Assimilation. Eine Streitschrift. Gertraud Klemm 2010 Das Fräulein

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Assimilation. Eine Streitschrift. Gertraud Klemm 2010 Das Fräulein
Assimilation. Eine Streitschrift.
Gertraud Klemm 2010
Das Fräulein erwacht mit geballten Fäusten, mit Schmerzen, als wären die Fingernägel
durch die Handwurzel durchgewachsen. Die Hitze kriecht an den Beinen des Fräuleins
hoch und verschlingt es ohne Hast, wie eine Schlange. Das Kiefer fest versperrt: So
lächelt es vorne. In seinem Rücken steht Österreich.
Die Tabletts sind rund, aus Weißblech und unten liegt der Wettex, darauf balanciere ich
einen Turm aus Aschenbechern. Ich gehe ein paar Mal im Kreis. Das Fräulein hat ein
weißes Schürzerl, von dem die Wirtin gerne hätte, dass es über dem Gesäß eine schöne
Schleife wirft. Ein unausgesprochenes Gesetz verbietet mir, Hosen zu tragen. Ich darf
auch keine kurzen Röcke anziehen, weil sonst versuchen sie Dir beim Aschenbecher
Ausleeren unter den Rock zu spechteln. Es sind die Kleinigkeiten, sagen sie. Die machen
es aus. Wenn die Serbin mit den Häkeldeckchen reinkommt, drehe ich den Rücken zum
Eingang oder tauche unter, zum Aschenbecher Auspinseln. Wir haben ähnliche
Augenbrauen.
Die mit Frauen müssen sitzen, im Garten oder im Lokal. Die, die keine Frauen haben,
dürfen stehen, vorne an der Schank. Die Schanksteher und Tischsitzer mischen sich
höchstens zum Schnapsen. Die meisten Gäste kommen täglich, Schanksteher manchmal
sogar mehrmals am Tag. Dazwischen sind sie noch woanders und trinken dort wohl auch.
Wir schenken ihnen nach, kassieren und sehen ihnen dabei zu, wie der Wein in ihren
Körpern verschwindet. Davon leben wir.
Ich bin das Fräulein und ich habe Pflichten. Erstens bin ich ein schöner Anblick. Zweitens
appetitlich. Drittens nüchtern. Und so weiter. Niemand darf wissen, dass ich eine linke
Jugo-Emanze bin und von meinem Lebensgefährten in Brüllduellen einfordere, er solle
sich beim Brunzen gefälligst auf seinen Hintern setzen, weil ich ihn sonst aus der
Wohnung schmeiße. Wenn die das wüssten, würde ich keinen Cent Trinkgeld kriegen,
vielleicht ein paar, aber die dann aus Angst.
Wenn sie ins Lokal hineinkommen, in dem kleinen Moment, bevor sie den Mund zum
Grüßen öffnen, sieht man, wie traurig sie sind. Aber der Moment dauert nur kurz. Dann
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sehen sie den Schankbuam mit den Flaschen hantieren, das Fräulein, das ein schöner
Anblick ist und dann werden sie munter wie Äffchen, wenn der Wärter mit den
Heuschrecken kommt. Sie können einem schon leid tun. Da könnte man schon einen
Durst kriegen. Aber ich bin eine der ganz wenigen, die keinen Alkohol trinken. Ich trinke
Most gespritzt, auch, wenn ich offiziell auf einen Spritzer eingeladen werde.
Vor und an der Schank kann man lehnen; nur auf ihr lümmeln geht schlecht, da muss man
schon, wie der Toni, der immer einknickt, ordentlich in die Knie gehen. Aber man kann sein
Glas in Bauchhöhe abgestellt haben und man hat immer wen zum Reden. Den Wirten,
den Schankbuam, das Fräulein und, wenn man die Stimme hebt und den Kopf, sieht man
schemenhaft die Wirtin hinter der Vitrine des Buffets und kann die anplaudern. Sie
antwortet hundertprozentig sicher. Dazu ist sie da. Freundlich, korrekt, die Vitrine blitze
blank und alle Stunden macht sie diskret Klokontrolle. In Serbien saufen sie anders, hat
mein Vater gesagt nachdem er mich besucht hat. Ihm missfällt, dass ich hier arbeite. Was
die hier alles brauchen zum Saufen.
Ein Lokal, einen bestimmten Wein, ein Weib mit Schürze und Schleife.
