Juni 2013 - Disclose
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www.pwc.ch/disclose Disclose Im Fokus: Corporate Governance Juni 2013 Aktuelles aus Rechnungslegung und Revision Herausgeber: PricewaterhouseCoopers AG, Geschäftsbereich Wirtschaftsprüfung, Birchstrasse 160, 8050 Zürich Konzept, Redaktion und Gestaltung: PricewaterhouseCoopers AG, Zürich Redaktion: Graf Moll & Partner, Corporate Publishing GmbH, Zürich Druck: Stämpfli Publikationen AG Disclose – Aktuelles aus Rechnungslegung und Revision (www.pwc.ch/disclose) Erscheint zweimal jährlich in deutscher und französischer Sprache mit einer Auflage von 14’000 Exemplaren. Bestellungen von Gratisabonnementen und Adressänderungen: [email protected] © 2013 PwC. All rights reserved. “PwC” refers to PricewaterhouseCoopers AG, which is a member firm of PricewaterhouseCoopers International Limited, each member firm of which is a separate legal entity. Peter Ochsner Leiter Wirtschaftsprüfung Schweiz [email protected] «Zukunft Ethik wird in eine noch wichtigere Komponente der Corporate Governance sein.» Im März dieses Jahres hat die Schweizer Bevölkerung nicht über «Abzockerei» abgestimmt, sondern vielmehr über Teilaspekte der Corporate Governance in börsenkotierten Unternehmen. Sobald der Gesetzgeber die 24 Punkte der «Minder-Initiative» dem Wortlaut oder dem Sinne nach in der Verfassung verankert und die Aktienrechtsreform in deren Geiste verabschiedet hat, wird sich die Machtbalance – zumindest formal – verschieben. Ob die Generalversammlung ihre vermehrte Entscheidungsbefugnis auch effektiv wahrnehmen kann und will, wird sich erst nach ein paar Jahren Erfahrung beurteilen lassen. Einige Befürchtungen aber dürften sich bewahrheiten: Die Erwartungen der Öffentlichkeit an moderatere Vergütungen in den Chefetagen werden sich kaum erfüllen. Das Beziehungsgefüge zwischen den Organen der Aktiengesellschaft aber wird durcheinandergeraten. Die Machtbalance zwischen Generalversammlung, Verwaltungsrat und Geschäftsleitung muss neu gefunden werden. Die klare Abgrenzung der Einflussbereiche und die Ausgestaltung der Kompetenzen für die einzelnen Organe sind ein konstituierendes Element für eine gute Corporate Governance. Damit die Checks & Balances im Unternehmen aber tatsächlich funktionieren, sind Interaktion und Kommunikation unverzichtbar. Für die externe Revision hat sich in den letzten Jahren das Audit Committee als einer der wichtigsten Ansprechpartner herauskristallisiert. Verwaltungsratsausschüsse sind zwar – ausser in der stark regulierten Finanzbranche – rechtlich nicht vorgeschrieben, setzen sich aber in der Praxis mehr und mehr durch. Eine gute Governance ohne Kommunikation zwischen einem qualifizierten Prüfungsausschuss und der unabhängigen Revisionsstelle ist bei grossen Unternehmen kaum mehr denkbar. Für den Prüfer sind indes nicht nur Gesetze massgebend. Hinzu kommen die nationalen und die internationalen Prüfungsstandards als unumstössliche Leitplanken für die Prüfungshandlungen und die Interaktion mit anderen Organen des zu prüfenden Unternehmens. Die Treuhand-Kammer als berufsständische Organisation der Wirtschaftsprüfer hat gerade die Schweizer Prüfungsstandards (PS) an die überarbeiteten «International Standards on Auditing», die sogenannten Carified ISA, angepasst. Der neue PS 260 macht klare Vorgaben zur «Kommunikation mit den für die Überwachung Verantwortlichen». Corporate Governance steht im engeren Sinne für die Führungs- und Überwachungsstrukturen eines Unternehmens. Der Begriff kann und sollte aber durchaus weiter gefasst werden. Die Schnittstellen zwischen Corporate Governance, Unternehmenskultur, Compliance und ethischem Verhalten umreissen sensible Felder der Firmenpolitik. Sie sind entscheidend für die Wahrnehmung und damit für die Reputation eines Unternehmens. Emotionen wecken heute vor allem Themen, die sich um verantwortungsbewusste Produktion über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg und um die Gewinnbesteuerung drehen. Die Öffentlichkeit verlangt nicht nur legale Konstruktionen, sondern fordert deren Legitimität ein. Vielen Unternehmen ist dies durchaus bewusst. Am letzten Audit Committee Forum von PwC wurde unter anderem die Frage diskutiert, wie das Audit Committee mit der Compliance im Steuerbereich umgeht. Die Teilnehmer bezogen zu einem skalierten Beurteilungsraster zur Steuerstrategie ihres Unternehmens Stellung. Ich persönlich war überrascht und erfreut, wie engagiert die Verwaltungsräte auf diese Thematik eingegangen sind. Es bedarf keiner prophetischen Fähigkeit, um vorauszusagen, dass Ethik in Zukunft eine noch wichtigere Komponente der Corporate Governance wird. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Juni 2013 Disclose 3 Im Fokus: Corporate Governance Inhalt Corporate Governance – ein Führungssystem mit Checks & Balances von Peter Ochsner 5 Corporate Governance von Schweizer Aktiengesellschaften – aktuelle Entwicklungen von Lorenz Lipp 11 Relevante Corporate-Governance-Bestimmungen für Schweizer Unternehmen von Lorenz Lipp Die externe Revision im Beziehungsdreieck mit Audit Committee und CFO von Stefan Räbsamen Muss der Corporate-Governance-Bericht geprüft werden? von Stefan Räbsamen Interne Revision und Corporate Governance von Werner Stebler 8 12 15 16 «Die Unternehmen selbst müssen das öffentliche Vertrauen wiederherstellen» Interview mit Stephen O’Hearn über Governance und Regulierung multinationaler Unternehmen 19 Corporate Governance: Erfolg und Versagen einer Leitidee Gastbeitrag von Prof. Dr. Peter Böckli 6 Themen, 24 Fragen – eine Checkliste zur Corporate Governance 22 27 Update In der Rubrik Update thematisiert «Disclose» den Entwurf zur Erweiterung der Ethikstandards für Wirtschaftsprüfer, die ergänzende Fachempfehlung für kotierte Unternehmen, die überarbeiteten Schweizer Prüfungsstandards und das neue Rahmenwerk zum Integrated Reporting. 29 Leserservice 42 Di Lesersuclosemfrag e Ihre Meinun g is als Les e rin oder t uns wichtig, «Disclo d Leser k se» am önnen d enn Sie besten a s Maga b e urt dieses zin weiter z eilen. Helfen Sie uns u verbe , s s e rn! Nutze Feedba n Sie die Gele g Unter w ck zu geben – enheit, uns Ih r schnell ww.pw und ein c.ch/dis gelange fa c ch. lo s n Sie dir e ekt zum /leserumfrag e Frageb ogen. Danke, dass Sie und uns s Ihre Me ich Zeit nehm en inung z um Ma «Disclo gazin se» sag en. 4 Disclose Juni 2013 Corporate Governance – ein Führungssystem mit Checks & Balances Was bedeutet Corporate Governance? Im Deutschen lässt sich der Begriff nur umschreiben: Es geht um ausgewogene Führungsstrukturen und eine funktionierende Überwachung innerhalb des Unternehmens. Eine gute Corporate Governance bezieht sich nicht nur auf Organe und Prozesse, sondern spiegelt sich auch in der Kultur, der Ethik und den Verhaltensweisen. Die meistzitierte Definition von Corporate Governance ist jene der OECD. Danach betrifft die Corporate Governance «das ganze Geflecht der Beziehungen zwischen dem Management eines Unternehmens, dem Aufsichtsorgan, den Aktionären und anderen Unternehmensbeteiligten (Stakeholder)». Doch schon beim letzten Halbsatz dieser Begriffsbestimmung scheiden sich die Geister. Die puristische Auslegung reduziert die Corporate Governance auf die Beziehung zwischen Unternehmensführung und Aktionariat. Der Verband der Schweizer Unternehmen «economiesuisse» stellt auf eine solch eng gefasste Definition ab, wenn er Corporate Governance als «die Gesamtheit der auf das Aktionärsinteresse ausgerichteten Grundsätze» bezeichnet. Die Forderungen nach Corporate Governance wurzeln in der Prinzipal-AgentenProblematik, die jeder Kapitalgesellschaft innewohnt: Die Trennung von Eigentum und Kontrolle bringt es mit sich, dass die Eigentümer die Entscheidungskompetenz und die Verantwortung für die Geschicke ihres Unternehmens delegieren. Dies birgt die Gefahr eines «Moral hazard»: Das Management (als Agent) könnte versucht sein, seinen Informationsvorsprung eigennützig und auf Kosten der Aktionäre (des Prinzipals) auszunutzen. Nach dieser Sichtweise, die letztlich auf die Neue Institutionenökonomie von Ronald Coase (Wirtschaftsnobelpreis 1991) zurückgeht, resultiert die Notwendigkeit einer guten Governance einzig aus der personellen Trennung von Geschäftsführung und Eigentum, einer Konstellation, die vor allem für Aktiengesellschaften konstituierend ist. Die weitgefasste Auslegung von Corporate Governance hingegen bezieht die Interessen aller Anspruchsgruppen mit ein und zielt auf ein ausgewogenes Beziehungsgeflecht zwischen allen Unternehmensbeteiligten im gesellschaftlichen Interesse. Kultur, Ethik und Verhaltensweisen Als «klassisch» gilt die weit gefasste Definition von Adrian Cadbury. Der langjährige Chairman von Cadbury Schweppes, der zeitweise auch Director der Bank von England war, leitete zu Beginn der Neunzigerjahre das «UK Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance». Die Prinzipien des nach ihm benannten «Cadbury Report» aus dem Jahr 1992 bilden die Grundlage des «UK Corporate Governance Code», den das Financial Reporting Council herausgibt. Dieser Kodex, der im September 2012 in überarbeiteter Fassung erschien, gilt als wegweisend. Der UK-Code umfasst die fünf Bereiche Führung, Wirksamkeit, Verantwortlichkeit, Vergütung und Beziehungen zu den Aktionären. Damit spiegelt er das breite Themenspektrum der Corporate Governance; er verdeutlicht, dass es nicht nur um Prozesse geht, sondern gerade auch um Kultur, Ethik und Verhaltensweisen. Juni 2013 Disclose 5 Die Corporate Governance ist ein Pfeiler für die Stabilität des Wirtschafts- und Finanzsystems. Peter Ochsner Leiter Wirtschaftsprüfung Schweiz [email protected] Vertrauen festigen Der Bezug zu Kultur und Werten ist wichtig, denn man kann die Frage, was gute Corporate Governance ist, nicht von der Frage trennen, wem sie zugute kommt. Dies sind letztlich alle Stakeholder. Zunächst nützen ausgewogene Führungsstrukturen mit Checks & Balances dem Unternehmen selbst. Sie verleihen der Unternehmensführung Sicherheit, denn sie hat die Gewissheit, dass die Überwachungsmechanismen funktionieren. Dies verringert die Gefahr unternehmerischer Fehlentscheidungen, etwa die Akquisition nicht werthaltiger Firmen; eine gute Corporate Governance verhindert, dass sich das Unternehmen in eine strategisch falsche Richtung entwickelt, sich Fehlleistungen und Ausreisser erlaubt. Sie geht mit Reputation einher, festigt also das Vertrauen von Investoren, Mitarbeitern und Geschäftspartnern, aber auch der Öffentlichkeit. Damit sind die weiteren Gruppen der Nutzniesser bereits genannt: Aktionäre und Stakeholder. Für Aktionäre sind funktionierende Governance-Strukturen die beste Möglichkeit, Prinzipal-Agenten-Konflikte zu vermeiden. Zudem haben die Anteilseigner wie auch andere Anspruchsgruppen ein höheres Mass an Sicherheit (wenn auch nie eine absolute), dass ihr Unternehmen in eine Richtung gesteuert wird, die auf Dauer Wachstum und Prosperität verspricht. Darüber hinaus hat die Corporate Governance eine gesamtwirtschaftliche Komponente. Sie ist ein Pfeiler für die Stabilität des Wirtschafts- und Finanzsystems. Wenn alle Unternehmen über robuste Rahmenwerke zur Führung und Kontrolle verfügen, schaffen sie zugleich eine wichtige Voraussetzung für eine reibungslose Funktionsweise der Kapitalmärkte. 6 Disclose Juni 2013 Wache Öffentlichkeit Um die Jahrtausendwende erregte das Thema Corporate Governance weltweit Aufsehen. Spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche, vor allen jene des Energiekonzerns Enron und des Telekommunikationsanbieters Worldcom, offenbarten ein eklatantes Versagen von Führung und Kontrolle. Seither sind die Finanzwelt, die Regierungen und die Öffentlichkeit für Corporate-Governance-Fragen sensibilisiert. Die Skandale lösten eine Regulierungswelle aus. In den USA wurde 2002 der SarbanesOxley Act verabschiedet; darin sind unter anderen Vorschriften zur Corporate Governance börsennotierter US-Unternehmen enthalten. Auch in der Schweiz reagierten Wirtschaft und Regulatoren rasch: 2002 veröffentlichte die «economiesuisse» den Expertenbericht «Corporate Governance in der Schweiz» und den «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance». Im gleichen Jahr trat die «Richtlinie betr. Informationen zur Corporate Governance» der Schweizer Börse in Kraft. Sie verpflichtet alle börsenkotierten Unternehmen, detaillierte Angaben «über die Führung und Kontrolle auf oberster Unternehmensebene» zu machen. Parallel zur Regulierung kristallisierten sich gesellschaftliche Instanzen heraus, die sich einer guten Governance verschrieben haben. In der Schweiz gewannen kritische Aktionärsvertreter rasant an Einfluss; die Empfehlungen von Stimmrechtsberatern wie der «Ethos Stiftung» oder der US-amerikanischen «Institutional Shareholder Services» (ISS) finden bei institutionellen Investoren zunehmend Gehör. Zudem reflektierten Medien und Öffentlichkeit tatsächliche oder vermeintliche unternehmerische Fehlentscheidungen stets auch unter dem Governance-Aspekt. Bessere Kontrollsysteme Hat das alles zu einer besseren Governance beigetragen? Vieles deutet darauf hin, etwa die Zunahme nicht exekutiver Verwaltungsratsmitglieder, die Einrichtung und Zusammensetzung von Verwaltungsratsausschüssen, der Ausbau der internen Kontrolle oder die Aufmerksamkeit, die heute einer wirksamen Überwachung zukommt. Doch mit einem klaren Ja zu antworten, wäre verfrüht. Fest steht: Die Regulierung, insbesondere der Sarbanes-Oxley Act, hat die Governance formalisiert. Ein entscheidender Schritt ist die Vorgabe eines dokumentierten und getesteten internen Kontrollsystems (IKS) für die Finanzberichterstattung. Das Management muss für den Verwaltungsrat einen Bericht über die Effektivität (und nicht nur das Vorhandensein) eines IKS erstellen; das IKS ist zudem Gegenstand der externen Prüfung. Derartige Vorschriften, die heute längst nicht nur in den USA gelten, haben sicher dazu beigetragen, dass Kontrollen besser funktionieren und die Verlässlichkeit der Rechnungslegung im Sinne eines Rechenschaftsberichts der Unternehmen gestiegen ist. Die Finanzkrise hat eine erneute Debatte über gute Corporate Governance ausgelöst – auch wenn die heutige Krise nicht in erster Linie auf ein Versagen der Governance der Unternehmen zurückgeführt werden kann. Sie hatte vielfältige Ursachen, von denen an dieser Stelle nur die leichtfertige Kreditvergabe, die schier grenzenlose Kreativität bei der Bündelung von Finanzprodukten und die Modellgläubigkeit der Verantwortlichen in den Finanzinstituten genannt sein sollen. Dennoch können aus der Finanzkrise auch Lehren für die Gestaltung der Corporate Governance gezogen werden. Darauf weist die OECD in ihrer Publikation «The Corporate Governance Lessons from the Financial Crisis» (2009) hin und verweist insbesondere auf die Risikomanagement- und Vergütungssysteme. «Comply or explain» Auch die Europäische Kommission hat Initiative ergriffen: 2011 veröffentlichte sie ein Grünbuch zu einem Corporate-Governance-Rahmenwerk, ein Jahr später folgte ein Aktionsplan zu einem europäischen Unternehmensrecht und zur Corporate Governance. Das Grünbuch spricht drei Themenbereiche an, die der EU-Kommission zufolge das Herz einer guten Corporate Governance ausmachen: leistungsstarke und effektive Verwaltungsräte, Aktionäre, die sich für ihr Unternehmen engagieren, sowie die Art und Weise, in welcher der Grundsatz des «comply or explain» angewandt wird. «Comply or explain» – halte dich an die Vorgaben oder erkläre, weshalb du es nicht tust – ist als Prinzip in vielen Rahmenwerken zur Corporate Governance verankert. Der UK Governance Code widmet ihm ein ganzes Kapitel. In der Schweiz orientiert sich die SIX-Richtlinie ebenfalls an diesem Prinzip, während der Kodex der «economiesuisse» nur inhaltliche Empfehlungen, aber ausser dem Verweis auf die Offenlegungspflichten der SIX-Richtlinie keine ausführlichen Bestimmungen zur Transparenz enthält. In der Praxis erklären die Unternehmen oft nur unzureichend, weshalb sie einzelne Richtlinien oder Empfehlungen zur Governance nicht einhalten. Eine EU-Studie («Study on Monitoring and Enforcement Practices in Corporate Governance in the Member States»), aber auch ein Blick in manchen Geschäftsbericht zeigt, dass die Informationsqualität unzulänglich ist. Natürlich ist es für Unternehmen, welche die Empfehlungen der Rahmenwerke nicht einhalten wollen, oft schwierig und unangenehm, eine überzeugende Begründung zu liefern. Doch gerade das Prinzip des «Comply or explain» ist essenziell, wenn es darum geht, die Corporate Governance nicht primär in Gesetzen, sondern in Rahmenwerken zu regeln. Das Gesellschaftsrecht konzentriert sich darauf, die Verantwortlichkeiten der Organe zu regeln. Aspekte der Governance, die darüber hinausgehen, sollten nicht formal reguliert sein. Gerade weil Corporate Governance eng an die Unternehmenskultur und die Verhaltensweisen gekoppelt ist, lässt sie sich nicht verordnen. Governance-Strukturen erweisen sich als robust, wenn sie auf die Grösse, die Struktur und die Werte des Unternehmens zugeschnitten sind; zudem müssen sie flexibel genug sein, um Anpassungen an sich ständig ändernde Anforderungen zu erlauben. Eine gute Corporate Governance ist, prägnant ausgedrückt, ein dynamisches Führungssystem mit Checks & Balances. Die «klassische» Cadbury-Definition «Corporate governance is the system by which companies are directed and controlled. Boards of directors are responsible for the governance of their companies. The shareholders’ role in governance is to appoint the directors and the auditors and to satisfy themselves that an appropriate governance structure is in place. The responsibilities of the board include setting the company’s strategic aims, providing the leadership to put them into effect, supervising the management of the business and reporting to shareholders on their stewardship. The board’s actions are subject to laws, regulations and the shareholders in general meeting.» Juni 2013 Disclose 7 Quintessenz: Kennzeichnend für die Aktiengesellschaft in der Schweiz sind die Selbstverwaltung in weitgehender Gestaltungsfreiheit einerseits und die stark strukturierte interne Funktionsaufteilung andererseits. Jede Regulierung, die dieses Balancegefüge durcheinanderbringt, sollte sich am Gebot einer nachhaltig angelegten, erfolgreichen Unternehmensführung orientieren. Corporate Governance von Schweizer Aktiengesellschaften – aktuelle Entwicklungen In der Schweiz, aber nicht nur dort, ertönt seit geraumer Zeit der Ruf nach einer Stärkung der Aktionärsrechte. Eine Machtverschiebung im Verhältnis von Anteilseignern und Verwaltungsräten erscheint auf den ersten Blick sinnvoll; denn ihr Ziel ist es, den Eigentümern des Unternehmens eine wirksamere Kontrolle der Unternehmensführung zu ermöglichen. Genauer betrachtet aber könnte das austarierte Balancegefüge der Gesellschaftsorgane aus den Fugen geraten. Die Organe eines Unternehmens sind von grundlegender Bedeutung für die Corporate Governance. Ihre Rechte und Pflichten sowie die Beziehungen, in denen sie zueinander stehen, bilden ein Gerüst, um das herum sich Governance-Strukturen errichten lassen. Das Gerüst ist – differenziert nach Rechtsform – im Gesellschaftsrecht verankert. Corporate Governance ist für alle Unternehmen ein Thema, unabhängig von der Rechtsform, der Grösse oder den Eigentumsverhältnissen. Die aktuelle Debatte aber dreht sich fast ausschliesslich um (börsenkotierte) Aktiengesellschaften. Daher sei einleitend ein Blick auf den besonderen Charakter der Aktiengesellschaften gerichtet: Die Eigentümer einer Aktiengesellschaft sind die Aktionäre. Doch im Gegensatz zu einem «echten» Eigentümer, der letztlich für seine Handlungen und Entscheidungen voll verantwortlich und unter Umständen auch persönlich haftbar ist, ist der Aktionär gesetzlich von jeglicher Verantwortung und Haftung befreit. Der Aktionär ist zu nichts weiter verpflichtet als zur Einzahlung des gezeichneten Kapitals, und er haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Art. 680 Abs. 1 OR). Auch ist es nicht zulässig, durch statutarische Bestimmungen irgendwelche Nebenleistungen des Aktionärs (beispielsweise eine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft, an der er beteiligt ist) zu verlangen. 