integrierte versorgung in der gemeindepsychiatrie
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integrierte versorgung in der gemeindepsychiatrie
INTEGRIERTE VERSORGUNG IN DER GEMEINDEPSYCHIATRIE: ERWARTUNG TRIFFT REALITÄT Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung INTEGRATED CARE IN THE COMMUNITY MENTAL HEALTH SYSTEM: EXPECTATION MEETS REALITY An empirical analysis of the existing model for outpatient services Hochschule München Fakultät für Sozialwissenschaften Eingereicht als Masterarbeit für den Studiengang Master Mental Health im August 2011 Verfasserin: Stephanie Lerf Erstgutachter: Prof. Dr. Manfred Cramer Zweitgutachter: Dr. Wolfgang Kraus I Theoretischer Teil4 1 Einführung4 1.1 Anliegen der Arbeit5 1.2 Aufbau der Arbeit6 2 Theoretischer Hintergrund9 2.1 Das Gesundheitssystem in Deutschland9 2.1.1 Gesundheitsökonomische Aspekte im Bereich Mental Health10 2.1.2 Zahlen im Bereich psychischer Störungen11 2.1.3 Zur Verteilung der Mittel in der psychiatrischen Versorgung14 2.1.4 Die Fragmentierung der psychiatrischen Versorgung und der Bedarf an Vernetzung15 2.2 Aktuelle Aspekte zur psychiatrischen Versorgung18 2.2.1 Die Psychiatriereform und der aktuelle Stand18 2.2.2 Seelische Krise und psychiatrischer Notfall – ein Überblick20 2.2.3 Die gestärkte Patientensouveränität22 2.2.4 Die Bedeutung des Sozialen Netzes und dessen Einbeziehung in die Versorgung28 2.3 Ausgewählte Modelle der ambulanten Versorgung31 2.3.1 Case Management31 2.3.2 Das Assertive Community Treatment – Ursprung und Konzept 33 2.3.3 Das Home Treatment – Ursprung und Konzept 37 2.3.4 Need Adapted Treatment – konzeptionelle Grundlagen der bedürfnisorientierten Behandlung39 2.3.5 Zusammenfassende Betrachtung der einzelnen Konzepte40 2.4 Managed Care und Integrierte Versorgung42 2.4.1 Die Instrumente des Managed Care45 2.4.2 Integrierte Versorgung48 2.4.3 Der Bedarf an Vernetzung 50 2.4.4 Interdisziplinäre Schnittstellen – die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache und Haltung51 2.4.5 Die Erwartungen an eine Integrierte Versorgung52 II Empirischer Teil 56 3 Die Umsetzung einer Integrierten Versorgung in der Gemeindepsychiatrie56 3.1 Das Untersuchungsfeld57 3.2 Der Untersuchungsgegenstand – Das NWpG München (Vincentro)58 3.3 Methoden der Erhebung 59 3.3.1 Durchführung59 3.3.2 Stichprobe59 3.3.3 Instrumente der Erhebung60 3.4 Untersuchungsziele und Fragestellung61 3.5 Zielgruppe der Versorgung63 4 Ergebnisse der Untersuchung65 4.1 Die Bausteine der Versorgung65 4.1.1 Die Koordinationsstelle und die 24-stündige Erreichbarkeit65 4.1.2 Die gemeinsame Krisenvereinbarung zur Förderung von Empowerment67 4.1.3 Das Casemanagement im NWpG69 4.1.4 Die konzeptionelle Umsetzung der Soziotherapie70 4.1.5 Kooperation mit anderen Leistungserbringern78 4.1.6 Die psychiatrische Pflege als weiterer Baustein80 4.1.7 Die Rückzugsräume und deren konzeptionelle Grundlage81 4.1.8 Gruppen und Psychologische Beratung/Kurzzeittherapie84 4.2 Qualitätssicherung und Weiterentwicklung innerhalb des NWpG85 4.2.1 Qualitätssicherung durch interne und externe Verfahren88 4.2.2 Supervision, Teambesprechungen und Fallmonitoring89 4.2.3 Qualitätszirkel und Fortbildungen89 4.2.4 Elektronische Vernetzung als Basis91 4.3 Die Inanspruchnahme des NWpG und dessen Leistungen92 4.3.1 Einschreibeverhalten und Nutzerdaten der teilnehmenden Versicherten92 4.3.2 Inanspruchnahme der Rückzugsräume 96 4.3.3 Inanspruchnahme medizinisch-fachärztlicher Leistungen99 4.3.4 Inanspruchnahme weiterer Leistungen: Psychologische Beratung und Ergotherapie101 4.3.5 Krankenhausaufenthalte102 4.3.6 Motivation von Vertragskündigungen104 4.3.7 Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Krisenvereinbarung sowie eines Behandlungsplans106 4.4 Schnittstellen- und Netzwerkarbeit – die Wirklichkeit111 4.4.1 Zusammenarbeit mit niedergelassenen Fachärzten112 4.4.2 Schnittstelle zum stationären Bereich113 4.4.3 Zusammenarbeit mit niederglassenen Psychotherapeuten114 4.4.4 Netzwerkarbeit und Kooperation mit Ergotherapie und anderen Leistungserbringern115 4.4.5 Vernetzung mit Diensten und Einrichtungen des SGB XII116 4.4.6 Zusammenarbeit mit gesetzlichen Betreuern, Bezirkssozialarbeit und anderen Einrichtungen119 4.4.7 Einbindung der Angehörigen und des weiteren sozialen Netzes 119 5 Fazit123 5.1 Vertragliche Rahmenbedingungen und Verortung in einer Managed Care -Struktur123 5.2 Nutzerperspektive und Bedürfnisorientierung125 5.3 Schaffung von Transparenz in der Versorgung128 5.4 Verbesserung von Qualität sowie Sicherstellung von Kontinuität der Leistungen130 6 Zusammenfassende Betrachtung133 7. Literatur135 Glossar149 Darstellungverzeichnis150 Anhang151 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil I Theoretischer Teil 1 Einführung Aktuelle psychiatrische Versorgung ist weder auf politischer noch auf praktischer Ebene ohne die Diskussion zum Pro und Contra einer Integrierten Versorgung vorstellbar. Sie wird durch die Entwicklungen im deutschen Gesundheitssystem und einem real bestehenden Druck Kosten senken zu wollen, sicherlich genährt. Zudem spielen Aspekte der Patientenautonomie und -mitbestimmung eine maßgebliche Rolle, sollen Projekte der Integrierten Versorgung nicht nur im Sinne der Kostenreduktion ansetzen, sondern ebenso zur Verbesserung der Qualität der Versorgung sowie zu einer steigenden Transparenz der Behandlungsabläufe beitragen. Den zumeist gesundheits- und sozialpolitisch geführten Diskussionen zur Integrierten Versorgung, die sich häufig mit Ökonomisierungstendenzen auseinandersetzen, können evidenzbasierte Studien entgegengestellt werden, die auch die konzeptuell-qualitative Perspektive einbeziehen. Integrierte Versorgungsansätze aus dem skandinavischen, englischen oder angloamerikanischen Raum, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren, deren Autonomie verstärkt fördern und deren soziale sowie professionelle Netzwerke einbeziehen, zeichnen eine gute Prognose hinsichtlich folgender Faktoren ab. So lassen sich unter anderem verringerte stationäre (Wieder-)Aufnahmen nachweisen, auch konnten Behandlungsabbrüche reduziert und eine erhöhte Behandlungszufriedenheit verzeichnet werden (vgl. Berhe et al. 2005, 826f). Nicht nur im Bereich der psychiatrischen Versorgung entstand in den letzten Jahren eine aktive Patientenbewegung, die sich für die Belange und Rechte der Patienten sowie auch deren Aufklärung einsetzt. Jedoch stellt der psychiatrische Bereich eine Besonderheit dar, werden gerade hier Fragen bezüglich Autonomie, Eigensinn und Selbstbestimmung unter dem Aspekt drohender Zwangsmaßnahmen intensiv diskutiert. Eine bedürfnisorientierte Behandlung innerhalb einer Integrierten Versorgung, die zugleich das soziale Netz einbezieht, birgt Chancen, die Patientensouveränität hinsichtlich einer Stärkung von Empowerment und Recovery zu befördern. Sie kann nach Dörner (vgl. 2010, 1ff) weiter dazu die- Seiten 4 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil nen, sektorale Gräben zu überwinden, die einerseits zwischen medizinischer und sozialer Professionalität, andererseits zwischen stationärem und ambulantem Bereich bestehen. 1.1 Anliegen der Arbeit Modelle zur Integrierten Versorgung nach §140a ff SGB V sollen unter der Prämisse einer optimierten medizinischen Versorgung und Pflege sowohl an den Schnittstellen ansetzen, wie auch fächerübergreifend tätig werden (Deutsche Gesellschaft Integrierte Versorgung 2009, 4). Hierfür wird künftig eine projektübergreifende Zusammenarbeit innovativer Versorgungsformen vonnöten werden. Jedoch gilt es bei diesen Versorgungsformen, die gegebenenfalls Teil der sogenannten Regelversorgung werden könnten, in erster Linie, die Patienten als Partner für ebendiese Versorgung zu gewinnen (vgl. ebd., 5f). Gemeindeorientierte, integrierte Versorgungsansätze sollen eine Alternative zu stationären Aufenthalten darstellen oder aber eine Verkürzung dieser ermöglichen und bergen somit das Potential, diesen Forderungen gerecht zu werden (vgl. Burns/ Priebe 2004, 190; WHO 2005, 2ff; WHO 2008, 8). Sie orientieren sich an den Bedürfnissen der Betroffenen, um deren Autonomie verstärkt zu fördern und deren soziale sowie professionelle Netzwerke intensiv einzubeziehen (Aderhold/Greve 2010). Vor dem erläuterten Hintergrund soll innerhalb der vorliegenden Masterarbeit untersucht werden, wie sich vergleichbare Versorgungsansätze für Menschen mit seelischen Störungen in Deutschland innerhalb einer Integrierten Versorgung nach §140a ff SGB V umsetzen lassen. Folgende Prozesse sollen dabei sowohl im theoretischen wie im empirischen Teil Gegenstand näherer Betrachtung werden: Erstellung und Implementierung von Leitlinien und Versorgungspfaden Prozesse der partizipativen Entscheidungsfindung Analyse von Schnittstellen (vgl. Amelung/Wagner 2010, 184) Seiten 5 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Die empirische Betrachtung des Netzwerks für psychische Gesundheit (NWpG) München und dessen Evaluation ist umso mehr von Belang, als es in Deutschland bislang an Evaluationen bzw. einer Versorgungsforschung ambulanter vor allem aber psychosozialer Versorgung mangelt. Mit Bezug auf die Fragestellung soll das seit Januar 2010 bestehende Projekt näher untersucht werden. Ausgehend von einem einjährigen Projektzeitraum soll auf die vorhandenen Herausforderungen und Schwierigkeiten eingegangen werden, die sich bei der Implementierung einer gemeindeorientierten Integrierten Versorgung ergeben. Dabei spielen Aspekte der Fragmentierung des psychiatrischen Gesundheitswesen zum einen zwischen den einzelnen Sozialgesetzbüchern, zum anderen zwischen den Akteuren eine nicht unerhebliche Rolle und beeinflussen die tägliche Arbeit. Sowohl die Fragestellung als auch die weiter erwähnten Aspekte sollen mit praktischen Erfahrungen und mit Veröffentlichungen zum Thema in Zusammenhang gebracht werden. Mittels Auswertungen aus der einjährigen Projektdauer des NWpG München sowie Fallbeschreibungen soll dies zudem plastisch erläutert werden. Im Sinne einer Bestandsaufnahme sollen bestehende Erfahrungswerte aus der praktischen Tätigkeit widergespiegelt und Überlegungen angestellt werden, wie den hieraus resultierenden Herausforderungen künftig zu begegnen sein könnte. 