Von Steffen Steffensen Carl Roos zugeeignet 1. Als
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Von Steffen Steffensen Carl Roos zugeeignet 1. Als
» D er Konig in Th u le« Bem erkungen zu den Elem enten des G o etheschen G ed ichts Von Steffen Steffensen Carl Roos zugeeignet 1. Als der junge Goethe im Jahre 1771, von Herder angeregt, im Elsass nach Volksliedern suchte, fand er zwolf Lieder, von denen die meisten einem alteren Typus angehoren. Es waren ausgesprochen epische, verhaltnismassig lange Lieder mit einer stark bewegten Handlung, also echte Volksballaden. Lieder wie »Das Lied vom Herrn von Falkenstein«, »Das Lied vom Pfalzgrafen« oder »Das Lied vom Lindenschmidt«.1 Dass Goethe gerade Lieder dieser Art aufzeichnete, war nicht zufållig. Es lebten namlich, wie er selbst andeutet,2 auch andere Lieder auf den Lippen des Volks. Aber diese alteren Lieder, »aus denen Kehlen der altesten Miittergens«, waren den danischen und englischen Volks balladen verwandt, die Herder als Reste der urspriinglichen Poesie alterer Zeiten iibertragen hatte. Goethe fand also, was er suchte. Einige dieser Lieder sind, trotzdem sie offenbar in einer ziemlich verunstalteten Form vorliegen, echte, grossziigige Dichtungen. Hervorheben mochte ich die konzentrierte Darstellung dieser Balladen, die nur wenige Situationen geben. Der besondere Reiz dieser Volksballaden beruht eben auf dem Sprunghaften und Andeutenden, das den Horer mitdichten lasst. Es ist deutlich, dass die aufgezeichneten Lieder fiir die Balladendichtung des jungen Goethe bedeutsam wurden. Er iibernimmt in seinen Balladen Worter und Wendungen aus diesen Liedern und ahmt ihren einfachen Stil und Satzbau nach. Er strebt jedoch nach einer noch grosseren Konzentration und Einfachheit. Im »Konig in Thule« haben wir z. B. nur eine Situation, in der auf eine fruhere verwiesen wird. Entscheidend ist aber die symbolische Ausnutzung dieser Situation, die vor allem dadurch erreicht wird, dass Goethe das Dingsymbol verwendet, indem er den Becher zum Symbol der Liebe und Treue gestaltet. Wie Carl Roos in einer Interpretation des Gedichts3 ge1. M o rris » D e r junge G o eth e« II, 62 ff. 2. D jG . II 110. 3. C a rl R oos » F a u stp ro b lem e r« K ø b en h av n 1941, p. 13. » D er Ko nig in Thule « zeigt hat, wird diese Symbolik u. a. dadurch unterstrichen, dass »Buhle« mit 37 »Becher« und »trinken« mit »treu« alliteriert. Wahrseheinlich hat eine der aufgezeichneten Volksballaden »Das Lied vom eifersiichtigen Knaben«, was diese Symbolik betrifft, fur Goethe eine besondere Bedeutung gehabt. Sie ist nåmlich die einzige dieser Balladen, welche die Dingsymbolik verwendet. Offensichtlich hat sie ein etwas jiingeres Geprage als die anderen. Dass sie einem jiingeren Typus als die obenerwahnten Balladen angehort, ersieht man u. a. aus der Kiirze des Gedichts. Es zeigt wie »Der Konig in Thule« nur eine Situa tion und begniigt sich damit, die Vorgeschichte dieser Situation anzudeuten. Ausserdem sprechen der starke lyrische Einschlag und die Verwendung des Dingsymbols fUr das jiingere Alter dieser Ballade. Die Dingsymbolik tritt namlich besonders in der jiingeren deutschen Volksballade auf. Im »Lied vom eifersiichtigen Knaben« ist der Ring das Symbol der Liebe und Treue. Er hat ihr seinerzeit diesen Ring gegeben; nun kehrt er zuriick zu der treulosen Geliebten, totet sie und wirft den Ring in den Fluss, ein Zeichen dafUr, dass alles nun aus ist. Auf Grund des Zusammenhangs wird aber dies, dass der Ring in das Wasser sinkt und dann weiter bis in den tiefen See gefiihrt wird, zugleich ein Symbol des Todes und der Ewigkeit: W as zog e r ih r abe vom F in g er E in ro th es G old rin g elein E r w a rf’s in fliessig W asser Es