekttreffen Das Theodor-Heuss-Kolleg der Robert Bosch Stiftung bietet den Zeitungsprojekten durch deutschen Seminarleiterin und einem russischen Journalisten entspann, verfolgten die und Fortbildungen unterstützt. Im Kolleg- Finanzierung und Projektberatung einen Raum zum Experimentieren und freien Arbeiten. Der Kollegiaten aufmerksam, um ihre eigenen Standpunkte zu überdenken. Sprung auf den freien Medienmarkt, wenn die Unterstützung des Kollegs abnimmt, wird nicht Foto: Karen Hauff Das Theodor-Heuss-Kolleg ist ein oder Nachwuchsjournalisten aus dem weiten Kollegiaten-Netzwerk. Sie sorgen dafür, dass in jahr 2002/2003 wurden im TheodorHeuss-Kolleg 44 Projekte in den Bereichen Hochschule und Bildung, Kultur, Medien, einfach sein. Die World Press Association beobachtete die sich entwickelnde Presselandschaft Ein „Dom“ (= Haus) entsteht Soziales und Politische Bildung durchge- in jungen Demokratien und musste feststellen, dass der Preis für freies und unabhängiges „Freedom“ Omsk hat die Organisation von Fortbildungsseminaren übernommen. So können führt. Schreiben oft die Kommerzialisierung der Zeitungen bedeutet. Solche Zeitungen bestehen zum die Erfahrungen der reiferen Projekte bereits an die jüngere Zeitungsgeneration weitergegeben Großteil aus Anzeigenwerbung oder bestellten Artikeln. „Wir wollen durch Partnerschaften mit werden. Das Informations- und Bildungszentrum „Freedom“ unterstützt neben der Zeitungs- europäischen Zeitungsprojekten und Stiftungen der EU eine Kommerzialisierung unserer Zei- herausgabe auch andere kleine unabhängige Projekte. Ein Zeichen, dass Strukturen sich tat- tungen verhindern. Trotzdem wird Anzeigenakquise wichtiger werden,“ so Wladimir Katunzew. sächlich festigen. Schon bald werden die neu entstandenen Organisationen immer häufiger als Unterstützung oder Partnerschaft mit den Universitätsverwaltungen liegt natürlich nahe – etwa Partner des Theodor-Heuss-Kollegs bei der Projektarbeit und Seminarorganisation auftreten. wenn es um die Nutzung von Räumlichkeiten oder Vergünstigungen in der Hausdruckerei geht. (www.freedomcity.info). Informationen: www.theodor-heuss-kolleg.de. Kontakt: [email protected] MitOstNr. Nr.11| 11|Mai Mai 2003 2003 MitOst 39 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 40 LEKTORENPROGRAMME LEKTORENPROGRAMME Boschlektor in MOE – Interesse so groß wie nie Die Robert Bosch Stiftung vergibt jährlich Nicht nur Wodka und Vampire – Das Korrespondenten-Netz „n-ost“ stellt sich vor Ulrike Daniel, seit 2002 Projektleiterin der Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart Andreas Merz, Boschlektor in Kaliningrad und Mit-Initiator von n-ost Kaum sind die Regionaltreffen des Jahrgangs 2002/03 mit dem letzten Treffen in Jekaterinburg abgeschlossen, steht in Stuttgart die Planung für den neuen Lektorenjahrgang an. Rund 460 Bewerbungen für ein Stipendium als Boschlektor in Mittel- und Osteuropa gingen ein. Das In Ungarn kauen sie den ganzen Tag auf Paprika herum, Rumänien dient als Brutstätte für Vampire, in Russland herrscht großflächig Chaos und in China fällt gerne mal ein Sack Reis um. Wir kennen diese Stereotypen, erzeugt von Journalisten, die durchaus guten Willens sind, aber zu weit entfernt vom Kontakt: Interesse an einem längeren Aufenthalt in einem der 15 Länder des Programms war so groß wie nie. Neben Biographien mit fließenden Russisch- oder Tschechischkenntnissen und Studienaufenthalten in Woronesch, Minsk oder Budapest lagen die Bewerbungen Neugieriger, die nach Urlaubsaufenthalten endlich tiefer in eine der Kulturen im ehemaligen Ostblock einsteigen wollten. Die Bewerbungslage ist so bunt wie das Programm. Zwei Wochen haben die persön- Geschehen. Daneben gibt es die Ruges und Bednarzens, die sich sibirische Flüsse entlang quälen, mit jakutischen Eremiten den Ziegenkäse teilen und ein Millionen-Publikum begeistern. Der Hunger nach authentischen Berichten ist groß und wir, die Boschlektoren, können sie liefern – die leisen Alltagsgeschichten, die