1.2 Aufbau der Arbeit Im ersten Teil der Arbeit sollen zunächst aktuelle Entwicklungen in der psychiatrischen Versorgung dargestellt werden, die sich insbesondere mit ökonomischen Aspekten sowie der historisch bedingten Fragmentierung auseinandersetzen. Zudem soll eine kurze Begriffsklärung der seelischen Krise und damit dem subjektiven Krisenverständnis, welches der Tätigkeit des NWpG in München zugrunde liegt, erläutert werden (Kapitel 2.1). Dies bildet im zweiten Teil der Arbeit, der empirischen Darstellung des NWpG, die konzeptuelle Grundlage. Weiter sollen die derzeitigen Entwicklungen im Gesundheitswesen und Aspekte der psychiatrischen Versorgung im Sinne von Mental Health und Patienten- Seiten 6 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil zentrierung und damit verbundener Konzepte, wie etwa das Recovery-Modell, beleuchtet werden (Kapitel 2.2). Weiter sollen Ansätze der psychiatrischen Versorgung aus anderen Ländern beschrieben werden, die dort bereits gute Ergebnisse erzielen. Auch wenn das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem derzeit einen wesentlichen Einfluss auf die tatsächliche Versorgung nimmt, sollen die Veränderungen der letzten Jahrzehnte und hierfür zugrunde liegende politische Entwicklungen aufgrund ihrer Komplex-ität weitgehend unberücksichtigt bleiben (Kapitel 2.3). Anschließend werden die Begriffe Managed Care und Integrierte Versorgung näher untersucht und kritische Aspekte wie auch Erwartungen, insbesondere an den Schnittstellen der Versorgung, aufgezeigt (Kapitel 2.4). Im zweiten Teil der Arbeit werden im Rahmen der empirischen Darstellung des Netzwerks für psychische Gesundheit (NWpG) werden die Forschungsmethoden wie die Zielsetzung näher erläutert (Kapitel 3). Im Folgenden werden die einzelnen Bausteine der Integrierten Versorgung im NWpG anhand theoretischer Grundlagen deskriptiv dargestellt (Kapitel 4.1; 4.2). Hierauf aufbauend werden in einem weiteren Teil die im Rahmen der praktischen Tätigkeit erhobenen Daten zu den Nutzern und zur Auslastung des NWpG beschrieben (Kapitel 4.3). Anschließend erfolgt eine Betrachtung hinsichtlich der Tätigkeit an den Schnittstellen der Versorgung (Kapitel 4.4). In einem Fazit sollen die Erfahrungswerte mit den im Rahmen der Arbeit gewonnenen Erkenntnissen in Zusammenhang gesetzt werden (Kapitel 5). Dies geschieht unter der Einbeziehung der wesentlichen Ziele einer Integrierten Versorgung, der Nutzerperspektive, der Schnittstellenüberwindung, der Transparenz in der Leistungsgestaltung sowie der Verbesserung von Qualität und der Sicherstellung von Leistungskontinuität. In einer zusammenfassenden Betrachtung sollen Überlegungen für die weitere Zukunft einer Integrierten Versorgung angestellt werden (Kapitel 6). Obwohl sich die Thematik der Arbeit insbesondere auf Leistungen im Rahmen der Krankenversicherung und damit des SGB V bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „psychisch krank“ sowie der Patientenbegriff in ihrem Kontext gedacht werden müssen, da erst eine ärztlich gestellte Diagnose den Zugang zu einer Integrierten Versorgung ermöglicht. Beide Begriffe finden daher Anwendung, wenn Aspekte aus ebendieser Ebene beschrieben werden. Im Rahmen der empirischen Darstellung wird synonym für Patienten, der Begriff Seiten 7 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Klienten verwendet, um die bisher noch klare Unterscheidung zwischen ärztlichem und nicht-ärztlichem Personal und den hiermit zugeschriebenen Kompetenzen deutlich zu machen. Entsprechend des Vertrages zur Integrierten Versorgung werden die Klienten auch eingeschriebene Versicherte bezeichnet. Mitunter wird der aus dem Englischen stammende Begriff der Nutzer (user) verwendet, der vor allem auf die Nutzerbeteiligung Bezug nimmt. Zudem findet die Bezeichnung der (Psychiatrieerfahrenen-/)Betroffenen Anwendung, die in erster Linie als Selbstbezeichnung von Menschen mit psychiatrischen Erfahrungen zu verstehen ist und deren Leid wie auch deren Erfahrungen mit den Institutionen impliziert. Der unter anderem in den USA geprägte Begriff der Konsumenten (consumer) soll nicht verwendet werden, da dieser eine Wahlmöglichkeit suggeriert, die vielen Menschen insbesondere in Krisensituationen nicht zur Verfügung stand bzw. steht (vgl. Becker et al. 2008: 113ff). Innerhalb der vorliegenden Arbeit wird zudem zur besseren Lesbarkeit die männliche Form verwendet, jedoch ist damit keineswegs die Diskriminierung weiblicher Personen beabsichtigt. Seiten 8 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil 2 Theoretischer Hintergrund 2.1 Das Gesundheitssystem in Deutschland Das deutsche Gesundheitswesen zählt im weltweiten Vergleich nach wie vor zu den leistungsfähigsten, was unter anderem auf das Solidarprinzip zurück zuführen ist, das allen Bürgern eine nahezu gleiche Versorgung ermöglicht (vgl. Amelung et al. 2009, 9). Ohne detailliert auf historische Entwicklungen im Gesundheits- und Sozialsystem eingehen zu wollen, sollen die derzeit wichtigsten Herausforderungen an diese kurz genannt werden: die veränderte demografische Situation (...) und die damit einhergehende Bedeutung chronischer Krankheiten1: (...) eine gesundheitspolitische Debatte, in der Forderungen nach „Patientenorientierung“, „Krankheitsprävention“ und „Gesundheitsförderung“ einhergehen (...) schließlich das öffentliche Interesse der Trägerorganisationen der Sozialversicherungen und der öffentlichen Hand an „Kostendämpfung“ (Amelung et al. 2009, 52). Um diesen Entwicklungen zu begegnen, werden künftig Reformprozesse vonnöten sein, um die über viele Jahrzehnte aufrechterhaltene Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung aufzuheben. Eine Verbesserung sollen dabei vernetzende Modelle erzielen, die zum einen auf Disease-ManagementProgrammen und zum anderen auf Integrationsverträgen nach §140a ff SGB V basieren. 1 Die aktuellen Zahlen subsumieren 46% aller Erkrankungen zu den chronisch verlaufenden, mit einem prognostizierten Anstieg bis 2020 auf 60% (Amelung et al. 2009: 9). Seiten 9 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil 2.1.1 Gesundheitsökonomische Aspekte im Bereich Mental Health Ökonomisierung bedeutet die Einbeziehung von marktwirtschaftlich ökonomischen Denk- und Entscheidungsmuster, in welcher Dienstleistungen im Bereich Gesundheit und Soziales vermehrt unter Effizienzkriterien gemessen werden und oftmals der makroökonomischen Konjunkturlage des jeweiligen Landes parallel gesetzt werden können (vgl. Ewers 2005, 32f). Die Gründe für die wachsende Ökonomisierungstendenz innerhalb der psychiatrischen Versorgung sind analog denen im somatischen Bereich anzusiedeln. So können die durch den demografischen Wandel bedingten sinkenden Einnahmen innerhalb der gesetz lichen Krankenversicherungen genannt werden, dem diese in der Regel mit einer stetigen Anhebung der Beiträge begegnen. Neben den demografischen Ent wicklungen liegen weitere Faktoren vor, auf die das Sozial- und Gesundheits wesen vermehrt reagieren muss. So spielt die Zunahme von chronischen Erkrankungen eine wesentliche Rolle, die sich auch im psychiatrischen Bereich feststellen lässt (vgl. Amelung et al. 2009, 4; Ewers/Schaeffer 2005, 18). Umso wichtiger wird es, Fehlallokationen im Gesundheitsbereich auszumachen und effiziente Therapiekonzepte zu ermitteln. Mental Health2 oder aber seelische Störungen in Verbindung mit ökonomischen Aspekten in Zusammenhang zu setzen, wird häufig kritisch diskutiert, da impliziert wird, das Wohl der erkrankten Menschen stünde nicht an erster Stelle. Doch neben einer qualitativ guten Arbeit in der Versorgung, lassen sich aktuelle wirtschaftliche Abwägungen und damit Fragen von Evidenz, Effektivität und Effizienz nicht ausblenden. Gerade für die gesetzliche Krankenversicherung spielt daher die Frage nach ökonomischen Gesichtspunkten eine wachsende Rolle. Derlei Überlegungen rücken zusätzlich bedingt durch wachsende stationäre Zuwachsraten, im Falle der Techniker Krankenkasse in den Jahren zwischen 2005 bis 2008 um 20 Prozent, vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit (Ruprecht 2010, 85). Auch wenn die Verweildauern kürzer wurden, sind die Kosten dabei keineswegs gesunken, da es zu häufigeren Wiederaufnahmen kam. Daher stellt sich für Ruprecht (2010, 85) vorrangig die Frage nach der Wirksamkeit des aktuell bestehenden ambulanten Versorgungs angebotes. Daran anknüpfend besteht Unsicherheit, ob dieses den aus der 2 Mental Health dient in der Arbeit als Synonym für seelische Störungen bzw. seelischer Gesundheit. Der Begriff Mental Health beinhaltet dabei in der englischsprachigen Literatur meist mehr Aspekte, wie etwa Public Mental Health oder aber Inklusion u.a., während unter dem Begriff der seelischen bzw. psychischen Störungen, oftmals nur psychopathologische und behandlerische Aspekte differenziert werden (vgl. WHO 2010, Fact Sheet Nr. 220). Seiten 10 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Klinik entlassenen Patienten eine ausreichende Unterstützung bietet. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Ökonomisierung im Gesundheitswesen sei an dieser Stelle zu erwähnen, dass Deutschland verglichen mit anderen westlichen Industrieländern über hohe Produktivitätsreserven verfügt, jedoch bei einem hohen Ressourceneinsatz eher durchschnittliche Ergebnisse erreicht. Dies wiederum wird unter anderem auf eine mangelnde Koordination der Leistungen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zurückgeführt (vgl. Berger 2009, 286). 2.1.2 Zahlen im Bereich psychischer Störungen Im Rahmen des Bundesgesundheitssurveys wurden 1998 erstmalig psychische Erkrankungen in die Erhebungen inkludiert und ließen so weitere Studien zu3. Dabei galt es, eine diagnosespezifische und umfassende Gesundheitsbericht erstattung zu erheben4. Hieraus wurden Zahlen zur Lebenszeit-Prävalenz (42,6%), zur 12-Monats-Prävalenz (31,1%) und zur Ein-Monats-Prävalenz (19,8%) erhoben (Jacobi/Klose 2004, 741)5. Weiter stellen Wittchen und Jacobi (2004, 361ff) 27 europäische Studien zum Thema psychische Erkrankung zusammen und kommen dabei zu dem Schluss, dass 27 Prozent der 18 bis 65-jährigen europäischen Bürger unter mindestens einer psychischen Erkrankung leiden oder aber in den letzten zwölf Monaten gelitten haben. Die häufigsten Erkrankungen stammen aus dem Formenkreis der Angststörungen, gefolgt von affektiven und somatoformen Störungen, Suchterkrankungen und psychotischen Erkrankungen. Mit einer steigenden Lebenserwartung besteht gemessen an der Lebenszeitprävalenz ein wachsendes Risiko, im Alter an einer psychischen Störung zu leiden. Auch im Hinblick auf die steigende Zahl der Menschen, die an chronischen somatischen Störungsbildern erkrankt sind, wächst das Risiko an einer psychischen Störung zu erkranken (vgl. ebd.). Während die Tage des somatisch krankheitsbedingten Arbeitsausfalls über die letzten Jahre sinken, steigt die Zahl dieser aufgrund psychischer Erkrankungen weiter an (vgl. Jacobi/Harfst 2007, 6; Lademann et al. 2006, 124). Je nach Krankenkasse 3 Bei allen in der Arbeit verwendeten Störungsbildern liegt das ICD-10 WHO zugrunde: http://www.dimdi.de/ static/de/klassi/diagnosen/icd10/ 4 Im Auftrag des Bundes und des Bundesministeriums für Gesundheit wurden unter anderem durch das RobertKoch-Institut Daten zu Prävalenz, Risiken, Korrelate, Komorbidität und Einschränkungen/Behinderung erhoben (Wittchen/ Jacobi 2005, 357ff). 