gab seinen k lare n Schein. Schw im m h in Schw im m h e r G old rin g elein Biss an den tiefen See. M ein F einslieb ist m ir gestorben Je tzt h ab ich kein F einslieb m ehr. Die doppelte Symbolik ist, wie man sieht, den beiden Gedichten gemeinsam. Dem Ring des Volkslieds entspricht der Becher bei Goethe und der Zeile »Biss an den tiefen See« Goethes »Und sinken tief ins Meer«. tJbrigens ist auch das Versmass der beiden Gedichte dasselbe.4 Durch die hier vermutete Anlehnung an »Das Lied vom eifersiichtigen Kna ben« erklart sich auch, warum »Der Konig in Thule« an das spatere kurze deutsche Volkslied erinnert, das in reichem Masse die Dingsymbolik verwendet und eine andere Struktur hat als die alteren von Goethe aufgezeichneten Lie der. Anders als »Der Konig in Thule« ist eine Ballade wie »Erlkonig«, die durch die Imitation von wesentlichen Ziigen der danischen Volksballade 4. Im » E rlkonig« im itiert G o eth e ebenfalls das V ersm ass der V orlage (d. h. der tib e rsetzung), indem e r ab er zwei S trophen zu einer S trophe vereinigt. Steffen Steffensen »Elverskud« (»Erlkonigs Toehter«) entstand. Die Vermutung scheint mir nahezuliegen, dass »Der Konig in Thule« in ahnlicher Weise durch die Imi tation der Symbolik in dem »Lied vom eifersiichtigen Knaben« entstand, freilich so, dass Goethe gleichzeitig das Motiv umgestaltete. Wåhrend »Das Lied vom eifersiichtigen Knaben« von der Treulosigkeit und deren tragischen Folgen handelt, wurde »Der Konig in Thule« zu einer Ballade von der ewigen Treue, weshalb sie dazu geeignet war, Gretchen in den Mund gelegt zu werden, die das Lied im »Faust« singt, wodurch das Motiv einen Kontrast zu der faustischen Treulosigkeit bildet, welche Goethe in diesen Jahren so stark beschaftigt hat. Nicht nur wegen des Motivs passt das Lied in den Mund Gretchens, son dern auch durch die einfaltige Innigkeit des Liedes und die Erwartung und Vorahnung, die es an seiner Stelle im Drama ausdruckt. Gretchen singt hier im Grunde ihr eigenes Todeslied. Der Becher wird also, wie der Ring im Volkslied es war, ein Symbol der Liebe und Treue. Die Liebe ist wie der Becher »heilig«, ein Wort, das fruher ausschliesslich in Verbindung mit der christlichen Symbolwelt vorkam und vorkommen durfte. Das Gedicht erinnert dadurch an die religiose Verherrlichung der Liebe, die Goethe in seinem »Werther« gegeben hatte. Auch in dem Gedicht ist diese Verherrlichung und Vergottlichung der Liebe das Zentrale. Das Wort »Becher« erhalt durch das Attribut »heilig« einen fast religiosen Klang.5 Wie im »Werther« verwertet Goethe in dem Gedicht den religidsen oder biblischen Klang der Worte, verwendet sie aber zu seinen eigenen Zwecken. Der Becher ist eine heilige »Reliquie«,6 die im Tode der Ewigkeit zuriickgegeben wird. Durch die starke Konzentration und die verwendete Symbolik hat Goethe dem Gedicht seine einfache Grosse gegeben. Es liegt eine deutliche Korrespondenz vor zwischen Eingangs- und Ausgangssituation. Anfangs gibt sie ihm den Becher, am Schluss wirft er ihn in das Meer, das Symbol der Ewigkeit. Auch das ist eine raffinierte Ausnutzung eines Zuges, der in den Volksliedern gegeben war, die plastisch-anschaulichen Eingangs- und Ausgangssituationen. Man vergleiche z. B. die Eingangs- und Ausgangsstrophen im danischen Volks5. M a n w ird leise an die V erw en d u n g des W ortes B echer im geistlichen L ied erin n ert. (»B echer des L eidens«; vgl. die Z ita te im G rim m s D W b. I Sp. 1213). D e r K onig trin k t »L ebensglut« aus dem B echer; W erth er sehnt sich dan ach »aus dem schåum enden B echer des U n en d lich en jene schw ellenden L ebensw onne zu trin k en . . . « - Biblisch ist in dem G e d ich t d e r A u sd ru ck »D ie A ugen gingen ihm