täglichen Kuriositäten, das tragische und das wunderbare Leben zwischen ungarischer und sibirischer Steppe. w w w. n - o s t . d e Stipendien an deutsche Hochschulabsolventen, die für ein bis zwei Jahre in einem Land in Mittel- Ost- oder Südosteuropa an einer örtlichen Hochschule lehren und sich in studentischer Projektarbeit engagieren. Ab August 2003 werden rund 90 deutsche Sprach- und Fachlektoren und 30 Tandemlektoren (Wissenschaftler aus Mittel- und Osteuropa) in folgenden Ländern tätig sein: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Serbien, Bulgarien, Ukraine, Weißrussland, Russland, Georgien und Kasachstan. Rund die Hälfte der Lektorate befinden sich in Weißrussland, der Ukraine, und Russland. Weitere Informationen zum Programm und den Bewerbungsvoraussetzungen Sie unter: w w w. b o s c h l e k t o r e n . d e [email protected] lichen Auswahlgespräche für den neuen Jahrgang in Anspruch genommen, 160 Bewerber, Lebensentwürfe und Ziele. Doch nur rund 45 Lektorate waren neu zu besetzen, da viele der Lektoren ihren Aufenthalt um ein weiteres Jahr verlängerten. Im kommenden Jahr wird sich die regionale Verteilung der Lektorate verändern: Da sich in den EU-Beitrittsländern die Situation an den Hochschulen stark zum Positiven entwickelt hat, konnten Lektorate dort teilweise geschlossen werden. Die frei werdenden Kapazitäten kommen in diesem Jahr insbesondere Hochschulen in der Ukraine, Weißrussland und Südosteuropa zu gute, wo mehrere Lektorate neu eingerichtet werden können. Mit den Entwicklungen in den Ländern Mittel- und Osteuropas verändert und entwickelt sich auch das Lektorenprogramm. Wir sind gespannt, wie es weiter geht! [email protected]; weitere Informationen: Seit März 2003 ist das Korrespondenten-Netz Osteuropa, kurz: n-ost, auf Sendung. 20 Boschlektoren, die meist als Praktikanten, teilweise aber auch als Profis den Medienbetrieb kennen gelernt haben, stehen derzeit hinter n-ost. Die Arbeitsweise ähnelt einer Nachrichtenagentur: Ein Korrespondent spießt vor Ort eine Geschichte auf und schickt sie per Mail an die virtuelle Leitzentrale [email protected], die derzeit von Kaliningrad und Minsk aus betreut wird. Der Artikel wird gegengelesen, Rückfragen werden geklärt. Schließlich macht sich der fertige Bericht auf die virtuelle Reise zu deutschsprachigen Medien. Auf diese Weise sind bereits mehrere Artikel gedruckt worden. Ob das Neugeborene die fast schon Bosch-typische Eigendynamik entwickelt, hängt auch von Euch ab. Um den Polizeibericht zu zitieren: Sachdienliche Hinweise sind hier sehr erwünscht. Und wer als Neu- oder Ex-Lektor zum Netzwerk hinzustoßen möchte, ist herzlich eingeladen. Erste journalistische Erfahrungen sollten vorhanden sein und der feste Wille, über Wodka und Vampire hinaus ein differenzierteres Bild von Mittel- und Osteuropa zu zeichnen. 10 Jahre Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung Grund zum Feiern und Anlass für eine besondere Reise! Willkommen im Jenseits Regionaltreffen der Russland-Lektoren vom 26.-31. Januar 2003 im asiatischen Jekaterinburg Andreas Merz, Studium Osteuropäische Geschichte, Slawistik und Volkswirtschaft, Boschlektor in Kaliningrad Das ist der Stoff, aus dem Heldenlegenden gewebt werden: Eine Stadt, die sich als Hinrichtungsstätte der Zarenfamilie einen Platz in der Weltgeschichte gesichert hat, wird zum Austragungsort des jenseitigsten Regionaltreffens aller Zeiten. Erstmals strömen alle Russlandlektoren, inzwischen 35, über Tausende von Kilometern hinweg durch Eis und Schnee hinter dem Ural zusammen – und landen krank im Bett. Nach dem Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip verschwand ein Boschlektor nach dem anderen auf sein Zimmer im Gästehaus der Uni. Im Laufe von 30 Stunden, je nach Länge des Verdauungstraktes, erwischte es 25 von 35 Konferenzteilnehmern. Die Ursachenforschung kreiste um Majonäse, Fleisch, Gemüse, Salat und einen Virus. Aus der Wohnheimküche hieß es lapidar: „Das muss an den deutschen Mägen liegen.