Bei uns ist Saufen noch Saufen. Ohne das ganze Drumherum. Würde er sagen.
An der Schank kann man sich von beiden Seiten gut festhalten. Hinter der Schank ist der
altmodische Kühlschrank, der mit Holz vertäfelt ist, zum Anlehnen da. Oder man kann sich
am Nirosta aufstützen. Wenn es heiß ist, kriegt man hier auch den einen oder anderen
Schwall Kälte ab. Bis auf den kleinen Eingang seitlich ist die Schank wie ein Schutzwall.
Der wirkt wie Knoblauch gegen Vampire, es sei denn, man provoziert!
Ich weiß schon, was meinen Vater stört. Das sind die österreichischen Herren, die hier
konsumieren. Sie sind nicht gebildet, nicht jung, nicht reich und ganz bestimmt nicht
schön. Sie arbeiten nicht, sie betreuen keine Kinder und sie wischen niemandem den
Hintern aus, außer sich selbst, und sogar das wahrscheinlich mehr schlecht als recht.
Niemand ist vor ihnen sicher. Die Moslems. Oder die Tschuschen. Oder die Neger. Schon
gar nicht die Juden. Und vergesst mir nicht die Frauen! Also eigentlich alle, die nicht weiß
sind und nicht männlich. Und denen tragst du den Wein hinterher, würde er sagen.
Ich mache es, weil ich das System melke. Es will nichts anderes als gemolken werden.
Von Frauen wie mir. Die Kopfrechnen können und lächeln. Die Brüste haben und kräftige
Unterarme und Rücken. Ich führe das Fräulein mit seinen Dirndlbrüsten an einer Leine
spazieren und lasse es Männchen und Dienste machen. Damit verdiene ich das Doppelte
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von dem, was ich als Tutorin für den Herrn Professor verdient habe. Scheiße aus dem
Affenkäfig kratzen: acht Euro die Stunde. Im Dirndl herumspazieren und Wein servieren:
fünfzehn Euro die Stunde. Was wäre denn die adäquate Tätigkeit für eine
Botanikstudentin?
Der Wirt lässt mich manchmal kassieren, weil ein Wirt kein Trinkgeld kriegt. Das streiche
dann ich ein, obwohl ich gar nichts geleistet habe außer angesehen zu werden. Mich
anschauen ist im Preis inbegriffen, mit mir reden hingegen trinkgeldpflichtig.
Die Gespräche beginnen oft damit, dass der Schanksteher die schönen Kellnerinnen lobt
und der Wirt das Lob einstreichen darf. Der Schankbua und ich; beide sind wir zweifellos
Eigentum des Wirtes. Diese Gespräche sind mir unangenehm, ich winde mich schnell
wieder heraus und laufe meine Runde. Wenn ich zurückkomme hat der Schankbua brav
übernommen. Jetzt läuft der Dialog, es geht um Fußball, das Wetter oder ein gruseliges
Kuriosum aus dem Chronikteil. Dazwischen rieseln Füllwörter.
Da schau her. Na geh hör auf. Oder: Gibt’s des a?
Ich strecke mich vorsorglich. Der Rücken ist mein Kapital, auf das muss ich achten. Im
Sommer, bei Mineralwasserwetter, kommt das Kreuzweh schon nach einer Stunde Dienst;
im Winter braucht es manchmal einen ganzen Abend, bis es kommt. Das
Sommerkreuzweh kommt vom schweren Tragen, das Winterkreuzweh vom Stehen.
Alle Aschenbecher stapeln, ausleeren, saubere hinstellen, mit dem Wettex über die
furnierten Tische wischen, Patzer und Lackerln entfernen, lächeln, wieder zur Schank
zurück. Schnell eine Zigarette. Ein ruhiger Nachmittag, dekoriert mit stillen Pensionisten.
Ich habe das Gefühl, dass die Farbe aus dem Raum ausläuft, aus mir, aus dem Garten.
Der ganze Ort hier sollte Schwarz-Weiß sein. Die Wirtin lüftet. Schweigsam wird genippt,
gestopft, geschüttet. Wer nicht mehr miteinander redet, dem bleibt die forschende
Beobachtung des hin- und herlaufenden Fräuleins. Ich wecke Interesse, ich wecke Tote.
