VWZ_2013
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Volkswirtschaftliche Zusammenhänge Dr. Horst Kunhenn Institut für Technische Betriebswirtschaft (ITB) Einführung und Grundlagen 1) Einführung und Grundlagen - Organisatorische Hinweise - Inhaltlicher Aufbau der Veranstaltung - Ausgewählte Literaturhinweise - Erwartungshaltung der Teilnehmer Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 2 Organisatorische Hinweise • Veranstaltungstermine Wintersemester 2013 / 2014: Dienstags, 09:15 – 12:30, HGI 107 • Lehrveranstaltung für den Masterstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen • Foliendownload • Leistungsnachweis: 1,5 stündige Abschlussklausur am Ende des Semesters • Sprechstunde: vor den Veranstaltungen nach Vereinbarung Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 3 Organisatorische Hinweise 1) Veranstaltungen setzen sich zusammen aus: Lehrelementen ggfs. Kurzreferaten gemeinsamen Diskursen 2) Vorarbeiten: Vor jeder Veranstaltung bitte mit den entsprechenden Fragestellungen vertraut machen 3) Leistungsnachweis: 1,5 stündige Klausur Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 4 Kurze Vorstellungsrunde Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 5 Ziele der Veranstaltung Vermittlung grundlegender Zusammenhänge der Volkswirtschaftslehre sowie der Schnittstellen zur Betriebswirtschaftslehre Vermittlung der Zusammenhänge wirtschaftspolitischer Ziele und Programme Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 6 Ziele der Veranstaltung Und welche Ziele haben Sie darüber hinaus? Meine Ziele: - Viel Diskurs / Diskussion - keine „Frontalveranstaltung“ - Reflexion an tagesaktuellen Themen (Finanzkrise) - Anregungen und Kritik erhalten Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 7 Inhalte der Veranstaltung 1 Begriffliche und inhaltliche Grundlagen der VWL 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb 1.2 Wohlfahrtsökonomische Überlegungen und Bedingungen 1.3 Abgrenzung der Mikro- und der Makroökonomie 1.4 Mikroökonomie 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt 1.4.3 Preisbildung in unausgewogenen Märkten 1.4.4 Beispiele für Sättigungseffekte 1.4.5 Marktformen und deren Auswirkungen 1.4.6 Tankstellenmarkt und Bundeskartellamt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 8 Inhalte der Veranstaltung 1.5 Makroökonomie 1.5.1 Einkommen und Konsum 1.5.2 Arbeitsangebot und –nachfrage 1.5.3 Geldmarkt und Zinsen 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes 1.6 Marktversagen – Ursachen und Eingriffsmöglichkeiten 1.6.1 Einführung und Problemstellung 1.6.2 Externe Effekte 1.6.3 Mangelnde Teilbarkeit 1.6.4 Informationsasymmetrien 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 9 Inhalte der Veranstaltung 2 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) 2.1 Grundlagen und Definitionen 2.2 Bruttoinlandsprodukt als zentraler Bestandteil der VGR 2.3 Ein Bundesland zieht Bilanz Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 10 Inhalte der Veranstaltung 3 Die Rolle des Staates in der Volkswirtschaft 3.1 Wirtschaftssysteme als übergeordneter Rahmen 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 Marktwirtschaft Planwirtschaft Soziale Marktwirtschaft Konvergenz der Systeme Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 11 Inhalte der Veranstaltung 3.2 Ziele der Wirtschaftspolitik 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 Freiheitspostulat Gesamtwirtschaftliche Ziele gemäß StWG Erweiterung des Zielkataloges des StWG Beschreibung und Operationalisierung der Ziele 3.2.4.1 Preisniveaustabilität 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand 3.2.4.3 Außenwirtschaftliches Gleichgewicht 3.2.4.4 Wirtschaftswachstum 3.2.4.5 Verteilungsgerechtigkeit 3.2.4.6 Nachhaltigkeit 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Abhängigkeiten am Beispiel der „Phillips-Kurve“ Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 12 Inhalte der Veranstaltung 3.3 Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Eingreifens in die Ökonomie 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 Grundmodelle in der Marktwirtschaft 3.3.1.1 Neoklassik 3.3.1.2 Keynes Wirtschaftspolitische Instrumente 3.3.2.1 Fiskalpolitik 3.3.2.2 Geldpolitik 3.3.2.3 Außenwirtschaftspolitik 3.3.2.4 Instrumente gegen Arbeitslosigkeit Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Nationale und internationale Institutionen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 13 Literatur Grundlagenwerke (umfassend; hier jeweils nur für die vorlesungsrelevanten Teile): Woll, A.: Volkswirtschaftslehre, 15. Auflage, München 2007. Bofinger, P.: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 3. Auflage, München u.a. 2010. Mussel, G. / Pätzold, J.: Grundfragen der Wirtschaftspolitik, 7. Auflage, München 2008. Fritsch, M.: Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 8. Auflage, München 2011. Zusätzliche Literatur, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel sowie Internetquellen im Script Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 14 Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 1 Begriffliche und inhaltliche Grundlagen der Volkswirtschaftslehre Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 15 1 Begriffliche und inhaltliche Grundlagen der VWL Vorstellungen von „Volkswirtschaftslehre“?! Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 16 1 Begriffliche und inhaltliche Grundlagen der VWL Volkswirtschaftslehre Lehrbuchdefinitionen : Die Volkswirtschaftslehre (oft auch: Nationalökonomie) ist eine zusammenfassende Bezeichnung für einzelne Gebiete der Wirtschaftswissenschaft, deren Erkenntnisgegenstand (Objekt) generell Erscheinungen des Wirtschaftslebens sind (Woll, S. 3) Die VWL untersucht die Gesetze, die hinter diesen Marktphänomenen liegen. bzw. verkürzt: Wissenschaft vom Markt (Bofinger, S. 33f.) Die Volkswirtschaftslehre zielt … auf gesamtwirtschaftliche Fragestellungen wie Wachstum und Verteilung, Arbeitslosigkeit und Inflation oder Steuern und Staatsausgaben (Baßeler, U.; Heinrich, J.; Utecht, B.: Grundlage und Probleme der Volkswirtschaft, 18. Aufl., Stuttgart 2006, S.1) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 17 1 Begriffliche und inhaltliche Grundlagen der VWL Volkswirtschaftslehre Zwischenfazit - VWL ist schwer eindeutig zu definieren - auch in VWL – Lehrbüchern wird daher oftmals einer Begriffsdefinition ausgewichen - der Erkenntnisgehalt vorhandener Lehrbuchdefinitionen ist eingeschränkt - VWL umfasst eine Vielzahl von Teildisziplinen - VWL und Betriebswirtschaftslehre sind nicht überschneidungsfrei Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 18 1 Begriffliche und inhaltliche Grundlagen der VWL Anekdotisches zur Ökonomie: (Quelle: Die Welt der Wirtschaft / enträtselt von André Fourcans, Frankfurt/Main, New York 1998) „Am ersten Tag schuf Gott die Sonne. Worauf der Teufel nachzog und den Sonnenbrand schuf. Am zweiten Tag schuf Gott das Geschlecht. Der Teufel schlug zurück und schuf die Ehe. Am dritten Tag schuf Gott einen Ökonomen. Was für eine Herausforderung für den Teufel. Er dachte lange nach, und schließlich schuf er … Einen zweiten Ökonomen“ Einstein soll einmal gesagt haben, daß er eigentlich Wirtschaft studieren wollte, sich aber, da dieses Fach zu schwierig für ihn war, lieber der Physik zuwandte. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 19 1 Begriffliche und inhaltliche Grundlagen der VWL Vorstellungen von „Volkswirtschaftslehre“ geklärt? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 20 1 Begriffliche und inhaltliche Grundlagen der VWL Volkswirtschaftslehre Sowohl die VWL als auch die BWL stellen eine Aneinanderreihung von Optimierungsproblemen In unterschiedlichen Teildisziplinen dar. In der VWL sind oftmals Gleichgewichtszustände die angestrebten Optimalzustände (z.B. Gleichgewichte auf Arbeits- und Gütermärkten). Daneben sind angestrebte Zustände auch Stabilität (z.B. Preisniveaustabilität) und (moderates) Wachstum. Auch hier geht es um Optimierungsfragen. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 21 1 Begriffliche und inhaltliche Grundlagen der VWL Volkswirtschaftslehre - Beschäftigt sich mit der Bedarfsdeckung - Häufig liegt ein Mißverhältnis zwischen Bedarfen (Nachfrage) und vorhandenen Ressourcen (Angebot) vor Beispiele: Überangebote an Gütern oder Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Fachkräftemangel - Es geht daher darum, „den Mangel zu verteilen“, bzw. - ökonomisch gesehen – um Knappheiten von Ressourcen - Also um eine möglichst optimale Verteilung knapper Ressourcen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 22 1 Begriffliche und inhaltliche Grundlagen der VWL Volkswirtschaftslehre Hinreichende Bedingung für eine möglichst effektive Verteilung knapper Ressourcen ist eine Arbeitsteilung in der Wirtschaft Das heißt, die Erstellung von Gütern und Dienstleistungen sollte von denjenigen Wirtschaftssubjekten vorgenommen werden, die dazu am effektivsten in der Lage sind. Dies umfasst auch regionale Effektivitätskriterien. Dadurch werden komparative Kostenvorteile realisiert. aber: wie kann diese möglichst optimale Ressourcenverteilung in einer arbeitsteiligen Wirtschaft mit unzähligen Transaktionen gewährleistet werden? Was ist das geeignete Koordinationsinstrument? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 23 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Markt - das geeignete Koordinationsinstrument ist der Markt Definition: Transaktions- und Informationskosten sparendes Arrangement, das zu einem Gleichgewicht der Pläne von Anbietern und Nachfragern führt1 …sämtliche Austauschprozesse, die aus dem Zusammentreffen von Anbietern und Nachfragern (Akteure) erwachsen2 - d.h. der Markt koordiniert die Einzelpläne der Wirtschaftseinheiten 1 2 Bofinger, S. 600. Fritsch, S. 6. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 24 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Wirtschaftseinheiten – um wen geht es? „Wirtschaftseinheiten sind alle Personen und Institutionen mit ihren für die Beschreibung des Wirtschaftskreislaufs wichtigen wirtschaftlichen Tätigkeiten und damit verbundenen Vorgängen (produzieren, verteilen, konsumieren, investieren, finanzieren).“1 Diese Einheiten werden zu folgenden Sektoren zusammengefasst:2 - Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften (Unternehmen) - Finanzielle Kapitalgesellschaften (Banken, Versicherungen) - Staat (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung) - Private Haushalte (inkl. Einzelunternehmer, Freiberufler, u.ä.) - Private Organisationen ohne Erwerbszweck 1 Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Wiesbaden 2011, S. 3 2 vgl. ebenda Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 25 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Diskutieren Sie die Elemente der Definition des Begriffes Markt und deren Bedeutung für die Wirtschaftseinheiten Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 26 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Markt - Zwei Gruppen von Märkten: Faktormärkte (Arbeit, Boden, Kapital) Gütermärkte - Insgesamt existiert eine Vielzahl von Märkten - Hier werden Angebot und Nachfrage durch Preise koordiniert Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 27 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Faktormärkte: Arbeit (vgl. auch 1.5.2; 3.2.2) - Haushalte treten als Anbieter, Unternehmen als Nachfrager auf (Achtung: häufig Verwechselung dieser Perspektive!) - Daneben treten Intermediäre wie Gewerkschaften, Verbände sowie der Staat als Nachfrager und Regulator auf - Arbeitsangebot und –nachfrage hängen in der Modellwelt vom Reallohn ab - Ein ausgeglichener Arbeitsmarkt (Vollbeschäftigung) ist von hoher gesellschaftlicher Relevanz Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 28 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Faktormärkte: Boden - Mittlerweile von der Bedeutung her nachrangig wie auch der verwandte volkswirtschaftliche Sektor Landwirtschaft, Forsten und Fischerei (vgl. 2.3) - Auch hier treten Haushalte als Anbieter und Unternehmen als Nachfrager auf - Boden kann passiv genutzt werden (Fläche für Unternehmen) oder selbst „produzieren“ (Landwirtschaft / Rohstofferschließung) - Besondere Eigenschaft des Bodens ist die Immobilität Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 29 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Faktormärkte: Kapital (vgl. 1.5.3; 3.3.2) - Haushalte treten direkt oder indirekt (über die sogenannten institutionellen Anleger wie Banken, Fonds oder Versicherungen) als Anbieter auf - Unternehmen und Staat bilden die Nachfrageseite und benötigen Kapital, um Investitionen zu tätigen - Investitionen der Unternehmen und Ersparnisse der Haushalte sind im Idealfall gleich hoch - Geldangebot und -nachfrage sowie Investitions- und Sparneigung hängen in der Modellwelt vom Zinsniveau ab Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 30 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Neuer Faktormarkt Information?! - Neben der klassischen Unterteilung der Faktormärkte in Arbeit, Boden und Kapital tritt mittlerweile oftmals der Faktor Information auf (in Ergänzung der Systematisierung oder in Substitution des kaum noch relevanten Faktors Boden) - Hier treten alle Wirtschaftssubjekte in unterschiedlichen Intensitäten als Anbieter und Nachfrager auf; aus der Faktormarktperspektive sind die Unternehmen die Nachfrager Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 31 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Gütermärkte: Perspektivenwechsel: die Unternehmen stellen die Anbieter, die Haushalte die Nachfrager dar Unterteilung in: - Konsumgüter - Investitionsgüter - Dienstleistungen - Information Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 32 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Marktfunktionen:1 Verteilung der Markteinkommen entsprechend der Marktleistung - wird bestimmt durch Produktivität auf der Anbieterseite und - Zahlungsbereitschaft auf der Nachfragerseite - Umkehrschluss: Verhinderung nicht-leistungsgerechter Einkommen ist das so? - Führt zu Anreizen zur Leistungssteigerung - impliziert nicht zwangsläufig ein ethisches Gerechtigkeitsprinzip und macht verteilungspolitische Eingriffe des Staates nicht unbedingt überflüssig warum? 1 zu den Marktfunktionen vgl. Fritsch, S. 15f. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 33 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Marktfunktionen: Erstellung und Verteilung des Angebotes an Waren und Dienstleitungen entsprechend den Präferenzen der Konsumenten (Prinzip der Konsumentensouveränität; vgl. 1.4.2) führt zur Maximierung des Maßes an individueller Bedürfnisbefriedigung im Rahmen der jeweiligen Faktorausstattung und der jeweiligen Einkommensverteilung Bedeutung? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 34 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Marktfunktionen: Lenkung der Produktionsfaktoren in ihre jeweils produktivste Verwendungsmöglichkeit („Faktorallokation“) - Kostenminimierend - Wertschöpfungsmaximierend - Produktionsvolumen und Produktionstechnik sind vorgegeben Bedeutung? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 35 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Marktfunktionen: Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen (Anpassungsflexibilität) - Anpassung z.B. an Veränderungen der Nachfragestruktur - Oder der Produktionstechnik - Anpassung soll gewährleisten, dass die ersten drei Marktfunktionen auch im Zeitablauf erfüllt werden Bedeutung? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 36 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Marktfunktionen: Förderung des technischen Fortschritts bei Produkten und Produktionsmethoden (Innovationsfunktion) - Erhöht den Output bzw. das Niveau der Bedürfnisbefriedigung bei gegebenem Input - beschleunigt das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt Bedeutung? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 37 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Marktfunktionen: Zusammenfassend stellt der Markt die sogenannte „unsichtbare Hand“ dar, die die Wirtschaftsabläufe steuert. Aber: „der Markt an sich hat keine Moral“; er motiviert nicht zwingend zu sozial und ökologisch erwünschtem Handeln (vgl. dazu die Ausführungen zu Marktversagen in 1.6); daher ist eine Wirtschaftspolitik in Form einer Rahmensetzung („Spielregeln“) erforderlich, innerhalb derer sich die Wirtschaftssubjekte frei entfalten können („Spielzüge“) (vgl. 3.3.3) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 38 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Individuelle Nutzenmaximierung als Antrieb: Gemäß der klassischen Ökonomie agieren die WirtschaftsSubjekte auf den Märkten mit der Intention der individuellen Nutzenmaximierung. Daraus folgt auch für die Gesamtwirtschaft ein maximaler Gesamtnutzen Zitat Adam Smith (Klassiker der Nationalökonomie): „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen“ (Smith, A.: Der Wohlstand der Nationen, 1776/1978, München, S. 17) Für die Lebenslage der Menschen kommt es daher auf die nichtintendierten Ergebnisse intentionaler Handlungen an. (Homann, K.: Geld und Moral in der Marktwirtschaft, in: Hesse, H./Issing, O. (Hrsg.): Geld und Moral, München 1994, S. 23 vgl. auch 3.3.3) Bedeutung? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 39 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Wichtige Ökonomen: Vorbemerkungen: - Im Folgenden wird an passenden Stellen kurz auf wichtige Ökonomen der letzten Jahrhunderte hingewiesen - Dazu werden überblickartig deren wesentliche Standpunkte aufgeführt - In Summe ist die Zusammenstellung nicht vollständig – es gibt weit mehr wichtige Ökonomen und Standpunkte, deren umfassende Darstellung hier jedoch den Rahmen sprengen würde Weiterführende Literaturhinweise: Piper, N. (Hrsg.): Die großen Ökonomen, Stuttgart 1994 von Suntum, U.: Die unsichtbare Hand – Ökonomisches Denken gestern und heute, Berlin u.a. 1999 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 40 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Wichtige Ökonomen: Adam Smith (1723 – 1790) Klassiker der Nationalökonomie; Standpunkte: - Durch das Bestreben nach individueller Nutzenmaximierung handelt der Einzelne auch im Sinne des Gesamtinteresses, sofern er nicht gegen die Gesetze der Gerechtigkeit verstößt - Steuerung durch die „unsichtbare Hand“ - Arbeitsteilung (auch international) führt zu steigendem Wohlstand Hauptwerk: Der Wohlstand der Nationen (1776; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 41 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Aber: obwohl der Markt anerkanntermaßen Transaktionskosten reduziert, verbleiben Transaktionskostenelemente in Form von:1 - Anbahnungskosten (Informationsgewinnung) - Vereinbarungskosten (Verhandlungen, Verträge) - Abwicklungskosten (Transport, Management) - Kontrollkosten (Einhaltung von Vereinbarungen) - Anpassungskosten (während der Laufzeit der Vereinbarung) 1 vgl. Fritsch, S. 10. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 42 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Preisfunktionen:1 Knappheitsmesser- oder Signalfunktion Der Preis des weniger nachgefragten Gutes fällt, der des stärker nachgefragten steigt. die Preisänderungen zeigen, wie sich die Knappheitsverhältnisse verschieben. Es kommt nicht auf die absolute Höhe eines Preises, sondern auf die Änderungen der relativen Preise an. 1 zu den Preisfunktionen vgl. Woll, S. 62 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 43 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Preisfunktionen: Planabstimmungsfunktion Der Preismechanismus sorgt für die Abstimmung der Pläne sowohl auf einem Markt als auch auf allen dazu in Beziehung stehenden Märkten. Angebot und Nachfrage werden aufeinander abgestimmt. Auch hier wirkt die „unsichtbare Hand“. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 44 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Preisfunktionen: Allokationsfunktion Die Produktionsfaktoren wechseln von der Produktion mit abnehmender zu der mit zunehmender Rentabilität Analogie zur entsprechenden Marktfunktion Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 45 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Preisfunktionen: Zeitüberbrückungsfunktion Mit der laufenden Marktabstimmung werden vergangene Entscheidungen korrigiert Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 46 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Preisfunktionen: Verteilungsfunktion Die Entgelte der Produktionsfaktoren (dazu gehört auch das Entgelt für den Faktor Arbeit, also Löhne und Gehälter) spiegeln die durch die Nachfrageänderung ausgelöste Preisbewegung wider Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 47 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Preisfunktionen: Zusammenfassung ⇒ Preise dienen den Marktbeteiligten als wichtiges Signal zur Ausrichtung ihrer Dispositionen ⇒ Hohe Analogien zu den Marktfunktionen ⇒ Sie sind von den subjektiven Werten eines Gutes zu differenzieren Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 48 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Abgrenzung von Wert und Preis: - Der Preis eines Wirtschaftsgutes entsteht auf dem Markt - Er ist objektiv (in der Realität zumindest scheinobjektiv aber intersubjektiv nachprüfbar) - Der Wert ist subjektiv und beinhaltet Präferenzen der Akteure am Markt (z.B. Güter mit hohem emotionalem Wert wie Erbstücke oder ein altes, gut gepflegtes Fahrzeug) - Diese Werte werden aber nur von einzelnen Akteuren (ggfs. nur von einem einzelnen) geteilt - Durch diese subjektiven Präferenzen wird vom idealtypischen vollkommenen Markt abgewichen (vgl. 1.4.2) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 49 1.1 Knappheit, Markt und Wettbewerb Steuerung des Marktes durch Wettbewerb ANBIETER MARKT NACH– FRAGER WETTBEWERB Untereinander Untereinander Mit der „Gegenseite“ Wettbewerb gibt es nicht nur auf Märkten, sondern in vielerlei Ausprägungen (Sport, Unternehmen, etc.) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 50 1.2 Wohlfahrtsökonomische Überlegungen und Bedingungen Übergeordnetes Ziel der Ökonomie (möglichst optimale Verteilung knapper Ressourcen) liegt darin, den maximalen Gesamtnutzen der beteiligten Akteure herbeizuführen Gemäß der klassischen Ökonomie geschieht das dadurch, dass alle Wirtschaftssubjekte versuchen, ihren individuellen Nutzen zu maximieren Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 51 1.2 Wohlfahrtsökonomische Überlegungen und Bedingungen … das bedeutet konkret: - Marktgleichgewicht bei - Maximalem Gesamtnutzen aber nicht - Rückschlüsse über individuelle Situationen - Verteilungsgerechtigkeit Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 52 1.2 Wohlfahrtsökonomische Überlegungen und Bedingungen Operationalisiert wird der Zustand des maximalen Gesamtnutzen durch das Pareto – Optimum, das besagt … Der Nutzen eines Marktteilnehmers ist durch weitere Transaktionen nicht mehr zu steigern, ohne dass ein anderer Marktteilnehmer in seinem Nutzen eingeschränkt wird Mit anderen Worten: es existieren keine weiteren „win – win – Transaktionen“, die den gegenseitigen Gesamtnutzen weiter erhöhen könnten Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 53 1.2 Wohlfahrtsökonomische Überlegungen und Bedingungen Wichtige Ökonomen: Vilfredo Pareto (1848 – 1923) Begründer der Wohlfahrtsökonomie; Standpunkte: - Starker Verfechter des Freihandels - Abkehr von der Lehrmeinung, Nutzen sei exakt quantitativ meßbar - Grundmodell: Theorie der Wahlakte - Daraus abgeleitet: Aussagen über optimale Bedürfnisbefriedigung - Ökonomie ist nicht rein rational erklärbar Hauptwerk: Allgemeine Soziologie (1916; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 54 1.2 Wohlfahrtsökonomische Überlegungen und Bedingungen Prämissen des Pareto – Kriteriums: Individueller Nutzen ist nicht kardinal meßbar, d.h. nicht quantifizierbar und nicht für die Grundrechenarten anwendbar (keine quantifizierbaren Abstände, wie z.B. „doppelt so gut“) Individueller Nutzen ist nur ordinal meßbar, d.h. nur in Form von „besser“ oder „schlechter“ – Beziehungen Das schließt den Konfliktfall aus, dass ein Wirtschaftssublekt „erheblich besser“ und ein anderes nur „wenig schlechter“ gestellt wird (Felder 3 und 4 der folgenden Abbildung) Dies führt zu Diskussionen wie trotz Schlechterstellung eines Wirtschaftssubjektes ggfs. ein höherer Gesamtnutzen herbeigeführt werden kann (z.B. durch Kompensationsleistungen) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 55 1.2 Wohlfahrtsökonomische Überlegungen und Bedingungen Schematische Darstellung des Pareto – Optimums: A f Legende: b 3 1 d c e a 2 4 - Skalen A und B: Nutzen der Wirtschaftssubjekte A und B - a: Ausgangssituation - b, c, d, e: Pareto superiore Situationen - Feld 1: Pareto superiorer Raum - Feld 2: Pareto inferiorer Raum - f: nicht definierte Situation - Felder 3 und 4: nicht definiert B Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 56 1.3 Abgrenzung der Mikro- und der Makroökonomie „Die VWL befasst sich mit ganz unterschiedlichen Märkten und ist in zwei große Hauptgebiete unterteilt“ 1 - Dabei handelt es sich um die Mikro – und die Makroökonomie - Die beiden Bereich sind nicht überschneidungsfrei - „Mikroökonomische Sachverhalte sind das wirtschaftliche Geschehen in den Haushalten und Unternehmen, die Preisbildung und Verteilung …“ 2 - „… makroökonomische die Geldversorgung, der Wirtschaftskreislauf und seine Störungen sowie das Wachstum der Wirtschaft als Ganzes“ 2 - Die daraus resultierenden Untersuchungsgegenstände und Teildisziplinen der Mikro- und der Makroökonomie verdeutlicht die folgende Skizze. 1 Bofinger, S. 38. 2 Woll, S. 5f. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 57 1.3 Abgrenzung der Mikro- und der Makroökonomie Mikroökonomie Makroökonomie Untersuchungsgegenstand: Untersuchungsgegenstand: - Einzelmärkte - Gesamtmärkte (Partialanalyse) (Totalanalyse) Teildisziplinen: Teildisziplinen: - Theorie der Haushalte - Geldtheorie - Theorie der Unternehmen - Finanztheorie - Preistheorie - Beschäftigungstheorie - Verteilungstheorie - Konjunkturtheorie - Wachstumstheorie - Außenwirtschaftstheorie Aber: nicht trennscharf / Überschneidungsbereiche! Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 58 1.4 Mikroökonomie Mikroökonomie Makroökonomie Untersuchungsgegenstand: Untersuchungsgegenstand: - Einzelmärkte - Gesamtmärkte (Partialanalyse) (Totalanalyse) Teildisziplinen: Teildisziplinen: - Theorie der Haushalte - Geldtheorie - Theorie der Unternehmen - Finanztheorie - Preistheorie - Beschäftigungstheorie - Verteilungstheorie - Konjunkturtheorie - Wachstumstheorie - Außenwirtschaftstheorie Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 59 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten Einzelmärkte (Partialanalyse) - Untersucht werden die Bedingungen und Interaktionen auf einem Markt für ein Wirtschaftsgut - D.h. es handelt sich zwar um einen Einzelmarkt; dennoch treten eine Vielzahl von Akteuren (Anbieter und Nachfrager) auf - Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die Preisbildung auf Einzelmärkten und deren Einflussgrößen - sowie auf unterschiedliche Marktformen - und Maßnahmen, um unvorteilhafte Marktkonstellationen zu vermeiden Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 60 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten Standard – Angebot – Nachfrage - Diagramm Preis (p) Prohibitivpreis - Angebot und Nachfrage eines Wirtschaftsgutes hängen vom Preis ab AngebotsAngebotsüberhang kurve - Der Schnittpunkt der beiden gegenläufigen Kurven markiert das Gleichgewicht auf dem entsprechenden Markt Nachfragekurve Nachfrageüberhang Sättigungsmenge - Der Prohibitivpreis und die Sättigungsmenge limitieren die Nachfrage Menge (x) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 61 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten Einflussgrößen von Angebot Nachfrage - Preis - Preis - - Preis Produktionsfaktoren Preis anderer Wirtschaftsgüter Technischer Fortschritt Unternehmerische Faktoren - … Einkommen Qualität Präferenzen Preis Substitutionsgut Preis Komplementärgut Netzeffekte -… Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 62 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten Wichtige Ökonomen: Jean B. Say (1767 - 1832) Erster Angebotstheoretiker; Standpunkte: - Saysches Theorem: „jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst“ - Nämlich dadurch, dass zur durch die Produktion Einkommen erwirtschaftet wird, das wiederum Nachfrage hervorruft - D.h. langfristig gibt es kein Überangebot (kurzfristig kann es Überangebot geben, bei gleichzeitigem Unterangebot für ein anderes Gut) - Langfristig gibt es daher auch keine Arbeitslosigkeit Hauptwerk: Traité d´Économie Politique (1803; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 63 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten Die Einflussgrößen der Nachfrage beeinflussen die Preiselastizität der Nachfrage - Die Preiselastizität der Nachfrage analysiert, wie sich die Nachfrage nach einem Gut bei einer Preisänderung verändert - Im Normalfall sinkt die Nachfrage bei einem Preisanstieg; der Nachfragerückgang kann aber proportional (proportionale Elastizität; E = 1), überproportional (hohe Elastizität; E > 1 < ∞) oder unterproportional (geringe Elastizität; 0 < E < 1) ausfallen - Extremfälle sind ein kompletter Nachfrageausfall (vollkommene Elastizität; E = ∞) oder überhaupt keine Nachfrageänderung (vollkommene Unelastizität; E = 0) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 64 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten Preiselastizität der Nachfrage Formel: Δ x Δ p × p x d.h. %uale Veränderung der Menge eines Gutes %uale Veränderung des Preises eines Gutes Interpretationsbeispiele: - Vollkommene Unelastizität: Nichtraucher bei Veränderung des Zigarettenpreises Liebhaberpreis für ein einzigartiges Kunstwerk - Geringe Elastizität: schwer oder gar nicht substituierbare Güter des Grundbedarfes; schwer verzichtbar (vgl. 1.4.3) - Hohe Elastizität: einfach substituierbare Güter (große Homogenität; von vielen Anbietern angeboten) - Vollkommene Elastizität: fester und unveränderlicher Preis für ein Wirtschaftsgut (eher fiktiv; Nominalwert einer Gedenkmünze in hoher Auflage) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 65 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten p p Preiselastizitäten der Nachfrage Vollkommen elastisch Vollkommen unelastisch p x p x p Proportional elastisch elastisch x unelastisch x x Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 66 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten Sonderfall: Kreuzpreiselastizität: Die Kreuzpreiselastizität untersucht, wie sich die Nachfrage eines Gutes bei einer Preisänderung eines anderen Gutes verändert. Sind die Güter unabhängig voneinander, liegt keine Elastizität vor (Kreuzpreiselastizität = 0; keine Konkurrenz- und Substitutionsbeziehungen). Bestehen Substitutions- oder Komplementärbeziehungen, beeinflusst der Preis eines Gutes die Nachfrage eines anderen (Kreuzpreiselastizität > 0; im Extremfall ∞ , d.h. extreme Konkurrenz und Substituierbarkeit) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 67 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten Sonderfall: Kreuzpreiselastizität: Formel: Beispiele: Δ x1 Δ p2 × p2 x1 d.h. %uale Veränderung der Menge des Gutes 1 %uale Veränderung des Preises des Gutes 2 Erhöhung der Nachfrage nach Margarine bei einem Preisanstieg bei Butter (Substitutionsgüter) Erhöhung der Nachfrage nach Dieselkraftstoff bei einem Preisanstieg bei Ottokraftstoff (Substitutionsgüter i.w.S.) Erhöhung der Nachfrage nach Kfz-Versicherungen bei einer Preissenkung bei PKW (Komplementärgüter) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 68 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten Grundprinzip der Konsumentensouveränität Das Prinzip der Konsumentensouveränität besagt, dass der Markt eines Gutes durch die Nachfrage gesteuert wird. Voraussetzung ist, dass die Nachfrager in der Auswahl der Produkte völlig freie Wahl haben. Dies findet unter den Modellbedingungen vollkommener Märkte und vollständiger Konkurrenz statt. Die Wirtschaftssubjekte handeln somit streng rational, mit dem Ziel der individuellen Nutzenmaximierung. Die Preisbildung auf vollkommenen Märkten wird im Folgenden Beschrieben. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 69 1.4.1 Angebot und Nachfrage auf individuellen Märkten Zuvor jedoch: Interpretieren Sie den Zustand der Konsumentensouveränität. Sind die Konsumenten auf realen Märkten die Souveräne? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 70 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Vorbemerkungen - Eigenschaften vollkommener Märkte: - Die Güter sind homogen - Keine Präferenzen der Wirtschaftssubjekte - Vollständige Transparenz / Informationsstände - Unendliche Reaktionsgeschwindigkeit - Vollständige Konkurrenz - Freier Marktzugang - Konsumenten handeln nutzen- ; Produzenten gewinnmaximierend Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 71 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Interpretieren Sie die Modelleigenschaften des vollkommenen Marktes Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 72 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Preisbildung im Unternehmen Ausgangsfrage: Wie würden sich Unternehmen verhalten, wenn sie die Preise für ihre Güter autonom festsetzen könnten? => Gewinnmaximierend Wie wird das Gewinnmaximum ermittelt ? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 73 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Preisbildung im Unternehmen Herleitung des Gewinnmaximums: Gewinn = Erlös – Kosten = p × x – kv × x – kf sowohl Erlös als auch Kosten sind von der Menge x abhängig Im Gewinnmaximum gilt daher: G(x) = E(x) – K(x) =! Max bzw.: dG = dE - dK = 0 dx dx dx bzw.: dE = dK dx dx bzw. Grenzerlös = Grenzkosten Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 74 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Preisbildung im Unternehmen Vom Gewinnmaximum zum Gleichgewichtspreis: Die Bedingung Grenzerlös = Grenzkosten ist allerding vom Anbieter nur in einer Monopolsituation realisierbar (vgl. 1.4.4) Im Modell der vollständigen Konkurrenz und unter der Prämisse der Konsumentensouveränität müssen die Preisbildungsannahmen weitergeführt werden Ein Unternehmen ist hier nicht autonom in der Preissetzung, sondern muß die Reaktionen der anderen Anbieter und der Nachfrager einbeziehen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 75 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Preisbildung im Unternehmen Der Erlös beträgt wiederum p × x , also entspricht der Grenzerlös dE dx dem Preis p Im Gewinnmaximum auf dem vollkommenen Markt entspricht dann der Preis den Grenzkosten: dE =p= dx dK dx Die Versuche der Nachfrager und Anbieter, auf einem Markt ihre Nutzen zu maximieren, führen auf dem vollkommenen Markt zum nutzenmaximalen Marktgleichgewicht Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 76 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Preisbildung im Unternehmen p - Graphische Darstellung der hergeleiteten Sachverhalte - Punkt A zeigt das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf dem vollkommenen Markt Nachfragekurve C Grenzkosten A B Grenzerlös x - Punkt B zeigt die Übereinstimmung von Grenzkosten und Grenzerlös und würde im Monopolfall zu einer reduzierten Nachfrage und einem erhöhten Preis (Punkt C) führen (vgl. 1.4.4) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 77 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Gleichgewicht und Nutzenmaximum Preis (p) Prohibitivpreis - Angebots- und Nachfragegleichgewicht auf dem vollkommenen Markt Angebotskurve - Zum Prohibitivpreis würde keine Einheit des Gutes mehr abgesetzt Nachfragekurve Sättigungsmenge - Selbst bei einem Preis von Null würde nicht mehr als die Sättigungsmenge nachgefragt Menge (x) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 78 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Gleichgewicht und Nutzenmaximum p Prohibitivpreis Angebotskurve - Im Schnittpunkt der beiden Kurven ist der Markt nicht nur im Gleichgewicht; es wird auch das Nutzenmaximum realisiert Konsumentenrente Produzentenrente Nachfragekurve Sättigungsmenge - Die Summe aus Konsumenten und Produzentenrente fällt hier am höchsten aus x Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 79 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Gleichgewicht und Nutzenmaximum p Prohibitivpreis - Die Konsumentenrente bringt zum Ausdruck, wie viele Nachfrager bereit wären, einen höheren Preis zu zahlen Angebotskurve Konsumentenrente - Die Produzentenrente zeigt, wie viele Anbieter bereit wären, zu einem geringeren Preis anzubieten Produzentenrente Nachfragekurve Sättigungsmenge x - Konsumenten- und Produzentenrente resultieren aus Unterschieden zwischen Preis und Wertschätzung Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 80 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt „Schlafmützenkonkurrenz“ - Vollkommene Märkte führen statisch zu einem Marktgleichgewicht mit Nutzenmaximum - Aus dynamischer Sicht liegen jedoch auch Suboptimalitäten vor: => => keine Anreize zu verkaufsfördernden Marketingaktivitäten keine Anreize für Innovationen denn Preis und Menge werden automatisch durch den Markt festgelegt; für darüber hinaus gehende Anstrengungen zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen fehlt es an Motivation - Es kommt nicht zum Prozess der „schöpferischen Zerstörung“, der Keimzelle für Innovationen - Es liegt eine sogenannte „Schlafmützenkonkurrenz“ vor Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 81 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Wichtige Ökonomen: Joseph Schumpeter (1883 - 1950) Vorreiter der Innovationsforschung; Standpunkte: - Kapitalismus unterliegt einer hohen Dynamik - Daher: Entwicklung von statischen zu dynamischen Modellen - Die Dynamik äußert sich in Prozessen der „schöpferischen Zerstörung“ - Kapitalistische Märkte sind daher stets im Ungleichgewicht - An dieser Dynamik wird der Kapitalismus letztendlich zugrunde gehen Hauptwerk: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1911; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 82 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Die Modellwelt sagt nichts über ethisch–moralische Sachverhalte aus Kaufentscheidungen – wertorientiert oder werteorientiert? Zielkonflikt zwischen Kostenreduzierung und dem Beitrag, Märkte mehr an ethisch – moralischen Zielen zu orientieren Welche Verantwortung hat der Konsument und welche ist ihm zumutbar? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 83 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Diskutieren Sie das (eventuelle) Spannungsfeld individueller Kostenreduzierung und Werteorientierung Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 84 1.4.2 Preisbildung im vollkommenen Markt Wie kommen nun Angebot und Nachfrage über den Preis in Einklang? Beispiel: Preisbildung auf dem Aktienmarkt Kurs Angebot Nachfrage Kurs 40 0 110 49 41 5 97 42 13 83 43 25 71 44 38 63 45 52 52 46 68 41 47 85 28 48 105 12 49 125 0 48 47 46 45 44 43 42 41 40 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 Transaktionen Die meisten Transaktionen kommen bei einem Aktienkurs von 45 zustande; dieser Gleichgewichtskurs ergibt sich an der Börse Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 85 1.4.3 Beispiele für Sättigungseffekte Nutzenfunktion und abnehmender Grenznutzen U U` x U: Nutzen des Konsums von Gut x x U`: Grenznutzen einer zusätzlich konsumierten Einheit des Gutes x (erste Ableitung der Nutzenfunktion U) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 86 1.4.3 Beispiele für Sättigungseffekte Nutzenfunktion und abnehmender Grenznutzen - Mit zunehmendem Konsum (x) steigt der Nutzen (U) des konsumierenden Wirtschaftssubjektes - Der Nutzen steigt jedoch nicht gleichmäßig, sondern zunächst über- und dann unterproportional - D.h. bei wenigen konsumierten Gütern / Leistungen ist der Grenznutzen (mathematisch die Steigung / Ableitung der Nutzenfunktion) relativ hoch - Bei zusätzlich konsumierten Gütern / Leistungen sinkt der Grenznutzen; im Extremfall wird er negativ - Vereinfachtes Beispiel: ein Glas Wasser bei großem Durst (extrem: bei Verdurstungsgefahr in der Wüste) hat sehr hohen Nutzen; das fünfte oder zehnte aber nur noch geringen, keinen oder negativen Zusatznutzen (Übelkeit) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 87 1.4.3 Beispiele für Sättigungseffekte Wichtige Ökonomen: Leon Walras (1834 - 1910) Entwickler des Gleichgewichtmodells; Standpunkte: - Von der objektiven zur subjektiven Wertlehre - daraus folgend: Grenznutzen - Theorie - dynamischens Angebots-NachfrageGleichgewichtsmodell - Koordinator: „der Auktionator“ als Analogie - Marktgleichgewicht führt zu Wohlfahrtsmaximum, gewährleistet aber keine gerechte Verteilung des Wohlstandes Hauptwerk: Éléments d'économie pure ou théorie de la richesse sociale (1874; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 88 1.4.3 Beispiele für Sättigungseffekte Ertragsgesetzlicher Produktionsverlauf - Klassische Produktionsfunktion (z.B. in der Landwirtschaft) - Mit zunehmendem Faktoreinsatz (Arbeit, Maschinen, Dünger) steigt der Ertrag Quelle: www.wirtschaftslehre.ch - Der Wendepunkt markiert den höchsten Ertragszuwachs bei einer zusätzlichen Einheit des Faktors Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 89 1.4.3 Beispiele für Sättigungseffekte Ertragsgesetzlicher Produktionsverlauf - Ab hier beginnt der Durchschnittsertrag (Verhältnis von Einsatz zu Ertrag) zu sinken, bis der absolute Maximalertrag erreicht ist - es folgen rückläufige Erträge trotz steigendem Faktoreinsatzes (z.B. durch ineffizienten Arbeitseinsatz oder Überdüngung) Quelle: www.wirtschaftslehre.ch Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 90 1.4.3 Beispiele für Sättigungseffekte Atypisches Nachfrageverhalten (bei steigendem Preis steigt die Nachfrage) mit völlig gegensätzlichen Ursachen: p „Giffen – Gut“: die Nachfrage steigt mit steigendem Preis bei gleichbleibendem Einkommen Beispiel: Grundnahrungsmittel (z.B. Brot) bei geringem Gesamteinkommen; steigt der Brotpreis so muß auf höherwertige Güter (z.B. Fleisch) verzichtet und mehr Brot nachgefragt werden, um die Grundversorgung zu gewährleisten Snob Effekt Giffen - Gut typische Nachfragekurve q Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 91 1.4.3 Beispiele für Sättigungseffekte Atypisches Nachfrageverhalten (bei steigendem Preis steigt die Nachfrage) mit völlig gegensätzlichen Ursachen: p „Snob – Value – Effekt“: bestimmte Luxusgüter (z.B. teure Uhren) werden erst ab einem hohen Einstiegspreis nachgefragt und die Nachfrage steigt weiter mit dem Preis – allerdings nur moderat – in der Erwartung, dass sich insgesamt nur wenige Nachfrager den Luxusartikel leisten können Snob Effekt Giffen - Gut typische Nachfragekurve q Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 92 1.4.4 Marktformen und deren Auswirkungen Einführung: - Eine Prämisse des vollkommenen Marktes liegt im Vorhandensein einer Vielzahl von Anbietern und Nachfragern - In der Realität ist das eine mögliche und auch existierende Marktform, nämlich ein Polypol - Daneben existieren aber weitere theoretische und reale Marktformen - Die jeweilige Marktform beeinflusst wesentlich das Verhalten der einzelnen Anbieter und Nachfrager Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 93 1.4.4 Marktformen und deren Auswirkungen Marktformenschema Angebotsseite Ein Marktteilnehmer Wenige Marktteilnehmer Viele Marktteilnehmer Nachfrageseite Ein Marktteilnehmer Beidseitiges Monopol Eingeschränktes Nachfragemonopol Nachfragemonopol Wenige Marktteilnehmer Eingeschränktes Angebotsmonopol Beidseitiges Oligopol Nachfrageoligopol Viele Marktteilnehmer Angebotsmonopol Angebotsoligopol Vollständige Konkurrenz Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 94 1.4.4 Marktformen und deren Auswirkungen Wichtige Ökonomen: Heinrich v. Stackelberg (1905 – 1946) Entwickler einer Marktformenlehre Standpunkte: - Ablehnung der vollständigen Konkurrenz ohne Preisbeeinflussungsmöglichkeiten - Auf realen Märkten liegen zumeist Oligopole vor - Hier herrschen Gleichgewichtslosigkeit und Marktkämpfe - Dann muß der Staat eingreifen, um Marktergebnisse wie bei vollständiger Konkurrenz herbeizuführen – idealerweise ein autoritärer / faschistischer Staat (Mitglied von NSDAP (1931) und SS) Hauptwerk: Marktform und Gleichgewicht (1934; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 95 1.4.4 Marktformen und deren Auswirkungen Marktformenschema Neben dem einfachen Neun-Felder-Schema existieren Ausgestaltungsvarianten: „Stellt man zusätzlich auf die relative Größe der Marktteilnehmer ab, lassen sich noch das Teilmonopol (ein Großer, mehrere Kleine) und das Teiloligopol (wenige Große, mehrere Kleine) unterscheiden. Die Zahl der denkmöglichen Marktformen erhöht sich dann auf 25 (WALTER EUCKEN)“ (Woll, S. 63) Der in 1.4.6 thematisierte Tankstellenmarkt ist ein Beispiel für ein Teiloligopol Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 96 1.4.4 Marktformen und deren Auswirkungen Wichtige Ökonomen: Walter Eucken (1891 – 1950) Ordoliberaler sozialer Marktwirtschaftler Standpunkte: - Wirtschaftspolitik als Rahmensetzung für die Gewährleistung von Freiheiten - Umkehrschluss: keine prozesspolitischen Eingriffe der Wirtschaftspolitik - Wirtschaftliche Macht und Machtgruppen sind zu verhindern bzw. einzuschränken - Unterscheidung von Wirtschaftssystemen Anhand der Verteilung wirtschaftlicher Macht Hauptwerk: Die Grundlagen der Nationalökonomie (1939; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 97 1.4.4 Marktformen und deren Auswirkungen Bestimmen Sie reale Beispiele für die unterschiedlichen Marktformen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 98 1.4.4 Marktformen und deren Auswirkungen Die Realität spricht somit häufig gegen die Prämissen der Konsumentensouveränität und der Preisbildung auf dem vollkommenen Markt, die wiederum zum gesamtwirtschaftlichen Optimum führen; dieses kann demnach durch „unausgewogene“ Marktkonstellationen gefährdet sein, was wiederum zu Regulierungen führt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 99 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Preis (p) Angebotskurve Konsumentenrente Absprachepreis Wohlfahrtsverlust Produzentenrente Angebots- / Nachfragediagramm bei Preisabsprache - allgemein Durch die Preisabsprache erhöhen zwar die Produzenten ihren Gewinn, jedoch auf Kosten eines Wohlfahrtsverlustes in der Gesamtbetrachtung => Die Einschränkung des Wettbewerbes führt zu suboptimalen Ergebnissen Menge (q) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 100 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Preisbildung im Monopol Im Monopol braucht der (alleinige) Anbieter keine Reaktionen der (nicht vorhandenen) Konkurrenz in seiner Preisbildung zu berücksichtigen. Er wird daher den gewinnmaximierenden Preis anstreben (vgl. 1.4.2), d.h. den Preis, der den Grenzkosten entspricht. Dieser reduziert im Modellfall die Nachfrage und führt nicht zum gesamtwirtschaftlichen Nutzenmaximum (vgl. die folgende Abbildung). Der Monopolist kann zudem versuchen, Preise zu differenzieren oder bewußt vom Gewinnmaximum abweichen (beispielsweise um drohender Konkurrenz den Marktzugang zu erschweren). Achtung: diese modellhaften Möglichkeiten sind in der Praxis Regulierungen unterworfen (vgl. die Ausführungen zum GWB) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 101 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten p Preisbildung im Monopol Keine Reaktionen anderer Anbieter, daher wird die Gewinnmaximierung Angestrebt, für die gilt: Grenzerlös = Grenzkosten (Punkt B; vgl. 1.4.2). Nachfragekurve C Grenzkosten A Für Preis und Menge des betrachteten Gutes gilt dann Punkt C – der sogenannte „Cournotsche Punkt“ B Grenzerlös x Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 102 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Wichtige Ökonomen: Antoine-Augustin Cournot (1801 – 1877) Quantitativer Wirtschaftstheoretiker Standpunkte: - Vordenker der mathematisch orientierten (Mikro)Ökonomie - Wirtschaftssubjekte handeln gewinnmaximierend - Ableitung des Gewinnmaximums des Monopolisten („Cournotscher Punkt“) - Herleitung der Nachfragefunktion - Reichtum ≠ Wohlstandsmaximum Hauptwerk: Recherches sur les principes mathématiques de la théorie des richesses (1838; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 103 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Arten von Monopolen 1) Natürliche („geborene“) Monopole: Ausgangssituation: bei der Herstellung eines Gutes liegen sowohl sehr hohe Fixkosten als auch sehr hohe Skalenerträge (economies of scale) vor; d.h. viele kleine Unternehmen können nicht zu so günstigen Preisen anbieten wie ein großes (Monopolist) => Subadditivität; Beispiele: lokale leitungsgebundene Versorgungsnetze (Strom, Wasser, Schienenverkehr) 2) Künstliche („gekorene“) Monopole: Unterschiedliche Ursachen: Marktmacht und daraus resultieren Marktzutrittsbeschränkung Bewusste staatliche Regulierung Schutzrechte / Patente (Temporärer) Vorsprung durch Innovation Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 104 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Preisbildung im Oligopol Vorbemerkung: „Man kann sagen, dass das Oligopol die vorherrschende Marktform einer modernen Wirtschaft ist“ Baßeler, U.; Heinrich, J.; Utecht, B.: Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft, 18. Auflage, Stuttgart 2006, S. 181) Wie beurteilen Sie die Validität und die Implikationen dieser These? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 105 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Preisbildung im Oligopol Versuchs- und Irrtumsprozess dahingehend, dass der Oligopolist versucht, das Verhalten der (bekannten) Konkurrenten zu antizipieren In der Preistheorie gibt es dafür unterschiedliche Erklärungsansätze Spieltheoretisch kann es - ohne Informationsaustausch untereinander zu einer Gefangenen–Dilemma–Situation führen, insbesondere in einem Duopol–Fall, also mit nur zwei Anbietern Ohne auf die theoretischen Ansätze im einzelnen einzugehen, ist hier daher von Relevanz, dass die Marktkonstellation die Oligopolisten motiviert, Informationen auszutauschen und im Extremfall Preisabsprachen zu treffen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 106 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Zwischenfazit In unausgewogenen Märkten (speziell Anbietermonopol und –oligopol) kann es zu Preisbildungen kommen, die nicht zu einem Wohlfahrtsmaximum führen. Die Unternehmen sind hier bestrebt, den Sachverhalt auszunutzen, dass konkurrierende Anbieter nicht oder nur in geringer Zahl existieren. Daraus kann eine Ausschaltung oder Behinderung eines funktionierenden Wettbewerbs resultieren, mit dem Ergebnis, dass die beschriebenen Markt- und Preisfunktionen nicht erfüllt werden. Daraus folgt ein Regulierungsbedarf, um auch bei diesen Marktformen einen möglichst gut funktionierenden Wettbewerb zu gewährleisten bzw. Mißbrauch von Marktmacht zu verhindern. In Deutschland: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 107 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) In Deutschland sind das das „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ (GWB), das Bundeskartellamt und die Monopolkommission §§ Zweck des GWB: Gewährleistung eines möglichst ungehinderten und vielfältigen Wettbewerbes und damit Beitrag zur Gesamtnutzenmaximierung Umkehrschluss: Festlegung rechtlicher Mittel, um wohlfahrtsmindernde Einschränkungen des Wettbewerbs zu verhindern Ursprüngliches Inkrafttreten: 01.01.1958 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 108 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Inhalte des GWB: Erster Teil: Wettbewerbsbeschränkungen unser Interessenbereich Zweiter Teil: Kartellbehörden Dritter Teil: Verfahren Vierter Teil: Vergabe öffentlicher Aufträge Fünfter Teil: Anwendungsbereich des Gesetzes Sechster Teil: Übergangs- und Schlussbestimmungen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 109 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Inhalte des GWB: Wettbewerbsbeschränkungen § 1 GWB verbietet wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen: „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“ => Generelles Kartellverbot (wenige Ausnahmen, z.B., wenn Vereinbarungen „…zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen…“ (§2 GWB) oder sogenannte „Mittelstandskartelle“ (§3 GWB)) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 110 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Inhalte des GWB: Marktbeherrschung, wettbewerbsbeschränkendes Verhalten § 19 GWB verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen. Ein Unternehmen gilt als marktbeherrschend, soweit es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt 1. ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder 2. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 111 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Inhalte des GWB: Marktbeherrschung, wettbewerbsbeschränkendes Verhalten (§19) Es wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat. Eine Gesamtheit von Unternehmen gilt als marktbeherrschend, wenn sie 1. aus drei oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen einen Marktanteil von 50 vom Hundert erreichen, oder 2. aus fünf oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln erreichen => Wichtig für die Sektoruntersuchung Kraftstoffe (1.4.6) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 112 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Inhalte des GWB: Marktbeherrschung, wettbewerbsbeschränkendes Verhalten (§19) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen … 1. die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer … erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt; 2. Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; ... 3. ungünstigere Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, als sie das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert, … Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 113 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Inhalte des GWB: Marktbeherrschung, wettbewerbsbeschränkendes Verhalten (§19) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen … 4. sich weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren, wenn es dem anderen Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne die Mitbenutzung nicht möglich ist, auf dem vor- oder nachgelagerten Markt als Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens tätig zu werden; dies gilt nicht, wenn das marktbeherrschende Unternehmen nachweist, dass die Mitbenutzung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 114 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Befugnisse der Kartellbehörden (insbesondere des Bundeskartellamtes): Kartellbehörden sind das Bundeskartellamt, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und die nach Landesrecht zuständigen obersten Landesbehörden (§48 GWB) Befugnisse (§32ff. GWB): - Abstellung und nachträgliche Feststellung von Zuwiderhandlungen Einstweilige Maßnahmen (bei akutem Handlungsbedarf; befristet) Verpflichtungszusagen Entzug der Freistellung Untersuchungen einzelner Wirtschaftszweige und einzelner Arten von Vereinbarungen (z.B. die Sektoruntersuchung Kraftstoffe; vgl. 1.4.6) - Unterlassungsanspruch, Schadensersatzpflicht - Vorteilsabschöpfung Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 115 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Fusionskontrolle (Quelle: Bundeskartellamt.de) Um nachteilige Auswirkungen von Unternehmenszusammenschlüssen auf den Wettbewerb vorab auszuschließen, unterliegen Unternehmenszusammenschlüsse der Fusionskontrolle durch die Wettbewerbsbehörden. Im Rahmen der Fusionskontrolle prüfen diese die Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf den Wettbewerb der jeweils betroffenen Märkte. Ob das Bundeskartellamt oder die Europäische Kommission in ihrer Funktion als europäische Wettbewerbsbehörde zuständig ist, ist von den Umsätzen der jeweiligen Unternehmen abhängig. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 116 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Deutsche Fusionskontrolle (Quelle: Bundeskartellamt.de) Die Unternehmen müssen ein Zusammenschlussvorhaben beim Bundeskartellamt anmelden, wenn sie mit ihren Umsätzen die im GWB genannten Umsatzschwellen überschreiten. Erwirtschaften alle beteiligten Unternehmen gemeinsam einen weltweiten Umsatz von mehr als 500 Mio. Euro und erzielen mindestens zwei beteiligte Unternehmen jeweils erhebliche Umsätze in Deutschland - ein Unternehmen in Höhe von mehr als 25 Mio. Euro und ein weiteres Unternehmen in Höhe von mehr als 5 Mio. Euro – dann müssen die Unternehmen den Zusammenschluss beim Bundeskartellamt anmelden. Gehört ein Unternehmen einer Unternehmensgruppe an, muss das Bundeskartellamt die Umsätze der gesamten Unternehmensgruppe einbeziehen. Auf diese Weise wird die insgesamt verfügbare wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der beteiligten Unternehmen bei der Prüfung der wettbewerblichen Auswirkungen berücksichtigt. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 117 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Deutsche Fusionskontrolle (Quelle: Bundeskartellamt.de) Als Zusammenschluss im Sinne des GWB gelten Verbindungen zwischen Unternehmen, die es einem Unternehmen ermöglichen, einen erheblichen Einfluss auf das Verhalten eines anderen Unternehmens im Wettbewerb auszuüben. Mögliche Ausgänge eines Fusionskontrollverfahrens: - Freigabe - Freigabe unter Auflagen (z.B. Verkauf von Unternehmensteilen zur Eingrenzung der Marktmacht nach einer Fusion) - Untersagung Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 118 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Aufgaben der Monopolkommission (Quelle: Monopolkommission.de) Die Monopolkommission ist ein unabhängiges Beratungsgremium für die Bundesregierung auf den Gebieten der Wettbewerbspolitik und Regulierung. Ihre Stellung und Aufgaben sind in den §§ 44 bis 47 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelt. Danach erstellt die Monopolkommission alle zwei Jahre ein Hauptgutachten, in dem sie den Stand und die absehbare Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland beurteilt, die Anwendung der Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle würdigt sowie zu sonstigen aktuellen wettbewerbspolitischen Fragen Stellung nimmt. Die Monopolkommssion erstellt ferner Sondergutachten (aktuell erschienen z.B. zu den Themen Entflechtung, Post, Telekommunikation, Bahn und Energie). Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 119 1.4.5 Preisbildung in unausgewogenen Märkten Themen des aktuellen Hauptgutachtens der Monopolkommission (19. Hauptgutachten der Monopolkommission 2010/2011, erschienen im Juli 2012; Quelle: Monopolkommission.de) Titel: „Stärkung des Wettbewerbs bei Handel und Dienstleistungen“ Inhalt: Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 120 1.4.6 Kartellamtsstudie zum Tankstellenmarkt Welche Handlungsbedarfe führten zu der „Sektoruntersuchung Kraftstoffe“ des Bundeskartellamtes? Im Folgenden siehe gesonderte Präsentation des Bundeskartellamtes Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 121 1.4.6 Kartellamtsstudie zum Tankstellenmarkt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 122 1.4.6 Kartellamtsstudie zum Tankstellenmarkt PKW-Kraftstoffverbrauch (in Mrd. Liter) deutscher Privathaushalte in den Jahren 2000, 2005 bis 2008 35 33,3 29,5 30 28,5 27,5 26,8 25 20 15 10 9,1 8 9,8 9,7 5,3 5 0 2000 2005 2006 Benzin 2007 2008 Diesel Quelle: Statistisches Bundesamt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 123 1.4.6 Kartellamtsstudie zum Tankstellenmarkt Marktanteile 2010; Summe „Oligopolisten“ 70,5% Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 124 1.4.6 Kartellamtsstudie zum Tankstellenmarkt Marktanteile 2011; Summe „Oligopolisten“ 70,0% Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 125 1.4.6 Kartellamtsstudie zum Tankstellenmarkt Marktanteile 2012; Summe „Oligopolisten“: 69,0% Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 126 1.5 Makroökonomie Mikroökonomie Makroökonomie Untersuchungsgegenstand: Untersuchungsgegenstand: - Einzelmärkte - Gesamtmärkte (Partialanalyse) (Totalanalyse) Teildisziplinen: Teildisziplinen: - Theorie der Haushalte - Geldtheorie - Theorie der Unternehmen - Finanztheorie - Preistheorie - Beschäftigungstheorie - Verteilungstheorie - Konjunkturtheorie - Wachstumstheorie - Außenwirtschaftstheorie Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 127 1.5 Makroökonomie Gesamtmärkte (Totalanalyse) - Untersucht werden die Bedingungen und Interaktionen des gesamtwirtschaftlichen Verhaltens - Wie entstehen Gleichgewichte auf Gesamtmärkten und welche Maßnahmen sind bei Ungleichgewichten oder Marktversagen zu treffen? - Ebenfalls von hoher Relevanz: Fragestellungen, die die Rolle des Staates in der Volkswirtschaft thematisieren (Art und Intensität staatlicher Aktivitäten in der Volkswirtschaft) - Wichtige und im Folgenden thematisierte Gesamtmärkte: Gütermarkt Geldmarkt Arbeitsmarkt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 128 1.5.1 Einkommen und Konsum Konsum- und Sparfunktion - Zunächst wird aus makroökonomischer Perspektive (also für die gesamte Volkswirtschaft) das Konsum- und Sparverhalten der Haushalte aggregiert untersucht - Sowohl der Konsum (C) als auch die Ersparnis (S) sind abhängig vom zur Verfügung stehenden (Volks) Einkommen (Y) - Die Erfüllung der Grundbedürfnisse wird durch den „autonomen Konsum“ (C0) markiert. - Darüber hinaus wir nur ein Teil (c) des zusätzlichen Einkommens konsumiert (hier vereinfacht linear dargestellt) c stellt die Konsumquote innerhalb einer Volkswirtschaft dar Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 129 1.5.1 Einkommen und Konsum C S Konsum- und Sparfunktion - Der verbleibende Einkommensanteil wird gespart und steht, sofern im Wirtschaftskreislauf verbleibend, für Investitionen der Unternehmen zur Verfügung Konsum: C = C0 + cY C0 - Ersparnis setzt somit erst dann ein, wenn der autonome Konsum finanziert ist. Sparen: S = Y – C = - C0 + (1-c)Y (Einkommen) Y - Bis zu diesem Punkt werden Ersparnisse aufgezehrt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 130 1.5.1 Einkommen und Konsum 1 1 2010: 11,4% 1 2011: 11,1% 2012: 10,7% Quelle: Deutsche Bundesbank Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 131 1.5.1 Einkommen und Konsum Sparquote in wichtigen Industrieländern *) Zeit Deutschland Großbritannien Frankreich USA Japan 2000 9,2 4,7 15,1 2,9 8,7 2001 9,4 6,0 15,8 2,7 5,1 2002 9,9 4,8 16,9 3,5 5,0 2003 10,3 5,1 15,3 3,5 3,9 2004 10,4 3,7 15,7 3,4 3,6 2005 10,5 3,9 14,7 1,4 3,9 2006 10,6 3,4 14,9 2,4 3,8 2007 10,8 2,6 15,4 2,1 2,4 2008 11,7 2,0 15,5 4,1 2,2 2009 11,1 6,0 16,5 5,9 5,0 2010 11,4 5,4 16,0 5,7 . Quellen: Nationale Statistische Ämter. Datenstand: Juni 2011. — * Ersparnis in % des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte; Niveau wegen unterschiedlicher Berechnungsmethoden nur bedingt vergleichbar. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 132 1.5.1 Einkommen und Konsum Mögliche Gründe für die hohe Sparquote in China? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 133 1.5.1 Einkommen und Konsum Investitionsfunktion i - Die Höhe der UnternehmensInvestitionen (I) hängt von der Höhe des Zinsniveaus (i) ab - Mit steigendem Zins sinkt die Investitionsneigung der Unternehmen, da die Refinanzierungskosten steigen - Damit steigen auch die Ansprüche an die Vorteilhaftigkeit einer Investition; ein höherer Kalkulationszins reduziert signifikant den I Kapitalwert einer Investition Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 134 1.5.1 Einkommen und Konsum IS - Diagramm i Im volkswirtschaftlichen Gleichgewicht entspricht die Höhe der Ersparnisse (S), die – wie erläutert – einkommensabhängig ist, der Höhe der Investitionen (I) Dies impliziert: I(i) = S(Y) 1) Der Konsum wird von den Unternehmen zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen sowie zur Gewinnerzielung Y verwendet 2) Die Ersparnisse der Haushalte werden bei den Geschäftsbanken angelegt und von diesen an die Unternehmen als Kredite für Investitionen weitergegeben Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 135 1.5.1 Einkommen und Konsum Zusammensetzung des Volkseinkommens - Mit dem Konsum und den Investitionen sind zwei wesentliche Komponenten der Verwendungsgleichung des Volkseinkommens thematisiert - Hinzu kommen (vereinfacht) der staatliche Verbrauch (G) sowie der Saldo aus Export (X) und Import (M) - Daraus ergibt sich für die Verwendungsgleichung des Volkseinkommens: Y=C+G+I+X–M - Diese vereinfachte Formel läßt sich weiter ausdifferenzieren, z.B. in unterschiedliche Investitionskategorien oder Kategorien von Staatsausgaben Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 136 1.5.2 Arbeitsangebot und Nachfrage Arbeitsangebot und -nachfrage - Erneut ein Standard - Angebots- und Nachfragediagramm - Zum Verständnis: das Arbeitsangebot bildet die Arbeitnehmer ab, die Arbeitsnachfrage die Unternehmen - Sowohl Arbeitsangebot als auch Arbeitsnachfrage sind, in umgekehrtem Verhältnis vom Reallohnniveau abhängig - Das Reallohnniveau wird ausgedrückt durch das nominale Lohnniveau (w) dividiert durch das Preisniveau (p); d.h. das Reallohnniveau sinkt, wenn ein Nominallohnanstieg durch Inflation überkompensiert wird Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 137 1.5.2 Arbeitsangebot und Nachfrage Arbeitsangebot und -nachfrage w/p Arbeitsangebot Arbeitsnachfrage - Das Arbeitsangebot (Ns) steigt mit zunehmendem Reallohnniveau (w/p); für die Arbeitsanbieter steigt der Anreiz, ihre Arbeitskraft anzubieten Ns - Umgekehrt steigt die Arbeitsnachfrage (Nd) mit sinkendem Reallohnniveau; für die Unternehmen wird es attraktiver Arbeit nachzufragen und weniger attraktiv, diese zu substituieren Nd N Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 138 1.5.2 Arbeitsangebot und Nachfrage Arbeitsangebot und -nachfrage In der Realität ist der Arbeitsmarkt in Deutschland nicht homogen, sondern in mehrfacher Hinsicht segmentiert: - regional kennzeichnend hierfür: signifikant unterschiedliche regionale Arbeitslosenquoten (vgl. 3.2.2) - sektoral kennzeichnend hierfür: in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen gibt es Arbeitsangebots- oder Arbeitsnachfrageüberhänge - berufsgruppenspezifisch kennzeichnend hierfür: in unterschiedlichen Berufsgruppen gibt es Arbeitsangebots- oder Arbeitsnachfrageüberhänge Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 139 1.5.2 Arbeitsangebot und Nachfrage Auch das Reallohnniveau, das in der Modellwelt das Arbeitsangebot und die Arbeitsnachfrage determiniert variiert regional, sektoral und berufsgruppenspezifisch. Beispiele: - den Lebenshaltungskosten angepasste regional unterschiedliche Reallohnniveaus („München vs. Ländliches Brandenburg“) - unterschiedliche Tariflöhne in den Wirtschaftszweigen („IGBCE vs. Postzusteller“) oder unterschiedliche Haustarife in Großunternehmen - knappheitlich bedingte hohe Reallöhne für bestimmte Berufsgruppen („Ingenieurmangel“; „War for talents“) Sind vor diesem Hintergrund Mindestlöhne sinnvoll? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 140 1.5.2 Arbeitsangebot und Nachfrage Auswirkungen von Mindestlöhnen im Modell - Ähnlich wie bei einer Preisabsprache (vgl. 1.4.4) führt auch ein Mindestlohn, der über dem Gleichgewichts – Lohnniveau liegt zu einem Ungleichgewicht mit wohlstandsreduzierendem Effekt - Zwar erhöht sich die „Produzentenrente“ (in diesem Fall der „Arbeitsproduzenten“ also der Arbeitnehmer) - Die Arbeitgeber reduzieren jedoch die Arbeitsnachfrage (also den „Arbeitskonsum“) aufgrund des gestiegenen Lohnniveaus - Das Resultat ist ein Wohlstandverlust sowie Arbeitslosigkeit aufgrund der Angebotslücke - Diese liegt sogar über dem Gleichgewichtspunkt, da zum relativ hohen Mindestlohn mehr Angebot an Arbeitskräften vorliegt als im Gleichgewichtsniveau Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 141 1.5.2 w/p Arbeitsangebot und Nachfrage Konsumentenrente Auswirkungen Arbeitslosigkeit Mindestlohn von Mindestlöhnen Arbeitsangebot im Modell Produzentenrente Wohlfahrtsverlust Arbeitsnachfrage N Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 142 1.5.2 Arbeitsangebot und Nachfrage Arbeitsangebot und –nachfrage: Mindestlöhne? www.verdi.de Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 143 1.5.2 Arbeitsangebot und Nachfrage Diskutieren Sie die politische und gewerkschaftliche Forderung nach Mindestlöhnen vor dem Hintergrund der modelltheoretischen Implikationen; welche anderen Argumente sprechen für oder gegen Mindestlöhne? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 144 1.5.3 Geldmarkt und Zinsen Money, so they say, is the root of all evil today. But if you ask for a raise it's no surprise that they're giving none away. (Pink Floyd: Money / The Dark Side of the Moon) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 145 1.5.3 Geldmarkt und Zinsen Geldangebot und -nachfrage - Erneut ein Standard - Angebots- und Nachfragediagramm - Die Geldnachfrage (L) ist durch das Volkseinkommen limitiert - Die Geldnachfrage (L) sinkt bei bei gegebenem Einkommen mit steigendem Zinssatz (i), d.h. bei hohen Zinssätzen wird mehr angelegt (weniger Geldnachfrage), bei geringen Zinssätzen wird mehr Liquidität gehalten (hohe Geldnachfrage) - Ein Anstieg des Einkommens führt bei gleichbleibendem Zinssatz zu einer Erhöhung der Geldnachfrage - Eine Geldmengenausweitung geht im Normalfall mit einem Anstieg des Preisniveaus (eventuell Inflation) einher, d.h. eine Ausweitung der Geldmenge führt nicht zwangsläufig zu mehr Kaufkraft bzw. Realem Einkommen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 146 1.5.3 Geldmarkt und Zinsen Geldangebot und -nachfrage i Geldangebot M - Das Geldangebot (M) steigt mit zunehmendem Zinssatz (die Geschäftsbanken bieten mehr Geld zu hohen Zinsen an) - Im volkswirtschaftlichen Gleichgewicht entspricht die Höhe der Geldnachfrage (L) der Höhe des Geldangebotes (M) Geldnachfrage L - Ein Einkommensanstieg wird durch eine Erhöhung des Zinsniveaus kompensiert (und umgekehrt) L, M Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 147 1.5.3 Geldmarkt und Zinsen Geldangebot und -nachfrage i L= M - Ähnlich wie auf dem Gütermarkt (vgl. 1.5.1) variieren die Gleichgewichtspunkte des Geldangebotes und der Geldnachfrage mit dem Zinssatz und dem Volkseinkommen – allerdings in umgekehrter Form - Steigende Zinssätze führen im Einklang mit höherem Volkseinkommen zu einem Y höheren Gleichgewichtsniveau und umgekehrt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 148 1.5.3 Geldmarkt und Zinsen Geldmenge (Quelle: Bundesbank) Bestand an Geld in Händen inländischer Nichtbanken. Wegen der Unschärfe des Geldbegriffs gibt es verschiedene statistische Abgrenzungen der Geldmenge. Das Eurosystem unterscheidet die folgenden Geldmengenbegriffe: M1= Bargeldumlauf (ohne Kassenbestände der Monetären Finanzinstitute (MFIs) plus täglich fällige Einlagen der im Währungsgebiet ansässigen Nicht-MFIs. M2= M 1 plus Einlagen mit vereinbarter Laufzeit bis zu zwei Jahren und Einlagen mit vereinbarter Kündigungsfrist bis zu drei Monaten. M3= M 2 plus Anteile an Geldmarktfonds, Repoverbindlichkeiten, Geldmarktpapieren und Bankschuldverschreibungen mit einer Laufzeit bis zu zwei Jahren. Dieses Aggregat steht bei der Geldpolitik des Eurosystems im Vordergrund. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 149 1.5.3 Geldmarkt und Zinsen Geldmenge M3 – deutscher Beitrag Jahresendwerte in Mrd. Euro; Quelle: Deutsche Bundesbank 2000 1.348,6 2006 1.660,9 2001 1.433,4 2007 1.837,8 2002 1.436,3 2008 2.017,8 2003 1.490,0 2009 1.986,2 2004 1.505,4 2010 2.073,8 2005 1.583,2 2011 2.195,7 2012 2.331,0 http://www.bundesbank.de/statistik/statistik_zeitreihen.php?lang=de&open=&func=row&tr=TSD303 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 150 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Zwischenfazit • Die makroökonomischen Märkte - Gütermarkt, - Arbeitsmarkt und - Geldmarkt sind thematisiert worden • Die Angebots- und Nachfragebeziehungen wurden aufgezeigt • Ebenso die Gleichgewichtsbedingungen auf den Teilmärkten Wie sieht nun ein übergreifendes Gesamtgleichgewicht aus? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 151 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Güter-, Geld- und Arbeitsmarktgleichgewicht in der Modellwelt i LM Güter- und Geldmarkt Faktorpreisverhältnis IS Das Vierquadrantenschema fasst die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Teilmarkt-Gleichgewichte zusammen w/p Y Nd Ns Arbeitsmarkt N Die Produktionsfunktion und das Faktorpreisverhältnis dienen zur „Übersetzung“ der einzelnen Dimensionen Produktionsfunktion Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 152 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Exkurs: Modelle - Bausteine und Werkzeugkästen der Ökonomie - Quantitative Darstellungsweise von ökonomischen Sachverhalten, die sich in mathematischen Funktionen und deren Varianten / Ableitungen abbilden läßt - Theoretische Konstrukte mit vielerlei laborhaften Prämissen, wie = vollkommene Märkte, = keine sachlichen oder persönlichen Präferenzen, = gleiche Informationsstände bei vollständiger Markttransparenz = unendliche Reaktionsgeschwindigkeit - Versuche, die vielfältigen individuellen und gruppenspezifischen Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte zu prognostizieren und deren gesamtwirtschaftliche Wirkungen abzubilden Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 153 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Exkurs: Modelle - Bausteine und Werkzeugkästen der Ökonomie Zwischenfazit: die Modellwelt ist wichtig zur Deskription und Plausibilisierung ökonomischer Sachverhalte Aber: individuelle Verhaltensmuster und (unterschiedliche) Wertvorstellungen sind dadurch weder abbildbar noch erklärbar auch dynamische Modelle können die Vielzahl von (Wechsel) Wirkungen in der ökonomischen Realität nicht abbilden Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 154 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Modellbasierte volkswirtschaftliche Prognosen sind Planungsvorgänge und unterliegen Ungewißheitsbedingungen, die sich wie folgt zusammenfassend systematisieren lassen: 1) Zukunftsorientierung (auch einfache zukunftsbezogene Sachverhalte sind ungewiß – ganz zu schweigen von hochkomplexen makroökonomischen Zusammenhängen) 2) Unvollständiger Informationsstand (auch das beste Wissenschaftsund IT – System kann weder statisch und noch weniger dynamisch alle relevanten Informationen erfassen und in ihren Wirkungszusammenhängen verarbeiten) Eine modifizierte Trendextrapolation bietet ebenfalls keine Lösung, da sie genau dann versagt, wenn sie als Prognose zur Unterstützung politischer und ökonomischer Entscheidungsträger besonders wichtig wäre, nämlich, wenn Störungen oder Krisen drohen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 155 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Keine Prognose Ökonomen im Erklärungsnotstand 14. April 2009 Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) macht ernst: Sein Institut werde keine Prognose für das kommende Jahr veröffentlichen, kündigte Klaus Zimmermann am Dienstag an. In der gegenwärtigen Situation außergewöhnlich großer Unsicherheiten sei eine quantitative Prognose für 2010 nicht sinnvoll. Modelle stoßen „an die Grenzen des Machbaren“ DIW-Chef Zimmermann Der DIW-Chef Zimmermann möchte sogar darauf verzichten. veröffentlicht keine Mit den üblichen Methoden ließe sich die rasche Ausbreitung Prognose für 2010 der derzeitigen Krise und ihre Tiefe nicht mehr nachvollziehen. „Strukturmodelle, die in normalen Zeiten verlässliche Prognosen liefern, stoßen bei histori-schen Wachstumseinbrüchen an die Grenzen des Machbaren.“ Angesichts der Unsicher-heit bestehe die Gefahr, dass die Ökonomen in Herdenverhalten fielen und im Gleichschritt immer tiefere Prognosen veröffentlichten. Daran wolle sich das DIW nicht mehr beteiligen. Die meisten Institute erwarten für 2010 nur eine schwache Erholung der Wirtschaft. Nach der OECD-Prognose wird es ein leichtes Plus von 0,2 Prozent sein. Quelle: FAZ.net Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 156 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Diskutieren Sie die Thematik „Ökonomen im Erklärungsnotstand“ Analogie: brauchen wir einen Arzt, der nicht mehr diagnostiziert, wenn der Fall schwierig wird? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 157 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Quantifizierungstendenzen in der wissenschaftlichen Ökonomie Ungeachtet der Probleme, insbesondere makroökonomische Wirkungszusammenhänge modellhaft abzubilden, liegen in der wissenschaftlichen Ökonomie signifikante Quantifizierungstendenzen vor. Dies gilt sowohl für die Volks- als auch die Betriebswirtschaftslehre Die quantitative Abbildung ökonomischer Sachverhalte gilt heute als Qualitätskriterium für wissenschaftliche Arbeiten (ohne solche Ansätze bestehen kaum Chancen auf Veröffentlichungen in Journals mit exzellenter Reputation), aber: ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ der Versuch einer quantitativen Totalmodellierung und daraus abgeleiteten quantitativen Prognosen kann gar nicht oder nur dann funktionieren, wenn keine Trendbrüche auftreten dann ist der Erkenntnisgehalt dieser Ansätze aber vernachlässigbar daher: Mut zur verbal – argumentativen Analyse diese kann dann durchaus Basis für quantitative Prognosen sein Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 158 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Wichtige Ökonomen: Paul A. Samuelson (1915 – 2009) Der Lehrbuchökonom des 20. Jahrhunderts Standpunkte: - Verhaltensweisen in der Ökonomie andern sich ständig; die Theorien müssen sich dem anpassen - fundiert keynesianische Ansätze in der quantitativen Modellwelt Hauptwerk: Economics (1948; Original; mittlerweile 19. Aufl.; deutsch: Volkswirtschaftslehre; weltweit das bedeutendste und weitverbreitetste VWL-Lehrbuch) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 159 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Modellwelt vs. Realität Wie sieht es nun zur Zeit auf den behandelten Märkten aus? - Der Arbeitsmarkt zeigt insgesamt einen nachhaltigen Angebotsüberhang (Arbeitslosigkeit); dieser variiert jedoch regional und in einzelnen Sektoren herrscht sogar Nachfrageüberhang (Beispiel Ingenieurmangel) - Die Gütermärkte zeigen tendenziell zumindest temporär ebenfalls einen Angebotsüberhang - Der Geldmarkt wird durch massive Konjunkturprogramme und Staatsverschuldungen aufgebläht Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 160 1.5.4 Das Ideal des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes Modellwelt vs. Realität Erklärungsansätze für Marktungleichgewichte in der Theorie sind - zum einen, dass die Märkte von sich aus wieder zum Gleichgewicht tendieren - zum anderen, dass der Staat eingreifen muß, um z.B. Arbeitslosigkeit trotz Gütermarktgleichgewicht zu verändern (diese Ansätze sind Gegenstand von Abschnitt 2.3.1) Haben nun in der Realität die Märkte versagt? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 161 1.6 Marktversagen – Ursachen und Eingriffsmöglichkeiten Marktversagen existiert: Auch von überzeugten Anhängern der Marktwirtschaft wird Marktversagen nicht als Phänomen bestritten Allerdings nur für wenige, spezielle Situationen und Kontexte, die im Folgenden beschrieben werden Wann liegt Marktversagen vor? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 162 1.6.1 Einführung und Problemstellung In der Ökonomie wird Marktversagen thematisiert und wie folgt systematisiert: Marktversagen i.e.S. aufgrund1 - Externer Effekte - Mangelnder Teilbarkeit - Informationsasymmetrien Welche Sachverhalte sind damit gemeint? 1 diese Dreiersystematisierung erfolgt in Anlehnung an Fritsch Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 163 1.6.1 Einführung und Problemstellung Zusätzlich werden hier zwei Sachverhalte thematisiert, die ebenfalls häufig als Marktversagen interpretiert werden: - Mangelnde Verteilungsgerechtigkeit (ist aber faktisch kein Marktversagen, da keine Marktfunktion) - andauernde und/oder signifikante Ungleichgewichte (Grenzfall: Markt- vs. Politikversagen) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 164 1.6.2 Externe Effekte Externe Effekte Liegen vor, wenn Aktivitäten eines Wirtschaftssubjektes positive oder negative Auswirkungen auf andere Wirtschaftssubjekte hat, die nicht automatisch durch den Markt- / Preismechanismus reguliert werden. Bei externen Effekten funktioniert das Ausschlussprinzip nicht oder nur begrenzt. Das Ausschlussprinzip besagt, dass bei wirtschaftlichen Transaktionen Leistung und Gegenleistung erfolgen. Wer nicht leistet oder gegenleistet ist vom Nutzen ausgeschlossen. Greift das Ausschlussprinzip nicht, liegt entweder „Nutzen ohne Gegenleistung“ („Trittbrettfahrersyndrom“) oder „Schaden ohne Kompensation“ vor. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 165 1.6.2 Externe Effekte Externe Effekte: Trittbrettfahrersyndrom Das Ausschlussprinzip funktioniert nicht; der „Trittbrettfahrer“ erhält eine Leistung ohne Gegenleistung. Beispiel (in Anlehnung an Fritsch, S. 91) Eine Wirtschaftseinheit steht vor der Entscheidung, einen Beitrag von 5 zur Erstellung eines Allgemeingutes zu entrichten, von dem jeder in Höhe von 10 profitiert. Daraus folgt folgende Entscheidungsmatrix: Alle anderen zahlen zahlt zahlen nicht 5 (= 10 - 5) -5 (= 0 - 5) 10 (= 10 - 0) 0 (= 0 - 0) Der Einzelne zahlt nicht Isoliert betrachtet ist das „Trittbrettfahren“ die dominante Strategie (C); dann kommt aber auch die Erstellung des Gutes nicht zustande (D). (Analogie zum Gefangenendilemma; Unterschied: Informationsaustausch) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 166 1.6.2 Externe Effekte Externe Effekte: Allmendegut Kennzeichnung Allmendegüter: können ohne Entgelt genutzt werden, stehen aber nur begrenzt zur Verfügung (Konkurrenz in der Nutzung) Beispiel (in Anlehnung an Fritsch, S. 93) Fischereibestände werden von zwei Fischern genutzt. Benutzen beide ein feines Netz, kommt es zur Überfischung; benutzen beide ein grobes Netz, erhalten sich die Bestände. Benutzt A ein feines und B ein grobes Netz, profitiert A auf Kosten von B und umgekehrt. Entscheidungsmatrix: Fischer B grobes Netz feines Netz grobes Netz Fischer A feines Netz 3 4 3 0 0 1 4 1 Isoliert betrachtet ist das „feine Netz“ die dominante Strategie; kollektiv führt sie jedoch zur Selbstschädigung. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 167 1.6.2 Externe Effekte Externe Effekte Markante Beispiele (1): Öffentliche Güter (z.B. Sicherheit) - würden diese (ausschließlich) durch den Markt geregelt, käme es zu Trittbrettfahrersyndromen => Ausschlussprinzip eingeschränkt oder unwirksam - daher werden sie öffentlich finanziert und bereitgestellt - häufig sind öffentliche Güter politisch definiert (z.B. Strassennutzung oder Bildung) und könnten auch ganz oder teilweise durch den Markt reguliert werden Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 168 1.6.2 Externe Effekte Exkurs: Öffentliche Güter und Ausschlussprinzip Für öffentliche Güter gilt: - Ausschlussprinzip greift nicht - Keine Rivalität im Konsum Daraus wird abgeleitet, dass öffentliche Güter vom Staat bereitzustellen sind. Es gibt jedoch keine genaue Abgrenzung des Sachverhaltes „öffentliches Gut“. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen: - spezifischen öffentlichen Gütern und - unspezifischen öffentlichen Gütern (hier herrscht zwar Rivalität im Konsum, das Ausschlussprinzip greift jedoch nicht (Beispiel Allmendegut)) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 169 1.6.2 Externe Effekte Exkurs: Öffentliche Güter und Ausschlussprinzip Sonderfall: meritorische Güter; hierfür gilt: Ausschlussprinzip und Rivalität im Konsum sind grundsätzlich gegeben, ein unregulierter Markt führt aber zu unerwünschten Ergebnissen (Gründe: externe Effekte oder Informationsasymmetrien): - zu wenig Nachfrage (Kulturgüter, Alters- und Gesundheitsvorsorge) - zu viel Nachfrage (Alkohol, Drogen) Daher erfolgt eine staatliche Regulierung der Märkte. Problematisch ist hier, wer und in welcher Form die Güter an sich und die „richtigen“ Marktverhältnisse festlegt („wieviel subventionierte Opernhäuser brauchen wir?“; „sollten weiche Drogen legalisiert oder Alkohol und Zigaretten noch stärker besteuert werden?“) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 170 1.6.2 Externe Effekte Externe Effekte Markante Beispiele (2): Umwelteffekte - zumeist „Schaden ohne Kompensation“, z.B. durch Schadstoffemissionen wie Lärm, Luft- oder Gewässerverunreinigung - aber auch „Nutzen ohne Gegenleistung“, z.B. durch Umweltpflege eines Einzelnen, aus der die Gesamtheit Nutzen zieht Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 171 1.6.2 Externe Effekte Externe Effekte Wirtschaftspolitische Eingriffsmöglichkeiten bei externen Effekten: Generell: Anzustreben ist eine Internalisierung der externen Effekte, d.h. die Einbeziehung von Externalitäten in Marktprozesse zur Vermeidung der ansonsten auftretenden gesamtwirtschaftlichen Ineffizienzen dies funktioniert - wie gezeigt - nicht automatisch, sondern bedarf wirtschaftspolitischer Impulse Wie könnte eine solche Internalisierung funktionieren? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 172 1.6.2 Externe Effekte Externe Effekte Effektivitätskriterien zur Beurteilung wirtschaftspolitischer Eingriffsmöglichkeiten bei externen Effekten:1 - Statische Effizienz (eine Eingriffsform erreicht ein vorgegebenes Ziel unter statischen Rahmenbedingungen auf kostenoptimale Weise) - Dynamische Effizienz (eine Eingriffsform setzt Anreize zur Vermeidung negativer Externalitäten (effektiver als Ausräumung) bzw. zu Entwicklung und Einsatz innovativer Verfahren) - Treffsicherheit (eine Eingriffsform erreicht möglichst genau ein theoretisches oder politisch vorgegebenes Optimum) 1 vgl. Fritsch S. 99f. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 173 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte Moralische Appelle1 - Freiwillige Nutzungsbeschränkung oder Einsatz von Vermeidungstechnologien - Kosten einseitig; Nutzen für mehrere - im Extremfall: Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit durch Verschlechterung der Kostensituation => - Wirksamkeit sehr begrenzt, insbesondere bei Marktvorgängen; wenn überhaupt, dann im Freizeitbereich oder in kleinen Gruppen mit hoher „Sichtbarkeit“ - Ausnahme: bei vorliegen positiver Nebeneffekte, z.B. Imagegewinn durch PR-Wirksamkeit; dann können Wettbewerbsvorteile entstehen 1 vgl. Fritsch S. 101f. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 174 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte Staatliche Bereitstellung1 - vgl. hierzu die Ausführungen zu den öffentlichen Gütern - Öffentliche Güter sind oft politisch definiert und unterliegen nicht zwangsläufig der Nichtanwendung des Ausschlussprinzips - Problem der Bestimmung der optimalen Menge der Bereitstellung eines öffentlichen Gutes - Auch bei staatlicher Bereitstellung sollte aus Effektivitätsgründen die Erstellung des Gutes privatisiert werden (stärkere Anreize, aus Gewinnerzielungsabsicht, möglichst effektiv zu produzieren und Innovationen voranzutreiben; ist bei staatlicher Produktion nicht oder nur begrenzt gegeben) 1 vgl. Fritsch S. 102ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 175 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte Fusion der Beteiligten bzw. kollektive Bereitstellung1 - Zusammenschluss aller Betroffenen und Beteiligten zu einer Wirtschaftseinheit; dadurch per definitionem Internalisierung - Faktisch allerdings kaum denkbar - Würde eventuell zu unerwünschter Marktmacht führen - Würde hohe Transaktionskosten verursachen - Ausnahme: dezentrale „Klub – Lösungen“ (Vereine, aber auch Kammern und Verbände u.U. mit Zwangsmitgliedschaft) - Weiteres praktisches Beispiel: Abgrenzung kommunaler Gebietskörperschaften (z.B. Einbeziehung von Vororten mit einkommensstarker Bevölkerung in Kernstädte) 1 vgl. Fritsch S. 105f. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 176 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte Ge- und Verbote / Auflagen1 - Auf den ersten Blick einfaches Internalisierungsverfahren - Unerwünschte Verhaltensweisen werden eingegrenzt oder ganz unterbunden, erwünschte Verhaltensweisen erzwungen - Problem: richtige Dosierung - Wiederum ein Optimierungsproblem: „welche Schadensmenge ist als wohlfahrtspolitisch optimal anzustreben“ - Real wird ein gesamtwirtschaftlich optimales Emissionsniveau mit Ge- und Verboten bzw. Auflagen allenfalls zufällig erreicht und die Erreichung ist gar nicht nachzuweisen - Praktische Regelungen orientieren sich häufig am „Stand der Technik“ 1 vgl. Fritsch, S. 106f. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 177 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte Steuern bzw. Subventionen1 - Theoretischer Idealfall: Besteuerung einer Produktion, die negative externe Effekte hervorruft in der Höhe, dass ein gesamtwirtschaftliches Optimum erreicht wird (sog. „Pigou – Steuer“) - Umkehrschluss: entsprechende Subventionierung, wenn positive externe Effekte vorliegen - Problem: die theoretisch exakte wohlfahrtsoptimale Produktionsmenge ist kaum oder gar nicht und nur mit hohen Informationskosten ermittelbar - Praxislösung ist der sog. Preis-Standard-Ansatz: auf die Ermittlung eines Optimums wird verzichtet; „vielmehr unterstellt man von vornherein, dass ein bestimmtes Internalisierungsziel von der Politik vorgegeben wird“ (Fritsch, S. 111) 1 vgl. Fritsch, S. 108ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 178 1.6.2 Externe Effekte Wichtige Ökonomen: Arthur C. Pigou (1877 – 1959) Erste Theorie für staatliche Eingriffe in die Ökonomie Standpunkte - Kritik an der klassischen Ansicht, die Märkte würden ein Wohlfahrtsoptimum herbeiführen - Der Staat muß eingreifen, um Wohlfahrt zu maximieren - Insbesondere in der Besteuerung der Ausbeutung natürlicher Ressourcen - Darüber hinaus: Umverteilung von Einkommen durch progressive Besteuerung Hauptwerk: Economics of Welfare (1920; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 179 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte Verhandlungen1 Grundsätzlich: Schädiger und Geschädigter verhandeln über adäquate Kompensationszahlungen Im Idealfall ergibt sich dann ein wohlfahrtspolitisches Optimum (Coase-Theorem: die Beteiligten können externe Effekte effektiv durch Verhandlungen internalisieren) Grundprobleme: Schädiger und Geschädigter müssen eindeutig identifizierbar sein Hohe Transaktionskosten bei der Aushandlung und letztendlichen Kontrahierung 1 vgl. Fritsch, S. 118ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 180 1.6.2 Externe Effekte Wichtige Ökonomen: Ronald Coase (geb. 1910) Transaktionskosten und Property Rights Standpunkte: - Entwickler des Transaktionskostenmodells (Unternehmer müssen Informationen sammeln und Verträge abschließen) - Durch steigende Organisationskosten sind Unternehmen größenlimitiert - Negative externe Effekte können durch Verhandlungslösungen internalisiert werden - Nutzt keine quantitativen, sondern verbalargumentative Ansätze Hauptwerk: The Nature of the Firm (1937; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 181 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte Verhandlungen1 Zwei Fälle: 1) Mit Schadenshaftung des Schädigers: Grundsätzlich ist die Schädigung untersagt der Schädiger kann sich aber das Recht zur Schädigung erkaufen der Geschädigte wird nur dann zustimmen, wenn die Kompensation den Schaden mindestens ersetzt; der Schädiger wird nur dann zahlen, wenn die Kompensation niedriger als die Vermeidungskosten ausfällt; im Idealfall also wohlfahrtsoptimal 2) Ohne Schadenshaftung des Schädigers Der Schädiger ist uneingeschränkt zur Verursachung negativer externer Effekte berechtigt; hier müßte der Geschädigte dem Schädiger eine Kompensation leisten, die mindestens den Vermeidungskosten entspricht 1 vgl. Fritsch, S. 118ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 182 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte Handelbare Schädigungsrechte (Zertifikate) 1 - Kombination aus Elementen der Verhandlungslösung und der Auflagenlösung nach Preis-Standard-Ansatz - Staat legt Umfang der Schädigung fest; in diesem Umfang erfolgt eine erstmalige Verteilung der Zertifikate (durch Auktion oder zunächst entgeltlos quotal an vorhandene Schädiger) - Wichtig: die Zertifikate müssen frei handelbar sein; dann ergibt sich im Folgenden ein den Knappheitsverhältnissen des Umweltgutes entsprechender Preis - Unternehmen mit hohen Vermeidungskosten müssen Zertifikate erwerben; Unternehmen mit geringen Vermeidungskosten (bessere Vermeidungstechnik können durch Veräußerung von Zertifikaten Erlöse erwirtschaften => Motivation zur Entwicklung integrierter Umwelttechnologien 1 vgl. Fritsch, S. 101ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 183 1.6.2 Externe Effekte Exkurs: Kategorien von Umwelttechniken 1) End of pipe – Techniken Hier werden Umweltschäden am Ende einer Prozesskette möglichst ausgeräumt; klassische Beispiele sind alle Arten von Filtertechniken, die Schadstoffe vor der Emission in ein Umweltmedium binden 2) Integrierte Techniken Hier werden Umweltschäden möglichst gleich vermieden; Beispiele sind kreislaufwirtschaftliche Ansätze (z.B. geschlossene Wassersysteme bei der Papierherstellung oder Wiederverwertung von Wertstoffen; das Leitbild einer Kreislaufwirtschaft im Sinne eines vollständig geschlossenen Systems ist jedoch als idealtypisch zu klassifizieren und kann insofern nur approximiert werden) aber auch integrierte Techniken wie Kraft-Wärme-Kopplung Integrierte Techniken sind somit qualitativ hochwertiger und ökonomisch sowohl zur Eigennutzung als auch zur Vermarktung erstrebenswerter Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 184 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte Haftungsrecht 1 - Umfasst Regeln, die festlegen, wann und in welcher Höhe ein Geschädigter vom Schädiger zu kompensieren ist; zwei Fälle: - Gefährdungshaftung (umfassendes Haftungsrecht): Schädiger hat volle Schadenersatzpflicht, ungeachtet der Verschuldung - Verschuldungshaftung: Schadenersatzpflicht nur bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit - Der potenzielle Schädiger wird aus ökonomischer Sicht die Kosten der Schadenvermeidung und der eventuellen Haftung gegeneinander abwägen und soweit in Schadenvermeidung investieren, bis sie den erwarteten Schaden (Schadenhöhe x Schadenwahrscheinlichkeit) erreichen 1 vgl. Fritsch, S. 126ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 185 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte - Zusammenfassung1 Instrument Statische Effizienz Dynamische Effizienz Treffsicherheit Moralische Appelle Fragwürdig Allenfalls schwach ausgeprägt sehr unsicher Signifikante Wirkungen allenfalls in kleinen Gruppen Staatliche Bereitstellung i.d.R. eingeschränkt i.d.R. eingeschränkt i.d.R. eingeschränkt Nur, wenn nicht anders möglich Fusion / kollektive Bereitstellung Potenziell gut; u.U. Machtproblem Potenziell gut; u.U. Machtproblem Potenziell Gut Fusion nur in Ausnahmefällen geeignet; kollektive Bereitst. nur, wenn Ausschluss mögl. u. sinnvoll Ge- und Verbote Auflagen i.d.R. schlecht schlecht eingeschränkt Nur in Ausnahmefällen geeignet 1 Fritsch, S. 132 Gesamteinschätzung Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 186 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte - Zusammenfassung1 Instrument Steuern / Abgabe Subventionen zur Reduktion einer Schädigung Subventionen zur Stimulierung positiver ext. Effekte 1 Fritsch, S. 132 Statische Effizienz gut gut gut Dynamische Effizienz Treffsicherheit gut eingeschränkt fragwürdig (Anreiz zur Schädigung) gut eingeschränkt eingeschränkt Gesamteinschätzung Gut geeignet; Problem der adäquaten Bezugsgröße Theoretisch bedingt geeignet; Problem der geeigneten Bezugsgröße; fragwürdige Verteilungswirkungen Gut geeignet; Problem der adäquaten Bezugsgröße Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 187 1.6.2 Externe Effekte Instrumente zur Internalisierung externer Effekte - Zusammenfassung1 Instrument Statische Effizienz Dynamische Effizienz Treffsicherheit Verhandlungen Gesamteinschätzung Mit SH theoret. bestes In- - mit Schadenshaftung (SH) gut - ohne Schadenshaftung gut Handelbare Rechte (Zertifikate) sehr gut gut potenziell gut fragwürd. (Anreiz potenziell zur Schädigung) gut gut (bei entsprechender Kurspflege) gut Haftungsrecht strument; prakt. nur schwer umsetzbar (ungleich verteilte Transaktionskosten; Informationsprobleme) Konzeptionell gut geeignet; Probleme der praktischen Anwendung Prinzipiell geeignet; prakt. ist - Gefährdungshaftung gut relativ gut eingeschränkt i.d.R. nur eine teilw. Internalis. zu erreichen; schafft die Basis - Verschuldungshaftung i.d.R. schlecht Relativ schlecht eingeschränkt zur ggfs. sinnvollen Anwendung weiterer Internalisierungsverf. 1 Fritsch, S. 132 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 188 1.6.2 Externe Effekte Diskutieren Sie die Eignung der behandelten Instrumente zur Internalisierung externer Effekte Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 189 1.6.3 Mangelnde Teilbarkeit Mangelnde Teilbarkeit Liegt vor, wenn bei der Produktion eines Gutes bzw. der Erstellung einer Leistung Größenvorteile eine wesentliche Rolle spielen. Die Auswirkungen führen zu Marktformen, die vom Ideal der vollständigen Konkurrenz abweichen (vgl. 1.4.4). Auf der Anbieterseite entstehen Oligopole bis hin zu sogenannten „natürlichen Monopolen“. Dabei entsteht wiederum die Gefahr einer Preisbildung, die dauerhaft nicht zum Wohlfahrtsmaximum führt (vgl. das Beispiel der Preisabsprache in 1.4.4). Hinzu kommen weitere gesamtwirtschaftliche Nachteile wie mangelnde Innovationsbereitschaft. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 190 1.6.3 Mangelnde Teilbarkeit Mangelnde Teilbarkeit Subadditivität von Kosten: Ein Gut kann von einem Anbieter kostengünstiger angeboten werden als von mehreren Die Durchschnittskosten sinken stetig (anders beispielsweise als in der ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion (vgl. 1.4.3)); das Ausmaß der Größenvorteile ist erheblich und eine hohe Nachfrage setzt erst zu relativ geringen Preisen ein „Subadditivität besagt nichts anderes, als dass die Gesamtkosten für die Produktion von Teilmengen eines Gutes (oder mehrerer Güter) höher sind als bei der Produktion der gesamten Menge ´in einer Hand´.“ (Fritsch, S. 164) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 191 1.6.3 Mangelnde Teilbarkeit Mangelnde Teilbarkeit Beispiele für mangelnde Teilbarkeit: - Klassisches Beispiel: Leitungsnetze (Stromversorgung, Schienenverkehr) - Großaggregate (z.B. Kraftwerke) - Gewinnung und Logistik (Pipelines, Tanker) fossiler Rohstoffe => Hohe Fixkosten, die auf eine möglichst hohe Ausbringungsmenge verteilt werden müssen => Hohe Irreversibilität einmal getroffener Investitionsentscheidungen (sunk costs; hohe Marktaustrittsbarrieren) => Tendenz zu Oligopolen bis hin zu natürlichen Monopolen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 192 1.6.3 Mangelnde Teilbarkeit Mangelnde Teilbarkeit Erfordernis wirtschaftspolitischer Maßnahmen in Abhängigkeit von Subadditivität und Irreversibilität:1 Subadditivität Irreversibilität gering 1 hoch Markt mit Tendenz zu Inflexibilität Vor Konkurrenz geschütztes natürliches Monopol => evtl. Probleme durch Anpassungsmängel => i.d.R. wirtschaftspol. Eingriff wünschenswert „Normaler“ Markt Durch potenzielle Konkurrenz diszipliniertes natürl. Monopol => kein Eingriff erforderlich => kein Eingriff erforderlich gering Fritsch, S. 185 hoch Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 193 1.6.3 Mangelnde Teilbarkeit Mangelnde Teilbarkeit Jeweils hohe Subadditivität und Irreversibilität in verschiedenen Wirtschaftsbereichen:1 Verteilung von Strom oder Gas (nicht Erzeugung!) Verteilung von Fernwärme (nicht Produktion) Verteilung von Wasser (nicht Produktion) Telefon – Ortsnetz (nicht Fernverkehr / Endgeräte) Verteilung Kabel – TV Weginfrastruktur Bahn (nicht Verkehrsleitsystem / Transport) Pipeline 1 Fritsch, S. 186 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 194 1.6.3 Mangelnde Teilbarkeit Wirtschaftspolitische Eingriffmöglichkeiten bei mangelnder Teilbarkeit: Hier sind zunächst die unter 1.4.5 beschriebenen wettbewerbspolitischen Maßnahmen zu nennen, die eine Diskriminierung von Konkurrenten und Nachfragern verhindern sollen: - Kartellverbot - Verbot des Mißbrauchs von Marktmacht (s. nächste Folie) - Unterbinden von abgestimmtem Verhalten - Fusionskontrolle zur Verhinderung von Konzentration und Entstehung von Marktmacht Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 195 1.6.3 Mangelnde Teilbarkeit Wirtschaftspolitische Eingriffsmöglichkeiten bei mangelnder Teilbarkeit: Marktmachtbedingte Beschränkungen verhindern ist hier von besonderer Relevanz (vgl. 1.4.5) Dazu gehört neben den bereits genannten Tatbestände des § 19 GWB die Unterbindung von - Boykotten potenzieller Konkurrenten - Preisdifferenzierung durch Monopolisten oder marktmächtige Oligopolisten zur Verhinderung des Marktzugangs potenzieller Konkurrenten - Exklusiv-Verträgen mit dem Zweck des Ausschlusses potenzieller Konkurrenten Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 196 1.6.3 Mangelnde Teilbarkeit Wirtschaftspolitische Eingriffsmöglichkeiten bei mangelnder Teilbarkeit: Aus den bisherigen Schilderungen folgt, dass potenzielle Wettbewerber mit erheblichen Marktzutrittsbeschränkungen konfrontiert sind. Einem möglichen Ausräumen von Marktzutrittsbeschränkungen kommt demzufolge ebenfalls eine hohe Bedeutung zu: Zweck: Motivation potenzieller zusätzlicher Marktteilnehmer zum Markteintritt Im Umkehrschluss sollten möglichst keine staatlichen Restriktionen einen Marktzutritt verhindern Eine Ausnahme können staatlich definierte Monopole sein, die einen Marktzutritt sogar unmöglich machen, wobei der Monopolist aber auch einer entsprechenden staatlichen Kontrolle unterliegt, die einen Mißbrauch der Marktmacht unterbindet Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 197 1.6.3 Mangelnde Teilbarkeit Wirtschaftspolitische Eingriffsmöglichkeiten bei mangelnder Teilbarkeit: Eingrenzung „natürlicher“ Monopole (vgl. 1.4.4) 1) In der Wertschöpfungskette auf monopolistische Kernbereiche => Unterbindung vertikaler Integration durch Fusionskontrolle; dem Monopolisten wird untersagt, vor- oder nachgelagerte Unternehmen zu akquirieren 2) Im Marktverhalten durch die Auferlegen von Verhaltensmaßregeln => vgl. auch hier die in § 19 GWB und der vorangegangenen Folie thematisierten Tatbestände Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 198 1.6.4 Informationsasymmetrien Informationsasymmetrien In der Modellwelt werden vollkommene Märkte mit unendlichen Reaktionsgeschwindigkeiten, einheitlichen Informationsständen und Präferenzen unterstellt. In der Realität liegen unvollständige Informationsstände, Informationsdefizite oder Informationsasymetrien vor, die im Extremfall zu Marktversagen führen können. Beispiele sind Intransparenzen über Preise und / oder Qualitäten von Gütern. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 199 1.6.4 Informationsasymmetrien Informationsasymmetrien Meist verfügen die Anbietern von Gütern über einen höheren Informationsstand als die Nachfrager. Günstigenfalls wird dann versucht, über Kommunikations- und Kontrahierungspolitik die Informationsdefizite bei den Nachfragern soweit zu reduzieren, dass es zu Markttransaktionen kommt. Wie?! Ungünstigenfalls werden Informationsvorsprünge instrumentalisiert, um Nachfrager zu täuschen und zu benachteiligen. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 200 1.6.4 Informationsasymmetrien Informationsasymmetrien Klassisches Beispiel „The Market for Lemons“ von Akerlof (1970) über den Gebrauchtwagenmarkt1. => Qualitätsintransparenz kann zum Markzusammenbruch führen: Interpretation: Auf einem funktionierenden lokalen Gebrauchtwagenmarkt machen sich Anbieter mit Fahrzeugen schlechter Qualität breit. Die bis dahin vertrauensvollen Nachfrager werden nach mehreren „Fehlkäufen“, die sich herumsprechen, immer mißtrauischer; sie sind nur noch bereit, zu sehr geringen Preisen Gebrauchtwagen zu kaufen, um das Risiko eines Fehlkaufes zu kompensieren; 1Akerlof, George-A.: The Market for "Lemons", in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 84 (1970), S. 488-500. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 201 1.6.4 Informationsasymmetrien Informationsasymmetrien Klassisches Beispiel „The Market for Lemons“ von Akerlof (1970) über den Gebrauchtwagenmarkt1. Interpretation: zu diesen Preisen sind aber die Anbieter guter Gebrauchtwagen nicht mehr bereit zu verkaufen; die nach und nach abnehmenden Transaktionen konzentrieren sich auf schlechte Fahrzeuge; misstrauenbedingt werden keine fairen Preise für qualitativ gute Gebrauchtwagen gezahlt; der Markt bricht schließlich zusammen. Daher spielt Vertrauen – zumeist basiert auf positiven Erfahrungen – eine wesentliche Rolle zur Funktion solcher Märkte. 1Akerlof, George-A.: The Market for "Lemons", in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 84 (1970), S. 488-500. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 202 1.6.4 Informationsasymmetrien Wichtige Ökonomen: George A. Akerlof (geb. 1940) Kritiker der idealtypischen Rationalität Standpunkte: - Märkte funktionieren nicht automatisch effizient - Insbesondere dann nicht, wenn Informationsasymmetrien dazu führen, dass keine angemessenen Preise zustande kommen - Berücksichtigung gesellschaftlicher Normen und sozialpsychologischer Ansätze in der Ökonomie, die in der (Neo)Klassik vernachlässigt werden Hauptwerk: The Market for "Lemons”, 1970 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 203 1.6.4 Informationsasymmetrien Gütertypen und Informationsasymmetrien:1 Gütertyp Charakteristika Neoklassischhomogenes Gut Qualität ist bereits vor Vertragsabschluss vollständig bekannt null Such- bzw. Inspektionsgut Qualität vor Vertragsabschluss zu geringen Kosten erkennbar gering Erfahrungsgut Qualität wird erst nach dem Konsum des Gutes vollständig bekannt, vor Vertragsschluss ist sie nur unter relativ hohen Kosten zu beurteilen Qualität kann weder vor VertragsVertrauens- oder abschluss eingeschätzt werden, Glaubensgut noch ist sie nach dem Konsum des Gutes bekannt 1Fritsch, S. 253 Grad der potenziellen Informationsasymmetrie mittel hoch Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 204 1.6.4 Informationsasymmetrien Wirtschaftspolitische Eingriffsmöglichkeiten bei Informationsasymmetrien: Transparenz- und sicherheitserhöhende Regelwerke, wie - Transparenzschaffung durch Normen / (Qualitäts-)Standards - Informationsverpflichtungen für den Hersteller / Anbieter (aber: mögliches Verständnis- / Komplexitätsproblem - Rücktrittsrechte für den Käufer - Garantie- und Haftungsvorschriften für „Nach-Kauf-Sicherheit“ Am wichtigsten sind jedoch die genannten erfahrungsbedingten Vertrauensbeziehungen, die allerdings kein wirtschaftspolitisches Instrument darstellen. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 205 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Mangelnde Verteilungsgerechtigkeit - Wird häufig als Form von Marktversagen angeführt - Ist aber kein Marktversagen, da der Marktmechanismus nicht in Anspruch nimmt, Verteilungsgerechtigkeit herbeizuführen (vgl. 1.1 und 1.2) - Im folgenden wird das Thema „Verteilungsgerechtigkeit“ im Rahmen der Ziele der Wirtschaftspolitik (vgl. 3.2) thematisiert Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 206 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Wichtige Ökonomen: Karl Marx (1818 – 1883) Theoretiker des Kommunismus Standpunkte: - Es kommt nicht auf Interpretation, Sondern auf Veränderung an - Das (tote) Kapital wird durch die Arbeiterklasse belebt - Den Mehrwert erhalten die Kapitalisten - Immer mehr Kapitalismus führt dann aber zu Überproduktion und Krisen - Daraus entsteht der Sozialismus Hauptwerk: Das Kapital (Band 1) (1867; Original Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 207 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Nachhaltige Ungleichgewichte – Marktversagen oder Politik(er)versagen? Bei nachhaltigen Marktungleichgewichten (z.B. andauernder Arbeitslosigkeit) herrscht in der Ökonomie keine Einigkeit darüber, ob hier der Markt oder die Politik(er) durch falsche Rahmensetzungen „versagt“ haben Diese divergierenden Ansichten zwischen „Keynesianern“ (die Märkte tendieren zu dauerhaften Ungleichgewichten) und „Neoklassikern“ (die Märkte tendieren zu dauerhaften Gleichgewichten) werden unter 3.3 thematisiert Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 208 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Exkurs 1: Marktversagen durch unethisches Verhalten? Beispiel Hypothekenkredite Was ist hier passiert? Passt das Beispiel zur Synopse der Formen von Marktversagen? Impulszitat: „Es sind, wie ich sie am liebsten nenne, Neutronenkredite, die wie eine Neutronenbombe Menschen töten, aber Gebäude intakt lassen“ (James K. Galbraith, US-Ökonom und Sohn des berühmten John K. Galbraith über die falsche Bewertung von faulen Krediten, zitiert in Wirtschaftswoche, Nr. 14, 2009, S. 130) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 209 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Wichtige Ökonomen: John K. Galbraith (1908 – 2006) Moderner Wohlfahrtsökonom Standpunkte: - Überangebot an Gütern geht einher mit Versorgungsmängeln und Armut - Grund sind wachstumsorientierte Unternehmensstrategien - Der Macht der Unternehmen stehen jedoch starke Gegenmächte entgegen (z.B. Gewerkschaften; => countervailing power) - Mehr Staatsaktivität für mehr soziale Symmetrie Hauptwerk: The affluent society (dt.: Gesellschaft im Überfluss; 1958; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 210 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Exkurs 2: Marktversagen durch unethisches Verhalten? Beispiel „Finanzinstrumente“ / „Finanzprodukte“ Was ist hier passiert? Passt das Beispiel zur Synopse der Formen von Marktversagen? Impulszitat: „Die Computer ermöglichten alsbald auch die Schaffung hochkomplizierter und deshalb in ihren Risiken undurchsichtiger Finanzinstrumente, sogenannter Derivate, darunter vielerlei Zertifikate. Die angloamerikanische Finanzindustrie hat dafür den hochtrabenden Namen „Finanzprodukte“ in Gebrauch genommen“ (Helmut Schmidt in Die Zeit, Nr. 4 2009) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 211 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Exkurs 2: Marktversagen durch unethisches Verhalten? Sonderfall „ungedeckte Leerverkäufe“ – exemplarische Funktionsweise: Spekulant A vereinbart mit Anleger B, diesem nach einer festgelegten Frist (Beispiel: nach sechs Monaten) ein Anzahl von Aktien zu einem Kurs zu verkaufen, der unter dem aktuellen Tageskurs liegt (Beispiel: 1.000 Aktien, die heute zu 100 Euro gehandelt werden zu einem Preis von 90 Euro). Allerdings besitzt A diese Aktien gar nicht („Leer“). Er baut darauf und setzt alle Mittel in Bewegung, dass der Aktienkurs sinkt, ungeachtet der tatsächlichen Entwicklung des Unternehmenswertes. Dann kauft er nach Ablauf der Frist die Aktien zum nunmehr gefallenen Kurs (z.B. 80 Euro) und verkauft sie zum vereinbarten höheren Preis. Hat A genug Marktmacht oder gibt es genug andere Spekulanten mit Interesse daran, dass der Aktienkurs sinkt, wird er auch sinken, obwohl - wie beschrieben – der reale Unternehmenswert diese Entwicklung nicht begründet. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 212 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Exkurs 2: Grundproblem für diese Art von Finanzinstrumenten: Entkoppelung von Wertschöpfung (des Underlying) und Wertentwicklung (des Finanzinstrumentes) D.h., die Finanzinstrumente und somit das darin investierte Kapital setzen nicht auf die Entwicklung eines Wertschöpfung erzielenden Wirtschaftsgutes (z.B. Unternehmen, Rohstoff aus Knappheitsperspektive), sondern auf ein entkoppeltes Underlying (z.B. Indizes, Rohstoffe aus Spekulationsperspektive). Solche Finanzinstrumente intendieren keine win-win-Situationen (durch Wertschöpfung gewinnen sowohl Unternehmen als auch Anleger), sondern können, da keine Wertschöpfung zugrundeliegt, nur zu win-looseSituationen führen, haben somit Wettcharakter und gehören entsprechend Gehandelt und sanktioniert. Dies ist jedoch von der Politik – trotz entsprechender Ankündigungen nach der Finanzkrise 2008 – versäumt worden. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 213 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Exkurs 2: Grundproblem für diese Art von Finanzinstrumenten: Entkoppelung von Wertschöpfung (des Underlying) und Wertentwicklung (des Finanzinstrumentes) Weiteres Beispiel für diesen Sachverhalt: Cross Border Leasing als (gescheiterter) Versuch, Arbitragegewinne zu realisieren. Was wurde hier versucht? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 214 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Synopse der möglichen Reaktionen auf Marktversagen Die möglichen Reaktionen / Eingriffsmöglichkeiten weisen eine große Bandbreite unterschiedlicher Intensitäten auf: - Nichtstun und auf die „Selbstheilungskräfte“ der Märkte durch die „unsichtbare Hand“ vertrauen - „weiche Faktoren“ wie moralische Appelle - Ordnungspolitische Maßnahmen (Rahmensetzung) - Preis- / prozesspolitische Eingriffe Art und Umfang der Reaktionen werden durch die Politik determiniert ⇒ Wie sieht daher die Rolle des Staates in der Ökonomie aus? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 215 2 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) 2 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 216 2.1 Grundlagen und Definitionen Was versteht man unter Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen (VGR)? „Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen haben die Aufgabe, für einen bestimmten Zeitraum ein möglichst umfassendes, übersichtliches, hinreichend gegliedertes, quantitatives Gesamtbild des wirtschaftlichen Geschehens in einer Volkswirtschaft zu geben. Dabei wird die wirtschaftliche Betätigung aller Wirtschaftseinheiten erfasst, die ihren ständigen Sitz bzw. Wohnsitz im Wirtschaftsgebiet haben (Inlandskonzept)“ (Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Wiesbaden 2011, S. 3) Vom Inlandskonzept ist das „Inländerkonzept“ zu unterscheiden, dass auf Nationalitäten abzielt. Ein Deutscher mit Sitz und wirtschaftlicher Aktivität im Ausland wird demnach nicht in der deutsche VGR erfasst; ein Nicht-Deutscher mit Sitz und wirtschaftlicher Aktivität in Deutschland dagegen ja. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 217 2.1 Grundlagen und Definitionen Zentrale Größe der VGR ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) (vgl. 2.2) Die VGR bestehen aus: - der Input-Output-Rechnung (Leistungsverflechtungen; welcher Bereich leistet für welchen anderen, inkl. Wertschöpfungsrechnung und Gesamtaufkommen an Gütern) - der Finanzierungsrechnung (zeigt, in welchem Umfang und in welcher Form private Haushalte, Unternehmen und Staat finanzielle Mittel bereitstellen oder beanspruchen) - der Erwerbstätigenrechnung (Ermittlung der Personen, die eine auf wirtschaftlichen Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben bzw. in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis stehen) - der Arbeitsvolumenrechnung aller Erwerbstätigen) und (Erfassung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit - der Vermögensrechnung (Bilanzierung des Anlagevermögens in der Volkswirtschaft sowie des Schuldensaldos ggü. dem Ausland und dem Volksvermögen) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 218 1.6.5 Ergänzungen und Exkurse Wichtige Ökonomen: Wassily Leontief (1905 - 1999) Entwickler der Input-Output-Analyse Standpunkte: - Diskrepanz zwischen ökonomischer Theorie und Fakten - Theorie verwendet reduktionistische Variablen und Kriterien wie BIP oder Preisniveaus - Diese korrespondieren nicht mit der Komplexität der Realität - Detaillierte Input-Output-Analysen zur Abbildung der Transaktionsbeziehungen der volkswirtschaftlichen Sektoren erforderlich Hauptwerk: Input-Output Analysis (1951; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 219 2.1 Grundlagen und Definitionen Die Vermögensrechnung als Bestandteil der VGR: Vermögensbilanz Mrd. EUR am Jahresanfang Verm ögensarten 1992 2000 2007 2008 2009 2010 Gesamte Volkswirtschaft Aktiva .......................................................................... 6.812 10.132 13.916 14.723 15.076 15.188 Alle Anlagegüter ...................................................... 4.832 6.324 7.346 7.700 8.012 7.989 Sachanlagen ........................................................... Nutztiere und Nutzpflanzungen ....................... Ausrüstungen .................................................... Bauten .................................................................. Wohnbauten ..................................................... Nichtw ohnbauten ............................................ Im m aterielle Anlagegüter ................................... 4.798 8 774 4.017 2.193 1.824 34 6.275 7 897 5.371 3.093 2.278 49 7.283 8 980 6.295 3.725 2.570 63 7.636 8 1.016 6.613 3.926 2.688 64 7.948 8 1.086 6.854 4.067 2.787 64 7.924 8 980 6.936 4.139 2.797 64 Bauland ....................................................................... 1.168 1.469 2.105 2.150 2.206 2.199 Forderungen gegenüber dem Ausland .............. 812 2.338 4.465 4.873 4.859 5.000 Passiva ....................................................................... 6.812 10.132 13.916 14.723 15.076 15.188 Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland ...... 634 2.347 4.101 4.496 4.402 4.367 Volksverm ögen (= Reinverm ögen) ...................... 6.179 7.784 9.815 10.227 10.675 10.821 Quelle: Statistisches Bundesamt 2011 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 220 2.1 Grundlagen und Definitionen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 221 2.1 Grundlagen und Definitionen Rechtliche Grundlage und internationale Vergleichbarkeit: Verordnung (EG) Nr. 2223/96 des Europäischen Parlaments und Rates Alle EU – Mitgliedsländer müssen VGR nach dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) 1995 berechnen. Internationale Vergleichbarkeit im EU – Raum ist somit gewährleistet. Nutzer der VGR (1): Die VGR stellen wichtige Daten für die Beurteilung und Gestaltung der Wirtschafts-, Finanz-, Sozialpolitik und weiterer Politikbereiche bereit. Auf die Angaben der VGR stützen sich Politik, Wirtschaft und Verwaltung Bei ihren Arbeiten und Entscheidungen. Sie dienen als Grundlage für Gutachten, Wachstumsprognosen, Steuerschätzungen, Rentenanpassungen, Tarifverhandlungen u.ä. (Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Wiesbaden 2011, S. 4) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 222 2.1 Grundlagen und Definitionen Nutzer der VGR (2): Nationale Nutzer sind vor allem die Bundesregierung (speziell das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), das Bundesministerium für Finanzen (BMF) sowie das Bundeskanzleramt), die Deutsche Bundesbank, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Wirtschaftsforschungsinstitute, Universitäten und Medien. Hauptnutzer der VGR auf internationaler Ebene sind das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaft (Eurostat), die Europäische Zentralbank (EZB), die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie der internationale Währungsfonds (IWF). (zu den Institutionen vgl. 3.4) (Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Wiesbaden 2011, S. 4) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 223 2.2 Bruttoinlandsprodukt als zentraler Bestandteil der VGR Ja, ja, ja jetzt wird wieder in die Hände gespuckt. Wir steigern das Bruttosozialprodukt. (genauer: das Bruttoinlandsprodukt) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 224 2.2 Bruttoinlandsprodukt als zentraler Bestandteil der VGR Zentrale Größe der VGR ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP), welches alle im Inland produzierten Güter und Dienstleistungen abzüglich der Vorleistungen misst. Die wichtigste Größe ist dabei die Veränderungsrate des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts, die die wirtschaftliche Entwicklung ausdrückt und auch als Wirtschaftswachstum bezeichnet wird. Die Inlandsproduktrechnung setzt sich zusammen aus - der Entstehungs-, - der Verwendungs- und - der Verteilungsrechnung (Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Wiesbaden 2011, S. 3) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 225 2.2 Bruttoinlandsprodukt als zentraler Bestandteil der VGR Bruttoinlandsprodukt (Mrd. €; Quartalswerte; unten: Jahreswerte) Quelle: Statistisches Bundesamt 2.242 2.327 2.432 2.481 2.375 2.496 2.593 2.644 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 226 Entstehung, Verwendung und Verteilung des Bruttoinlandsprodukts 2012 (in Mrd. Euro) Quelle: Statistisches Bundesamt 227 2.2 Bruttoinlandsprodukt als zentraler Bestandteil der VGR Bruttoinlandsprodukte im Vergleich (2010; Mrd. €) Deutschland Frankreich Großbritannien Italien Griechenland Spanien Niederlande Österreich Euroraum EU Zum Vergleich: USA Japan China 2.496 1.948 1.454 (in GBP; Wert in € bei 0,9 GBP/€: 1.309) 1.549 230 1.063 591 284 9.204 12.281 14.658 5.459 5.878 (in US$; Wert in € bei 1,4 $/€: 10.470) (in US$; Wert in € bei 1,4 $/€: 3.899) (in US$; Wert in € bei 1,4 $/€: 4.199) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 228 2.3 Ein Bundesland zieht Bilanz Bilanz des Bundeslandes Hessen zum 31.12.2009 AKTIVA Mio € A Anlagevermögen I Immaterielle VG II Sachanlagen III Finanzanlagen 24.115 82 18.940 5.093 B Umlaufvermögen I Vorräte II Forderungen u. sonst. VG III Wertpapiere des UV IV Flüssige Mittel 11.140 264 10.480 7 389 C RAP D Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag Bilanzsumme 317 PASSIVA A Eigenkapital I Nettoposition II Jahresergebnis III Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag B SoPo Zuweisungen/Zuschüsse Mio € -57.879 -6.991 64.870 220 C Rückstellungen davon für Pensionen u.ä. 52.069 40.112 D Verbindlichkeiten davon Anleihen 48.142 21.551 64.870 E RAP 100.443 Bilanzsumme 11 100.443 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 229 2.3 Ein Bundesland zieht Bilanz Bilanzanalyse des Landes Hessen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 230 3 Die Rolle des Staates in der Volkswirtschaft 3 Die Rolle des Staates in der Volkswirtschaft Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 231 3.1 Wirtschaftssysteme als übergeordneter Rahmen Grundfrage: wie wird eine arbeitsteilige Wirtschaft mit tausenden Unternehmen, millionen Haushalten und milliarden Transaktionen gesteuert? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 232 3.1 Wirtschaftssysteme als übergeordneter Rahmen Grundsätzlich geht es um die Koordination der Einzelpläne der Wirtschaftseinheiten: Zentral Koordination der Einzelpläne der Wirtschaftseinheiten Dezentral Dementsprechend gestalten sich die grundlegenden Wirtschaftssysteme Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 233 3.1 Wirtschaftssysteme als übergeordneter Rahmen Begriffsdefinitionen:1 Wirtschaftssystem: … der theoretische Lösungsansatz der volkswirtschaftlichen Grundprobleme…, d.h. die Modellvorstellungen über die Möglichkeiten zur Bewältigung der auftretenden wirtschaftlichen Probleme. „Ein Wirtschaftssystem bezeichnet also ein erdachtes, rein logisches Gebilde, d.h. den als sinnvolle Einheit erscheinenden Typus einer wirtschaftlichen Ordnung.“ ⇒ 1 Theoretisch und hoch aggregiert; wenig operational vgl. Wagenblaß, H.: Volkswirtschaftslehre, öffentliche Finanzen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl., Heidelberg 2008, S. 35f. und die dort angegebene Literatur Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 234 3.1 Wirtschaftssysteme als übergeordneter Rahmen Begriffsdefinitionen:1 Wirtschaftsordnung: … gibt Auskunft über die in der Realität bestehende Lösung der wirtschaftlichen Probleme eines Landes. Wirtschaftsordnung ist der Inbegriff aller qualitativen Normen, die das Wirtschaftsgeschehen bestimmen und ordnen. Solche qualitativen Normen können einerseits Rechtsnormen sein, die sich auf die Wirtschaft beziehen, andererseits auch Verhaltensweisen (Konventionen) der Wirtschaftssubjekte, sei es in Form von speziellen privatrechtlichen Vereinbarungen … oder von allgemein gewohnheitsmäßigem Handeln … 1 vgl. Wagenblaß, H.: Volkswirtschaftslehre, öffentliche Finanzen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl., Heidelberg 2008, S. 35f. und die dort angegebene Literatur Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 235 3.1 Wirtschaftssysteme als übergeordneter Rahmen Begriffsdefinitionen:1 Wirtschaftsverfassung: Wird nur auf die gesetzlichen Normen zur Ordnung des Wirtschaftsgeschehens abgehoben, spricht man von Wirtschaftsverfassung. Wirtschaftsverfassung umfasst … die in Verfassung, Gesetzen und Rechtsverordnungen enthaltenen, auf das Wirtschaften bezogenen Normen. Die Wirtschaftsverfassung ist also ein Teil, wenn auch der maßgeblichste, der Wirtschaftsordnung eines Landes. 1 vgl. Wagenblaß, H.: Volkswirtschaftslehre, öffentliche Finanzen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl., Heidelberg 2008, S. 35f. und die dort angegebene Literatur Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 236 3.1.1 Marktwirtschaft Grundformen von Wirtschaftssystemen: Dezentrale Koordination der Einzelpläne der Wirtschaftseinheiten => (klassische) Marktwirtschaft Weitere konstituierende Prinzipien der (klassischen) Marktwirtschaft: Wichtigstes konstituierendes Prinzip: Freiheiten in Bezug auf wirtschaftliche Aktivitäten, z.B. - Konsumentensouveränität, Freizügigkeit, Freiheit der Berufswahl, Vertragsfreiheit (nicht zwingend übereinstimmend mit politischen Freiheiten und rechtlichen Freiheiten ohne Bezug zur Wirtschaftsordnung) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 237 3.1.1 Marktwirtschaft Weitere konstituierende Prinzipien der (klassischen) Marktwirtschaft: Dezentrale Koordination der Einzelpläne der Wirtschaftseinheiten bedeutet: - Entscheidungen über Produktion und Allokation liegen bei den Wirtschaftseinheiten - Die Nachfrager dominieren durch ihre Konsumentensouveränität - Markt als Koordinationsinstrument - Idealtypische Marktform: vollständige Konkurrenz Problem: „Tendenz zu Nullgewinnen“ (vgl. ) - vorwiegend Privateigentum an Produktionsfaktoren Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 238 3.1.1 Marktwirtschaft Rolle des Staates in der (klassischen) Marktwirtschaft: - Der Staat setzt den ordnungspolitischen Rahmen inkl. der Wirtschaftsverfassung - Im Umkehrschluss: Keine prozesspolitischen Eingriffe in Preise und Mengen, sondern Steuerung durch Markt und Wettbewerb - Der Staat sorgt für sichere Rahmenbedingungen Zusammengefasst setzt der Staat die Spielregeln fest, innerhalb derer die Wirtschaftseinheiten ihre Spielzüge vollziehen und wird lediglich in folgenden Funktionen aktiv: 1) Schutz nach innen und außen 2) Rechtsetzung und Rechtsprechung 3) Bereitstellung öffentlicher Güter Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 239 3.1.1 Marktwirtschaft Dezentrale Koordination der Einzelpläne der Wirtschaftseinheiten bedeutet somit einerseits: Individuelles und eigenverantwortliches planen und agieren der Wirtschaftseinheiten Es bedeutet aber auch: erhebliche Risiken für die Wirtschaftseinheiten, wie: Nichterfüllung von Bedürfnissen, Verdienstausfall, Konkurs Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 240 3.1.1 Marktwirtschaft Schlagworte „LaissezfairePrinzip“ „Nachtwächterstaat“ => Staat hat in einer Art „Nachtwächterfunktion“ lediglich für Ruhe und Ordnung zu sorgen (trifft auch für die klassische Marktwirtschaft nur eingeschränkt zu) => Den Wirtschaftseinheiten wird im Rahmen der Spielregeln Aktionsfreiheit gelassen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 241 3.1.1 Marktwirtschaft Erneutes Optimierungsproblem: Wie können nun die der klassischen Marktwirtschaft inhärenten Risiken reduziert werden, die Bedürfnisbefriedigung zum einen gesteigert und zum anderen gerechter gemacht werden, Unter Beibehaltung möglichst vieler Freiheiten? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 242 3.1.2 Planwirtschaft Das der klassischen Marktwirtschaft entgegenstehende Wirtschaftssystem ist die zentrale Planwirtschaft Wichtigstes konstituierendes Prinzip der zentralen Planwirtschaft ist die zentrale planerische Entscheidung über Produktion und Allokation. Eine zentrale Planinstanz entscheidet über die Produktionsprogramme an Gütern und Dienstleistungen, ausgehend von der vermeintlichen Kenntnis der optimalen Bedürfnisbefriedigung der Wirtschaftseinheiten. Grundlegendes Problem: Planungsprozesse unterliegen zwei Dimensionen der Ungewißheit: 1) Zukunftsbezug 2) Unvollständigkeit der Informationen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 243 3.1.2 Planwirtschaft Aus dem grundlegenden Prinzip der zentralen planerischen Entscheidungen über Produktion und Allokation resultieren weitere konstituierende Prinzipien der zentralen Planwirtschaft: - Prinzip der Planerfüllung - Daraus folgen eingeschränkte Freiheiten der Wirtschaftseinheiten - Hierarchische statt dezentraler Steuerung (top down vs. bottom up) - vorwiegend Kollektiveigentum an Produktionsfaktoren Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 244 3.1.2 Planwirtschaft Rolle des States in der zentralen Planwirtschaft: - Planfestlegung - Planumsetzung - Ggfs. Sanktionierung bei Nichteinhaltung - Steuerung der Produktionsfaktoren Darüber hinaus kommen dem Staat auch die Rollen zu, die er in der Marktwirtschaft hat: - Schutz nach innen und außen - Rechtsetzung und Rechtsprechung Die Funktion der Bereitstellung öffentlicher Güter erübrigt sich aufgrund der zentralen Planung der Bereitstellung sämtlicher Güter und Leistungen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 245 3.1.2 Planwirtschaft Idealtypischer Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus 1 (vereinfacht nach Karl Marx): - Grundsätzlich orientiert sich Marx an der Hegelschen Dialektik (These => Antithese => Synthese) - Klassenkonflikte sind die Treiber sozialer und ökonomischer Entwicklung - Im Kapitalismus realisieren die Kapitalisten Mehrwert durch stetige Erhöhung der Produktivität der Arbeiter - dies führt in zyklischen Bewegungen zu einem Anwachsen des Konzentrationsgrades in der Ökonomie und zu einer ansteigenden Arbeitslosigkeit - und schließlich zum Zusammenbruch des Kapitalismus wie vollzieht sich nun der konkrete Übergang zum Sozialismus? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 246 3.1.2 Planwirtschaft Idealtypischer Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus 2 (vereinfacht nach Karl Marx): - Der Kapitalismus ist auf stetiges Wachstum angewiesen, was ihn aber letztendlich zum Scheitern bringt - In der Phase des Spätkapitalismus liegt eine hohe Konzentration in der Ökonomie vor, so dass es nur verhältnismäßig wenige Eigentümer an den Produktionsfaktoren gibt - Auch der Markt- / Preismechanismus funktioniert durch den hohen Konzentrationsgrad nur noch eingeschränkt - Daher ist es relativ einfach, die Produktionsfaktoren in Kollektiveigentum übergehen zu lassen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 247 3.1.2 Planwirtschaft Idealtypischer Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus 3 (vereinfacht nach Karl Marx): Problem: der von Marx angedachte Übergang ist zwar theoretisch schlüssig; in der Realität waren die Rahmenbedingungen hierfür aber so nicht gegeben Beispiel: Russland im Revolutionsjahr 1917 => Klassengesellschaft auf niedrigem ökonomischen Entwicklungsstand statt ständig gewachsenem Kapitalismus mit hohem Konzentrationsgrad Behebungsversuch von Lenin: staatsmonopolistischer Kapitalismus (Stamokap): Weiterentwicklung des Kapitalismus bei staatlicher Kontrolle der Monopole und Kontrolle der Kapitalisten durch Arbeiterräte Reale ökonomische Entwicklung in der Sowjetunion: extreme Industrialisierung und Kollektivierung Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 248 3.1.2 Planwirtschaft Konsequenz der zentralen planerischen Entscheidung über Produktion und Allokation: Suboptimale Produktions- und Allokationsprozesse - Keine noch so gut planende Instanz ist in der Lage, die Milliarden Transaktionen innerhalb einer Volkswirtschaft im Vorhinein so festzulegen, dass ein Optimum annäherungsweise erreicht wird (und wenn, dann beruht es einerseits auf Zufall und ist andererseits auch nicht validierbar) - Durch die Einschränkung eigenverantwortlichen und den Individualnutzen erhöhenden Verhaltens fehlt es an entsprechenden Anreizsystemen für die Wirtschaftseinheiten (die wohlfahrtssteigernden „nicht intendierten Folgen intendierten Handelns“ (vgl. 1.1 sowie 3.3.3) bleiben aus) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 249 3.1.2 Planwirtschaft Daher stellt sich erneut die Frage, wie eine Balance zwischen der Förderung von Freiheiten und der Reduktion von Risiken herbeigeführt werden kann, mit anderen Worten: Eine Aktivierung des Selbstinteresses der Wirtschaftseinheiten (ungleich Egoismus) als Motivation zur Leistung und letztendlich zur Förderung des Gemeinwohls (ungleich Planwirtschaft) bei Abfederung existenzieller Risiken, insbesondere der Wirtschaftseinheiten mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit (ungleich klassische Marktwirtschaft) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 250 3.1.3 Soziale Marktwirtschaft Konstituierende Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft erster Grundsatz: „freie Märkte“ - Basis bilden die o.g. konstituierenden Prinzipien der klassischen Marktwirtschaft - Funktionierende Markt- / Preismechanismen und freie Marktzugänge gewährleisten eine optimale Bedürfnisbefriedigung - Weitgehendes Privateigentum an Produktionsfaktoren und Wettbewerbsstrukturen bieten den Unternehmern Anreize, kostengünstig zu produzieren und zur effizienten Bedürfnisbefriedigung beizutragen - Gleichzeitig wird zu Innovation und technischem Fortschritt motiviert und eine Verteilung von Einkommen und Gewinn nach individueller Leistung herbeigeführt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 251 3.1.3 Soziale Marktwirtschaft Konstituierende Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft – zweiter Grundsatz: „sozialer Ausgleich“: - Über den ordnungspolitischen Rahmen hinaus erfolgen Korrekturen des Staates o zur Absicherung der Bürger o zum Ausräumen von Marktversagen o zur Erreichung wirtschaftspolitischer Ziele - Art und Ausprägung der staatlichen Aktivitäten treten in unterschiedlichsten Ausprägungen in Bezug auf Eingriffsart und -intensität auf - Grundsätzlich sollte aber das Subsidiaritätsprinzip gelten Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 252 3.1.3 Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhard (CDU; 1897 – 1977; 1949 – 1963 erster Bundeswirtschaftsminister; 1963 – 1966 Bundeskanzler) Gilt als „Vater der sozialen Marktwirtschaft“ in Deutschland Bildquelle: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 253 3.1.3 Soziale Marktwirtschaft Schlagworte „Neoliberalismus“ „Ordoliberalismus“ - … sind Ausgestaltungsformen der sozialen Marktwirtschaft Hauptvertreter: Walter Eucken stärkere Betonung des „freie Märkte“ – Grundsatzes aber immer auch in Verbindung mit dem „sozialer Ausgleich“ – Grundsatz Argumentation: je erfolgreicher die wirtschaftspolitische Komponente, desto weniger intensiv ist die sozialpolitische Komponente erforderlich - har nichts mit Ausbeutung oder Machtmißbrauch zu tun, was im Kontext der Wirtschafts- und Finanzkrise häufig behauptet wird => Zu unrecht stigmatisiert Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 254 3.1.3 Soziale Marktwirtschaft Wichtige Ökonomen: Alfred Müller-Armack (1901 - 1978) Namensgeber der sozialen Marktwirtschaft Standpunkte: - Zielharmonie (und nicht –konflikt) zwischen wettbewerblich-marktwirtschaftlicher Ordnung und sozialem Fortschritt - Daher ist das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden - Dies geschieht in Form einer sozialen Marktwirtschaft, die den Wunsch nach Freiheit und sozialer Gerechtigkeit mit den Einsichten in das Instrumentarium des Marktapparates in Einklang bringt Hauptwerk: Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik (1966; Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 255 3.1.4 Konvergenz der Systeme Kontinuum der Wirtschaftssysteme Dezentral „Kapitalismus“ Klassische Marktwirtschaft Zentral „Neoliberalismus“ „Marktsozialismus“ Soziale Marktwirtschaft „Sozialismus“ Zentrale Planwirtschaft ⇒ Unterschiedliche Ausprägungen / Überschneidungen (z.B. Ausmaß von Kollektivgütern und Transferleistungen) ⇒ Idealtypisch geprägt; die realen Ausprägungen stellen die Wirtschaftsordnungen dar Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 256 3.1.4 Konvergenz der Systeme Die Konvergenztheorie der Wirtschaftssysteme Bereits 1946 konstatierte Walter Eucken: „Das ist das wichtige Ergebnis der neusten Wirtschaftsgeschichte. Beide Wirtschaftsformen [gemeint sind Zentralverwaltungswirtschaft und freie Wirtschaft] berühren sich im übrigen auch in ihrem Aufbau sehr nahe. Der IG-Farbenkonzern oder die großen Kohlensyndikate haben sich ohne weiteres in die deutsche Zentral-Verwaltungswirtschaft des Krieges eingeführt, und zwischen amerikanischen Trusts und russischen zentralen Planstellen besteht nur ein kleiner Unterschied. >Kapitalismus< und >Sozialismus< bekämpfen sich in der Doktrin; de facto gehen sie ineinander über.“ (Walter Eucken im Januar 1946, zitiert in: Piper, N. (Hrsg.): Die grossen Ökonomen, Stuttgart 1994, S. 197) Gleichzeitig erklärt Eucken die Methoden sowohl der Zentralverwaltungswirtschaft als auch der freien Wirtschaft für gescheitert. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 257 3.1.4 Konvergenz der Systeme Was halten Sie von Euckens Einschätzungen? Bedenken Sie dabei auch den historischen Kontext Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 258 3.1.4 Konvergenz der Systeme Die Konvergenztheorie der Wirtschaftssysteme - Die Konvergenztheorie entstammt aus den 50er/60er Jahren und besagt, dass sich Markt- und Planwirtschaft in der Realität einander annähern, nicht zuletzt deswegen, da in beiden Systemen die gleichen sich ändernden Rahmenbedingungen bewältigt werden müssen - Zur damaligen Zeit des „Kalten Krieges“ zeigten sich in den westlichen Marktwirtschaften verstärkt soziale Elemente (z.B. in Schweden) und umgekehrt marktliche Elemente in den osteuropäischen Ländern (z.B. der sogenannte „Gulaschkommunismus“ in Ungarn, Marktsozialismus in Jugoslawien) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 259 3.1.4 Konvergenz der Systeme Die Konvergenztheorie der Wirtschaftssysteme - Demnach würde sich idealtypisch ein Einpendeln in einer Ausgestaltungsform innerhalb der Bandbreite der sozialen Marktwirtschaft ergeben - Analogien: Innovation als Versuchs- und Irrtumsprozess Hegelsche Dialektik (These => Antithese => Synthese), die von Karl Marx übernommen wurde (vgl. 3.1.2) Wie beurteilen Sie die Validität der Konvergenztheorie? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 260 3.1.4 Konvergenz der Systeme Fazit: Systeme in Reinkultur kommen nicht vor Es kommt auf die Ausgestaltung der jeweiligen Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung an Diese unterliegt situativen Bedingtheiten (z.B. Verstaatlichung in der Finanzkrise in einem System der (sozialen) Marktwirtschaft) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 261 3.2 Ziel der Wirtschaftspolitik Was sollten Ziele der Wirtschaftspolitik sein? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 262 3.2.1 Freiheitspostulat „Die Freiheit ist ein wundersames Tier … man schließt sie ein und augenblicklich ist sie weg.“ (Georg Danzer: Die Freiheit) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 263 3.2.1 Freiheitspostulat Freiheiten sind ein grundlegendes Prinzip der sozialen Marktwirtschaft Dabei handelt es sich um - Wahlfreiheit; nicht im politischen Sinne, sondern in Bezug auf o den Gütermarkt (als Anbieter wie auch als Nachfrager) sowie o den Arbeitsmarkt (Freiheit der Berufswahl) - Vertragsfreiheit - Freiheit des (Privat) Eigentums - Freizügigkeit (nicht zwingend übereinstimmend mit politischen Freiheiten und rechtlichen Freiheiten ohne Bezug zur Wirtschaftsordnung; vgl. 3.1.1) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 264 3.2.1 Freiheitspostulat Freiheiten sind ein grundlegendes Prinzip der sozialen Marktwirtschaft „Vom Ziel der Freiheit her gesehen ist deswegen die Erhaltung der marktwirtschaftlichen Ordnung die wichtigste Aufgabe der Wirtschaftspolitik“ (Woll, S. 79) Weitere wirtschaftspolitische Ziele sind in einem konkreten Gesetz Kodifiziert, dem „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG)“ von 1967 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 265 3.2.2 Gesamtwirtschaftliche Ziele gemäß StWG §1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) von 1967 besagt: „Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der Marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig - zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand, und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen“ Daraus resultiert das sogenannte „magische Viereck“ der Wirtschaftspolitik Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 266 3.2.2 Gesamtwirtschaftliche Ziele gemäß StWG Kontext 1967: - Erste „Wirtschaftskrise“ nach dem kontinuierlichen Aufschwung des „Wirtschaftswunders“ der 50er Jahre - War zur damaligen Zeit alarmierend, würde heute aber nicht als Krise gewertet - Beispieldaten für 1967: Arbeitslosenquote: 2,2% (1966: 0,7%) nach heutiger Interpretation immer noch Vollbeschäftigung Wirtschaftswachstum: -0,2% (1966: 2,8%) - Gleichzeitig: Inflationsgefahr durch stark ansteigende Löhne und Preise - daher wurden durch restriktive Geldpolitik Kredite verteuert, was zu einem Rückgang privater und öffentlicher Investitionen führte - zudem erfolgte ein Sparprogramm der Bundesregierung zur Kompensation von Einnahmeausfällen durch Steuersenkungen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 267 3.2.2 Gesamtwirtschaftliche Ziele gemäß StWG Das magische Viereck Preisniveaustabilität Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum Hoher Beschäftigungsstand AußenwirtSchaftliches Gleichgewicht Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 268 3.2.3 Erweiterung des Zielkataloges des StWG Das magische Viereck wird in aktuelleren Beiträgen zur Ökonomie häufig um ein bzw. zwei Ziele erweitert, nämlich: - Verteilungsgerechtigkeit und - Nachhaltigkeit so dass ein Sechseck mit unterschiedlichen Abhängigkeiten resultiert Preisniveaustabilität Stetiges u. angemessenes Wi.wachstum Preisniveaustabilität Hoher Beschäftigungsstand AußenwirtSchaftliches Gleichgewicht Verteilungsgerechtigkeit Stetiges u. angemessenes Wi.wachstum Hoher Beschäftigungsstand Nachhaltigkeit AußenwirtSchaftliches Gleichgewicht Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 269 3.2.3 Erweiterung des Zielkataloges des StWG Aktuelles weiteres wirtschaftspolitisches Ziel: Ausgeglichener Staatshaushalt – Einhaltung der Maastricht-Kriterien Manifestiert durch „Schuldenbremsen“ in Staatsverfassungen Begriffsbestimmung laut Bundesfinanzministerium: Die Schuldenbremse sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern in Zukunft grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auskommen. Diese Regelung wurde im Grundgesetz verankert. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 270 3.2.4 Beschreibung und Operationalisierung der Ziele Im Folgenden werden die in 3.2.1 – 3.2.3 hergeleiteten wirtschaftspolitischen Ziele … - eingehender beschrieben und analysiert (z.B. in Bezug auf Relevanz und Folgen bei Nichterreichung) - anhand von Kenzahlen und Zeitreihen aus den amtlichen Statistiken quantifiziert - in Bezug auf den Erreichungsgrad diskutiert - in einem ersten Schritt mit eventuell passfähigen Maßnahmen zur Zielerreichung in Verbindung gebracht (ausführlich dann in 3.3) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 271 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Preisniveaustabilität - Bedeutet im übertragenen Sinne die Vermeidung von Inflation - Zielt nicht auf Einzelmärkte (Preis eines bestimmten Gutes), sondern auf das Gesamt-Preisniveau einer Volkswirtschaft ab - Zur Messung dient daher ein Warenkorb, der den Großteil der zur Lebenshaltung konsumierten Waren und Leistungen abbildet; dieser ist über die Zeit in der Zusammensetzung und Gewichtung der Elemente untereinander dynamisch - Dem Ziel der Preisniveaustabilität kommt in Deutschland - historisch bedingt - eine hohe Bedeutung zu (Währungsreformen; Hyperinflation) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 272 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Preisniveaustabilität Ziel ist es nicht, das Preisniveau konstant zu halten; ein moderater Anstieg des Preisniveaus ist ökonomisch erwünscht, um die Dynamik der Wirtschaft aufrechtzuerhalten (Zielharmonie mit dem Ziel des stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums). Bei moderat steigenden Preisen sind Konsumenten und Unternehmen motiviert zu konsumieren und zu investieren. Daher gilt als Grenze für Preisniveaustabilität nicht „Null%“. Nach herrschender Meinung herrscht bis zu einem Preisanstieg von 2% Preisniveaustabilität Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 273 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Preisniveaustabilität Ein Nichterreichen der Preisniveaustabilität / Eintreten von Inflation hat eine Vielzahl von Negativwirkungen auf die Volkswirtschaft, die die wirtschaftspolitische Relevanz rechtfertigen, wie z.B. - Fehlallokationen von Gütern und Faktoren aufgrund falscher Preissignale - „Nachzieheffekte“ für Löhne, Transferleistungen und Sparvermögen; ein Inflationsausgleich setzt hier erst zeitlich versetzt ein Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 274 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Preisniveaustabilität Weitere Negativwirkungen bei Nicht Erreichen von Preisniveaustabilität: - Missverhältnisse zwischen gegebenen Krediten und Tilgungen; im Falle der Inflation Benachteiligung der Kreditgeber - Missverhältnisse im Außenhandels - Preisniveau, falls keine analogen Devisenkurseffekte entstehen Demgegenüber steht die Hypothese der Phillips – Kurve, die besagt, dass ein Absinken der Arbeitslosigkeit durch Inflation „erkauft“ werden kann (vgl. 3.2.4.8) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 275 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Preisniveaustabilität Auch Deflation, d.h. ein Absinken des Preisniveaus ist volkswirtschaftlich mit Negativwirkungen verbunden und insofern nicht erstrebenswert: Durch die Erwartung sinkender Preise drosseln sowohl die privaten Haushalte ihre Konsumaktivitäten als auch die Unternehmen ihre Investitionsaktivitäten auf das unbedingt erforderliche. Die Wirtschaft erlahmt, technischer Fortschritt und Innovationen verlangsamen ebenfallsEs entsteht ein Zielkonflikt mit dem Ziel des stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 276 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Ursachen für Preisniveau un stabilität / Inflation Grundsätzlich ist jede Inflation geldmengeninduziert: - Die Geldmenge steigt – bei konstanter Umlaufgeschwindigkeit des Geldes – stärker als die Gütermenge einer Volkswirtschaft oder - Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigt bei gegebener Geld- und Gütermenge Diese Sachverhalte resultieren letztendlich aus Veränderungen in Angebot und / oder Nachfrage auf den Gütermärkten. Es ist zu unterscheiden zwischen einer - Nachfrageinflation und einer - Angebotsinflation Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 277 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Ursachen für Preisniveau un stabilität / Inflation - Nachfrageinflation: bei annähernder Vollauslastung der Produktionskapazitäten erhöhen sich eine oder mehrere Nachfragekomponenten (Konsumgüter-, Investitionsgüter-, Staats- oder Exportnachfrage) da eine Ausweitung der Produktionskapazitäten zumindest kurzfristig nicht möglich ist, erhöhen sich die Preise der entsprechenden Gütergruppen und somit das Gesamtpreisniveau Gegenmaßnahmen wären nachfragereduzierende Eingriffe wie Steuererhöhungen, Senkung der Staatsausgaben oder Währungsaufwertung Die Nachfrageinflation kann allerdings nur Preisniveauanstiege in konjunkturellen Hochphasen erklären. In der Realität tritt aber auch Inflation ohne Vollauslastung der Produktionskapazitäten auf Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 278 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Ursachen für Preisniveau un stabilität / Inflation - Angebotsinflation: Ursache für eine Angebotsinflation (auch Verteilungskampfinflation) ist der Versuch der gesellschaftlichen Gruppen, ihre reale Einkommensposition zu verbessern1 Ausprägungsformen: die Arbeitnehmer erhöhen ihre Lohnkosten, der Staat erhöht (Kosten-)Steuern, importierte Kosteninflation, z.B. durch Ölpreise Unternehmer nutzen Marktmacht für Preisanstiege Der Versuch der Verbesserung der realen Einkommensposition wird somit zumindest teilweise durch eine Preisniveauanstieg kompensiert. Gegenmaßnahmen sind den Produktivitätsanstieg nicht übersteigende Faktorkosten (inkl. Kostensteuern) und Verhinderung von Marktmachtmißbrauch durch Wettbewerbspolitik 1 vgl. Mussel / Petzold, S. 129 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 279 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 280 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Index der Verbraucherpreise, Veränderung gegenüber dem Vorjahresmonat in % Quelle: Statistisches Bundesamt Grenzwert „Preisniveaustabilität“ Gefahr: steigendes Preisniveau durch die hohe Geldmengenausweitung im Kontext der Finanzkrise Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 281 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Was sind Ihres Erachtens die Gründe für den aktuellen Anstieg des Preisniveaus? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 282 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 283 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 284 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 285 3.2.4.1 Preisniveaustabilität Ist der Warenkorb in Zusammensetzung und Gewichtung für Studenten valide? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 286 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Hoher Beschäftigungsstand - Bedeutet im Umkehrschluss die Vermeidung von Arbeitslosigkeit - Wird determiniert durch die o Anzahl der registrierten Arbeitslosen o Anzahl der Beschäftigten o Anzahl der offenen Stellen - und gemessen durch die Arbeitslosenquote: Arbeitslosenquote auf Basis aller zivilen Erwerbspersonen = Arbeitslose alle zivile Erwerbstätige + Arbeitslose X 100 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 287 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Hoher Beschäftigungsstand Auch hier ist das Ziel nicht „gleich Null“. Bei einer Arbeitslosenquote von 2 bis 3% wird noch von Vollbeschäftigung gesprochen; hierbei handelt es sich um einen Sockel an „Sucharbeitslosigkeit“. Mögliche Gründe: Umzug Unternehmensaufgabe Ausbildungsende Persönliche Weiterentwicklung Diese kann sogar erwünscht sein, um eine optimalere Allokation zu erreichen (kurzfristige Sucharbeitslosigkeit, um eine passendere Beschäftigung zu finden) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 288 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Hoher Beschäftigungsstand Ein hoher Beschäftigungsstand bzw. eine Arbeitslosenquote, die nicht höher als 2 – 3% ausfällt, ist von hoher wirtschaftsund sozialpolitische Relevanz: Bei Arbeitslosigkeit ist kein wohlfahrtspolitisches Optimum erreicht. Entsprechende Transferleistungen sind im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft erforderlich. Daneben liegen negative soziale Auswirkungen auf unterschiedlichen Ebenen vor: individuelle, familiäre, örtliche, regionale als auch gesellschaftliche Ebene Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 289 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 290 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 291 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 292 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 293 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 294 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 295 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Arten / Ursachen von Arbeitslosigkeit Verbreitung Gesatmtwirtschaftliches Phänomen Zeitdauer Teilwirtschaftliches Phänomen Kurzfristig Friktionelle Arbeitslosigkeit Saisonale Arbeitslosigkeit Vorübergehend (temporär) Konjunkturelle Arbeitslosigkeit Strukturalisierte konjunkturelle Arbeitslosigkeit Wachstumsdefizitäre AL Strukturelle Arbeitslosigkeit i.e.S. Anhaltend (zählebig) Strukturelle Arbeitslosigkeit im weiteren Sinne Quelle: Mussel / Pätzold, S. 37 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 296 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Arten und Ursachen von Arbeitslosigkeit – Erläuterung:1 Vorbemerkung: hier erfolgt eine reine Deskription; Maßnahmen gegen die Entsprechenden Formen der AL werden in 3.3.2.4 beschrieben. - Friktionelle AL: Sockel-AL, die gesamtwirtschaftlich sogar erwünscht sein kann (s.o.), sofern die Vollbeschäftigungsquote von 2-3% AL nicht überschritten wird - Saisonale AL: Kurzfristige Sockel – AL; gesamtwirtschaftlich nicht erwünscht aber ebensowenig vermeidbar - Konjunkturelle AL: In Folge eines konjunkturellen Abschwungs sinkt die Güter- und daraufhin die Arbeitsnachfrage branchenübergreifend; gleicht sich in der nächsten Aufschwungphase wieder aus 1 in Anlehnung an Mussel / Pätzold, S. 36ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 297 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Arten und Ursachen von Arbeitslosigkeit – Erläuterung:1 - Strukturalisierte konjunkturelle AL: Auf bestimmte Wirtschaftszweige, Regionen oder Berufsgruppen beschränkte konjunkturelle AL, z.B. Baubranche, ländliche Regionen in den „neuen“ Bundesländern, Speisenzubereitung, Hochbau - Wachstumsdefizitäre AL: Anhaltend zu geringes Wirtschaftswachstum über alle Branchen, Regionen und Berufsgruppen (allerdings mit unterschiedlichen Betroffenheitsgraden) - Strukturelle AL im engeren Sinne: Anhaltende Unterbeschäftigung in bestimmten Branchen, Regionen oder Berufsgruppen 1 in Anlehnung an Mussel / Pätzold, S. 36ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 298 3.2.4.2 Hoher Beschäftigungsstand Wie ist die Beschäftigungssituation in Deutschland vor dem Hintergrund dieser Klassifizierung einzuordnen? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 299 Innerhalb Deutschlands liegen signifikante regionale Unterschiede in Bezug auf die Höhe der Arbeitslosenquote vor (vgl. vorherige Folie) Auch innerhalb der Bundesländer herrscht teilweise Heterogenität in Bezug auf die Höhe der Arbeitslosenquote 300 3.2.4.3 Außenwirtschaftliches Gleichgewicht Außenwirtschaftliches Gleichgewicht - Fokussiert auf eine Ausgeglichenheit der Leistungsbilanz (Im- und Export von Gütern und Leistungen); diese ist wiederum Bestandteil der Zahlungsbilanz (vgl. die folgende Folie) - im weiteren Sinne werden auch Kapitalbilanz sowie internationale Transaktionen (z.B. Entwicklungs- oder Katastrophenhilfe) berücksichtigt - auch hier ist das Ziel nicht ein dauerhafter Ausgleich im Sinne eines „Nullsaldo“ der Leistungsbilanz; angestrebt wird vielmehr ein langfristiges Gleichgewicht der Leistungsbilanz Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 301 3.2.4.3 Außenwirtschaftliches Gleichgewicht Außenwirtschaftliches Gleichgewicht - Leistungsbilanz Leistungsbilanz soll haben Handelsbilanz Güterexport Dienstleistungsbilanz Dienstleistungsexport Übertragungsbilanz laufende unentgeltliche erhaltene Übertragungen Güterimport Dienstleistungsimport laufende unentgeltliche geleistete Übertragungen Saldo aus grenzüberschreitendem Erwerbs- und Vermögenseinkommen Fehlbetrag Überschuss Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 302 3.2.4.3 Außenwirtschaftliches Gleichgewicht Außenwirtschaftliches Gleichgewicht – Zahlungsbilanz Die Zahlungsbilanz umfasst neben der Leistungsbilanz noch folgende Teilbilanzen: - Kapitalbilanz (Kapital- / Devisenim- und –exporte) - Devisenbilanz (Veränderung der Währungsreserven der Zentralbank) - Vermögensübertragungen einmaliger / außergewöhnlicher Art (im Gegensatz zu den laufenden Übertragungen in der Übertragungsbilanz der Leistungsbilanz) - Saldo / Restpostenbilanz Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 303 3.2.4.3 Außenwirtschaftliches Gleichgewicht Wie sind hier im Zeitalter der globalen Arbeitsteilung die „Systemgrenzen“? Was ist von der positiv besetzten Rolle Deutschlands als „Exportweltmeister“ zu halten? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 304 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 305 Außenhandelsbilanz in Mrd. Euro (Monatswerte!) Quelle: Statistisches Bundesamt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 306 3.2.4.3 Außenwirtschaftliches Gleichgewicht Außenwirtschaftliches Gleichgewicht: Starke globale Unterschiede in - Absoluter Höhe - Zusammensetzung in Bezug auf Güter und Dienstleistungen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 307 3.2.4.3 Außenwirtschaftliches Gleichgewicht Fazit „Außenwirtschaftliches Gleichgewicht“ Ziel erreicht? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 308 3.2.4.4 Wirtschaftswachstum Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum - Wirtschaftswachstum ist prinzipiell wohlstandsfördernd, da o auf der Versorgungsseite ein höheres Niveau erreicht wird o auf der Verteilungsseite weniger Friktionen auftreten, wenn die Grundgesamtheit dessen, was zur Verfügung steht, wächst - Wirtschaftswachstum ist zudem Voraussetzung für einen hohen Beschäftigungsstand; ein mögliches Beschäftigungswachstum ist jedoch tendenziell kleiner als das Wirtschaftswachstum, das auch durch technischen Fortschritt determiniert wird Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 309 3.2.4.4 Wirtschaftswachstum Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum - Operationalisiert wird Wirtschaftswachstum durch den Grad der Auslastung der Produktionskapazitäten, d.h. der Faktoren Arbeit, natürliche Ressourcen und Kapital - Gemessen wird das Wirtschaftswachstum in Form der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes (inflationsbereinigt) - Wirtschaftswachstum ist in Einklang mit dem Nachhaltigkeitsziel zu bringen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 310 3.2.4.4 Wirtschaftswachstum Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum => => Was ist „angemessen“? Ist Wohlstand ohne Wachstum möglich? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 311 3.2.4.4 Wirtschaftswachstum Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum: Bruttoinlandsprodukt (Mrd. €; Quartalswerte) Quelle: Statistisches Bundesamt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 312 3.2.4.4 Wirtschaftswachstum Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum: Bruttoinlandsprodukt (Veränderung in %) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 313 3.2.4.5 Verteilungsgerechtigkeit Verteilungsgerechtigkeit - Grundprinzip: Verteilung nach Leistung - Hiervon kann es ungewollte Ausnahmen geben, wenn: o Leistungsfähigkeit vorhanden ist, es aber an Einsatzmöglichkeiten fehlt (Unterbeschäftigung) o Einsatzmöglichkeiten vorhanden sind, die Leistungsfähigkeit aber eingeschränkt ist (z.B. durch Behinderung) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 314 3.2.4.5 Verteilungsgerechtigkeit Verteilungsgerechtigkeit - In diesen Fällen erfolgen Transferleistungen durch den Staat (bei vorhandener Leistungsfähigkeit und Einsatzmöglichkeiten sollten diese nicht erfolgen, d.h. es ist eine Anreizkomponente zu implementieren) - Transferleistungen können zweckgebunden (z.B. für Mieten) oder frei disponibel sein (direkter monetärer Transfer) - Eine von Allen empfundene Verteilungsgerechtigkeit ist nicht realisierbar Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 315 3.2.4.5 Verteilungsgerechtigkeit Verteilungsgerechtigkeit Zusammengefasst liegen Handlungsbedarfe vor, wenn Leistungsfähigkeit und / oder Leistungsbereitschaft eingeschränkt sind. Liegen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft vor, sind entsprechende Einsatzmöglichkeiten zu gewährleisten (Vermeidung von Arbeitslosigkeit). Was sind geeignete Anreiz- und / oder Sanktionsinstrumente, wenn die Leistungsfähigkeit und / oder die Leistungsbereitschaft eingeschränkt sind? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 316 3.2.4.5 Verteilungsgerechtigkeit Verteilungsgerechtigkeit Fazit: Leistung ist ausschlaggebend „Gleichmacherei“ ist wohlfahrtsökonomisch unsinnig Absicherung im Sinne der sozialen Marktwirtschaft (Prinzip 2) bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit oder mangelnden Einsatzmöglichkeiten ist erforderlich Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 317 3.2.4.6 Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit (Sustainability; sustainable development): Definition „sustainable development“ der sogenannten Brundtland – Kommission von 1987: „process of change in which the use of resources, the structure of investments, the orientation of technical progress and the institutional structures are made consistent with future and present needs“ Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 318 3.2.4.6 Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit (Sustainability; sustainable development): Umsetzung durch stoffpolitische Konzepte ⇒ von der Durchfluss- zur Kreislaufwirtschaft (Stoffstromorientierung; geschlossene Systeme) ⇒ von der Material- und Energieverschwendung zu höherer Produktivität und Energieeffizienz ⇒ von „end–of-pipe-Techniken“ zu integrierten Umweltschutztechniken (Schadensvermeidung statt Schadensabsorbierung) Aber: Problem des Ausschlussprinzips (vgl. 1.6) Funktioniert nur global, nicht in einzelnen Volkswirtschaften Hat zu enorm hoher Regelungsdichte im Umweltbereich geführt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 319 3.2.4.6 Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit (Sustainability; sustainable development): Nachhaltigkeit ist sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht zu gewährleisten Beispiel Forstwirtschaft: => Quantitative Nachhaltigkeit: es wird nur die Menge abgeholzt / gerodet, die auch nachwächst (Problem: Systemgrenzen) => Qualitative Nachhaltigkeit: es wird darauf geachtet, dass die nachwachsende Menge im Vergleich zur abgeholzten / gerodeten mindestens ökologisch gleichwertig ist (kein Roden von Urwäldern und Ersatz durch schnellwachsende Monokulturen) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 320 3.2.4.6 Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit (Sustainability; sustainable development): Anzustreben ist ein Zustand, indem gleich mehrere wirtschaftspolitische Ziele harmonieren und die Zielerreichung simultan gesteigert werden kann: - Nachhaltigkeit durch die Entwicklung und Förderung innovativer und integrativer Umweltschutztechnologien - Positiver Beschäftigungseffekt durch Einsatz und Export dieser Technologien - Wirtschaftswachstum und Außenhandelsimpuls Auch: „Doppelte Dividende“ (mehr Nachhaltigkeit und gleichzeitig positiver Beschäftigungs- und Wachstumseffekt) Dem entgegen steht der Vorwurf der Standortbenachteiligung / Produktionsverteuerung durch strenge Umweltregelungen zur Internalisierung externer Effekte Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 321 3.2.4.6 Nachhaltigkeit Diskussion: Doppelte Dividende vs. Standortbenachteiligung durch Umweltregelungen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 322 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Konvergenzkriterien für Beitrittskandidaten der Währungsunion (Maastricht – Kriterien; Stabilitätspakt 1992) - Preisniveaustabilität: Die Inflationsrate darf nicht größer sein als der Mittelwert der drei Länder mit der geringsten Preissteigerungsrate + 1,5% - Punkte - Haushaltsstabilität: Neuverschuldung: max. 3% des BIP Schuldenstand: max. 60% des BIP (temporäre Ausnahmen möglich) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 323 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Konvergenzkriterien für Beitrittskandidaten der Währungsunion (Maastricht – Kriterien; Stabilitätspakt 1992) - Wechselkursstabilität: Teilnahme am Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems; keine Abwertung und keine Schwankungen >15% im Vergleich zum Währungssystem in den letzten zwei Jahren - Zinssatzstabilität: Der Zinssatz langfristiger Staatsanleihen eines Landes darf nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem Mittelwert der drei Länder mit der höchsten Preisniveaustabilität liegen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 324 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Kriterien für Mitglieder der Währungsunion (Stabilitäts- und Wachstumspakt 1997): Dauerhaft geltende Regelungen für die „Euro – Länder“: - Neuverschuldung: max. 3% des BIP - Schuldenstand: max. 60% des BIP Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 325 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt 1997 2000 2005 2010 2011 2012 EU 27 -2,6 0,6 -2,5 -6,5 -4,4 -4,0 Euro 17 -2,7 0,0 -2,5 -6,2 -4,2 D -2,6 1,3 -3,3 -3,3 -1,0 -3,7 0,2 F -3,3 -1,5 -2,9 -7,1 -5,2 -4,8 GB -2,2 3,6 -3,4 -10,2 -8,3 I -2,7 -0,8 -4,3 -4,6 -3,9 -6,3 Quelle: eurostat -3,0 GR k.A. -3,7 -5,2 -10,5 -9,1 -10,0 E -3,4 -1,0 1,0 -9,3 -8,5 P -3,4 -2,9 -5,9 -9,8 -4,2 -10,6 -6,4 IRL 1,1 4,7 1,6 -31,2 -13,1 NL -1,2 2,0 -0,3 -5,1 -4,7 -7,6 -4,1 A -1,8 -1,7 -1,7 -4,5 -2,6 -2,5 2,2 -0,2 1,6 0,2 1,0 -0,3 EST Neuverschuldung in % des BIP ausgewählter EU – Länder: Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 326 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt 2011: 2.085 Mrd. € 2012: 2.166 Mrd. € Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 327 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Staatsverschuldung - Werte ausgewählter Länder 2011: (in% des BIP; Quelle: Eurostat) Deutschland Frankreich Großbritannien Italien Griechenland Spanien Portugal Irland Niederlande Österreich Estland 81 86 86 120 165 69 108 108 65 72 6 Zum Vergleich (Quelle: statista, IMF): USA 103 Japan 230 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 328 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Allgemeines zur Schuldenbremse (Quelle: Bundesfinanzministerium) Ziel der Schuldenbremse ist es, die langfristige Tragfähigkeit der Haushalte von Bund und Ländern und die finanziellen Handlungsspielräume zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben zu sichern. Die Föderalismuskommission II hat sich für die folgenden Neuerungen bei der Schuldenbremse ausgesprochen: - Im Grundgesetz wird der Grundsatz eines ohne Einnahmen aus Krediten ausgeglichenen Haushalts festgeschrieben. - Beim Bund ist eine strukturelle Verschuldung nur noch in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zulässig. - Konjunkturellen Effekten wird besser Rechnung getragen: Eine konjunkturbedingte Erhöhung der Kreditaufnahme in Abschwungphasen muss in Aufschwungphasen auch wieder ausgeglichen werden. - Eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder andere außergewöhnliche Notsituationen sichert die notwendige Handlungsfähigkeit des Staates zur Krisenbewältigung. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 329 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Allgemeines zur Schuldenbremse (Quelle: Bundesfinanzministerium) - Drohende Haushaltsnotlagen sollen künftig schneller erahnt und so besser bekämpft werden. Dazu wird ein Stabilitätsrat geschaffen, der die Haushalte von Bund und den einzelnen Ländern überwacht und ein Sanierungsverfahren einleiten kann. Die Neuregelung (Art. 109 und Art. 115 GG) gelten für Bund und Länder ab dem Jahr 2011. Im Rahmen einer Übergangsregelung (Art. 143d Abs. 1 GG) ist festgelegt, dass für den Bund noch bis einschließlich 2015 und für die Länder bis einschließlich 2019 Abweichungen möglich sind. Über Konsolidierungshilfen wird es den ärmeren Bundesländern Bremen, Berlin, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein möglich gemacht, die Vorgaben der Schuldenbegrenzung ab dem Jahr 2020 zu erfüllen. Weiterhin soll zur Überwachung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern ein gemeinsamer Stabilitätsrat eingesetzt werden, der insbesondere der Vermeidung von Haushaltsnotlagen dienen soll (Art. 109a GG). Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 330 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Wie beurteilen Sie die gesetzlichen Maßnahmen zur „Schuldenbremse“? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 331 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt „Teufelskreis des Downgrading“ 1) Wegen hohen Schuldenstandes kann ein Land nur noch zu immer weiter steigenden Zinsaätzen Staatsanleihen aufnehmen 2) Die Ausfallversicherungen für die entsprechenden Staatsanleihen (Credit Default Swaps – CDS) verteuern sich 3) Die Rating – Agenturen stufen das Land herab 4) Die Zinsen erhöhen sich weiter 5) Die CDS verteuern sich weiter 6) Erneute Herabstufung 7) … Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 332 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 333 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Aktuelle Länderratings (Internet) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 334 3.2.4.7 Ausgeglichener Staatshaushalt Diskussion: Für oder gegen Eurobonds?! Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 335 Ziele der Wirtschaftspolitik Zwischenfazit : Zielerreichung und Handlungsbedarfe Ziel Status Handlungsbedarf Freiheiten erreicht mittel Preisniveaustabilität erreicht mittel Hoher Beschäftigungsstand verfehlt hoch Außenwirtschaftliches Gleichgewicht verfehlt gering Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum erreicht mittel nicht anwendbar mittel Nachhaltigkeit verfehlt hoch Ausgeglichener Staatshaushalt verfehlt hoch Verteilungsgerechtigkeit Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 336 3.2.4.8 Abhängigkeiten am Beispiel der Phillips-Kurve Phillips - Kurve Preisniveau - Unterstellt einen Zielkonflikt bzw. Subsituierbarkeit zwischen Preisniveaustabilität und Vollbeschäftigung (Möglichkeit des „Erkaufens“ einer geringeren Arbeitslosigkeit durch höhere Inflation) - Ist aber – wenn überhaupt – nur kurzfristig erfolgversprechend, da idealtypisch folgende kurzfristige Wirkungskette in Gang gesetzt wird: Konjunkturpaket zur Erhöhung der Beschäftigung => positiver Arbeitslosigkeit Beschäftigungseffekt => GüterNachfrage steigt => Preisniveau steigt, d.h. in der Tat geringere Arbeitslosigkeit durch in Kauf nahme eines höheren Preisniveaus Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 337 3.2.4.8 Abhängigkeiten am Beispiel der Phillips-Kurve Phillips - Kurve Preisniveau - Mittel- und langfristig verpufft die Wirkung durch folgende Erweiterung der Wirkungskette: Anstieg der Arbeitskosten (Lohn-Preis-Spirale) => Rationalisierungsaktivitäten der Unternehmen => die Arbeitsnachfrage sinkt => die Arbeitslosigkeit steigt wieder bei erhöhtem Preisniveau - Bei Verstetigung spricht man von Stagflation d.h. Inflation bei stagnierender oder sogar steigender Arbeitslosigkeit Arbeitslosigkeit - Empirisch ist die Phillips – Kurve nicht belegt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 338 3.2.4.8 Abhängigkeiten am Beispiel der Phillips-Kurve Diskutieren Sie eventuelle Abhängigkeiten zwischen Arbeitslosigkeit und Preisniveaustabilität Impulszitat von Helmut Schmidt: "Mir scheint, daß das Deutsche Volk – zugespitzt – 5% Preisanstieg eher vertragen kann, als 5% Arbeitslosigkeit." (Süddeutsche Zeitung, 28. Juli 1972, S. 8 auch zitiert als: "Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit." - zugeschrieben von www.spiegel.de (Stand 04/07)) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 339 3.2.4.8 Abhängigkeiten am Beispiel der Phillips-Kurve Wichtige Ökonomen: William Phillips (1914 - 1975) Elektroingenieur und Ökonom Standpunkte: - Darstellung eines Zusammenhanges zwischen Preisniveau und Arbeitslosigkeit mittels einer empirischen Langfristanalyse des Wachstums der Löhne und der Arbeitslosigkeit in Großbritannien - Keynesianer - Konstruierte einen Analog-Computer Hauptwerk: die nach ihm benannte Phillips – Kurve (1958) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 340 3.3 Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Eingreifens in die Ökonomie Prinzipien und Eingriffsphilosophien: Grundlagen - Grundsätzlich sollte eine Koordination des Wirtschaftskreislaufes über die Märkte erfolgen - Ergänzungen durch den Staat / die Wirtschaftspolitik sind erforderlich, zumindest für eine Absicherung im Sinne der sozialen Marktwirtschaft (Prinzip 2) - Grundsätzlich gilt das Subsidiaritätsprinzip (die kleinste und dem Problem am nächsten liegende Einheit sollte auch mit der Problemlösung betraut werden; => Eigenverantwortung vor staatlichen Eingriffen - dazu gehört auch eine Konzentration des Staates auf die Ordnungspolitik (keine Prozesspolitik, z.B. in Form von Preis- oder Mengeneingriffen) zur Gewährleistung der wirtschaftspolitischen Ziele - Bei akuter Gefährdung der Zielerreichung: ergänzende Maßnahmen (insbesondere zur Konjunktursteuerung) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 341 3.3.1 Grundmodelle in der Marktwirtschaft Keynesianer Nachfrageorientiert aktive Rolle des Staates Ursprung: Weltwirtschaftskrise 1929ff Neoklassiker Angebotsorientiert passive Rolle des Staates Dominant: 80er Jahre Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 342 3.3.1.1 Neoklassik Neoklassik: Prinzipien und Eingriffsphilosophie - Vertrauen auf die Selbstregulierungskraft der Märkte - Gütermarktliches Gleichgewicht bei Vollbeschäftigung ergibt sich langfristig bei funktionierenden Märkten automatisch - Voraussetzung: nach oben und unten flexibles Lohnniveau zur Anpassung von Beschäftigungsungleichgewichten; Unfreiwillige Arbeitslosigkeit nur bei Lohnfixierungen - Abweichungen vom Gleichgewicht sind temporär und regulieren sich langfristig (Konjunkturzyklen) - Daher: Angebotsorientierung – langfristige Verstetigung (Angebot schafft Beschäftigung und Nachfrage) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 343 3.3.1.1 Neoklassik Neoklassik: Prinzipien und Eingriffsphilosophie - Priorität der Preisniveaustabilität (Preis- / Zinsanstiege reduzieren Investitionen und führen zu kurzfristigen Ungleichgewichten, die dann wieder durch Lohnsenkungen und Preissenkungen kompensiert werden) - Daher: Dominanz der Geldpolitik (eine wesentliche Ausrichtung der Neoklassik ist der sogenannte „Monetarismus“) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 344 3.3.1.1 Neoklassik Neoklassik: Rolle des Staates - Grundsätzliche Annahme: langfristige Stabilität des privaten Sektors (Konsum, Investitionen) - Daher möglichst wenig staatliche Eingriffe über die ordnungspolitische Rahmensetzung hinaus - Zunehmende Staatsausgaben sind mittel- und langfristig nicht zielführend, da sie durch sinkende Unternehmensinvestitionen in Folge von Preis- und Zinsanstieg kompensiert werden - Wesentliche Wirtschaftliche Aufgaben des Staates: o wirtschaftliche Hemmnisse ausräumen o Konstanz, Verlässlichkeit und Zurückhaltung o Limitierung der Staatsausgaben und der Abgabenquote o Förderung des Wettbewerbs o Förderung von Innovationen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 345 3.3.1.1 Neoklassik Wichtige Ökonomen: Milton Friedman (1912 - 2006) Der Monetarist Standpunkte: - Opponent gegenüber keynesianischer Wirtschaftspolitik - Erhöhung der Staatsschulden wirkt restriktiv auf Investitionen - Nicht der Markt, sondern die Politik verursacht Unstabilitäten - Wachstumsorientierte Stellschraube des Staates ist die Geldmenge - Betonung von Freiheit und Individualismus Hauptwerk: Capitalism and Freedom - 1962 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 346 3.3.1.2 Keynes Keynesianismus: Historischer Kontext - Ausgangssituation 1929 und in den Folgejahren führte die Weltwirtschaftskrise zu einer Ungleichgewichtssituation, die durch die klassische Ökonomie nicht mehr erklärt werden konnte (im Nachhinein ist zu bemerken, dass unmittelbar vor der Weltwirtschaftskrise Markt und Wettbewerb aufgrund massiver Konzentrationstendenzen nicht mehr funktioniert haben) - In diesem Kontext entstanden Werk und Lehrmeinung von John Maynard Keynes (Hauptwerk: „The General Theory of Employment, Interest and Money“ von 1936) - Dominant von der Entstehung (30er Jahre) bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts - Gewinnt im Rahmen der aktuellen Finanzkrisen sprunghaft wieder an Bedeutung Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 347 3.3.1.2 Keynes Wichtige Ökonomen: John M. Keynes (1883 - 1946) Der Reformer Standpunkte: - Der Markt tendiert nicht automatisch zu einem übergreifenden Gleichgewicht - Langfristige Ungleichgewichte – insbesondere Arbeitslosigkeit – sind möglich - In diesem Fall sollte der Staat verstärkt als Nachfrager auftreten und die Konjunktur ankurbeln - „in the long run we are all dead“ Hauptwerk: The General Theory of Employment, Interest and Money 1936 (Original) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 348 3.3.1.2 Keynes Keynesianismus: Prinzipien und Eingriffsphilosophie - Der private Sektor tendiert zu Ungleichgewichten, insbesondere ist ein Gütermarktgleichgewicht bei Unterbeschäftigung möglich - Zugrundeliegende Vermutungen – psychologisch bedingte Verhaltensweisen der privaten Wirtschaftssubjekte:1 o sinkende Grenzneigung zum Konsum (mit steigendem Einkommen sinkt die Konsumquote) o steigende Liquiditätspräferenz bei sinkendem Zinsniveau (Geld wird dem Wirtschaftskreislauf entzogen) o Investitionen hängen mehr von Zukunftserwartungen der Unternehmer als vom Zinsniveau ab 1 in Anlehnung an Wagenblaß, H.: Volkswirtschaftslehre, öffentliche Finanzen und Wirtschaftspolitik, 8. Auflage, Heidelberg 2008, S. 321 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 349 3.3.1.2 Keynes Keynesianismus: Prinzipien und Eingriffsphilosophie Dann setzt folgender Wirkungsmechanismus ein:1 Ausgangspunkt: Gleichgewicht bei Vollbeschäftigung => => => => Abnehmende Grenzkonsumneigung bei steigendem Volkseinkommen Nachfrageausfall in Höhe des mehr gesparten Betrages Liquiditätspräferenz führt ebenfalls zu verminderter Nachfrage Trotz dadurch sinkenden Zinsniveaus wird nicht mehr investiert, da die Unternehmen aufgrund der reduzierten Nachfrage von reduzierten Gewinnerwartungen ausgehen => kumulativer Prozess mit sinkender Produktion, Volkseinkommen und Beschäftigung => Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung bei nach unten starren Löhnen 1 in Anlehnung an Wagenblaß, H.: Volkswirtschaftslehre, öffentliche Finanzen und Wirtschaftspolitik, 8. Auflage, Heidelberg 2008, S. 321 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 350 3.3.1.2 Keynes Keynesianismus: Rolle des Staates - Im beschriebenen Ungleichgewichtsfall ist der private Sektor nicht allein in der Lage, ein Gleichgewicht mit Vollbeschäftigung herbeizuführen - Daher sind staatliche Eingriffe erforderlich, auch durch vermehrte Schuldenaufnahme (deficit spending) - Priorität auf Vollbeschäftigung als Ziel und - Fiskalpolitik als Instrument („Fiskalisten“) - Nachfrageorientierung - Kurzfristige und antizyklische Ausrichtung („in the long run we are all dead“) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 351 Synopse der Stabilisierungspolitischen Konzeptionen (Quelle: Mussel / Pätzold, S. 20) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 352 3.3.2 Wirtschaftspolitische Instrumente Wirtschaftspolitische Instrumente – Übersicht Hier erfolgt eine instrumentenorientierte Einteilung in - Fiskalpolitik - Geldpolitik und - Außenwirtschaftspolitik sowie - einer speziellen Abhandlung über Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit (anhaltende Verfehlung des Zieles des hohen Beschäftigungsstandes) Andere in der Literatur verwendete Systematisierungen sind zweckorientiert und unterscheiden z.B. zwischen Konjunktur-, Wachstums-, Stabilitäts- oder Beschäftigungspolitik Diese Zweckorientierung wird durch die Instrumentenorientierung mitberücksichtigt (z.B. expansive Fiskalpolitik als Instrument einer expansiv orientierten Konjunkturpolitik) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 353 3.3.2 Wirtschaftspolitische Instrumente Wirtschaftspolitische Instrumente – Übersicht Grundlegendes Prinzip: Alle Maßnahmen müssen systemkonform sein (d.h. für Deutschland: vereinbar mit der sozialen Marktwirtschaft) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 354 3.3.2.1 Fiskalpolitik Fiskalpolitik: „Änderung der Staatseinnahmen und Staatsausgaben zum Zweck der Konjunktursteuerung“1 Zu unterteilen in Maßnahmen auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite 1 vgl. Mussel / Pätzold, S. 43 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 355 3.3.2.1 Fiskalpolitik Fiskalpolitik - Maßnahmen auf der Einnahmenseite: Änderung der Besteuerung durch - Veränderung von (Grenz-)Steuersätzen; je nach Zielsetzung Differenzierung auf Steuerarten (direkte oder indirekte Steuern) oder Steuersubjekte (z.B. „Reiche“ oder Erben) - Neueinführung bzw. Abschaffung von Steuerarten - Zu beachten: Grundsätze von Leistungsfähigkeits- oder Äquivalenzprinzip Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 356 3.3.2.1 Fiskalpolitik Fiskalpolitik - Maßnahmen auf der Ausgabenseite: - Nachfrageorientiert über direkte Staatsausgaben z.B. in Infrastruktur, Forschungs- und Entwicklungsförderung, Aus- und Weiterbildungsförderung oder direkte Transfers an private Haushalte - Angebotsorientiert durch Investitionsanreize, Förderung unternehmerischer Forschung und Entwicklung oder Subventionen (letzteres stark umstritten: Eingriff in die Wettbewerbsstrukturen, entwicklungshemmend) - Limitierung: Finanzierbarkeit / Staatsverschuldung (vgl. 3.2.4.7) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 357 3.3.2.1 Fiskalpolitik Fiskalpolitik: Wirkung im IS – LM - Diagramm i Variante 1: Volle Wirksamkeit LM IS0 Durch eine Erhöhung der Staatsausgaben verschiebt sich die IS-Kurve nach rechts IS1 i01 Y0 Y1 Y Das Volkseinkommen erhöht sich bei gleichbleibendem Zinssatz (LM-Kurve vollkommen elastisch; keine negativen Wirkungen auf die Unternehmensinvestitionen) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 358 3.3.2.1 Fiskalpolitik Fiskalpolitik: Wirkung im IS – LM - Diagramm i LM IS0 IS1 Variante 2: Eingeschränkte Wirksamkeit (crowding out) Durch die Erhöhung der Staatsausgaben erhöht sich das Zinsniveau (LM-Kurve elastisch). i1 i0 Die Unternehmensinvestitionen werden reduziert. Y0 Y1 Das Volkseinkommen steigt zwar, aber nicht so stark Y wie in Variante 1. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 359 3.3.2.1 Fiskalpolitik Fiskalpolitik: Wirkung im IS – LM - Diagramm i LM Variante 3: Unwirksamkeit (vollständiger crowding out) i1 i0 IS1 IS0 Y01 Durch die Erhöhung der Staatsausgaben erhöht sich das Zinsniveau so stark (LM-Kurve vollkommen unelastisch), dass ein Effekt auf das Volkseinkommen ausbleibt. Y Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 360 3.3.2.1 Fiskalpolitik Multiplikatoreffekt: - Will der Staat eine Nachfragelücke durch expansive Fiskalpolitik kompensieren, reicht es aus, lediglich einen Teilbetrag zu investieren - Die verbleibende Lücke schließt sich mittelfristig durch einen Multiplikatoreffekt - Dieser fällt umso größer aus, je höher die Konsumquote der Wirtschaftseinheiten ausgeprägt ist - Beispiel: Konsumquote 80% Erhöhung der Staatsausgaben um 100 (volle Wirksamkeit auf das Volkseinkommen in Periode 1) in Periode 2ff. erhöht sich dann der Effekt um jeweils 80% des Vorjahreswertes, so dass für den Multiplikator gilt: ΔY = 1 / (1 - c) (im Beispiel: 1 / (1-0,8) = 1 / 0,2 = 5 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 361 3.3.2.2 Geldpolitik „… denken Sie an uns, wir freun` uns auf Ihr Geld“ (Die Toten Hosen: Umtausch ausgeschlossen / Kauf Mich!) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 362 3.3.2.2 Geldpolitik Geldpolitik: Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank zur Erreichung wirtschaftspolitischer Ziele ⇒ Vordringliches Ziel: Preisniveaustabilität ⇒ ggfs. auch wachstums- oder beschäftigungspolitische Ziele Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 363 3.3.2.2 Geldpolitik Geldpolitik - Vorbemerkung: Eine wirksame Geldpolitik setzt voraus, dass das Geld (insbesondere bei einer Ausweitung der Geldmenge) auch dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung steht und nicht als reine zusätzliche Liquidität von den Wirtschaftseinheiten gehalten wird. Demgemäß werden verschiedene Kassenhaltungsmotivationen der Wirtschaftseinheiten (insbesondere der privaten Haushalte) unterschieden: 1) Transaktionskasse: das Geld dient Kaufs- und Verkaufszwecken und steht dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung 2) Spekulationskasse: zusätzlich von Keynes definiert: das Geld wird in bar gehalten und steht dann nicht dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung (Opportunitätskosten: entgangene Zinserträge) 3) Vorsichtskasse: Geldhaltung für unvorhergesehene Transaktionen (schwer abgrenzbar; geht ggfs. unmittelbar in 1) über) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 364 3.3.2.2 Geldpolitik Geldpolitik: - wird in Deutschland bzw. der Eurozone nicht durch die Politik, sondern durch die Zentralbank (EZB; vgl. 3.4) vorgenommen - Steuerungskomponenten: (Geld) Menge Preis (Zins) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 365 3.3.2.2 Geldpolitik Geldpolitische Instrumente - Offenmarktpolitik: wichtigstes geldpolitisches Instrument Vorgehensweise: An- oder Verkauf von Wertpapieren durch die Zentralbank an die Geschäftsbanken Zweck: primär: Geldmengensteuerung sekundär: Konjunktursteuerung (gilt für alle geldpolitischen Instrumente) Ausrichtung: Ankauf von Wertpapieren durch die Zentralbank: Geldmengenerhöhung (den Geschäftsbanken steht mehr Geld zur Kreditvergabe zur Verfügung) und umgekehrt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 366 3.3.2.2 Geldpolitik Geldpolitische Instrumente – Refinanzierungspolitik: Vorgehensweise: Festsetzen der Leitzinsen durch die Zentralbank Ausrichtung: Leitzinserhöhung: Verteuerung des Geldes Drosselung der Konjunktur Reduktion der Investitionen Umlenken der Geldanlage von Unternehmensanteilen (Aktien) in festverzinsliche Anlagen (Renten) und umgekehrt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 367 3.3.2.2 Geldpolitik Geldpolitische Instrumente – Mindestreservepolitik: Vorgehensweise: Festlegung der vorgeschriebenen Höhe der unverzinslichen Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank (Mindestreserve in % der sogenannten Sichteinlagen, d.h. des Geldes, dass die Wirtschaftseinheiten unmittelbar von den Geschäftsbanken abrufen können) Ausrichtung: Erhöhung des Mindestreservesatzes entzieht dem Wirtschaftskreislauf Geld mit den bereits beschriebenen restriktiven Auswirkungen Ausprägung: Eurozone: USA: China: 2% 10% 20% (!) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 368 3.3.2.2 Geldpolitik Geldpolitische Instrumente - Fazilitäten: Vorgehensweise: Möglichkeit für die Geschäftsbanken, kurzfristig Geld von der Zentralbank zu erhalten oder dort anzulegen für die Geschäftsbanken nur interessant, wenn Anlageformen mit attraktiveren Zinsen (z.B. Kredite) nicht zur Verfügung stehen Ausrichtung: kurzfristig ausgelegt mit den entsprechenden expansiven (Ausweitung der Fazilitäten) oder restriktiven Wirkungen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 369 3.3.2.2 Geldpolitik Geldpolitik: Wirkung im IS – LM - Diagramm Variante 1: Wirksamkeit i LM1 LM0 IS i0 Durch eine Erhöhung der Geldmenge verschiebt sich die LM-Kurve nach rechts Das Volkseinkommen erhöht sich bei sinkendem Zinsniveau (IS-elastisch) i1 Y0 Y1 Y Die Wirksamkeit der Geldpolitik wird von den Keynesianern in Frage gestellt (Begründung in Variante 2 und 3) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 370 3.3.2.2 Geldpolitik Geldpolitik: Wirkung im IS – LM - Diagramm i IS Durch eine Erhöhung der Geldmenge verschiebt sich die LM-Kurve nach rechts LM0 LM1 i0 i1 Y01 Variante 2: Unwirksamkeit (Investitionsfalle) Das Volkseinkommen erhöht sich aber nicht, da die Unternehmen trotz sinkendem Zinsniveau aufgrund negativer Erwartungen und geringer Auslastung nicht mehr investieren (IS-Kurve Y vollkommen unelastisch) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 371 3.3.2.2 Geldpolitik Geldpolitik: Wirkung im IS – LM - Diagramm i LM0 Variante 3: Unwirksamkeit (Liquiditätsfalle) LM1 Durch eine Erhöhung der Geldmenge verschiebt sich die LM-Kurve nach rechts IS i01 Y01 Y Das Volkseinkommen erhöht sich aber nicht, da das zusätzliche Geld komplett in der Spekulationskasse verschwindet und nicht gespart / investiert wird (LM-Kurve vollkommen elastisch) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 372 3.3.2.3 Außenwirtschaftspolitik Außenwirtschaftspolitik: Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Ausräumung außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte Vorbemerkung: Die Maßnahmen haben in Deutschland seit jeher eine untergeordnete Bedeutung im Vergleich zu den bereits beschriebenen fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen sowie den noch zu beschreibenden Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit. Durch die EU- und Eurozonen-Mitgliedschaft hat sich die Bedeutung weiter reduziert. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 373 3.3.2.3 Außenwirtschaftspolitik Außenwirtschaftspolitik: 1 Marktbezogene Maßnahmen - Wechselkurspolitik: Wechselkurse entstehen grundsätzlich auf dem Devisenmarkt, der - ohne Beeinflussung – dem Ideal eines vollkommenen Marktes sehr nahe kommt (Devisenüberhang => Abwertung der entsprechenden Währung) Durch entsprechend großvolumige Devisenan- oder –verkäufe kann eine inländische Zentralbank nun versuchen, die Knappheitsverhältnisse so zu verändern, dass eine Wechselkursänderung herbeigeführt wird 1 Systematisierung in Anlehnung an Mussel / Pätzold, S. 207 ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 374 3.3.2.3 Außenwirtschaftspolitik Außenwirtschaftspolitik: 1 Marktbezogene Maßnahmen (die folgenden Maßnahmen beziehen sich jeweils auf Inlandseite; die Auslandseite ist als Datum gegeben) - Beeinflussung des internationalen Preisgefälles - Beeinflussung des internationalen Einkommensgefälles - Beeinflussung des internationalen Zinsgefälles => 1 allesamt problematisch im Hinblick auf mögliche Eingriffsform und Wirkung Systematisierung in Anlehnung an Mussel / Pätzold, S. 207 ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 375 3.3.2.3 Außenwirtschaftspolitik Außenwirtschaftspolitik: 1 Administrative / Dirigistische Maßnahmen - Tarifäre Handelshemmnisse (Zölle) - Nicht – tarifäre – Handelshemmnisse (Kontingente) - Devisenbewirtschaftung (Kontrolle bishin zum Verbot des freien Handels mit Devisen) Zu beachten: 1 Noch problematischer und wirtschaftspolitisch nicht opportun Häufig Zielkonflikte, insbesondere mit inländischen Wachstumszielen Protektionistische Maßnahmen sind kontraproduktiv Systematisierung in Anlehnung an Mussel / Pätzold, S. 207 ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 376 3.3.2.4 Instrumente gegen Arbeitslosigkeit Vorbemerkungen: Es erfolgt eine Darstellung möglicher Maßnahmen gegen die unter 3.2.4.2 beschriebenen Arten und Ursachen von Arbeitslosigkeit.1 Die Maßnahmen werden zunächst wertfrei aufgeführt, sind aber in Einzelfällen höchst strittig (z.B. strukturerhaltende Subventionen oder Protektionismus) Eine kritische Würdigung erfolgt in der Diskussion. Insbesondere ist zu diskutieren, ob eine Maßnahme insgesamt wohlstandfördernd wirkt oder nur zu Verschiebungen führt (im Extremfall zu sogenannten „Kannibalisierungseffekten“) Keine Überschneidungsfreiheit zu den bisher beschriebenen fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen, deren Zweck ebenfalls in der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit liegen kann 1 Dementsprechend erfolgen auch diese Ausführungen in Anlehnung an Mussel / Pätzold, S. 38ff. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 377 3.3.2.4 Instrumente gegen Arbeitslosigkeit Maßnahmen gegen friktionelle und saisonale Arbeitslosigkeit Hinsichtlich der friktionellen Arbeitslosigkeit sind Maßnahmen nicht erforderlich, da diese (Sockel-)Arbeitslosigkeit sogar ökonomisch erwünscht sein kann. Saisonale Arbeitslosigkeit ist zwar nicht erwünscht, kann aber vom Ursprung her nicht durch wirtschaftspolitische Maßnahmen verhindert, sondern höchstens durch kurzfristige Umlenkungsversuche flankiert werden. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 378 Lösungsraum möglicher Maßnahmen gegen konjunkturelle Arbeitslosigkeit Quelle: Mussel / Pätzold, S. 57 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 379 Lösungsraum möglicher Maßnahmen gegen strukturelle Arbeitslosigkeit Quelle: Mussel / Pätzold, S. 73 Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 380 3.3.2.4 Instrumente gegen Arbeitslosigkeit Abschließende kritische Würdigung der möglichen Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 381 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Neue Politische Ökonomie wie handeln nun Politiker in der Realität? Vorbemerkung: im folgenden handelt es sich um verallgemeinernde Aussagen; individuelle Abweichungen von diesen Aussagen sind möglich und sogar erwünscht Gemäß der klassischen Ökonomie erfolgt eine Maximierung des Gesamtnutzens dadurch, dass alle Wirtschaftseinheiten versuchen, ihren individuellen Nutzen zu maximieren (vgl. 1.2) Dieses Prinzip funktioniert – allerdings nur subsidiär, d.h. bezogen auf eine einzelne Wirtschaftseinheit (Person, Haushalt, Familie(nunternehmen)) und bedingt noch bei Interessenvertretern kleinerer Wirtschaftseinheiten wie Kleinunternehmen, Vereinen oder Schulen). Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 382 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Neue Politische Ökonomie – Grundproblem: Verfolgung des individuellen Nutzens als Voraussetzung für eine Maximierung des Gesamtnutzens funktioniert nicht bei Interessenvertretern großer Einheiten Dazu gehören Politiker (umso stärker, je weniger subsidiär, also je größer die zu vertretende Einheit; Beispiel: Europa- oder Bundesabgeordnete im Gegensatz zu Kommunalpolitikern) aber auch andere „Berufsfunktionäre“, z.B. in Sportverbänden oder Gewerkschaften Hier kommt es oft zwangsläufig zu Interessenkonflikten der Interessenvertreter Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 383 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Neue Politische Ökonomie: Der ökonomisch völlig nachvollziehbare natürliche Drang zur Ausweitung des Eigeninteresses führt fast zwangsläufig zu Interessenkonflikten mit den zu vertretenden Einheiten (idealtypische Ausnahmen: absolute Interessenharmonie oder eindeutige Dominanz der zu vertretenden Interessen gegenüber dem Eigeninteresse) Was ist nun das Eigeninteresse des Politikers / Berufsfunktionärs? => Möglichst lange im Amt bleiben / Wiederwahl, verbunden mit: - Erlangen (Komfortabler) Bezüge Aufbau einer (ebenfalls komfortablen) Altersvorsorge Erhalt weiterer Privilegien Status- / Machterhalt Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 384 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Neue Politische Ökonomie: Um dies zu ermöglichen, werden lieber vermeintlich einfache und für die Wähler vermeintlich angenehme Entscheidungen getroffen und eventuell erforderliche aber unbequeme Entscheidungen vermieden Beispiel: lieber günstig Kredite aufnehmen und die Staatsschuld erhöhen, als in einer Aufschwungphase zu sparen dadurch funktioniert Konjunkturpolitik in Deutschland bisher immer nur in eine Richtung: in Abschwungsphasen wird die Verschuldung erhöht, um die Wirtschaft anzukurbeln (in Ordnung) in Aufschwungphasen wird es aber unterlassen, zu sparen die Staatsschuld wieder abzubauen Unterstützt wird dieses Handlungsschema durch die nach wie vor günstigen Konditionen für deutsche Staatsanleihen (AAA; <3% langfristige Verzinsung) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 385 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Neue Politische Ökonomie: Zwischenfazit: „Lieber billig Schulden aufhäufen als unbequeme / unpopuläre Sparpakete umsetzen“ Ihre Meinung? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 386 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Neue Politische Ökonomie: Inhaltliches Zwischenfazit: Politiker handeln also ökonomisch völlig rational, indem sie ihre Eigeninteressen verfolgen. Dies ist jedoch nicht immer im Sinne des Souveräns Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 387 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Neue Politische Ökonomie: Analogie zur Principal – Agent – Theorie in der Betriebswirtschaftslehre: Die Principal – Agent – Theorie beschreibt ähnliche Interessenkonflikte zwischen den eigentlichen Anteilseignern eines Unternehmens (den Prinzipalen, in der Realität aber häufig Kleinaktionäre mit sehr wenig Einfluß) und dem Management (den Agenten, in der Realität häufig dem Vorstand eines großen Unternehmens). Ähnlich wie bei den Politikern, kann es bei den Agenten zu Interessenkonflikten kommen, die dazu führen, dass Entscheidungen getroffen werden, die zwar im Interesse des Agenten sind, nicht aber notwendigerweise im Interesse der Prinzipalen. Hinzu kommen Informationsasymmetrien zugunsten des Agenten – ebenfalls eine Analogie zum politischen Interessenvertreter. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 388 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Neue Politische Ökonomie: Analogie zur Principal – Agent – Theorie: Lösungsansatz in der Betriebswirtschaftslehre: Etablierung entsprechender Kontrollgremien (z.B. Aufsichtsräte), die gewährleisten sollen, dass die Agenten im Sinne der Prinzipale handeln (de jure funktionsfähig; de facto eingeschränkt funktionierend) Problem: so nicht auf die Politik übertragbar Lösung im Politikbereich wäre verantwortungsethisches Handeln, mit den dazu gehörigen Prinzipien, das im folgenden beschrieben wird. Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 389 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Ökonomie und Ethik – Ergänzende oder konfligierende Prinzipien Voreingenommenheiten und fehlende wechselseitige Kenntnisse? (Tietmeyer, 1994, S. 115) Oder unüberbrückbare Diskrepanzen? Thesensammlung Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 390 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Ordnungsmoral (Schilderung in Anlehnung an Homann) 1) Scheinbare Unvereinbarkeit von Wettbewerb und Moral Beide Phänomene können jedoch gleichzeitig zur Geltung kommen: 1. 2. Moralische Intention als Rahmenordnung (Spielregeln) Produktiver Wettbewerb innerhalb der Rahmenordnung (Spielzüge) => Ordnungsmoral („Moral ohne moralische Handlungsmotive“) durch nicht intendierte Ergebnisse intentionaler Handlungen (im positiven wie im negativen Sinne) => Moralisch untragbare Ergebnisse sind das Resultat von Ordnungsdefiziten (erfordert Bedingungswandel statt Gesinnungswandel) 2) Keine Moral ohne Kontrollen (die Mittel zur Erreichung frei gesetzter Ziele werden eingeschränkt) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 391 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Ordnungsmoral (Schilderung in Anlehnung an Homann) 3) Wettbewerbs“spiele“ werden als Gefangenendilemmata ausgelegt, die die Ursache des Erfolges aber auch der ungelösten Probleme der Marktwirtschaft darstellen: Dilemmastrukturen sind ambivalent, woraus zu folgern ist, => erwünschte Wirkungen zum Zuge kommen zu lassen => unerwünschte Wirkungen durch Ordnungspolitik zu vermeiden 4) Geld ist von der gesamtwirtschaftlichen Steuerungsfunktion her zu beurteilen (dagegen: Entpersönlichung, Entfremdung, Vermögensanhäufung, Werteverfall als Folgen der Geldwirtschaft?) 5) Normativer Diskurs erforderlich: Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil (langfristig Pareto-superiore Regelungen statt Nullsummenparadigma) => Anschlussfähigkeit der Ökonomie an Sozialphilosophie und Ethik erforderlich Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 392 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie „Nicht intendierte Wirkungen intendierten Handelns“ - Sind Triebfeder des wirtschaftlichen Handelns und ermöglichen einen Anstieg des wirtschaftlichen Gesamtnutzens (vgl. 1.1) - Es kann aber auch zu negativen nicht intendierten Wirkungen intendierten Handelns kommen - In der Wirtschaftspolitik ist es schwierig, die nicht intendierten Folgen von Regelungen zu identifizieren und in ihrem Ausmaß zu prognostizieren - Dennoch ist eine solche Abschätzung unbedingt erforderlich (Beispiel: Regelungsfolgenabschätzung, ex ante – Evaluation) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 393 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Beimischung von Biokomponenten zu Kraftstoffen Konkrete Beispiele: Besteuerung von Kraftstoffen Kosten / Marge Ökosteuer Produkt Abgaben (MinÖlSt, MwSt, EBV) Kraftstoffpreiszusammensetzung Quelle: Aral.de, Stand: 05.11.2011 für einen Liter Ottokraftstoff: 1,539 Euro Welche intendierten und nicht intendierten Wirkungen liegen hier vor? In welchem Spannungsfeld bewegen sich die Maßnahmen? Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 394 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Zwischenfazit: => Der Staat als Balancehalter zwischen: individuellen Freiheiten fahrlässigem oder vorsätzlichem gesamtwirtschaftlich schädlichem Verhalten => Postulat der Ordnungspolitik => Subsidiarität => Spielregeln (Staat) und Spielzüge (Wettbewerb) Aber: wer beurteilt die Angemessenheit von Spielregeln? „brauchen wir die Abseitsregel?“ Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 395 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Beispiel 1 für fehlgeschlagene „Spielregeln“ US GAAP, Bilanzskandale und die Folgen (SOx act) US GAAP (Generally accepted accounting principles) stellen eine Vielzahl von Rechnungslegungsstandards dar, die nicht in einem Gesetz wie dem HGB kodifiziert sind, sondern durch unabhängige Expertengremien bzw, durch „case law“ (im Gegensatz zu „code law“) etabliert sind. Diesem Regelwerk (house of US GAAP) und der darauf beruhenden Wirtschaftsprüfungspraxis wurde eine hohe Qualität und Sicherheit zugesprochen, bis … Bilanzskandale zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit Unternehmenspleiten (Worldcom, Enron, etc.) und Milliardenverlusten u.a. von Pensionsfonds Folge: Ein massiver regelungstechnischer Eingriff des Staates (SarbanesOxley-Act) mit rigiden Vorschriften für interne Kontrollsysteme, die alle in den USA börsengehandelten Unternehmen einhalten und nachweisen müssen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 396 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Beispiel 2 für fehlgeschlagene „Spielregeln“ Basel 2: Eigenkapitalvorschriften und die Risikoabsicherung der Banken Gültig seit Anfang 2007 Ebenfalls mit hohen Erwartungen an Qualitätsund Sicherheitsstandards der Rechnungslegung von Kreditinstituten, bis… … wenige Monate später die Finanzkrise akut wurde und insbesondere der Bankensektor hunderte von Milliarden an „faulen“ Krediten und Wertpapieren abschreiben mußte Daher mittlerweile Basel 3 erarbeitet (Umsetzung ab 2013 geplant) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 397 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Beispiel 3 für fehlgeschlagene „Spielregeln“ Die Konvergenzkriterien Keine weiteren Ausführungen, da bereits in 3.2.4.7 thematisiert Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 398 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie „… alle halten mich für klug, hoffentlich merkt keiner den Betrug! Denn das ist alles nur geklaut „ (Die Prinzen / Alles nur geklaut) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 399 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Verantwortungsethik als wirtschaftspolitische Maxime (Schilderung in Anlehnung an Tietmeyer)1 1) Zwischen Ökonomie und Ethik besteht kein Widerspruch, sondern ein Aufeinanderangewisensein (also mehr als nur Ergänzung) wie wird nun der Wirtschaftsverlauf so gelenkt, dass er ethische Anforderungen erfüllt? 1. durch einen individual-ethischen Ansatz? => in großen Gemeinschaften utopisch 2. durch Gestaltung der Wirtschaftsordnung durch die Politik Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 400 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Verantwortungsethik als wirtschaftspolitische Maxime (Schilderung in Anlehnung an Tietmeyer) Elemente des Leitbildes der Verantwortungsethik: - Folgenorientierung - Sachkenntnis über Wirkungszusammenhänge (erforderlich aber begrenzt) - Beschränkung auf (konstante) Rahmengestaltung - Verpflichtung zur Aufklärung (auch über „unangenehme“ Sachverhalte) - keine (innovationsfeindliche) „Vetoethik“ Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 401 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Verantwortungsethik als wirtschaftspolitische Maxime (Schilderung in Anlehnung an Tietmeyer) 2) Das Leitbild der Verantwortungsethik: - soziale Gerechtigkeit nicht im Sinne von Verteilungs-, sondern Leistungs-/ Tauschgerechtigkeit (Ausgleich unterschiedlicher Präferenzen) - flankiert durch subsidiäre, korrigierende Sekundärverteilung - Mut zur Entscheidung über Prioritäten und Posterioritäten (Ausgabenlenkung und –limitierung) - realistische Schritte statt ständiger Fernorientierung (Glaubwürdigkeit) Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 402 3.3.3 Ethische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Neue Politische Ökonomie Wo – auf dem Kontinuum zwischen laissez faire und Verstaatlichung liegt nun die (optimale) Intensität staatlichen Eingreifens in die Ökonomie vor dem Hintergrund, auch ethisches Verhalten zu fördern? Abschließende Thesensammlung Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 403 3.4 Nationale und internationale Institutionen EZB (Europäische Zentralbank): gemeinsame Währungsbehörde der Mitgliedstaaten der europäischen Währungsunion; politisch unabhängige geld- und währungspolitische Institution IWF (Internationaler Währungsfond): Sonderorganisation der UNO; Beratung und Kreditvergabe für Länder mit makroökonomischen Problemen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 404 3.4 Nationale und internationale Institutionen Weltbank: Sonderorganisation der UNO; Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung weniger entwickelter Länder durch finanzielle und technische Hilfe sowie Beratung; im Gegensatz zum IWF strukturell / mikroökonomisch orientiert WTO (World Trade Organisation): Internationale Organisation; globale Regelung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ziel des Abbaus von Handelshemmnissen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 405 3.4 Nationale und internationale Institutionen OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development): Internationale Organisation von 30 höher entwickelten Ländern mit Netzwerkcharakter zur gegenseitigen Verbesserung der Wirtschaftsentwicklung G 7/8/20 etc.: reine Beratungsnetzwerke ohne eigene Entscheidungskompetenz aber wichtig dahingehend, dass die meist hochkarätigen Teilnehmer Handlungsempfehlungen in ihre nationalen Gremien zur Umsetzung übernehmen Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 406 3.4 Nationale und internationale Institutionen EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität): temporärer Rettungsschirm seit Mai 2010 (Laufzeit drei Jahre) Kredite werden durch Aufnahme von Anleihen gedeckt Kreditnehmer müssen signifikante Sparmaßnahmen nachweisen ESM (Europäischer Stabilitäts – Mechanismus): dauerhafter Rettungsschirm ab Sommer 2013 (Auslaufen EFSF) Im Gegensatz zur EFSF mit eigenem Grundkapital genaue Ausgestaltung bleibt abzuwarten Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 407 3.4 Nationale und internationale Institutionen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Die „fünf Wirtschaftsweisen“, die jährlich (15.11.) ein Gutachten erstellen, zu dem die Bundesregierung im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichtes Stellung nimmt Aktuelle Zusammensetzung (Stand: Oktober 2011): - Wolfgang Franz (Vorsitzender) Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) - Peter Bofinger (per Satzung auf Empfehlung der Gewerkschaften) - Lars Feld (Leiter des Walter Eucken Instituts) - Christoph M. Schmidt (Leiter des Rheinisch – Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung) - Beatrice Weder di Mauro Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 408 Abschlussdiskussion „CRISIS? WHAT CRISIS?“ FRAGEN UND ANMERKUNGEN Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 409 Referatsthemen 1) Doppelte Dividende 2) Eurobonds 3) Mindestlohndebatte 4) Marktungleichgewichte Tankstellenmarkt 5) Funktionsweise Pigou – Steuer 6) Coase – Theorem / Property Rights 7) Cross – Border - Leasing Dr. Kunhenn: Volkswirtschaftliche Zusammenhänge 410