8 Disclose Juni 2013 Der Aktionär als «verantwortungsfreier Eigentümer» In Anlehnung an Professor Peter Böckli könnte man daher den Aktionär als «verantwortungsfreien Eigentümer» bezeichnen (vgl. Peter Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. Auflage, Zürich 2009, § 1, N 152, S. 70). Dies ist keinesfalls abschätzend gemeint. Vielmehr ist die Ausgabe von Anteilscheinen (Aktien) ohne weitere Haftung ein grossartiges Konstrukt, das die Niederländer zur Finanzierung ihrer Ostindien-Kompanie im Jahre 1602 erstmals herangezogen haben. Die Aktiengesellschaft hat sich – entgegen den Befürchtungen von Adam Smith (im Hinblick auf die Trennung von Management und Eigentum) – zu einer überaus erfolgreichen Rechtsform entwickelt. Dank ihrer Flexibilität, aber auch wegen ihrer klaren Organisationsstruktur hat sich die Aktiengesellschaft in der Schweiz als die dominierende Rechtsform – geeignet sowohl für KMU als auch für kotierte Gesellschaften – durchgesetzt. Den unterschiedlichen Gegebenheiten bei grossen und kleinen Unternehmen begegnet das Schweizer Recht pragmatisch: Einerseits betreffen viele Bestimmungen in der Praxis nur die grösseren Unternehmen (bedingtes Kapital, institutionelle Stimmrechtsvertretung, Vinkulierungsregime für kotierte Namenaktien, Zweiteilung der Exekutive in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung); andererseits bestehen zahlreiche Erleichterungen für KMU (so bei der Rechnungslegung, der Revision, der Konsolidierungspflicht, der Finanzplanung, dem Lagebericht oder den vereinfachten Anforderungen an KMU bei Fusion, Spaltung und Umwandlung). Obwohl die Aktionäre «verantwortungsfrei» sind, ist die Stärkung der Aktionärsrechte ein oft formuliertes Anliegen; auch der Bundesrat verfolgt dieses Ziel explizit im Rahmen der Aktienrechtsreform. Nach geltendem Recht manifestieren sich die Mitwirkungsrechte der Aktionäre primär in der Generalversammlung, dem obersten Organ der Aktiengesellschaft (Art. 698 OR). Hier müsste denn auch der Hebel angesetzt werden, wenn die Aktionärsrechte gestärkt werden sollen. Dabei kommen der Rechenschaftspflicht des Verwaltungsrates gegenüber dem obersten Organ und der transparenten Rechnungslegung an die Aktionäre höchste Bedeutung zu. Nur eine ungeschönte finanzielle Berichterstattung ermöglicht dem Aktionär überhaupt, eine Beurteilung der Leistung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung vorzunehmen. Auch sollten teilweise noch bestehende Hürden möglichst tief gelegt werden, wenn es etwa um die Erfordernisse für die Einberufung einer Generalversammlung, die Teilnahme-, Traktandierungs-, Informations- und Auskunftsrechte, die Durchführung einer Sonderprüfung oder Beschränkungen der Stimmrechtsausübung geht. Die Aktionäre sind nicht verpflichtet, ihre Rechte im nachhaltigen Interesse des Unternehmens auszuüben. Die derzeitige Diskussion aber zielt in eine andere Richtung; sie dreht sich in erster Linie darum, die (vermeintliche) Macht der Verwaltungsräte zu beschneiden, indem die Aktionäre weitreichende Mitspracherechte, etwa bei der Vergütung oder der Amtsdauer, erhalten. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass das Schweizer Aktienrecht den drei Organen Generalversammlung, Verwaltungsrat und Revisionsstelle klare Aufgaben und Verantwortlichkeiten zuteilt. (Zur Rolle der externen Revision im Rahmen der Corporate Governance vgl. den Beitrag auf Seite 12.) Lorenz Lipp Partner, Wirtschaftsprüfung [email protected] Divergierende Interessenlage Der Verwaltungsrat nimmt als Gremium zwischen den Aktionären und der Geschäftsführung eine doppelte Verpflichtung wahr. Er wird von der Generalversammlung gewählt und handelt insofern als Treuhänder der Aktionäre; zugleich obliegt ihm ausdrücklich eine Treuepflicht gegenüber dem Unternehmen (Art. 717 OR). Von daher kann sich – zumindest vorübergehend – eine unterschiedliche Interessenlage ergeben, insbesondere wenn Aktionäre nur kurzfristige Ziele verfolgen. Aktionäre sind nicht verpflichtet, ihre Rechte im (nachhaltigen) Interesse des Unternehmens auszuüben, sondern dürfen diese eigennützig und ohne Rücksicht auf andere Stakeholder wahrnehmen. Die divergierende Interessenlage erfährt eine besondere Brisanz, wenn man sich vor Augen hält, dass viele Anteilseigner nur wenige Tage oder – dank des «Machine Trading» – gar nur Bruchteile von Sekunden in einem Unternehmen investiert sind. In Zeiten elektronischer Handelsplattformen dürfte die Anzahl der langfristig engagierten Aktionäre, die wie der Verwaltungsrat primär das Wohl der Gesellschaft im Auge haben, tendenziell abnehmen. Doch selbst, wenn man sich an diesem Idealbild des traditionellen Aktionärs orientiert, erscheint eine Ausweitung der Aktionärsrechte fraglich. Sind die Anteilseigner mit der Leistung und der Strategie des Verwaltungsrats nicht einverstanden, haben sie an jeder Generalversammlung die Möglichkeit, einzelne oder alle Verwaltungsräte abzuwählen. Zudem steht es ihnen frei, ihre Aktien jederzeit zu veräussern. Weil dies bei KMU nicht so leicht möglich ist, erhalten die Rechte zum Schutz der Juni 2013 Disclose 9 Minderheiten gerade für diese Unternehmen eine erhöhte Bedeutung. Je enger der Kreis der Aktionäre ist und je stärker diese wirtschaftlich vom Erfolg des Unternehmens abhängig sind (was vor allem bei Familiengesellschaften der Fall ist), desto besser sind jene Aktionäre, die nicht im Unternehmen in Führungsfunktionen tätig sind, zu informieren. Verändern sich die Rechte der Generalversammlung, hat dies Konsequenzen für die Stellung des Verwaltungsrats. Verändern sich die Rechte der Generalversammlung, hat dies unweigerlich Konsequenzen für die Stellung des Verwaltungsrats. Als oberstes Leitungs- und Aufsichtsorgan stehen ihm von Gesetzes wegen wesentliche Kompetenzen zu; Art. 716a Abs. 1 OR bezeichnet diese als «unübertragbare und unentziehbare Aufgaben». Eine dieser Aufgaben ist «die Ernennung und Abberufung der mit der Geschäftsführung und der Vertretung betrauten Personen». Wenn nun, wie mit der Annahme der «Minder-Initiative» beschlossen, die Generalversammlung bei kotierten Gesellschaften über die Vergütung der Geschäftsleitung abstimmen soll, wirft dies eine juristische Frage auf: Wird eine unübertragbare Aufgabe des Verwaltungsrats beschnitten? Denn in der Praxis ist es kaum vorstellbar, dass der Verwaltungsrat Geschäftsleitungsmitglieder bestellen kann, ohne die Kompetenz zu haben, deren Anstellungskonditionen und damit auch die Vergütung auszuhandeln. – Auf die Antwort des Gesetzgebers darf man gespannt sein. rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge haben sollen und zur persönlichen Mitwirkung im Unternehmen bereit sein müssen. Damit der Verwaltungsrat gegenüber der Geschäftsführung als ebenbürtiger Sparringspartner funktionieren kann, sollte er als Gremium alle wesentlichen Bereiche und Funktionen des Unternehmens kompetent abdecken. Anforderungsprofile an Verwaltungsräte Unter Corporate-Governance-Aspekten ist eine weitere Bestimmung des rechtlichen Gerüsts von Bedeutung: Der Verwaltungsrat hat das Recht, Geschäftsleitungsaufgaben zu delegieren (was ihn aber in keiner Weise von der Verantwortung befreit); bei allen grösseren Aktiengesellschaften macht er davon Gebrauch. Mit der Geschäftsleitung oder dem Management kommt dann ein weiteres Gremium ins Spiel. Sobald der Verwaltungsrat die Geschäftsführung delegiert, obliegt ihm – abgeleitet aus der Oberaufsicht gemäss Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5 OR – eine Überwachungsfunktion für die Geschäftsleitung. Oberste Leitung und Überwachung der Gesellschaft – wer diese Aufgaben gut erfüllen will, muss besonderen Anforderungen genügen. Die Qualifikation der einzelnen Verwaltungsräte und die Zusammensetzung des Gremiums sind denn auch Eckpunkte der Corporate Governance. Im Gesetz finden sich nur sehr rudimentäre Bestimmungen zur Qualifikation, wie etwa die Handlungs- und Urteilsfähigkeit. Daneben sind Fachkompetenz, Unabhängigkeit und Führungsstärke unbestritten die entscheidenden Kriterien für das Anforderungsprofil eines Verwaltungsrats. Es herrscht auch ein – nicht kodifizierter – Konsens darüber, dass alle Verwaltungsräte Grundkenntnisse der Rechnungslegung sowie der 10 Disclose Juni 2013 Was für den Verwaltungsrat als Ganzes gilt, trifft in noch höherem Masse auf dessen Ausschüsse zu. Eine Personalplanung für den Verwaltungsrat selbst drängt sich geradezu auf. Wichtig ist diese vor allem für die Besetzung des Prüfungs- und des Entschädigungsausschusses, deren Mitglieder «unabhängig» sein sollten (das heisst, sie sollten während der letzten Jahre keine Führungsfunktion im Unternehmen ausgeübt haben) und zudem vertiefte Kenntnisse im Finanz- und Rechnungswesen («financial literacy») aufweisen sollten. Balancegefüge aufrechterhalten Kennzeichnend für die Aktiengesellschaft in der Schweiz sind die Selbstverwaltung in weitgehender Gestaltungsfreiheit einerseits und die stark strukturierte interne Funktionsaufteilung andererseits. Jede Regulierung, die dieses Balancegefüge durcheinanderbringt, sollte sich am Gebot einer nachhaltig angelegten, erfolgreichen Unternehmensführung orientieren. Daran ist auch der postulierte Ausbau der Aktionärsrechte zu messen. Eine Verstärkung der Einflussmöglichkeiten der Aktionäre ohne adäquate Ausgleichsmechanismen erscheint fragwürdig. Will man – dem Leitgedanken des Aktienrechts folgend – den Aktionären neben der Liberierungspflicht keine weiteren Pflichten auferlegen, so könnte man, wie Professor Peter Forstmoser auf einer Tagung des Europa-Instituts an der Universität Zürich zur Diskussion gestellt hat, gewisse Verhaltensweisen belohnen. Aktionäre, die ihre Anteile längerfristig halten, könnten beispielsweise in den Genuss einer Vorzugsdividende oder einer gewichtigeren Stimmkraft kommen. Ähnliche Gedanken haben sich bereits die Gründer der niederländischen Ostindien-Kompanie gemacht. Deren Aktionäre waren zehn Jahre lang an ihre Anlage gebunden. Relevante Corporate-GovernanceBestimmungen für Schweizer Unternehmen Das Schweizer Aktienrecht regelt zwar die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der einzelnen Organe, lässt dem Verwaltungsrat jedoch einen weiten Gestaltungsspielraum für die Organisation des Unternehmens. Bei kotierten Unternehmen verlangt die SIX Swiss Stock Exchange die Beachtung ihrer «Richtlinie betr. Informationen zur Corporate Governance» (RLCG, mit Anhang). Diese Richtlinie stützt sich auf das Börsengesetz, wonach die Börse dafür zu sorgen hat, dass die Investoren Informationen zur Beurteilung der Qualität der Emittenten erhalten. Die Handlungsmaxime des Aktienrechts für den Verwaltungsrat ist sehr abstrakt. Art. 717 OR verlangt kurz: «Die Mitglieder des Verwaltungsrates […] müssen ihre Aufgaben mit aller Sorgfalt und die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen wahren. Sie haben die Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln.» Wegen dieser abstrakten Formulierung besteht in der Praxis ein Bedürfnis nach Leitlinien zur Umsetzung. Diesem Bedürfnis ist der Dachverband der Schweizer Wirtschaft, die economiesuisse, mit den Empfehlungen des «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance» im Jahr 2002 nachgekommen. Die Leitlinie dieses Kodex ist primär das Interesse der Aktionäre. Die darin angestrebten Ziele sind ein ausgewogenes Verhältnis von Führung und Kontrolle, die Sicherstellung von Entscheidungsfähigkeit und Effizienz der Unternehmensführung sowie die Transparenz. Es geht also um die Regeln guter Unternehmensführung und -kontrolle im Interesse der Aktionäre (und allenfalls weiterer Stakeholder) und um die Offenlegung solcher Regeln. Während für die kotierten Gesellschaften somit anerkannte Leitlinien zur Verfügung stehen, fehlen solche Umsetzungshilfen für die in der Schweiz so wichtigen KMU. Zwar sehen sich KMU teilweise den gleichen Herausforderungen gegenüber wie kotierte Unternehmen; es gibt aber auch spezifische Wesensmerkmale kleiner und mittelgrosser Unternehmen. Verglichen mit den Publikumsgesellschaften ist der Interessengegensatz zwischen den Beteiligten, die an der Unternehmensführung aktiv mitwirken, und denjenigen, die daran nicht teilhaben, oftmals verschärft. Zudem besteht bei KMU eine grössere Gefahr, dass andere Interessen als das der langfristigen Gewinnerzielung verfolgt oder dass Gesellschafts- und Privatvermögen vermischt werden. Im konkreten Einzelfall sind im Sinne einer guten Unternehmensführung bei KMU insbesondere folgende Punkte unter den Beteiligten zu regeln: • präzise Festlegung der Unternehmensziele und -strategie sowie eines Zeitplans zu deren Erreichung beziehungsweise Umsetzung; • Zusammensetzung der Unternehmensorgane (Vertretung der Aktionäre im Verwaltungsrat, Mitwirkung in der Geschäftsleitung, Beizug externer, unabhängiger Verwaltungsräte); • Ausschüttungspolitik (angemessene Dividenden); • Modalitäten für den Aus- und Eintritt von Beteiligten (Bewertungsverfahren zur Bestimmung des wirklichen Wertes des Unternehmens, transparente Rechnungslegung, Vinkulierungsbestimmungen); • strikte Trennung von Privat- und Unternehmens sphäre. Auch wenn die meisten und wichtigsten Regeln sich bereits aus den gesetzlichen Vorschriften ergeben, sind vertragliche Ergänzungen für den konkreten Einzelfall in der Regel sinnvoll. Strengeren Anforderungen unterliegen in der Schweiz nur Finanzinstitute. Deren Corporate Governance hat die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA in den Rundschreiben 2008/24 «Überwachung und interne Kontrolle bei Banken» und 2008/32 «Corporate Governance, Risikomanagement und Internes Kontrollsystem bei Versicherern» detailliert geregelt. Als Gründungsmitglied der OECD hat sich die Schweiz auch zur Einhaltung der 2004 verabschiedeten OECDGrundsätze der Corporate Governance verpflichtet. Diese stellen eine anerkannte Richtlinie für die Selbstregulierung dar und sind primär für die kotierten Unternehmen konzipiert, können aber auch «ein nützliches Instrument zur Verbesserung der Unternehmensführung in nicht börsennotierten Unternehmen» darstellen. Zudem finden sich bei der OECD eigene Leitsätze zur Corporate Governance in staatseigenen Unternehmen. Juni 2013 Disclose 11 Die externe Revision im Beziehungsdreieck mit Audit Committee und CFO Verwaltungsratsausschüsse sind heute in zahlreichen Schweizer Unternehmen etabliert. Fragen der Rechnungslegung und Revision delegiert der Gesamtverwaltungsrat – vor allem in börsenkotierten Unternehmen – meist an einen Prüfungsausschuss, das Audit Committee. Die Revisionsstelle unterhält somit eine Dreiecksbeziehung mit dem Audit Committee und dem CFO. Der Schlüssel für die Funktionsweise liegt in der Machtbalance und der Kommunikation. Die externe Revision ist – neben der Generalversammlung und dem Verwaltungsrat – das dritte Organ der Aktiengesellschaft im rechtlichen Sinne. Das Beziehungsgeflecht zwischen diesen Organen bestimmt zu einem grossen Teil die Qualität der Corporate Governance. Das Schweizer Obligationenrecht (OR) enthält dazu nur rudimentäre Bestimmungen. Aus der Perspektive des Wirtschaftsprüfers sind die Berichte der Revisionsstelle an die Generalversammlung und den Verwaltungsrat gemäss Art. 728b OR hervorzuheben. Den meisten Schweizer Unternehmen dient der «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance» der «economiesuisse» als Leitfaden. Dieser Kodex thematisiert auch die Zusammensetzung und die Aufgabengebiete von Verwaltungsratsausschüssen und geht dabei explizit auf den Prüfungsausschuss (Audit Committee) und den Entschädigungsausschuss (Compensation Committee) ein. Rechtlich sind die Ausschüsse nicht 12 Disclose Juni 2013 verankert; das Gesetz kennt lediglich eine Kann-Vorschrift, wonach der Verwaltungsrat bestimmte Aufgaben «Ausschüssen oder einzelnen Mitgliedern» übertragen darf (Art. 716a Abs. 2 OR). In der Praxis aber sind Verwaltungsratsausschüsse zumindest bei börsenkotierten Schweizer Unternehmen Best Practice. Auch hinsichtlich der Governance-Bestimmungen gilt es, zwischen Industrie und Handel einerseits sowie dem Finanzsektor andererseits zu unterscheiden. Grob gesagt, stehen sich eine nicht oder (durch die SIX-Richtlinie) nur schwach regulierte und eine stark regulierte Welt gegenüber. In letzterer schreibt die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA etwa vor, dass Banken, die bestimmte Grössenkriterien erfüllen, ein Audit Committee haben müssen. In ihrem Rundschreiben 2008/24 beschreibt die FINMA die Aufgaben des Prüfungsausschusses und umreisst die Anforderungen an dessen Mitglieder. In der anderen, der kaum regulierten Welt sprechen überzeugende Argumente für die Einrichtung von Ausschüssen: Damit der Verwaltungsrat seinen weitreichenden gesetzlichen Aufgaben in vollem Umfang nachkommen kann, ist er nahezu gezwungen, Überwachungsfunktionen etwa auf den Gebieten der Rechnungslegung und der Revision an ein spezialisiertes und qualifiziertes Gremium zu übertragen. Audit Committee und Gesamtverwaltungsrat Diese Delegation hat dazu geführt, dass das Audit Committee neben dem CFO (als für die Finanzen verantwortliches Mitglied der Geschäftsleitung) der wich tigste