5 Bei den meisten Prävalenzraten liegt der Frauenanteil höher; bei Suchterkrankungen liegt der Männeranteil höher. (vgl. ebd.) Seiten 11 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil nehmen affektive Störungen bezogen auf die Krankheitstage den dritten Platz der Diagnosen ein (vgl. Lademann et al. 2006, 125f). Bei den Arbeitsunfähigkeits tagen stehen die affektiven Störungen auf dem fünften Platz. Über den Verlauf von 2000 bis 2004 verzeichneten die Kassen diesbezüglich einen relativen Anstieg von 20 Prozent. Besondere Gewichtung nehmen hier die depressiven Episoden sowie die rezidivierenden depressiven Störungen ein. Auch nehmen Diagnosen aus dem angstspezifischen Formenkreis, welche wiederum als sogenannte „high utilizer“ häufig von Allgemein- oder Hausärzten gestellt werden und oftmals einen großen Teil der ambulanten Gesundheitskosten verursachen, einen der vorderen Plätze ein (vgl. ebd.). Weltweit stellen die depressiven Störungen die höchste Zahl bezüglich der „years of healthy life lost to disability“ (YLD) und liegen an dritter Stelle aller Erkrankungen bei den „disability-adjusted life years“(DALY) (vgl. Vieth 2009, 1f). Betrachtet man die Zahlen zur Prävalenz depressiver Störungen so wird deutlich, welchen Stellenwert sie im Rahmen der Gesundheits- und Sozialleistungen einnehmen. Sie beeinflussen nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen, sondern auch deren körperliche, geistige und soziale Leistungsfähigkeit in beträchtlichem Maße und gehen zudem mit einem erhöhten Suizidrisiko einher. Auch aufgrund ihres mitunter rezidivierenden oder chronischen Verlaufs führt die depressive Störung durch eine intensive Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zu hohen direkten Kosten und aufgrund einer oftmals sinkenden Arbeits produktivität und dem somit verringerten wirtschaftlichen Outcome auch zu wachsenden indirekten Kosten. Daneben steigt auch die Zahl vorzeitiger Verentungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder aber voller Erwerbsunfähigkeit. Psychische Erkrankungen liegen mit Abstand den meisten Frühverentungen ursächlich zugrunde (vgl. Amelung/Wagner 2010, 171f; Deutscher Bundestag 2010, 1). Die Faktoren oder Ursachen, die psychische Störungen bedingen können, werden ebenso kontrovers diskutiert wie die Frage, ob sie real zunehmen oder aber aufgrund verbesserter Diagnostik rascher erkannt werden (vgl. Jacobi/ Harfst 2007, 6). Eine weitere Erklärung impliziert, dass sich die Betroffenen eher an professionelle Helfer wenden, weil sich über die letzten Jahre deren Öffentlichkeitsarbeit verbessert hat und sich damit die Symptome auch von den Betroffenen besser zuordnen lassen (vgl. Deutscher Bundestag 2010, 1; Lademann et al. 2006, 126f) . Über die letzten Jahrzehnte konnte hierzu jedoch keine Seiten 12 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil klare Antwort gegeben werden, da es an aussagefähigen Studien mangelt (vgl. Jacobi/Harfst 2007, 6). Unter anderem kann der Familienstand mit depressiven Störungen in Zusammenhang gebracht werden. So weisen Alleinstehende im Vergleich zu verheirateten Personen eine höhere Prävalenz für psychische Erkrankungen auf. Zudem beeinflussen die Erkrankungsdauer oder eine Ablehnung fachspezifischer Dienste den weiteren Verlauf6. Das heißt, eine Therapie oder Behandlung wird trotz Zuweisung nicht aufgenommen oder aber durch eine mangelnde Versorgungsdichte und lange Wartezeiten zusätzlich konterkariert (vgl. Wittchen/Jacobi et al. 2001, 365). Als weitere Einflussfaktoren werden das Zusammenbrechen familiärer Strukturen und daraus resultierende Folgen sowie die wachsende Unsicherheit aufgrund einer steigenden Arbeitslosigkeit beschrieben (vgl. ebd.; Gesundheitsziele.de 2006, 2). Angesichts der erläuterten Entwicklungen nimmt das Thema Mental Health für alle europäischen Länder und für deren Gesellschaftsschichten eine große Bedeutung ein (WHO 2005, Ministerielle WHO Konferenz, 1ff)7. Die hieraus resultierenden ökonomischen und sozialen Schwierigkeiten bringen sowohl für das Individuum als auch für die gesamte Gesellschaft erhöhte Anforderungen mit sich. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wird für die Implementierung multidisziplinärer gemeindenaher Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen plädiert (vgl. ebd., 24ff). 6 Zwischen Diagnose und erster Intervention vergehen im Schnitt 7,4 Jahre (Wittchen/Jacobi et al. 2001: 365). 7 In diesem Zusammenhang wird häufig auf die „high and growing burden of mental disorders“ (= hohe und wachsende Belastung durch psychische Störungen) hingewiesen (WHO 2005, 1ff). Seiten 13 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil 2.1.3 Zur Verteilung der Mittel in der psychiatrischen Versorgung Obwohl innerhalb Deutschlands die Bettenanzahl in den Krankenhäusern abgebaut wurde und gemeindeorientierte Dienste weitgehend etabliert wurden, fließt der größte Teil der Kosten derzeit weiter in den stationären Bereich (Vieth 2009; 3). 7,0% Verwaltung 4,0% Privat 5,2% Ambulante Pflege 29,1% Stationär Behandlung 7,5% Reha 3,2% Sonstige 9,7% Ambulante Medikamente 22,6% Stationäre Pflege 8,1% Arztpraxen 3,6% Sonstige Praxen Verteilung der Ausgaben für psychische Erkrankungen in Deutschland, 2004 (Dar. 1, nach Kilian R. 2007, 17) Vieth (2009) erklärt weiter, dass die Qualität der gemeindeorientierten Dienste oftmals Unterschiede aufweist (vgl. ebd.). Dies wiederum stellt für psychisch erkrankte Menschen die Gefahr dar, nach einer Krankenhausentlassung nicht die entsprechende oder notwendige Hilfe zu erfahren, die zur Vermeidung weiterer stationärer Aufnahmen nötig wäre (Brederode 2010, 43). Dabei ist die aktuelle Versorgung nicht unmittelbar am Bedarf orientiert, sondern ebenso wie das gesamte Gesundheitswesen historisch gewachsen (Becker et al. 2008, 73). Politische Rahmenbedingungen, das Subsidiaritätsprinzip, wie auch die Planungshoheit der Länder können unter anderem hierfür verantwortlich gemacht werden. Angestoßen durch die Psychiatrieenquête von 1975 und einem hieraus resultierendem Paradigmenwechsel kam es europaweit zu einer EntSeiten 14 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil hospitalisierungsbewegung (vgl. Kap 2.2.1). Becker und Kollegen (2008, 45f) weisen in diesem Zusammenhang auf Studien hin, die sich mit einer „Transinstitutionalisierung“ beschäftigen und aufzeigen, dass in den letzten Jahrzehnten zwar viele Langzeitbetten abgebaut wurden, diese jedoch teils in kostengünstigere Wohnformen verlegt wurden und nun unter einem anderen Leistungsträger angesiedelt sind oder mittels einer „Reinstitutionalisierung“ in forensische Betten verändert wurden. Zudem hat die Bettenanzahl stationärer psychosomatischer Einrichtungen stark zugenommen, während im Akutbereich keine Reduktion der Betten stattfand8. Sie beschreiben außerdem eine steigende Kostentendenz, da sich die psychiatrischen Krankenhäuser in ihrer Qualität verbessert haben und die Kosten im SGB-XII Bereich zudem angestiegen sind. 2.1.4 Die Fragmentierung der psychiatrischen Versorgung und der Bedarf an Vernetzung Das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem gilt als komplex und zählt zu den teuersten weltweit, gemessen an Parametern wie generelle und krankheitsfreie Lebenserwartung. Dabei sind die Ansprüche innerhalb der Versorgung im Gesundheits- und Sozialwesen gestiegen oder haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte differenziert. Insbesondere bei chronischen Erkrankungen oder bei Menschen mit multimorbider Problematik werden dabei Hilfen benötigt, die einerseits dauerhafte Unterstützung gewährleisten und andererseits eine Versorgung ermöglichen, die mittels koordinierter und vor allem flexibler Leistungen auf einen sich ändernden Hilfebedarf rasch reagieren kann (vgl. Ewers 2005, 4f). Im Rahmen der zuvor beschriebenen Deinstitutionalisierungsprozesse fand jedoch nicht nur eine Verlagerung in den durch das SGB-XII finanzierten Bereich der Eingliederungshilfe statt, sondern auch der Auf- und Ausbau von Versorgungsstrukturen durch niedergelassene Nervenärzte, psychiatrische Institutsambulanzen, wie auch der Sozialpsychiatrischen Dienste (vgl. Becker et al. 2008, 45ff). Diese Deinstitutionalisierung führte zu einer „sozialpsychiatrischen Parallelwelt“ (ebd., 822). Die hierin entstandene Fragmentierung der Leistungen und die damit verbundene Verteilung der Mittel, erweckt den Anschein einer von Unübersicht8 Becker und Kollegen (2008, 44ff) weisen auf die Möglichkeit hin, dass die Zunahme psychosomatischer Betten mit einer Verlagerung gemeindenaher psychiatrischer Betten korreliert. Aus der Praxis des in dieser Arbeit vorgestellten Modells der Integrierten Versorgung ist festzustellen, dass viele der eingeschriebenen Patienten (auch) in einer psychosomatischen Klinik behandelt wurden. Seiten 15 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil lichkeit geprägten Versorgung, in welcher kein Akteur die Verantwortung der Behandlung und der Rehabilitation übernimmt. Dies wiederum kann ursächlich für eine bis dato nicht ausreichend gelingen wollende Integration und Teilhabe von Menschen mit seelischen Behinderungen betrachtet werden (vgl. Vieth 2009, 2ff). Die WHO reagierte auf diese Entwicklungen im Gesundheitsreport von 2001 und fordert eine verstärkte Orientierung weg von psychiatrischen Krankenhäusern einerseits und Langzeiteinrichtungen der Eingliederungs-/Behindertenhilfe andererseits, hin zu einer gemeindeorientierten Versorgung. Sie begründete dies nicht nur anhand einer stringenteren Einhaltung der Menschenrechte sowie der Einbeziehung ökonomischer Aspekte, sondern auch mit einer Verbesserung der Lebensqualität (vgl. Mc Daid/Thornicroft 2005, 1). In den Entwicklungen, die häufig in Systemineffizienzen wie Über-, Unter-, und Fehlversorgung münden, bleiben auch ökonomische Aspekte nicht unberücksichtigt. Der steigende Kostendruck führt auch zu der Forderung, die Behandlung mittels gezielter Steuerung zu optimieren, Hospitalisierungen zu vermeiden sowie ambulante Versorgungsformen weiter auszubauen. Ewers und Schaeffer (2005, 8ff) weisen in diesem Zusammenhang auf eine Desintegration und Diskontinuität im Sozial- und Gesundheitswesen hin, welche ihre Ausgangslage in besonderem Maße in der Trennung zwischen „ambulant“ und „stationär“ finden. Der mangelnde Informationsaustausch zwischen beiden Settings und der häufige Verlust von Informationen und Ressourcen im Austausch zwischen den Systemen führt nicht nur zu höheren Kosten sondern auch zu einem erhöhten Risiko, Rückfälle zu provozieren. Eine ähnliche Problematik vollzieht sich auch innerhalb des ambulanten Sektors, da hier zahllose Versorgungsangebote mit unterschiedlichen Zuständigkeiten bestehen, die für die Betroffenen wenig transparent und nachvollziehbar erscheinen. Aufgrund einer hieraus entstehenden erhöhten Zugangsbarriere wächst die Wahrscheinlichkeit der zuvor erwähnten Desintegration und Diskontinuität. Als weiterer Risikofaktor wächst die Gefahr einer Fehlversorgung gerade bei einem Personenkreis, der einen komplexen Versorgungsbedarf hat und Zugang zu unterschiedlichen Leistungen und deren Anbietern finden müsste, um eine adäquate Versorgung sichergestellt zu wissen (vgl. ebd.). Auch durch die fehlende Beachtung und Einbeziehung individueller Ressourcen im weiteren Behandlungs- und Betreuungsprozess, wie zum Beispiel des sozialen Umfelds, werden wichtige präventive Aspekte der Genesung oder Rehabilitation unberücksichtigt gelassen. Dabei ist festzuhalten, dass die Fragmentierung des Gesundheitswesen keineswegs fachlich begrünSeiten 16 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil det werden kann, sondern in seiner jetzigen Form historisch gewachsen ist und ganzheitliche Behandlungskonzepte behindert (vgl. Melchinger 2008, 8)9. Diese Fragmentierung lässt nur den Patienten selbst Auskunft geben, welche Angebote dieser in Anspruch genommen hat. Neben einer mitunter lückenhaften Dokumentation der Leistungen ist auch durch unterschiedliche Zuständigkeiten der Kostenträger sowie einer bestehenden Trägervielfalt ein klarer Nachweis der Leistungen sowie der Kosten deutlich erschwert. Eine weitere Hürde in der Versorgung stellt die häufig zu starke Trennung von Behandlung und Rehabilitation dar, die eine Behandlung mit dem akuten Krankheitsbild und der Notwendigkeit einer pharmakologischen Behandlung gleichsetzt, während die Rehabilitation meist erst im Anschluss mittels psychosozialer10 Unterstützungsformen einhergeht. Trotz eines Ausbaus der gemeindepsychiatrischen Versorgungsformen weisen Berhe und Kollegen (2005) auf die langjährige Fokussierung dieser Dienste auf die Nachsorgebehandlung hin. Der Aspekt der Vermeidung von Rehospitalisierung wurde dementsprechend vernachlässigt (vgl. ebd., 822; Kopelowicz/Libermann 2003,1491). Auch Baer und Kollegen (2009) finden die aktuelle Entwicklung in der psychiatrischen Versorgung insofern problematisch, als es zu einer Trennung zwischen biologisch orientierter Behandlungskonzepte und sozialpsychiatrischer Herangehensweisen (vgl. ebd., 22ff)11. Dies mündet weiter in eine Zersplitterung der Zuständigkeiten innerhalb derer die Leistungen der Akutversorgung im Rahmen der Krankenkassen und die Maßnahmen der (Wieder-)Eingliederung über die Sozialhilfeträger abgerechnet werden. Dabei bestehen nach Kopelowicz und Libermann (2003, 1495) in allen Stadien der Krise Anteile, diese entsprechend zu behandeln, gleichzeitig bereits in den Rehabilitationsprozess einzusteigen und im weiteren Verlauf die Ebene der Behandlung nicht außen vor zu lassen. Dies beinhaltet auch die Aufforderung, einen integrativen Versorgungsansatz zu verfolgen und hiermit dem Recoverygedanken gerecht zu werden. Hierauf könnten Konzepte wie etwa Assertive Community Treatment oder aber Home Treatment geeignete Antworten darstellen, indem sie langfristig mittels zeitlicher Leistungsdichte, größerer 9 Auch die Trennung zu anderen Kostenträgern, wie etwa der Rentenversicherung, ist ebensowenig fachlich begründbar, sondern entspringt einer jahrzehntelangen Entwicklung (vgl. Melchinger 2008, 8). 