“ Diese wurden mit Kamillentee, Kohlepulver, Cola und Keksen nach zwei Tagen erfolgreich reanimiert. Geradezu biblische Erfolge zeigte eine Fastfood-Kur, der sich der MitOst-Vorsitzende Gereon Schuch unterzog. Ulrike Daniel, seit 2002 Projektleiterin der Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart Über 400 Stipendiaten haben ein bis zwei Jahre als Lektoren der Robert Bosch Stiftung in Mittel- und Osteuropa verbracht und mit ihren Ideen und ihrem Engagement das Programm erfüllt und gestaltet. Das Lektorenprogramm hat sich in den vergangenen 10 Jahren seines Bestehens ständig weiter entwickelt, in den Zielländern hat sich manches verändert. Wie ist es wohl, wenn einer der damaligen Sprachtutoren sich über seine Erlebnisse und Erfahrungen mit einem heutigen Lektor im selben Land austauscht? Was ist wohl aus den ehemaligen Lektorenkollegen geworden? Über die Verbleibstudie, die vor 3 Jahren erstellt wurde, konnten wir schon einen Eindruck von den verschiedenen Biographien bekommen, aber wie wäre das Ganze in natura? Ein Wiedersehen aller ehemaligen Lektoren? Eine Zeitreise durch die Entwicklung des Programms und der Zielländer? Eine Reise durch Mittel- und Osteuropa! Über das wie, wer und vor allem wo wurde in den letzten Jahren schon viel spekuliert. Jetzt ist die Entscheidung gefallen und ein Wiedersehen geplant! Sechs Tage (24. Bis 29. September 2003) soll es mit dem Lektorenzug durch MOE gehen. Von Berlin aus über Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Polen bringt ein Sonderzug die ehemaligen Lektoren in einige der Länder, in denen sie aktiv waren. Es wird viel Gelegenheit zum Austausch von Erinnerungen mit alten Bekannten und neuen Unbekannten geben. Die Reise soll mit eigenen Beiträgen bereichert werden, denn auch die auf dieser Fahrt nicht Über 460 Stipendiaten sind seit 1993 mit den Lektorenprogrammen der Robert Bosch Stiftung nach MOE gegangen. Vom 24. bis 29.09.2003 sind alle Ehemaligen eingeladen, anlässlich des 10jährigen Jubiläums mit dem Lektorenzug von Berlin nach Brünn und Budapest, über die hohe Tatra nach Krakau und wieder zurück nach Berlin zu reisen. besuchten Länder, in denen heute Lektoren der Stiftung arbeiten, sollen präsent sein. Eingeladen sind alle ehemaligen Lektoren der Robert Bosch Stiftung – und wer die Einladung noch Infos: nicht erhalten hat, sollte dringend seine neue Adresse an [email protected] schicken! 10 J a h r e @ b o s c h l e k t o r e n . d e w w w. s o n d e r z u g b e r l i n . d e Es spricht für die Helden, dass sie ihre Auszeit genau auf die Phase des Exkursionsprogramms legten und am abschließenden Arbeitstag wieder mitwirkten. Und auch ein paar positive Eindrücke von Jekaterinburg, 30 Zugstunden hinter Moskau und 40 Kilometer jenseits des Urals gelegen, gab es noch. Besonders beeindruckten Studentinnen der Maxim Gorkij Universität mit einem frei auf deutsch gehaltenen Referat über das doch so unbekannte Gebilde Europa, dem man sich in den 40 MitOst Nr. 11| Mai 2003 Straßen der (dank Ural-Bodenschätzen) relativ wohlhabenden, asiatischen Stadt näher fühlt als an manchem mitteleuropäischen Ort. „Europa gemeinsam ist der Zweifel“, fasste der mitorganisierende Boschlektor Eric Wrasse mit einem Zitat Pierre Bourdieus die Diskussion zusammen. Keinen Zweifel gab es an der guten Organisation der Konferenz, am deutschen Verdauungssystem dagegen leider durchaus... MitOst Nr. 11| Mai 2003 41 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 42 Angebote, Ausschreibungen KOOPERATIONSPARTNER Angebote, Ausschreibungen Junge Wege in Europa Die Robert Bosch Stiftung schreibt jährlich den Förderwettbewerb „Junge Wege in Europa“ aus. Besuch und Gegenbesuch, gemeinsame Projekte sind die Schritte, mit denen Schüler- und Jugendgruppen aus Deutschland und Mittel- und Osteuropa sich kennen lernen, Vorurteile abbauen und interkulturelle Kommunikationsfähigkeit erwerben. [email protected] Durch die Beschäftigung mit Sprache und Kultur des Partnerlandes