Die Einrichtung mit Kennzahlen professionell steuern
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Die Einrichtung mit Kennzahlen professionell steuern
BETRIEBSWIRTSCHAFT Die Einrichtung mit Kennzahlen professionell steuern Wirtschaftliche Betriebsführung Im Managementprozess von Pflegeeinrichtungen spielt Controlling zumeist noch eine untergeordnete Rolle. Zu Unrecht. Denn per Controlling gelingt es, betriebliche Entwicklungen transparent zu machen und steuern zu können. Notwendig dafür ist die Einführung eines Kennzahlensystems. Text: Jan Grabow / Tim Liedmann D ie generelle Aufgabenstellung des Controllings liegt im rechtzeitigen Erkennen von Chancen und Risiken, um Unternehmensziele zu ereichen sowie geeignete Steuerungsmaßnahmen zu entwickeln und durchzusetzen. Bei Mit Kennzahlen zur Ertrags- und Finanzsituation kann die Einrichtung gesteuert und gelenkt werden. sinkenden Gewinnmargen und Einstellung der öffentlichen Förderung zur Investitionsfinanzierung nimmt die Bedeutung eines refinanzierungsorientierten Kostencontrollings zu. Sinnvoll gewählte Kennzahlensysteme liefern die hierfür notwendigen Informationen, indem sie betriebliche Zusammenhänge komprimiert darstellen. Der Beitrag greift Problemstellungen des Controllings in der Praxis auf und stellt für die Steuerung relevante Kennzahlen exemplarisch vor. Viele Praxisprojekte haben gezeigt, dass das Controlling in der Pflegebranche, auch im Ver- gleich zu anderen Sozial- und Gesundheitsunternehmen, unterrepräsentiert ist. Die Qualität des Controllings leidet zum Einen unter dem zeitlichen Umfang der Bewältigung des Alltagsgeschäftes. Zum Anderen wird ihm nach wie vor eine untergeordnete Rolle im Managementprozess zu Teil. Am Ende steht die Ursachenforschung nach möglichen Unwirtschaftlichkeiten und die Gefährdung der Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit von Einrichtungen. Um ein Controlling durchführen, die betriebliche Entwicklung zeitnah darstellen und steuern zu können, ist eine Einführung oder Weiterentwicklung eines Kennzahlensystems notwendig. Die Pflegeeinrichtung ist anhand von Kennzahlen der Ertrags- und Finanzsituation – Jahresergebnis, Ergebnisbeitrag aus dem Investitionskostenbereich, Liquiditätsgrade – zu steuern und zu lenken. Geeignete Kennzahlen zur betrieblichen Steuerung Die Entwicklung der Wirtschaftlichkeit wird im Rahmen des operativen Controllings durch die interne Kosten- und Leistungsrechnung gesteuert. CONTROLLING WIRD IN PFLEGEEINRICHTUNGEN EINE HÖHERE BEDEUTUNG BEKOMMEN, WEIL źź die Gesundheits- und Sozialausgaben der Industrieländer in den heutigen Strukturen nicht länger finanzierbar sein werden. źź der Kostendruck auch zukünftig als Katalysator wirken und Anpassungsprozesse im Gesundheits- und Sozialwesen zur Beseitigung von Ineffizienzen beschleunigen wird. źź 76 die veränderten Rahmenbedingungen eine wachsende Herausforderung an das Denken, die Prozesse und die Strukturen einer Pflegeeinrichtung stellen. źź die Rahmenbedingungen auch Herausforderungen an bekannte Analysewerkzeuge wie Kostenrechnung, Monatsergebnisermittlung, Pflegesatznachkalkulation und Planungsinstrumentarium darstellen. źź im Berichtswesen auch die Anforderungen des Kapitalmarktes bzw. der Kapitalgeber zu berücksichtigen sind. źź die Professionalisierung in der Unternehmensführung und -steuerung nicht mehr nur als Erfolgsfaktor anzusehen ist, sondern zunehmend als Überlebensvoraussetzung in den Vordergrund rückt. Altenheim 3 | 2014 Auch für die Ausfallquote der Mitarbeiter können Kennzahlen erhoben werden: Sind diese im Vergleich zu anderen Einrichtungen relativ hoch, sollten die Ursachen ermittelt werden, um dem Verlustfaktor entgegenzuwirken. Foto: Fotolia/ contrastwerkstatt Damit die Einrichtung überprüfen kann, wie sie ihre Daten einzuordnen hat, kann durch Betriebsvergleiche bzw. Benchmarks ein Abgleich der betriebswirtschaftlichen