ein Leben für die Ken 1. Klassen Spaghetti al mare 3/11
Transcrição
ein Leben für die Ken 1. Klassen Spaghetti al mare 3/11
3/11 Interview Frauenfussball Hans Spuhler – ein Leben für die KEN Fototermin 1. Klassen Wortschatz Spaghetti al mare Info-Magazin der Kantonsschule Enge Zürich kenzeichen 3/11 Editorial Inhalt B Editorial ildung ist wichtig – und sie ist die Hauptstütze unseres Wohlstands. Wer etwas erreichen will, braucht Bildung, Fortbildung und Weiterbildung, benötigt Zeugnisse, Diplome und Zertifikate, hat Primarschule, Sekundarschule, Gymnasium, Fachhochschule, Universität und mindestens ein Postgraduate-Institut besucht. Und ist er damit fürs Leben gewappnet? Vielleicht. Hans Spuhler betont im Interview, das in dieser Ausgabe auf S. 13 wiedergegeben ist, die Wichtigkeit der humanistischen Bildung und kritisiert die zunehmende Pädagogisierung der Lehrerausbildung. Damit legt er wohl den Zeigefinger auf einen wunden Punkt unserer Zeit – Bildung, die in zu deutlich vorgegebenen Bahnen verläuft, birgt die Gefahr in sich, dass sich Lernende nicht mehr als Zentrum der Bildung erfahren, sondern als Abhängige eines vielleicht gut gemeinten, aber überregulierten Systems. Und das ist im Grunde genommen schlimm. Denn Bildung ist immer auch ein Weg der persönlichen Suche. Und zu dieser gehört es auch, zu leiden, hartnäckig zu bleiben, auf Abwege zu geraten, gar zu fallen, wieder aufzustehen, zu forschen, in neue Gebiete vorzudringen, neugierig zu bleiben, etwas zu durchleuchten, nicht alles zu glauben, sich an Autoritäten zu orientieren, sie intellektuell herauszufordern, sie gar überbieten zu wollen, Lust an der Diskussion über eine Sache finden und…und…und… Kurz: Substanzieller Bildungserwerb kann nicht direkt und in allzu strikten Bahnen verlaufen, er braucht Musse, braucht Freiräume und verlangt nach Eigeninitiative. Es sind dies Forderungen, denen gewiss in einem vielschichtigen Bildungsbetrieb wie der KEN Sorge getragen wird – sei es im regulären Unterricht oder zum Beispiel in einem Projekt der IPA (Bericht S. 7), an einem Schreibwettbewerb (Bericht S. 5) und im Ringen um eine Kurzgeschichte (Wortschatz S. 18) – es sind dies aber auch Forderungen, die in einer durchstrukturierten und zertifikatsgläubigen Bildungsgesellschaft gelegentlich zu kurz kommen oder gar ganz unter den Tisch fallen. Darum: Eine Bildungseinrichtung sollte bemüht sein, eine optimale Balance zwischen dem Beharren auf zwingenden Vorgaben und dem Gewähren von Freiräumen zu finden. Davon hängt letztlich wohl auch das Wohlbefinden der Lernenden und der Lehrpersonen ab. Viel Vergnügen bei der Lektüre dieses kenzeichens wünscht Urs Bigler Impressum Kantonsschule Enge Redaktion kenzeichen Steinentischstrasse 10, 8002 Zürich Info-Magazin der Kantonsschule Enge Zürich Nr.3, Oktober 2011 www.ken.ch/kenzeichen Urs Bigler Re k t o r a t Chancen und Gewalt Christoph Wittmer 3 Berichte Elias – Chorkonzert in der Grossen Kirche Fluntern 4 Golzar Piranfar (N3b) Herzklopfen vor der Diplomprüfung Valentina Ivic (Handelsdiplom 2011) 5 Casinotheater Winterthur: der lustigste Text wieder von der KEN5 Louisa Pajarola (W4d) Maccabiah6 Avner Schächter (W3e) und Ethan Messinger (W4d) Schawuot – ein jüdisches Wochenfest 6 IPA hilft, bildet und sensibilisiert 7 Swiss Youth Ragtime Piano Competition 2011 8 Julia Rabner (N2a), Géraldine Nordmann (N4a), Ana Rabner (N4a) Niklas Zeller (H2b) Martin Jäger (Musik) Fototermin Interview Fussball – Frauen erobern den Rasen Nubia Sivec (Handelsdiplom 11) 11 Hans Spuhler – ein Leben für die KEN13 Tiffany Sigg (N4b), Dorian Wiederkehr (H2a) Der Blick von aussen auf die KEN 14 Ehemalige Sieben Jahre nach dem Handelsdiplom in verantwortungsvoller Position 15 Ke n a t u r Der kleine Zoo an der KEN 17 Wortschatz Spaghetti al mare – oder die Familie meines Freundes 18 Te r m i n e Oktober 2011 bis Januar 2012 20 Angelika Bühler (N2a) Janine Waldvogel (Handelsdiplom 11) Liliane Preissle (Handelsdiplom 11) Vanessa Da Cruz (W4d) Herausgeber: KEN-Media ([email protected]) Auflage: 1250 Exemplare Redaktion: Urs Bigler, Andreas Haag Layout: Markus Kachel Druck: Bader+Niederöst AG Titelbild: Andreas Haag 2 3 Bild: Andreas Haag Re k t o r a t Chancen und Gewalt Die «Kruste der Zivilisation» sei dünn, schreibt der ungarische Schriftsteller György Konrad in einem Essayband, der in diesem Herbst veröffentlicht wird und aus dem er kürzlich im Zürcher Literaturhaus gelesen hat. Der Schriftsteller bezieht sich auf seine Erfahrungen mit der ungarischen Geschichte, auf die Diktaturen des 20. Jahrhunderts und auf die aktuelle Entwicklung in seinem Land, in dem die Freiheit der Meinungsäusserung wieder eingeschränkt wird. Wie rasch eine Gesellschaft, die als sicher eingestuft wird, erschüttert werden kann, zeigen auch die Ereignisse in London im vergangenen Sommer. Kommentatoren verweisen auf die fehlenden Bildungschancen und Zukunftsperspektiven in den von Ausschreitungen betroffenen Gebieten. Es herrsche eine Art Analphabetismus, eine sprachlose Wut der Jugend, die sich in Plünderungen Ausdruck zu verschaffen suche. Ob dies tatsächlich Gründe für die Krawalle sind, kann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden; sicher ist aber, dass Bildung die Chance bietet, sich die Welt sprachlich anzueignen, die Geschichte und die Mechanismen der eigenen Gesellschaft zu erkennen und sich Perspektiven für das eigene Leben zu erarbeiten. In einem Aufsatz schreibt ein Schüler der Kantonsschule Enge zu diesem Thema: «Angesichts der Tatsache, dass Schweizer Jugendliche unabhängig von ihrer sozialen Herkunft die Möglichkeit haben, an einer guten Universität zu studieren, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass sich Krawalle solchen Ausmasses hier entwickeln können.» Mit ihrem dualen Bildungssystem biete die Schweiz dem Einzelnen ausserdem auch ohne Studienplatz eine lebenswerte Zukunft. Der Schüler verweist in diesem Zusammenhang auch auf die vergleichsweise tiefe Jugendarbeitslosigkeit in unserem Land. Tatsächlich bietet die Schweiz einmalige Bildungs- und Berufschancen: Unsere Maturanden und Berufsmaturanden beginnen ein Studium an einer Universität oder Fachhochschule in der Schweiz oder im Ausland, sie vertiefen ihre Sprachkenntnisse in einem Zwischenjahr, ergreifen ein Bankpraktikum oder treten sofort ins Berufsleben ein. Es gibt wohl weltweit keinen schulischen Werdegang, der mehr möglich macht. Die Mittelschule ist denn auch ein sehr gefragter Weg für junge Menschen. Wir begrüssten nach den Sommerferien an unserer Schule mehr Erstklässlerinnen und Erstklässler als je zuvor, und auch die Anzahl der Maturandinnen und Maturanden war noch nie so hoch wie in diesem Jahr. Es ist eine schöne Aufgabe, in einer grossen Schulgemeinschaft zusammen Perspektiven zu eröffnen; damit verbunden ist aber auch die Verantwortung, sich dafür einzusetzen, dass Bildung dazu genutzt wird, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken, wo er gefährdet scheint. Denn gute Bildungssysteme sind – dies zeigt die Geschichte deutlich – nur dann ein Garant für Zukunftssicherheit und Freiheit, wenn sie Arbeit ermöglichen und wenn der soziale Friede nicht gefährdet ist. Christoph Wittmer 4 kenzeichen 3/11 Berichte Bild: Golzar Piranfar Elias – Chorkonzert in der Grossen Kirche Fluntern F elix Mendelssohn war ein Genie. Das dachten bestimmt auch die Musikfachlehrer der Kantonsschulen Enge und Freudenberg, als sie nach einem geeigneten Werk für das diesjährige Chorprojekt suchten und sich schliesslich auf Mendelssohns Oratorium Elias einigten (Begriffserklärung für die Musik-Banausen unter uns: Ein Oratorium ist die Vertonung einer geistlichen Handlung, geschrieben für Solisten, Chor und Orchester). Im August 2010 begannen die Proben zu diesem grossartigen Stück, und im Mai 2011 fand die Aufführung in der Grossen Kirche Fluntern statt. Neun Monate dauerte das Erlernen, Proben, Verstehen, Verinnerlichen, Spüren, Liebgewinnen, Leidsein, Umsetzen, Wieder-Liebgewinnen, Sich-überzeugen-Lassen, Sich-tragen-Lassen, Sympathie-Entwickeln… Neun Monate wurde das Kind Elias gehegt, gepflegt, zurechtgestutzt, gelobt und grossgezogen, bis es dann bereit war, in die Welt entlassen zu werden. Das Oratorium handelt vom Propheten Elias, der über das Volk unter König Ahab und Königin Isebel einen Dürrefluch ausspricht. Die Gründe dafür sind in unheilvoller Romantik zu suchen: Ahab, über und über in seine Isebel verliebt, erlaubt seinem Volk mit der Zeit immer mehr, die fremden Götter seiner Frau anzubeten, allen voran den Gott Baal. Somit wird der wahre Gottglaube immer rarer in Israel, und Elias ist gezwungen, Gottes Dürrefluch auszusprechen. Dürre, Hungersnöte, Leid und Elend suchen das Land heim. Währenddessen versucht Elias, den König zur Vernunft zu bringen, wird