SPEZIALAUSGABE TUMORTHERAPIE

Transcrição

SPEZIALAUSGABE TUMORTHERAPIE
SPEZIALAUSGABE TUMORTHERAPIE
HEILUNG BEIM METASTASIERTEN
­K OLOREKTALKARZINOM?
Nr. 33 / Dezember 2010
Inhalt
1Heilung beim metastasierten
­Kolorektalkarzinom?
as Management von Patienten mit
D
metastasiertem Kolorektalkarzinom
stellt hohe Anforderungen an die
­involvierten Fachärzte, die im Rahmen
eines Tumorboards den optimalen
­Behandlungspfad festlegen sollen.
Die Metastasenchirurgie ist der Haupt­
pfeiler der Behandlung. Sie ist nur
­indiziert, falls die Metastasen vollstän­
dig entfernt werden können.
Mittels eines zweizeitigen Vorgehens
können bilobäre Lebermetastasen
in gewissen Fällen kurativ angegangen
werden.
Es besteht Evidenz für den Einsatz von
Chemotherapie sowohl bei primär
nicht resektablen Lebermetastasen
(Downsizing) als auch bei primär ope­
rablen Lebermetastasen. Die optimale
Chemotherapiesequenz bei resek­
tablen Metastasen wird zurzeit heftig
diskutiert.
zahlreichen Fallserien gezeigt werden, dass
durch ein aggressives chirurgisches und
chemotherapeutisches Vorgehen im Fall von
Lebermetastasen ein Langzeitüberleben er­
reicht werden kann. Prinzipiell kann davon
ausgegangen werden, dass 30 – 50% der
Patienten, bei denen die Metastasen voll­
ständig reseziert wurden, nach fünf Jahren
noch leben. Von diesen werden zwei Drittel
weitere fünf Jahre überleben. Da es bis an­
hin nur wenig Evidenz für spezifische Thera­
piestrategien gibt, ist eine interdiszi­plinäre
5Aktuelle Therapie des Prostata­
karzinoms
9Interdisziplinäre Therapie bei
­Lungenkrebs
13Das CyberKnife – hochpräzise
­stereotaktische Radiotherapie
Tempora mutantur
Im Mai 1995 erschien die erste Ausgabe der
«aktuellen medizin» (am). Seither sind 33
Nummern mit total 129 medizinischen Arti­
keln erschienen. Damals gab es fünf Hirslan­
den Kliniken, heute sind es 15. Das Ziel der
«am» war und ist es noch immer, Arbeiten
zu präsentieren, die aus dem praktischen
­Erfahrungsschatz der Ärztinnen und Ärzte
der Hirslanden Kliniken schöpfen. «Einschlä­
fernder Fachjargon oder trockene Statistiken
­sollen in der ‹am› fehlen», so stand es schon
im Editorial der zweiten Ausgabe.
Das Kolorektalkarzinom ist in der
Schweiz die dritthäufigste diagnostizierte
bösartige Erkrankung. Jährlich erkranken
rund 4000 Menschen an Darmkrebs, bei
rund 1500 Patienten pro Jahr endet die Er­
krankung mit dem Tod. Die Therapie des
metastasierten Kolorektalkarzinoms wurde
in den letzten Jahren durch etliche neue
Optionen ergänzt, was einerseits die Prog­
nose verbessert, andererseits aber auch eine
therapeutische Herausforderung darstellt.
Seit der ersten Ausgabe der «am» bin ich
­Mitglied der Redaktionskommission, seit vier
Jahren Chefredaktor. Jetzt ist es Zeit, das
Zepter des Chefredaktors an Prof. Pius Wyss,
Zürich, weiterzureichen. Meinen Vorgängern
im Amt des Chefredaktors, Prof. M. A. Lan­
dolt und Prof. H. O. Hirzel, den Schriftleiterin­
nen, aber auch den Hirslanden Kliniken mit
dem damaligen CEO Dr. Robert Bider und
dem jetzigen CEO Dr. Ole Wiesinger, will ich
meinen grossen Dank aussprechen. Vor al­
lem danke ich allen ärztlichen Mitgliedern in
Wann ist der kurative Ansatz sinnvoll?
Etwa 25% der Patienten haben zum
Zeitpunkt der Diagnose bereits Metastasen,
und weitere 25 – 35% entwickeln im Ver­
lauf der Krankheit Metastasen. Entgegen
der landläufigen Meinung, dass eine metas­
tasierte Situation unheilbar ist, konnte in
der Redaktionskommission, die ausgezeich­
nete und unentgeltliche Arbeit leisten, ganz
herzlich. Der grösste Dank aber gebührt den
Leserinnen und Lesern, welche die Existenz
Abb. 1
der «am» rechtfertigen.
Ligatur des rechten Pfortaderastes und Resektion
einer kleinen Lebermetastase.
Dr. Rainer Hoffmann, Chefredaktor abiens
Editorial
Tumornachsorge: Was ist sinnvoll?
Sehr geehrte Leserinnen und Leser
Die Lebensphase nach einer Tumortherapie
ist geprägt durch die Angst vor einem
­Rezidiv. Welche Hilfe können onkologisch
­tätige Ärzte in Anbetracht dieser Lebens­
2a: Resektion des Primärtumors
2b: Systemische Chemotherapie
2c: Erste Lebermetastasen­
resektion und Ligatur/
Embolisation der kontra­
lateralen Portalvene
3a: Systemische Chemotherapie
3b: Erste Lebermetastasen­
resektion und Ligatur/
Embolisation der kontra­
lateralen Portalvene
umstände in der Tumornachsorge bieten?
Der Patient kommt mit der Hoffnung in die
Nachkontrolle, «dass alles gut sei». Die psy­
chische Befindlichkeit und Symptome werden
erfragt, und mit einer klinischen Unter­
Chirurgie
suchung wird nach Lokalrezidiven gesucht.
Chemotherapie
Ob in der Tumornachsorge bei asympto­
matischen, klinisch tumorfreien Patienten
bildgebende Verfahren und die Bestimmung
von Tumormarkern angewendet werden
­sollen, ist Gegenstand vieler Diskussionen.
Die Routinenachsorge bei Brustkrebs erfolgt
mittlerweile «nur» noch anamnestisch
und klinisch, denn es liegen keine evidenz­
basierten Daten vor, die zeigen würden, dass
die Früherkennung eines Rezidivs mittels
bildgebender Verfahren oder Tumormarkern
das Überleben verlängert.
Vermeintlich erhöhte Tumormarker und
­tumorverdächtige Resultate bildgebender
Verfahren lösen häufig Angst und frühe
Chemotherapien aus. Die Lebensqualität der
Patientin verschlechtert sich, ohne dass sich
die Überlebenszeit verlängert.
Der ideale Interventionszeitpunkt in der
Nachsorge ist dann, wenn tumorassoziierte
Symptome bei gutem Allgemeinzustand auf­
treten. Das Ziel ist und bleibt die Verbesse­
rung der Lebensqualität durch psychosoziale
Begleitung, Vorbeugung von Tumorkom­
plikationen und Minimierung von Therapie-­
Toxizitäten.
Die Forschung bezüglich Tumornachsorge
sollte sich auf Indikatoren für das rechtzeiti­
ge – nicht frühzeitige – Erkennen von
­Rezidiven fokussieren, damit eine hohe Le­
bensqualität der Patienten erhalten bleibt.
Die Kunst des ärztlichen Handelns liegt nicht
darin, diagnostische Massnahmen zu ver­
ordnen, sondern in der transparenten Infor­
Zusammenarbeit der beteiligten Fachärzte
inbesondere für Viszeralchirurgie, medi­
zinische Onkologie, Radiologie und Radio­
therapie eine absolute Voraussetzung für
das optimale Management des metastasier­
ten Kolorektalkarzinoms.
Es gibt viele verschiedene klinische Aus­
gangssituationen. Prinzipiell muss am Tumor­
board zuerst festgelegt werden, ob der
­Patient mit metastasiertem Kolorektalkarzi­
nom überhaupt von einem aggressiven in­
terdisziplinären Vorgehen profitieren kann.
Grundlegend kann man sagen, dass Patien­
ten mit Lebermetastasen und einer be­
grenzten Anzahl Lungenmetastasen eine
Chance auf Heilung haben (5-Jahres-Über­
leben je nach Ausgangslage 20 – 60%). Eine
ausgedehnte Lebermetastasierung, zahlrei­
che Lungenmetastasen und Lymphknoten­
metastasen insbesondere retroperitoneal,
im Leberhilus oder mediastinal verunmögli­
chen in der Regel einen kurativen Therapie­
ansatz.
mation und der Erkennung von Symptomen.