Man sieht mir zu, wie meine Hände arbeiten, meine Beine, mein Tragegestell. Sogar
meine verwandtschaftliche Zugehörigkeit ist Thema. Ob ich „leicht die Tochter“ bin? Ich
verneine. Ob ich studiere? Was denn? Wenn ich brav alles gebeichtet habe, darf ich
meine Arbeit weitermachen und ihnen den Wein bringen, das Stricherl auf den Zettel
machen, den Aschenbecher leeren, die leeren Gläser wegtragen, aber erst, wenn die
Gäste weg sind, sonst ist das wie eine Aufforderung zum Gehen. Manche bauen
abenteuerliche Installationen aus Zahnstochern und Zetteln, andere wickeln die Servietten
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um den Stiel der Gläser, aus Langeweile oder damit das Tropfen auf die Tischplatte schon
rechtzeitig unterbunden wird. Bei Zahlen kratzen sie dann das Kleingeld aus ihren alten,
speckigen Geldbörseln und legen noch ein bisserl was drauf, weil, man muss die armen
Studenten unterstützen. Die Frauen rümpfen manchmal die Nase über so viel
Großzügigkeit ihrer Männer. Kaufen Sie sich was Schönes, sagen manche. Da würde ich
das Trinkgeld gerne ablehnen, ihnen sagen, nein, behalten Sie es, kaufen Sie sich ein
neues Jackett oder ein schickes Halstuch für Ihre Frau, ich bin es nicht wert, ich versaufe
und vertschicke das Geld eh nur, und das mit dem Studium ist sowieso ein riesiger Irrtum.
Schnell fliehe ich zur Schank. Hinter meinem Rücken verwäscht die Farbe. Schwarz-Weiß
passt sowieso besser zu uns.
An der Schank sprudelt gute Laune aus verlässlichen Quellen: Aus den Witzen des
Schankbuams, dem Alkohol im Blut und meinem Anblick. Wenn es spät wird, kommt das
berüchtigte Schweinsbratenbrot der Wirtin als Glücksmoment dazu: Bratenfettbrot mit
Bauchfleisch obenauf, gepfeffert, gesalzen und mütterlich in Streifen vorgeschnitten.
In der Regel tragen alle Männer mehr oder weniger große Trommelbäuche vor sich her,
und viele heißen Toni. In den Dreißigern bis Fünfzigern muss der Name Anton ein echter
Renner gewesen sein. Ich merke mir genau, wer was trinkt. Der Ribisltoni, der nach
seinem nässenden Ekzem benannt ist, das in Form ribiselgroßer Beulen sein Gesicht
überwuchert, einen roten Spritzer. Der schafsköpfige Toni mit dem schlechten Fuß, der
nicht das einzige Schlechte am Toni ist, ein Achterl rot, im Stiftglas, damit er mit dem Wein
in seiner speckigen, verwachsenen Klaue auch in seinen schiefen Mund hinein trifft. Der
Toni mit der Hängelippe, der ab dem 7. Achtel mit den Knien so einknickt, dass der ganze
Heurige was zum Lachen hat, ein Achterl Neuburger. Keiner bestellt ein Viertel oder gleich
einen Liter, was einfacher wäre, weil auf einen Liter kommen sie alle locker. Manche
trinken weißen Spritzer: Felix der Obersturmbannführer, die dicke Marion, Walter der
Grapscher, bitte in einem Henkelglas, der lange Harald, der schon wegen
Versicherungsbetrug im Häfen war. Spritzer wird schneller getrunken, er ist bekömmlicher,
dafür müssen die öfter aufs Klo.
Ganz wenige trinken Viertel, der Kurti zum Beispiel, und der hat ein eigenes Glas, in das
ist sein Name eingraviert. Der Kurti, hat mir der Schankbua erklärt, ein Viertel Königsast
aus dem Kurtiglas. Einmal hab ich vergessen und ihm sein Viertel in einem normalen Glas
gebracht. Da hat er mich angesehen, als sei ich wahnsinnig geworden. Königsast klingt
nach einer tollen Weinsorte, die ihre Trinker adelt. Es ist aber nur ein Neuburger, der 10
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Cent mehr pro Viertel kostet. Ich habe gekostet: Er schmeckt nach traurigen
Sonntagnachmittagen.