10 Der Begriff „psychosozial“ wird analog für den Begriff der „komplementär“ verwendet. 11 Die Veröffentlichung stammt aus der Schweiz, lassen sich aber gut auf das deutsche Versorgungswesen transferieren. Seiten 17 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Behandlungskonstanz sowie einer stärkeren Leistungsdifferenzierung tätig werden (vgl. ebd.; Kap. 2.3). 2.2 Aktuelle Aspekte zur psychiatrischen Versorgung Innerhalb der letzten Jahre kam es zu enormen Umbrüchen innerhalb der Institutions-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte. Damit hat sich nicht nur das Gesundheits- bzw. Krankheitsverständnis zu Teilen verändert, sondern auch die daraus resultierende Behandlung. Historische Einflüsse und damit verbundene strukturelle Bedingungen in der psychiatrischen Versorgung stellen zusätzliche Faktoren für wachsende Ausgaben in der Gesundheitsversorgung dar. Daher soll ein kurzer Blick auf diese Entwicklungen und Prozesse erfolgen. 2.2.1 Die Psychiatriereform und der aktuelle Stand Durch das Demokratisierungsbestreben Ende der 1960er Jahre motiviert, beauftragte der Deutsche Bundestag eine Expertenkommission, die 1975 die Psychiatrie-Enquête einführte. Diese gab den fachlichen Impuls zur Deinstitutionalisierung und Dezentralisierung (vgl. Gaebel 2005, 41). Sie kritisierte die Menschenrechtsverletzungen der Psychiatrie der 1950er und 1960er Jahre, die sich in besonderem Maße an einem naturwissenschaftlichen Objektivismus unter dem Aspekt von originär biologischen Krankheitsmodellen und entsprechenden Behandlungsformen orientierte (vgl. ebd.). Durch eine verstärkte Betonung auf anthroposophische Aspekte und damit einer Individualisierung von Norm- und Krankheitsverständnis, wurden Forderungen zur praktischen Umsetzung wie auch politischer und medialer Veränderungen erhoben. Die stationäre Versorgung sollte entsprechend der Enquête reduziert werden und damit ambulanten, teilstationären und psychosozialen Einrichtungen in Wohnortnähe Vorrang gewähren - ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist und regionale Unterschiede aufweist (vgl. Gaebel 2005, 41ff; Krumm/Becker 2005, 179ff; Weinmann/Gaebel 2005, 809). Die damalige Deinstitutionalisierung rückte vermehrt soziale und individuelle Aspekte, aber auch Fragen nach den geeigneten Versorgungsangeboten in den Mittelpunkt. Damit reichte eine pathologisierende Herangehensweise nicht aus und den Bedürfnissen der Seiten 18 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Betroffenen sowie der Einbeziehung des sozialen Lebensumfeldes wurden zunehmend Beachtung geschenkt (vgl. Gaebel 2005, 41ff). Der Begriff Mental Health zeigt die Komplexität seelischer Gesundheit wie auch die Folgen einer seelischen Störung sowohl für die Betroffenen wie auch einem Land und der hierin subsumierten Gesellschaft. Innerhalb der vorliegenden Arbeit findet er daher immer wieder Verwendung. Er impliziert eine Orientierung weg von einem defizitorientierten Krankheitsverständnis hin zu einem Gesundheitsverständnis, in welchem inbesondere (sekundär-)präventiven Maßnahmen Rechnung getragen wird. Die WHO definiert Mental Health12 wie folgt: „Zustand des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen.“ (WHO 2005, Europäische Kommission, Grünbuch, 4) Die Verwendung des Begriffs Mental Health bietet die Möglichkeit, Vorurteile gegenüber der psychiatrischen Versorgung zu überwinden, indem durch eine gesamtgesellschaftliche Perspektive nicht mehr nur das Individuum für seine Störung wie auch die Gesundung als verantwortlich betrachtet wird. Die WHO veröffentlichte hierzu das „Grünbuch“ mit Strategien, die nicht nur der Wohlstandsentwicklung sondern auch der Lebensqualität der Bürger dienen sollen. Jedoch werden keine konkreten Umsetzungsmaßnahmen erläutert und die Strategien bleiben sehr allgemein (vgl. Becker et al. 2008, 19ff). Konkreter hinsichtlich Behandlung und Versorgung wird die Europäische Erklärung zur psychischen Gesundheit (WHO 2005, 36), die dafür plädiert, gemeindenahe multiprofessionelle Dienste mit einer 24-stündigen Erreichbarkeit einzuführen und Krisenversorgung am Wohnort zu ermöglichen, um damit Krankenhausaufenthalte zu vermeiden (vgl. Becker et al. 2008, 24ff). 12 Im Deutschen wird Mental Health oftmals mit „psychische Gesundheit“ übersetzt. Seiten 19 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Entsprechend der beschriebenen Entwicklungen und der geforderten Umsetzung dieser Vorgaben unterliegt die Versorgung im Bereich Mental Health in den westlichen Nationen nach Burns und Priebe (2004, 189f) einem kontinuierlichen und revolutionärem Wandel, der sich in einer über die letzten 20 Jahre zunehmenden Beforschung der gemeindeorientierten Versorgung abzeichnet, vor allem aber durch dieSchaffung zahlreicher neuer Versorgungsformen13. Doch auch wenn viele dieser Versorgungsformen ihre gesteckten Ziele erreicht haben, konnten einige diesen Anforderungen nicht genügen oder mussten ihr Konzept verändern. Häufig mangelte es dabei an Evidenznachweisen. Daher halten sich gängige stationäre Versorgungsformen, die sich in den letzten Jahren in ihrer Praxis nur wenig verändert haben, weiter hartnäckig. Burns und Priebe (2004) kommen aufgrund dieser Tatsache zu dem Schluss, dass ein Ausbau evidenzbasierter Forschung und Studien im psychosozialen Bereich weiterhin notwendig und zugleich optimierungsbedürftig ist. 2.2.2 Seelische Krise und psychiatrischer Notfall – ein Überblick Um die Möglichkeiten einer gemeindeorientierten Versorgung im Hinblick auf die Versorgung akuter seelischer Störungen wie auch die Notwendigkeit stationärer Behandlung zu erläutern, die wiederum als Überlegungen für die im empirischen Teil vorgestellten Erkenntnisse dienen sollen, muss zunächst eine Unterscheidung von seelischer Krise und psychiatrischem Notfall erfolgen. Der psychiatrische Notfall entspringt der Medizin und ist das Pendant des medizinischen Notfalls. Dabei wird in der Akutversorgung der psychiatrischen Notfälle ähnlich vorgegangen wie innerhalb der somatischen Akutbehandlung. So sind klare Abläufe nötig, die eine schnelle Entscheidung über geeignete Behandlungsmaßnahmen ermöglichen. Parallel hierzu entspringt der Krisen begriff nach Sonneck (2000, 15) nicht der psychiatrischen Diagnostik und „stellt somit keine eigene Krankheitseinheit dar“. Er beschreibt jedoch die Dringlichkeit, aufgrund derer sofortige Interventionen notwendig sind, um eine Ver schlechterung des Zustandes, eine daraus möglicherweise resultierende Chronifizierung oder aber mögliche Suizide zu verhindern (ebd.). Rupp (2003, 3) verwendet daher den Begriff des seelischen Notfalls, der unmittelbare Inter- 13 Alleine in Großbritannien wurden in den letzten Jahren 260 Assertive Outreach Teams, 360 Crisis Resolution/ Home Treatment Teams und 50 Early Intervention Teams geschaffen (Burns/Priebe 2004, 189f; Kap. 2.3.2). Seiten 20 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil ventionen erfordert, jedoch nicht grundsätzlich mit jenen Interventionen gleichzusetzen sind, die innerhalb des psychiatrischen Notfalls erfolgen sollten. Dabei beschreibt er die drohende Eigen- oder Fremdgefährdung wie auch eine akute Überforderung von Angehörigen als Handlungsauslöser für unmittelbare Interventionen. „Damit soll eine vermeintliche oder tatsächliche akute Gefahr für seelische Integrität, Leib und Leben abgewendet werden. Die bisherige Problembewältigung versagt, was nicht nur mit dem seelischen Gleichgewichtsverlust des Klienten, sondern ebenso sehr mit einer Überforderung seines Beziehungsnetzes zusammenhängt.“ (Rupp 2003, 2) Er bringt damit in seiner Definition der seelischen Krise auch das Umfeld der Betroffenen in das Geschehen sowie die Interaktion mit diesem. Weiter beschreibt er, dass „jeder seelische Notfall auch ein psychosozialer Notfall ist“ (ebd., 2). So ist der psychiatrische Notfall „sehr viel stärker durch die vitale Gefährdung und deshalb durch die Konzentration auf die Einzelperson“ ausgerichtet (Sauvant 2000, 46). Im Vergleich hierzu seien bei der Krise „personale und soziale Gefährdung unter Einbeziehung von Umgebungspersonen, längere Dauer und nichtmedizinische instrumentelle Hilfen im Vordergrund“. Betrachtet man diese Definitionen, lässt sich der Schluss ziehen, dass die seelische Krise nicht nur eine besondere Komplexität aufweist, sondern unterschiedliche Formen und Ausprägungen annehmen kann, die unterschiedliche Interventionen verlangen. Seelische Krisen und psychiatrische Notfälle schließen sich nicht aus, benötigen jedoch mitunter eine andere Versorgung (vgl. Schleuning/Welschehold 2003, 17). So ist festzustellen, dass der psychiatrische Notfall, der häufig sofortige Intervention erfordert, oftmals aus einer seelischen Krise herrührt oder aber letztlich eine seelische Krise darstellt und aufgrund unterschiedlicher Haltungen in den Notfall subsumiert wird. Weiter ist entsprechender Literatur zu entnehmen, dass die seelische Krise oftmals einem subjektiven Krisenverständnis folgt. Dabei stellt sich bei der seelischen Krise, stets die Frage nach Art und Ort der Versorgung. Nach Rössler (2000, 4) ist diese Frage regelmäßig mit einer stationären Aufnahme zu beantworten, da häufig keine alternativen ambulanten Angebote zur Verfügung stehen. Dies führt nicht selten zu einer Aufnahme gegen den Willen der Betroffenen, die wiederum häufig bereits am nächsten Tag das Krankenhaus verlassen, nachdem keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung feststellbar ist. Seiten 21 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Anzumerken ist außerdem, dass bei vielen Kriseninterventionen der Einsatz von Psychopharmaka nicht notwendig oder aber wie im Need-Adapted-Treatment häufig in einer geringen Dosierung ausreichend sein kann (Aderhold/Greve 2010, 10; vgl. Kap. 2.3.4). Werden viele Kriseninterventionsformen oftmals über eine wochen-, monate-, und zuweilen jahrelange Dauer in Anspruch genommen, sollte die eigentliche Krise nach erfolgreicher Intervention nach einigen Tagen oder Wochen überwunden sein14. Nach Ciompi (2000, 19) bedeutet die Heranziehung der Krisentheorie auch, den gesamten Kontext der Krise zu betrachten. Dies wird in der reinen Akutversorgung nur mittelbar umsetzbar sein. Dabei gilt es, die notwendigen Interventionen möglichst „rasch, gezielt und aktiv“ vorzuhalten, unter Konzentration auf das emotional vordringlichste Problem. Die erforderlichen Hilfen sind möglichst weitab von einer „Psychiatriekarriere“ anzustreben, so etwa in ambulanten Sprechstunden oder über aufsuchende Gemeindedienste. Eine weitere Dimension innerhalb der Versorgung von psychiatrischen Notfällen und seelischen Krisen ist daher die Niedrigschwelligkeit der vorgehaltenen Behandlungs- und Betreuungsangebote, also Hilfen rasch, im besten Falle innerhalb von 24 Stunden, zu gewährleisten (vgl. Rössler 2000, 4; Schleuning/Welschehold 2003, 98). 