iiber«. D as W o rt »Buhle« k o m m t in den au fg ezeichneten L iedern, a b e r auch in d e r L u th e rb ib el vor. 6. Bei dem ju n g en G o e th e fin d en w ir h a u fig solche »R eliquien«. E ine R eihe Beispiele d a fu r gibt S arau w in » G oethes A ugen«, K o p en h ag en 1919, s. 148 f. »Der Konig in Thule« lied und in einer anderen von Goethe aufgezeichneten Volksballade »Das Lied vom jungen Grafen«. - Das Volkslied und nach ihm die Kunstballade lieben die pragnanten symbolischen Situationen und Gesten, die zugleich der Phantasie ein deutliches Bild geben. Immer wieder begegnen wir in der Kunst ballade solchen Ziigen: Der Konig lasst dem Sanger den kostbaren Wein im goldenen Becher iiberreichen und erkennt dadurch den hohen Wert des San gers an; der knieende Bettler (der ein Symbol des verlorenen Sohnes wird) erfasst den Purpurmantel des Konigs und zerrt flehend an ihm, so dass er schliesslich iiber ihn selbst herabgleitet;7 oder der Konig ergreift stumm eine Handvoll Erde, um dadurch auszudriicken, dass derjenige, nach dem gefragt wird, gestorben ist.8 2. Dass Goethe den goldenen Ring durch den Becher und den Fluss durch das Meer ersetzt, hangt natiirlich damit zusammen, dass er den nordischen Ton und das nordische Milieu (»Thule«) geben will; er gewinnt aber dadurch zu gleich die grossere Dimension des Gedichts und die Ankniipfung an das Alte und Urspriingliche, nach dem die Zeit sich sehnte. Der Konig und seine »Buhle« driicken ein menschliches Urverhaltnis aus, in vergrosserter Dimen sion gesehen und mit dem verklarten Glanz der ehrwiirdigen Vorzeit versehen. Das Nordische oder richtiger das Nordisch-Ossiansche9 ist also ein wichtiges Element des Gedichts. Dies lag damals sozusagen in der Luft und spielt iiberhaupt eine nicht geringe Rolle in der deutschen Kunstballade. Eine Vereinigung von Elementen aus der nordischen Mythologie mit ausgesprochen ossianschen Motiven und Stimmungen hatte z. B. auch Klopstock in seinen Oden gegeben. Der ganze dritte Teil seiner Odensammlung, die 1771 erschien, war der nordisch-ossianschen Odendichtung gewidmet. Die Vorstellung von den trinkenden nordischen Helden (»Zechern«), die sich in der Halle mit ihren Mannen zum Trinkgelage versammeln, stammt teils aus der Edda, die damals erst eben bekannt wurde, teils aus den Liedern Ossians. Hervorzuheben ist aber, dass das Gedicht mehrere ossiansche Elemente enthalt: die schwermiitige Stimmung, das ehrwiirdige nordische Milieu 7. C. F . M eyer » D e r gleitende P u rp u r« . 8. A gnes M iegel »D ie M å r vom R itter M anuel«. 9. Siehe hieriib er C arl Roos: »D ie d ånische F olkevise in der W e ltlitera tu r« in »F orschun g sp ro b lem e d. vergl. L iteratu rg esch « . T iibingen 1951 p. 79 f und C a rl Roos: »D ie n o rd isch en L ite ratu ren « in S tam m lers »D eutsche P h ilologie im A ufriess« III, 1 ff. O b e r die G eister der v ersto rb en en H elden in O ehlenschlæ gers »G u ld h o rn en e« siehe C a rl R oos: »O ehlenschlæ ger og O ssian« (in »D anske S tudier« 1951). Steffen Steffensen 40 und vor allem die Situation, die den Helden auf dem Gipfel des Bergs am Meere zeigt, ausserdem ist auch die Treue den Verstorbenen gegeniiber ein ausgesprochen ossiansches Motiv. In einem kleinen Gedicht »Geistesgruss«, einem improvisierten Stimmungsbild im Versmass des Volksliedes, das 1774 auf der Rheinreise Goethes mit Lavater und Basedow entstand, als sie am 18. Juli an der Burgruine »Lahneck« vorbeifuhren, haben wir sowohl den Helden, der hier hoch auf dem alten Turme steht, als auch den gefullten Becher. Sein Leben war geteilt zwischen dem Stiirmischen, Unruhigen, und einem ruhigen Dasein, das durch den Becher symbolisiert wird. Das Gedicht ist offenbar ein wichtiger Vorlaufer der Ballade. Doch fehlt noch das Eigentliche und Entscheidende, das Motiv der Liebe und Treue. H och a u f dem alten T u rm e steht D es H eld en edler G eist, D er, wie das S chiff v oriibergeht, E s w ohl zu fa h re n heisst. »Sieh, diese Senne w a r so stark, D ies H e rz so fest und w ild, D ie K n o ch en voll von R itte rm a rk , D e r B echer angefiillt; »M ein halbes L eben stiirm t’ ich fo rt, V e rd e h n t’ die H a lft’ in R uh, U n d du, du M enschen-S chifflein dort, F a h r im m er, im m e r zu!