Adolf Hitler: Mein Kampf 1 und 2
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Adolf Hitler: Mein Kampf 1 und 2
Bayern 2 – Nachtkritik, 3.9.2015 – Peter Jungblut „Adolf Hitler: Mein Kampf 1 und 2“, Kunstfest Weimar So klingt also Hitlers "Mein Kampf": Aggressiv, schrill, schneidend, bedrohlich - ein einziger, wilder Hassausbruch, darunter gemischt der Brummton eines gefährlichen Insekts. Zweifellos nicht nur eine unangenehme und beängstigende, sondern auch eine völlig maßlose, lärmende Geräuschkulisse. Eine rein akustische Annäherung an ein Buch, das allein in Deutschland rund zwölf Millionen Mal gedruckt wurde und international bis heute weit verbreitet ist. "Mein Kampf" gibt es als japanischen Manga-Comic, als hebräische, indische und italienische Ausgabe. Hitler verkauft sich offensichtlich immer noch gut. Er selbst verdiente an seiner zweibändigen, durch und durch narzisstischen Wutpredigt Millionen. Doch nicht der Text interessierte die Dokumentartheatermacher vom Regie-Kollektiv "Rimini Protokoll" in erster Linie, sondern der Umgang mit dem Buch über die Jahrzehnte. Sechs Personen erzählen daher auf der Bühne des Weimarer E-Werks weniger über Hitler als über ihr Verhältnis zu der weltbekannten nationalsozialistischen Kampfschrift. Ein Buchbinder, ein deutschtürkischer Rapper, ein israelischer und eine deutsche Juristin, eine Frauenrechtlerin und ein blinder Radiosprecher haben jeweils ihre eigenen Erfahrungen gemacht. Der Israeli hält "Mein Kampf" bei allem Abscheu für eine gute Motivations- und Managementbibel, denn Hitler schreie immerhin nach der Tat und habe ihn dazu gebracht, endlich seine Seminararbeiten fertig zu stellen. Ganz schwarzer Humor, natürlich. Und während der blinde Sprecher mit dem Finger über eine Ausgabe für Sehbehinderte streift und laut vorliest, druckt der Buchbinder ein frisches Exemplar von "Mein Kampf" aus, klebt fachmännisch den Buchrücken zusammen und fragt sich, ob er das Werk jetzt straflos einem Zuschauer überlassen dürfte. Die Juristin weicht aus, es kommt nämlich, wie immer im Rechtsstaat, "ganz darauf an". Einen fulminanten, gut zweistündigen Denk- und Diskussionsabend über Hitlers "Mein Kampf" haben "Rimini Protokoll", in diesem Fall Helgard Haug und Daniel Wetzel, da zustande gebracht, einen Abend voller sehr persönlicher Anekdoten, Erfahrungen, Erschütterungen. Die Frauenrechtlerin war als Heranwachsende von dem Buch so fasziniert, dass sie die heftigsten Stellen abtippte und ihrer Mutter schenkte. Die Schwester wurde Terroristin. Der Israeli las einer arglosen deutschen Touristin am Strand von Tel Aviv aus dem Buch vor. Die junge Berliner Rechtsanwältin schrieb einen Brief an die deutsche Antarktis-Station, ob "Mein Kampf" wohl in der dortigen Bibliothek vorrätig sei. Fehlanzeige. Der Buchbinder fand Nazi-Anstecker beim Umgraben im eigenen Garten und hatte keine Schwierigkeiten, innerhalb von zwei Stunden "Mein Kampf" in einem Weimarer Antiquariat zu besorgen. Der Deutschtürke berichtet davon, dass er mal einen Rap-Song aufgenommen hat - "100 % deutsche Kartoffeln" - aber die ungefragte Firma Pfanni wollte das Lied lieber nicht als Werbung einsetzen. Kurz wird auch der unvergessene österreichische Kabarettist Helmut Qualtinger eingespielt, der mit seinen Lesungen aus "Mein Kampf" den ganzen Irrsinn und die Lächerlichkeit des Texts eigentlich für alle Zeiten entlarvt hat. Insofern war es richtig, dass "Rimini Protokoll" mehr die Wirkungsgeschichte des Buchs in den Mittelpunkt stellten. Fast schon überbordend ist die Informationsfülle. Vor einer doppelten Bücherregalwand mit zahllosen internationalen Ausgaben von "Mein Kampf" stellen sich die Mitwirkenden allerlei Fragen, etwa, ob sie ein Exemplar auf einem Caféhaustisch liegen lassen würden, ob sie eine kritische Neuausgabe befürworten oder ob sie glauben, dass das Buch für Neonazis interessant ist. Es geht um Hitlers leerstehendes Geburtshaus in Braunau, um die Debatte im israelischen Parlament über die Freigabe einer hebräischen Ausgabe, die dann in ganzen 500 Exemplaren verkauft wurde. Die Melodie bleibt gleich, der Text wechselt in Deutschland mit den politischen Verhältnissen, lernte das Publikum. Es wurde gelacht, sicher, aber nicht so oft, dass das Buch dabei verharmlost wurde. Dämonisieren, gar verbieten, führt nicht weiter und ist in den Zeiten des Internets sowieso sinnlos. Schaurig, welche fatale Wirkung "Mein Kampf" haben konnte, eben gerade, weil das Buch so wenig gelesen wurde. Eine packende Deutsch-Stunde in Weimar - die Produktion geht jetzt auf Tournee und wird demnächst auch an den Münchener Kammerspielen Station machen.