Radiologische Aspekte und Staging
Um ein kuratives Therapiekonzept zu
evaluieren, ist ein Staging mit Bildgebung
Pius Wyss,
Redaktionskommission «aktuelle medizin»
am
Dezember 2010
2
zur Metastasensuche zwingend. Dazu wer­
den in den letzten Jahren nebst der Com­
putertomographie (CT) vermehrt die Mag­
netresonanz-Tomographie (MRT) der Leber
und die Positronen-Emissions-Tomographie
in Kombination mit einer CT (PET-CT) ein­
gesetzt.
Die MRT-Untersuchung hat bei der
­Suche nach Lebermetastasen eine etwas bes­
sere Sensitivität als die Spiral-CT. Dies kann
insbesondere nach einer sehr effektiven
neoadjuvanten Chemotherapie bei der Lo­
kalisierung der Metastasen eine Rolle spielen.
Eine dem MRT vergleichbare Sensitivität
bei der Suche nach Lebermetastasen
weist die PET-CT auf. Diese Untersuchung
hat auch eine hohe Sensitivität für allfällige
­extrahepatische Tumormanifestationen.
Die PET-CT gehört deshalb zur Standard­
abklärung vor allfälliger Lebermetastasen­
chirurgie.
Chirurgische Aspekte
Die komplette chirurgische Exzision ist
der zentrale Pfeiler jedes kurativen Thera­
piekonzepts beim metastasierten Kolorek­
talkarzinom. Gelegentlich ist es nicht
2d: Zweite Leberoperation
(Hemihepatektomie) nach
6 – 8 Wochen Wartezeit
2e: Systemische Chemotherapie
Abb. 2
Behandlungsstrategie bei metastasierendem Kolorektalkarzinom
Vorgehen in Analogie zur EORTC-Studie
a: Resektion des Primärtumors
b:Systemische Chemotherapie (Dauer 2 – 3 Monate)
c:Nach der systemischen Chemotherapie erfolgen eine erste Lebermetastasen­
resektion (auf der weniger stark befallenen Seite) und die Ligatur/Embolisation
der Portalvene (auf der stärker befallenen Seite). Durch die Ligatur/Emboli­
sation kommt es zur Hypertrophie der weniger stark befallenen Leberhälfte.
d:Die stärker befallene Leberseite wird nun vollständig entfernt (Hemihepatek­
tomie), falls das Leberrestvolumen durch die Hypertrophie eine kritische Grösse
erreicht hat.
Variante: Bei einem geringen Metastasenbefall können mit einer einzigen
­Operation die Lebermetastasen entfernt werden (z.B. Hemihepatektomie links).
e: Systemische Chemotherapie (Dauer 2 – 3 Monate)
Abb. 3
Behandlungsstrategie «Genfer Modell»
a: Systemische Chemotherapie
b:Nach der systemischen Chemotherapie erfolgen eine erste Lebermetastasen­
resektion (auf der weniger stark befallenen Seite) und die Ligatur/Embolisation
der Portalvene (auf der stärker befallenen Seite). Durch die Ligatur/Embolisati­
3c: Zweite Leberoperation
(Hemihepatektomie) nach
6 – 8 Wochen Wartezeit
3d: Resektion des Primärtumors
­ öglich, Lebermetastasen chirurgisch zu re­
m
sezieren, oder die Resektabilität ist fraglich.
Lebermetastasen werden deshalb in drei
Gruppen eingeteilt: sicher resektabel, po­
tenziell resektabel, nicht resektabel (Tab. 1).
Die Indikationen zur Tumorchirurgie ha­
ben in den letzten Jahren ständig zugenom­
men. So ist heute nicht mehr die Zahl der
Lebermetastasen limitierend, sondern das
nach der Operation verbleibende Lebervolu­
men, das minimal 20 – 30% des ursprüngli­
chen Lebervolumens betragen sollte. Dieser
Richtwert gilt allerdings nur für gesundes
Lebergewebe. Falls die Leberfunktion auf­
grund einer Hepatopathie beeinträchtigt
ist, beispielsweise beim Vorliegen eines zir­
rhotischen Umbaus, muss das Restvolumen
­grösser sein. Um dieses Problem zu umge­
hen, wurden moderne kombinierte Behand­
lungsstrategien entwickelt, die das Leber­
regenerationspotenzial nutzen und das zu­
rückbleibende Lebervolumen vergrössern.
Die Okklusion eines Portal­venenasts durch
interventionelle Embolisa­tion oder chirur­
gische Ligatur führt zur Schrumpfung
des ipsilateralen und zur Hypertrophie des
­kontralateralen Leberlappens (Abb. 1).
on kommt es zur Hypertrophie der weniger stark befallenen Leberhälfte.
c:Die stärker befallene Leberseite wird nun vollständig entfernt (Hemihepatek­
tomie), falls das Leberrestvolumen durch die Hypertrophie eine ausreichende
Grösse erreicht hat.
Variante: Bei einem geringen Metastasenbefall können mit einer einzigen
­Operation die Lebermetastasen entfernt werden (z.B. Hemihepatektomie links).
d:Resektion des Primärtumors
I­nsbesondere bei bilobärem Metastasen­
befall wird diese Strategie zur kurativen
Lebermetastasen­resektion in zwei Schritten
angewendet. In einer ersten Operation
wird der linke Leberlappen durch atypische
Leberresektionen «gesäubert» und die
rechtsseitige Pfortader ligiert. In einer zwei­
ten Operation, nach Hypertrophie der lin­
ken Leberseite, wird die Hemihepatektomie
rechts angeschlossen.
Einteilung von Lebermetastasen
Definition
Vorgehen
Sicher resektabel
Bis 4 Segmente befallen, Vena
cava nicht befallen
Direkte Resektion oder peri­
operative Chemotherapie,
z.B. mit FOLFOX
Potenziell resektabel
Bis 6 Segmente betroffen, Befall
kontralateraler vaskulärer Struk­
turen plus eventuell resektable
­extrahepatische Metastasen
Intensive neoadjuvante Chemo­
therapie, z.B. mit FOLFOXIRI oder
FOLFIRI plus Cetuximab (falls
KRAS wild-type) oder FOLFOX
plus Bevacizumab
Nicht resektabel
Mehr als 6 Segmente befallen,
­verbleibendes gesundes Paren­
chym < 20% und/oder inoperable
­Fernmetastasen andernorts
Palliative Chemotherapie
Tab. 1
3
am
Dezember 2010
Systemische Chemotherapie
Da im metastasierten Stadium grund­
sätzlich von einer Systemerkrankung auszu­
gehen ist, sollte nebst lokalen chirurgischen
Massnahmen prinzipiell eine systemische
Chemotherapie zum Einsatz kommen. Eine
wirksame Chemotherapie kann im Fall einer
primär nicht operablen Situation eine kura­
tive Chirurgie ermöglichen (DownsizingStrategie). Bei primär resektablen Metasta­
sen steht derzeit zur Diskussion, ob die
Chemotherapie vor, nach oder vor und
nach der Resektion verabreicht werden soll
(Abb. 2 und 3). Zu dieser Fragestellung
zeigte eine grosse Phase-III-Studie der Euro­
pean Organisation for Research and Treat­
ment of Cancer (EORTC), dass Patienten
mit primär operablen Lebermetastasen
von ­einer prä- und postoperativen Chemo­
therapie profitieren – im Vergleich zur
­Operation ohne Chemotherapie (Abb. 4).
Da die genannte Studie die einzige rando­
misierte kontrollierte Phase-III-Studie auf
dem Gebiet der Metastasenchirurgie beim
Kolorektalkarzinom ist, empfehlen wir häu­
fig ein Vorgehen in Analogie zu dieser Stu­
die: zunächst Operation des Primärtumors,
gefolgt von Chemotherapie, dann Leber­
metastasenchirurgie, dann Chemotherapie.