2.2.3 Die gestärkte Patientensouveränität Wohl in allen Bereichen der medizinischen Versorgung hält derzeit eine verstärkte Patientenorientierung Einzug und wird durch Politik, Leistungserbringer und Leistungsträger zunehmend hinsichtlich einer Nutzerorientierung in den Blick genommen. Unter anderem gewinnen die Selbsthilfe wie auch Interessensvertretungen vermehrt an Gewichtung, und auch neue konzeptionelle Antworten wie etwa das „shared decision making“ sind ein Hinweis auf die wachsende Einflussnahme der Patienten in die Behandlung oder aber in die Steuerung und Planung ebendieser. Auch im Bereich der psychiatrischen Versorgung wächst der Stellenwert der Nutzerbewegung zunehmend an und zeichnet sich etwa durch eine trialogische Vernetzung aus15. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf 14 An längerfristige Hilfen ist beispielsweise beim Erhalt bzw. der Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes und den hierfür oft auch zeitlich ausgedehnten Maßnahmen zu denken. 15 Der Begriff Trialog impliziert dabei eine Form der Beteiligungskultur und beinhaltet das partizipative Denken und Handeln von Betroffenen, Angehörigen und psychiatrisch Tätigen (Bombosch 2004) Seiten 22 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil der Stärkung von Selbsthilfe- und Rechtshilfe, dem Kampf gegen Diskriminierung und Stigmatisierung, der Entwicklung alternativer Behandlungs- und Betreuungsmodelle, der individuellen Patientenorientierung sowie der Mitgestaltung auf politischer Ebene (vgl. Amering/Schmolke 2006, 21). Die Forderungen orientieren sich weiter daran, dass in einer demokratischen westlichen Gesellschaft Annahmen einer selbstbestimmten und kritischen Haltung folgerichtig sind. Menschen, die etwa an einer schizophrenen Störung erkrankt sind, erfahren demnach mehr Lebensqualität, wenn sie sich bezüglich der Therapiearten wie auch der theoretischen Erklärungsmodelle hierzu eine eigene Meinung bilden können (vgl. ebd., 22). Gerade im Bereich der seelischen Störungen hat sich in den letzten Jahren eine große Bewegung derer herauskristallisiert, die sich verstärkt für Aspekte der Autonomie, Patientenverantwortung, Selbstbestimmung sowie des Empowerments einsetzen. Der Patient als mündiger Bürger führt auch in der psychiatrischen Versorgungskultur zu einer Orientierung an dessen Belangen, hebt die Anerkennung und Förderung seiner individueller Kompetenzen in den Vordergrund und betont seine Patientensouveränität. Die Stärkung des mündigen Patienten wurde dabei neben sozialund antipsychiatrischen Strömungen in den letzten Jahren auch in der Politik integriert (vgl. ebd., Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 2009, 7ff). Folgende Aspekte können dabei die Einbeziehung der Betroffenen ermöglichen: individuelle Ebene: Möglichkeit der gemeinsamen Ausarbeitung des Hilfe-/Behandlungsplanes Planungs- und Steuerungsebene: Beteiligung von Psychiatrieerfahrenen/Experten in eigener Sache an der Fort- und Weiterentwicklung von psychiatrischen/psychosozialen Versorgungsangeboten; Einbindung von Betroffenen in die Qualitätssicherung wissenschaftliche Ebene: Beteiligung Betroffener an Versorgungsforschung politische Ebene: Einbindung von Betroffenen in Verbänden und Gremien, als Vertreter bestimmter Interessensgruppen (Becker et al. 2008, 114). Seiten 23 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Derzeit stellen diese Möglichkeiten nur mögliche Vorgaben dar, Politik, Kostenträger und Leistungserbringer bekunden Absichtserklärungen hierzu. Das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem wird aus historischer Tradition durch unterschiedliche Interessensverbände und Akteure aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien geprägt, so dass die Gefahr besteht, dass Gesundheitsförderung, Prävention und die Förderung von Lebensqualität zunehmend ins Hintertreffen geraten und durch ökonomische Aspekte ersetzt werden. Da Modelle einer Integrierten Versorgung nach §140 a ff SGB V an den genannten Aspekten ansetzen, aber zugleich dem Auftrag einer verstärkten Nutzerorientierung nachgehen soll, werden nun kurz einige Entwicklungen der Nutzerorientierung vorgestellt, die wiederum als Grundlage für die Tätigkeit des NWpG München herangezogen werden können (vgl. Greuel/Mennemann 2006, 43). Durch eine stetige Diversifizierung innerhalb der medizinischen Fachgebiete sowie aufgrund technologischer Entwicklungen konnten bestehende Erkrankungen vermehrt diagnostiziert, erklärt und zu Teilen erfolgreich behandelt werden. Zudem diversifizierte sich die Medizin in spezielle Fachgebiete und die Behandlung richtet sich in erster Linie auf akute Ereignisse aus. Die Betroffenen selbst werden oftmals nicht beteiligt, wie auch auf deren individuellen Bedürfnisse nicht eingegangen wird (vgl. Scheibler et al. 2005, 23f). Dies führt zu Unzufriedenheiten bei Patient wie Arzt und oftmals auch zu einer Suche nach alternativen Behandlungs-, und Heilmethoden, wie auch zu einer hohen Fluktuation bei der Arztwahl, was die Gefahr einer Fehlbehandlung fördern kann. Parallel hierzu ist die Autonomie der Patienten aufgrund einer verbesserten Aufklärung über Erkrankungen, potentielle Therapiemethoden wie auch deren Ursachen gewachsen. Mittels einer gemeinsamen Entscheidungsfindung wird ein kontinuierlicher Informationsfluss zwischen Patient und Arzt besser gewährleistet - beide sind nicht nur am Prozess, sondern auch in der aktiven Gestaltung und Umsetzung eng beteiligt (vgl. ebd.). Aus der Bürgerrechts- und Konsumentenbewegung der 1960er Jahre herrührend fand das Shared Decision MakingModell (Partizipative Entscheidungsfindung) seinen Weg in die medizinische Versorgung. Ausgehend von den Grenzen der Medizin und der Kritik am biologisch orientierten Krankheitsmodell sollten vermehrt subjektive Aspekte und Bedürfnisse der Patienten in die Behandlung einfließen16. Der Einbezug der Nutzer in den Behandlungsprozess und die Hilfe- und Behandlungsplanung entspricht der 16 http://www.bertelsmann-stiftung.de, 2005 Seiten 24 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Förderung und Stärkung der individuellen Ebene. Dabei steht die Autonomie und damit verbundene Aspekte, wie etwa die selbst gewählte Lebensform als ethisches Prinzip im Vordergrund. Die Entscheidungen über Behandlung und Lebensform sollen als gleichberechtigter Prozess zwischen Helfer und Betroffenen ausgehandelt werden. Weg von einem hierarchischen Behandlungsmodell haben sich über die letzten Jahrzehnte Einflüsse für eine Behandlung „auf Augenhöhe“ stark gemacht, die damit auch ethische Fragen hinsichtlich der Autonomie berühren17. Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle das aus der Antipsychiatrie-Bewegung rührende Empowerment-Konzept, welches ebenso das Krankheitsverständnis in den Hintergrund rücken lässt und vielmehr an Fähigkeiten und Ressourcen der Betroffenen ansetzt und den „empowered consumer“ in den Mittelpunkt rückt (Amelung et al. 2009, 5). Es soll die Betroffenen als Experten ihrer eigenen Sache stärken und im Sinne einer Nutzer- oder aber Kundenorientierung alte hierarchische Behandlungskonzepte unbeachtet lassen. Die Nutzer und deren subjektives Verständnis ihrer individuellen Interessen stehen im Mittelpunkt, vor allem Hoffnung im Sinne von Recovery ist möglich und zu fördern. Professionelle Helfer sollen mit den Nutzern in einen gemeinschaftlichen Austausch treten, mit diesen über mögliche Frühwarnzeichen diskutieren und einen gemeinsamem Krisenplan erstellen. Dabei darf dies nicht im Sinne einer Kontrollfunktion geschehen, sondern soll die Selbstverantwortung und Autonomie fördern18. Dies wiederum bedeutet, die Nutzer mit den notwendigen Informationen über Versorgungs- und Behandlungsformen auszustatten, um sie zu befähigen, aus diesen Möglichkeiten zu wählen. Gelingt dies, bestehen gute Prognosen hinsichtlich eines besseren Verlaufs der Symptomatik (vgl. ebd.). Demzufolge sollte die Begleitung und Behandlung der Betroffenen nicht an Diagnosen ausgerichtet sein. 17 Nach Applbaum (2009, 112ff) stellen Shared Decision-Programme die Gefahr, als rein marktwirtschaftlich orientierte, sozialwissenschaftlich fundierte Strategien verwendet zu werden. Dies bedeutet nicht nur den Absatz der Medikamente zu erhöhen, sondern zugleich die „burden of disease“ zu verringern. Studien belegen, dass ein Absetzen der Medikamente insbesondere bei schizophrenen Störungen zu Rückfällen und damit zu erhöhten Kosten für die Sozial-, Renten- und Krankenversicherungen führen kann. Auch im Hinblick der AntistigmaProjekte ist es interessant, den ökonomischen Einfluss näher zu betrachten. Viele Menschen scheuen sich, zu Medikamenten zu greifen. Eine öffentlichkeits wirksame Aufklärung hierzu führt letztlich auch zu einem erhöhten Absatz dieser und ist vor allem für Pharmaunternehmen ein willkommener Effekt. 18 Lauber und Rössler (2005, 214) weisen in diesem Zusammenhang auf die Vorrangigkeit einer ambulanten Behandlung und soweit erforderlich einer möglichst kurzen stationären Behandlungszeit hin.. Seiten 25 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil „Nicht die Anpassung um jeden Preis ist gefragt, sondern die individuelle und kooperative Suche nach subjektiven Bedeutungen. Wir müssen Einsicht nehmen, weniger in eine abstrakte Krankheit, als in die konkreten Lebensumstände und die besondere Entwicklung eines bestimmten Menschen“ (Bock 2010, 66f) Der hierunter zu inkludierende Anspruch zeichnet sich durch „Lebensqualität und innere Kraft“ aus und konnte als stützendes Element nachgewiesen werden (vgl. ebd., 67). Ansetzend an den Empowermentgedanken verbreitete sich in den letzten Jahren zunehmend die Idee von Recovery, die als personenbezogener Ansatz die persönliche Verantwortung der Betroffenen nicht im Sinne einer Schuldzuweisung oder aber eines persönlichen Versagens zitiert, sondern vielmehr den Wunsch, die Autonomie auch und gerade hinsichtlich der psychischen Störung wie den oftmals hierdurch bedingten Beeinträchtigungen nachhaltig zu stärken. Zudem zielt der Ansatz auf die Hoffnung ab, die nicht unbedingt in eine Genesung mündet, sondern auch mit oftmals langwierigen und belastenden Einschränkungen ein selbstbestimmtes und verantwortliches Leben ermöglichen soll. Die oftmals vulnerable Identität soll gestärkt und dadurch als Sinn stiftend erlebt werden (vgl. Slade 2010, 7)19. Recovery zielt neben den Beeinträchtigungen auch auf die Stärken, Ressourcen, Wünsche und Träume der Betroffenen ab und spiegelt sich in persönlichen wie klinischen Aspekten. Daher interessieren sich nicht nur Betroffene für diesen Ansatz, sondern auch die Versorgungsformen bzw. Institutionen wollen ihn vermehrt aufgreifen (vgl. ebd.). Der Ansatz wird auch in das Mental Health-Konzept eingebaut. Auf diese Weise orientiert sich die Betrachtungsweise nicht mehr nur auf die Krankheit oder deren Abwesenheit, sondern greift zusätzlich folgende Aspekte auf: 19 Am Rande soll hier kurz das Modell der Salutogenese erwähnt werden, in welchem Antonovsky (1997, 45) bereits in den 1970er Jahren dafür plädierte, über Faktoren nachzudenken, die einer Gesundung zuträglich sind und sich damit für eine Abkehr des traditionell lange vorherrschenden Krankheitsverständnisses einsetzte. Die Betonung der Salutogenese soll dabei nicht mehr nur krankheitsbedingende Faktoren und Stressoren, sondern die Copingressourcen in den Blick nehmen. Dies bedeutet auch, dass Stressoren nicht per se etwas schlechtes sind, sondern allgegenwärtige Risikofaktoren oder aber die täglichen Herausforderungen und Widrigkeiten des Lebens darstellen. Seiten 26 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil „Deficiencies and undermining characteristics of the person