« Es handelt sich hier um den Geist eines verstorbenen Helden, »des Helden edler Geist«, welches ebenfalls eine ossiansche Vorstellung ist. In Macphersons Ossian sind die Geister der verstorbenen Helden ein sehr wichtiges stimmungschaffendes Element. In der Zeit, wo Goethe im Elsass Volkslieder sammelte, libersetzte er auch aus dem Ossian und konnte damals Herder eben falls Proben dieser Ubersetzungen schicken.11 Auch hier spielen die Geister der verstorbenen Helden, die auf den Gipfeln der vom Meere umbrandeten Felsen erscheinen, eine sehr wichtige Rolle. 10. D jG . IV , 105 f; vgl. E rn st B eutler »D er K onig in T hule«, Z iirich 1947 11. D jG . II, 84 f u. 111 f. 12. D jG . II 84 u 86. U b e r an d ere Beispiele der E in w irk u n g O ssians a u f den jungen G o e th e siehe D jG . V I 350 u. 547. Im » W erth er« verw ertet G o eth e bekan n tlich U bertrag u n g en aus »O ssian«. »Der Konig in Thule « »Ich sehe m eine verschiedenen F re u n d e . Ih re V e rsam m lu n g ist a u f L o ra wie in den T agen, die vo riib er sind. F in g al k o m m t wie eine w assrige Saule v o n N ebel; seine H elden sind u m ih n her.« , oder: »O h! von dem F elsen des H iigels; von dem G ipfel des w indigen B erges, re d e t ih r G eister der T odten! R edet, ich will n ich t ersch ro c k e n .« 12 In Macphersons Ossian ist die Einwirkung der nordischen Mythologie sehr deutlich. Die Geister der abgeschiedenen Helden im Ossian entsprechen den Einherien der nordischen Mythologie; Cruthloda (d. h. »Lodas Geist«) ist ein anderer Odin; die dahingeschiedenen Helden, »die Sohne Cruthlodas«, versammeln sich in der Halle auf Cruthlodas vom Nebel umhullter Burg Loda, die der Walhalla entspricht. Um dies zu beleuchten, sei hier eine wirkungsvolle Stelle im ersten Gesang von Cath-Loda zitiert, wo der hohe Gott Cruthloda zwei Attribute hat: seine rechte Hand ist auf den Schild gestiitzt; in seiner Lin ken hat er die klingende Trinkschale oder Musche (shell), die er seinen im Kampfe gefallenen »»Sohnen« reicht. Also eine ahnliche Zweiheit wie im »Geistesgruss«, nur in sehr vergrosserter mythischer Dimension. U -th o rn o , th a t risest in w aters! o n w hose side are th e m eteo rs o f night! I behold th e d ark m o o n descending, b ehind th y reso u n d in g w oods. O n th y to p dw ells the m isty L oda: the h o u se o f spirits o f m en! In th e end o f his cloudy hall, bends fo rw a rd C ru th -lo d a o f sw ords. H is fo rm is dim ly seen, am id his w avy m ist. H is rig h t h a n d is on his shield. In his left is th e half-view less shell. T h e ro o f o f his d read fu l h all is m ark e d w ith nightly fires. T h e ra c e o f C ru th -lo d a advance, a ridge o f form less shades. H e reaches th e sounding shell, to those w ho shone in w ar. But, betw een him and th e feeble, his shield rises, a d a rk en ed orb. Im »Geistesgruss« ist die Vorstellung vom Geiste des verstorbenen Helden zwar ein ossiansches Element; aber das Milieu ist ein anderes. Beim Anblick der alten Burgruine steigt namlich ein anderes Milieu vor Goethes innerem Auge empor: das mittelalterlich-deutsche Rittermilieu (vgl. »alten Thurme«, Rittermark«). Also diejenige Welt, die