Fallbeispiel
Der 50-jährige Patient leidet unter einem
Rektumkarzinom (Abb. 5) und synchro­
nen Lebermetastasen in beiden Leber­
lappen (Abb. 6a/b). Im PET-CT finden
sich keine Hinweise auf extrahepatische
Metastasen. Der Patient wird in Ana­logie
zur Strategie in Abb. 2 behandelt. Weil
es sich ursprünglich um ein Rektum­
karzinom handelt, wird zusätzlich eine
kombinierte Radiochemotherapie der
Primärtumorregion durchgeführt. Zurzeit
wird der Patient regelmässig nachkont­
rolliert. Anderthalb Jahre nach Diagnose­
stellung finden sich keine ­Hinweise auf
ein Lokalrezidiv oder Lebermetastasen.
Abb. 5
Rektumkarzinom (Pfeile)
Progressionsfreies Überleben in %
Progressionsfreie Zeit mit der ­Operation
alleine (blau) oder mit perioperativer
­Chemotherapie (grün)
Abb. 6a
Lebermetastase im rechten Leber­
lappen (Pfeile)
100
Alle auswertbaren Patienten
HR 0,77 (95,66% CI 0,60–1,00);
p= 0,041
80
60
42,4%
40
33,2%
20
0
0
1
2
3
4
5 Jahre
Abb. 4
Diese Reihenfolge kann aber auch um­
gekehrt zur Anwendung kommen: zu­
nächst intensive Chemotherapie, dann Ope­
ration der Lebermetastasen, dann Operati­
on des Primärtumors. Diesem Vorgehen
liegt die Annahme zugrunde, dass eine
intensive systemische Therapie so früh wie
möglich, das heisst vor der Operation,
Abb. 6b
Lebermetastase im linken Leber­
lappen (Pfeil)
am
Dezember 2010
4
a­ ngesetzt werden sollte, weil das sofortige
Aufhalten des Metastasierungsprozesses
pro­gnosebestimmend ist.
Ablative Verfahren
Wenn eine chirurgische Entfernung der
Lebermetastasen nicht oder nur teilweise
möglich ist, zum Beispiel wegen Komorbidi­
täten oder der Verteilung der Metastasen,
kann die Radiofrequenzablation (RFA) im
Sinn eines erweiterten kurativen Therapie­
konzepts eingesetzt werden. Dabei wird
nach perkutaner oder intraoperativer Plat­
zierung einer Sonde in der Metastase durch
Strom Wärme erzeugt. Durch die Hitze
kommt es zur Koagulationsnekrose der
­Metastase (siehe auch Artikel in der «aktu­
ellen medizin» Nr. 28, Juni 2008).
Dr. med. Daniel Helbling,
FMH Innere Medizin, Medizinische
­Onkologie
PD Dr. med. Hans Peter Klotz,
FMH Chirurgie, spez. Viszeral­chirurgie,
Intensivmedizin
Prof. Dr. med. Claudio A. Redaelli,
FMH Chirurgie, spez. Viszeral­chirurgie
Dr. med. Igor Svarin, FMH Chirurgie,
spez. Viszeralchirugie
Klinik Im Park, Zürich
[email protected]
AKTUELLE THERAPIE DES
PROSTATAKARZINOMS
as Prostatakarzinom ist die zweit­
D
häufigste krebsbedingte Todesursache
beim Mann.
Beim organbegrenzten Prostatakarzi­
nom stehen lokalradikale Behand­
lungsarten wie Operation oder Radio­
therapie im Vordergrund.
Beim metastasierten Prostatakarzinom
bilden systemische Massnahmen
wie Androgenblockade und gegebe­
nenfalls Chemotherapie die thera­
peutische Basis.
Die enge Zusammenarbeit zwischen
Hausarzt, Urologe, Radiotherapeut und
Onkologe muss als Standard gelten.
Das Prostatakarzinom ist beim Mann
der häufigste bösartige Tumor und nach
dem Bronchuskarzinom die zweithäufigste
krebsbedingte Todesursache. Pro Jahr ster­
ben in der Schweiz 1300 Männer an einem
Prostatakarzinom. Im gleichen Zeitraum er­
kranken aber 5300 Männer neu an diesem
Krebs – es führt also nicht jeder Prostata­
krebs zum Tod. In der Regel betrifft das Pro­
statakarzinom Männer über 50 Jahre, und
oft erleben die Träger des Karzinoms wegen
des langsamen Tumorwachstums die krebs­
spezifischen Probleme gar nicht mehr.
Diagnose und Therapieentscheid
In der Frühphase verursacht das Prosta­
takarzinom keine Beschwerden, und in der
Mehrzahl der Fälle wird der Verdacht auf
ein Prostatakarzinom aufgrund eines erhöh­
ten PSA-Werts im Serum oder eines ab­
normen rektalen Tastbefunds erhoben. Die
Sicherung der Diagnose erfolgt mit der
­histologischen Untersuchung von ProstataStanzzylindern.
Für die Wahl der Therapie ist die Klassi­
fizierung des Tumors von entscheidender
Bedeutung. Während beim organbegrenz­
ten Prostatakarzinom primär lokale Thera­
piemöglichkeiten in kurativer Absicht
­angewendet werden, bilden beim metasta­
sierten Tumorleiden systemische Therapien
die Grundlage. Verschiedene Behandlungs­
möglichkeiten stehen zur Verfügung, und
den Entscheid für eine Therapieart trifft
der Patient nach ­Abwägen der eigenen Be­
dürfnisse und Berücksichtigung der Tumor­
situation.
Es ist Aufgabe des behandelnden Arz­
tes, dem Patienten die Palette an Behand­
lungsmöglichkeiten darzulegen und auch
die individuellen Besonderheiten zu erklä­
ren. In der Regel wird die Diagnose durch
den Urologen gesichert, und es ist nahe­
liegend, dass er das erste Gespräch über die
Behandlungsmöglichkeiten führt (Abb. 1
und Tab. 1a / b). Der Patient darf erwarten,
dass auch die interdisziplinären Aspekte
­diskutiert werden. Die Zeiten der Graben­
kämpfe zwischen Urologie, Onkologie und
Radiotherapie sollten endgültig überwun­
den sein, und die enge Zusammenarbeit
zwischen diesen Fachgebieten muss als
Standard gefordert werden (Abb. 2). Sind
diese Bedingungen erfüllt, muss der Patient
nicht in jedem Fall einen Parcours bei allen
Spezialisten absolvieren, was die Abläufe
unnötigerweise kompliziert und möglicher­
weise die Behandlungskosten ansteigen
lässt. Wenn verschiedene Therapieoptionen
offenstehen, ist die Vorstellung in einem
­Tumorboard sinnvoll (Abb. 3).
Vorgehen beim organbegrenzten
­Prostatakarzinom
Bei Prostatakarzinomen mit günstigem
Risikoprofil kann primär auf eine aktive
­Behandlung verzichtet werden. Ein günstiges
Risikoprofil besteht bei folgenden Voraus­
setzungen:
– Tumorstadium < cT2b (einseitiger
­Befall)
– PSA < 10 ng/ml
– Gleason Score < 6
– Tumor in maximal 2 von 10 Stanz­
biopsien, maximal 50% Tumorbefall
pro Stanze
Das Warten bis zum Auftreten von
­Beschwerden (watchful waiting) wird nur
bei Patienten mit einer Lebenserwartung
von weniger als zehn Jahren empfohlen, da
bei längerem Verlauf die Überlebensraten
verglichen zu Patienten mit Operation oder
5
am
Dezember 2010
Therapie bei günstigem Risikoprofil*
Watchful waiting (z.B. bei Polymorbidität)
Bei Lebenserwartung < 10 Jahre
Aktive Therapie (bei Tumorprogression)
Aktive Überwachung
1. PSA-Messung oder je nach Typ
2. Rektale Untersuchung 3-monatlich
3. Biopsie
Experimentelle Verfahren
im Rahmen von Studien
Chirurgische Therapie
3-monatlich
Radiotherapie evtl. kombiniert mit
12-monatlich
Androgenblockade
5 –10 Jahre ohne aktive Therapie
10 –15 Jahre ohne Tumorprogression
Mögliche Zeitachse (grosse
­individuelle Schwankungen!)
Therapie bei bedingt günstigem Risikoprofil*
Aktive Therapie
Androgen­
blockade
Chirurgische Therapie
oder je nach Typ
Chemo­
therapie
Zusätzliche
­Medikation
Radiotherapie evtl. kombiniert mit
Androgenblockade
10 –15 Jahre ohne Tumorprogression
Mögliche Zeitachse (grosse ­individuelle Schwankungen!)