Strengths and assets of the person Lacks and destructive factors in the environment Ressource and opportunities in the environment“ (Slade 2010, 7). Oftmals hat die Planung der Behandlung oder Versorgung noch eine stark defizitorientierte Ausrichtung, die sich nur wenig mit individuellen Copingstrategien oder persönlichen Ressourcen auseinandersetzt (vgl. ebd.). Amering und Schmolke (2006, 21f) sehen daher im Recovery-Konzept die Möglichkeit, auch mit oder unabhängig der Erkrankung das Selbstgefühl zu wahren, und beschreiben die Notwendigkeit, Selbstbestimmung und Verantwortung so viel und so lange wie möglich im Sinne eines gelungenen Empowerments zu wahren. In der psychiatrischen Versorgung sollten also Angebote personenzentriert und flexibel sowie mobil gestaltet werden. Die lebensfeldorientierten Hilfen sollen keineswegs einem Schema folgen und psychosoziale Hilfen erst dann gewähren, wenn zuvor auch die Bereitschaft zur Medikamenteneinnahme hergestellt wurde. Sie sollen einerseits evidenzbasierte Interventionen anbieten, die eine Objektivierbarkeit gewährleisten. Andererseits sollen sie die Möglichkeit subjektiv geprägter und kreativer Interventionen ermöglichen, welche die Autonomie des Einzelnen in den Mittelpunkt rücken. Recovery beinhaltet damit Hoffnung, Macht, Empowerment und Lebenssinn. Professionelle Helfer, wie auch Angehörige, sollen mittels einer positiven Grundhaltung und dem Glauben an eine mögliche Gesundung, integrativen und multidimensionalen Konzepten den Vorrang zu geben (vgl. ebd., 22). Beschäftigt man sich mit den derzeitigen gemeindeorientierten Versorgungseinrichtungen, zeichnet sich aktuell eine häufig noch starke Ausrichtung auf ein „chronic disease management“ (vgl. Becker et al. 2008, 169; Mendel 2010). In diesem finden sich die Nutzer kaum wieder, so dass vielmehr der RecoveryAnsatz, der sich explizit mit Fragen zur Lebensqualität beschäftigt, und damit eine verbesserte Identifikation ermöglicht, in den Vordergrund rücken sollte. Seiten 27 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil 2.2.4 Die Bedeutung des Sozialen Netzes und dessen Einbeziehung in die Versorgung Eine gemeindeorientierte Versorgung soll da ansetzen, wo es stationären Einrichtungen nicht möglich ist. Dies bedeutet, die betroffenen Menschen in ihrem individuellen Lebensumfeld anzutreffen, mit den hierin bestehenden sozialen Bezügen, dem sogenannten sozialen Netzwerk, welches wenn es tragfähig ist, ein wichtiger Faktor ist. Dabei ist anzumerken, dass viele Betroffene durch langwierige Episoden ihrer jeweiligen Störung oder aber aufgrund erneut auftretender Symptome nicht selten Schwierigkeiten haben, sich in diesem Umfeld zurechtzufinden. Oft kommt es aufgrund der Angst vor Stigmatisierung zu Rückzugsverhalten oder zu Abwendungen seitens des bislang bestehenden Umfeldes, während parallel vermehrt Kontakte zum professionellen Helfersystem hinzukommen. Dies wiederum nimmt Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen und damit auch auf den Verlauf der Erkrankung und den folgenden Beeinträchtigungen (vgl. Rüesch 2005, 199f). Infolge der zuvor beschriebenen Erfahrungen sind Mitglieder des sozialen Netzes häufig irritiert. Nicht selten ist dies durch Pflichtgefühle seitens Angehöriger und einem asymetrischen Verhältnis zu den Betroffenen gekennzeichnet. Für Angehörige kann dies eine hohe Belastung bedeuten und damit die Gefahr, durch ebendiese überfordert zu werden. Hierdurch wiederum erhöht sich für alle Beteiligten die Gefahr, erneut oder erstmalig an einer psychischen Störung zu erkranken (vgl. ebd.). Soziale Unterstützung bedeutet Resilienz und die Fähigkeit, mit Stressoren im psychosozialen Kontext umzugehen zu verbessern. Umgekehrt kann sich das Risiko ebendieser Stressoren und deren Auswirkungen erhöhen, wenn es an einem tragfähigen sozialen Netz mangelt. Eine erhöhte Lebensqualität durch stützende Beziehungen muss insofern angestrebt werden, als dass sie auch auf die Inklusion in der Gemeinde Einfluss nehmen kann. Da die Lebensqualität eng mit dem Netzwerk und dem seelischen Wohlbefinden korreliert, sollen kurz die Bereiche der subjektiven Lebensqualität benannt werden: Seiten 28 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil das körperliche Befinden sowie das psychische (emotionale, kognitive) Befinden die Zufriedenheit mit sozialen Beziehungen verhaltensbezogene/funktionale Aspekte, welche insbesondere die Wahrnehmung sozialer Rollen betreffen (vgl. Rüesch 2005, 202) Interventionen innerhalb des bestehenden sozialen Netzes nehmen daher eine wichtige Rolle ein, bedeuten aber auch eine besondere Anforderung, da sowohl die Bereitschaft der Betroffenen wie auch der Beteiligten vonnöten ist (vgl. ebd.). Die sogenannten Netzwerkinterventionen sollen der Aktivierung und Förderung von Hilfepotenzialen im jeweiligen Netzwerk dienen. Dabei kommen folgende Interventionsebenen zum Tragen: Interventionsebene Individuum: Die Betroffenen sollen im Sinne des Empowerments befähigt werden, sich ihr Lebensumfeld entsprechend der eigenen Bedürfnisse zu gestalten. Unter anderem schlägt Rüesch (2005, 207) den Einsatz von Laienhelfern vor, die Betroffene bei der Freizeitgestaltung unterstützen, die sich sonst eher sozial isolieren würden. Interventionsebene Angehörige: Den Angehörigen soll die Möglichkeit der Entlastung eingeräumt werden. Zudem sollen Wissen um die Erkrankung und damit auch Kompetenz im Umgang mit der seelischen Störung oder Behinderung vermittelt werden. Hinzu kommt die Stärkung der sozialen Vernetzung mit anderen, sei es über Freunde und Bekannte oder aber Angehörigengruppen (vgl. ebd., 207f). Seiten 29 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Interventionen am weiteren sozialen Netzwerk Häufig kann es innerhalb des gesamten Netzwerks zu Irritationen kommen und sich so die Gefahr von weiteren Stressoren abzeichnen. Insofern gilt es auch hier, das bestehende Netz einzubeziehen, zu informieren und über mögliche Therapieziele aufzuklären bzw. mit anderen Beteiligten in der Versorgung abzustimmen. Dies wiederum kann in der sogenannten Netzwerkkonferenz erfolgen, in der ausgewählte und für den Betroffenen wichtige Personen teilnehmen sollten (vgl. ebd., 207f; Kap. 2.3.4). Welche besondere Bedeutung es hat, das soziale Umfeld in die Intervention einzubeziehen, wird auf auch von Klingberg und Kollegen (2009, 103f) im Zusammenhang mit schizophrenen Störungen betont. Sie weisen auf die Überlegenheit psychosozialer Interventionen mit soziotherapeutischem Schwerpunkt gegenüber einer rein medikamentös orientierten Behandlung hin. Immanent ist auch hier die Einbeziehung der Betroffenen in eine auf die Handlung abzielende Intervention und die gleichzeitige Förderung der Autonomie (vgl. ebd.). Im Kontext mit dem sozialen Netz sollen hieraus resultierend beide Seiten, die des Betroffenen und die des Umfelds, integriert werden. Im Zusammenhang mit den professionellen Helfern, welche häufig einen Teil des sozialen Netzes darstellen, bedeutet dies, alle Beteiligten in einzubeziehen und deren Multidisziplinarität zu fördern. Seiten 30 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil 2.3 Ausgewählte Modelle der ambulanten Versorgung Die aktuellen Diskussionen bezüglich einer gemeindeorientierten Versorgung zur Vermeidung von stationären Aufenthalten vermischen sich häufig in den unterschiedlichen Versorgungsansätzen, wie dem Home Treatment (HT), dem Assertive Community Treatment (ACT) oder aber dem Case Management (CM). Um im weiteren Verlauf der Arbeit die Tätigkeit des NWpG vorzustellen, die auf diese Ansätze Bezug nimmt, sollen diese zunächst Gegenstand der Betrachtung werden. Alle integrierten Versorgungsansätze verfolgen das Ziel, die Versorgung mittels Gemeindeorientierung und Personenzentrierung zu verbessern und damit dem Grundsatz „ambulant vor (teil-)stationär“ gerecht werden zu wollen. Sie unterscheiden sich jedoch in der personellen wie strukturellen Ausstattung, entsprechen sich aber eine Alternative zur stationären Behandlung darzustellen oder diese zu verkürzen (vgl. Burns et al. 2001, 375). 2.3.1 Case Management Seine Ursprünge findet das Case Management (CM) im 19. Jahrhundert in den USA und war dort zunächst eine Domäne der sozialen Arbeit (vgl. Ewers 2005, 29, 41). Das CM hat sich seither divfferenziert, sowohl im methodologischen Sinne, wie auch in der Verortung des CM. Ähnlich dem ACT beschreiben Berhe und Kollegen (2005, 822f) die Ausrichtung des CM auf eine nachgehende Behandlung, die im Sinne einer Stabilisierung und Rehabilitation medizinischpsychiatrische, wie auch psychosoziale Hilfen in der Gemeinde anhand des Einzelfalles steuert und koordiniert. Der Grundgedanke des CM ist dabei anders als beim ACT oder dem HT, die Koordination durch eine Einzelperson. Der Case Manager ist nicht in einem originären Teambezug tätig und versorgt im Rahmen des „case loads“ eine festgelegte Anzahl von Patienten weitgehend alleine. Das CM wurde zunächst für Menschen mit schweren psychischen Störungen installiert. Zugrunde gelegt wurde eine kontinuierliche, integrierte Versorgung über die Grenzen von Organisationen und Professionen hinweg. Weiter soll es die bisher häufig noch kaum vereinbare Kombination von kurativ ausgerichteter Medizin und der weiteren rehabilitativen Betreuung ermöglichen Seiten 31 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil (vgl. Ewers 2005, 31f)20. Es ist als Managementkonzept in Verbindung mit ökonomischen Aspekten zu betrachten, darf jedoch insbesondere im Hinblick auf Interessen einer Managementgesellschaft, welche sich mittels Managed Care Prinzipien eng an wirtschaftlichen Interessen bewegt, nicht rein hierzu instrumentalisiert werden (vgl. Ewers 2005, 44f)21. Nachdem auch in Deutschland das Potential für die Methode des Case Management erkannt wurde, fand es Ende der 1980er Jahre im Sinne eines „Unterstützungsmanagements“ zunehmend Einzug in die Sozial- und Gesundheitsversorgung. Das CM kann an unterschiedlichen Stellen verortet werden, wie etwa bei den Leistungserbringern oder aber bei neutralen Instanzen, sogenannten Koordinierungsstellen, welche sich jedoch in Deutschland bislang kaum etabliert haben (vgl. Ewers 2005, 14). Eine weitere Form ist direkt bei den Kostenträgern angesiedelt, etwa den Krankenkassen. Dies findet zunehmend Anwendung, bringt jedoch auch Schwierigkeiten mit sich (vgl. ebd., 16). So liegt auch hier der Gedanke von Managed Care zugrunde, wobei dem CM nicht nur die Fallsteuerung sondern auch die Funktion der Kontrolle obliegt. Dabei erklärt Ewers (2005, 17) weiter, dass die hier angesiedelten Sachbearbeiter selten eine klinische Ausbildung mitbringen und zudem oftmals mehrere Personen an einem „Fall“ arbeiten, da das System innerhalb der Krankenkasse in eine sektorale Gliederung unterteilt ist und damit andere Zuständigkeitsbereiche eröffnet werden. Das CM angesiedelt bei den Leistungserbringern, wird in Deutschland häufig mit Verträgen der Integrierten Versorgung in Verbindung gebracht, wie etwa den „Hausarzt-Modellen“ (vgl. ebd., 16). Dabei zielt das dort verortete CM auf die direkte Beeinflussung des Leistungsgeschehens und der damit verbundenen Möglichkeit, unmittelbar zu reagieren. Es soll mittels systematischer Steuerung dazu dienen, die Reibungsverluste zwischen „ambulant-stationär“ oder aber „medizinisch-sozial“ zu minimieren und dabei einer optimierten ambulanten Versorgung zuträglich sein. Als problematisch zeichnet es sich oftmals an den 20 Dies berührt die aus der Trennung durch die Sozialgesetzbücher V und XII und die daraus resultierende Aufsplittung der Zuständigkeiten und einer damit bestehenden Unvereinbarkeit von „cure“ und „care“ (vgl. Kap. 2.3.1). 