Kennzahlen erfolgen, z. B. die anteilige Kostenverteilung auf die Bereiche Pflege, Hauswirtschaft, Verwaltung. Ausgangspunkt ist das Leistungsgeschehen Das bedeutendste wirtschaftliche Risiko von Pflegeheimen liegt in der Auslastung. Zum einen werden Entgelte regelmäßig auf Basis einer Auslastung von 95 bzw. 98 Prozent kalkuliert. Zum anderen sind regional bereits Überkapazitäten und damit sinkende Auslastungsgrade aufgrund eines in den letzten Jahren ausgeweiteten Angebotes an Pflegeplätzen festzustellen. Daran konnten die Steuerungsmaßnahmen der öffentlichen Finanzierungsträger zur Stärkung ambulanter und alternativer Betreuungsangebote nichts ändern. Belegungskennzahlen – Auslastung, Pflegestufenmix – sind deshalb ein wichtiges Instrument zur Unternehmensführung, das zeitnahes Erkennen von Veränderungen ermöglicht. Hierdurch wird zudem der Grundstein für jede operative, tagesgenaue Einsatzplanung gelegt. Im Rahmen einer Wirtschaftsplanung der Einrichtungen sollte die geplante Auslastung – An- und Abwesenheitstage – und die damit verbundenen Erlöse kalkuliert werden. Dabei bietet sich der Aufbau von Auslastungsszenarien an, um die Sensitivität bzw. Belastungsfähigkeit einer Einrichtung bei sinkenden Auslastungsgraden abzubilden. Die Belegungsstruktur kann in einer Kennzahl (Pflegeintensität oder Pflegekennziffer) abgebildet werden, indem die Belegungstage mit Gewichtungsfaktoren („Äquivalenzziffern“) multipliziert werden. Die Addition dieser Produkte aus Äquivalenzziffern und Anteilen an den jeweiligen Altenheim 3 | 2014 Pflegestufen ergibt die Pflegekennziffer (PKZ). Die Summe der gewichteten Belegungstage ist ins Verhältnis zu setzen mit den ungewichteten Belegungstagen, um die sogenannte Pflegeintensität oder Pflegekennziffer zu ermitteln (siehe Tabelle auf Seite 68). Auf Basis der Pflegetage (an- und abwesend) und deren Verteilung auf die verschiedenen Pflegestufen wird dementsprechend die durchschnittliche Pflegestufe monatlich errechnet. Eine hohe PKZ bedeutet eine hohe Anzahl Schwer- und Schwerstpflegebedürftiger. Eine niedrige PKZ entsprechend eine geringe Zahl Schwer- und Schwerstpflegebedürftiger. Die Entwicklung der Pflegestufenverteilung gibt Hinweise auf die Erlösentwicklung und eine ggf. notwendige Anpassung der Personalbesetzung. Monatlich sollte eine Liste mit Gegenüberstellung der durchschnittlichen Pflegestufe zum Planwert und Vorjahreswerten aufbereitet werden. Eine monatliche Gegenüberstellung der Ist-Besetzung zu den Planstellen ist unbedingt empfehlenswert. Den Personalbereich steuern: Grundstein für eine solide wirtschaftliche Basis Wesentliche Kostenfaktoren der Leistungserstellung in stationären Einrichtungen liegen in der Bereitstellung der Infrastruktur – wie Heim, Einrichtungen, Geräte etc. – und der Vorhaltung geeigneten Pflegepersonals. Nach Errichtung des Gebäudes sind die Infrastrukturkosten nur noch in geringem Umfang beeinflussbar – sogenannte „versunkene Kosten“. Vor allem die quantitative Personalbedarfsplanung sowie die Einhaltung der w 77 BETRIEBSWIRTSCHAFT Die Pflegekennziffer gibt das Verhältnis der gewichteten zu den ungewichteten Belegungstagen wieder. Tabelle: Grabow DIE PFLEGEKENNZIFFER ERMITTELN durchschnittl. Anzahl der Bewohner Belegungstage Faktor Stufe 0 10 3 650 0,7 2 555 Stufe 1 25 9 125 1 9 125 Stufe 2 40 14 600 1,4 20 440 Stufe 3 25 9 125 1,8 16 425 100 36.500 geforderten Fachkraftquote bestimmen die Kostenwirtschaftlichkeit. Die unterschiedlichen länderindividuellen Vorgaben von Betreuungsschlüsseln und Fachkraftquoten reglementieren den Personaleinsatz im Pflegebereich bzw. die Personalkosten stark. Jedoch ermöglicht eine Orientierung an den Stellenschlüsseln eine effiziente Personaleinsatzplanung und schafft den Grundstein für eine solide wirtschaftliche Basis. Dringend empfehlenswert ist eine monatliche Gegenüberstellung der Ist-Besetzung zu den Planstellen (Orientierung an Planbelegung/Pflegesatzvereinbarung) und Vorjahreswerten. Hieraus kann eine genauere Analyse der Refinanzierung der Personalkosten – ca. 70 Prozent Kostenanteil – abgeleitet werden. Schwankungen in der Bewohnerstruktur erfordern eine differenzierte Betrachtungsweise in Bezug auf den Mitarbeitereinsatz. Die Lösung liegt in der Flexibilität des Personalcontrollings und der strikten Abkehr von starren Verfahren. Zunehmenden Stellenwert erfahren daher Maßnahmen zur Flexibilisierung von Personalkosten und Stellenplänen, beispielsweise die zeitlich befristete Aufstockung von Teilzeitkräften und der zeitnahe Abbau von Überstunden. Der Abbau von Über- bzw./Mehrstunden und die Einführung eines Auszahlungsmodells auf Basis einer Mindeststundenzahl ist anhand der Kennzahl ausgezahlte Mehrstunden, Abbau von Arbeitszeitguthaben, interne Schulungsmaßnahmen etc. zu messen. Eine Flexibilisierung der Personalstruktur, wie die Erhöhung des Anteils der Mitarbeiter mit flexiblen Arbeitszeitvereinbarungen oder Teilzeitbeschäftigung, wird über die Kennzahl „Verhältnis Vollzeitstellen zu Zahl der Beschäftigten“ transparent. Ergänzend können mit Hilfe von Kennzahlen die Relationen zwischen der Belegungssituation und dem Personaleinsatz dargestellt werden. So können die gewichteten Belegungstage ins Verhältnis zum eingesetzten Pflegepersonal gesetzt werden: Bei 48 545 gewichteten Belegungstagen 78 gewichtete Belegungstage Pflegekennziffer (PKZ) 48.545 133 und einem Personaleinsatz von 39,1 Vollzeitkräften für Pflege und Betreuung ergibt sich eine Relation von 1 241. Dieser Wert kann im Zeitvergleich überwacht und mit den Ist-Werten aus der Personalbesetzung und Belegung abgeglichen werden. Bei der Ermittlung sind auch Mehrarbeitsstunden und die Inanspruchnahme von Fremdpersonal wie Zeitarbeitskräfte zu berücksichtigen. Den hauswirtschaftlichen Bereich optimieren Häufig vernachlässigt wird der hauswirtschaftliche Bereich. Die Erfahrung in Projekten zeigt, dass hier oftmals Kosten in nicht refinanzierter Größenordnung anfallen. Die Wirtschaftlichkeit dieses Bereiches bemisst sich zu einem großen Teil an den Aufwendungen für Unterkunfts- und Verpflegungsleistungen, die zwischen den Bundesländern deutlich schwanken können. Entscheidend für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit des hauswirtschaftlichen Bereiches ist in einem ersten Schritt die klare Zuordnung von Hauswirtschaftspersonal zu hauswirtschaftlichen Aufgaben. Nicht selten werden Pflegekräfte dafür eingesetzt. Dies geht damit zu Lasten der Refinanzierung aus Pflegesätzen. Ansatzpunkte für eine Optimierung der Hauswirtschaft können sein: •• Im Catering: Menüplanung hinsichtlich des Wareneinsatzes, aber auch Produktionszeiten optimieren. •• In der Unterhaltsreinigung: ggf. Sichtreinigungen vereinbaren bzw. veranlassen und Controlling des Einsatzes der Reinigungsmittel vornehmen. •• In der Wäschereinigung: genaues Controlling des Verbrauchs von Flach- und Frotteewäsche. Hier wird oftmals nicht genau hingeschaut und deutlich zu viel verbraucht. Weiterer Handlungsbedarf kann in der Anpassung der Qualifikation der Mitarbeiter durch Fortbildungsmaßnahmen bestehen: Als Kennzahl zur Steuerung dienen die Fortbildungsquote in Prozent der Arbeitszeit, Anteil der Mitarbeiter mit bestimmter Fachqualifikation an Gesamtbelegschaft etc. Altenheim 3 | 2014 Auch die Organisation und Administration lässt sich lenken Die Reduktion der Organisationszeiten der Pflegefachkräfte – z. B. Vor- und Nachbereitung, Dienstbesprechungen, administrative Tätigkeiten der Mitarbeiter – kann mit der Kennzahl/Indikator: Anteil der Organisationszeit an der Anwesenheitszeit, Dauer und Qualität von Dienstbesprechungen, Optimierung von Dienstabläufen etc. überwacht werden. Referenzkennzahlen können von spezialisierten Datenpoolanbietern oder ggf. von Wohlfahrtverbänden bezogen werden. Der Krankenstand