Therapie in bereits metastasiertem Stadium
Androgen­
blockade
Zusätzliche
­Medikation
Chemotherapie
Abb. 1
Therapiestrategien in Abhängigkeit vom
Bestrahlung schlechter werden. Bei jünge­
ren Patienten gewinnt deshalb die aktive
Überwachung (active surveillance) an Be­
deutung. Die Patienten werden regelmässig
mit digital rektaler Untersuchung, PSA-­
Messung (3-monatlich) und Biopsien (12monatlich) kontrolliert. Bei Zeichen einer
­Tumorprogression fällt dann der Entscheid
für eine aktive Therapie. Nach dem jetzigen
Stand des Wissens erlaubt es diese Strate­
gie, etwa 50% der Patienten mit tiefem Ri­
siko eine aktive Therapie über Jahre hinaus
zu ersparen. Für den Erfolg ist aber entschei­
dend, dass das Überwachungsprogramm
konsequent durchgeführt wird. Findet sich
eine Tumorprogression oder gehört das Pro­
statakarzinom schon bei Diagnosestellung
nicht in die günstige Risikogruppe, so ist ei­
ne aktive Therapie indiziert. Im Vordergrund
initialen Tumorstadium.
Grundversorgung / Urologie
Urologie
Radiotherapie
Onkologie
* Voraussetzungen für günstiges
Risikoprofil:
– Tumorstadium < cT2b (einseitiger
­Befall)
– PSA < 10 ng/ml
– Gleason Score < 6
– Tumor in maximal 2 von 10 Stanz­
biopsien, maximal 50% Tumorbefall
pro Stanze
am
Dezember 2010
6
stehen die operative Entfernung der Prosta­
ta und die lokalradikale Radiotherapie.
Radikale Prostatektomie
Die radikale Prostatektomie beinhaltet
die Entfernung der Prostata mit den Samen­
blasen, wobei meistens gleichzeitig auch
die regionären Lymphknoten ausgeräumt
werden. Die Prostatektomie kann schnitt­
chirurgisch oder laparoskopisch unter Zu­
hilfenahme des Operationsroboters da Vinci
erfolgen. Die Resultate dieser operativen
Verfahren sind bezüglich Radikalität und
Funktion (Kontinenz, Potenz) gemäss ver­
schiedenen Studien ähnlich. Die Unterschiede
hängen mehr von der Erfahrung des Opera­
teurs als von der gewählten Methode ab.
Lokalradikale Radiotherapie
Zu den lokalradikalen Radiotherapien
zählen Brachytherapie und externe Bestrah­
lung. Mit der low-dose-rate Brachytherapie
wird in einer Sitzung die für die Tumor­
zerstörung notwendige Strahlendosis in die
Prostata gebracht. Man verwendet kleine
Metallzylinder (Seeds), die mit dem Strahler
Jod-125 gefüllt sind. Bei der externen Be­
strahlung werden Linearbeschleuniger
­eingesetzt; die Protonentherapie als weitere
Form der externen Strahlenapplikation ist
noch nicht ­etabliert. Der Vorteil der exter­
nen Radiotherapie liegt darin, dass weder
eine Nar­kose noch die Aufhebung einer
Blutverdünnung erforderlich sind. Nachteilig
ist die Notwendigkeit wiederholter Behand­
lungen über mehrere Wochen, mit Ausnah­
me einer Therapie mit dem CyberKnife.
Therapeutische Optionen beim organbegrenzten Prostatakarzinom
Therapieform
Federführend
Anzahl Fälle in Aarau (2009)
Beobachtung des Spontanverlaufs (watchful waiting)
G + U
nicht erfasst
Aktive Überwachung (active surveillance)
G + U
nicht erfasst
Radikale Prostatektomie mit/ohne Entfernung der Beckenlymphknoten (schnittchirurgisch,
laparoskopisch, roboterunterstützt)
U
30
Low-dose-rate Brachytherapie mit/ohne medikamentöse Androgenblockade
U + R
26
High-dose-rate Brachytherapie mit/ohne medikamentöse Androgenblockade
R + U
0
Externe Bestrahlung mit/ohne medikamentöse Androgenblockade
R + U
38
Experimentelle Verfahren (HIFU, Kryotherapie, Protonentherapie)
0
G = Grundversorgung, U = Urologie, R = Radiotherapie, O = Onkologie
Tab. 1a
Therapeutische Optionen beim metastasierten Prostatakarzinom
Heilungsraten bei Chirurgie
und Radiotherapie
Bei entsprechender Indikationsstellung
werden mit operativen oder radiotherapeu­
tischen Massnahmen auf zehn Jahre hinaus
vergleichbare Heilungsraten erzielt, die bei
Patienten mit günstigem Risikoprofil bei et­
wa 85% liegen. Längere Beobachtungszei­
ten sind notwendig, bis ein abschliessendes
Urteil gefällt werden kann. Die Wahl zwi­
schen den chirurgischen und radiotherapeu­
tischen Optionen hängt vom Tumor­typ und
auch von den Präferenzen des Patienten ab.
Prinzipiell verschiebt sich der Entscheid mit
ansteigendem Progressionsrisiko des Prosta­
takarzinoms in Richtung chirurgischer Ent­
fernung von Prostata und Lymphknoten oder
externer Bestrahlung in Kombination mit
­einer zeitlich limitierten, medikamentösen
Androgenblockade. Will der Patient primär
Potenz und Samenerguss ­erhalten, so wird
er sich für die Brachytherapie entscheiden.
Vorgehen beim metastasierten
­Prostatakarzinom
Beim metastasierten Prostatakarzinom
ist die Androgenblockade der erste thera­
peutische Schritt. Wenn die verschiedenen
endokrinen Therapielinien (LHRH-Analoga,
komplette Androgenblockade, Entzug des
Androgeninhibitors) nicht mehr wirksam
sind, sollte eine palliative Chemotherapie
diskutiert werden. Vor Jahren erreichte die
Kombination von Mitoxantron und Pred­
TherapieformFederführend
Hormonablative Behandlung resp. Androgen-
blockade (Orchiektomie, Medikamente)
U+G
Bisphosphonate (u.a. Zoledronat)
O+G
Chemotherapeutika (u.a. Taxane)
O+G
RadiotherapieR
Chirurgie (palliative TUR-P, perkutane Nieren-
fistelung, Stabilisierung von Frakturen)
U + andere chirurgische Fachgebiete
G = Grundversorgung, U = Urologie, R = Radiotherapie, O = Onkologie
Tab. 1b
Grundversorgung
Urologie
(= Disease
Management)
Behandlungsebene
Urologie
Radiotherapie
Onkologie
Abb. 2
Abklärungs- und Behandlungspfad bei Verdacht auf Prostatakarzinom
(Konzept Hirslanden Klinik Aarau)
7
am
Dezember 2010
Abb. 3
Uroonkologisches Tumorboard: inter­
disziplinäre Besprechung der Behand­
lungsmöglichkeiten von Patienten mit
urologischen Tumoren
Radiotherapeut
Onkologe
nison eine signifikante Schmerzreduktion
und Verbesserung der Lebensqualität. Heu­
te ist die Monotherapie mit Docetaxel
(Taxo­tere®) als noch wirksamere palliative
Therapie Standard und mit einem verbes­
serten Überleben assoziiert. Viele Studien
dokumentieren die gute Verträglichkeit und
den klinischen Benefit von Docetaxel auch
bei den ältesten Patienten (> 80-jährig).
­Patienten, die einmal auf Docetaxel ange­
sprochen haben, können im Fall einer Pro­
gression häufig von der gleichen Therapie
profitieren.
Cabazitaxel, ein neues Taxan, zeigt
­erstmals eindrückliche Ansprechraten und
eine Verbesserung des Überlebens bei
­Patienten, die gegen Docetaxel resistent sind.
Cabazitaxel sollte vor Ende 2010 in der
Schweiz als zweitem Land weltweit verfüg­
bar sein. ­Studien mit neuen Androgen­
inhibitoren (Abiraterone, TAK 700) befinden
sich in fortgeschrittenen Phasen und
sollten innert Kürze für die breite klinische
Anwendung zugelassen werden.