Jetzt ist schon mehr los. Wer vor dem Hauptabendprogramm wieder daheim sein will,
muss schon am Vorabend mit dem Trinken und Geselligsein beginnen. Ich halte mich an
der Schank fest und an kleinen Dingen, die ich mag. Das Geräusch, mit dem der Wein
durch den Aufsatz aus dem Doppler rinnt: Es perlt, gluckst und stürzt, und alles ohne
Verschütten. Ich mag auch das Gefühl, mit dem Zeigefinger leicht in das Plastik auf dem
Rücken des Emmentalers hineinzubohren wenn er Raumtemperatur hat.
Ich mag den Schankbuam Richard, mit dem ich mir gerne die knappen 3 Quadratmeter
teile. Seine tröstliche Nähe. Ich putze den Aschenbecher mit dem unsäglichen Pinsel, der
sein Leben lang nichts anderes getan hat. Der Schankbua Richard, der doch schon auf die
50 zugeht, kippt die schweren Doppler mit seinen quadratischen Händen. Er ist die Art
Mann, für die Hölzfällerhemden ursprünglich gedacht waren. In einem Schwarzweißfilm
aus den 60ern wären wir füreinander bestimmt und wüssten es nur noch nicht.
Die Tischsitzer brechen auf, weil heute ein schönes Fernsehen ist. Ich kassiere, meine
riesige Geldtasche füllt sich. Der Abend spült jetzt die Alleinstehenden, die Geflohenen
oder Verlassenen ins Lokal. Alle haben Durst. Gegessen wird auch, viel im Stehen. Wenn
man die Schank von der Seite ansieht, könnte man Scherenschnitte von den Bäuchen
machen, die auf sie gerichtet sind. Bäuche mit unterschiedlichen Ausmaßen und
Eindellungen, jeder sehr charakteristisch, manche rätselhaft schief. Ich präge sie mir ein,
ob ich will oder nicht. Ob sie ihre eigenen Profile erkennen würden? Im Sommer werden
die Bäuche zur Geltung gebracht, indem sie dank knapper Shorts auf schmalen, nackten
Beinen balanciert werden, die überwuchert mit Krampfadern und dürrem Fell teils in
Sandalen stecken, oder in Halbschuhen. Immer mit Socken. Aber jetzt ist Winter und die
Herrenmode gnädig.
Mit leiser Stimme erzählt mir Richard in den Pausen, wenn die Schanksteher am Klo oder
auf Tisch 1 sind, wie glücklich er ist, wenn er nach der Waldarbeit in seinem ausrangierten
VW-Bus auf die Tiere wartet, die zurückkommen, man muss nur lange genug
mucksmäuschenstill sitzen. Namen fallen, die ich noch nie gehört habe und die gut in ein
martialisches Märchen passen würden: Wachtelkönig, Neuntöter, Rauhfußkauz,
Türkenbund, Diptam, Bärenklau. Aber die Sätze der Schanksteher fahren wie
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Schwerthiebe dazwischen. Es sind hohle Sätze, laut gesprochen, dazu gibt’s Lachen wie
Senf. Heute ist es Walter der Grapscher. Er sagt, was er immer sagt: Der Wirt hat so
schöne Kellnerinnen. So fesche Dirndln. Wo der die nur her hat. Da muss irgendwo ein
Nest sein.
Manche haben ein Herr vor dem Vornamen: Herr Kurt, Herr Willy, Herr Hasi. Nur ganz
wenige kommen in den Genuss, mit dem Nachnamen angesprochen zu werden. Die
stehen aber nie an der Schank.
Manche haben eine Ehrenbezeichnung. Felix der Obersturmbannführer heißt so, weil er
nach dem zehnten Spritzer Nazireden schwingt, in denen es viel um Hottentotten und
Deutsch sprechende Pflastersteine geht. Unter zehn Spritzer doziert er über Asylanten,
Ausländer und Hammel im Hinterhof. Das machen viele, aber bei ihm kommt dazu, dass in
ihm eine missionarische Ader pocht: Deswegen die Lautstärke. Manchmal kommt der Felix
mit seiner wirklich todschicken Frau, dann sitzt er bei Tisch und sie trinken Rotwein aus
der Karaffe und schönen Gläsern. Sie nippt vornehm, während er schüttet, und
irgendwann zieht es den Herrn Felix wieder magnetisch an die Schank, da hilft die ganze
Ehe nichts. Die Frau Felix verschwindet dann still.