aber nur von Isebel ernst genommen, die ihn als wahrhaftige Gefahr ansieht und deswegen beschliesst, ihn töten zu lassen. Einige weitere mirakulöse Vorkommnisse führen schliesslich dazu, dass die Baalspriester nach erfolglosem Beschwören ihres Gottes vernichtet werden und durch Elias‘ Gebet endlich Wolken aufziehen. Dennoch gelingt es Isebel, das Volk gegen den Propheten aufzuhetzen und ihn in die Wüste zu jagen. Dort wird er von Gott und seinen Engeln ermuntert, zurückzukehren und der Rebellion ein Ende zu setzen, was dann auch geschieht. Elias‘ Leben endet damit, dass er in einem feurigen Wagen zum Himmel hochfährt. Das Projekt bestand aus Rezitativen, Chören, Arien, Terzetten und Quartetten, Ariosa und Sprechchören und wurde von Konrad Jenny geleitet. Neben den Chören, die sich aus Schüler/innen und Lehrpersonen der KEN und KFR zusammensetzten, waren auch Fabrice Raviola (Elias), Rafael von Matt (Sprecher), Christina Bosbach (Sopran), Barbara Schroeder (Alt), Andri Calonder (Tenor) und Erwin Heusser (Bass) mit von der Partie. Begleitet wurden die Sänger/ innen vom Orchester La Partita. Eines der Highlights war der Engelschor, bestehend aus 12 Schülerinnen, der auf der Empore der Kirche platziert war und mehrere solistische Einlagen hatte. Nach den beiden Auftritten (25. Mai 2011 und 27. Mai 2011) machte sich bestimmt bei allen (oder den meisten) diese berühmte Wehmut bemerkbar, die sich immer nach Abschluss einer grossen Sache meldet, für die man in einer Gemeinschaft viel Zeit und Herzblut hergegeben hat. Rückblickend kann man sagen, dass das Repertoire des KEN-Chors um ein weiteres überragendes Werk und das Erinnerungsvermögen der Chormitglieder um eine weitere grossartige, unvergessliche Erinnerung reicher sind. Ich glaube, ich werde mit Freude an dieses Erlebnis zurückdenken. Auf jeden Fall wäre Mendelssohn stolz auf uns, da bin ich sicher. Golzar Piranfar (N3b) 5 V on allen Seiten hört man, wie man sich auf die bevorstehenden Sommerferien freut. Nur noch wenige Wochen, bis zur schönsten Zeit im Jahr! Für jemanden in meiner Situation ist es allerdings schwierig, diese Freude zu teilen. Der Grund sind die Diplomprüfungen, die in genau vier Wochen anstehen. Meine Klassenkameraden und mich erwartet ein Monat voller Lernstress und Angst, in der verbleibenden Zeit genug für die Prüfungen zu lernen. In jedem Fach versuchen uns die Lehrer bestmöglich vorzubereiten, womit sie uns manchmal zusätzlich verunsichern. Zu Hause gibt man sich Mühe, sich zu konzentrieren, was nicht immer gelingt. Man schafft es vielleicht höchstens, seine Blätter zu ordnen. Und irgendwann ist man von der Menge erschlagen, die es eigentlich zu bewältigen gilt. Man bemerkt, welche Spuren drei Schuljahre hinterlassen haben. Der innere Schweinehund meldet sich und wird kurz vor dem Diplom womöglich noch siegen. In der Tutoratswoche beschäftigen sich einige zum ersten Mal ernsthaft mit den bevorstehenden Prüfungen. Davor kann man sich auch schwer drücken, da die Anwesenheitszeiten, die unglaubliche acht Stunden betragen, streng kontrolliert werden. Die nächsten zwei Wochen bringen eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Zuversicht und Zweifel wechseln ab. Die Nervosität steigt. In den verbleibenden Lektionen sehen Lehrer von einer strengen Stoffvermittlung ab und lassen sich zu Gesprächen hinreissen, andere halten bis zuletzt an ihrem Unterrichtsplan fest. Zu Hause ist man müde wie sonst, allerdings hat man schnell ein schlechtes Gewissen, wenn man nicht lernt. Einige legen nach einem Nickerchen Nachtschichten ein, andere gönnen sich den Schlaf des Sorglosen. Egal für welche Lernmethode man sich entscheidet, hinter die Bücher muss jeder, und zwar nicht nur am vorherigen Abend, wie es sonst oft der Fall ist. Auch wenn die Angst stark ist, werden die meisten die Diplomprüfungen positiv abschliessen und mit einem lachenden und einem weinenden Auge an der Diplomfeier teilnehmen, im Wissen, dass ein Abschnitt ihres Lebens nun vorbei ist. Valentina Ivic (Handelsdiplom 2011) Casinotheater Winterthur: der lustigste Text wieder von der KEN Ein Erlebnisbericht (Louisa Pajarola W4d) Gewinner des Wet tbewerbs: Enrico Cannazza und Samantha Schrepfer ( H2b) Bild: Urs Bigler Herzklopfen vor der Diplomprüfung Das Licht der unzähligen Scheinwerfer blendete mich und machte es mir unmöglich, mehr als schemenhafte Schatten im Publikum zu erkennen. Ich zitterte leicht und hoffte, nicht zu stolpern, den Hosenstall nicht sperrangelweit offen oder nicht irgendwo auf meinen Kleidern einen Fleck zu haben, geschweige denn, vor dieser lachwilden Meute nicht irgendetwas Dämliches rauszulassen. Eigentlich hatte ich keine Wahnsinnsaufgabe, ich sollte nur auf die Bühne stehen, den Herren Komiker unseren Sketch überreichen und noch etwas zur Idee und zum Schreibprozess sagen. Ein Kinderspiel. Nur, was gab es da zu erzählen? «Wir mussten in der Deutschstunde in Zweiergruppen einfach irgendeinen Sketch für Sie schreiben. Also haben wir (Vanessa und ich) uns hingesetzt und angefangen, die dümmsten (logischerweise fallen einem so auf Knopfdruck immer die allerbesten Witze ein) Sachen in einen Dialog zwischen Gott und einem Engel zu packen. Anschliessend führte jede Gruppe ihr Stück der Klasse vor und die Besten kamen eine Runde weiter an die KENComedy. Einige unserer Lehrer schlüpften in die Rolle von Schauspielern und führten die von den Schülerinnen und Schülern verfassten Sketche auf. Die Zuschauer stimmten ab, welche es ins Casinotheater Winterthur schaffen sollten. Nach der Auslosung folgte eine äusserst spannende Auseinandersetzung darüber, inwiefern Ideen bei namhaften Künstlern geborgt werden können – ein Prozess, bei dem ein Gewinner aus dem Rennen fiel. Unsere Arbeit durfte nachrücken. Und so kamen wir mit den anderen Gewinnergruppen der KEN am heutigen Dienstagabend hierher und hier stehe ich jetzt.» Ich kam zum Schluss, dass sie das alles sicher nicht ganz so genau wissen wollten und reduzierte unseren Werdegang auf zwei prägnante Sätze. Ich glaube, das Publikum war dankbar dafür. Viktor und Mike spielten die Dialoge aller Anwärter vor und alle amüsierten sich recht gut. Vor allem die Witze, in denen Mike einen ausländischen Akzent imitieren musste, begeisterten, und zum Schluss gewann auch ein Sketch mit diesem Sujet. Die Gruppe (Samantha Schrepfer, H2b, und Enrico Cannazza, H2b) stammte ebenfalls aus unserer Schule, und mich hatte ihr Werk schon an der KENComedy zum Lachen gebracht. So bekam es auch hier den meisten Zuspruch und wurde vom Applausometer der Zuschauer zum Sieger gekürt. Als die Show vorbei war, durften wir den Kabarettisten die Hände schütteln und ein Erinnerungsfoto machen. Sie waren sehr locker und entspannt und machten uns Komplimente zu unserem Gott-und-Engel-Text. Ich war positiv überrascht, dass sie so natürlich, menschlich und frei von jeglichen Starallüren auf uns zu gekommen waren. Als wir erwähnten, dass wir ab und zu ihre Sendungen guckten, gaben sie uns eine Visitenkarte, damit wir uns für einen Live-Besuch anmelden konnten. Alles in allem war der Abend sehr amüsant und unterhaltsam, und es war interessant, diesen beiden Schauspielern, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt, auch mal persönlich zu begegnen. Louisa Pajarola (W4d) 6 kenzeichen 3/11 Maccabiah Vom 5.–13. Juli wurden in Wien die europäischen MaccabiahSpiele durchgeführt. Hierbei handelt es sich um die grösste internationale jüdische Sportveranstaltung, die alle vier Jahre in Israel – und um zwei Jahre verschoben – in Europa oder an einem anderen Ort auf der Welt stattfindet. Dieses Mal nahmen über 2000 Athleten aus 37 Nationen daran teil und massen sich im Golf, Tennis, Fechten, Schwimmen, Basketball und in vielen anderen Sportarten mehr. Wir durften die Schweiz mit einer Fussballmannschaft vertreten. Die Spiele wurden während einer Eröffnungsfeier in der Innenstadt mit diversen show acts eröffnet; danach konnte es mit dem Kräftemessen losgehen. Unsere Gegner waren Mexiko, England, Belgien und das Gastgeberland Österreich. Zwei von vier Spielen entschieden wir für uns, die anderen beiden verloren wir. Auch wenn wir uns am Schluss mit dem sechsten Rang begnügen mussten, so war alleine die Teilnahme an einem solchen Anlass ein unvergessliches Erlebnis. Das Durchschnittsalter unserer Mannschaft war mit Abstand das tiefste, vielleicht war auch das mit ein Grund, weshalb wir die Zeit so geniessen konnten. Unser Teamgeist blieb trotz den Niederlagen ungebrochen, und da sehr viele Spiele am gleichen Ort stattfanden, nützten wir die Gelegenheit, andere Wettkämpfe zu besuchen und unsere Sportkollegen in den anderen Disziplinen anzufeuern. Während der spielfreien Zeit waren wir meistens als Mannschaft unterwegs und konnten ein wenig die Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten erleben. Insgesamt sahen sich 60’000 Zuschauer die sportlichen Anlässe an, unter anderem auch unsere Fussballspiele. In einem solch grossen Rahmen mit anderen Sportlern zusammenzutreffen war ein einmaliges, bereicherndes und unvergessliches Erlebnis. Trotzdem sei kurz erwähnt, dass alle Delegationen bei jedem Transport mit dem Bus vom Hotel zu den Austragungsorten von Polizisten begleitet und wir auch im Hotel rund um die Uhr von Sicherheitsleuten bewacht wurden. Wir können nicht beurteilen, ob das mit der Grösse des Anlasses zu tun hatte oder eher damit, dass Maccabiah eine jüdische Veranstaltung ist – unserer Freude konnte es keinen Abbruch tun. Wir danken für die Gelegenheit, die uns hier gegeben wurde – wir genossen die Zeit in Wien sehr! Avner Schächter (W3e) und Ethan Messinger (W4d) Schawuot – ein jüdisches Wochenfest Gelegentlich bleiben Schüler/innen der KEN vom Unterricht fern, weil sie mit ihrer Familie ein religiöses Fest feiern. Julia Rabner (N2a), Géraldine Nordmann (N4a) und Ana Rabner (N4a) berichten im folgenden Artikel über das jüdische Wochenfest Schawuot, das 50 Tage nach dem Pessachfest stattfindet und dieses Jahr auf den 8. Juni fiel. Der herrliche Duft frisch gebackenen Käsekuchens steigt uns direkt in die Nase, wenn wir an Schawuot denken. Die ganze Familie ist versammelt, es werden zahlreiche Freunde eingeladen, der Tisch ist festlich angerichtet und in der Küche steht das Essen bereit. Im Judentum beginnt dieses Fest mit Sonnenuntergang. Das bedeutet, dass der Feiertag am Abend anfängt. Wenn wir von der Schule nach Hause kommen, helfen wir bei den Vorbereitungen. Meistens müssen in der Küche noch die letzten Köstlichkeiten fertig hergerichtet, die Tische gedeckt oder sonstige kleinere Arbeiten abgeschlossen werden. Wenn im Haus alles erledigt ist, bereiten wir uns selbst auch vor, indem wir uns mit Vorfreude auf den Anlass festlich anziehen. Auf dem Weg in die Synagoge lassen wir den Alltag hinter uns und freuen uns auf die folgende Zeit im Familien- und Freundeskreis. In der Synagoge beginnt der Feiertag nun richtig. Es werden spezielle Gebete gesagt, wir singen viel und eine fröhliche Stimmung verbreitet sich. Nach dem Gottesdienst spazieren wir mit knurrenden Mägen nach Milchspeisen Hause. Wir empfangen unsere Gäste Im Judentum befolgen wir strikte oder werden von den Gastgebern Regeln hinsichtlich der Trenempfangen. Das köstliche Essen wird nung von Milch und Fleisch. Dies aufgetischt. An diesem Feiertag vergeht darauf zurück, dass in der zehren wir keine Fleischprodukte, Tora (altes Testament) dreimal sondern vorzugsweise Milchspeisen. folgender Vers vorkommt: «Du sollst ein Zicklein nicht in der Am nächsten Morgen stehen wir reMilch seiner Mutter garen.» lativ früh auf, um rechtzeitig zum Daraus schlossen die Weisen, Gottesdienst in der Synagoge zu dass Milch- und Fleischkonsum erscheinen. Den Höhepunkt des Gekomplett zu trennen seien. bets bildet die Lesung aus dem BuAn Schawuot pflegen wir vorche Ruth. In diesem Buch wird die Geschichte der Moabiterin Ruth erwiegend Milchspeisen zu essen, zählt, die aus Liebe zu ihrer Schwieda in der Tora steht: «Und ich germutter Noomi zum Judentum bin herniedergefahren, dass konvertiert. ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus Zusätzlich zur Lesung aus dem Budiesem Lande in ein gutes und che Ruth wird ein Abschnitt aus weites Land, in ein Land, darin der Tora, der Bibel, vorgelesen. Im Milch und Honig fliesst.» Mittelpunkt steht hier die Aufzäh- 7 lung der zehn Gebote. Diese werden je nach Brauch der Synagoge von der ganzen Gemeinde gesungen, manchmal sogar im Stehen. Nach dem Gottesdienst kehrt man nach Hause zurück, um mit der Familie und den Gästen zu Mittag zu essen. Auch hier pflegt man nur milchige Speisen zu sich zu nehmen. Auf den kulinarischen Genuss folgt die Ruhezeit. Wir gehen dann gerne an die frische Luft, später bleibt immer noch genug Zeit für einen kleinen Mittagsschlaf. Am Abend findet in der Synagoge das Abendgebet statt, an dem jedoch meist nur unsere Väter teilnehmen. Da, wie schon erwähnt, der Tag im Judentum am Abend zuvor beginnt, ist am Abend Schawuot zu Ende, und wir freuen uns schon auf den nächsten Feiertag. Julia Rabner (N2a), Géraldine Nordmann (N4a), Ana Rabner (N4a) IPA hilft, bildet und sensibilisiert Bild: Pietro Tomasini Buch Ruth Im Judentum gibt es fünf verschiedene «Megilloth», Buchrollen, die je an einem Feiertag in der Synagoge vorgelesen werden. Das Buch Ruth erzählt die Geschichte einer jüdischen Familie, die wegen einer Hungersnot in ihrer Heimat Betlehem nach Moab flieht. Elimelech und Noomi, die Eltern, ziehen mit ihren beiden Söhnen Machlon und Kiljion in die Fremde, wo bald darauf Elimelech stirbt. Beide Söhne heiraten eine Moabiterin, Ruth und Orpa. Kurz nach der Heirat sterben beide Söhne, und Noomi bleibt als verwitwete Frau mit ihren beiden ebenfalls verwitweten Schwiegertöchtern allein zurück. Als Noomi sich entscheidet, in ihre Heimat zurückzukehren, bleibt Orpa in Moab. Ruth jedoch zieht mit ihrer Schwiegermutter nach Israel. W ährend eines Lehrer-Austausches im Jahre 1993 bat ein albanischer Französischlehrer den Geschichtslehrer Pietro Tomasini um Hilfe für seine Schule in Gjirokastër (Südalbanien). Diese war in einem desolaten Zustand, auch mangelte es den Menschen an Kleidern, Essen, Büchern und vielen anderen Dingen des alltäglichen Lebens. Pietro Tomasini beschloss zusammen mit seiner Partnerin zu helfen und begann mit einer Gruppe von Schülern und Lehrern der KEN Material zu sammeln, das anschliessend nach Gjirokastër transportiert wurde. Schon bald interessierten sich auch andere Bildungseinrichtungen in dieser Stadt für die Hilfe aus der Schweiz, und so unterstützte der Verein Partner für Gjirokastër (PfG) diese mit grossem Engagement. Mit steigendem Aufwand wuchs auch die Zahl der freiwilligen Helfer – es waren dies vor allem Schülerinnen und Schüler der Kantonsschulen Enge und Wiedikon. Nach einem Dutzend erfolgreichen Hilfstransporten entschieden P. Tomasini und seine Partnerin, dass das Hobbyprojekt mittlerweile zu umfangreich geworden sei und nicht mehr einfach vom Lehrerpult bzw. vom Schülertisch aus betrieben werden könne. Also folgten die Umbenennung zu International Project Aid (IPA) und der Umzug in ein eigenes kleines Büro an der Wildbachstrasse (gegenwärtige Adresse: Bederstrasse). P. Tomasini reduzierte die Zahl seiner Lektionen und konzentrierte sich von da an auf die Weiterentwicklung des kleinen Hilfswerks. IPA zeichnet sich dadurch aus, dass man mit Schweizer Jugendlichen zusammenarbeitet und die gleich strengen Qualitätsanforde- rungen wie andere namhafte Organisationen erfüllt (ZEWO-Gütesiegel). Neben Projekten in Albanien kamen mit der Zeit auch solche in Kamerun dazu. Obwohl P. Tomasini gerne überall helfen würde, hat er sich vorläufig auf diese beiden Länder beschränkt. IPA investiert vor allem in Bildungsprojekte, denn P. Tomasini ist der Meinung, dass Bildung der Schlüssel zu Wohlstand sei. Ungebildete Menschen seien oft nicht fähig, sich zu organisieren oder Aufgaben aufzuteilen. Hilfe zur Selbsthilfe, das ist der Leitspruch von P. Tomasini, den er möglichst in allen Projekten umsetzen möchte. Das Geld für diese kommt von grossen Stiftungen und auch von privaten Spendern. Eine Kernkompetenz von IPA ist die Zusammenarbeit mit Schulen. Die Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit, sich ein Projekt von IPA auszusuchen und es dann selbständig zu betreuen. Dazu gehört: Abklären und planen des Projekts in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern, Budget erstellen, Projekt beschreiben und präsentieren und sich um das Fundraising kümmern – kurz: das Erlernen von Projektmanagement in einem sozialen Einsatz. Meist sind innovative Ideen gefragt, z.B. veranstalteten Schüler auch schon Konzerte und sammelten so Geld für ihr eigenes Projekt. Bei diesen Jugend-Projekten geht es P. Tomasini nicht um die Geldsammlung. Im Zentrum stehen die Schülerinnen und Schüler. Sie sollen fachliche und überfachliche Kompetenzen erlernen und für Fragen der Entwicklungszusammenarbeit sensibilisiert werden. Diese Arbeit ist es denn auch, die P. Tomasini sehr viel Spass macht. Niklas Zeller (H2b) 8 kenzeichen 3/11 «Ragtime is a good time» – mit diesem Motto endete der erste Jugendwettbewerb für Ragtime-Piano, der am Freitag, dem 16. September 2011, in der Aula der Kantonsschule Enge über die Bühne ging. Fünf junge Kantonsschüler/innen im Alter von 15 bis 18 Jahren spielten um den ersten Preis: eine Reise in die USA ans West Coast Ragtime Festival im November 2011. Nach einem spannenden Final mit ausgezeichneten Leistungen entschied die 16-jährige Valerie Kazik von der Kantonsschule Zürcher Oberland das Rennen