Ansprechpartner der Revisionsstelle ist. Über das Beziehungsdreieck Audit Committee – CFO – externe Revision läuft ein Grossteil der Kommunikation zur Finanzberichterstattung und zu anderen prüfungsrelevanten Themen, etwa zum internen Kontrollsystem (IKS). Damit die Kommunikation professionell abläuft, muss der Verwaltungsrat seinen Prüfungsausschuss mit klaren Kompetenzen ausstatten und ihm einen eindeutig definierten Aufgabenbereich zuteilen. Darüber darf der Prüfer nicht aus dem Auge verlieren, dass der Gesamtverwaltungsrat nach wie vor das entscheidende Organ ist – schliesslich trägt er die Verantwortung für die Erstellung des Geschäftsberichts. Der Dialog mit dem Gesamtgremium und dessen Präsidenten bleibt daher unerlässlich. Entscheidend ist die Position des Audit Committee innerhalb des Gesamtverwaltungsrats. Für die Kompetenzzuteilung spielen die Unternehmensgrösse beziehungsweise die Anzahl der Verwaltungsratsmitglieder und die Branche eine Rolle. Grundsätzlich gehört es zur Best Practice, dass der Verwaltungsratspräsident kein Mitglied des Audit Committee ist. Für Banken macht die FINMA eine klare Vorgabe. In dem bereits zitierten Rundschreiben 2008/24 heisst es unmissverständlich: «Der Vorsitzende des Verwaltungsrats soll dem Audit Committee nicht angehören. Entscheidet das Institut, dass dieser dem Audit Committee angehört, so ist dies im Jahresbericht zu begründen.» Die Überlegung dahinter zielt auf die Unabhängigkeit des Audit Committee: Gehört der Verwaltungsratspräsident dem Prüfungsausschuss an, besteht die Gefahr, dass die Verantwortlichkeiten verwischt werden und die Funktionentrennung ausgehebelt wird; damit geriete das Machtgefüge auf der obersten Führungsebene aus der Balance. Audit Committees können ihrer Aufgabe nur dann gerecht werden, wenn sie unabhängig urteilen können – auch innerhalb des Verwaltungsrats. Unterschiedlich gestaltet sich die Praxis, wenn es um die Teilnahme des Verwaltungsratspräsidenten an den Sitzungen des Prüfungsausschusses geht. Bei Handels- und Industrieunternehmen ist dies heute noch durchaus üblich, bei Finanzinstituten zumindest nicht explizit untersagt. Eine verbindliche Regelung für alle Unternehmen stiesse vielerorts in der Wirtschaft auf Unverständnis. Letztlich kommt es auf die Persönlichkeiten an: Mischt sich ein dominanter Verwaltungsratspräsident ständig in die Beratungen des Audit Committee ein, kann dies eine unabhängige Arbeit beeinträchtigen, zumal wenn der Vorsitzende des Ausschusses weniger Durchsetzungsvermögen hat. Audit Committee und Revisionsstelle Stefan Räbsamen Partner, Wirtschaftsprüfung [email protected] Abgesehen von dem klar umrissenen Aufgabenkatalog der FINMA bietet der «Swiss Code of Best Practice» eine generelle Leitlinie für das Tätigkeitsfeld des Prüfungsausschusses. Danach macht sich das Audit Committee ein Bild von der Wirksamkeit der externen und der internen Revision sowie von deren Zusammenwirken. Vielfach ist das Spektrum jedoch weiter gefasst. Eine empirische Umfrage, die PwC im Jahr 2010 gemeinsam mit der Universität St. Gallen durchgeführt hat, zeigt: Das Audit Committee entwickelt sich mehr und mehr zu einem Audit, Risk & Compliance Committee. Dies ist einerseits ein Zeichen der Professionalisierung; andererseits verändert sich mit der Aufgabenerweiterung auch das Anforderungsprofil des Gremiums insgesamt und der einzelnen Mitglieder (insbesondere des Vorsitzenden). Denn die Qualifikation muss auf die Aufgabenpalette abgestimmt sein. In fachlicher Hinsicht sind natürlich vor allem Wissen zu Rechnungslegung und Revision erforderlich. Doch je stärker Prüfungsausschüsse auch für Fragen des (finanziellen) Risikomanagements und der Compliance verantwortlich sind, desto mehr sind auch organisatorische und juristische Kenntnisse verlangt. Generell sollte der Verwaltungsrat die Zusammensetzung seines Prüfungsausschusses regelmässig hinterfragen. Nur so kann er sichergehen, dass das Gremium auch im Hinblick auf strategische Veränderungen oder neue Rahmenbedingungen den Anforderungen gerecht wird. Über das Fachwissen hinaus sollten die Mitglieder des Audit Committee eine Unabhängigkeit des Denkens und eine kritische Grundhaltung mitbringen. Für die Prüfer sind Unabhängigkeit und kritische Grundhaltung ein rechtlich kodifiziertes und berufsethisch verankertes Postulat. Das Audit Committee muss sich auf die Arbeit der Revisionsstelle verlassen können. Dies bedeutet auch, dass der Abschlussprüfer im Dialog mit dem Audit Committee seine Meinung unmissverständlich zum Ausdruck bringt. Das Persönlichkeitsprofil des Prüfers gewinnt auch mit Blick auf die Beziehung zum Audit Committee immer mehr an Bedeutung. Vorgaben der Prüfungsstandards an die Kommunikation Was die Häufigkeit der Kommunikation anbelangt, so sollte die externe Revision an allen Treffen des Audit Committee teilnehmen; dies entspricht bei vielen Unternehmen auch der Praxis. Unverzichtbar ist die Anwesenheit des Prüfers an der Besprechung und der Verabschiedung des Prüfungsplans, der Prüfungsresultate und der zu publizierenden Jahresrechnung. An diesen Sitzungen bringt die Revisionsstelle Fakten und Meinungen ein, denen sich das Audit Committee nicht verschliessen darf. Juni 2013 Disclose 13 Die Finanzverantwortlichen und das Prüfungsteam müssen als Sparringspartner funktionieren, beide Seiten müssen auf dem neusten Stand der Rechnungslegung sein, Bilanzierungsansätze hinterfragen und über schwierige Themen frühzeitig diskutieren. Der Revisor muss seine Arbeit an den Prüfungsstandards des Berufsstands ausrichten. Sowohl die Schweizer Prüfungsstandards (PS) als auch die International Standards on Auditing (ISA) legen fest, unter welchen Umständen und in welcher Form eine Kommunikation zwischen dem Prüfer und der Unternehmensleitung erfolgen soll. Die seit 2010 geltenden «clarified ISA», an die nun auch die Schweizer PS angepasst wurden (vgl. Beitrag auf Seite 38), legen besonderen Wert auf einen echten Informationsaustausch, eine «two-way communication», zwischen dem Prüfer und der Unternehmensleitung. Laut PS 260 gehört es auch zur Best Practice, dass «der Prüfungsausschuss mindestens jährlich ohne Anwesenheit des Managements mit dem Abschlussprüfer zusammenkommt». CFO und externe Revision Der CFO ist im Beziehungsdreieck Audit Committee – CFO – externe Revision der zweite Hauptansprechpartner der Revisionsstelle. Diese Beziehung ist von vielfältigen Qualitäten geprägt. Zu erwähnen ist an erster Stelle die Fachkompetenz. Die Finanzverantwortlichen und das Prüfungsteam müssen als Sparringspartner funktionieren, beide Seiten müssen auf dem neusten Stand der Rechnungslegung sein, Bilanzierungsansätze hinterfragen und über schwierige Themen frühzeitig diskutieren. Hier sind kritische Denkansätze gefragt. Im Regelfall allerdings decken sich die Interessen von CFO und Revisionsstelle: Es geht darum, eine korrekte Jahresrechnung zu erstellen. 14 Disclose Juni 2013 Problematisch sind jene Positionen, deren Bewertung einen Ermessensspielraum beinhalten, beispielsweise die Werthaltigkeit von Goodwill oder Rückstellungen. Für solche Themen gilt: Erstens, sie müssen mit dem Audit Committee besprochen werden. Zweitens, die Revisionsstelle bindet Spezialisten für fachspezifische Fragestellungen, etwa Bewertungen, in ihr Prüfungsteam ein. Drittens, bei komplexen Transaktionen braucht der verantwortliche Abschlussprüfer eine gewisse Hartnäckigkeit; er muss so lange nachhaken, bis er die Vorgänge, die Verbuchung und Abbildung vollständig verstanden hat und sich damit einverstanden erklären kann. Im Verhältnis zwischen dem Audit Committee und dem CFO schliesslich ist zu beachten, dass keine Spannungsfelder entstehen. Das Audit Committee sollte als Sparringspartner des CFO fungieren, ohne in das tägliche Geschäft einzugreifen. Eine solche Gefahr spiegelt die Kehrseite der Professionalisierung des Audit Committee: Je tiefer das Wissen der Ausschussmitglieder, desto grösser die Versuchung, sich in operative Aufgaben einzumischen. Auch unter diesem Aspekt ist stets das Postulat der Balance im Beziehungsdreieck zu beachten. Sie erlaubt eine vertrauensvolle Dreiecksbeziehung, die von einer offenen Kommunikation und konstruktiver Arbeit geprägt ist. Der Jahresabschluss und die Konzernrechnung basieren auf anerkannten Rechnungslegungsstandards und vermitteln heute in der Regel einen guten Einblick in die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Anders als bei der Finanzberichterstattung lässt das Qualitätsniveau der Angaben zur Corporate Governance bisweilen zu wünschen übrig. Es scheint, dass bei einigen Unternehmen vor allem die Transparenz der Vergütungsberichte der Entwicklung der Finanzberichterstattung um einiges hinterherhinkt. Dies hat auch die SIX Exchange Regulation in den vergangenen Jahren immer wieder moniert. Wenn der Vergütungsbericht künftig der Generalversammlung zur bindenden Abstimmung vorgelegt wird, muss sich jedes börsenkotierte Unternehmen fragen, ob die Transparenz des Vergütungssystems und -berichts ausreichend ist. Muss der CorporateGovernanceBericht geprüft werden? Aus der Sicht der externen Revision sind diese Berichte durchaus von Bedeutung, auch wenn sie kein direkter Prüfungsgegenstand sind. Die Prüfungsstandards (insbes. PS 720 und dessen internationales Pendant ISA 720) verpflichten den Revisor, darauf zu achten, dass die finanziellen und nichtfinanziellen Informationen in anderen Teilen des Geschäftsberichts (also ausserhalb des Abschlusses und des dazu erteilten Vermerks des Abschlussprüfers) mit den Angaben in der Jahres- und der Konzernrechnung konsistent sind. Stellt der Prüfer «wesentliche Unstimmigkeiten» zwischen diesen «sonstigen Informationen» und der Finanzberichterstattung fest, muss er nach PS 720 entscheiden, ob Berichtigungen vorgenommen werden müssen. ISA 720, der momentan überarbeitet wird, zählt in der vorgeschlagenen revidierten Fassung den Corporate-Governance-Bericht ausdrücklich zu den «begleitenden Dokumenten», die in den Anwendungsbereich des Standards fallen. Besonders relevant ist auch hier wieder der Vergütungsbericht, denn er enthält Angaben, die einen Bezug zu der entsprechenden Offenlegungspflicht im Anhang des statutarischen Jahresabschlusses gemäss Art. 663bbis OR haben. Insofern sind zumindest Teile der Corporate-Governance-Berichterstattung ein indirekter Prüfungsgegenstand. Innerhalb des Verwaltungsrats sollte der Vergütungsbericht auch dem Audit Committee vorgelegt werden. Der Prüfungsausschuss sollte den Vergütungsbericht insbesondere daraufhin untersuchen, ob das Zahlenwerk mit den Angaben im Jahresabschluss konsistent ist. Ein Austausch zwischen Audit und Compensation Committee ist umso wichtiger, je stärker die Vergütungsberichte ins Visier der Aktionäre und der Öffentlichkeit rücken. In zahlreichen Unternehmen bestehen personelle Verflechtungen zwischen den beiden Ausschüssen; in einigen fällt der Vergütungsbericht oder gar der gesamte Geschäftsbericht unter die Kompetenz des Audit Committee. Ein weiteres Arbeitsfeld für das Audit Committee dürfte künftig das «Integrated Reporting», die integrierte Berichterstattung, sein (vgl. hierzu den Beitrag auf Seite 40). «Konsistenz und Vergleichbarkeit» ist eines der sechs Prinzipien, die dem derzeit diskutierten Rahmenwerk des «International Integrated Reporting Council» (IIRC) zugrunde liegen. Auch der revidierte ISA 720 nimmt auf diese Form der Berichterstattung Bezug. Danach fallen integrierte Berichte in den Anwendungsbereich dieses Prüfungsstandards, wenn sie den geprüften Jahresabschluss und den Bericht des Prüfers darüber enthalten. Integrierte Berichte dürften dann auch Gesprächsgegenstand zwischen Audit Committee und Revisionsstelle sein. Juni 2013 Disclose 15 Interne Revision und Corporate Governance Die interne Revision ist das Auge und das Ohr der Unternehmensführung. Sie unterstützt primär den Verwaltungsrat bei der Wahrnehmung seiner Überwachungs- und Kontrollaufgaben, sekundär auch das Management. Die interne Revision spielt eine wichtige Rolle in der Corporate Governance, wenn die Mitarbeiter der internen Revision kompetent sind sowie unabhängig und kritisch denken und handeln. Zudem müssen der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung offen kommunizieren. Die interne Revision ist eine vom Tagesgeschäft losgelöste Assurance- und Beratungsfunktion innerhalb des Unternehmens. Sie unterstützt die Unternehmensführung, indem sie die Organisationsstruktur und die Geschäftsabläufe überprüft. Besonderes Augenmerk richtet sie auf das interne Kontrollsystem und das Risikomanagement. Die Ausgestaltung und die Aufgaben der internen Revision sind von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Ihre Leitlinien definieren die Firmen im sogenannten «Internal Audit Charter», der vom Verwaltungsrat beziehungsweise vom Audit Committee genehmigt wird. Diese Leitlinien enthalten die Beschreibung des Auftrags: Sie legen fest, welche Aufgaben die interne Revision erfüllen soll und – noch wichtiger – welche Ziele sie erreichen soll. Manche Firmen orientieren die interne Revision bewusst am Finanzwesen und an der Compliance. Sie lassen also 16 Disclose Juni 2013 ähnliche Aktivitäten durchleuchten, die auch Prüfungsgegenstand der externen Revision sind. Andere Unternehmen lassen die interne Revision hauptsächlich im operativen Geschäft tätig werden. Sie verfolgen damit das Ziel, Effizienzpotenziale zu identifizieren sowie Verbesserungen in den Strukturen oder bei den Systemen anzustossen. Die meisten Firmen siedeln die interne Revision irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Ansätzen an. Unterschiedliche Themen und Interessen Die Frage der Ausgestaltung der internen Revision hängt nicht zuletzt von der Bedeutung ab, die der Verwaltungsrat und das Management ihr zumessen. Im Idealfall ist die interne Revision direkt dem Verwaltungsratspräsidenten oder dem Präsidenten des Audit Committee unterstellt. Das Management sollte ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung erhalten, damit die interne Revision innerhalb des Unternehmens eine höhere Akzeptanz findet. Zu beachten ist ferner die Rolle der Unternehmenskultur. Wenn der Verwaltungsrat und das Management häufig und offen kommunizieren, dann kann die interne Revision im Unternehmensinneren ihre höchste Wirksamkeit entfalten. Die interne Revision unterliegt keinerlei Restriktionen in Bezug auf die Prüfungsthemen. Sie kann einzelne Prozesse wie den Einkauf, den Verkauf, die Informatik oder die Innovation unter die Lupe nehmen, oder sie kann sich der Analyse und der Beurteilung der gesamten Wertschöpfungskette widmen. Sie kann zudem laufende Projekte oder gar komplexe Operationen wie Akquisitionen überprüfen, um unabhängig und objektiv festzustellen, wie diese initiiert und abgewickelt wurden und ob die gesetzten Ziele erreicht werden. Trotz ihrer vielfältigen Einsatzbereiche im Unternehmen sollte die interne Revision von den Mitarbeitern nicht als «Kontrollinstanz» wahrgenommen werden; im Sinne einer Best Practice sollte sie vielmehr als eine Beratungsinstanz in Erscheinung treten, die hilft, Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen. Die Anspruchsgruppen der Unternehmen haben in der Regel unterschiedliche Erwartungen an die interne Revision. Dies zeigt die von PwC regelmässig durchgeführte Studie «State of the internal audit profession». Es gibt Verwaltungsräte, die ausgesprochen Complianceorientiert sind. Sie legen vor allem auf Regelkonformität der unternehmerischen Aktivitäten Wert und möchten von der internen Revision die Bestätigung erhalten, dass das IKS und die Corporate Governance zuverlässig funktionieren. Das Management hingegen erwartet eher, dass die interne Revision Potenziale für Effizienzsteigerungen identifiziert und damit einen Beitrag zur Schaffung von Mehrwert leistet. Die Anliegen der Stakeholder decken sich also nicht immer. Sie sind jedoch gleichermassen legitim; deshalb Werner Stebler Partner, Wirtschaftsprüfung [email protected] müssen Verwaltungsrat und Management im offenen Gespräch den für das Unternehmen richtigen Weg suchen und finden. Die neueste Ausgabe der Studie «State of the internal audit profession» stellt fest, dass sich die interne Revision in vielen Unternehmen neuen Themen widmet. Eines ist das Talentmanagement, also die Frage, wie ein Unternehmen die richtigen Mitarbeiter gewinnen und nach der internen Ausbildung auch halten kann. Mit diesem Thema beschäftigte sich in der Vergangenheit beinahe ausschliesslich das Management. In einigen Branchen wird neuerdings auch das Knowledge Management zu einem wichtigen Prüfungsgegenstand der internen Revision. Ein drittes neues Thema der internen Revision ist der Datenschutz beziehungsweise die Datensicherheit. Da dieser Bereich gerade in der jüngsten Vergangenheit global sehr drängende Probleme birgt, beschäftigen sich neben der internen Revision auch andere Unternehmensinstanzen wie das Risikomanagement, die Informatik oder die Rechtsabteilung damit. Unabhängigkeit und Objektivität Die interne Revision ist nach dem schweizerischen Obligationenrecht kein Organ des Unternehmens. Sie unterstützt den Verwaltungsrat bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben. Es wäre falsch, die Aktivitäten der internen Revision gesetzlich regeln zu wollen. Der Gesetzgeber hat sich bislang zurückgehalten; konkrete regulatorische Anforderungen bestehen nur für Finanzinstitute. Auch künftig sollten die Aufgaben der internen Revision vorwiegend durch die Unternehmen selbst festgelegt werden. Detaillierte regulatorische Vorschriften würden genau das zunichtemachen, was die interne Revision auszeichnet: ihre vielfältigen Anwendungs- möglichkeiten, ihre Ausrichtung auf die je nach Grösse und Komplexität unterschiedlichen Bedürfnisse des Unternehmens und damit ihren Nutzen. Der Schweizerische Verband für Interne Revision (SVIR oder IIA Switzerland) sorgt als nationale Vertretung des «Institute of Internal Auditors» (IIA) für eine laufende Anpassung der Prüfungsstandards. Interne Revisoren haben diese Standards zu beachten. In deren Zentrum stehen die beiden wichtigsten Prüfungskriterien der internen Revision: Unabhängigkeit und Objektivität. Wenn diese beiden Kriterien eingehalten werden, ist die interne Revision befähigt, eine wichtige Rolle in der Corporate Governance zu spielen. Die beiden wichtigsten Prüfungskriterien der internen Revision sind Unabhängigkeit und Objektivität. Unabhängigkeit bedeutet nicht, dass die interne Revision organisatorisch unabhängig sein soll. Im Gegensatz zur externen Revision – die explizit nicht Teil des Unternehmens sein darf – soll die interne Revision «nur» insofern unabhängig sein, als ihre Mitarbeiter unabhängig denken und handeln. Objektivität kann die interne Revision dann gewährleisten, wenn sie Interessenkonflikte vermeidet und ihre Mitarbeiter professionell arbeiten. Das Unternehmen hat dafür zu sorgen, dass die interne Revision über genügend ausgebildete Revisoren zur Bewältigung der vom Verwaltungsrat definierten Aufgaben verfügt. Die IIA-Standards werden laufend überarbeitet mit dem Ziel, mehr Wirkung zu erzeugen. So gab es in der Vergangenheit häufig Soll-Bestimmungen, die mittlerweile zu Muss-Bestimmungen umformuliert wurden. Juni 2013 Disclose 17 Was ist interne Revision? «Die interne Revision erbringt unabhängige und objektive Prüfungs- und Beratungsdienstleistungen, welche darauf ausgerichtet sind, Mehrwerte zu schaffen und die Geschäfts prozesse zu verbessern. Sie unterstützt die Organisation bei der Erreichung ihrer Ziele, indem sie mit einem systematischen und zielgerichteten Ansatz die Effektivität des Risikomanagements, der Kontrollen und der Führungsund Überwachungsprozesse bewertet und diese verbessern hilft.» Definition nach dem Institute of Internal Auditors Die Standards schreiben klar vor, dass der Leiter der internen Revision sicherstellen muss, dass es innerhalb der Organisation einen Prozess zur Qualitätssicherung gibt. Der Leiter muss zudem explizit definieren, wie die interne Revision geplant und durchgeführt wird und wie die Berichterstattung und die Fortschrittskontrolle erfolgen. Die interne Revision wird in manchen Firmen zunehmend in die Arbeiten der externen Revision einbezogen. Aus Sicht der Corporate Governance ist dieser Trend nicht unproblematisch. Die Eidgenössische Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) bezweifelt, dass die internen Revisoren ausreichend unabhängig sind, und fordert deshalb, dass bedeutende Prüfungshandlungen nur von der externen Revisionsstelle durchgeführt werden dürfen. Falls weniger bedeutende Prüfungshandlungen von der internen Revision durchgeführt werden, so seien sie von der externen Revisionsstelle ausreichend zu überwachen und zu überprüfen. Die IIA-Standards verlangen, dass die Unternehmen mindestens alle fünf Jahre eine unabhängige Beurteilung der internen Revision durchführen lassen. Diese Review muss durch einen qualifizierten, unabhängigen Gutachter, der nicht der Organisation angehört, vorgenommen werden. Der Auftrag sollte vom Verwaltungsrat erteilt werden, damit die Beurteilung und die Berichterstattung auch tatsächlich unabhängig und objektiv erfolgen. 