Ab dem 20. Spritzer wird er liebesbedürftig. Einmal hat sich die dicke Marion neben den
Herrn Obersturmbannführer, der bei seinem 22. Spritzer angelangt war, gestellt. Und als
ich von meiner Runde zurückgekommen bin, haben die beiden plötzlich geschmust, und
das, obwohl alle zugesehen haben. In einer Atem- und Trinkpause hat sie einen kleinen
Davidstern zwischen ihren Speckfalten am Hals hervorgezupft und mit nassen Augen
gesagt: Schau Felix, ich bin auch so eine. Nach einer Stille und dann noch 2 Spritzern
haben sie es noch mal probiert. Dieses Mal waren sie zu betrunken, um mit den Mündern
zusammenzutreffen. Da haben sie sich mit dem Handrücken über die Lippen gewischt und
kein Wort mehr darüber verloren.
In der Vitrine liegen ein grüner Plastikpaprika und eine rote Plastiktomate zwischen den
echten Würsten und Braten. Die Wirtin sieht aus wie die Frau Marienkäfer der Biene Maja.
Ihre Brote schmecken nach Sommerabenden und Mutterliebe. Unaufgefordert stellt sie mir
passend zur Jahreszeit das perfekte Getränk in die winzige Nische hinter der Schank, die
mir zugeteilt wurde: Pfefferminztee mit Zitrone, Milchkaffee ohne Zucker, süßen Tee mit
Kondensmilch. So zeigt sie mir, wie man richtig leben könnte. Ihr bei der Arbeit zuzusehen
macht mich traurig, denn ich weiß, dass ich, egal was immer ich einmal arbeiten werde,
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nie in die Blase dieser Zufriedenheit eintauchen kann. Ich mache immer irgendetwas, und
das nur halb. Jeder ihrer Handgriffe ist Bestimmung.
Felix der Obersturmbannführer erscheint in feinem Tuch. Noch bevor er seinen ersten
Spritzer hat, fängt er mit seiner Predigt an. Heute geht es um den Bürgerkrieg in Ruanda,
und er bringt die Hutu und Tutsi durcheinander. Schließlich gibt er die Bemühungen auf
und fasst den Konflikt elegant zusammen: Wen interessiert, was die Hutzi Tutzi Neger dort
aufführen. Man ruft das Fräulein, ich laufe. Heute wird mehr Trinkgeld gehen, weil ich ein
Dirndl anhabe. Ich trage meine Brüste auf einer Silberplatte spazieren, ich denke: 30
Prozent mehr Trinkgeld, wenn ich grantig drauf bin und bis zu 50 Prozent mehr, wenn ich
schleime. Nichts ist entsetzlicher, als wenn man abrechnet und ganz wenig im Börsel
überbleibt. Andere machen das auch so. Ihr ganzes Leben lang. Ich lächle, kassiere.
Plötzlich steht der Schnauzer vor mir. Ich hole tief Luft. Ein Dirndl, sagt er und schlägt die
Hände zusammen, sie trägt ein Dirndl!! Ich zögere die Bestellungsaufnahme hinaus,
indem ich Aschenbecher putze und den Wettex auswringe und durchspüle. Er stellt mir
seit Monaten nach, hinterlässt Nachrichten, aber die Wirtsleute haben absolutes
Diskretionsgebot. Die wissen, wie so was ausgehen kann. Manchmal kommt er alleine,
manchmal mit einem Freund, der auch einen Schnurrbart trägt. Heute sind sie wieder zu
zweit. Ich gehe auf den Schnauzer zu und bereue das Dirndl zutiefst. Er seufzt und sieht
mich mit verzweifelter Begehrlichkeit an, während ich mit dem Block vor ihm stehe und die
Bestellung aufnehme. Mein Gott, ein Dirndl. Ich lächle matt. Was darf ich zu trinken
bringen? Während er unnötig lange in der Karte gustiert, konsumiert er schon meine
Präsenz. Seine Barthaare sind schlecht gestutzt, kriechen über die Lippen wie
Spinnenbeine. Schließlich entscheidet er sich für ein profanes Achterl Neuburger. Er nutzt
auch die Zeit, die ich zum Aufschreiben brauche. Ob mir jemand schon gesagt hätte, dass
ich eine Ähnlichkeit mit Julia Roberts habe? Auf seinem Bart klebt ein Stück Dotter. Seine
knochigen Finger kriechen auf meine schreibende Hand zu, wollen sie decken. Ich
verneine, gehe zur Schank und putze alle Aschenbecher ganz sauber. Auch die leeren.