für sich. Mit Scott Joplins Rag-Walzer Bethena und Vincent Youmans Tea For Two überzeugte sie die fünfköpfige Jury am meisten. Den Publikumspreis erhielt der jüngste Teilnehmer, der 15-jährige Maurice Imhof von der Kantonsschule K+S Rämibühl. Vor dem Wettbewerb und während der Pause spielten verschiedene RagtimeEnsembles aus den USA im Foyer. Damit verbreiteten sie schon im Eingang der Aula eine freudige Ragtime-Atmosphäre. Nach der Pause präsentierte das in den USA äusserst beliebte Ragtime-Duo Ivory & Gold mit Jeff Barnhart (Piano) und Anne Barnhart (Querflöte) ein musikalisches Programm der Extraklasse. Neben Ragtime wurden auch atemberaubende Stride-Stücke von Fats Waller und eine spezielle Version von Gershwins Summertime dargeboten: Anne Barnhart spielte mit der Querflöte in den Resonanzkörper des Konzertflügels hinein und zauberte damit unerahnte Klänge hervor. Im letzten Teil kam auch der Chor der Kantonsschule (Leitung: Martin Jäger) zu einem Auftritt. Mit Songs von Irving Berlin wie Simple Melody und Alexander’s Ragtime Band begeisterten die jungen Leute das Publikum. Dazwischen boten die Gäste aus den USA eine witzig-romantische Ragtime-Barbershopnummer dar, in welcher die Tuba das ersehnte Girl im Mondenschein parodierte. Nach dem alten Ragtime-Klassiker Dill Pickles von Chas Johnson, den ich zusammen mit den Musikern aus den USA spielte, endete der vielfältige Abend mit dem Chorblues Mailtrain. Ein langer Applaus des Publikums bestätigte, dass Ragtime auch heute noch ein äusserst unterhaltsamer Musikstil ist. Swiss Youth Ragtime Piano Competition 2011 Bilder: Andreas Haag Martin Jäger (Musik) F o t o t e r mi n 9 Bilder: Andreas Haag A1a N1a N1b 10 kenzeichen 3/11 N1d H1a H1b 11 I n t e r v ie w Fussball – Frauen erobern den Rasen Bild: Andreas Haag Fragen von Nubia Sivec (Handelsdiplom 11) «Was, du spielsch Fuessball?!» Ein Lachen der Verunsicherung folgt. Warum reagieren alle ungläubig auf meine Antwort, dass ich Fussball spiele? Nur, weil ich nicht aussehe wie ein Mannsweib? Offenbar ist es für viele immer noch nicht selbstverständlich, dass Frauen Fussball spielen, und viele muten mir diesen Sport nicht zu. Ich habe mich also gefragt, was man für eine Einstellung vor zwanzig Jahren hatte, als Frauenfussball noch unüblicher war. Eine Deutschlehrerin der KEN, Frau Valeria Soriani, die schon vor über zwanzig Jahren mit diesem Sport begonnen hatte, erklärte sich bereit, meine Fragen zu beantworten. Wann fingen Sie an, Fussball zu spielen? Ich begann bereits mit sechs Jahren, Fussball zu spielen beim FC Dielsdorf (im gleichnamigen Dorf im Zürcher Unterland wuchs ich auf). Damals gab es noch keine Juniorinnen, also spielte ich mit den Jungs. Das ging so lange gut, bis ich ein gewisses Alter erreichte. Warum begannen Sie mit diesem Sport? Waren es Männer in Ihrem Haushalt, die Sie dazu brachten? Obschon ich mit zwei grossen Brüdern aufwuchs, war Fussball zu Hause nie ein Thema. Sie mochten den Sport beide nicht und spielten später Handball. Meine Leidenschaft galt hingegen schon immer dem Fussball. Woher ich die habe, weiss ich nicht, denn meine Eltern waren dagegen, dass ich mit dem Fussballspielen anfing, und dieser Sport war in unserer Familie nicht besonders populär. Faszination Fussball – können Sie die erklären? Oh ja, natürlich. Ich bin ja selber ein «Opfer» dieser Faszination, jeden Sonntag erwacht sie von neuem auf dem Fussballfeld – scheint die Sonne, steigt mir der Duft des frisch gemähten Rasens in die Nase und pfeift der Schiedsrichter das Spiel an, steigt mein Puls, und ich verspüre eine angenehme Aufregung, die mich alles andere vergessen lässt. Mich fasziniert die Vielseitigkeit dieses Sports. Körperlich wird man stark gefordert, gleichzeitig muss man aber auch den Kopf bei der Sache haben, Spielzüge der Mitspielerinnen vorausahnen, mitdenken, allzeit bereit sein. Die Spielsituation kann blitzschnell ändern, und dann muss man angemessen reagieren. Teil der Faszination ist gewiss auch das Hochgefühl, wenn man ein Tor schiesst oder an der Aktion, die dazu führt, beteiligt ist. Der Teamzusammenhalt – in guten und in schlechten Zeiten – ist ebenfalls ein Aspekt, der mich fasziniert. Man steht alles zusammen durch, motiviert sich im Fall einer Niederlage und feiert einen erfolgreichen Fussballtag im Team. Gerade wenn man viele Jahre in derselben Mannschaft spielt, kommen da einige tolle 12 und verbindende Erlebnisse zusammen – auch abseits des Rasens. Ich gucke mir zudem auch gerne Spiele im Fernsehen an, und finde diese oft sogar spannender als irgendeinen Krimi, vornehmlich aus denselben Gründen wie oben beschrieben. Haben Sie auch Widerstände in Ihrem Umfeld gespürt bzw. Unverständnis? Wie bereits erwähnt, waren meine Eltern dagegen, dass ich einem Frauenteam beitrat. Sie fanden, Fussball sei kein Sport für Frauen und die Verletzungsgefahr sei viel höher als in anderen Sportarten. Ein grosses Thema war damals auch die Homosexualität im Frauenfussball – sicherlich nicht bloss ein Klischee. Als ich mit 18 in der Nationalliga A beim SV Seebach spielte, war die Hälfte der Spielerinnen homosexuell. Mir machte das jedoch nichts aus und es beeinflusste mich weder positiv noch negativ. Meine Eltern blieben aber konsequent und weigerten sich, mich ins Nachbardorf zum Training zu fahren – es gab nur da eine Frauenmannschaft. Ich setzte mich dennoch durch, behalf mich mit dem Fahrrad oder nahm den Zug. Da ich bereits zu einer Zeit Fussball spielte, in der es eher ungewöhnlich war, wenn ein Mädchen diese Sportart ausübte, musste ich hin und wieder anderen Menschen erklären, warum ich mich ausgerechnet für diesen Sport entschieden hatte. Im Gegensatz zu meinen Eltern brachten mir die meisten Mitmenschen aber eher Bewunderung als Unverständnis entgegen. Homosexualität im Frauenfussball – kein Klischee? Noch vor 20-25 Jahren gab es im Fussball tatsächlich viele homosexuelle Spielerinnen. Ich vermute, das lag unter anderem daran, dass dieser früher einfach eine absolute Männerdomäne war, von der man sagte, es gehe in ihr ruppig zu und her. Dass eine solche Sportart eher Frauen anzieht, die körperlich kämpfen und zupacken können, liegt auf der Hand. Zudem gab es lange keine Juniorinnenmannschaften, also mussten Frauen mit Jungs zusammen spielen. Wenn eine Frau in diesem Fall nicht auf der Bank sitzen wollte, musste sie einstecken können und unzimperlich in den Zweikampf einsteigen. Natürlich gab es auch schon immer – wie in meinem Fall – Mädchen, die nicht homosexuell sind und gerne Fussball spielen. Im Laufe der letzten 20 Jahre hat sich der kenzeichen 3/11 Frauenfussball zudem völlig verändert. Unzählige Frauenmannschaften (was für ein dämliches Wort!) wurden neu gegründet, ebenso Clubs mit Juniorinnen, und heute überwiegt der Anteil der heterosexuellen Mädchen und Frauen im Fussball – zumindest in den tieferen Ligen. Letztlich spielt es meiner Meinung nach aber keine Rolle, ob eine Fussballerin homo- oder heterosexuell ist. Was zählt, ist der Spass und die Fairness auf dem Platz! Was sagen Sie zum Vorurteil, Frauen könnten keinen Fussball spielen? In gewisser Hinsicht ist es unbestritten, dass die weibliche Anatomie schwächer und die körperliche Leistungsfähigkeit begrenzter ist als die der Männer. Auch da gibt es natürlich Ausnahmen, aber im Grossen und Ganzen sind das biologische Tatsachen. In Länderspielen beobachte ich immer wieder, dass Frauenfussball langsamer, weniger athletisch, dafür aber oft auch etwas gepflegter ist. Man sieht haufenweise schöne Spielzüge, weil das Spieltempo niedriger ist. Mit Können hat das meiner Meinung nach jedoch wenig zu tun. Frauenfussball ist einfach anders als Männerfussball; ich würde das nicht werten. Was Technik und Taktik anbelangt, stehen Frauen meiner Meinung nach den Männern in nichts nach. Karriere im Frauenfussball – was für Tipps können Sie geben bzw. was müsste sich ändern, damit frau davon leben könnte? In der Schweiz würde ich jeder Frau raten, keine Karriere anzustreben oder nicht allzu viel dafür zu opfern. Da wir keine Profiliga haben wie zum Beispiel Deutschland oder die USA, wird der Frauenfussball kaum gefördert und man kann ihn höchstens als aufwändiges Hobby betreiben, da man keinen Lohn erhält. Ich habe in meinen «jungen Jahren» in der obersten Liga gespielt und ein wenig diese Luft geschnuppert. Der Konkurrenzkampf ist beträchtlich, und ich habe mich schnell einmal gefragt, wofür ich den Aufwand treibe: Dreimal in der Woche Training und am Wochenende eine lange Anreise zu einem Match irgendwo in der Schweiz – das zehrt an der Substanz, wenn man gleichzeitig versucht, die Matura erfolgreich zu bestehen. Hätte man in der Schweiz wirklich die Möglichkeit, eine Profikarriere anzustreben, dann lohnte sich der Einsatz auf alle Fälle, aber mit den