ihn beschaftigt hatte, als er 1771 unter der starken Einwirkung Shakespeares seine »Geschichte Gottfriedens von Berlichingen« schrieb, die dann zwei Jahre spater umgearbeitet wurde. Das Rittermilieu im »Geistergruss« hat dann wahrscheinlich auch auf den »Konig in Thule« eingewirkt, der vermutlich kurze Zeit spater auf derselben Reise entstand..13 Auch im »Konig in Thule« finden wir namlich die Mischung des Nordisch-Ossianschen mit den gotisch-mittelalterlichen Elementen (»die Ritter um ihn her«, »hohem Vatersaale«). - Das Gedicht verschmilzt also, wie ich hier zu zeigen versuchte, die Impulse, die vom Volksliede aus13. In »D ich tu n g u. W ah rh eit« b erichtet G o e th e nam lich, er h a b e F r. Jacobi die B allade sp a ter a u f derselben Reise vorg etrag en ; vgl. B eutler a. a. 0 .1 4 . Steffen Steffensen gingen, mit den nordisch-ossianschen und gotisch-mittelalteilichen Elementen, die nach der Goetheschen Auffassung zur Ballade passen; denn sie war ihm eine ausgesprochen »nordische« Gattung.14 3. Der nordische Ton, der von Goethe angeschlagen, und das nordisch-ossiansche Milieu, das von ihm in der Ballade eingefuhrt worden war, leben dann in der deutschen Kunstballade weiter. Vor allem zur Zeit der Romantik kehren diese Elemente immer wieder. Zum Beispiel finden wir in der bekannten Ballade von Uhland »Das Schloss am Meer« deutlich dieselbe nordisch-ossiansche Atmosphare wie im »Konig in Thule«: das Konigsschloss mit den hohen Hal len auf dem Felsen am Meer, der von Wolken und Nebel umrahmt ist. Als die Zeit der Romantik im Verklingen ist, bemerken wir eine andere Tendenz in der Kunstballade, auch in der »nordischen« Ballade. Es ist die parodistische Tendenz, deren Vertreter vor allem natiirlich Heine ist, der da durch ein Vorlaufer der spateren parodistisch-satirischen Balladendichtung wird. Schon bei Chamisso ist diese Tendenz deutlich spiirbar. Hier seien seine beiden Gedichte »Ungewitter« (1826) und »Der Konig im Norden« (1831) erwahnt, die beide von einem Konig in Thule handeln. Er benutzt hier die Form und die Elemente der »nordischen« Ballade, verwendet sie aber zu satirischen, politischen Zwecken. Aber die deutsche Ballade mit nordischen Motiven lebt weiter. Auch die Neuromantik, die um die Jahrhundertwende einsetzt, hatte bekantlich einen volkstumlichen Zweig mit Balladendichtern, von denen wohl Agnes Miegel die beste ist. Auch in der Balladendichtung dieser Zeit spielen die nordischen Motive eine wichtige Rolle, z.B. bei Borries von Miinchhausen. Ich mochte hier abschliessend ein paar Strophen aus seiner Ballade »Konig Kristian und Dagmar« zitieren. Dagmar ist hier die Geliebte des Konigs, ein Madchen aus dem Volke: E r tru g der K ro n e goldnen G lan z U nd den R u h m d e r Insel-L ande, Sie tru g den goldenen F le ch te n k ra n z , Sein K ind und ih re Schande. Als beide gestorben sind, ruht er im Dom zu Roskilde, sie in ihrem Hugel, iiber den der Wind weht. Aber: 14. V gl. z. B. den B rief 2 1 .7 . 1797 an Jo h a n n H e in ric h M eyer. »Der Konig in Thule Z u r Sonnenw ende um M itte rn a ch t, D a b rech en B ann und B ande, Im D o m zu R oskilde d e r K onig erw acht U n d w andelt d u rc h seine L ande. Z u r S onnenw ende um M itte rn a ch t Sie sitzen am grau en M eere, D as N o rd lich t gliiht in M å rch e n p ra ch t A u f seinem alten Speere. Wir haben hier wieder das Motiv, das uns besehaftigt hat: Der nordische Konig und seine Buhle und ihre Liebe und Treue, und dasselbe Milieu: das graue Meer und die Klippen. Es ist eine Marchenwelt, Mårchenpracht und Marchen glut, geschaffen von der Phantasie der Dichter und ihrem Traum vom Norden und von einer Tradition, die, wie wir gesehen haben, eine lange Geschichte hat.