Supportive und palliative Therapie
Das Prostatakarzinom metastasiert prä­
ferenziell in die Knochen. Die supportive
Therapie spielt daher eine wichtige Rolle,
um Knochenschmerzen, Frakturen oder
neurologische Komplikationen zu verhin­
dern. Zoledronat und Ca++/ Vitamin D3Kombinationen sind seit Jahren als Stan­
dardtherapie etabliert. In-vitro-Studien und
am
Dezember 2010
8
Urologe
klinische Studien dokumentieren zudem
­eine gewisse antitumorale Wirkung. Neue
Antikörper, die in den Knochenabbau ein­
greifen (RANK-Ligand), sollen zukünftig das
therapeutische Armamentarium erweitern.
Im fortgeschrittenen Stadium des Pro­
statakarzinoms sind der Leidensdruck und
das klinische Erscheinungsbild sehr unter­
schiedlich, weshalb die Therapie mit all ihren
Möglichkeiten sehr individuell ausgestaltet
werden muss. Nur eine enge Zusammen­
arbeit zwischen den Fachgebieten weit über
Urologie, Onkologie und Radiotherapie
­hinaus bringt dem Patienten die bestmög­
liche Linderung seines Leidens. Seit diesem
Jahr stehen in der Hirslanden Klinik Aarau
Palliativbetten mit einem interprofessio­
nellen, ganzheitlichen Betreuungsansatz zur
Verfügung. Dieser Ansatz ermöglicht eine
optimale Behandlung von Patienten mit
fortgeschrittenen Tumorerkrankungen in
Zusammenarbeit mit Hausärzten und den
ambulanten Diensten.
Prof. Dr. med. Daniel Ackermann,
FMH Urologie
Dr. med. Christian von Briel,
FMH Radio-Onkologie/Strahlentherapie
Dr. med. Razvan Popescu,
FMH Onkologie-Hämatologie
Hirslanden Klinik Aarau
[email protected]
INTERDISZIPLINÄRE THERAPIE
BEI LUNGENKREBS
L ungenkrebs ist in der Schweiz die
häufigste Krebs-Todesursache.
Die Stadieneinteilung dient als Basis
für die Therapieentscheidung. Durch
PET-Computertomographie und
­endobronchialen Ultraschall konnten
in den letzten Jahren erhebliche
­Fortschritte erzielt werden.
Für die individuell angepasste System­
therapie spielen die Histologie, der
epidermale Wachstumsfaktor (EGFR)
und der endotheliale Wachstumsfak­
tor (VEGF) eine entscheidende Rolle.
Lungenkrebs ist die häufigste Krebs-­
Todesursache und für jährlich 1,2 Millionen
Todesfälle weltweit verantwortlich. In der
Schweiz erkranken jährlich rund 3700 Men­
schen an Lungenkrebs, 2900 sterben daran.
Personen, die während 40 Jahren 20 Ziga­
retten pro Tag rauchen, haben ein 20-fach
erhöhtes Risiko für Lungenkrebs gegenüber
Personen, die nie geraucht haben. Nach
­einem Rauchstopp sinkt das Erkrankungs­
risiko im Lauf von 15 Jahren kontinuierlich
und verharrt dann auf einem Niveau, das
im Vergleich zu einem Nie-Raucher zweifach
erhöht ist.
Karzinogenese und Biologie
Die Kanzerogenität des Rauchens als
Hauptursache für Lungenkrebs entsteht
durch Chemikalien, die eine Mutation der
DNS und RNS bewirken. Dadurch werden
genetische Funktionen wie diejenige des
p53-Gens (Regulation des Zellzyklus, Induk­
tion der Apoptose, Stabilisation des Ge­
noms) oder des EGF-Rezeptors (Wirkung
der Tyrosinkinase) sowie zelluläre Reparatur­
mechanismen beeinflusst. Gemäss Studien
spielen die nikotinischen Acetylcholin-­
Rezeptoren für Nikotin eine führende Rolle
bei der Prädisposition für Lungenkrebs
und beim natürlichen Verlauf der Krankheit.
Einige Übersichtsarbeiten vermuten in
­humanen Papillomaviren (HPV) einen wich­
tigen Grund für die Karzinogenese. Andere
Faktoren wie Umgebungstoxine (Passivrau­
chen, A
­ sbest, Radon, Arsen, Chrom, Nickel,
ionisierende Strahlung, aromatische poly­
zyklische Wasserstoffe), Lungenfibrose, HIV-­
Infektion und genetische Faktoren tragen
zu ca. 5% der Lungenkrebsfälle bei.
Lungenkrebs-Screening
75% aller Patienten weisen zum Zeit­
punkt der Diagnose ein lokal fortgeschritte­
nes oder metastasiertes Krebsleiden auf.
Trotz fortschrittlicher Behandlungen beträgt
die 5-Jahres-Überlebensrate aller Patienten
mit Lungenkrebs 15%. Die klinischen Er­
gebnisse stehen in direkter Abhängigkeit
zum Stadium bei Diagnosestellung: Im Sta­
dium I beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate
über 60% (zusätzlich besteht eine Bezie­
hung zwischen Tumorgrösse und Überle­
bensrate), im Stadium IV weniger als 5%.
Die Möglichkeiten eines Screenings zur
Erkennung von Lungenkrebs im Frühstadium
erhöhen die Heilungsrate und lassen paren­
chymsparendere Operationen zu, die Aus­
wirkungen auf Senkung der Mortalität und
Morbidität bleiben aber umstritten. Ein
­systematisches Screening wird deswegen
zum momentanen Zeitpunkt von keiner
medizinischen Institution empfohlen.
Pathologie der Bronchialkarzinome
Die WHO unterscheidet zwischen nichtkleinzelligen (NSCLC) und kleinzelligen
(SCLC) Bronchialkarzinomen. Adenokarzi­
nome kommen am häufigsten vor (Tab. 1).
Häufigkeit von Bronchialkarzinomen
nach Pathologie
Adenokarzinome inkl. bronchio­loalveolärer K
­ arzinome: ca.38%
Plattenepithelkarzinome: ca.20%
Grosszellige Karzinome: ca. 5%
Kleinzellige Karzinome (SCLC): ca.13%
Andere Karzinome und Tumoren: ca.24%
Tab. 1
Klinik
Bei den meisten Patienten ist die Er­
krankung zum Zeitpunkt der Diagnose be­
reits fortgeschritten, was auf die aggressive
9
am
Dezember 2010
Biologie und die häufige Symptomarmut
von Lungenkrebs hinweist. Symptome
durch intrathorakale Manifestationen des
Tumors können Husten, Hämoptyse, Brust­
schmerzen und Dyspnoe sein. Symptomati­
sche Lebermetastasen sind ungewöhnlich,
obschon die Inzidenz im Lauf der Erkran­
kung stark zunimmt (in Autopsien bei über
50% der Fälle). Eine ossäre Metastasierung
ist in 20% der Fälle zum Zeitpunkt der
­Diagnose bereits vorhanden. Nebennieren­
metastasen sind häufig asymptomatisch;
bei der initialen Evaluation mit Computer­
tomographie (CT) fällt bei 10% aller Lungen­
krebspatienten eine vergrösserte Neben­
niere auf, davon sind ein Viertel wirkliche
Metastasen. Hirnmetastasen treten am häu­
figsten beim SCLC auf: 25% aller Patienten
haben bei der Diagnosestellung bereits
Hirnmetastasen.
Stadieneinteilung bei Lungenkrebs
Okkultes Karzinom
TX
N0
M0
Stadium 0
Tis
N0
M0
Stadium IA
T1a, T1b N0
M0
Stadium IB
T2a
M0
0
Stadium IIA
T2b
N0
T1a, T1b, N1
T2a
M0
M0
Stadium IIB
T2b
N1
M0
T3 N0M0
Stadium IIIA
T1a, T1b
T2a, T2b
T3
T4
Stadium IIIB
Jedes T N3
M0
T4 N2M0
Stadium IV
Jedes T
N2
N2
N1, N2
N0, N1
M0
M0
M0
M0
jedes N M1
Tab. 2
am
Dezember 2010
10
Diagnostik und Stadienbestimmung
Die neue Stadieneinteilung der Inter­
national Association for the Study of Lung
Cancer (IASLC) 2009 dient der Feststellung
des Ausbreitungsgrads und als Basis zur
­stadiengerechten Therapieentscheidung.
Ziel einer korrekten Einteilung ist es, ein
«overstaging» (Vorenthalten einer Resektion
in potenziell kurativen Situationen) und
«understaging» (unnötige Resektion in
nicht heilbaren Situationen) zu vermeiden.