18 Disclose Juni 2013 Der Berufsverband ist kein Aufsichtsgremium, das die Praxis der internen Revision in den Unternehmen überwacht. Die richtige Ausgestaltung und Durchführung der internen Revision bleibt in der Verantwortung des Verwaltungsrates und des Managements. Es gibt mehrere Modelle für die organisatorische Ausgestaltung der internen Revision innerhalb des Unternehmens. Das Team der internen Revision kann entweder aus Profi-Revisoren zusammengesetzt werden oder aus Personen bestehen, die diese Funktion nur als Teil ihrer Aufgaben im Unternehmen beziehungsweise über einen begrenzten Zeitraum hinweg ausüben. Die Wahl des Modells hängt davon ab, welche Ziele das Unternehmen mit der internen Revision verfolgt. Bevor sich ein Unternehmen für ein bestimmtes Modell der internen Revision entscheidet, sollte es veranlassen, dass alle Abteilungen durchleuchtet werden, die Assurance-Funktionen ausüben. Ziel dieser Analyse muss es sein, die Zusammenarbeit zwischen Risikomanagement, IKS, Compliance-Stellen sowie externer und interner Revision aufeinander abzustimmen. Mit der Koordination sollen Duplikationen von Aktivitäten vermieden, aber auch Lücken erkannt werden. Der Verwaltungsrat erhält ein höheres Mass an Sicherheit, wenn er davon ausgehen kann, dass die Assurance-Aktivitäten aufeinander abgestimmt sind und die Corporate Governance funktioniert. Stephen O’Hearn über Governance und Regulierung multinationaler Unternehmen «Die Unternehmen selbst müssen das öffentliche Vertrauen wiederherstellen» Regeln zur Corporate Governance werden grundsätzlich auf nationaler Ebene erlassen. Genügt es, wenn sich multinationale Unternehmen an die Gesetzgebung der Länder halten, in denen sie operieren, oder sollte die Regulierung auf einer supranationalen Ebene stattfinden? Stephen O’Hearn: Als Erstes möchte ich hervorheben: Wir leben in einer Zeit, die sich durch eine erhebliche Zunahme der Regulierung auszeichnet. Noch nie gab es einen solchen Druck auf die Unternehmen, besonders auf jene in der Finanzwirtschaft, neue Vorschriften einzuhalten. Das lässt sich in der ganzen Welt beobachten. Tatsächlich müssen die Finanzinstitute und die multinationalen Unternehmen das öffentliche Vertrauen wiedergewinnen, und es ist sehr wichtig, dass sie dies ernst nehmen. Persönlich bin ich der Meinung, dass zu viele Regeln und Regulierungen aufkommen. Was man hingegen wirklich gerne sähe, wäre eine gute Governance, die sich aus einer gefestigten Unternehmenskultur und dem Wunsch, das Richtige zu tun, ergibt und nicht aus der Notwendigkeit, Vorschriften zu erfüllen. Dennoch wird die Diskussion geführt, und es liegen Vorschläge auf dem Tisch – etwa seitens der EU –, staatenübergreifende Rahmenwerke für die Corporate Governance mit detaillierten Regeln aufzustellen. Halten Sie solche Vorschläge für nützlich? Stephen O’Hearn: Meines Erachtens ist die Einhaltung umfangreicher, komplexer Regelwerke ein kostspieliges Unterfangen, das die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in bestimmten Jurisdiktionen beeinträchtigt. Man kann wirklich nur hoffen, dass Regeln und Regulierungen im Verlauf der Zeit an Bedeutung verlieren und dass die Kultur des richtigen Verhaltens an Einfluss gewinnt. Eine derartige Kultur beeinflusst das Verhalten viel nachhaltiger als die schwerfällige Infrastruktur, die sich aus einem komplexen regulatorischen Umfeld ergibt. Aber böte ein supranationales Rahmenwerk den Unternehmen nicht auch die Chance, weltweit gemeinsame Governance-Prinzipien anzuwenden und über deren Anwendung transparent zu berichten? Stephen O’Hearn: Gut geführte Unternehmen verfolgen generell die Praxis, zumindest die nationalen Anforderungen überall einzuhalten. Darüber hinaus setzen sie ethische Standards und geben ihren Mitarbeitern in aller Welt Verhaltensweisen vor, deren Einhaltung sie erwarten und überwachen. Dies reicht weit über die Mindestanforderungen nationaler Gesetzgebungen hinaus. Wenn multinationale Unternehmen ihre Standards systematisch anwenden und zudem über ihre Aktivitäten in den Bereichen Governance und Compliance berichten, dann sollte die Transparenz, die sie für die Öffentlichkeit schaffen, mehr als angemessen sein. Geeignet für die Offenlegung sind beispielsweise die Prinzipien des Rahmenwerks für Integrated Reporting, das gerade in der Diskussion ist. Wie kann ein Unternehmen auf wirksame Art und Weise gute Governance-Strukturen entlang der gesamten Wertschöpfungskette einrichten? Stephen O’Hearn: Nun, grundlegend ist, dass gute Governance für alle Verhaltensweisen massgebend ist, die das Unternehmen zeigen will. Insofern beeinflusst die Governance alles Verhalten innerhalb der Organisation – egal, ob sich dies um die Wertschöpfungskette, die Finanzbericht- Stephen O’Hearn ist Partner bei PwC USA und Leiter Versicherungen des PwC Central Cluster, der Europa, den Nahen Osten und Afrika umfasst. [email protected] Juni 2013 Disclose 19 «Man kann nur hoffen, dass Regeln und Regulierungen im Verlauf der Zeit an Bedeutung verlieren und dass die Kultur des richtigen Verhaltens an Einfluss gewinnt.» erstattung, die steuerliche Compliance oder sonst etwas handelt. Für ein multinationales Unternehmen gilt dies offenkundig überall dort, wo es seinen Geschäften nachgeht. Gute Governance bedeutet, dass die Verhaltensweisen, die man erwartet, auch verstanden werden und dass der richtige Ton gesetzt wird. Es muss entsprechende Anreize geben und integre Personen als Vorbild. Verantwortlich dafür sind letztlich die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat. Wie lässt sich intern und extern überwachen, dass in multinationalen Unternehmen die Politik und die Prinzipien zur Corporate Governance beachtet werden? Stephen O’Hearn: Meine Erfahrung zeigt: Die Mitarbeiter müssen an Schulungen teilnehmen; es gibt Erwartungen an diese Schulungen, und es gibt Bescheinigungen über die Einhaltung von Verhaltenskodizes, Richtlinien und Prozessen. All dies zusammen ist notwendig, um die Art der Unternehmenskultur durchzusetzen, die das Unternehmen haben will. Was die interne und externe Überwachung anbelangt, so haben die Vereinigten Staaten mit dem SarbanesOxley Act die Einrichtung von Whistleblower-Hotlines vorgeschrieben. Der DoddFrank Act, der Tausende von Seiten neuer Unternehmensregulierung, vor allem für Finanzinstitute, umfasst, geht noch einen Schritt weiter: Er sieht die Einrichtung eines Prämiensystems vor, wonach Whistleblower, die Fehlverhalten melden, mit einem Teil allfälliger Strafzahlungen belohnt werden. 20 Disclose Juni 2013 Dies hat der Rolle von Whistleblowern eine völlig neue Dimension verliehen. Ich glaube, dass sich die Hotlines – ob mit oder ohne Prämiensystem – als ein sehr wirksames Mittel erwiesen haben, um schlechtes Verhalten zu beobachten und darüber zu berichten. Meine Erfahrung der letzten zehn Jahre spricht dafür, dass Hotlines generell zu einem recht effizienten Instrument geworden sind, um richtige Verhaltensweisen zu überwachen – auch wenn sie gelegentlich von Angestellten mit persönlichen Beschwerden missbraucht werden können, sind solche Mechanismen nötig, um Fälle von Fehlverhalten zu identifizieren. Probleme entstehen, wenn ein westliches Unternehmen Geschäfte in Afrika oder Asien tätigt, wo eine völlig andere Kultur herrscht und andere Standards gelten. Dort kann es beispielsweise üblich sein, sich innerhalb der Familie oder anderen Kreisen gegenüber erkenntlich zu zeigen – etwas, das im Westen als Korruption ausgelegt wird und das es zu bekämpfen gilt. Stephen O’Hearn: Das kann in Afrika oder Asien eine Herausforderung sein, aber auch im Nahen Osten. Der Nahe Osten bietet heute ein prosperierendes Geschäftsumfeld, und zahlreiche westliche Firmen sind hier tätig. In vielen Teilen der Welt sind Zahlungen an Kunden oder Lieferanten Gepflogenheit. Nach meiner Erfahrung zu urteilen, vermeiden gut geführte westliche Unternehmen so etwas jedoch um jeden Preis. Sie nehmen eher von dem Geschäft Abstand und schrecken vor sich bietenden Gelegenheiten zurück, als dass sie ihren Namen und ihre Reputation riskieren und mit korrupten Geschäftspraktiken in Verbindung gebracht werden. Was ist, wenn man dies von der anderen Seite her betrachtet? Angenommen, ein chinesisches Unternehmen investiert mehr und mehr in die westliche Wirtschaft. Welche Standards gelten dann? Stephen O’Hearn: Ich habe während der vergangenen Jahre viel Zeit in Lateinamerika verbracht. Das chinesische Engagement für die Entwicklung der dortigen Infrastruktur – Versorgung, Strassenbau – ist sehr bedeutend. In ganz Lateinamerika und Afrika konnte ich – auch wenn meine Erfahrungen in Afrika ein paar Jahre zurückliegen – überall Aktivitäten unter chinesischer Führung beobachten. Ihre Investitionstätigkeit in den aufstrebenden Märkten ist enorm. Ihre Frage ist, welche Standards herangezogen werden. Ich kann darauf keine umfassende Antwort geben. Klar ist aber, dass auch chinesische Unternehmen zumindest das national anwendbare Recht einhalten müssen. Wenn sie global operieren und etwa nennenswerte Geschäfte in den USA und Grossbritannien machen, dann müssen sie auch die Antibestechungsvorschriften dieser Länder respektieren. Zudem gibt es die Macht der öffentlichen Meinung. Sie wird dazu führen, dass auch Unternehmen aus den Schwellenländern vermehrt auf ihre Reputation achten werden. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht doch wünschenswert, einen globalen Kodex für Corporate-Governance-Praktiken zu entwickeln? Stephen O’Hearn: Ich glaube, das ist, zumindest derzeit, ziemlich unrealistisch. Noch vor fünf Jahren sah es für mich danach aus, als würde sich die Welt in Richtung einer globalen, zumindest weniger regional ausgerichteten Regulierung entwickeln. Dies hätte den Unternehmen mehr Kapitalfungibilität verschafft und ihnen bessere Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Nutzung von Ressourcen eröffnet. Heute aber gibt es eine Tendenz hin zum Nationalen. Die Regulatoren sind viel mehr damit beschäftigt, was in ihren eigenen Ländern vorgeht. Wie erklären Sie diese Verschiebung hin zu einem nationalen Fokus? Stephen O’Hearn: Ich denke, dies ist eine Reaktion auf die Finanzkrise. Die Regulatoren haben das Gefühl, die Marktteilnehmer in ihrem Land beschützen zu müssen, und wollen die Regulierung nicht an andere Behörden abtreten. Dieser Schutzgedanke nimmt verschiedene Ausprägungen an. Vieles hat mit der Einstellung der Regulatoren zum Risikobewusstsein zu tun. Sie glauben, dass sich ein Versagen der Governance in unangemessenen Anreizen und exzessiver Risikoübernahme manifestiert. Der Denkweise der Regulatoren zufolge können sich die grossen Finanzinstitute nicht selbst regulieren und überwachen; daher müssten sie es im Interesse der Marktteilnehmer tun. Bei den Regulatoren lässt sich daher das Bestreben beobachten, das Eingehen von Risiken zu begrenzen. Das Risikomanagement ist auch deshalb wichtig, weil es mit den internen Strukturen und dem Vergütungssystem eines Unternehmens zusammenhängt. Stephen O’Hearn: Ja, und weil das Verständnis davon, wie Risiken zu managen sind, Teil einer guten Governance ist. Was es wirklich braucht, ist eine Umgebung, in der das richtige Verhalten den Menschen in Fleisch und Blut übergeht, in der sich die Mitarbeiter auch dann im gewünschten Sinne verhalten, wenn keiner hinschaut. Nicht eine Umgebung, die durch die Compliance mit Regeln und Regulierung und durch Überwachung geprägt ist. Somit sind also Erziehung und Integrität sowie der Charakter einer Person die wichtigsten Voraussetzungen für eine gute Governance? Stephen O’Hearn: Ja, genau. Bei einer guten Governance dreht sich alles um eine solche Unternehmenskultur und darum, dass sie innerhalb der gesamten Organisation gelebt wird. Hierin sehe ich die Hauptverantwortung des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung. Dies ist ein viel effektiverer Weg, um zu den richtigen Verhaltensweisen zu gelangen, als ein behördlich verordnetes Regelwerk. Welche konkreten Schritte sind Ihrer Meinung nach nötig, um die richtige Kultur in einem Unternehmen zu verankern? Stephen O’Hearn: Ein sehr wichtiger Punkt ist, wie die Performance der Mitarbeiter gemessen wird. Metriken lenken das Verhalten. Letztlich, und darum geht es bei guter Governance, müssen die richtigen Kennzahlen gewählt werden, um Anreize für das richtige Verhalten zu setzen. Um das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederzugewinnen, müssen die Unternehmen genau das angehen: die richtigen Kennzahlen heranziehen und Anreize für das richtige Verhalten setzen. Auf diese Weise können sie übertriebene Risikobereitschaft oder schlichtes Fehlverhalten vermeiden. Zudem können sie die Regulatoren davon überzeugen, dass sie die Dinge unter Kontrolle haben. Sie müssen dies tun, um die Flut an Regulierungen einzudämmen – und weil es im ureigenen Geschäftsinteresse liegt. Gehen demnach Vertrauensbildung und wirtschaftliche Lebensfähigkeit Hand in Hand? Stephen O’Hearn: Ja, die Rückgewinnung des öffentlichen Vertrauens hat ganz offensichtlich einen wirtschaftlichen Nutzen. Wenn die öffentliche Wahrnehmung eines Unternehmens positiver wird, liegt der wirtschaftliche Nutzen in der erhöhten Marktfähigkeit der Produkte. Juni 2013 Disclose 21 Corporate Governance: Erfolg und Versagen einer Leitidee Wenn man sich heute überlegt, in welchen Punkten II.Erfolge der Corporate Governance die Corporate Governance zu Erfolgen geführt hat 1. Das Bewusstsein der Problematik von «Macht» und «Risiko» an der Unternehmensspitze ist gestiegen: Gleich vorweg ist und wo sie versagt hat, muss man sich nochmals festzustellen, dass die jahrelange Debatte um die Verwirklichung kurz auf den Kern der methodischen Leitidee der von Corporate-Governance-Ansätzen gegenüber früher einen Corporate Governance besinnen. gewaltigen Fortschritt gebracht hat, und zwar im Umgang des I. Corporate Governance – die ursprüngliche Leitidee Die «Corporate Governance» hatte ihre hohe Zeit vor etwas mehr als zwanzig Jahren in der angelsächsischen Welt – mit der Veröffentlichung des «Cadbury Report» der Briten («Financial Aspects of Corporate Governance») im Jahre 1992. Diese neuartig formulierten Grundsätze verbreiteten sich rasch praktisch über die ganze Welt – nach zehn Jahren Inkubationszeit folgte bekanntlich auch die Schweiz. Es geht um die Beobachtung, dass die Aktionäre einer Publikumsgesellschaft – in der angelsächsischen Denkweise als «Principals» (die Auftraggeber) verstanden – die Führung der Geschäfte einer Gruppe von Beauftragten, ihren «Agents» (den Managern), übertragen. Die Manager, die im Interesse ihrer Aktionäre zu handeln haben, entwickeln nun erfahrungsgemäss ein Eigeninteresse und tendieren mit der Zeit dazu, diesem den Vorrang einzuräumen. Durch die Einführung von spezifischen «checks and balances» an der Unternehmensspitze, zuerst im inneren Dreieck (Verwaltungsrat – Management – Revisionsstelle), versucht man, ein ausgewogenes Verhältnis von Führung und Kontrolle einzurichten und den Fehlentwicklungen entgegenzuarbeiten. Dabei sollen diese «checks and balances» als selbstauferlegte Grundsätze ein Gegenstand der Selbstbestimmung der Publikumsgesellschaften bleiben, in der Grundidee und als «soft law» ohne neue Zwangsjacken. Das ist der kraftvolle Kern der Corporate Governance. In der Folge wurde der eigentliche Ansatzpunkt der Corporate Governance immer mehr verwischt, die Grundsätze wurden verwässert, bis hin zu inhaltsarmen Allerweltsformeln. Heute zeigt sich, dass die Leitidee der Corporate Governance in der Praxis sowohl grosse Erfolge wie auch eklatante Misserfolge gezeitigt hat; in mehreren konkreten Ansätzen ist das erkennbar. Eine kurze Übersicht lässt in der Tat ein disparates Bild erkennen. Den Anfang sollen die Erfolge machen. 22 Disclose Juni 2013 Managements und des ganzen Führungskaders mit Macht und Risiken. Eigentlich war es immer schon offensichtlich, dass die Aktionäre ihren Beauftragten – den Managern – grosse Macht verschaffen und ihnen in einem nach Gewinn strebenden Unternehmen gestatten müssen, erhebliche Risiken einzugehen. Erst die Corporate-Governance-Debatte zeigte aber, wie notwendig «checks and balances» sind, um Machtmissbräuchen, einer Selbstbedienungsmentalität und der fatalen Neigung, zulasten Dritter allzu grosse Risiken einzugehen, entgegenzuwirken. 