von Pflegepersonal in stationären Einrichtungen liegt über dem Bundesdurchschnitt. Dies geht u. a. auf eine hohe physische und psychische Arbeitsbelastung bei gleichzeitig steigender Arbeitsverdichtung zurück. Mit Hilfe von Kennzahlen sollte daher auch die Ausfallquote der Mitarbeiter überwacht werden. Die Ausfallquote ist aus der Personalabteilung über das Personalverwaltungsprogramm abrufbar. Wenn die Ausfallquote der Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Einrichtungen relativ hoch ist, sind die Ursachen zu ermitteln, um diesem Verlustfaktor entgegenwirken zu können. Um gezielt gegen eine Häufung bestimmter Erkrankungen vorgehen zu können, sind Rückkehrgespräche hilfreich. Hierbei ist zu vermeiden, dass die Mitarbeiter sich „ausgehorcht“ fühlen. Nach Erhebung der Ist-Situation sind absolute Zielgrößen festzulegen, z. B. um wie viel Prozent die festgestellte Ausfallquote gesenkt werden soll und Maßnahmen zu definieren und umzusetzen, die zur Zielerreichung beitragen. Die Gesundheits- und Sozialausgaben der Industrieländer werden in den heutigen Strukturen nicht länger finanzierbar sein. Erlössteigerungen aus Pflegesatzverhandlungen waren daher bereits in der Vergangenheit geringer als die Summe der Personal- und Materialkostensteigerungen. Der Kostendruck wird auch zukünftig als Katalysator wirken und Anpassungsprozesse im Gesundheitsund Sozialwesen zur Beseitigung von Ineffizienzen beschleunigen. Zur nachhaltigen Bestandssicherung ist vor diesem Hintergrund auch für gemeinnützige Pflegeeinrichtungen eine wirtschaftliche Betriebsführung unumgänglich. Die veränderten Rahmenbedingungen stellen eine wachsende Herausforderung an das Denken, die Prozesse und die Strukturen einer Pflegeeinrichtung, aber auch an bekannte Analysewerkzeuge wie Kostenrechnung, Monatsergebnisermittlung, Pflegesatznachkalkulation und Planungsinstrumentarium dar. Zunehmend sind im Berichtswesen auch die Anforderungen des KapiAltenheim 3 | 2014 talmarktes bzw. der Kapitalgeber zu berücksichtigen. Die Professionalisierung in der Unternehmensführung und –steuerung ist nicht mehr nur als Erfolgsfaktor anzusehen, sondern rückt zunehmend als Überlebensvoraussetzung in den Vordergrund. Dabei sollte das Controlling in der Einrichtung eine höhere Bedeutung erfahren, als dies bisher der Fall ist. Vermehrt entstehen im Pflegemarkt Geschäftsmodelle, die ein breiteres Dienstleistungsportfolio, angefangen bei ambulanten über teilstationäre bis zu stationären Angebotsformen, umfassen. Vorteile liegen in der Erhöhung der Kundenattraktivität und -bindung sowie einer Stabilisierung der Auslastung, eines flexiblen und wirtschaftlichen Personaleinsatzes und in Synergieund Mengeneffekten. Gerade im hauswirtschaftlichen Bereich fallen oftmals Kosten in nicht refinanzierter Größenordnung an. Der Kooperation kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Sie ist in der Lage, Synergieeffekte zu generieren, ohne die Kosten eines Zusammenschlusses zu produzieren. Die „Kooperationsdividende“ liegt in einer Professionalisierung der Unternehmensführung sowie Kostendegressionseffekten in den Unterstützungsfunktionen – u.a. Verwaltung, Küche, Reinigung. Eine vertragliche und ökonomische Steuerung und Überwachung der Kooperation sind dessen ungeachtet unter allen Umständen erforderlich. Der Unternehmensführung obliegt die Verantwortung zur Erreichung der unternehmensstrategischen (Rentabilitäts-)Ziele. Das Controlling ist für die Überwachung der Zielerreichung verantwortlich. Hierzu kann es sich unterschiedlicher, möglichst prägnanter Kennzahlen bedienen. ¬ MEHR ZUM THEMA Frage: [email protected] Infos: www.curacon.de Jan Grabow ist Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Geschäftsführender Partner der Curacon GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Düsseldorf. Co-Autor Tim Liedmann ist dort für prüfungsnahe Beratung zuständig. 79