Tumoren der Stadien 0, I und II sowie ge­
wisse Stadien III gelten als chirurgisch rese­
zierbar, wobei ab Stadium IB kombinierte
Therapien und im Stadium IV eine palliative
Chemotherapie evaluiert werden (Tab. 2).
Das konventionelle Staging bestand
­früher in einem CT von Thorax und Ober­
bauch sowie gegebenenfalls des Schädels
sowie einer Knochenszintigraphie. Durch
die Einführung des PET-CT und des en­
dobronchialen Ultraschalls (EBUS) konnten
hier in den letzten Jahren erhebliche Fort­
schritte erzielt werden. Mit Hilfe des PET-CT
können Fernmetastasen mit hoher Wahr­
scheinlichkeit korrekt diagnostiziert oder
ausgeschlossen werden.
Die Beurteilung einer Metastasierung
in mediastinale Lymphknoten hat eine be­
sondere Bedeutung, denn bei isoliertem
­Tumorbefall von ipsilateralen mediastinalen
Lymphknoten ist ein kurativer Ansatz ge­
wöhnlich möglich. Die Mediastinoskopie
gilt im mediastinalen Staging bisher als
Goldstandard. Neu können die mediastina­
len Lymphknoten während der Broncho­
skopie durch den EBUS direkt dargestellt
und biopsiert werden. Bisherige Studien
sind vielversprechend.
Chirurgische Behandlung
Die anatomische Resektion (Lobekto­
mie, Bilobektomie, Pneumonektomie) des
tumortragenden Lungenabschnitts ist die
effektivste Behandlung des NSCLC in frü­
hen Stadien I und II, sofern die allgemeine
Operabilität gegeben ist.
Systemtherapie
Beim NSCLC wird sehr oft eine Chemo­
therapie eingesetzt. Sie wird in einem neo­
adjuvanten, adjuvanten oder palliativen Set­
ting appliziert. Nach der Erstlinientherapie
ist sogar eine Fortsetzung im Sinn einer Er­
haltungstherapie Gegenstand der Diskussi­
on. In den letzten Jahren wurden bezüglich
Systemtherapie neue Erkenntnisse gewon­
nen. Bei der Therapieplanung wird die
­genaue Histologie immer wichtiger – das
heisst die Unterscheidung von Adeno- und
Plattenepithelkarzinomen sowie gross­
zelligen Karzinomen –, denn diese kann die
Wahl der Chemotherapie beeinflussen.
Auch molekulare Faktoren wie der epider­
male Wachstumsfaktor (epidermal growth
factor receptor, EGFR) und der endotheliale
Wachstumsfaktor (vascular endothelial
growth factor, VEGF) spielen eine zuneh­
mend wichtige Rolle.
Histologie: Eine Phase-III-Studie bei
­Patienten mit metastasiertem NSCLC zeigte
in der Subgruppenanalyse, dass Patienten
mit einem Adenokarzinom oder einem
gross­zelligen Karzinom mit der Kombinati­
on ­Cisplatin/Pemetrexed im Vergleich zu
Cis­platin/Gemcitabine einen signifikanten,
wenn auch geringen Überlebensvorteil hat­
ten, und dass Patienten mit einem Platten­
epithelkarzinom von der Kombination
­Cisplatin/Gemcitabine mehr profitierten.
EGFR: Bei der Hälfte der Patienten mit
einem NSCLC ist EGFR überexprimiert. Es
liegen oft Mutationen in der Region der
­Tyrosinkinase am Exon 19 und 21 vor. Diese
Veränderungen betreffen in der Mehrzahl
Personen mit Adenokarzinomen und Nicht­
raucher. Bei dieser Konstellation werden
Fallbeispiel: eine 50-jährige Frau mit spontanem Pneumothorax
Anamnese: Eine 50-jährige Patientin kommt
auf die Notfallstation der Klinik Beau-Site wegen
neu aufgetretener rechtsseitiger Thoraxschmerzen
sowie progredienter Atemnot. Die Anamnese
ist bis auf einen persistierenden Nikotinabusus von
35 pack­years bland.
Diagnostik: Klinisch und radiologisch zeigt
sich ein apikaler Pneumothorax von knapp 4 cm
Ausdehnung (Abb. 1). Es handelt sich demnach um
die Erstmanifestation eines Spontan-Pneumothorax
bei einer bis anhin lungengesunden Patientin.
Wir entschliessen uns zu einer radiologischen Ver­
laufsbeobachtung nach 24 Stunden bei langsamer
Regredienz des Pneumothorax. Die CT des Thorax
(Abb. 2) führt nach einigen ­Tagen zur weiteren Dia­
gnostik dieses vermeintlich sekundären Spontan-­
Pneumothorax. Sie zeigt ein beginnendes Lungen­
emphysem mit apikal betonten Bullae als Ursache
des Pneumothorax. Als Zufalls­befund zeigt sich ein
12 mm grosser, Kontrastmittel aufnehmender,
­poly­lobulierter und teilweise unscharf begrenzter
Rundherd im ­laterobasalen Unterlappensegment.
Staging: Die intraoperative histologische
Schnellschnittdiagnose (Abb. 3) aus ­einem Resektat
des Unterlappens bestätigt die Verdachtsdiagnose
eines Adenokarzinoms. Deshalb wird die Operation
mit e­ iner thorakoskopischen Lobektomie und einer
media­stinalen Lymphknoten-Dissektion komplet­
tiert. Die definitive histologische Aufarbeitung ergibt
ein ­wenig differenziertes Adenokarzinom von maxi­
mal 0,9 cm Tumor­durchmesser mit einem kleinen
Herd von Lymphangiosis carcinomatosa (L1), Karzi­
nommetastasen in einem peri­bronchialen Lymph­
knoten (N1) und isolierten Karzinomzellen in einem
infra­karinären Lymphknoten (i+). Die weiteren Sta­
ging-Untersuchungen m
­ ittels MRI des Schädels und
einer Ganzkörper-PET-CT weisen keine Fern­metas­
tasen nach. Somit handelt es sich um ein ­Stadium IIA
(pT1a pN1(i+) cM0, L1, G3, R0-Resektion).
Abb. 1
Therapie: Es folgen vier Zyklen ­einer adjuvan­
ten Chemotherapie mit Cisplatin und Navelbine,
die recht gut toleriert werden. Die Nachsorge erfolgt
in dreimonatlichen Abständen. Zum aktuellen Zeit­
punkt lebt die Patientin zwei Jahre nach der Diagno­
sestellung rezidivfrei.
Abb. 2
Abb. 1
Rechtsseitiger, apikaler Pneumothorax (Pfeil)
Abb. 2
Zufallsbefund eines 12 mm grossen, unscharf
begrenzten Tumors im laterobasalen Unter­
lappensegment (Pfeil)
Abb. 3
Wenig differenziertes Adenokarzinom der
­Lunge mit Lymphangiosis carcinomatosa
Abb. 3
11
am
Dezember 2010
mit dem Tyrosinkinasehemmer Erlotinib
(Tarceva®) Ansprechraten bis über 80% be­
schrieben. In der SATURN-Studie zeigte die
Erhaltungstherapie mit Erlotinib nach der
Chemotherapie im Vergleich zu Placebo
­eine kleine, aber signifikante Verlängerung
des progressionsfreien Überlebens.
VEGF: Der monoklonale Antikörper
Bevacizumab (Avastin®) ist gegen VEGF ge­
richtet und zerstört die den Tumor ernäh­
renden Blutgefässe. Bei Plattenepithelkarzi­
nomen kam es unter Bevacizumab zu
schwerer Hämoptoe, weshalb dieser Anti­
körper nur bei Adenokarzinomen eingesetzt
werden sollte. Es konnte mit der Kombi­
nation Carboplatin/Paclitaxel/Bevacizumab
im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie
eine Verlängerung des progressionsfreien
Überlebens und des Gesamtüberlebens ge­
zeigt werden.
Systemtherapie individuell gestalten
Die Palette neuer Medikamente bringt
signifikante Verbesserungen des progres­
sionsfreien Überlebens und/oder des
­Gesamtüberlebens. Absolut gesehen liegen
diese Verbesserungen bis jetzt aber nur bei
wenigen Monaten. Die neuen Therapie­
ansätze müssen deshalb gerade in der palli­
ativen Situation kritisch beurteilt und ein­
gesetzt werden. Die Nebenwirkungen sind
zu beachten. Trotzdem werden in nächster
Zukunft vermehrt Biomarker bestimmt wer­
den, damit anhand dieses Profils Therapien
individuell gestaltet werden können. Die in­
dividualisierte und interdisziplinäre Behand­
lung von Patienten mit einem NSCLC ist
zentral und stellt eine Herausforderung für
die nächsten Jahre dar.