21 Die Nähe zu ökonomischen Aspekten führt zu Kritik, dass das CM nur auf wirtschaftliche Interessen der Leistungserbringer abzielt. Dies kann unter anderem der Tatsache geschuldet sein, dass bei der Übertragung bestehender Modelle in den USA oder Großbritannien zu wenig auf die unterschiedlichen Bedingungen und die Ausgangslage in Deutschland eingegangen wurde. So ist hier, anders als in den USA, der Fokus auf Effektivität und Effizienz zu legen, bei einem grundsätzlich relativ hohen Versorgungsniveau und einer großen Dichte an nebeneinander bestehenden Leistungsangeboten (vgl. Ewers 2005, 47). Seiten 32 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Schnittstellen der nachgeordneten nicht-ärztlichen Case-Manager aus, die eine Koordination vorrangig medizinischer Leistungen übernehmen sollen (vgl. ebd.). Länder wie die USA oder Großbritannien setzen das CM seit vielen Jahren ein, um Fragen nach Diskontinuität und Desintegration im Sozial- und Gesundheitswesen zu begegnen und um Ressorcenverluste sowie ineffizienten Mitteleinsatz zu vermeiden. Obwohl das CM auf einen komplexen Hilfebedarf seitens der Betroffenen reagiert und im Bereich der psychiatrischen Versorgung diverse Anlaufstellen und Leistungsanbieter mit unterschiedlichen Konzepten bestehen, ist festzustellen, dass sich das CM in Deutschland kaum verbreitet hat. Dies mag an den bisher noch kaum erarbeiteten „Aufgreifkriterien“ liegen oder aber einer zu engen Formulierung ebendieser (vgl. Ewers 2005, 18). In den Untersuchungen zum CM zeigen sich die Nutzer oftmals zufriedener mit der Versorgung als diejenigen der Standardversorgung, Behandlungsabbrüche fallen geringer aus. Die Krankenhausaufenthalte erhöhen sich tendenziell, während die Behandlungsdauer sinkt. Das CM scheint keinen oder nur wenig Einfluss auf die psychiatrische Symptomatik und das soziale Funktionsniveau zu nehmen (vgl. Weinmann/Gaebel 2005, 814). Ein nicht teamorientiertes CM wird zum aktuellen Standpunkt kritisch bewertet. Auch in den Modellen der Integrierten Versorgung wird die reine Koordination von Leistungen als nicht ausreichend gesehen, um den Bedürfnissen von Menschen mit schweren psychischen Störungen gerecht zu werden. Daher bleibt anzumerken, dass das CM in vielen Ländern durch teambasierte Konzepte, wie etwa dem ACT, ersetzt wurde (vgl. Weinmann/Gaebel 2005,116)22. 2.3.2 Das Assertive Community Treatment – Ursprung und Konzept Ähnlich den Entwicklungen in Deutschland kam es auch in den USA in den 1970er Jahren durch die Deinstitutionalisierung und die Öffnung der Heime zu Umbrüchen innerhalb der ambulanten Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und damit zu besonderen Anforderungen an die Koordination unterschiedlicher Hilfen (vgl. Kap. 2.4). Ursächlich für die Gestaltung gemeindeorientierter Dienste waren zudem auch dort die bestehende 22 Weinmann und Gaebel (2005, 116) sehen die nach §37a SGB V beschriebene Soziotherapie analog den Entwicklungen zum CM als Auslaufmodell, da sie sowohl an Outcomeparametern keine wirkliche Verbesserung aufweist und auch keine Integration der Leistungen ermöglicht. Seiten 33 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Fragmentierung des Gesundheits- und Sozialwesens, wie auch die besonderen Zugangsbarrieren zu den bestehenden Diensten und erhöhte stationäre Wiederaufnahmeraten (vgl. Burns 2010, 131). Ein Antwort stellte die Einführung des Assertive Community Treatment (ACT)23 dar, welches unter Einbeziehung von Behandlung, Rehabilitation und sozialer Unterstützung, die Versorgung sicherstellen sollte. Ende der 1960er Jahre von Stein und Test in den USA entwickelt, wurden Studien zum ACT der Fachwelt 1980 offiziell vorgestellt und zeigten einen deutlichen Rückgang von Krankenhausaufnahmen (vgl. ebd.)24. Das ACT ist bislang eine der am besten untersuchten gemeindeorientierten Versorgungsformen, was auch dem Umstand geschuldet sein mag, dass das ACT-Konzept mit klaren Inhalten und Vorgehensweisen beschrieben wurde. Die durch zahlreiche Studien belegten positiven Ergebnisse führten im Verlauf zu einer raschen Verbreitung des Ansatzes in den USA wie auch in Großbritannien und Australien25. Die Zielsetzung des ACT lautet, Menschen mit schweren und chronischen seelischen Störungen „in vivo“, also in deren Gemeinde und ihrem Zuhause, zu betreuen, um stationäre Wiederaufnahmen zu vermeiden (vgl. Kent/Burns 1996, 144). Dabei soll multiprofessionelle Hilfe über 24 Stunden gewährleistet werden. Der Fokus liegt auf einer nachgehenden aufsuchenden Behandlung durch mobile multiprofessionelle Teams, die den weiteren Behandlungsplan mit den Wünschen, Ressourcen und dem tatsächlichen Bedarf gemeinsam mit den Betroffenen gestalten. Nach Berhe und Kollegen (2005, 822) zielt das Konzept verstärkt auf die Behandlung und die Rehabilitation der Betroffenen in der Gemeinde ab und unterscheidet sich damit von psychosozialen Diensten in Deutschland. Die Angebote des ACT sollen zeitlich unbegrenzt und nicht nur auf einmalige Episoden ausgerichtet sein (vgl. Burns 2010, 132). 23 In Großbritannien unter dem Begriff Assertive Outreach bekannt (Becker et al. 2008, 126) 24 Führte der ACT Ansatz zu sinkenden Krankenhausaufnahmen, verhielt es sich im Case Management zumeist umgekehrt (Burns 2010, 131). 25 Um Begriffsverwirrungen zu vermeiden, wird in dieser Arbeit die Abkürzung ACT verwendet. Weitere Begriffe sind unter anderem PACT (Programm of Assertive Community Treatment) oder TCL (Training in Community Living) (vgl. Kent/Burns 1996, 143). In Großbritannien wurde das ACT im Rahmen des National Service Framework Mental Health festgesetzt. Seiten 34 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Assertive community treatment Psychotropic medication Symptoms and relapse Social skills training Crisis intervention, reduced hospitalization Supported employment Independent living and social relations Work Impairments Disabilities Handicap Rehabilitation readiness Abilities Participation The holistic integration of treatment and rehabilitation (Dar. 2, nach Kopelowicz/Libermann 2003: 1493) Das ACT basiert im Rahmen der Nutzerperspektive auf vier Bedürfnissen bzw. Anforderungen: „motivation to remain in the community, freedom from pathological dependent relationships, material resources and coping skills“ (Fiander et al. 2003, 251) Das ACT ist als eine besondere Form des Case Managements zu verstehen, in den europäischen Veröffentlichungen häufig mit Intensive Case Management (ICM) vergleichbar. Ihnen ist eine kleine Fallzahl gemeinsam, wie auch eine Versorgung über einen longitudinalen Zeitraum, die aufsuchend und unter Einbeziehung des sozialen Netzes stattfinden soll (Fiander et al. 2003, 249ff)26. Die einzelnen Teammitglieder übernehmen für ihre Klienten die Rolle eines „keyworkers“, stimmen sich aber auch mit den anderen Teammitgliedern ab. Stein und Santos (1998, 50) beschreiben das enge Zusammenwirken eines 26 Ähnlich des Intensiv Case Managements ist eine ungefähre Fallzahl von 1:10/1:15 vorgesehen, während die Fallzahl beim Case Management bei 1:30/1:45 liegt (Burns 2001, 175). Das Team umfasst nicht mehr als zehn bis fünfzehn Mitarbeiter, um einerseits eine 24-stündige Ansprechbarkeit zu gewährleisten und andererseits die Klienten und deren Geschichte zu kennen (vgl. Kent/Burns 1996, 146f). Seiten 35 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil multiprofessionellen Teams, in welchem sich jeder Beteiligte für die Versorgung verantwortlich fühlt, weisen aber auch auf die Bedeutung einer „Primary Contact Person“ hin, die den Prozess verantwortlich begleitet und damit die Funktion des Case Managements gewährleistet (vgl. Fiander et al. 2003, 249ff). Die Zielgruppe stellen Menschen mit psychotischen Störungen dar, wie etwa schizophrenen, schizoaffektiven und bipolaren Störungen, deren Rehospitalisierung oftmals einer nicht gelungenen Überleitung vom stationären Bereich nach Hause geschuldet war. Das Team sieht sich verantwortlich für die Versorgung der Betroffenen und bietet die notwendigen Unterstützungsleistungen weitestgehend selbst an, mit dem Anliegen, die Betroffenen mit dem Versorgungssystem in Kontakt zu halten (vgl. Weinmann/Gaebel 2005, 814). Dies inkludiert die Erstellung von Behandlungsplänen im Sinne eines Assessments, deren regelmäßiges Monitoring, die Krisenversorgung, wie auch eine langfristige ausgerichtete Beziehungsstabilität zu den Betroffenen sowie die Sicherstellung der häuslichen Versorgung und die Unterstützung im täglichen Leben, wie auch im Umgang mit dem sozialen Netz (Stein/Santos 1998, 42)27. Dabei werden auch Beeinträchtigungen ermittelt, die als Stressoren für einen potentiellen Rückfall gelten, wie etwa problematische interpersonelle Beziehungen. Reicht die Versorgung in Krisensituationen nicht aus und ist ein Krankenhausaufenthalt indiziert, wird das Team die Betroffenen nicht nur dorthin begleiten, sondern auch während des Aufenthaltes den Kontakt aufrechterhalten. Das Assertive Community Treatment konnte Verbesserungen im Bereich der Vermeidung von Rehospitalisierung, des sozialen Funktionsniveaus sowie der Patientenzufriedenheit nachweisen (vgl. Stein/Santos 1998, 126).Obwohl die Nachweise zum ACT zum Teil positiv sind, konnte sich das ACT in den USA zunächst nur schwerlich verbreiten. Skepsis basierte unter anderem darauf, dass die Ergebnisse auf ein besonders engagiertes und kreatives Personal oder aber auf die individuellen Umstände der Betroffenen und deren Gemeinde zurückzuführen seien (vgl. ebd.). In der Untersuchung der Ergebnisse des ACT ist darauf hinzuweisen, dass es sich um eine kostenintensive Versorgungsform handelt und daher innerhalb der Schizophrenie-Leitlinie der American Psychiatric Assocation für Betroffene 27 Einige der beschriebenen Module des ACT, wie etwa das Assessment oder das Monitoring, sind Hauptbestandteile das Case Management. Seiten 36 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil empfohlen wird, deren Wiederaufnahmenraten sehr hoch sind und die Verweildauer in den Krankenhäusern zudem 40 bis 50 Tage im Jahr erreicht (Klingberg et al. 2009, 108). Es zeichnet sich auch ab, dass nur bei der zuvor genannten Patientengruppe ein Rückgang der Krankenhausaufenthalte zu verzeichnen ist, während die Ergebnisse bei denjenigen, die nur wenige Krankenhausaufenthalte und -tage mitbringen, tendenziell schlechter ausfallen (Burns et al. 2007, 5f)28. Die Studien zum ACT über einen longitudinalen Verlauf belegen außerdem, dass ein Kontakt zum Team über unbegrenzte Zeit vonnöten ist, um einen langfristigen Effekt hinsichtlich der Krankenhausaufnahmen sicherzustellen (Burns 2010, 132). 2.3.3 Das Home Treatment – Ursprung und Konzept Seine Ursprünge findet das Home Treatment (HT) in der „crisis theory“ und im ACT-Konzept (vgl. Berhe et al. 2005, 822). Es stellt die konsequenteste Umsetzung von gemeindenaher Akutversorgung dar, da mittels ambulanter Krisenversorgung Krankenhauseinweisungen explizit vermieden werden sollen (vgl. Berhe et al. 2005, 822; Borg et al. 2010, 1). Die Betroffenen werden in Krisenzeiten intensiv begleitet und im weiteren Verlauf in die bestehende Regelversorgung vermittelt oder aber benötigen keine weitere Unterstützung mehr. Die Versorgung wird durch ein multiprofessionelles Team umgesetzt und orientiert sich an einem gemeinsam mit den Betroffenen erarbeiteten Behandlungsplan. Ein weiteres wichtiges Kriterium des HT ist die Behandlung am Wohnort, wodurch es sich maßgeblich von anderen bekannten Versorgungsformen, wie etwa psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung, unterscheidet. Anders als beim ACT oder dem Case Management ist die zeitliche Begrenzung der Behandlung ein wesentliches Kriterium der Versorgung, aber auch der Fokus der Krisenversorgung auf akut und schwer krisenhaft erkrankte Menschen. Die Begleitung durch das Team sollte die Dauer eines Krankenhausaufenthaltes demnach nicht übersteigen (Berhe et al. 2005, 822). 