momentanen Perspektiven würde ich jeder abraten, vom Fussball leben zu wollen – oder ihr nahelegen, im Ausland ihr Glück zu versuchen. Ich denke nicht, dass Frauenfussball in der Schweiz je eine grosse Rolle spielen wird. Wir sind keine Fussballnation und die Frauen werden viel zu wenig gefördert. Es ist aber schön, mitzuerleben, wie stark die Zahl der aktiven Mädchen und Frauen zugenommen hat und hoffentlich noch weiter zunimmt! Wie würden Sie den Frauenfussball an der KEN fördern? Warum sollen Ihrer Meinung nach mehr Frauen Fussball spielen? Eine schwierige Frage, da ich denke, dass die Kernaufgabe der KEN nicht darin besteht, den Frauenfussball zu fördern. Es gibt heute zahlreiche Clubs, die ein Frauenteam haben, und somit steht der Weg aufs Fussballfeld jedem Mädchen und jeder Frau offen. Es ist heute nicht mehr schwierig, Anschluss an eine Mannschaft in der Nähe des Wohnorts zu finden. Man könnte natürlich an der Fussballnacht ein reines Frauenteam stellen oder ein Freifach Frauenfussball anbieten. Eine weitere Möglichkeit wäre natürlich auch, eine Mannschaft zu gründen für die Alternativliga, die eine eigene Meisterschaft hat und jeden Sonntag auf dem Hardhof Spiele veranstaltet. Das Training ist etwas lockerer als in den Clubs und weniger verbindlich, und es steht der Spass im Vordergrund, sich einmal in der Woche zum Kicken zu treffen. Ich finde nicht, dass mehr Frauen Fussball spielen sollen, sondern bin vielmehr der Ansicht, dass jeder die Sportart findet und ausübt, die er/sie will – das gilt natürlich auch für die Männer. Frauenfussball ist kein Tabuthema und das Spiel mit dem runden Leder keine reine Männerdomäne mehr, wie das früher der Fall war, deshalb kann heute jedes Mädchen/jede Frau völlig frei entscheiden, ob sie diese Sportart ausüben will. Nubia Sivec (Handelsdiplom 11) 13 Hans Spuhler – ein Leben für die KEN Bild: Andreas Haag Hans Spuhler, ehemaliger Schüler, Lehrer und Prorektor der KEN, verlässt unsere Schule auf Ende des Sommersemesters. Wenige Menschen kennen die Kantonsschule Enge schon so lange und haben die stetigen Veränderungen selbst miterlebt wie er. Das veranlasste uns dazu, ein ausführliches Interview mit einem Langzeitkenner der Schule zu führen. E nde dieses Semester treten Sie nach 41 Jahren im Dienste der KEN in den Ruhestand – welche Funktionen haben Sie während dieser Zeit ausgeübt? Seit 1970 arbeite ich als Deutsch- und Geschichtslehrer an der Kantonsschule. Dies tat ich 17 Jahre, um dann weitere 17 Jahre als Prorektor die Schule mitzugestalten. Nun bin ich seit sieben Jahren wieder ausschliesslich Lehrer und unterrichte ein volles Pensum. Als sie als Lehrer begannen, wie war das Schulklima an der KEN? Ich kannte die Schule schon von früher, denn ich war hier selbst einmal Schüler. Als ich 1961, also vor 50 Jahren, an die KEN kam, herrschte ein anderes Klima. Seitdem vollzog sich ein grosser Strukturwandel, schon die Namensveränderung bringt das zum Ausdruck. Damals hiess unsere Schule noch Handelsschule und war viel stärker auf die Wirtschaftsfächer ausgelegt. Zu Beginn waren keine Frauen im Lehrerzimmer oder in den Unterrichtsräumen anzutreffen, weder Lehrerinnen noch Schülerinnen. Mit der Zeit änderte sich der «Geist der Schule», er wurde offener und transparenter. Gab es Lehrer, die Sie in Ihrer Art zu unterrichten, beeinflussten? Da gab es wohl welche, die mich beeinflussten – mein Deutschund mein Geschichtslehrer zum Beispiel. Ersterer unterrichtete damals mit modernen Methoden, er verwendete u.a. ein Tonband und engagierte sich stark für seine Schüler. Letzterer überzeugte mich mit seiner Didaktik, seiner Art, den Stoff einzuführen und stets für den Überblick besorgt zu sein. Wahlkurssystem. Aber auch die Erweiterung des Unterrichtsspektrums war mir wichtig. So führten wir 1989, als der Eiserne Vorhang aufging, Russisch ein, damals fast eine Pionierleistung. Später setzte ich mich z.B. für die Fächer Chinesisch, Arabisch und Hebräisch ein. Die ersten beiden wurden schliesslich auch im Unterrichtsangebot aufgenommen. Gab es auch Enttäuschungen? Nein, ich habe stets versucht, mir realistische Ziele zu setzen. Wenn man sich keine Illusionen macht, ist man eher zufrieden. Was waren Ihre Ziele, als Sie sich für das Amt des Schulleiters bewarben? Sicher war da ein Bedürfnis, eine Schule mitzugestalten. Ganz im Sinne der offenen Architektur Schaders waren mir Transparenz ein Anliegen sowie die Bereitschaft der Lehrpersonen und Schüler/innen, eigenständig und kritisch zu denken. Wie viele Rektoren haben Sie erlebt? Wie war die Zusammenarbeit mit ihnen? Wenn ich meine eigene Schulzeit einrechne, so waren es sechs, sonst vier. Die Zusammenarbeit klappte eigentlich gut, es ist eine wichtige Eigenschaft eines Prorektors, dass man mit vielen unterschiedlichen Charakteren produktiv zusammenarbeiten kann. Sehr schön war es, mit Rektor Wüthrich und den Prorektoren Wyss und Limacher die Schule zu führen, wir bildeten ein richtiges Dream-Team. Welche Projekte lagen Ihnen als Schulleiter besonders am Herzen? Mir lag viel daran, Reformen vernünftig umzusetzen, insbesondere die noch heute bestehende Reform der Oberstufe mit dem Geschichtsstudium – hat Sie Ihr Interesse für Politik dazu bewogen? Schon im Alter von 10 Jahren interessierte ich mich für Politik – die Welt sprach von der Suez-Krise und dem Ungarnaufstand. Mit kenzeichen 3/11 diesem Interesse ist natürlich auch jenes für Geschichte verbunden, denn Politik ist ja immer auch aktuelle Geschichte. Dieses Interesse liess nie nach, so dass ich mich nach der Matura entschied, das Studium der Geschichte aufzunehmen. Stichwort Schulpolitik in den letzten 40 Jahren – gibt es Politiker bzw. Tendenzen, die in Ihren Augen förderlich für den Schulbetrieb waren? Oder ihm gar schadeten? Vor ein paar Jahrzehnten war das Konzept einer Dezentralisierung der Mittelschulen aktuell, es sah vor, im Kanton Zürich mehrere Mittelschulen an verschiedenen Orten, z.B. auch in Horgen, einzurichten. Stattdessen beschloss man, den Standort Zürich weiter auszubauen, sodass ein riesiger Mittelschul-Komplex entstand. Meiner Meinung nach war das auf längere Sicht ein Fehlentscheid. Denn die Schüler nehmen teilweise lange Schulwege in Kauf, die Schulen werden grösser und somit anonymer, was die Offenheit, von der ich gesprochen habe, hemmt. Weiter ist mir aufgefallen, dass sich die Mittelschule in den letzten Jahren immer mehr zur Erziehungsanstalt gemausert hat und somit die Jugendlichen mehr als Schüler/ innen und weniger als Gymnasiasten und Gymnasiastinnen wahrgenommen werden. Als Schulleiter haben Sie einige Lehrer eingestellt – mit welchen Qualitäten konnten die Kandidaten bei Ihnen Punkte sammeln? Ich habe in meiner Auswahl vor allem auf zwei Kriterien geschaut, die mir wichtig waren: zum einen auf die Bereitschaft zum Engagement und zum anderen auf eine humanistische Grundeinstellung. Eine zukünftige Lehrperson sollte sich für die KEN einsetzen und eine humanistische Haltung auch in den Schülern wecken können. Ich wollte es vermeiden, Fachidioten anzustellen. Würden Sie wieder Lehrer werden? Den Beruf auch weiterempfehlen? (Antwortet schnell und entschlossen) Ja, wobei das Weiterempfehlen schon wieder etwas ganz anderes ist. Die Ausbildung unterscheidet sich heutzutage wesentlich von jener zu meiner Zeit. Meiner Meinung nach werden Lehramtskandidaten zu fest eingeschränkt und in ihrer Ausbildung zu fest pädagogisiert. Eine Einengung, die fragwürdig ist. Ich finde, man sollte dieser Tendenz entgegenwirken und den Lehrpersonen wieder den nötigen Freiraum gewähren. Die Zukunft der KEN- was wäre wünschenswert, was weniger? Ich würde mir wünschen, dass der Geist der Schule, den ich im Verlauf des Interviews schon einige Male erwähnt habe (Transparenz, Offenheit, breites Spektrum), von der Schulleitung auch weiterhin getragen und gefördert wird, was meiner Ansicht nach zurzeit der Fall ist. Wenn man an eine vollgepackte Agenda gewöhnt ist- erweist sich dann der Ruhestand nicht als eine Herausforderung? (Ihre Pläne?) Das ist die Frage, die mir derzeit am meisten gestellt wird, und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich beantworte sie nicht so gerne, da ich mir noch nicht allzu grosse Gedanken darüber gemacht habe. Ich werde aber versuchen, meine neuen Freiräume auszuleuchten, etwas lässt sich dabei sicher finden. Ich bin optimistisch. Tiffany Sigg (N4b), Dorian Wiederkehr (H2a) Der Blick von aussen auf die KEN W ie nimmt man unsere Schule und unsere Umgebung wahr, wenn man aus einem anderen Kulturraum kommt? Angelika Bühler (AB, N2a) nützte die Gelegenheit, im folgenden Interview mit Janina Jentner (JJ, N2a) dieser Frage nachzugehen. Janina besuchte sechseinhalb Jahre das Albert-Schweitzer-Gymnasium in Erlangen und ist seit Februar 2011 