bereiten sich die Teilnehmer auf die Begegnungen vor. Die Projektideen werden von den Jugendlichen gemeinsam erarbeitet, umgesetzt und öffentlich präsentiert. Unterstützung erfahren sie dabei von Lehrern und Jugendgruppenleitern, aber auch von kommunalen und regionalen Institutionen. Die Jugendlichen beschäftigen sich mit Themen, die Alltagserfahrungen und Erwartungen in einem zusammenwachsenden Europa widerspiegeln: Sie vergleichen Kulturen und Lebensweisen der einzelnen Regionen, setzen sich mit der Geschichte ihrer Heimatländer auseinander, formulieren Wünsche und Perspektiven nach dem Ende der Schulzeit, betätigen sich als Umweltexperten auf lokaler Ebene oder realisieren gemeinsam künstlerische Projekte. In den bisherigen fünf Förderjahren wurden rund 450 Projektpartnerschaften gefördert, dabei waren die Länder Polen, Russland und Tschechien am häufigsten vertreten. Ab August 2003 nimmt der MitOst e.V. das Projekt „Junge Wege in Europa“ in seine Trägerschaft auf. Eine Broschüre mit bisherigen „Junge-Wege“-Projekten schickt die MitOst-Geschäftsstelle auf Wunsch gern zu. Angebote, Ausschreibungen Angebote, Ausschreibungen Völkerverständigung macht Schule – Praktikum in Mittel- und Osteuropa Studierende und Absolventen geisteswissenschaftlicher Studienfächer können für drei oder sechs Monate Praxisluft an Schulen in Mittel- und Osteuropa schnuppern. Die Praktikanten hospitieren im Unterricht und sammeln dabei intensive Praxiserfahrungen, lernen das andere Land und seine Schüler kennen und initiieren Projekte, die Lust auf interkulturelles Lernen machen. Das Programm der Robert Bosch Stiftung wird in Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Austauschdienst der Kultusministerkonferenz und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen durchgeführt. Katrin Peerenboom, ehemalige Stipendiatin von „Völkerverständigung macht Schule“: „Drei Monate Krakau, drei Monate Eintauchen in den dortigen Schulalltag, drei Monate Polen pur: In gleich zwei Gymnasien ergründete ich mit polnischen Schülern die Tiefen der deutschen Sprache. Schön war es in Krakau: die Begeisterung und Aufgeschlossenheit der polnischen Schüler für die deutsche Sprache und eine „neue Lehrerin“ zu erleben, die unzähligen Sagen und Legenden erzählt zu bekommen, die sich um Krakau ranken, polnische Traditionen kennen zu lernen. Zu kurz war die Zeit dort - ein Grund mehr, bald wieder einmal zurückzukehren!“ w w w. b o s c h - s t i f t u n g . d e Kulturmanager – Junge Fachkräfte für internationales Kulturmanagement Die Kulturmanager werden als Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung für zwei bis drei Jahre an Bildungs- und Kulturinstitutionen in Mittel– und Osteuropa eingesetzt. Sie sind in Zusammenarbeit mit den örtlichen Verantwortlichen für die Konzeption und Organisation des Kultur- und Bildungsangebotes zuständig. Zu ihren Aufgaben gehören die Vernetzung der Institution mit weiteren Kultur- und Bildungseinrichtungen, Fund Raising, Öffentlichkeitsarbeit und die konzeptionelle Weiterentwicklung der Gastinstitution. Darüber hinaus bilden sich die Kulturmanager im internationalen Kultur- und Bildungsmanagement fort und erlernen die Landessprache. Das Programm wird von der Robert Bosch Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, durchgeführt. w w w. b o s c h - s t i f t u n g . d e und www.ifa.de/ium/dium_bosch.htm Ehemaligenvereinigung des Stiftungskollegs für internationale Aufgaben Internationales Sprachtutorenprogramm an Hochschulen in Deutschland Absolventen amerikanischer, französischer, polnischer, tschechischer und russischer Universitäten können für ein Studienjahr (10 Monate) als Tutoren in verschiedenen Städten Deutschlands leben. Sie unterrichten vor allem an Universitäten und Fachhochschulen. Zu ihren Aufgaben gehören Sprachkurse, Gesprächskreise über landeskundliche Themen sowie die Organisation von Veranstaltungen (z.B. Film- und Musikabende). Außerdem haben sie die Möglichkeit, eigene Projekte