Radiotherapie
Im Stadium I/II kommt bei medizinisch
oder funktionell inoperablen Patienten die
Strahlentherapie zum Einsatz. Die lokalen
Kontrollraten sind dosisabhängig und errei­
chen beim kleinvolumigen stereotaktischen
Ansatz mit biologischen Effektivdosen von
mehr als 100 Gy etwa 90%. In den fortge­
schrittenen Stadien IIIA/B wird die Strahlen­
therapie wann immer möglich mit einer
Chemotherapie kombiniert und entweder
definitiv bei Inoperabilität oder neoadjuvant
mit dem Ziel der Erlangung einer R0-­
am
Dezember 2010
12
Resektion durchgeführt. Die postoperative
Strahlentherapie wird nach unvollständiger
Resektion R1/2 oder bei ausgedehntem
Lymphknotenbefall pN2 empfohlen.
Im palliativen Fall kommt die Strahlen­
therapie bei schmerzhaften Knochenme­
tastasen, Thoraxwandinfiltration oder zent­
ralen Tumoren mit Atelektasenbildung,
­Blutungen oder poststenotischen Pneumo­
nien als perkutane Behandlung oder als
­endoluminale Brachytherapie zum Einsatz.
Tumornachsorge
Patienten nach kurativer Behandlung
sollten nach Empfehlung der European
­Society of Medical Oncology (ESMO) wäh­
rend der ersten zwei postoperativen Jahre
in ­Abständen von drei bis sechs Monaten
­klinisch nachkontrolliert werden, gefolgt
von Intervallen von sechs bis zwölf Monaten.
Eine radiologische Nachkontrolle sollte
zu diesen Zeitpunkten ebenfalls in Betracht
gezogen werden.
Dr. med. Christoph Gwerder,
FMH Onkologie
Dr. med. Jörg Salomon,
FMH Pneumologie
Dr. med. Robert Stein,
FMH Thoraxchirurgie
PD Dr. med. Jörn Wulf,
FMH Radio-Onkologie/Strahlentherapie
Hirslanden Kliniken Bern
Lindenhof­spital Bern
[email protected]
DAS CYBERKNIFE – HOCHPRÄZISE
­S TEREOTAKTISCHE RADIOTHERAPIE
as CyberKnife dient zur nichtinvasi­
D
ven stereotaktischen Strahlentherapie
im ganzen Körper.
Die Therapie mit dem CyberKnife
­eignet sich grundsätzlich für alle gut
abgrenzbaren Tumoren und Oligo-­
Metastasen, aber auch für spinale oder
intrakranielle Re-Bestrahlung nach
konventioneller Radiotherapie.
Die lokalen Kontrollraten beim frühen
Bronchus- und Prostatakarzinom
­scheinen ähnlich gut zu sein wie nach
Operation.
Die ambulante Behandlung in einer
bis fünf Fraktionen ist für die Patien­
ten wenig belastend. Die ambulante
Therapie steht auch allgemeinversi­
cherten Patienten offen.
Die Klinik Hirslanden in Zürich ist das
erste Spital der Schweiz mit einem Cyber­
Knife-System (CK). Seit März 2009 steht
das Gerät für die stereotaktische Strahlen­
therapie von verschiedenen Tumorerkran­
kungen zur Verfügung. Weltweit wurden
bis Mitte 2010 über 210 CK-Geräte instal­
liert (davon rund 30 in Europa) und mehr
als 80 000 Patienten damit behandelt.
Abb. 1
Komponenten des CyberKnife-Systems:
a:Kompakter und gewichtsoptimierter
Linearbeschleuniger
b:Hochpräziser kommerzieller Industrie­
roboter
c:Um alle drei Achsen drehbarer und
verschiebbarer Patiententisch
d:Zwei orthogonale Röntgenröhren zur
Bewegungsortung
Das Funktionsprinzip
Im Wesentlichen besteht das CK aus
zwei Komponenten (Abb. 1):
1. Ein kompakter und gewichtsreduzierter
Linearbeschleuniger, der auf einen kom­
merziellen Industrieroboterarm montiert
ist und die Strahlung auf den Patienten
abgibt.
e:Im Boden integrierte Detektorplatten
f:Synchrony®-Kamera zur Ortung von
optischen Oberflächenmarkern
13
am
Dezember 2010
Abb. 2a
Abb. 2b
Abb. 2
Stereotaktische Body-Radiotherapie mit
Isodosendarstellung bei nicht kleinzelli­
gem Bronchuskarzinom Stadium IA im
rechten posterioren Oberlappen; steiler
Dosisrandabfall ausserhalb des Targets
a:Querschnitt
b:Längsschnitt
2. Ein Bildführungssystem, das während der
Bestrahlungsapplikation permanent die
aktuelle Tumor(dis)­lokation in Echtzeit
aufspürt (Ortung oder engl. «tracking»).
Die Einfallsrichtung des Strahls wird
punktgenau nachjustiert, indem der Ro­
boterarm die Bewegung des Tumors
­quasi zeitgleich kompensiert.
Mit Hilfe eines ausgeklügelten Ortungs­
systems werden Bewegungen des Patien­
ten, besonders auch Bewegungen von
­inneren Organen wie Lunge und Leber, in
Echtzeit durch den Roboterarm korrigiert
bzw. kompensiert. Bildlich gesprochen
«wippt» der Roboter im Atemtakt mit. Die­
se kontinuier­liche Überwachung der Tumor­
bewegung mit sofortiger automatischer
Anpassung der Roboterposition, um die
korrekte (vorberechnete) Einstrahlrichtung
für jedes einzelne Strahlenfeld aufrecht­
zuerhalten, unterscheidet das CK von allen
anderen gegenwärtigen Systemen zur
Hochpräzisionsbestrahlung.
Mit dem CK werden räumlich hochkon­
zentrierte Strahlendosen zur Behandlung
von Läsionen im gesamten Körper appli­
ziert. Im Gegensatz zum GammaKnife
kommt das CK ohne invasive Fixationsmass­
nahmen wie den stereotaktischen Ring
aus. Das CK hat eine Zielgenauigkeit im Sub­
millimeterbereich und kann das gesunde
­Gewebe, das die Läsion umgibt, wegen des
am
Dezember 2010
14
extrem steilen Dosisrandabfalls ausserhalb
des klinischen Zielvolumens sehr wirksam
schonen (Abb. 2a / b).
Für das bestmögliche Tumor-Tracking
müssen bei beweglichen Lungen- oder
­Lebertumoren vor der Behandlung röntgen­
dichte Goldmarker (Fiducials) im Tumor­
bereich implantiert werden (Abb. 3). Die
­Implantation erfolgt perkutan CT-gestützt
oder über einen bronchoskopischen Zu­
gang. Um das Risiko für einen Pneumotho­
rax zu verringern, hat sich auch die angio­
graphische transvaskuläre Implantation von
Visicoils™ bewährt.
Höhere Einzeldosen, weniger Sitzungen
Der Roboterarm ermöglicht wegen sei­
ner Beweglichkeit Einstrahlungen aus über
1600 verschiedenen Raumwinkeln. Anders
als bei der Strahlentherapie am herkömm­
lichen Linearbeschleuniger (LINAC) mit
meist 2 – 8 Feldern treffen beim CK-System
typischerweise 80 – 250 Strahlen auf das
Target-Volumen (Abb. 4). Die Summe der
Strahlen trägt zu der präzis auf die Läsion
beschränkten Dosiskonzentration bei und
schont das gesunde Gewebe.
Dieses Prinzip erlaubt den Einsatz hoher
Einzeldosen in wenigen Fraktionen. Mit
dem CK wird nur ein- bis fünfmal bestrahlt
(Hypofraktionierung), nicht wie mit dem
LINAC 20- bis 40-mal. Dadurch verkürzt sich
die Therapiedauer dramatisch von mehre­
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 3
ren auf maximal eine Woche. Eine einzelne
Bestrahlung dauert am CK in der Regel
50 – 100 Minuten, dies im Unterschied zur
meist 15-minütigen fraktionierten
­Strahlenbehandlung an einem LINAC. In
der grossen Mehrzahl der Fälle erfolgt
die ­Therapie a­ mbulant und steht allen Pati­
enten offen, unabhängig von ihrer Versi­
cherungsklasse.