Schülerin der KEN. Bild: Angelika Bühler 14 AB: Die KEN und Zürich – ein Kulturschock oder ein Eintauchen in eine neue spannende Welt? JJ: Den Ausdruck Kulturschock halte ich für unpassend. Allerdings gibt es deutliche kulturelle Unterschiede. Ich habe den Eindruck, dass die Lehrer hier höheren Respekt geniessen und deshalb unnahbarer erscheinen. Unnahbar, wie meinst du das? Mit unnahbar meine ich distanziert, vielleicht nicht so kumpelhaft wie in Deutschland. Ich erlebte zum Beispiel in Deutschland Lehrpersonen, die die ganze Klasse zu sich nach Hause einluden und mit Pizza verköstigten. Oder sie organisierten einen Grillabend zum Abschluss eines Englischleistungskurses. Das sind aber seltene Einzelfälle. Dieser erste vergleichende Eindruck hat sich allerdings in den letzten Wochen gar nicht mehr bestätigt. Die persönliche Anteilnahme und auch das Engagement der KEN-Lehrer für die Klasse ist der Regelfall und nicht die Ausnahme, das ist für mich ungewohnt und ich weiss es zu schätzen. Was die Freizeitaktivität angeht, so habe ich gehört, dass auch an dieser Schule einige Lehrer manches veranstalten für die Schüler – vielleicht ist die Bereitschaft zur ausserschulischen Aktivität ja wirklich von Lehrperson zu Lehrperson verschieden. Könnte dein Ersteindruck daher kommen, dass Deutsche einen anderen Umgang miteinander pflegen? 15 Vielleicht könnte man ihn lockerer nennen. Sitzt man zum Beispiel in Deutschland in einem Bus, so kommt man fast immer mit jemandem ins Gespräch. Und man geht viel direkter auf eine unbekannte Person zu. Direktheit ist wohl eine Eigenschaft, für die wir Deutschen bekannt sind. Diese Direktheit ist gewöhnungsbedürftig und kann auch auf die Nerven gehen, deshalb wäre manchmal mehr Zurückhaltung gut. Und in der Schule, Thema Lockerheit? Die Schule ist wohl strenger hier. Schüler werden im Unterricht gefordert – wer sich im Gymnasium hängen lässt, kriegt dies schneller zu spüren, wird viel schneller provisorisch oder muss wiederholen. Auch was die Kleidervorstellung angeht, so ist jene in Deutschland wohl lockerer. Hier sollte man wohl nicht mit einem überkurzen Minirock durch die Halle der KEN stöckeln. Weniger streng an der Schule – ist der Umgang unter den Schülern auch freier, lockerer? Frei, locker – ich weiss nicht recht, ob diese Begriffe in diesem Zusammenhang angebracht sind. Ich denke aber, dass die deutschen Schüler respektloser gegenüber Gleichaltrigen sind und ihren Respekt nur gegenüber Autoritätspersonen wie Lehrern zeigen, dies aber immer weniger tun. An der KEN geben sich Schüler im Umgang miteinander sehr harmonisch, Lehrer werden als Autoritätspersonen anerkannt. Für mich neu waren hier der sehr respektvolle Umgang der Schüler untereinander und die gegenseitige Toleranz. Man steht sich in der Klasse nah, da man mehr gemeinsam unternimmt. Verbundenheit in der Klasse – wie steht es mit der Verbundenheit der Schweizer mit den Europäern? Wenn man Verbundenheit als eine künstliche Gruppierung von europäischen Staaten mit gemeinsamer Währung sieht, dann hat sich die Schweiz eine hohe Eigenständigkeit bewahrt. Dies ist zwar nicht immer unproblematisch, trotzdem blicken manche Staaten der Eurozone eher neidisch auf die Eidgenossen. Die Schweiz geht mit anderen Kulturen positiv um. Alleine in Zürich leben Mitmenschen aus rund 160 Nationen weitgehend harmonisch neben- und miteinander. Toleranz in allen Bereichen wird hier aktiv gelebt und nicht nur auf dem Papier gefordert. Ich denke, dass Spitzenpositionen der Schweiz bei Lebensqualität, Kultur, Gesellschaft, politischer Mitbestimmung und in anderen Bereichen das Ergebnis einer für die Schweiz ausgewogenen Mischung aus Eigenständigkeit und internationaler Verantwortung sowie Verbundenheit ist. Vielen Dank für deine Schilderungen und Eindrücke. Ich wünsche dir eine erlebnisreiche Zeit an der KEN! E h em a l i g e Sieben Jahre nach dem Handelsdiplom in verantwortungsvoller Position Viele Schüler/innen verlassen jedes Jahr die KEN mit dem Handelsdiplom oder mit der Maturität. Welches ist ihr weiterer Werdegang? Janine Waldvogel (Handelsdiplom 11) befragte Priska Fröhli, die von 2001 bis 2004 die KEN besuchte. Für das Profil HMS+ hatte sie sich entschieden, weil es sie reizte, länger die Schulbank zu drücken als in einer gewöhnlichen KV-Lehre. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihr die Arbeitswoche in Prag und das Konzert mit Freddy Washington. Stünde sie wieder vor der Wahl, würde sie erneut die KEN besuchen. Was für ein Praktikum absolviertest du nach den drei Jahren HMs+? Mein Praktikum absolvierte ich bei der Invico Capital Corporation AG in Zürich, einer kleinen internationalen Treuhandfirma. Nach der Schule, während der man verhältnismässig viel Freizeit und Ferien geniesst, war es eine rechte Umstellung, ins Berufsleben einzusteigen. Nach kurzer Zeit gewöhnte ich mich jedoch an den neuen Rhythmus, die Arbeit war spannend, und ich konnte vieles lernen. Du arbeitetest in der Buchhaltung – war das nicht am Anfang eine Überforderung? Meine Arbeit bestand im Betreuen von Buchhaltungen, aber auch andere Aufgaben hatte ich zu erledigen. Nach der Einführung durch einen Mitarbeiter konnte ich schon bald relativ selbständig einfache Buchhaltungen übernehmen. Ich finde, die Praxis ist ganz anders als die Theorie. Wenn man selber eine Buchhaltung führt, versteht man die Zusammenhänge und die Theorie um einiges besser. 16 kenzeichen 3/11 Wie fühltest du dich, als du den ersten Lohn bekamst? Grossartig! Es war ein tolles Erlebnis, als mir zum ersten Mal der Lohn ausbezahlt worden war. Ich empfand dies als einen weiteren Schritt in die Selbständigkeit. Ich war nicht mehr auf das Sackgeld der Eltern angewiesen und konnte mir auch mal etwas leisten, was zuvor nicht in Frage gekommen war. Hast du dich weitergebildet? Nach dem Praktikum arbeitete ich noch ein halbes Jahr zu 100% in derselben Unternehmung und ging danach sechs Monate nach Kanada, um mein Englisch zu verbessern und um zu reisen. Anschliessend begann ich ein Teilzeitstudium in Betriebsökonomie an der ZHAW in Winterthur, das ich soeben abgeschlossen habe. In dieser Zeit arbeitete ich zu 80%, wechselte in der Hälfte des Studiums den Arbeitgeber und studierte ein Semester in Finnland. Warum wechseltest du den Arbeitgeber? Bei Invico lernte ich sehr viel und hatte Einblick in die verschiedensten Bereiche einer Treuhandgesellschaft. Dadurch, dass im Schnitt nur immer ca. 7-10 Leute bei Invico arbeiteten, wurde ich schon im Praktikum relativ schnell wie eine vollwertige Mitarbeiterin behandelt und konnte (natürlich mit Unterstützung vom Vorgesetzten) die unterschiedlichsten Aufgaben selbständig übernehmen (Buchhaltungen, Gesellschaftsgründungen, Liquidationen, Administration von Gesellschaften, GV organisieren und protokollieren, etc.). Nach fünf Jahren wollte ich jedoch eine etwas grössere Unternehmung kennenlernen und entschied mich für die KENDRIS private AG. Hitze im Schulzimmer während des Sommers, der Blick auf den Stundenplan in der Hoffnung, dass wieder eine Stunde ausgefallen ist, Prüfungen schreiben … Was gefällt dir besser – Schule oder Arbeit? Nach der Schule war ich froh, nur noch zu arbeiten, doch nach einiger Zeit reizte es mich wieder, etwas Neues zu lernen. Weil ich die Arbeit nicht aufgeben wollte, entschied ich mich für ein Teilzeitstudium. Im Augenblick freue ich mich, nur zu arbeiten und nicht mehr nebenbei auch noch zur Schule gehen zu müssen. Es wird allerdings bestimmt wieder der Zeitpunkt kommen, zu dem ich beschliesse, eine zusätzliche Weiterbildung zu absolvieren (sie muss ja nicht mehr unbedingt vier Jahre dauern). Die KEN – ein Sprungbrett fürs Leben? Meiner Meinung nach schon. Ich würde dieselbe Wahl treffen. Noch einen Rat für gegenwärtige HMS+-Schüler/innen? Versucht, eine Praktikumsstelle in einem Bereich zu finden, der euch interessiert. Das macht die Umstellung einfacher und ihr seid motivierter für die Arbeit. Und verbringt eure Freizeit nicht nur mit Lernen, sondern behaltet eure Hobbys! Janine Waldvogel (Handelsdiplom 11) Welches ist deine Funktion? Im Moment bin ich noch Junior Trust Officer, doch im Herbst, wenn das neue Geschäftsjahr beginnt, werde ich aufgrund meiner abgeschlossenen Ausbildung befördert. Wenn du an die KEN zurückdenkst, was kommt dir spontan in den Sinn? Die Anreise mit dem Zug, die Pausen in der Raucherecke (obwohl ich nie geraucht habe), die unerträgliche Bilder: Liliane Preissle Was sind deine Aufgaben? Ich arbeite in der Trust and Corporate AdministrationAbteilung der Kendris. Meine Aufgabe sind die tägliche Betreuung von Trusts und Gesellschaften sowie die Vermögensverwaltung. Die Trusts und Gesellschaften können verschiedene Vermögenswerte halten wie zum Beispiel Geld, Autos, Häuser, Yachten, Flugzeuge, Wohnungen etc. Die Vermögenswerte müssen richtig versichert sein und können verkauft oder gekauft werden. In meinen Verantwortungsbereich gehören zudem Buchhaltungen für Trusts und Gesellschaften sowie die Erstellung von Protokollen. Auch stehe ich in Kontakt mit Banken, Anwälten und Partnerfirmen. 