durchzuführen. Das Programm wird von der Robert Bosch Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Studentenwerk durchgeführt. w w w. t u t o r e n p r o g r a m m . d e 42 MitOst Nr. 11| Mai 2003 Sergej Logwinow, 26, Wolgograd, Tutor in Marburg: „Als Teilnehmer des Tutorenprogrammes habe ich in Marburg die Reihe „Gegenwärtiger Film aus Russland“ organisiert, sowie ein ethnologisch- und musikwissenschaftliches Seminar „Unbekanntes Russland“ mit zwei Musikern aus Moskau. Immer populärer wird die regelmäßige russische DiscoParty, die auch Studenten anzieht, für die Russland bloß das graue und böse Bild darstellt, das so oft in der westlichen Presse zum Ausdruck kommt. Durch die rasanten russischen Rhythmen, traditionellen Gerichte und Getränke können die deutschen Studenten eine andere Seite der russischen Kultur und Mentalität erleben, die sich von den grauen Fernsehbildern oder den „ewig trauernden“ Figuren der klassischen russischen Literatur unterscheidet.“ Das Stiftungskolleg für internationale Aufgaben ist eins der Förderprogramme der Robert Bosch Stiftung und der Studienstiftung des deutschen Volkes. Als Ergebnis des Zusammenhaltes der ehemaligen Kollegiaten wurde im Mai 2000 eine eigene Alumni-Organisation gegründet, die auf den etwas sperrigen Namen „Ehemaligenvereinigung des Stiftungskollegs für internationale Aufgaben“ hört. Die Mitgliedschaft steht, anders als z.B. bei MitOst, nur Teilnehmern des Programms selbst offen. Mit rund 60 Mitgliedern sind etwas weniger als die Hälfte aller bisherigen Stipendiaten auch Mitglieder – kein schlechter Schnitt. Ziel ist es, etwas von dem Geist des Stiftungskollegs in die Zeit danach zu retten. Der Netzwerkgedanke steht als ganz praktisches Kalkül dabei im Vordergrund. Aber auch die Ausrichtung des Kollegs auf „internationale Aufgaben“ soll durch den Verein unterstützt werden. „Überzeugungstäter“ aus einem genau definierten Interessengebiet finden sich hier nicht, eher eine bunt zusammengewürfelte Truppe, die vor allem aufgrund der Einzigartigkeit ihres Programms und ihrer Bindung an Robert Bosch Stiftung und Studienstiftung zusammenhalten. Neben jährlichen Ehemaligentreffen mit wechselndem Austragungsort organisiert der Verein Vorträge und Veranstaltungen. Im Herbst 2002 konnte mit einem hochkarätigem Kolloquium zur Zukunft der NATO auch ein interessiertes Fachpublikum angesprochen werden. Dauerprojekt ist die Förderung der deutsch-kasachischen Universität in Almaty. Gegründet wurde die Hochschule vor fünf Jahren von der ehemaligen Stipendiatin Ines Berger. Mit Hilfe des Vereins konnte dort die größte deutschsprachige Bibliothek in Zentralasien aufgebaut werden. [email protected] w w w. s t i f t u n g s k o l l e g . o r g MitOst Nr. 11| Mai 2003 43 MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 44 Angebote, Ausschreibungen KOOPERATIONSPARTNER Berg heil! Angebote, Ausschreibungen RÄTSEL/KOCHREZEPT Dorothea Leonhardt, München ASBO - MitOst auf Französisch Welcher Berg ist auf dem georgischen Kochbuch abgebildet? Auf diese Frage im vorhergehenden MitOst-Magazin bekamen wir zahlreiche Antworten. Es ist nicht, wie viele meinten – und was auch nahe liegen würde – der Kasbek, das Wahrzeichen Georgiens. Es ist auch nicht der Ararat, der Berg der Armenier, der ja immerhin noch in der Region wäre. Der Berg auf dem Buchtitel ist das Wahrzeichen der Schweiz – das Matterhorn! Der AsBoFoRob „Association des Boursiers de la Fondation Robert Bosch“, kurz ASBO genannt, wurde 2002 von ehemaligen französischen Tutoren, Lektoren und Journalisten von Austauschprogrammen der Robert Bosch Stiftung gegründet. Die Mitglieder des Vereins arbeiten an der Vertiefung der deutsch-französischen Beziehungen vor allem auf persönlicher Ebene. Das Engagement für mittel- und osteuropäische Länder ist dabei die gemeinsame Basis. Trilaterale Projekte werden in Zusammenarbeit mit dem MitOst e.V. verwirklicht. ASBO ist außerdem auch ein Alumniverein