Wären nicht die Schanksteher oder wäre ich unansehnlich, ich wäre glücklich mit diesem
Job. Die Ansehnlichkeit meines Körpers weicht meine Persönlichkeit auf. Richard ist da
sicher anderer Meinung. Er interessiert sich ja auch für meine Person. Das beweisen
unsere Gespräche über den Wald. Irgendwann schaut mich Richard verschwommen an
und sagt: Wenn ich zehn Jahre jünger wär´, hättest Du ka ruhige Minute. Etwas in mir freut
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sich über das Kompliment. Nicht mehr lange, und das Paar darf sich dramatisch in die
Arme fallen und in Schwarz-Weiß küssen: Überfallartig, zupackend und die Frau weit nach
hinten gelehnt. Die Lippen fest, aber unbeweglich aneinandergepresst. Ich brauche eine
weitere Minute, um zu begreifen, dass das Kompliment fast wie eine Drohung geklungen
hat - wenn auch eine an eine uneinlösbare Bedingung geknüpfte. Das Fräulein färbt schon
ab auf mich.
Der Blick des Schnauzers eskortiert mich wie ein Fohlen, wenn ich im Lokal unterwegs
bin. Ich wäre gerne aus Papier: Dann hätte ich eine Schmalseite und könnte ihm das
Dreidimensionale, Weibliche vorenthalten. Beim nächsten Achterl fragt er mich, ob ich
etwas mit ihm trinken möchte, nachher, wenn mein Dienst zu Ende ist. Da platzt eine
laute, große Gruppe im Lokal. Kurgäste von der Bauern-Rheuma-Anstalt, auf Ausgang
nach dem frühen Abendessen. Auf Krücken wanken sie herein, mit knotigen Gelenken und
abgerackerten Wurstfingern. Ein Heer von Versehrten füllt die Hälfte der Tische, bestellt in
schepperndem Dialekt Harnsäure, Cholesterin, Rheuma und Gicht. Ich laufe.
Als sie das Lokal endlich wieder verlassen, um vor der Ausgangssperre wieder im Heim zu
sein, ist das Lokal fast schon leer. Auch der Schnauzer und sein Freund sind gegangen,
das Geld hat er am Tisch liegen lassen. 50 Cent Trinkgeld. Er hinterlässt vier fast volle
Achterl; an allen hat er nur ein bisschen genippt. Dafür sind ein paar Servietten neurotisch
gefaltet und gestapelt. Eine Botschaft? Ich serviere sie mit Gänsehaut ab.
Der Wirt steht jetzt hinter der Schank. Er hat den Richard abgelöst.
Der Ribisltoni geht mir ab, der hat sich noch gar nicht anschauen lassen, sagt er plötzlich.
Der ist erfroren, antwortet Walter der Grapscher blitzartig. Vorige Woche. Wisst ihr das gar
nicht? Eingeschlafen auf der Straße, Füllwörter rieseln, geh hör auf, na so was. Die Wirtin
erscheint bei der Schank, sich frenetisch die Hände abtrocknend. Wirklich? Geh hörn's
auf! Walter der Grapscher erläutert genießerisch Details, alle nicken betroffen, ein Gast
will etwas vom Buffet, die Wirtin verschwindet wieder. Fööörchterlich, sagt der Wirt.
Föööörchterlich. Immer wieder ist er gestürzt, höre ich es aus der Vitrine hervorkrähen.
Für heut´ ist genug, kannst schon abrechnen, sagt der Wirt unangebracht mitten in die
Tragödie hinein.
Als ich gegen Mitternacht das Lokal verlasse, umgibt mich der Dunst des Arbeitstages wie
ein Schleier; nur mühsam dringt die Nachtluft durch. Das Schürzerl habe ich unordentlich
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in meine Tasche gestopft; das Geld zähle ich daheim. Bevor ich vorgebe, in meinem Skript
zu lesen. In meinen Käfer steige ich nicht, ohne mich zuvor umgedreht zu haben. Auch der
Blick auf die Rückbank ist obligat. Aber dort ist nichts Ungewöhnliches. Da sitzen sie alle,
mehr oder weniger geduldig wartend, bereit, mit nach Hause genommen zu werden und in
meinen Träumen zu nisten. Die dicke Marion, der Herr Felix, der Toni mit dem schlechten
Fuß, Walter der Grapscher. Und ganz vorne in der Mitte der Ribisltoni - der zappelt schon
erwartungsvoll mit seinen blutigen Lausbubenhaxen.
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