17 Ke n a t u r Der kleine Zoo an der KEN Ich bin verabredet mit Daniel Blaser. Er ist für die verschiedenen Tiere der KEN und KFR zuständig und betreut einen kleinen Zoo, in dem Amphibien, Reptilien, Nager und andere Tiere leben. Als ich deren Zuhause betrete, fällt mir als Erstes ein strenger Geruch auf, dann stelle ich fest, dass der Raum sehr übersichtlich ist, und ich bin beeindruckt von den vielen Tieren, die ich erblicke. Daniel Blaser erklärt mir, dass der strenge Geruch von den Mäusen bzw. deren Ausscheidungen komme, und ich erfahre, dass sich diese Tiere mit Abstand am schnellsten fortpflanzen. Der weibliche Zyklus der Maus beträgt vier Tage, ist sie trächtig, bekommt sie nach drei Wochen ihren Nachwuchs. Vier Stunden nach der Geburt kann sie erneut befruchtet werden und somit erreicht sie den Status der Dauerträchtigkeit – mit jedem Gebären vergrössert sich der Wurf und erreicht mit 18 Jungen beim sechsten Mal ihren Höhepunkt. Eine unerhörte Fruchtbarkeit, die vom Appetit der Reptilien in Schranken gehalten wird – denn der Nachwuchs wird als Nahrung für Schlangen und allerlei andere Kaltblüter verwendet. Jungmäuse, die nicht verfüttert werden, dienen der weiteren Zucht. Als Nächstes begebe ich mich zum hinteren Teil des Raumes, wo zwei Chamäleons in verschiedenen Terrarien ihre Unterkünfte haben. Vom Gang aus habe ich die beiden Echsen noch nie gesehen, und ich merke, wie meine Neugierde wächst. Daniel Blaser will sie mir genauer zeigen, nimmt das Männchen aus seinem Reich und gibt es mir in die Hände. Ich staune nicht schlecht und betrachte das Wesen, dessen scherenartige Füsse sich an meinen Händen festklammern und dessen Augen sich unabhängig voneinander in verschiedene Richtungen drehen. Damit es den Tieren gut geht, braucht es eine artgerechte Haltung. Dazu verhelfen zum Beispiel Wärmelampen bzw. UV- Lichter, die nicht ganz billig sind und alle sechs Monate erneuert werden müssen. Die richtige Temperatur ist für die Reptilien ein Muss. Aber auch in anderen Belangen wird stets Wert darauf gelegt, dass den Bedürfnissen der Tiere entsprochen wird. Neben dem Terrarium der Chamäleons leben junge Kornnattern. Eine von ihnen darf ich ebenfalls in die Hände nehmen. Schnell bemerke ich, dass ich doch ein bisschen mehr Respekt vor den jungen Schlangen habe als vor dem Chamäleon. Sie züngelt mich an, bewegt sich langsam und ihre Haut fühlt sich wie glattes, weiches Leder an. Nachdem meine neue Freundin wieder versorgt worden ist, zeigt Daniel Blaser mir die anderen Schlangen. Zuerst stellt er mir die grosse Königspython im Wasser vor, danach die einheimische Ringelnatter. Daniel Blaser, ein bekennender Reptilienliebhaber, kann mir viel über die Schlangen berichten. Die Königspython wird oft für den Unterricht gebraucht, da sie von Natur aus gelassener ist als die kleinen Ringelnattern, die unter Stress keinen Augenblick ruhig sein können. Im Ganzen gesehen brauchen die Schlangen weniger Aufmerksamkeit als die Nager, obschon diese im kleinen Zoo zahlenmässig untervertreten sind. Der Zeitaufwand für die Pflege von Echsen, Schildkröten und Schlangen ist gering, da eine Schlange nur alle ein bis zwei Wochen gefüttert werden muss und dementsprechend wenig Kot ausscheidet. Im Gegensatz dazu verursacht zum Beispiel ein Degus sehr viel mehr Unrat, denn er hat einen schnelleren Stoffwechsel und braucht täglich Nahrung. Der Rundgang durch das kleine Tierreich geht weiter und ich sehe von den Tannreks, einer Igelart, bis hin zu den Vogelspinnen alle Zoobewohner. Manche Tiere machen mir Angst, andere würde ich am liebsten gleich mitnehmen. Hier lebt Jung und Alt beisammen. Somit ist mir schnell klar, dass Daniel Blaser hier auch mit Krankheit und Tod konfrontiert ist. Berührungsängste darf er in diesem Beruf keine haben, als Tierpfleger muss er einen natürlichen Zugang zum Leben und Sterben finden. Manche Tiere tötet er lieber fachgerecht, als sie noch wochenlang leiden zu lassen. Probleme tauchen vor allem in der Beurteilung von Reptilien auf, diesen ist es nicht so leicht anzusehen, wenn sie leiden. Mit den Krankheiten wird es gefährlich, wenn diese vom Tier auf den Menschen übertragbar sind. Es handelt sich dann um sogenannte Zoonosen. Besonders riskant sind Salmonellen, diese sind für die Tiere ungefährlich und können für Menschen sogar zu einer tödlichen Lebensvergiftung führen. Damit man diesen Gefahren vorbeugen kann, müssen die grundsätzlichen Hygienemassnahmen befolgt werden. Mein Besuch bei Daniel Blaser neigt sich dem Ende zu, und ich bedanke mich herzlich bei ihm. Ich konnte einige neue Eindrücke gewinnen und mir ein genaueres Bild von den verschiedenen Tieren machen, an denen ich tagtäglich vorbeigehe und die ich jetzt ein wenig besser kenne als zuvor. Liliane Preissle (Handelsdiplom 11) (Red: Herr D. Blaser hat unterdessen die KEN verlassen, um eine Vollzeitstelle anzutreten; sein Nachfolger ist Hr. Roger Meier.) 18 kenzeichen 3/11 Wortschatz Spaghetti al mare – oder die Familie meines Freundes N och vier Stationen. Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster und zähle die vorbeirasenden Bäume. In meinem Kopf scheint die Zeit still zu stehen, während um mich herum die übliche Pendlerhektik herrscht. Geschäftsleute mit Aktenkoffern und Frauen in viel zu hohen Absätzen huschen an mir vorbei. Noch drei Stationen. Unruhig rutscht er auf dem Sitz gegenüber hin und her. Ob es ihm wohl genauso geht wie mir? Unsere Blicke treffen sich, und ich versuche zu lächeln. Noch zwei Stationen. Keiner von uns spricht ein Wort, und ich widme mich wieder den vorbeirasenden Bäumen. Draussen erkenne ich schon die ersten Wolken am Himmel. Na super, und ich hab keinen Regenschirm dabei, auch das noch! Soll ich mich etwa pudelnass bei seinen Eltern vorstellen? Er bemerkt meinen Blick und grinst: «Keine Angst, wir wohnen nicht weit vom Bahnhof entfernt. Deiner Frisur wird schon nichts geschehen!» Wieso muss er auch meine Gedanken lesen können?! Noch eine Station. Die letzte Station. Ich könnte einen Migräneanfall vortäuschen und einfach wieder umkehren. Oder unauffällig die Notbremse ziehen. Für Notfälle ist die ja da. Nein, versuche ich mir Mut einzureden, da musst du nun durch. Es ist ja nicht so, dass du niemals zuvor eine solche Situation erlebt hast. Ich atme tief ein und blicke an mir herunter. Alles noch sauber, kein Fleck auf meinen neuen Jeans. Das ist gut so. Man soll nicht von mir denken, ich liefe mit schmutzigen, abgenutzten Kleidern herum. So was will man als Mutter nicht sehen. Würde mein Sohn mir eine Frau mit verdreckten Klamotten und Hippie-Frisur als seine neue Freundin vorstellen, würde ich sie mit einem Besen aus dem Haus jagen. Der Zug verlangsamt sein Tempo und fährt im Bahnhof ein. Eine gute Geschichte entsteht aus dem Bauch heraus – diese Weisheit ist oft zu hören und vermutlich so berechtigt wie die Behauptung, dass man für eine Suppe Wasser benötige. Doch wie mit dem Füllen einer Pfanne mit Wasser noch keine Suppe gekocht ist, ergeben auch beim Schreiben zündende Einfälle allein noch keine gute Geschichte. Erst das Wissen um die Zutaten und die nötigen Herstellungsschritte sorgt dafür, dass das Resultat geniessbar ist. Verdichten, bildhaftes Umsetzen, Abwechslung im Erzählfluss durch richtigen Einsatz der erlebten Rede, durch gekonntes Kombinieren von Erzählzeit und erzählter Zeit etc. – aus zahlreichen Zutaten sind im richtigen Augenblick die passenden auszuwählen und schmackhaft zu kombinieren, ein Handwerk, das mitunter sehr viel Geduld und Fingerspitzengefühl voraussetzt. Praktisch geübt hat dieses Handwerk die Klasse W3d im letzten Sommersemester. Dabei herausgekommen sind fast zwei Dutzend Geschichten, die Einblick in das Erleben von Jugendlichen geben und alle auf ihre Art unterhaltsam sind. Ein kleiner Ausschnitt dieses Schaffens ist hier abgedruckt: die Kurzgeschichte von Vanessa Cruz (W4d), in der die Protagonistin, eine junge Frau, den Eltern ihres Freundes vorgestellt wird und sich während eines Nachtessens im engen Familienkreis zu bewähren hat. Sorgfältig und mit zitternden Beinen versuche ich, mich an einer Kindergartengruppe vorbeizudrängen, die offenbar den ganzen Waggon in Beschlag genommen hat. Schreiend und lachend versperren zwei Dutzend Rotznasen den Gang, während die Kindergärtnerin in Ruhe am Telefon quasselt und ihren letzten Besuch im Schönheitsstudio so ausführlich wie nur möglich schildert. «Ich wollte meine Nägel in Azurblau, passend zu meinem neuen Oberteil, und die blöde