französischer Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung. Ziel ist es dabei, Kontakte zwischen gegenwärtigen und ehemaligen Stipendiaten zu schaffen, damit die Projekte und Programme effektiv realisiert wer- keiner! Einsender mit der richtigen Antwort erhielten das Buch „Taiga Blues“ von Alexander Ikonnikow. Wir gratulieren den Gewinnern an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich! den und alle Beteiligten aktiv mitwirken können. Neue Stipendiaten werden mit den nötigen Tipps und Informationen versorgt. ASBO steht jedem offen, der sich im europäischen Raum engagieren möchte. Aufgrund der Partnerschaft zwischen MitOst und ASBO können Projekte von beiden Vereinen gemeinsam durchgeführt werden. Die von ASBO initiierten Vorhaben reichen von Unterrichtsprogrammen über Workshops bis Ein größeres Bild des Buches ist auch im Internet unter w w w . m i t o s t . d e zu sehen Zu b e r e i t u n g Piroggen mit Pilzfüllung hin zu besonderen Aktionen, die von anderen Institutionen nur schwer finanzierbar sind. Piroschki s gribami Deutsch-polnisches Jugendwerk Dieses Mal wollen wir ein klassisches russisches Rezept vorstellen. Allerdings bereiten wir die Piroggen nicht mit einem aufwändigen Die Organisation zur Förderung von Jugendkontakten zwischen den beiden Ländern schreibt verschiedene Projekte aus. Begegnungen zwischen Deutschen und Polen sollen helfen, bestehende Kontakte und das Verständnis für ein gemeinsames Europa zu entwickeln. Das DPJW ist jedoch nicht DPJW Büro Potsdam Postfach 60 05 16 14405 Potsdam Tel.: 0049-0331-28479-0 b u e r o @ d p j w. o r g Büro Warschau ul. Alzacka 18 03-972 Warszawa Tel.: 0048-22-6162952 [email protected] 1. Die getrockneten Steinpilze 1 Stunde in kaltem Wasser einweichen. 2. Für den Teig Mehl in eine Schüssel geben und eine Vertiefung eindrücken. Die saure Sahne, Butter, Zucker, Salz und Backpulver hineingeben. 1 Ei trennen. Das Eiweiß mit dem 2. Ei zugeben (Das Eigelb Hefeteig, sondern mit einem Teig auf Sauerrahm-Basis zu. Die Piroggen schmecken warm am besten, eignen sich aber auch hervorragend fürs Party-Buffet. nur für Jugendaustausch zuständig, es unterstützt organisatorisch und finanziell diejenigen- als Hilfe zur Selbsthilfe -, die ein Projekt selber in die Hand nehmen. Dabei werden Erfahrungen von Partnerorganisationen weitergegeben. Veröffentlichungen, Seminare, Tagungen und Beratungen sind nur ein Ausschnitt der vielfältigen Unterstützung. Zu t a te n Was wird gefördert ? Begegnungen zwischen jungen Deutschen und Polen, ggf. mit Beteiligung von Jugendlichen aus einem Drittland, Praktika, Fortbildungsveranstaltungen, Gedenkstättenfahrten, Publikationen, Medien usw. Wer kann einen Antrag stellen ? Öffentliche und nichtöffentliche Organisationen, Initiativen (auch ohne den Status einer „juristischen Person“). Der deutsche und der polnische Partner planen die Begegnung gemeinsam und stellen einen „gemeinsamen Antrag“ auf finanzielle Förderung. Zweisprachige Formulare und Richtlinien gibt es in beiden Büros. beiseite stellen). Alles zu einem Teig kneten. Teig zu einer Kugel formen und 30 Minuten kühl stellen. 3. Fü r d e n Te i g : Fü r d i e Fü l l u n g : 500 g Mehl 250 g saure Sahne 2 Esslöffel weiche Butter 1200 g Champignons oder Egerlinge 1-2 Zwiebeln 1 Teelöffel Zucker 1 Päckchen Backpulver 2 Eier 10 g getrocknete Steinpilze 3 Esslöffel Butter 6-8 Esslöffel saure Sahne 1 Bund Petersilie Für die Füllung Zwiebel fein hacken, Champignons putzen und fein schneiden. Butter erhitzen, Zwiebel kurz anbraten, Champignons zugeben und ca. 5 Minuten mitdünsten. Getrocknete Steinpilze durch ein feines Sieb geben, die Flüssigkeit auffangen. Steinpilze und aufgefangene Flüssigkeit zu den Champignons geben, in der offenen Pfanne dünsten, bis die Flüssigkeit verdampft ist, mit Salz und Pfeffer kräftig abschmecken. Zum Schluss saure Sahne und Petersilie zugeben (nicht mehr kochen). 