Vor der Glotze - auf buseck
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Vor der Glotze - auf buseck
21. November 2013 Alfred Keils Kolumne „des pudels kern“ Vor der Glotze Ich esse zu viel Schokolade, und ich sitze an manchen Abenden zu lange vor der Glotze. Letzteres tun viele andere auch. Trotz dieses Zuspruchs, den die TV-Programme bei Tag und bei Nacht erfahren, haben die Vereinten Nationen den 21. November zum Welttag des Fernsehens erklärt. Und das, von mir unbemerkt, schon 1996. Der erste Fernseher, in den ich blickte, stand "Im Eck". Das war die Kneipe direkt am Sportplatz. Wenn Fußball-Länderspiele übertragen wurden, war ich immer dort anzutreffen. Der Wirt räumte die Tische beiseite und stellte ein paar Kirmesbänke auf. Auf denen saßen wir Buben zwischen den rauchenden und Bier trinkenden Männern, die alles besser wussten als der Kommentator. Mit dem Taschengeld war das damals noch nicht so geregelt wie heute, und so reichten meine Pfennige gerade für eine Limo. Im Tor der Nationalmannschaft stand zu dieser Zeit Fritz Herkenrath von Rot-Weiß Essen, ein Vertragsamateur, der im "normalen" Leben als Lehrer arbeitete. Schon vor dem Spiel gab er Autogramme. Als ein paar Schulbuben ihre Hefte hinhielten, fragte er mit gespielter Strenge: "Und habt ihr eure Hausaufgaben schon gemacht?" Daran erinnere ich mich noch, als sei es gestern gewesen. Schließlich bekamen wir selber ein Gerät. Das war etwas Außergewöhnliches. Manchmal empfingen wir abends Gäste, die sich einen ganz bestimmten Film ansehen wollten. Die Hauptrollen spielten zum Beispiel Ingmar Zeisberg, Ernst Fritz Fürbringer, Hubert von Meyerinck und Theo Lingen. Und weil es zunächst nur zwei Programme gab, die nur einige Stunden pro Tag sendeten, wurden wir nicht in Versuchung geführt, bis in die Puppen vor der Flimmerkiste zu hocken. Inzwischen besitzen 95 Prozent der deutschen Haushalte ein Fernsehgerät. 28 Prozent haben zwei Apparate und elf Prozent sogar mehr. Im Schnitt sah 1992 jeder Bundesbürger 158 Minuten täglich fern. 2004 waren es 210 Minuten. Aber seit 2007 geht der Konsum merklich zurück. Dafür hat das Internet gesorgt, das ebenfalls bewegte Bilder liefert. Der kürzlich verstorbene Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki lehnte 2008 vor laufenden Kameras den Deutschen Fernsehpreis ab und wetterte gegen "den täglichen Blödsinn" auf der Mattscheibe. Widersprechen kann ich ihm nicht.