Kuh schmiert mir tatsächlich cyanblauen Nagellack drauf! C-Y-A-N-B-L-A-U! Kannst du das fassen?!» Ich merke, wie mir das Blut in den Kopf schiesst. Sie soll sich lieber um ihr Rudel kümmern und schauen, dass einem die wildgewordenen Affen nicht alle zwischen die Beine geraten! Mit geballten Fäusten beginne ich den Kampf, und nach einigen unsanften Schubsern und Kratzern gelangen wir endlich zur Tür. Der Zug zischt und quietscht und kurz darauf sind wir draussen. Am Himmel schieben dicke Wolken und kein einziges blaues Fleckchen ist mehr zu entdecken. Das kann nur ein schlechtes Omen sein. Schnellen Schrittes machen wir uns auf den Weg und begeben uns in Richtung Oberdorf, bis er vor einem kleinen, alleinstehenden Häuschen haltmacht. «Bist du so weit?», fragt er und zwinkert mir zu. Ich nicke zögerlich und ignoriere die Stimme, die in meinem Kopf laut um Hilfe schreit. Hektisch streiche ich mir die verschwitzten Haare aus dem Gesicht, richte ein letztes Mal meine Frisur und mache mich auf das Schlimmste gefasst. In was bin ich hier nur hineingeraten? Langsam gehen wir durchs Gartentor und begeben uns zur Haustür. Meine Wangen glühen und die Knie fühlen sich ungefähr so weich an wie der grässliche Wabbel-Pudding, den meine Schwester gestern stolz zubereitet hat. Ich trete einen Schritt hinter ihn, doch es ist nun zu spät, um sich zu verstecken. Man hört hastige, sich nähernde Schritte, der Schlüssel wird umgedreht und die Haustür geöffnet, deren Knarren und Ächzen beinahe das laute, unkontrollierte Pochen meines Herzens übertönt. Zum Vorschein kommt eine kleine, rundliche Frau mit Schürze und schwingendem Kochlöffel in der Hand, die italienischer nicht sein könnte und mich von Kopf bis Fuss mustert. 19 Ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen schiesst, und senke schnell meinen Blick. «Endlich! Das Essen ist schon lange fertig!», höre ich sie mit italienischem Akzent sagen, «und du bist also seine neue Freundin?» Sie wendet sich mir zu und streckt mir ihre Hand hin. Widerwillig reiche ich ihr die meine und lasse den knochenzerquetschenden Händedruck über mich ergehen. Dieses Gesicht – will sie mich mit ihrem Kochlöffel grün und blau schlagen? Habe ich den Auftritt schon in den ersten dreissig Sekunden vermasselt? Auf wackligen Beinen trete ich ein und folge ihr mit etwas Sicherheitsabstand zum Esstisch, wo sich schon der Rest der Familie versammelt hat. Alle Blicke sind auf mich gerichtet, wie Wölfe gaffen sie mich an. Wölfe, die das Schaf gesichtet haben und nun in die Enge treiben, um es zu zerfleischen. Jetzt bitte, bitte kein Fettnäpfchen! Ich danke dem Schicksal, dass ich mit einem Italiener und keinem Asiaten zusammen bin und keinen halbjährigen Mit-StäbchenEssen-Für-Anfänger-Kurs habe belegen müssen. Was kann bei Pizza, Pasta und Amore schon falsch laufen? Ich schaue kurz zu meinem Freund und setze mich an den Tisch. «Ich hoffe, du magst Spaghetti al mare. Christoph hat das Menu für heute ausgesucht.» Verständnislos starre ich sie an, nicke jedoch aus Höflichkeit. Spaghetti al WAS?! Was hat sie gekocht? Meine mangelnden Italienisch-Kenntnisse werden mir wieder einmal zum Verhängnis. Ich schicke ein kurzes Stossgebet zum Himmel, auf dass Christoph, sein Bruder, einen guten Geschmack in Sachen Essen habe. Denn einen guten Kleidergeschmack hat er definitiv nicht - sein grünes, in die Hosen gestopftes Hemd und die viel zu engen Jeans lösen in mir eine Mischung aus Ekel und Mitleid aus, was ich, seinem irritierten Ausdruck nach zu schliessen, offenbar schlecht verbergen kann. Schlagartig breche ich den Blickkontakt ab und stiere wieder den vor mir liegenden, weissen Teller an. Das Essen wird aufgetischt, ich schaue kurz ins Innere des riesen Topfes, und das Herz bleibt mir stehen. Das reinste Grauen hat sich in diesem Gefäss zusammengefunden: Dutzende von Muscheln und vielbeinigen Garnelen! Nicht mundgerecht, sondern zum Knacken und Schälen! Alles, um mich zu peinigen! Nun hat mein letztes Stündlein geschlagen! Dieser Christoph! Ich werfe ihm einen bösen Blick zu und wünsche ihm Hölle und Verderben. Doch er lacht nur. Ein hinterlistiges, fieses Lachen. Lacht er mich aus?! Oh, wie ich ihm das heimzahlen werde! Es kommt mir vor, als versuchte er mich absichtlich zu schikanieren. Ich, der tollpatschigste Mensch auf dieser Welt, komme kaum 100 Meter weit, ohne zweimal über meine eigenen Füsse zu stolpern, und jetzt soll ich es noch mit einer Horde Hartschalenmuscheln und tausendbeinigen Garnelen aufnehmen? Mein Gebet ist offensichtlich nicht oben angekommen. Friedlich grinsend beginnt Teufels-Christoph Spaghetti und Meeresfrüchte auf seinen Teller zu schöpfen und kämpft sich vor, bis jeder am Tisch eine gute Portion vor sich hat. Nach Hilfe suchend, blicke ich meinen Freund an. Das wird ein reines Desaster. Wie kann er mir nur so etwas antun? Sieht er nicht, dass sein Bruder Christoph mich provoziert? Oder bilde ich mir das nur ein? Nun gut, länger kann ich das Verhängnis nicht mehr aufschieben. Ich greife zitternd zur Gabel und beginne mit dem Leichteren: den Spaghetti. Langsam, Gabel für Gabel, damit kein Saucen-Tröpfchen auf die Idee kommt, auf meiner Kleidung zu landen, fange ich an zu essen. «So, du bist also an der gleichen Schule?», höre ich die Mutter von dem anderen Tischende fragen, während ich mir gerade eine riesige Portion Spaghetti in den Mund schiebe. «Mhmm!», gebe ich von mir, versuche den grossen Happen hinunterzuschlucken und bereite mich mental auf das Verhör vor. Und das folgt auf Fuss: Bist du denn auch gut in der Schule? Was arbeiten deine Eltern? Wo kommst du eigentlich her? Kannst du Italienisch? Wieso lässt du die ganzen Meeresfrüchte beiseite? Magst du die nicht? Ich kann mir nun vorstellen, wie sich ein Gefangener während einer Befragung durchs FBI fühlt, und entscheide mich, nur stichwortartig zu antworten und mich stattdessen demonstrativ mit den Muscheln anzulegen. Hilflos drehe ich sie hin und her, doch die Schalen scheinen absolut dicht zu sein. Ich erkläre den Mistviehern den Krieg, zerre und schneide, doch die Schalen lassen sich einfach nicht öffnen. Ich beginne mich zu fragen, wie die andern das Kunststück geschafft haben, denn es scheint mir ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, in das kostbare Innere dieser Schalentiere zu gelangen. Ich schaue peinlich berührt in die Runde und hoffe, dass niemand etwas bemerkt. Doch nichts dergleichen. Die Augen alle auf mich gerichtet, beobachten sie meinen Kampf, in dem die Schalengegner momentan ganz klar in Führung sind. Mein ganzes Blut schiesst in den Kopf und das Herz rast in meiner Brust. Es hätte ja nicht anders kommen können. War ja klar, dass ich mich blamiere. Wütend über mich selbst, steche ich mit der Gabel auf meinen Teller, doch anstatt die gehofften Spaghetti zu treffen, treffe ich die Muschel. Wie ein Gummiball spickt dieses verdammte Ding von meinem Teller und findet sein Ziel direkt im Gesicht von Christoph. Oh Gott! Ich erstarre. Niemand bewegt sich, niemand sagt ein Wort. Man kann nur noch die Grillen draussen auf der Wiese zirpen hören. Sekunden vergehen, die sich wie Stunden anfühlen. Ich merke, wie mir der Schweiss langsam die Stirn runterrollt. Ich würde am liebsten heulen. Das ist also ihr erster Eindruck von mir ein muschelwerfendes, ungeschicktes Kind! Ich sollte mich schon mal auf einen Rauswurf gefasst machen. Und plötzlich prustet er los. Und mit ihm die ganze Familie. Christoph mit einem kleinen roten Fleck im Gesicht kann sich vor Lachen nicht mehr halten. «Da hast du aber gut gezielt!», grölt er. Mit grossen Augen schaue ich ihn an. «Gut gemacht! Der hat es verdient!», höre ich den Vater sagen, der zum ersten Mal das Wort ergreift. Ich versuche zu lächeln, doch ich spüre immer noch die Anspannung. Tief durchatmen. «Er wollte doch seine Spaghetti al irgendwas. Da hat er sie!», gebe ich zurück. Alle lachen und erstmals fühle ich mich wohl. Christoph zwinkert mir zu und ich merke, wie die Hand meines Freundes nach der meinen tastet. Vanessa Da Cruz (W4d) 20 kenzeichen 3/11 Achtung: Termine können im Laufe des Semesters ändern. Massgebend ist der Terminkalender auf der KEN-Homepage: www.ken.ch. Te r mi n e Oktober 2011 bis Januar 2012 Oktober Herbstferien Mo. 10. – Fr. 21.10. November Mi. 23.11. 13.30 Uhr Gesamtkonvent Unterricht ab 13.10 Uhr eingestellt Do. 24.11. 18.30 Uhr Gründung YES Mini Unternehmen (Aula) Mo. 28.11. 19.00 Uhr Kammermusik-Konzert (Saal Liceo artistico) Mi. 21.12. 19.00 Uhr Weihnachtskonzert Blasorchester Öffentliches Konzert (Aula) Fr. 23.12. 11.30 Uhr Weihnachtskonzert Blasorchester (Aula) Dezember Schulschluss vor den Weihnachtsferien nach Stundenplan Mo. 26.12.2011 – Fr. 6.1.2012 Weihnachtsferien Januar 2012 Mo. 9.1.2012 Schulbeginn nach den Weihnachtsferien