4. Initiative OsteuropaStudierender Deutschland Teig ausrollen und mit einem Glas Kreise ausstechen. Jeweils etwas Füllung in die Mitte geben und den Teig so zusammenklappen, dass ein Oval entsteht. Backblech einfetten und mit Mehl bestäuben. Piroggen mit der Naht nach unten in kleinen Abständen darauf verteilen. 5. Die Lage der Osteuropaforschung ist prekär, Forschung und Lehre in Deutschland lassen zu wünschen übrig. Verschiedene Bildungseinrichtungen wurden geschlossen oder stehen kurz davor. Backofen auf 200° C vorheizen. Das Eigelb verquirlen, Piroggen damit einpinseln, auf der mittleren Schiene ca. 15 Minuten backen. ✂ Da Auslandsüberweisungen sehr teuer sind, können Mitglieder außerhalb Deutschlands sich unter [email protected] darüber informieren, Datum, Unterschrift werden. [email protected] eine Reduzierung des Mitgliedsbeitrags auf 5 € gewährt € 7 Mitglieder östlich der EU ohne festes Einkommen In begründeten Einzelfällen kann auf schriftlichen Antrag an € 20 Mitglieder östlich der EU mit festem Einkommen € 20 mind. € 25 € 38 Mitglieder in der EU und der Schweiz ohne festes Einkommen Organisationen und Institutionen östlich der EU mind. € 60 Organisationen und Institutionen in der EU und der Schweiz Mitglieder in der EU und der Schweiz mit festem Einkommen (entscheidend ist nicht der Wohnort, sondern die Staatsangehörigkeit): Bitte den entsprechenden jährlichen Mitgliedsbeitrag ankreuzen Beitrag Ich bin bei folgender Institution/in folgendem Programm tätig (Angabe freiwillig): (bitte den Namen des Programms angeben) Ich bin/war Stipendiatin/Stipendiat der Robert Bosch Stiftung, und zwar im Programm: Ich weiß, dass die Verkehrssprache bei MitOst e.V. Deutsch ist und versichere, dass meine Deutschkenntnisse ausreichen, um vereinsinternen Informationen und Diskussionen folgen zu können. Staatsangehörigkeit Bitte ankreuzen: Geburtsdatum MitOst Nr. 11| Mai 2003 Was werden wir noch tun ? Wir werden Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Medien eigene Modelle und Reformvorschläge anbieten. Um den Studierenden unserer Fächer ein Forum zu sein, werden wir wissenschaftliche und hochschulpolitische Veranstaltungen organisieren, die uns auch als Kommunikationsplattform nach außen dienen werden. Wir werden dafür sorgen, dass jede noch so kleine Sparmaßnahme am nächsten Tag bundesweit bekannt wird. Telefon mit internationaler Vorwahl 44 Wir haben Entscheidungsträger auf die Problematik der osteuropabezogenen Fächer aufmerksam gemacht. Neben der Gründung eines bundesweiten Verbandes und mehreren Regionalinitiativen wurde eine Informations- und Austauschbörse im Internet sowie eine Anlaufstelle für studentische Belange in den mit Osteuropa beschäftigten Fächern eingerichtet. Land, Postleitzahl, Ort w w w. i o s - n e t z . d e Was haben wir bereits getan ? E-Mail Postfach 121123 10605 Berlin Tel.: 0049-30-450 86 715 [email protected] durchaus mit Exotischem beschäftigen dürfen. Gleichzeitig wollen wir eine breitere Öffentlichkeit für osteuropäische Themen interessieren. Straße, Hausnummer IOS (e.V.) Initiative OsteuropaStudierender Deutschland Vorname, Name Was wollen wir ? Wir wollen, dass Osteuropaforschung und -lehre auf dem bisherigen hohen Niveau bestehen bleibt. Wir wollen die Ausbildung qualifizierter Kräfte auch in Zukunft gesichert sehen. Wir wollen nicht, dass unsere Fachrichtungen von der Landkarte verschwinden. Wir wollen zwar keine Exoten werden, uns aber Anrede (Herr, Frau, evtl. Titel) Wir sind Studierende und Graduierte von osteuropabezogenen Studienrichtungen aus ganz Deutschland, denen der Erhalt und die Qualität der Hochschulausbildung in ihren Fachbereichen am Herzen liegt. MitOst e.V. – Mitgliedsantrag Wer sind wir ? wie und an wen sie ihren Beitrag im jeweiligen Land bezahlen können. [email protected] w w w. a s b i e n s . o r g Warum der russische Verlag, der das georgische Kochbuch herausgegeben hat, ausgerechnet auf das Matterhorn kommt, lässt sich wahrscheinlich nur dadurch erklären, dass man einfach eine hübsche Bergansicht aus dem Internet genommen hat. Ob das nun ein Schweizer Berg