2. Das Bauchgefühl für die Schädlichkeit von Entscheidungen, die in einem Interessenkonflikt getroffen werden, ist heute verbreitet vorhanden: In die Erfolgskategorie gehört auch die Erkenntnis, dass Interessenkonflikte an der Unternehmensspitze zu identifizieren und tatkräftig zu bewältigen sind. Fast überall hat aufgedämmert, dass ein unerkannter oder nicht bewältigter Interessenkonflikt damit zu Ende zu gehen pflegt, dass der im Konflikt stehende Verwaltungsrat oder Manager seinem persönlichen Interesse den Vorrang einräumt und im Ergebnis seinen Auftraggeber schädigt. Der Grundsatz der Fernhaltung der im Interessenkonflikt stehenden Personen von der Willensbildung im Unternehmen (Swiss Code Ziff. 16 und Art. 717a des Entwurfs zur Änderung des Obligationenrechts vom 21. Dezember 2007) ist heute unbestritten. 3. Der Leitgedanke einer Kombination von Leitung und Kontrolle hat sich durchgesetzt: Zu den Erfolgen der Corporate Governance zählt eine grosse Zahl von heute durch Selbstregulierung geradezu flächendeckend befolgten gesunden Grundsätzen, abgebildet zum Teil auch in Normen des Aktienrechts: • Grundsatz der Ausgewogenheit von Leitung und Kontrolle, insbesondere an der Spitze des Unternehmens (Swiss Code Ziff. 18); • Trennung der Funktionen von Verwaltungsratspräsident und CEO als Regelfall (Swiss Code Ziff. 18/2) • Stärkung der Aufsichtsfunktionen des Verwaltungsrates (OR 716a Abs. 1); • zentrale Bedeutung einer durchwegs risikoorientierten Kontrolle (Swiss Code Ziff. 19; OR 663b Ziff. 12 bzw. 961c Ziff. 2; OR 728a Abs. 2 ). Dissertation über das Aktienstimmrecht. Anwalt bei White & Case in New York und Paris. Habilitation 1975, a.o. Professor 1977 bis 2001. Autor von Büchern und wissenschaftlichen Artikeln, darunter «Die unentzieh baren Kernkompetenzen des Verwaltungsrates»; «Revisionsstelle und Abschlussprüfung nach neuem Recht»; «Schweizer Aktienrecht» (4. Auflage 2009); «Die Schweizer Verwaltungsräte zwischen Hammer und Amboss» (2010); «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance» (Initiative und Vorsitz des Redaktionsteams). Schiedsrichter in internationalen Schiedsgerichten. Verwaltungsrat in Schweizer Publikumsgesellschaften, zuletzt bis 2008 bei der Nestlé S.A.; Verwaltungsrat der Manufacture des Montres Rolex S.A. bis heute. 4. Das Verständnis für die Bedeutung des Internen Kontrollsystems (mit der internen Revision) und der Compliance hat sich stark ausgebreitet: Es ist eine oft verdrängte Tatsache, dass bis zum Erscheinen des «Swiss Code of Best Practice» im April 2002 der Begriff IKS («Internes Kontrollsystem») eher nur in Fachkreisen bekannt, in der breiteren Unternehmenswelt jedoch, abgesehen von wohl organisierten Konzernen, weitgehend ein Fremdwort war. Nicht zuletzt auch dank der Corporate-Governance-Bewegung ist die Compliance ihrerseits – obwohl eigentlich im Gesetz mit den etwas umständlichen Worten «Oberaufsicht im Hinblick auf die Befolgung der Gesetze, Statuten, Reglemente und Weisungen» (OR 716a) schon lange festgehalten – heute ziemlich ausnahmslos als ein wichtiges Glied der «checks and balances» erkannt. 5. Die Verwaltungsräte sind heute eindeutig weniger gross, ausgewogener und nach sachlicheren Kriterien zusammengesetzt und arbeiten professioneller: In diesem Bereich bleibt zwar noch einiges zu tun, doch gehören die Verhältnisse, die bis in die 70er- und 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts vorgeherrscht hatten – mit 24-köpfigen Verwaltungsräten und obskuren Auswahlkriterien –, der Wirtschaftsgeschichte an. Die Verbesserung ist eindeutig; die Verwaltungsräte der Publikumsgesellschaften sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Ihre Informationsbeschaffung und die Beschlussverfahren sind professioneller. Zur besseren Qualität der Arbeit des Verwaltungsrates haben die von Beginn an im Corporate-Governance-Konzept geförderten Ausschüsse des Verwaltungsrates beigetragen (Swiss Code Ziff. 21). Vor allem das Audit Committee spielt heute eine so gewichtige Rolle, dass man sich einen Verwaltungsrat ohne einen solchen Ausschuss kaum mehr vorstellen kann. Der Vergütungsausschuss seinerseits wird jetzt für Publikumsgesellschaften durch den «Minder»-Zusatz zur Bundesverfassung sogar auf höchster Ebene für obligatorisch erklärt (Art. 95 Abs. 3 Bst. a BV). III. Misserfolge der Corporate Governance Neben den unbestreitbaren Erfolgen, die im Bereich der Corporate Governance in den letzten zehn Jahren zu verzeichnen waren, hat die Corporate Governance doch vor allem in zwei Bereichen nicht das gebracht, was man ihr zu Beginn noch zugetraut hatte: Peter Böckli, Dr. iur., Advokat Böckli Bodmer & Partner, Basel em. Professor für Steuer- und Wirtschaftsrecht der Universität Basel • die Corporate Governance versagte im Umgang mit den Spitzenvergütungen in den grössten Publikumsgesellschaften; • die Figur des «unabhängigen Verwaltungsrates» ist ein Konzept, das in der Corporate Governance eine geradezu dominante Rolle spielt; der «unabhängige Verwaltungsrat» hat jedoch keineswegs gebracht, was man sich von ihm versprochen hatte. Auf das zweite Thema wird im Rahmen dieses Beitrags nicht näher eingegangen. 1. Versagen der Corporate Governance im Umgang mit Spitzenvergütungen – trotz Teilerfolgen (nämlich mit dem Vergütungsreglement, dem Vergütungsbericht und der konsultativen Abstimmung): Eigentlich gehörte die Regelung der Vergütung, welche den Spitzenmanagern in grossen Gesellschaften zuerkannt werden soll, von Anfang an (Swiss Code Ziff. 25/26) zu den Kernbereichen der Corporate Governance. Es geht darum, durch geeignete Vorkehrungen zu verhindern, dass die «Agents» – die Manager, die von den «Principals», den Aktionären, zur Führung der Geschäfte eingesetzt worden sind – durch Ausnützung ihrer grossen faktischen Machtstellung und ihres Wissensvorsprungs zu hohe finanzielle Leistungen aus der Firmenkasse beziehen. Die ersten aufsehenerregenden Fälle von zweifelhaften oder exzessiven Vergütungspraktiken in Schweizer Publikumsgesellschaften ereigneten sich effektiv schon vor dem Inkrafttreten des «Swiss Code of Best Practice» (nämlich in den Jahren 2001 und 2002). Aber später ging es recht munter weiter. Es trifft zwar zu – und ist zweifellos ein Teilerfolg der Corporate Governance –, dass mit dem 2007 erlassenen «Anhang I zum Swiss Code» allmählich das Vergütungsreglement, der Vergütungsbericht und die konsultative Abstimmung der Aktionäre in den meisten Publikumsgesellschaften eingeführt wurden (Anhang I, Ziff. 8/9). Aber das geschah zeitlich viel zu zögerlich, inhaltlich zu wenig konsequent, und erst in allerjüngster Zeit erfüllen die Vergütungssysteme und -berichte mehrheitlich die drei Erfordernisse der Vollständigkeit, Klarheit und Nachvollziehbarkeit. Juni 2013 Disclose 23 2. Der grosse Groll des Volkes (die Erklärung mit Neidgefühlen greift zu kurz): In einem Punkt indessen hat die Corporate Governance mit ihren guten Vorsätzen versagt, wenn man das Verdikt des Schweizer Volkes vom 3. März 2013 nun einmal als schlichte Tatsache akzeptiert: Die breite Mehrheit des Volkes hat einen hoheitlichen Zwangseingriff ausgerechnet auf jenem Gebiet beschlossen, auf dem nach der Grundidee der Corporate Governance eigentlich der Verwaltungsrat (als Vertreter der Arbeitgeberinteressen) mit den Spitzenmanagern (als Arbeitnehmern) im Interesse der «Principals» hart verhandeln und nachvollziehbar bemessene, auch nach aussen vertretbare und somit sozial akzeptable Entlöhnungen aushandeln sollte. Wenn wir an die Frage herantreten, warum das geschehen konnte und das Volk – aus seiner Sicht – zur politischen Notbremse glaubte greifen zu müssen, sind zwei Vorbemerkungen nötig: • Es kann hier nicht um die Diskussion darüber gehen, ob die konkreten Vorkehrungen, die mit der «Minder»-Initiative beschlossen wurden und jetzt in Art. 95 Abs. 3 BV stehen, vernünftig und zielführend sind; das ist eine separate Frage; • hier handelt es sich darum, von der überwältigenden Tatsache Kenntnis zu nehmen, dass das Schweizer Volk offensichtlich die Entwicklung der Vergütungspraktiken in grossen Publikumsgesellschaften als Versagen der Corporate Governance empfunden hat. Das Volk hat unter zwei möglichen Massnahmen gegen diese Praktiken die eindeutig schärfere, den sogar mit drakonischen Strafandrohungen bestückten Text von Thomas Minder, mit einer Zweidrittelmehrheit und der Zustimmung aller Kantone angenommen. In diesem Akt des Protests lag nicht nur ein Missbehagen über die teils immer noch zweifelhafte Qualität von Vergütungssystemen und -berichten, sondern – auch wenn das von manchen bestritten wird – zugleich eine Verwerfung der Quantität bestimmter Vergütungen. Jahresbezüge in astronomischen Millionenzahlen (obgleich Ausnahmen und statistisch eine einsame Spitze) blieben dem Volk im Gedächtnis und haben das Ihre zum Ergebnis des 3. März beigetragen. 24 Disclose Juni 2013 Konzentrieren wir uns auf die Frage «Wie konnte es zu Managervergütungen kommen, die vom Volk auch rein quantitativ schlicht nicht akzeptiert werden?», so ist zunächst eindeutig, dass die «Neid»-Theorie das Aufbegehren des Volkes nicht hinreichend zu erklären vermag. Missgunst mag mitspielen, wie so oft, aber sie kann niemals die vollständige Erklärung für das Aufwallen des Protests bieten. Auch steht fest, dass «Minder» keine quantitativen Beschränkungen für Vergütungen enthält, sondern mit Teilverboten, organisatorischen Zwängen und Genehmigungsprozessen arbeitet. 3. Drei Erklärungsansätze Nun die Hauptfrage: Wie konnte es überhaupt zu den Entlöhnungspraktiken für Spitzenmanager kommen, die vom Volk offenbar nicht akzeptiert werden? Es gibt zwei eindeutig widerlegbare Thesen und einen hier vorgetragenen Erklärungsversuch. a) Die Transparenzthese: Eindeutig falsch, jedoch sehr weit verbreitet ist die These, es sei deshalb zu dem steilen Anstieg der Managervergütungen gekommen, weil die CorporateGovernance-Richtlinie der Schweizer Börse (seit 2003) und das Aktienrecht (seit 2007) die Offenlegung der Verwaltungsratshonorare und der Gesamtvergütung der Geschäftsleitung sowie der höchsten Einzelvergütung verlangen. In Tat und Wahrheit hat sich der steile Anstieg jedoch, angestossen durch die Entwicklung in den USA, schon zwischen 1995 und 2002 hinter vorgezogenen Vorhängen abgespielt. Übrigens ist auch die in der These implizit enthaltene Behauptung, Spitzenmanager hätten vor 2003 nicht gewusst, auf welchem Niveau die Entlöhnungspakete ihrer Kollegen in den Konkurrenzfirmen liegen, ein Ammenmärchen. Das Buschtelefon der Spitzenmanager funktionierte schon vor 2003 perfekt. b) Die These «Die Berater sind schuld»: Nicht schlüssig ist auch eine oft gehörte zweite These, der steile Anstieg der Spitzenvergütungen zwischen 1995 und 2002 (der danach, weniger steil, noch weiterging) sei den vorwiegend angelsächsischen Salärberatungsfirmen anzulasten. Zwar trugen die Interessenkonflikte und die raffinierte Auswahl von Vergleichszahlen offensichtlich dazu bei, dass die Verhandlungspartner der Spitzenmanager – nämlich die Verwaltungsräte als Arbeitgebervertreter – unter Druck gerieten. Aber warum gaben sie diesem Druck in so vielen Fällen nach? Darauf bietet auch die zweite These keine Antwort. c) Die These einer Asymmetrie am Verhandlungstisch: Diese Frage führt uns zur dritten These: Der Verwaltungsrat ist in den Salärverhandlungen mit dem obersten Management offensichtlich in einer sehr schwierigen Lage. Eigentlich sollte der Verwaltungsrat – nach der klassischen Doktrin der Corporate Governance – in dieser Verhandlung die Seite des Arbeitgebers vertreten. Er wahrt ja letztlich die Interessen der Aktionäre, die als «Principals» die Geschäfte nicht selber führen, sondern diese Aufgabe den «Agents», dem Topmanagement, anvertrauen. Genau nach dieser Doktrin geht es darum, die «Principals» davor zu schützen, dass die «Agents» ihre eigenen Geldinteressen zu stark durchsetzen. In Tat und Wahrheit hat nun aber der Verwaltungsrat grösste Schwierigkeiten, gegenüber einem als erfolgreich geltenden CEO (und einer kleinen Spitzengruppe, zusammengesetzt etwa aus Chief Financial Officer, Chief Operating Officer und Chief Risk Officer) die Arbeitgeberinteressen durchzusetzen. Dem ist nachzugehen. 4. Asymmetrische Verhandlungssituation führt zu asymmetrischen Verträgen über die Vergütungspakete für Spitzenmanager a) Die Verhandlungssituation Man geht in der juristischen Literatur von einer ganz bestimmten Anspruchshaltung des Spitzenmanagers in seiner Verhandlung mit dem Arbeitgeber aus: «Ein CEO, der sich bewährt hat, wird konsequenterweise einen Teil des geschaffenen Mehrwerts […] für sich beanspruchen.» (Jentsch/von der Crone)1 Dieser Anspruch des CEO auf «einen Teil des geschaffenen Mehrwerts» ist nun aber eigentlich nicht ganz so selbstverständlich, wie es zunächst aussieht: Als Arbeitnehmer nimmt er die zahlreichen Schutznormen des OR in Anspruch, darunter den absoluten Schutz vor der Teilhabe am Verlust. Dafür hat er Anrecht auf eine gute Entlöhnung, und als wichtigster Angestellter unbestrittenermassen auf eine sehr gute. Dadurch aber, dass er Anspruch auch auf einen Teil des unternehmerischen Mehrwerts erhebt, kombiniert er die relative Sicherheit, die rechtlichen Schutznormen und insbesondere den Schutz vor einer Teilhabe am Verlust (alles Elemente, die für ein Arbeitsverhältnis kennzeichnend sind) mit einem Element, das eben gerade typisch ist für eine echte Unternehmerstellung – mit der Teilhabe an Gewinn und Verlust. Der Manager verlangt also «nach unten» ein Arbeitsverhältnis mit Minimallohn in bar und Schutz vor Teilhabe am Verlust, «nach oben» aber eine unternehmerische Teilhabe am geschaffenen Mehrwert, und nur am Mehrwert. Dieses Begehren in der Verhandlung zielt auf ein asymmetrisches Vertragsverhältnis ab. Dies ist an sich legitim. Aufschlussreich dagegen ist, dass der Verwaltungsrat sich darauf in so weitem Mass einlässt. Gewiss gibt es im Arbeitsvertragsrecht die Möglichkeit eines ergänzenden Anteils am Geschäftsergebnis (OR 322a). Die meisten variablen Entlöhnungsbestandteile für Spitzenmanager enthalten jedoch nicht einen Anteil am Jahresgewinn des Unternehmens; vielmehr sind die variablen Bestandteile oft so bemessen, dass sowohl bei einem Jahresgewinn wie auch im Falle eines Jahresverlustes hohe variable Vergütungen ausgerichtet werden können. b) Erklärung des asymmetrischen Verhandlungsergebnisses Solche teilweise asymmetrischen Verträge und sehr weitgehende quantitative Zugeständnisse kommen zustande, weil – entgegen der Generalprämisse der ganzen Corporate Governance – die Aktionäre gar nicht so sehr auf eine Einschränkung des Quantums der Managervergütungen erpicht sind. Meist macht der entsprechende Betrag nur eine geringe Quote des unter die Aktionäre verteilbaren Gewinns aus, zu exemplifizieren in einer Grössenordnung von 0,5 % bis 5 %. 1 Valentin Jentsch/Hans Caspar von der Crone, Aktuelle Entwicklungen in der Vergütungslandschaft des Finanzplatzes Schweiz, SZW 2012, 377 ff., 398. Mit zahlreichen Hinweisen. Juni 2013 Disclose 25 Für die Aktionäre ist die reine Nachvollziehbarkeit des Quantums wichtiger als das Quantum selbst, und auch dies ist wiederum Nebensache im Vergleich zum Wertzuwachs und zum Dividendenvolumen. Wenn aber die «Principals», die Aktionäre, an einem Anliegen der Corporate Governance gar nicht sonderlich interessiert sind, geht dem ganzen CorporateGovernance-Maschinchen die Kraft aus. Auch die Verwaltungsräte selbst, die in allen konkreten Belangen die Unternehmens- und damit in erster Linie auch die Aktionärsinteressen im Auge behalten sollten, haben wenig Anlass, mit eisernem Willen gewissen Verhandlungsbegehren der Manager entgegenzutreten. Das Management verhandelt um eigenes Geld, der Verwaltungsrat jedoch um fremdes; der Verwaltungsrat zahlt, was er zugesteht, nicht selbst. Und Verwaltungsräte, die dem Management durch ihre Haltung und ihre Interventionen unangenehm auffallen, haben in ihrem Amt erfahrungsgemäss eine verkürzte Durchlaufzeit. In der Verhandlung besteht eine Asymmetrie. Die Verwaltungsräte und in erster Linie deren Vergütungsausschüsse können die ihnen ursprünglich in der Corporate Governance zugedachte Rolle – jene eines tatkräftigen Vertreters der Arbeitgeberseite – wegen eines relativ schwachen Interesses des Aktionariats und überhaupt wegen ihrer Stellung in der Verhandlung nicht richtig erfüllen. Sie lassen sich auf asymmetrische Verhandlungsergebnisse ein und tragen damit, obwohl sie das abstreiten, in politischer Hinsicht zum Groll des Volkes und zu staatlichen Zwangseingriffen bei. Es bleibt abzuwarten, ob die jährliche verbindliche Abstimmung des Aktionariats über die gesamten Geschäftsleitungsvergütungen (wie im «Minder»-Zusatz zur Bundesverfassung vorgesehen) die Stellung der Verwaltungsräte auf der Arbeitgeberseite zu stärken vermag. Wäre dem so, so würde eine nach Jahren der Praxis immer offensichtlichere Schwachstelle der Corporate Governance durch eine direkte Staatsintervention behoben. IV. Schlusswort Dieser Kurzbeitrag konnte nur Schlaglichter auf das breite Thema werfen: Corporate Governance ist in vielen Bereichen eine Erfolgsgeschichte, die Beispiele haben es gezeigt. Aber es gibt bei den Spitzenvergütungen einen grossen schwarzen Tintenklecks. Die Corporate Governance hat im Umgang mit Spitzenvergütungen bei den grössten Publikumsgesellschaften – trotz Teilerfolgen im Bereich der Vergütungsreglemente und -berichte sowie der Konsultativabstimmungen – in entscheidenden Punkten versagt. Denn für das Aktionariat, die «Principals», ist das reine Quantum der Gesamtvergütung offensichtlich nicht die Hauptsache, und der Verwaltungsrat hat keine starken eigenen Anreize, über die Vertretung der in diesem Punkt schwachen Aktionärsinteressen hinaus den gestrengen Arbeitgeber zu spielen. 