30 Sitzungen à 2 Gy einem um 50 – 100%
höheren Dosisäquivalent (abhängig von den
biologischen Eigenschaften der Targetzel­
len). Dadurch verbessern sich die Chancen
für eine komplette Tumoreradikation. Das
therapeutische Fenster, also die Differenz
von Tumordosis und Toleranzlimit für das
gesunde Umgebungsgewebe, wird mit der
SBRT weiter geöffnet.
Verbesserte strahlenbiologische
­Wirksamkeit
Die stereotaktische Body-Radiotherapie
(SBRT) kann als ablativer Therapieansatz
­bezeichnet werden. Strahlenbiologisch ent­
sprechen 3 3 20 Gy gegenüber dem kon­
ventionellen Fraktionierungsschema mit
Anwendungsgebiete
Das Indikationsspektrum schliesst auch
grössere, unregelmässig geformte und ins­
besondere auch extrakranielle Läsionen ein,
für die bisher keine zufriedenstellende
oder sinnvolle Therapie angeboten werden
konnte. Erste Daten zeigen, dass die
Fiducials (Pfeil) für das Tumor-Tracking
Abb. 4
Mit teilweise über hundert durch den
Roboter gesteuerten Einstrahlrichtungen
wird der Tumor punktgenau behandelt.
Geeignete und ungeeignete klinische Situationen für das CyberKnife
Geeignet
Ungeeignet
– Intrakraniell wie GammaKnife
– Adjuvante Bestrahlung
– Spinale Tumoren und Metastasen, auch nach
­Strahlenvorbelastung
– Prophylaktische (elektive) Bestrahlung
– Nicht kleinzelliges Bronchuskarzinom (NSCLC)
Stadium I und II
– Multiple Organmetastasen
– Prostatakarzinom T1-2 N0 M0, low risk
– Lungen-, Leber-, Weichteilmetastasen
– Generell gut abgrenzbare Rezidive und ­
Metastasen bei Melanom, Weichteilsarkom,
­Pankreaskarzinom, Nierenzellkarzinom etc.
– Schlecht im CT oder MRI abgrenzbare ­Läsionen
– Sehr ausgedehnte Läsionen
– Deutlich reduzierter Allgemeinzustand
des Patienten
– Notfallsituation
Tab. 1
15
am
Dezember 2010
Impressum
aktuelle medizin, Nr. 33 / Dezember 2010
Redaktionskommission
Dr. Rainer Hoffmann, Chefredaktor,
Prof. Dr. Daniel Ackermann,
Prof. Dr. Max Aebi, Dr. Dominik Böhlen,
Dr. Markus Flepp, Dr. Thomas Froesch,
PD Dr. Andreas Himmelmann, Dr. Roland
Knöpfli, Dr. Jean-Pierre Müller,
Dr. Adriana Schmid, Prof. Dr. Pius WyssDesserich, Prof. Dr. Kaspar Z’graggen
Schriftleitung
Dr. Eva Ebnöther
Grafische Gestaltung
Heusser Communicates AG, Zürich,
www.healthexplained.ch
Illustrationen
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Herausgeber
Privatklinikgruppe Hirslanden
Seefeldstrasse 214
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T +41 44 388 85 85
F +41 44 388 85 88
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aktuelle medizin erscheint zwei- bis
dreimal jährlich und steht interessierten
Kreisen kostenlos zur Verfügung. Die
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liegt bei den Autoren. Literatur- und
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Hirslanden Klinik Aarau
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Klinik Hirslanden, Zürich
Klinik Im Park, Zürich
aktuelle medizin als PDF im Internet:
www.hirslanden.ch
www.hirslandenprofessional.ch
­ estrahlung am CK in geeigneten Situatio­
B
nen als Alternative zur Chirurgie angeboten
werden könnte (Tab. 1). Allerdings fehlen
noch Langzeitergebnisse, da es diese Art
der Therapie erst seit etwas mehr als fünf
Jahren gibt. Dazu drei Beispiele:
1. Patienten mit frühem Bronchuskarzi­
nom (NSCLC) oder kleinen Lungen­
metastasen: CK-Bestrahlung als eine
neue Alternative zur nicht radikalen
Chirurgie wie Segment- oder Wedge­
resektion. Bei der SBRT deckt sich der
räumlich hochkonzentrierte Dosis­
bereich nahezu passgenau mit dem
Target (Abb. 2). Zahlreiche Phase-IIStudien mit der SBRT haben gezeigt,
dass sich die Behandlungsergebnisse
bezüglich lokaler Kontrolle und Ge­
samtüberleben kaum von den Ergeb­
nissen von Studien mit chirurgischer
Therapie unterscheiden. Allerdings
fehlen noch Daten aus grösseren
Phase-III-Studien.
2. Patienten mit Lebermetastasen: CKBestrahlung als Alternative zur Radio­
frequenzablation oder Resektion. Die
häufigste akute Nebenwirkung bei
der SBRT ist eine typische Fatigue, die
kurz nach der Behandlung beginnt
und bei selbstlimitierendem Verlauf
in der Regel zwei bis vier Wochen an­
dauert.
3. Prostatakarzinom-Patienten mit Nied­
rigrisiko-Situation: CK-Bestrahlung
als (Mono-)Therapie. Auch hier dient
die SBRT vornehmlich als Alternative
zur achtwöchigen fraktionierten
perku­tanen Bestrahlung. Vor allem in
den USA erfreut sich die auf nur fünf
Fraktionen beschränkte, ambulante
perkutane Bestrahlung am CK einer
hohen Attraktivität, mit entspre­
chend steilem Aufwärtstrend der Fall­
daten. Zwischendaten mit vier Jahren
Nachbeobachtung zeigen hervor­
ragende biochemische Kontrollraten
bei akzeptablen Nebenwirkungen.
Wenn Langzeitdaten diese Beobach­
tungen bestätigen, wird die normal­
fraktionierte Bestrahlung wahr­
scheinlich durch die stereotaktische
­Bestrahlung abgelöst werden.
Eigene Erfahrungen
In der Klinik Hirslanden wurden von
März 2009 bis Juli 2010 165 Patientinnen
und Patienten mit dem CK behandelt. Der
Autor selbst verfügt noch nicht über einen
ausreichend langen Beobachtungszeitraum,
um über eigene Therapieergebnisse zu
­berichten. Gravierende oder gar lebensbe­
drohliche Nebenwirkungen waren aber
bei keinem der bisher behandelten Patien­
ten zu verzeichnen.
Bei 116 Patienten erfolgte die Bestrah­
lung intrakraniell, bei 49 extrakraniell –
­letztere Patienten bilden bisher ein sehr
­heterogenes Kollektiv.
Bei den intrakraniellen Anwendungen
handelt es sich um die klassische, seit vielen
Jahren etablierte stereotaktische Radio­
chirurgie mit meist einer einzigen Fraktion.
Das Indikationsspektrum erstreckt sich da­
bei auf Hirnmetastasen, Akustikusneurino­
me, Meningeome, arteriovenöse Malforma­
tionen und scharf demarkierte Rezidivtumo­
ren maligner Gliome. Das CK-System ist
punkto Dosiskonzentration und Genauig­
keit bei der Applikation in jeder Hinsicht
dem (frühe­ren) GammaKnife-Gerät eben­
bürtig, kommt aber ohne die für den Pati­
enten unangenehme invasive Schädel-Fixa­
tion im stereotaktischen Rahmen aus.
Die extrakraniellen stereotaktischen Be­
strahlungen mit typischerweise 3 – 5 Frakti­
onen betreffen ein junges Gebiet innerhalb
der Radioonkologie, das sich zurzeit rasant
entwickelt und überhaupt erst dank hoch­
entwickelter Gerätetechnologie wie dem
CK erschlossen werden kann.
Dr. med. Jürgen Curschmann,
FMH Radio-Onkologie/Strahlentherapie
Dr. med. Christian von Briel,
FMH Radio-Onkologie/Strahlentherapie
PD Dr. med. Günther Gruber,
FMH Radio-Onkologie/Strahlentherapie
Klinik Hirslanden, Zürich
[email protected]