ist oder eine Ansicht aus dem Kaukasus – merkt doch eh MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 46 LEKTORENPROGRAMME In Zusammenarbeit von MitOst e.V., den Lektorenprogrammen und dem Theodor-Heuss-Kolleg der Robert Bosch Stiftung Europa machen! Praxishandbuch für ehrenamtliche Projekte und Initiativen Wie wird aus einer visionären Idee ein konkretes Projekt? Wie erstellt man einen Kostenplan, verfasst eine Presseerklärung? Welche Wege gibt es im Dschungel von Visabestimmungen und Antragsformularen? Zahlreiche Projektleiter aus den deutschsprachigen Ländern und MOE geben in diesem Praxishandbuch ihre Erfahrungen weiter. - Projektmanagement von A wie Antragsteller bis Z wie Zuwendungsbestätigung - Praxistipps für Einsteiger und Fortgeschrittene - mit vielen Beispielen, Checklisten und Kopiervorlagen - aus dem Erfahrungsschatz jahrelanger interkultureller Projektarbeit Bestellung zum Preis von 15 EUR pro Exemplar zzgl. Versandkosten bei: MitOst-Geschäftsstelle, Schillerstr. 57, D - 10625 Berlin Tel.: +49 - (0)30 – 31 51 74 70 g e s c h a e f t s s te l l e @ m i t o s t . d e Vorschau auf die nächste Ausgabe des MitOst-Magazins (erscheint im Herbst 2003): Schwerpunkt der nächsten Ausgabe ist der Auslandsaufenthalt – ein Thema, das die meisten MitOstler betrifft, schließlich waren bzw. sind viele hüben oder drüben. Wir wollen uns dabei u.a. mit folgenden Fragen beschäftigen: Studienaufenthalt im Ausland – was bringt’s? Warum als Lektor ins Ausland gehen? Auswandern – ja oder nein? Heimweh – ist es zu Hause doch am schönsten? Wieder zurück – fremd im trauten Heim? Beiträge, Vorschläge, Lesermeinungen und Fotos bitte an: [email protected] oder per Post an die Geschäftsstelle. Wir möchten an dieser Stelle die Projektleiter dringend bitten, uns rechtzeitig interessante Materialien zu den Projekten zu schicken. [email protected] Wegweiser zu neuen Märkten kostenloses Probeheft Senden Sie Ihre Rückantwort bitte an: OST-WEST-CONTACT, Regenskamp 18, D-48157 Münster Tel.: 0251 - 92 43 09-0, E-Mail: [email protected] ✂ Bankeinzug OST-WEST C O N T AC T Das Wirtschaftsmagazin für OST-WEST-KOOPERATION Fax-Nummer 0251 –92 43 09-99 Mitglieder aus Deutschland bitten wir, uns aus Kosten- und Organisationsgründen folgende (jederzeit widerrufbare) Einzugsermächtigung zu erteilen. Ja, schicken Sie mir bitte ein kostenloses Probeexemplar der Wirtschaftszeitschrift OST-WEST-CONTACT und Ost-Ausschuss-Informationen die Anzeigenpreisliste Ich erteile dem MitOst e.V. ab sofort bis auf Widerruf die Berechtigung Firma zum Einzug meines jährlichen Mitgliedsbeitrags von meinem Konto bei der Bank, Ort BLZ MitOst e.V. Abteilung Geschäftsstelle Schillerstraße 57 Herr/Frau Straße www.owc.de D -10627 Berlin Kontonummer Kontoinhaber/-in Datum, Unterschrift PLZ Ort Telefon Fax Datum Unterschrift e-mail OWC Verlag für Außenwirtschaft GmbH MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 48 Gintaras Grajauskas Der Lyriker Gintaras Grajauskas wurde1966 geboren. Er studierte Jazz am Konservatorium Klaipeda und ist seit 1994 Literaturredakteur bei der Tageszeitung „Klaipeda“. Daneben ist er Sänger und Bassgitarrist der Jazzband „Rokfeleriai“. Bisher sind von Grajauskas vier Gedichtbände erschienen. Seine Gedichte wurden ins Englische, Deutsche, Schwedische und Polnische übersetzt Die Gedichte wurden im Rahmen des MitOst-Workshops „Übersetzen litauischer Kurzprosa“ ins Deutsche übertragen. Der Workshop fand vom 19. bis 25. Mai 2002 in Nidda/Litauen statt. herzlich wenn wir tatsächlich herzlich wären würden wir nicht länger von herzlichkeit reden im allgemeinen würden wir weniger reden oder ganz schweigen wenn wir tatsächlich herzlich wären, würden wir sagen: „unherzliches beileid“ oder „mit unherzlichen grüßen“. „unherzlich Ihr – Grajauskas“ im allgemeinen würden wir viel weniger reden lakonisch würden wir nicht fragen: wie lebt es sich, wie geht’s? würden geradeaus fragen, wie steht’s mit dem sterben? und herzlich antworten: danke, gut.