26 Disclose Juni 2013 6 Themen, 24 Fragen – eine Checkliste zur Corporate Governance I. Grundsätzliches m Nach welchen Grundsätzen ist die Corporate Governance in Ihrem Unternehmen gestaltet? Werden diese Grundsätze intern und extern kommuniziert? Wie stellen Sie sicher, dass die Corporate-Governance-Bestimmungen in der Praxis auch eingehalten werden? m Reichen die Checks & Balances im Verhältnis der Unternehmensorgane aus? m Orientiert sich Ihr Unternehmen an einem nationalen oder internationalen Kodex zur Corporate Governance? Falls nicht, aus welchen Gründen? Werden einzelne Abweichungen gegenüber dem Kodex hinreichend erklärt? m Welche Anspruchsgruppen (Stakeholder) sind in Ihrem Corporate-Governance-Konzept berücksichtigt? II. Verwaltungsrat m Ist der Verwaltungsrat so zusammengesetzt, dass er alle für Ihr Unternehmen wichtigen fachlichen und persönlichen Kompetenzen auf sich vereinigt? m Nach welchen Kriterien wählt Ihr Unternehmen die Kandidaten für den Verwaltungsrat aus? m Wie gross ist der Anteil der «unabhängigen» Verwaltungsratsmitglieder? (Unabhängigkeit etwa gemäss der Definition des «Swiss Code of Best Practice») m Werden die Leistungen des Verwaltungsrats als Ganzen und seiner einzelnen Mitglieder regelmässig gemessen und beurteilt? III. Verwaltungsratsausschüsse m Welche Ausschüsse des Verwaltungsrats bestehen? Welche Aufgabenbereiche decken sie ab? Ist die Organisation der Ausschüsse konkret umschrieben und festgelegt (Charter)? m Ist das Audit Committee ein Prüfungsausschuss im klassischen Sinne, oder erstreckt sich seine Tätigkeit auf weitere Gebiete (wie das Risikomanagement oder die Compliance)? m Wie sind die Ausschüsse hinsichtlich fachlicher Qualifikation, Persönlichkeit, Unabhängigkeit und Internationalität zusammengesetzt? m Wird die Zusammensetzung regelmässig mit Blick auf Veränderungen der Strategie und der Rahmenbedingungen überprüft? Juni 2013 Disclose 27 IV. Kommunikation m Wie gestaltet sich die Kommunikation zwischen Verwaltungsrat und Aktionariat? Werden die Anträge des Verwaltungsrats in der Einladung zur Generalversammlung ausreichend begründet? Findet im Vorfeld der Generalversammlung ein Austausch mit wichtigen Aktionären statt? m Wie verlaufen die Informationskanäle zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung? Über welche Angelegenheiten muss die Geschäftsleitung den Verwaltungsrat in Kenntnis setzen? Welche Gewähr gibt es, dass der Verwaltungsrat auch ausserhalb der institutionalisierten Kanäle über wichtige Entscheidungen und Ereignisse informiert wird? m Wie läuft die Kommunikation zwischen dem Gesamtverwaltungsrat und seinen Ausschüssen ab? m Gibt es einen Informationsaustausch zwischen den einzelnen Ausschüssen? Wie stimmen sich beispielswiese das Audit und das Compensation Committee bei der Formulierung des Vergütungsberichts ab? V. Externe und interne Revision m Wer sind auf oberster Führungsebene die Hauptansprechpartner für die externe Revisionsstelle? m Wie stark stützen sich der Verwaltungsrat und das Audit Committee auf die Erkenntnisse und Prüfungsergebnisse der externen Revision? m Wie ist die interne Revision organisatorisch eingegliedert? Untersteht sie dem Verwaltungsrat, dessen Präsidenten oder dem Audit Committee? m Wie wird die Arbeit von externer und interner Revision aufeinander abgestimmt? VI. Offenlegung m Veröffentlicht Ihr Unternehmen einen aussagekräftigen Corporate-Governance-Bericht? m Orientiert sich die Offenlegung an dem Grundsatz «comply or explain», das heisst, wird die Nichteinhaltung von Transparenzvorschriften etwa der SIX-Richtlinie überzeugend erklärt? m Enthält der Corporate-Governance-Bericht auch Informationen über die Zusammenarbeit mit den einzelnen Anspruchsgruppen (Mitarbeiter, Lieferanten, Behörden usw.)? m Thematisiert der Bericht die grundlegenden Prinzipen der Corporate Governance und ethische Standards? 28 Disclose Juni 2013 Update Inhalt Wird der Wirtschaftsprüfer zum Whistleblower? von Roger Kunz 30 Ergänzende Fachempfehlung für kotierte Unternehmen von Dr. Daniel Suter 34 Schweizer Prüfungsstandards auf internationalem Niveau von Stefan Haag 38 Das Rahmenwerk zum Integrated Reporting erlaubt Flexibilität von Rolf Johner 40 Juni 2013 Disclose 29 Wird der Wirtschaftsprüfer zum Whistleblower? Der internationale Ethikrat für Wirtschaftsprüfer hat einen Entwurf zur Erweiterung seiner Standards vorgelegt. Danach sollen Wirtschaftsprüfer die zuständigen Behörden informieren, wenn sie einen erhärteten Verdacht auf illegale Tätigkeiten haben, die Unternehmensleitung und der Verwaltungsrat aber nichts unternehmen. Der Entwurf verfolgt ein achtbares Ziel, ist aber problematisch; denn er durchbricht das fundamentale Prinzip der Vertraulichkeit. Im vergangenen August publizierte das International Ethics Standards Board for Accountants (IESBA) den Entwurf «Re sponding to a suspected illegal act». Dieser erweitert den «Code of Ethics for Professional Accountants» um eine Regelung, wie bei Verdacht auf Bestehen von illegalen Handlungen vorgegangen werden muss. Diese legt fest, wann die Revisoren das Recht oder vielmehr die Pflicht haben, das fundamentale Prinzip der Vertraulichkeit zu durchbrechen und einen Verdacht auf illegale Handlungen in dem von ihnen geprüften Unternehmen der zuständigen Behörde zu melden. Der Entwurf zielt darauf ab, über klare Richtlinien eine konsistente Behandlung von Fällen mit «suspected illegal acts» zu erreichen. Des Weiteren soll definiert werden, wann das fundamentale Prinzip der Vertraulichkeit verletzt werden soll. Gründe für die Erweiterung des Ethikkodex Anlass zur angestrebten Änderung des Ethikkodex gab die – aus Sicht des IESBA – nicht genügend geregelte 30 Disclose Juni 2013 Vorgehensweise für die Fälle, in denen ein Verdacht auf Betrug innerhalb eines Unternehmens vorliegt. Die IESBA kritisiert zudem die Tatsache, dass die professionelle Pflicht des Revisors, Kundeninformationen vertraulich zu behandeln, es verhindert, einen identifizierten «suspected illegal act» einer Behörde ausserhalb des Unternehmens zu melden. Hinzu kommt, dass auch in der Öffentlichkeit der Ruf nach einer stärker geregelten Marktwirtschaft immer lauter ertönt und die Ethik stärker in den Fokus des gesellschaftlichen Interesses rückt. Geltende Regelung: Verantwortung beim Unternehmen Die derzeit gültigen international anerkannten Grundsätze zur Abschlussprüfung (International Standards on Auditing, ISA) umfassen bedeutend weniger weitgehende Vorschriften. Aktuell ist der Revisor verpflichtet, Prüfungshandlungen mit einer professionellen Skepsis durchzuführen. Das Risiko, dass der Jahresabschluss wesentliche falsche Angaben (seien diese absichtlicher oder unabsichtlicher Natur) enthält, soll auf ein vernünftiges Minimum reduziert werden (ISA 240). Zudem wird verlangt, dass Gesetze und andere Rechtsvorschriften, die einen Einfluss auf den Jahresabschluss haben können, bei der Prüfung beachtet werden (ISA 250). Liegt ein Verdacht auf einen Verstoss gegen Gesetze oder Regulierungen vor, ist die Geschäftsleitung zu informieren (oder der Verwaltungsrat bei Verdacht auf Betrug innerhalb der Wer ist das IESBA? Das International Ethics Standards Board for Accountants, kurz IESBA, ist eine unabhängige Organisation, die unter dem Patronat der International Federation of Accountants (IFAC) und des Public Interest Oversight Board (PIOB) steht. Die Organisation setzt sich aus 18 unabhängigen Mitgliedern (natürlichen Personen) zusammen; sie erarbeitet und erlässt Standards rund um das Thema Ethik. Mitglieder der Treuhand-Kammer unterstehen automatisch den Regeln des IESBA. Was ist ein «illegal act»? Illegales Handeln wird definiert als absichtliches (= Fraud) oder unabsichtliches (= Error) Unterlassen oder Ausführen von Handlungen, die gegen die in einem Staat geltenden Gesetze oder Regulierungen verstossen und die von einem Angestellten des Unternehmens, vom Management oder von einer anderen mit der Führung beauftragten Person begangen werden. Roger Kunz Partner, Wirtschaftsprüfung [email protected] Geschäftsleitung). Die Verantwortung für Handlungen, die aus dem Verdacht resultieren, tragen somit die Gremien des Unternehmens. Betrachtet der Wirtschaftsprüfer die Massnahmen des Unternehmens als inadäquat, stehen ihm – unter Abwägung der vorherrschenden Umstände und Fakten – folgende Handlungsmöglichkeiten offen: Information der Generalversammlung, Einschränkung oder gar Verweigerung der Attestierung des Abschlussberichtes sowie die Möglichkeit, das Mandat niederzulegen und als Revisionsstelle zurückzutreten. Es bleibt festzuhalten: Heute liegt die Verantwortung für jede Art der externen Kommunikation über Verdachtsmomente bei der Geschäftsleitung und dem Verwaltungsrat. Nur in wenigen, klar definierten Ausnahmefällen hat der Revisor die zuständige Behörde über vermeintlich illegale Handlungen in Kenntnis zu setzen. So verpflichten die Artikel 27 und 29 des Finanzmarktaufsichtsgesetzes sowie das FINMA-Rundschreiben 08/1 2008 (bewilligungs- und meldepflichtige Tatbestände bei Börsen, Banken, Effektenhändlern und Prüfgesellschaften) die Revisionsstelle zu einer Meldung an die FINMA. Ansonsten ist der Prüfer an die Vertraulichkeit gegenüber dem zu prüfenden Unternehmen gebunden. Kernpunkt des Entwurfs: Meldepflicht für Revisoren Der Entwurf des IESBA sieht vor, dass ein «Professional Accountant» (nachfolgend auch «Berufsangehöriger» genannt) unter gewissen Umständen dazu verpflichtet ist, sich über die Vertraulichkeitserklärung hinwegzusetzen und einen «suspected illegal act» der zuständigen Behörde zu melden. Eine solche Mitteilung steht als letzte Massnahme am Ende einer Reihe vorhergehender Schritte. Wer ist ein «Professional Accountant»? Die Definition eines «Professional Accountant» im Sinne des Proposals geht sehr weit. Wenn der Mitarbeiter oder dessen Arbeitgeber einer anerkannten Berufsorganisation angehört, gilt die Person als «Professional Accountant». In der Schweiz wären das alle Mitglieder der Treuhand-Kammer (direkt als Einzelmitglied oder indirekt als Arbeitnehmer einer Mitgliedsfirma). Somit können also auch Mitarbeiter und Berater in den Bereichen Risikomanagement, IT, Projektmanagement oder Treasury, aber auch Bewertungsspezialisten oder strategische Berater unter die Definition fallen. Besteht Grund zur Annahme, dass in einem Unternehmen illegale Handlungen vorgenommen wurden, dann müssen alle entsprechenden Massnahmen in die Wege geleitet werden, um diesen Tatverdacht entweder zu bestätigen oder zu beseitigen. Dieser Schritt beinhaltet (unter anderem) zwingend die Diskussion der Sachlage mit der dafür zuständigen Führungsperson. Weigert sich diese, sich der Sache anzunehmen, oder sind die ergriffenen Massnahmen dem Sachverhalt nicht angemessen, muss in einem zweiten Schritt die nächsthöhere Führungsstufe und – falls notwendig – der Verwaltungsrat involviert werden. Um beurteilen zu können, ob die Stellungnahme und die lancierten Massnahmen des Managements adäquat sind, muss der Revisor sowohl über ein professionelles Urteilsvermögen als auch über das entsprechende Fachwissen verfügen. Der nächste Schritt, die Meldung an die zuständige Behörde, ist an zwei Voraussetzungen gekoppelt: Der Verwaltungsrat hat es versäumt, innerhalb einer angemessenen Frist eine adäquate Lösung beziehungsweise eine Stellungnahme zum identifizierten «suspected illegal act» zu präsentieren, und die Feststellung ist von derart signifikanter Bedeutung, dass ihre Offenlegung im öffentlichen Interesse liegt. Sind diese beiden Bedingungen erfüllt, sieht der Entwurf folgende Konsequenzen vor: • Ein externer Revisor ist dazu verpflichtet, die Vertraulichkeitserklärung zu verletzen und seinen Tatverdacht der zuständigen Behörde vorzulegen. • Interne Revisoren sowie Berufsangehörige, die für ein Unternehmen andere Tätigkeiten als Prüfungshandlungen ausführen, sind dazu angehalten, den Sachverhalt dem externen Revisor zu melden, und haben unter gewissen Umständen das Recht, ihren Tatverdacht direkt der Behörde mitzuteilen. Konsequenzen für das betroffene Unternehmen Externe und interne Revisoren sowie auswärtige oder intern angestellte Berufsangehörige wären dazu angehalten, jeden Tatverdacht auf illegale Handlungen, die in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen, zu untersuchen und den verantwortlichen externen Revisor oder die zuständige Behörde darüber zu informieren, falls sie die Offenlegungen der illegalen Aktivität als eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse betrachten und sich das Unternehmen der Sache nicht annimmt. Aus dieser Vorschrift resultieren zwei massgebliche Risiken: Juni 2013 Disclose 31 Erstens besteht die Gefahr, dass ungenügend fundierte Anschuldigungen an eine Behörde gemeldet werden, die sich im Nachhinein als fälschlicherweise erhobene Beschuldigungen herausstellen. Dem Unternehmen entstünde ein Reputationsschaden, vor allem, wenn die vertraulichen Informationen an die Öffentlichkeit durchsickern sollten. Die Kosten zur Behebung eines solchen Reputationsschadens können immens sein, und die Wiederherstellung der einstigen Corporate Integrity kann Jahre dauern. Zweitens sind die Kosten für detaillierte Abklärungen und administrative Arbeiten, die notwendigerweise anfallen, wenn man jedem Verdacht auf illegale Handlung – unabhängig von dessen Wesentlichkeit – nachgehen würde, nicht zu unterschätzen. Hier stellt sich die Frage, ob ein Unternehmen bereit ist, diese Kosten zu tragen; denn wird der Vorwurf nicht erhärtet, entsteht kein Mehrwert für das Unternehmen, auch nicht aus moralischer Sicht. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Qualität der Kommunikation. Nicht nur der Dialog zwischen dem Unternehmen und dem Prüfer, sondern auch die Kommunikation des Revisors mit anderen Berufsangehörigen und allenfalls sogar mit den eigenen Mitarbeitern dürfte schwieriger werden. Die potenzielle Mitteilungspflicht nach aussen hängt wie ein Damoklesschwert über der internen Kommunikation. Unternehmen müssten sich aber auch überlegen, ob sie Berater oder Mitarbeiter engagieren, die in die Kategorie der «Professional Accountants» fallen, oder ob sie lieber mit Personen zusammenarbeiten, welche die Regeln des IESBA nicht anwenden müssen, dafür aber möglicherweise weniger qualifiziert sind. Folgen für die Revisoren und andere Berufsangehörige Das geprüfte Unternehmen verlässt sich auf die Verschwiegenheit des Revisors, die diesem aufgrund der Regeln des Berufsstandes, aber auch von Gesetzes wegen auferlegt ist. Dieses gegenseitige Vertrauen bildet die Grundlage der Beziehung zwischen dem Unternehmen und dem Revisor. Mit der neuen Regelung ist dieses Vertrauensverhältnis jedoch nicht mehr garantiert, was zur Folge hätte, dass der Informationsaustausch zwischen den beiden Parteien beeinträchtigt würde. Ein versickernder Informationsfluss aber bedroht unmittelbar die Effektivität und Effizienz des Revisionsprozesses. Ein weiteres Problem käme hinzu: Mit der neu eingeführten Meldepflicht für Berufsangehörige, die keine Revisionsleistungen erbringen, würde der externe Revisor zur Anlaufstelle für Berichte über potenzielle illegale Handlungen. Somit würde er automatisch ein Teil des unternehmensinternen WhistleblowerSystems, was wiederum impliziert, dass seine Unabhängigkeit gegenüber dem Unternehmen infrage gestellt werden müsste. Vorgehensweise, wenn Grund zur Annahme eines «suspected illegal act» besteht Schritt 4 Abwägen, ob Sachverhalt von «öffentlichem Interesse» ist Schritt 1 Massnahmen ergreifen, um den Verdacht zu bestätigen oder zu widerlegen Schritt 2 Management der entsprechenden Stufe in Kenntnis setzen Verdacht auf illegale Handlungen kann nicht widerlegt werden Schritt 3 Management auf höherer Stufe bis hin zu den FührungsEs erfolgt immer verantwortlichen noch keine Resonanz oder die informieren Management dieser Stufe bezieht nicht Stellung und ergreift keine Massnahmen Massnahmen sind unzureichend Externer Revisor Ô Benachrichtigung der zuständigen Behörde über den Verdacht wenn ja Berufsangehörige ohne Prüfungsfunktion Ô Information des externen Revisors (Pflicht) Ô Bericht an die zuständige Behörde (Recht) weitere Konsequenzen (wie bisher): •Information der Generalversammlung •Einschränkung oder Verweigerung der Attestierung des Abschlussberichtes •Rücktritt als Revisionsstelle Die Schritte 1 bis 3 sieht auch der Internationale Prüfungsstandard ISA 260 vor, jedoch nur für erhärtete Verdachtsfälle und nur für Revisoren, welche die Abschlussprüfung durchführen. 32 Disclose Juni 2013 Gegenseitiges Vertrauen bildet die Grundlage der Beziehung zwischen dem Unternehmen und dem Revisor. Mit der neuen Regelung ist dieses Vertrauensverhältnis jedoch nicht mehr garantiert. Revisoren, Berater und Mitarbeiter, die als «Professional Accountants» gelten, werden zum verlängerten Arm der Aufsichtsbehörden. Die Forderungen dieses Vorschlags stehen im klaren Widerspruch zu den Schweizer Gesetzen (Art. 728c und 730b Obligationenrecht; Art. 321 Strafgesetzbuch). Obwohl der Entwurf darauf abzielt, die Vorgehensweise bei der Behandlung von «suspected illegal acts» konsistenter zu gestalten, lassen einige vage verfasste Formulierungen einen zu grossen Interpretationsspielraum offen und werfen neue Fragen auf, die für Verwirrung sorgen könnten. Hierunter fällt beispielsweise die Formulierung «im öffentlichen Interesse». Eine Definition, wann konkret ein Sachverhalt von öffentlichem Interesse ist und der zuständigen Behörde gemeldet werden muss, ist nicht vorhanden und liegt folglich im Ermessen des Revisors. Das Risiko der Willkür ist beträchtlich. Zudem erweitert sich die Erwartungslücke, also die Kluft zwischen den Erwartungen der Öffentlichkeit an den Prüfer und dessen tatsächlichem Leistungsauftrag. Ebenfalls nicht klar geregelt ist, ab welchem Punkt «vernünftige Schritte» eingeleitet werden müssen, um einen Verdacht zu erhärten oder auszuräumen; ebenso fehlt ein Wegweiser dafür, was unter «genügende Beweise» zu verstehen ist. Diese unklaren Formulierungen könnten zu einer individuellen Auslegung des Ethikkodex führen. Je nach den Motiven der einzelnen Berufsangehörigen und deren Auffassung von Ethik könnten die Verdachtsfälle unterschiedlich gehandhabt werden. Das definierte Ziel, ein hohes Mass an Einheitlichkeit zu erreichen, ist im vorliegenden Falle nicht erreicht. Vielmehr könnte der Entwurf zu Misstrauen und Unsicherheit führen. Alternative Vorschläge Bis Mitte Dezember vergangenen Jahres hatten interessierte Organisationen die Möglichkeit, dem IESBA ihre Meinung und Verbesserungsvorschläge zu diesem Proposal mitzuteilen. Über 70 Berufsorganisationen, Verbände und Organisationen, darunter auch PwC, haben die Chance zur Kommentierung des Entwurfs genutzt und mehrheitlich Bedenken geäussert. Ein aufdatierter Entwurf wird in der zweiten Hälfte dieses Jahres erwartet. Der erweiterte Ethikkodex dürfte somit voraussichtlich Ende 2014 in Kraft treten. PwC unterstützt alle Bestrebungen, ein ethisch verankertes Berufsbild des Wirtschaftsprüfers am Kapitalmarkt und in der Öffentlichkeit zu etablieren. Die Pflichten und Verantwortlichkeiten der Revisoren im sich stetig wandelnden globalen Marktumfeld führen zu veränderten Ansprüchen an die Berufsethik. Dies wiederum bleibt nicht ohne Folgen für die Erwartungen an die Prüfungshandlungen. In diesen Anpassungsprozess sollten aber auch Banken, Anwälte und andere relevante Berufsgruppen integriert werden. Bei der Ausarbeitung des vorliegenden Entwurfes wurde übersehen, dass die verschärfte Meldepflicht gegenüber den Behörden das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kunden und dem Wirtschaftsprüfer zu einem grossen Teil zerstören würde. Des Weiteren wären Revisoren stärker in der Öffentlichkeit exponiert und bräuchten – insbesondere wenn der Verdacht auf Fraud sich im Nachhinein als unbegründet herausstellt – einen Whistleblower-Schutz, den ihnen das IESBA jedoch nicht gewährt. Künftig wären Wirtschaftsprüfer, die für ihre Kunden nur Beratungs- oder andere Serviceleistungen erbringen und keine Revision durchführen, ebenfalls dazu verpflichtet, bei Verdacht auf illegale Handlungen entsprechende Massnahmen zu ergreifen. PwC ist der Überzeugung, dass der vorliegende Entwurf zur Anpassung des «Code of Ethics for Professional Accountants» nicht praktikabel ist. Er hätte für den Revisor, das geprüfte Unternehmen und für das gesamte Marktumfeld nicht beabsichtigte negative Folgen, womit das achtbare Ziel, illegalen Handlungen vorzubeugen, nicht vorangetrieben, sondern vielmehr behindert würde. Dies gilt auch, weil viele Begriffe nicht klar definiert sind und keine einheitliche Auslegung möglich ist. PwC schlägt einen anderen Weg vor: Revisoren, aber auch alle anderen Kapitalmarktteilnehmer (Anwälte, Bankmitarbeiter usw.) sollten verpflichtet sein, die Geschäftsleitung und allenfalls den Verwaltungsrat über Anzeichen von illegalen Handlungen, die sie innerhalb ihres Fachgebiets entdecken, zu informieren. Ferner schlägt PwC vor, den «Code of Ethics for Professional Accountants» um einige Prinzipien zu ergänzen, etwa: Ein Berufsangehöriger darf einen Kunden nicht bei illegalen Handlungen unterstützen; ein Berufsangehöriger darf die Augen nicht vor illegalen Handlungen verschliessen; ein Berufsangehöriger muss beurteilen, was wem innerhalb des Unternehmens berichtet werden soll. Juni 2013 Disclose 33 Ergänzende Fachempfehlung für kotierte Unternehmen Die Fachkommission für Empfehlungen zur Rechnungslegung (Fachkommission) setzt Swiss GAAP FER 31 «Ergänzende Fachempfehlung für kotierte Unternehmen» zum 1. Januar 2015 in Kraft. Die neue FER beinhaltet vorwiegend zusätzliche Offenlegungen – auch zur mit Spannung erwarteten Segmentberichterstattung. Basierend auf den in der Vernehmlassung kommunizierten Anliegen hat die Fachkommission den im September 2012 veröffentlichten Entwurf angepasst und ist zuversichtlich, damit eine angemessene Lösung gefunden zu haben. Die Swiss GAAP FER richten sich primär an kleinere und mittelgrosse Unternehmen (KMU) mit nationaler Ausstrahlung. Durch die zunehmende Anzahl an Unternehmen, die in jüngerer Zeit einen Wechsel von den International Financial Reporting Standards (IFRS) zu den Swiss GAAP FER vollzogen haben, erhielt der Schweizer Rechnungslegungsstandard eine erhöhte Aufmerksamkeit am Kapitalmarkt. Es ist das Ziel der Fachkommission, die Swiss GAAP FER als anerkannten Standard für kotierte Unternehmen im «Domestic Standard» und im «Standard für Immobiliengesellschaften» langfristig zu festigen und dabei der Tendenz zu sehr detaillierten Rechnungslegungsvorschriften bewusst nicht zu folgen. Die Vernehmlassung von 34 Unternehmen und Personen hat bei vielen Themenbereichen eine hohe Übereinstimmung mit den Überlegungen der Fachkommission ergeben. Dr. Daniel Suter Partner, Wirtschaftsprüfung [email protected] Tabelle 1: Bereiche der «Ergänzenden Fachempfehlung für kotierte Unternehmen» und Übersicht über die Reaktionen aus der Vernehmlassung Neu zu regelnde Bereiche Reaktion gemäss Vernehmlassung Definition kotierte Unternehmen Übereinstimmung Erstanwendung Übereinstimmung Aktienbezogene Vergütung Übereinstimmung Aufzugebende Geschäftsbereiche Teilweise Überein stimmung Ergebnis je Beteiligungsrecht Übereinstimmung Ertragssteuern Teilweise Überein stimmung Vermögenswerte und Verbindlich Teilweise Überein keiten finanzieller Art stimmung Segmentberichterstattung Sehr kontroverse Meinungen Zwischenberichterstattung Übereinstimmung Die Fachkommission hat die Ergebnisse der Vernehmlassung analysiert, den Entwurf entsprechend angepasst und die revidierte Fassung zum 1. Januar 2015 in Kraft gesetzt. 34 Disclose Juni 2013 Erweitertes Konzept der Swiss GAAP FER Das Konzept der Swiss GAAP FER begründet sich im modularen Aufbau. Kleine Organisationen wenden sowohl das Rahmenkonzept wie auch die Kern-FER an. Grössere Organisationen haben neben den Kern-FER weitere Standards zu erfüllen. Die Fachkommission definiert grössere Organisationen als solche, die zwei der drei Schwellenwerte (Bilanzsumme von CHF 10 Mio., Umsatzerlöse von CHF 20 Mio. und 50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt) in zwei aufeinanderfolgenden Jahren überschreiten. Falls eine Organisation andere Organisationen beherrscht, ist auch eine Konzernrechnung nach Swiss GAAP FER 30 zu erstellen (kleine Organisationen können eine Konzernrechnung gemäss den Kern-FER erstellen). Neu werden zusätzliche Anforderungen an die Jahresoder Konzernrechnung kotierter Unternehmen gestellt und das Konzept der Swiss GAAP FER erweitert (vgl. Abb. Seite 35). Im Zentrum des neuen Standards stehen wichtige Fragen der Offenlegung, die für kotierte Unternehmen wesentlich sind und das Verständnis der externen Empfänger verbessern sollen. Die Regelungen der ergänzenden Fachempfehlung orientieren sich nach wie vor an der «True and Fair View», sind prinzipienorientiert und damit in keiner Art und Weise detailbezogen. FER 31 ist von kotierten Unternehmen zusammen mit allen anderen relevanten Swiss GAAP FER anzuwenden, geht aber dem Rahmenkonzept und den übrigen Fachempfehlungen vor. Kotierte Unternehmen werden sich gemäss der Einleitung der neuen FER nicht auf die Anwendung der Kern-FER beschränken können. Erweiterter modularer Aufbau der Swiss GAAP FER «True and Fair View» Rahmenkonzept + KernFER + Weitere Standards mit spezifischen Themen + FER 30 zur Konzernrechnung + FER 31 für kotierte Unternehmen Kleine Organisationen Mittelgrosse und grosse Organisationen Organisationen, die eine Konzernrechnung erstellen Im «Domestic Standard» oder im «Standard für Immobiliengesellschaften» kotierte Unternehmen Die neuen Bestimmungen 1 Kotierte Unternehmen Swiss GAAP FER definiert kotierte Unternehmen als Organisationen, deren Beteiligungsrechte und/oder Forderungsrechte kotiert sind oder die im Begriff sind, eine Kotierung vorzunehmen. 2 Erstanwendung Gemäss dem Rahmenkonzept müssen KMU bei der Umstellung lediglich die Vorjahresbilanz in Übereinstimmung mit den Swiss GAAP FER offenlegen. Im Gegensatz dazu sollen kotierte Unternehmen die gesamte Jahresrechnung mit Vorjahresangaben (beispielsweise für das Jahr 2012 und das Jahr 2011) präsentieren. 3 Aktienbezogene Vergütungen Bei dieser Vergütungsart werden (leitende) Mitarbeiter mit Aktien entschädigt. Dafür muss das Unternehmen eigene Aktien beschaffen (oder neu herausgeben), die anschliessend gratis oder verbilligt abgegeben werden. Die buchhalterische Behandlung erworbener eigener Aktien ist von der Swiss GAAP FER 24 «Eigenkapital und Transaktionen mit Aktionären» vorgegeben. Die Abgabe dieser eigenen Aktien stellt gemäss Swiss GAAP FER 31 einen Aufwand dar, der bei der Zuteilung zum Tageswert zu bewerten ist. Dieser Aufwand soll über jenen Zeitraum als Personalaufwand erfasst werden, während dessen sich die berechtigten Mitarbeiter die Vergütung «erdienen» (häufig hängt der Erhalt dieser Vergütung von der Zugehörigkeitsdauer eines Mitarbeiters zur Organisation ab). Ein Beispiel veranschaulicht die Berechnung: Der Aktienbonusplan sieht 2’000 Aktien für den CEO und je 1’500 Aktien für die weiteren vier Mitglieder der Konzernleitung zur unentgeltlichen Abgabe vor, falls die gesetzten Ziele für das Jahresergebnis erreicht werden. Zum Zuteilungszeitpunkt beträgt der Wert der Aktien CHF 15.–, und der Plan basiert auf einem «Erdienungszeitraum» von drei Jahren. Aufgrund der Erfahrung vergangener Jahre nimmt das Unternehmen an, dass ein Mitglied der Konzernleitung vor Ablauf dieser Frist kündigt und deshalb die zugesagten Aktien nicht erhalten wird. Tabelle 2: Bestimmung der Anzahl an Aktien gemäss Aktienbonusplan und des Bonuswertes Aktienbonusplan Anzahl CHF Aktien für den CEO 2’000 30’000 Aktien für drei Mitglieder der 4’500 67’500 Konzernleitung Wert bei der Zuteilung 6’500 97’500 Der Aufwand wird direkt über das Eigenkapital verbucht. Die abzugebenden Aktien wurden zum Preis von CHF 96’000.– erworben. Tabelle 3: Erfassung des Aktienbonusplans über die drei «Erdienungsjahre» und beim Bezug im Jahr 20x3 Jahr Soll Haben CHF 20x1 Personalaufwand Eigenkapital 32’500 (Aktienplan) 20x2 Personalaufwand Eigenkapital 32’500 (Aktienplan) 20x3 Personalaufwand Eigenkapital 32’500 (Aktienplan) 20x3 Eigenkapital Eigene Aktien 97’500 (Aktienplan) 20x3 Eigene Aktien Kapitalreserve 1’500 Die Differenz zwischen dem Erwerbspreis eigener Aktien und dem Abgabewert an die Konzernleitung von CHF 1’500.– wird der Kapitalreserve zugeordnet. Juni 2013 Disclose 35 Falls die Schätzung nicht zutrifft und das fünfte Mitglied der Konzernleitung den «Erdienungszeitraum» ebenfalls erfüllt, muss im dritten Jahr ein zusätzlicher Aufwand von CHF 22’500.– (1’500 Aktien zu CHF 15.– bzw. zum aktuellen Wert der Aktie) erfasst werden. Allenfalls kann die Entschädigung auch in bar erfolgen. In diesem Fall orientiert sich der Wert der Entschädigung am Wert der Aktien des Unternehmens. Die geschuldete Entschädigung wird als regelmässig neu zu bewertende Verbindlichkeit erfasst. Falls ein Unternehmen plant, nur Barentschädigungen auszuzahlen, handelt es sich um einen «normalen» Bonus, der nicht als aktienbezogene Vergütung zu verstehen ist. 4 Aufzugebende Geschäftsbereiche Sofern eine Organisation einen Geschäftsbereich aufgibt und diese Entscheidung veröffentlicht hat, muss sie den Nettoerlös aus Lieferung und Leistung und das Betriebsergebnis dieses Geschäftsbereichs separat offenlegen. Es besteht das Ziel, den Adressaten über den Umfang des künftigen Geschäfts zu informieren. 5 Ergebnis je Beteiligungsrecht Eine wichtige Kennzahl kotierter Unternehmen ist das Ergebnis je Beteiligungsrecht. Ein Vergleich dieser Grösse zwischen einzelnen Unternehmen ist aussagekräftiger als eine Gegenüberstellung des Konzernergebnisses in absoluten Zahlen. Das Ergebnis je Beteiligungsrecht ist unverwässert und verwässert auszuweisen. Beim unverwässerten Ausweis wird das Konzernergebnis durch die durchschnittliche Anzahl der ausstehenden Beteiligungsrechte (Gesamtzahl der Beteiligungsrechte abzüglich der vom Unternehmen selbst gehaltenen Beteiligungsrechte) dividiert. Für die Ermittlung des verwässerten Ergebnisses je Beteiligungsrecht müssen die Effekte beispielsweise von ausgegebenen Optionen oder von Wandelanleihen berücksichtigt werden. Dabei werden möglicherweise sowohl das ausgewiesene Konzernergebnis wie auch die Zahl der Beteiligungsrechte beeinflusst. Swiss GAAP FER verlangt von den kotierten Unternehmen die Offenlegung, wie diese Kennzahlen berechnet werden, ohne selbst dafür eine Vorschrift zu erlassen. 6 Ertragssteuern Für die Berechnung der laufenden und der latenten Ertragssteuern für jeden Einzelabschluss ist Swiss GAAP FER 11 «Ertragssteuern» massgebend. Gemäss Swiss GAAP FER 31 ist der auf der Basis des ordentlichen Ergebnisses gewichtete durchschnittlich anzuwendende Steuersatz offenzulegen. Das ordentliche Ergebnis ist ein Zwischentotal gemäss Swiss GAAP FER 3 «Darstellung und Gliederung». Es geht also um den Steuersatz, der aufgrund des ordentlichen Ergebnisses anzuwenden ist, bzw. um den Steuerbetrag, der aufgrund des ordentlichen Ergebnisses zu bezahlen ist. 36 Disclose Juni 2013 Tabelle 4: ordentliches Ergebnis gemäss Swiss GAAP FER 3 Betriebliches Ergebnis +/– Finanzergebnis = ordentliches Ergebnis +/– ausserordentliches Ergebnis +/– betriebsfremdes Ergebnis = Gewinn/Verlust vor Ertragssteuern Ertragssteuern = Gewinn/Verlust Andererseits sollen Abweichungen zum offengelegten Steuersatz gezeigt werden. Dabei geht es der Fachkommission vor allem darum, dass die Auswirkungen von Veränderungen aus Verlustvorträgen ersichtlich werden. Die Ertragssteuern im Verhältnis zum Gewinn vor Steuern werden in aller Regel vom offengelegten Steuersatz abweichen. Dabei dürften in erster Linie steuerliche Verlustvorträge eine Rolle spielen. Folgende Fälle sind denkbar: • Verluste des Berichtsjahrs, deren mögliche Steuerfolgen nicht erfasst werden; • Verwendung steuerlicher Verlustvorträge, deren mögliche Steuerfolgen nicht erfasst waren; • Neuerfassung bisher nicht erfasster möglicher Folgen steuerlicher Verlustvorträge aufgrund einer Neueinschätzung; • Verfall oder Neueinschätzung steuerlicher Verlustvorträge, deren mögliche Steuerfolgen erfasst waren. Ein Beispiel zeigt die Zusammenhänge: Bei einem konsolidierten ordentlichen Gewinn von CHF 9 Mio. und einem durchschnittlich anzuwendenden Steuersatz von 22 % wird ein konsolidierter Steueraufwand von CHF 1’980’000.– erwartet. Tabelle 5: Zusammensetzung von Gewinn und Steuerauf wand KonzernOrdentlicher Steuersatz Steuer tochterGewinn in CHF in % betrag gesellschaft in CHF A 900’000 10 90’000 B 2’700’000 20 540’000 C 5’400’000 25 1’350’000 Total 9’000’000 22 1’980’000 Kann beim Tochterunternehmen C, das einen Gewinn von CHF 5,4 Mio. zum Konzerngewinn beiträgt und mit 25 % besteuert wird, ein steuerlicher Verlustvortrag von CHF 3,16 Mio. angerechnet werden, dessen entsprechende Steuerfolgen bisher nicht erfasst waren, reduziert sich der auszuweisende Steueraufwand um CHF 790’000.– (0,25 × 3’160’000) auf CHF 1’190’000.–. Der auszuweisende Steueraufwand beläuft sich auf 13,2 % (CHF 1’190’000.– geteilt durch das ordentliche Ergebnis von CHF 9 Mio.). Der Verlustvortrag verringert den Steueraufwand, der zum durchschnittlich anzuwendenden Steuersatz berechnet wird, um 40 %. Diese Verminderung ist als wesentlich zu qualifizieren und deshalb offenzulegen. 7 Verbindlichkeiten finanzieller Art Im Zusammenhang mit Verbindlichkeiten finanzieller Art geht es um die Offenlegung von Bewertungsgrundsätzen und Konditionen. Die Offenlegung kann in Gruppen gleichartiger Instrumente oder einzeln erfolgen und betrifft beispielsweise den Zinssatz, die Laufzeit oder die Währung. Zudem soll offengelegt werden, wie die finanziellen Verbindlichkeiten in der Jahresrechnung dargestellt werden. Es ist erlaubt, eine Optionsanleihe in ihren rechnerischen Eigenkapital- und ihren Fremdkapitalbestandteil zu zerlegen und zu erfassen. Die Regelung für Vermögenswerte finanzieller Art wurde von der Fachkommission gestrichen. 8 Segmentberichterstattung Bei diesem Thema unterscheiden sich die Ansichten der Empfänger der Jahres- oder Konzernrechnung klar von jenen der Anwender. Die Empfänger befürworten mehrheitlich eine detailliertere Segmentberichterstattung, weil sie ihnen einen vertieften Einblick in die Ergebnisse des Unternehmens ermöglicht. Die Anwender befürchten insbesondere Nachteile im Wettbewerb und plädieren dafür, dass nur die Segmentumsätze offenzulegen sind. Wettbewerbsnachteile bestehen einerseits gegenüber privaten Konkurrenten, weil diese keine Ergebnisse je Segment/Geschäftsbereich offenlegen müssen; über die Segmentberichterstattung für kotierte Unternehmen können diese Wettbewerber – wie auch Kunden und Lieferanten – zu Informationen kommen, über die sie sonst nicht verfügten. Andererseits bestehen diese Nachteile auch gegenüber kotierten grösseren Unternehmen, weil diese die Segmentberichterstattung auf stark aggregierter Ebene offenlegen können. Die Fachkommission hat eine Regelung beschlossen, welche die Argumente beider Seiten berücksichtigt. Die Segmenterlöse und -ergebnisse sind grundsätzlich offenzulegen. In begründeten Fällen, wenn etwa Wettbewerbsnachteile vorliegen und dies erklärt werden kann, darf ein Unternehmen auf den Ausweis der Segmentergebnisse verzichten. Die Begründung ist im – prüfungspflichtigen – Anhang der Jahres- oder Konzernrechnung offenzulegen. Oft wurde in der Vernehmlassung argumentiert, durch die Forderung nach einer Segmentberichterstattung entstünden zusätzliche Kosten für die Unternehmen. Dieses Argument findet die Fachkommission nicht stichhaltig, weil Unternehmen zur Steuerung ihres Geschäfts eine interne Berichterstattung an die oberste Leitungsebene (Verwaltungsrat, Konzern- oder Geschäftsleitung) benötigen. Für die Offenlegung der Segmente und Segmentergebnisse müssen die Unternehmen auf diese interne Berichterstattung zurückgreifen. Dies gilt auch dann, wenn die Segmentrechnung für einzelne Segmente/Geschäftsbereiche beispielsweise aufgrund von Zurechnungsproblemen nicht bis zum ordentlichen Ergebnis geführt wird. Die interne Segmentrechnung muss für die Offenlegung nach FER 31 nicht ergänzt werden. Auch ist in solchen Fällen keine Erläuterung erforderlich. Es muss eine Überleitung zwischen dem ausgewiesenen Segmentergebnis und der entsprechenden Grösse der Erfolgsrechnung offengelegt werden. Wenn ein Unternehmen ohne interne Segmentberichterstattung geführt wird, ist auch keine solche offenzulegen. Diese Situation kann beispielsweise bei einem Unternehmen vorkommen, das in wirtschaftlich gleichen Sparten tätig ist. Im Interesse eines besseren Verständnisses der Jahres- oder Konzernrechnung empfiehlt sich eine entsprechende Erläuterung im Anhang. 9 Zwischenberichterstattung Swiss GAAP FER 12 «Zwischenberichterstattung» wird gestrichen, weil deren Bestimmungen in die «Ergänzende Fachempfehlung für kotierte Unternehmen» integriert wurden. Die mit Beteiligungsrechten kotierten Unternehmen müssen ihre Zwischenberichte nach FER 31 erstellen. Alle übrigen Organisationen – einschliesslich die mit Forderungsrechten kotierten Unternehmen – können freiwillig eine Zwischenberichterstattung nach dieser Fachempfehlung erstellen. Fazit Unternehmen, die ihre Rechnungslegung von den IFRS auf die Swiss GAAP FER umgestellt haben, müssen weniger Offenlegungsanforderungen erfüllen als dies gemäss IFRS der Fall wäre; teilweise verlangen beide Regelwerke aber dieselben Offenlegungen. Die Komplexität und der Umfang der Regelungen der Swiss GAAP FER sind geringer – die Aussagekraft der Jahres- oder Konzernrechnung bleibt aber erhalten. Die «Ergänzende Fachempfehlung für kotierte Unternehmen» stellt aus Sicht der Fachkommission Swiss GAAP FER eine massvolle Erweiterung für einen klar abgrenzbaren Kreis der Swiss-GAAP-FER-Anwender dar. Aufgrund der erhöhten Bedeutung der Finanzberichterstattung für den Kapitalmarkt ist eine Anpassung der Regelungen für kotierte Unternehmen vertretbar. Ihnen soll eine verlässliche und stabile Grundlage der Rechnungslegung zur Verfügung gestellt werden. Juni 2013 Disclose 37 Schweizer Prüfungsstandards auf internationalem Niveau Für ordentliche Revisionen von obligationenrechtlichen Abschlüssen der Geschäftsjahre 2013 gelten die überarbeiteten Schweizer Prüfungsstandards. Die Abschlussprüfung in der Schweiz erfüllt damit die international üblichen Qualitätsanforderungen. Stefan Haag Director, Wirtschaftsprüfung [email protected] Die grossen Unternehmenszusammenbrüche um die Jahrtausendwende (z.B. Enron) führten auch zu Kritik an der Rolle der Abschlussprüfer. Als Reaktion darauf wurden im Rahmen des sogenannten «Clarity-Projekts» die international anwendbaren Prüfungsnormen (International Standards on Auditing, kurz ISA) grundlegend überarbeitet. Dies führte mit ISA 265 «Mitteilungen über Mängel im internen Kontrollsystem an die für die Überwachung Verantwortlichen und das Management» zu einem neuen Prüfstandard und zur inhaltlichen Überarbeitung von 16 bestehenden Standards. Die «clarified ISA» müssen bereits für IFRS-Abschlüsse ab dem Jahr 2010 angewendet werden; in der Schweiz hingegen gelten für die ordentliche Revision von Abschlüssen nach dem Obligationenrecht immer noch die Schweizer Prüfungsstandards (PS), die auf den «pre-clarified ISA» mit Stand von 2003 basieren. Um eine international vergleichbare Prüfungsqualität zu gewährleisten, verpflichtet sich der schweizerische Berufs- stand, die international gültigen Prüfungsnormen zu übernehmen. Für ordentliche Revisionen von Jahresrechnungen, die nach dem 15. Dezember 2013 abschliessen, gelten deshalb auch in der Schweiz die «clarified ISA». Die Treuhand-Kammer hat die PS entsprechend überarbeitet. Diese beinhalten nach wie vor Ergänzungen für spezifisch schweizerische Gegebenheiten (z.B. PS 290 «Pflichten der gesetzlichen Revisionsstelle bei Kapitalverlust und Überschuldung», PS 890 «Prüfung der Existenz des internen Kontrollsystems»). Für die eingeschränkte Revision gilt auch in Zukunft der «Standard zur Eingeschränkten Revision». Dieser wurde nicht angepasst. Nachstehend sind die wesentlichen Neuerungen der überarbeiteten PS sowie die Auswirkungen auf die Prüfungsdurchführung und die Berichterstattung erläutert. (Neue) Prüfungsnormen richten sich selbstredend hauptsächlich an den Prüfer. Nach den überarbeiteten PS soll eine Abschlussprüfung noch bewusster mit einer kritischen Grundhaltung durchgeführt werden. Zudem verlangen die neuen PS umfassendere Prüfungsdokumentationen über die Risikobeurteilung des Abschlussprüfers bzw. generell über die Prüfnachweise. Bei der Prüfung von Konzernen steigen die Anforderungen an den Konzernprüfer hinsichtlich der Instruktion und der Überwachung der Teilbereichsprüfer. Dies wird mitunter dazu führen, dass der Die Schweizer Prüfungsstandards 2013 im Überblick Die überarbeiteten PS umfassen rund 900 Seiten. Wie unten stehende Übersicht zeigt, gliedern sich die insgesamt 44 Standards thematisch in sieben Teilbereiche: 38 Disclose Juni 2013 PS 200 bis PS 290 Allgemeine Grundsätze und Verantwortlichkeiten (9 Standards) PS 300 bis PS 450 Risikobeurteilung und Reaktion auf beurteilte Risiken (6 Standards) PS 500 bis PS 580 Prüfungsnachweise (11 Standards) PS 600 bis PS 620 Verwertung der Arbeit anderer (3 Standards) PS 700 bis PS 720 Schlussfolgerungen der Abschlussprüfung und Erteilung des Vermerks (6 Standards) PS 800 bis PS 890 Besondere Bereiche (5 Standards) PS 910 bis PS 940 Weitere Dienstleistungen (4 Standards) Nach den überarbeiteten Schweizer Prüfungsstandards soll eine Abschlussprüfung noch bewusster mit einer kritischen Grundhaltung durchgeführt werden. Gruppenprüfer sich noch eingehender mit dem Teilbereichsprüfer austauscht, was vermehrte Besuche bei wesentlichen Tochtergesellschaften bzw. deren Prüfern miteinschliesst. Die neuen PS beeinflussen folglich die Arbeitsweise des Abschlussprüfers und damit auch seine Zusammenarbeit mit den geprüften Unternehmen. Von Relevanz sind in diesem Zusammenhang die Änderungen bei der Prüfung von Schätzungen und von Beziehungen mit nahestehenden Personen sowie die Berichterstattung. Schätzungen in der Rechnungslegung Eine wesentliche Änderung erfuhr PS 540, der sich mit der Prüfung von geschätzten Werten in der Jahresrechnung befasst. Im Rahmen seiner Risikobeurteilung muss der Prüfer beurteilen, wie das Management zu schätzende Werte ermittelt, und sich insbesondere ein Bild darüber machen, wie das Management die Auswirkungen von Schätzungsunsicherheiten im Abschluss einstuft. Als Mittel zur Bestimmung, Überwachung und Dokumentation solcher Schätzunsicherheiten kann das Management beispielsweise Sensitivitätsanalysen oder Szenarien einsetzen; damit lässt sich aufzeigen, inwiefern ein geschätzter Wert von einzelnen Faktoren bzw. von deren Änderung abhängt. Gemäss PS 540 beurteilt der Prüfer auch Anzeichen einer möglichen Einseitigkeit des Managements bei Schätzungen. Es geht dabei um eine Einschätzung des Prüfers, ob Entscheidungen des Managements einseitig geprägt sind, auch wenn diese in einer Gesamtwürdigung noch keine falsche Darstellung ausmachen. Dabei muss der Prüfer abwägen, ob eine mögliche Einseitigkeit einen Einfluss auf die Risikobeurteilung oder andere Prüfungsgebiete haben könnte. Der geänderte PS 540 sieht zudem vor, dass der Prüfer Schätzwerte aus früheren Perioden mit den effektiv eingetretenen Werten in den Folgeperioden vergleicht. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse bezieht der Prüfer in seine Beurteilung einer möglichen falschen Darstellung von Schätzungen in der zu prüfenden Periode mit ein. Dies alles dürfte dazu führen, dass weitergehende Prüfungshandlungen in Bereichen vorgenommen werden, die wesentlich von Schätzungen abhängen (z.B. Rückstellungen, Impairment Tests). Entsprechend steigen auch die Anforderungen an Art und Umfang der Nachweise, die das geprüfte Unternehmen von solchen Positionen erstellen muss. Beziehungen mit nahestehenden Personen In eine ähnliche Richtung gehen auch die Anforderungen an die Prüfung und die Dokumentation von Beziehungen zu nahestehenden Personen (PS 550). Bei Transaktionen mit nahestehenden Personen besteht aufgrund der subjektiven Verbindung zum Unternehmen ein erhöhtes Risiko von Falschaussagen im Abschluss. Aus diesem Grund und weil solche Transaktionen oft unter nicht marktüblichen Konditionen abgewickelt werden, schreiben die Standards vertiefte Prüfungshandlungen vor. Insbesondere sind Befragungen des Managements zu Transaktionen mit nahestehenden Personen vorgesehen, was selbstverständlich den Prüfungsaufwand erhöht. Berichterstattung Mit Blick auf die Berichterstattung gilt es primär, die angepasste Struktur, aber auch die Terminologie des zusammenfassenden Berichts an die Generalversammlung zu erwähnen. Nach den neuen PS sind Einschränkungen des Prüfungsurteils, Hinweise auf Gesetzesverstösse oder Hervorhebung von Sachverhalten in der Jahresrechnung (z.B. zu Unsicherheiten in Bezug auf die Unternehmensfortführung) neu in eigenen, mit einer Überschrift gekennzeichneten Absätzen aufzuführen. Dies erleichtert es dem Berichtsleser, solche «Abweichungen vom Normalwortlaut» leichter zu erkennen. Der neue PS 265 schreibt dem Prüfer vor, dass er Mängel, die er bei der Prüfung des internen Kontrollsystems (IKS) feststellt, «den für die Überwachung Verantwortlichen und dem Management in geeigneter Weise» mitteilt. Für die Prüfungspraxis in der Schweiz wird PS 265 wenig Neues bringen, da der Prüfer bei ordentlichen Revisionen bereits jetzt gesetzlich verpflichtet ist, dem Verwaltungsrat seine Feststellungen zum IKS in einem umfassenden Bericht schriftlich zu kommunizieren. Schlussfolgerung Mit der Übernahme der «clarified ISA» durch den schweizerischen Berufsstand werden in Zukunft alle ordentlichen Revisionen nach aktuellen, international anerkannten Standards durchgeführt. Dies garantiert weiterhin eine hohe Qualität der Abschlussprüfung in der Schweiz. Aufgrund der überarbeiteten Standards steigen die Anforderungen an den Prüfer und der Prüfungsaufwand. Ebenso erhöhen sich die Anforderungen an die Dokumente, die das zu prüfende Unternehmen vorbereiten muss; dies gilt vor allem für die Schätzungen in der Rechnungslegung und hinsichtlich der Beziehungen zu nahestehenden Personen. Juni 2013 Disclose 39 Das Rahmenwerk zum Integrated Reporting erlaubt Flexibilität Mitte April 2013 hat das «International Integrated Reporting Council» (IIRC) den Entwurf zu einem Rahmenwerk für die integrierte Berichterstattung veröffentlicht. Interessierte Kreise können bis zum 15. Juli 2013 Stellung dazu beziehen. Die definitive Version des Rahmenwerks soll im Dezember 2013 publiziert und regelmässig aktualisiert werden. «Integrated Reporting» ist eine vernetzte Form der Unternehmensberichterstattung, die den Fokus darauf richtet, wie ein Unternehmen kurz-, mittel- und langfristig Wert schafft. Dazu stellt sie Verbindungen zwischen der Unternehmensstrategie, der Corporate Governance, den Werttreibern, der finanziellen Performance und den externen Rahmenbedingungen her. Die Informationen eines integrierten Berichts müssen wesentlich sein und Aufschluss über die Zukunft des Unternehmens geben (vgl. hierzu die Disclose-Ausgabe vom Juni 2012). Der «Consultation Draft of the international <IR> Framework» ist mit Spannung erwartet worden. Er basiert auf dem Diskussionspapier «Towards Integrated Reporting – Communication Value in the 21st Century» vom Herbst 2011. Eingeflossen sind unter anderem die Reaktionen auf dieses Diskussionspapier, die Vorschläge von Arbeitsgruppen und vor allem ein Pilotprojekt, an dem 40 Disclose Juni 2013 mehr als 85 Unternehmen rund um den Globus und über 30 institutionelle Investoren teilgenommen haben. Konzept, Leitlinien und Inhaltselemente Ziel des Rahmenwerks ist es, den Unternehmen eine Hilfestellung für den Aufbauprozess einer integrierten Berichterstattung zu bieten. Das Rahmenwerk ist klarer und detaillierter formuliert als das Diskussionspapier. Das grundlegende Konzept konzentriert sich auf • die Ressourcen, die ein Unternehmen nutzt oder beeinflusst; dabei handelt es sich um finanzielle Mittel, Produktionsmittel, intellektuelles Kapital, Mitarbeiter, Gesellschaft und Beziehungen sowie natürliche Ressourcen; • das Geschäftsmodell und • die Wertschöpfung im Zeitverlauf. Rolf Johner Partner, Wirtschaftsprüfung [email protected] Wie schon in dem zitierten Diskussionspapier aus dem Jahr 2011 konkretisiert das IIRC die integrierte Berichterstattung mit Leitlinien (Guiding Principles) und Inhaltselementen (Content Elements), wenngleich diese nun etwas anders gewichtet und geordnet sind. Mit den «Guiding Principles» setzt das IIRC sozusagen die Leitplanken für den Inhalt und die Struktur eines Integrated Reporting. Den sechs Prinzipien folgend, muss eine integrierte Berichterstattung • den Fokus auf die Strategie und die Zukunft des Unternehmens richten; • die einzelnen Informationen in einen Zusammenhang stellen; • auf die Informationsbedürfnisse der Stakeholder eingehen; • an den Prinzipien der Wesentlichkeit und Prägnanz ausgerichtet sein; • verlässlich und vollständig sein; • Konsistenz und Vergleichbarkeit gewährleisten. Entscheidend ist die integrierte Denkweise, die stets die Querverbindungen zwischen den verschiedenen Unternehmensfunktionen, den unterschiedlichen Ressourcen und der Wertschöpfung berücksichtigt. Die einzelnen Inhaltselemente dürfen nicht isoliert gesehen werden, sondern müssen in das grundlegende Konzept eingebettet und an den Leitlinien ausgerichtet sein. Dadurch wird die Bandbreite der Berichterstattung grösser, als die sieben Inhaltselemente zunächst vermuten lassen; sie erstreckt sich über die finanziellen und nichtfinanziellen Werttreiber, die Abhängigkeit des Unternehmens von Ressourcen und Beziehungen, eine langfristige Perspektive und die Angleichung von interner und externer Berichterstattung. Das Rahmenwerk verlangt die folgenden, miteinander zu vernetzenden Inhaltselemente: • organisatorischer Überblick und äusseres Umfeld • Governance • Chancen und Risiken • Strategie und Ressourcenallokation • Geschäftsmodell • Performance • Ausblick Ein eigenes Kapitel widmet das IIRC der Vorbereitung und der Präsentation eines integrierten Berichts. Thematisiert werden darin unter anderem die Häufigkeit der Berichterstattung, die Vorgehensweise zur Bestimmung der Wesentlichkeit von Informationen und die Abgrenzung des Kreises der in die Berichterstattung einbezogenen Einheiten. Flexibilität in der Anwendung Anders als in einigen Stellungnahmen befürchtet, hat das IIRC kein starres Rahmenwerk vorgelegt, da dies zum jetzigen Zeitpunkt für die meisten Unternehmen verfrüht wäre, sondern ein Konzept, das Flexibilität in der Anwendung erlaubt. Aus der Sicht von PwC sind drei Punkte positiv hervorzuheben: • Das Rahmenwerk folgt einem prinzipienbasierten Ansatz und macht keine Vorgaben zur Messung oder Offenlegung einzelner Sachverhalte oder zur Identifikation von Schlüsselindikatoren. Entscheidend ist die integrierte Denkweise, die stets die Querverbindungen zwischen den verschiedenen Unternehmensfunktionen, den unterschiedlichen Ressourcen und der Wertschöpfung berücksichtigt. • Das Rahmenwerk geht davon aus, dass jene, die dem Unternehmen Finanzkapital zur Verfügung stellen, die Hauptadressaten eines integrierten Berichts sind, unterstreicht indes zugleich, dass eine integrierte Berichterstattung zum Vorteil aller Stakeholder sein müsse. Dies ermöglicht ein praktikables und schrittweises Vorgehen, das sich zunächst auf die Investoren und deren Informationsbedürfnisse konzentriert. Zu einem späteren Zeitpunkt kann die integrierte Berichterstattung um Informationen erweitert werden, die von besonderer Relevanz für andere Anspruchsgruppen sind. • Die Offenlegung erfolgt nach dem Prinzip «indicate or explain». Das heisst, die Anwender sollten alle wesentlichen Anforderungen des Rahmenwerks erfüllen. Sprechen wichtige Gründe gegen die Publizität gewisser Informationen – etwa mangelnde Verlässlichkeit der Daten oder gesetzliche Restriktionen – so sollte das Unternehmen die Adressaten darauf aufmerksam machen und erklären, weshalb diese Informationen fehlen. Damit folgt das IIRC einem ähnlichen Grundsatz («comply or explain»), wie er heute in der Berichterstattung zur Corporate Governance üblich ist. Das Rahmenwerk des IIRC könnte die «Berichterstattung der Zukunft», wie das Integrated Reporting auch bisweilen genannt wird, einen guten Schritt voranbringen. Das IIRC (http://www.theiirc.org) ist ein hochkarätiges Gremium, in dem auch standardsetzende Institutionen wie das International Accounting Standards Board (IASB) oder das Financial Accounting Standards Board (FASB) mitwirken, also jene Institutionen, welche die IFRS beziehungsweise die US GAAP herausgeben. Deren Arbeit bleibt von einem Rahmenwerk zum Integrated Reporting nicht unberührt. Schliesslich soll die integrierte Berichterstattung nicht neben, sondern an die Stelle der heute üblichen Form der Unternehmensberichterstattung – einschliesslich der Finanzberichterstattung – treten. Juni 2013 Disclose 41 Leserservice www.pwc.ch/wirtschaftspruefung Revisionsqualität heute und morgen. So stärkt PwC das Vertrauen in die Finanzinformationen. Revisionsqualität heute und morgen. Die Broschüre soll allen Kapitalmarktteilnehmern einen Einblick in das Qualitätsmanagement von PwC gewähren. Sie richtet sich auch an die Öffentlichkeit, die sich verstärkt mit der Dynamik der Kapitalmärkte auseinandersetzt. PwC legt dar, was sie heute unternimmt, um eine konstant hohe Prüfungsqualität zu gewährleisten, geht auf laufende Verbesserungen ein und richtet den Blick nach vorne. Executive Compensation & Corporate Governance 2012 A practical guide to new IFRSs for 2013 Die Erhebung ist eine der umfangreichsten Schweizer Untersuchungen zur Höhe und Struktur der Vergütung, die Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitglieder zwischen 2007 und 2011 erhalten haben. Der Bericht enthält eine umfassende Darstellung der derzeitigen Vergütung von Führungskräften börsenkotierter Schweizer Unternehmen (SMI und SMIM). Die Publikation vermittelt einen Überblick über die zahlreichen Änderungen an bestehenden IFRS, neue Standards und Interpretationen. Die meisten der überabeiteten und neuen IFRS gelten seit dem 1. Januar 2013 oder treten per Ende dieses Jahres in Kraft und dürfen grösstenteils vorzeitig angewandt werden. Der Leitfaden umreisst die Anforderungen dieser Standards an die Rechnungslegung. Sie können das Buch direkt via www.schulthess.com/wirtschaftspruefung bestellen (Kosten CHF 118.– inkl. MWST). World Watch News and opinion on governance, reporting and assurance issues affecting business today Wirtschaftsprüfung – interne und externe Revision World Watch ist das Magazin von PwC, das sich regelmässig aktuellen Fragen der Corporate Governance und der Unternehmensberichterstattung widmet. Es bietet einen Überblick über die Themen Governance, Finanzberichterstattung, Assurance und Reporting im weiteren Sinne und enthält Nachrichten aus aller Welt. In der neusten Ausgabe legen prominente Experten ihre Meinungen zu verschiedenen Aspekten der Corporate Governance dar. Das Buch gibt einen systematischen Überblick über Aufgaben und Verantwortung von internen Revisoren und Wirtschaftsprüfern bei der Unterstützung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung im Rahmen der Unternehmensüberwachung und Finanzberichterstattung. Gesetzliche und freiwillige Prüfungen werden umfassend hinsichtlich Planung, Durchführung, Dokumentation und Berichterstattung erläutert. 42 Disclose Juni 2013 Sie können das Buch direkt via www.schulthess.com/finanzberichterstattung bestellen (Kosten CHF 118.– inkl. MWST). Finanzberichterstattung Systematischer Überblick für Verwaltungsrat und Geschäftsleitung Das Buch gibt einen Überblick darüber, welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Verwaltungsrat, die Geschäftsleitung, die interne Revision und die externe Revisionsstelle für die Finanzberichterstattung haben. Die Autoren, drei Partner von PwC Schweiz, stellen die Finanzberichterstattung nach den in der Schweiz verbreiteten Rechnungslegungsstandards OR, Swiss GAAP FER und IFRS systematisch dar. Bestellformular Leserservice Ich bestelle (kostenlos): Revisionsqualität heute und morgen. Deutsch Französisch Executive Compensation & Corporate Governance 2012 (Englisch) A practical guide to new IFRSs for 2013 (Englisch) World Watch. News and opinion on governance, reporting and assurance issues affecting business today (Abonnement, Englisch) Meine Adresse (bitte ausfüllen bzw. Visitenkarte beilegen): Name:Vorname: Firma:Funktion: Adresse:PLZ/Ort: Telefon:E-Mail: Bitte kopieren Sie den Talon, und senden Sie ihn an: PricewaterhouseCoopers AG, Anja Brun, Birchstrasse 160, Postfach, 8050 Zürich, Fax +41 58 792 18 65, oder per E-Mail: [email protected] Juni 2013 Disclose 43 www.pwc.ch/disclose