28 Hier können mehrere Ursachen zugrunde liegen, wie etwa, dass die gemeindeorientierten Dienste bereits sehr gut ausgebaut sind und damit auch die Nutzer erreichen, weshalb ein stationärer Aufenthalt nur bei einer dringenden Indikation umgesetzt wird. Eventuell leiden die Nutzer mit wenigen Krankenhausaufenthalten aber auch unter weniger stark ausgeprägten Störungen und partizipieren daher kaum von dem Versorgungsangebot des ACT. Auch in Regionen, in denen die durchschnittliche Krankenhausaufenthalte niedrig ausfallen, kann das ACT keine positiven Ergebnisse erzielen (vgl. ebd.). Seiten 37 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Die permanent verfügbaren Kriseninterventionsdienste29, die Hausbesuche auch unter Einbeziehung von Fachärzten anbieten, zielen auf eine flexible und bedürfnisorientierte Versorgung, die sowohl die Betroffenen als auch das soziale Netz einbezieht (vgl. Klingberg et al. 2009, 108). Sie sind 24 Stunden erreichbar und können mehrmals täglich zu den Betroffenen nach Hause kommen (Berhe et al. 2005, 824; Glover/Johnson 2008, 27; Johnson 2005, 69). Die multiprofessionellen Teams30 bestehen vergleichbar mit dem ACT, in der Regel aus Psychiatriefachschwestern -pflegern, Sozialarbeitern, Psychiatern und Verwaltungsmitarbeitern, wobei die Psychiater häufig nur im Rahmen der Supervisionen und Teamsitzungen im Sinne von fachärztlichen Beratungen tätig sind oder aber zu festgelegten Zeiten eingesetzt werden. Neben der Begleitung einer akuten Krise im gewohnten Lebensumfeld werden nicht nur die Symptome der aktuellen Krise betrachtet, sondern die Betroffenen erfahren zudem Unterstützung, grundsätzliche Themen und Probleme das Alltags zu bearbeiten. Dies wiederum stellt neue Anforderungen an die Mitarbeiter solcher Teams, birgt aber zugleich die Chance, Veränderungen ganzheitlich und basierend auf den Bedürfnissen der Betroffenen zu verankern (vgl. ebd.). Die Ergebnisse zum HT zeigten verringerte stationäre Wiederaufnahmeraten, allerdings nur in der Zeit, in der die Betroffenen Kontakt zum Team hatten. Die Angehörigen zeigten sich durch die Unterstützung der Teams eher bereit, die Betroffenen in ihrem Umfeld zu belassen und diese weiter zu unterstützen. Insbesondere bei Krisen in denen sich die Betroffenen freiwillig in stationäre Behandlung begeben hätten, ergaben sich innerhalb der Studien zum HT positive Ergebnisse. Insgesamt zeigt sich bei allen Nutzen eine erhöhte Behandlungszufriedenheit (vgl. Johnson et al. 2005, 73). Die Kosten sanken zunächst, bei näherer Betrachtung stellte sich jedoch heraus, dass die HT-Abbrecher und deren Aufnahme in eine Klinik angerechnet werden mussten und die Kosten dadurch anstiegen. Ob und inwiefern im Rahmen des HT eine kostengünstigere Behandlung möglich ist, lässt sich erst über einen longitudinalen Verlauf ausmachen. Ebenso geht aus den Untersuchungen nicht eindeutig hervor, für welche Indikationstellungen das HT geeignet ist. 29 In England firmieren diese unter dem Begriff Crisis Resolution and Home Treatment (CRHT). Angelehnt an die positiven Ergebnisse des Assertive Community Treatment in den USA verankerte die englische Regierung die Implementierung von CRHT´s flächendeckend. Verantwortlich ist dabei der staatliche Gesundheitsdienst, der National Health Service (NHS). Parallel dazu wurden seit 2000 verstärkt Assertive Outreach Teams gebildet, die eine längerfristige gemeindeorientierte Versorgung im Rahmen des ACT sicherstellen sollten (vgl. ebd., Burns/Priebe 2004, 189). 30 Die Teams umfassen je nach Größe des Einzugsgebietes und Kapazität nicht mehr als 21 Mitarbeiter ( Berhe et al. 2005, 824; vgl. Glover/Johnson 2008, 27). Seiten 38 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil 2.3.4 Need Adapted Treatment – konzeptionelle Grundlagen der bedürfnisorientierten Behandlung Aus Finnland stammend wurde das Need Adapted Treatment (NAT) vor etwa 25 Jahren insbesondere für psychotische Ersterkrankungen entwickelt (vgl. Aderhold/Greve 2010). Ähnlich zum ACT oder HT soll ein multiprofessionelles Team aufsuchend tätig sein und sowohl direkte Angehörige, wie auch das ansonsten bestehende soziale Netz mittels Therapieversammlungen in die weitere Behandlung miteinbeziehen. Die Hilfe soll 24-stündig, gewährleistet werden,außerdem soll eine möglichst kontinuierliche Begleitung über Bezugsbegleiter gesichert werden. Hinzu kommt die Empfehlung einer niedrig dosierten und selektiven Psychopharmakatherapie sowie einer Einzelpsychotherapie(vgl. ebd.). Aus einem systemischen Ansatz heraus wurde das Open Dialogue entwickelt, welcher allen Beteiligten in einem sicheren Rahmen die Möglichkeit geben soll, Eindrücke und Wahrnehmungen zu schildern. Gleichwertigkeit, gemeinsame Verantwortung und das Aushalten von Unsicherheit bei nicht sofort zu treffenden Entscheidungen sollen auch mit der Methode des Reflektierenden Teams ermöglicht werden (vgl. ebd.) Weitere Elemente bzw. Prinzipien des NAT sind: Flexible Einstellung auf die Bedürfnisse Gemeinsame Verantwortung Therapieversammlungen: In diesen sollen so rasch als möglich alle wichtigen Beteiligten aus dem Netzwerk teilnehmen, welche die Behandlung im weiteren Verlauf mit dem Betroffenen und der Familie abstimmen. Psychologische Kontinuität Aushalten von Unsicherheit Integration verschiedener Therapieformen Arbeitsintegration Krisenwohnung (vgl. Aderhold/Greve 2010) Seiten 39 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Grundsätzlich arbeitet das Team unabhängig der Profession mit einer psychotherapeutischen Haltung und nimmt die Situation und Bedürfnisse als Ausgangsposition für das weitere Handeln (ebd.). 2.3.5 Zusammenfassende Betrachtung der einzelnen Konzepte Anhand der bestehenden Literatur lässt sich feststellen, dass die erläuterten gemeindeorientierten Versorgungsformen nicht nur auf eine komplexe psychiatrische Versorgung abzielen, sondern zudem eine hohe Evidenzbasierung aufweisen. Vor allem in der ambulanten Krisenversorgung mittels HT belegen die Studien Effektivität in folgenden Bereichen: Geringere Wahrscheinlichkeit stationärer Aufnahmen während der akuten Krankheitsphase Reduzierung stationärer Behandlungszeiten Seltenere Behandlungsabbrüche Gesunkene Belastungen bei den Angehörigen Erhöhung der Zufriedenheit von Patienten und Angehörigen Erhöhung der Kosteneffektivität (vgl. Gühne et al. 2011, 117) Während das ACT in Studien Krankenhausaufenthalte verringern konnte, waren die Ergebnisse im Bereich Psychopathologie und sozialem Funktionsniveau eher gleichbleibend. Zu diesen Ergebnisse trägt bei, dass der Ansatz für Betroffene entwickelt wurde, die bereits seit längerem an schweren psychischen Störungen leiden, während das HT auch Klienten aufgriff, die unter Erstepisoden litten. Dabei lässt sich derzeit nicht sagen, mit welchen Effekten über einen langfristigen Verlauf in Deutschland zu rechnen ist. Jedoch ist sowohl beim ACT wie dem HT und dem NAT davon auszugehen, dass viele Betroffene früher über Krankheitssymptome berichten, wenn sie Sicherheit darüber haben, aufgrund der Schilderungen nicht in eine Klinik eingewiesen zu werden (vgl. Munz et al. 2011, 126). Weiter ist anzunehmen, dass eine Versorgung, orientiert an subjektiven Bedürfnissen die Behandlungszufriedenheit und damit auch die weitere Behandlungsbereitschaft erhöht. Ein hieraus im Sinne der Betroffenen gelungener Verlauf, der gleichzeitig Aspekte von Empowerment und Recovery fördert, Seiten 40 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil vermag zudem auch die Patientensouveränität zu stärken und zielt somit auch auf eine verbesserte Lebensqualität ab (vgl. ebd.; Kap. 2.2.3). Daher zielen die Empfehlungen hinsichtlich einer ambulanten gemeindepsychiatrischen Versorgung einhellig auf ein bedürfnisorientiertes, multiprofessionelles und teambasiertes Arbeiten ab. Analog des Vertrages mit der TKK31, setzt das NWpG München einzelne Bausteine um, die eine Ambulantisierung und eine Krisenbewältigung im sozialen Umfeld anstreben, um hieraus die Autonomie der Betroffenen explizit zu stärken. Die wesentliche Bausteine sind die sogenannten Rückzugsräumen (non hospital setting), sowie die häusliche psychiatrische Krankenpflege und die Soziotherapie . Diese sollen durch ein multiprofessionelles und mobiles Team bereitgestellt werden (vgl. Kap. 2.3). Ein weiteres Kernstück der Versorgung stellt die EDV-gestützte Dokumentation und Informationsplattform dar, auf welche die vertraglich teilnehmenden Leistungserbringer die Versorgung transparent einsehen und beschreiben können (vgl. Kap. 4.2.4). In den Studien zum ACT und HT, welche die Grundlage für das NWpG bilden, erweisen sich zwei Aspekte der Versorgung zur Reduzierung stationärer Aufenthalte als nachhaltig bedeutsam: „regelmäßige Besuche und Verantwortlichkeit für Gesundheit und soziale Betreuung“ (Becker et al. 2008, 133) Die genannten Aspekte begründen sich weiter auf vier theoretischen Annahmen: „hospital admission can be harmful and unacceptable to patients difficulties in families and social networks play a large role in many crises managing crises in the community is an opportunity for patients to develope valuable skills relationships between patiens and professionals are different when crises are managed at home“ (Johnson/Needle 2008, 82) 31 Seit Oktober 2010 nimmt auch die KKH Allianz als weitere Krankenkasse als Vertragspartnerin teil. Seiten 41 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Auch im Rahmen einer gemeindeorientierten Versorgung spielen sowohl die Vermeidung von Zwangsmaßnahmen eine Rolle, wie auch die mitunter traumatisierenden Erfahrungen der Betroffenen in der Vergangenheit. Insbesondere bei der Zuspitzung von Krisen kann in Ausnahmefällen die Notwendigkeit bestehen, Zwangsmaßnahmen zu veranlassen. Sicherlich soll die ambulante Krisenversorgung aber genau an diesem Punkt zur Vermeidung erneuter Erfahrung von Druck oder Zwang ansetzen. „It is important, therefore, that CRT32 members all understand that coercion can be legitimate, ethical and justifiable, and there should be open discussion about which coercive acts are or are not acceptable.“ (Bindman 2008, 225). In der Untersuchung ambulanter Behandlungsmodelle zeigt sich weiter, dass bereits die Behandlung zu Hause und die damit verbundene Einbeziehung des sozialen Netzes als derart massiver Eingriff erlebt werden kann, dass manche Klienten einen stationären Aufenthalt bevorzugen (Bindman 2008, 223). Daher werden die Nutzer des NWpG in den sogenannten Begrüßungsgesprächen über die Leistungen und die erwünschte Einbeziehung des Umfelds, wie auch auf über die Versorgung zuhause informiert. In seltenen Fällen führte diese Information zu einer Kündigung seitens der Nutzer, oft aber zu Vorbehalten, die nur über einen längeren Verlauf und über die Gestaltung der Beziehung zu den Bezugsbegleitern bearbeitet werden konnten (vgl. Kap. 4.3.6). 2.4 Managed Care und Integrierte Versorgung Das aus den USA herrührende Konzept des Managed Care oder auch Integrated Care genannt, stellt eine Form der Integrierten Versorgung dar. Anhand betriebwirtschaftlicher Prinzipien wird häufig mittels des Instruments von Case Management für eine vorab definierte Zielgruppe die Gestaltung der Versorgung sowie die Koordination dieser übernommen (vgl. Ewers 2005 33f; Kap. 2.3.1). Die hierunter subsumierte Versorgung orientiert sich an ökonomischen sowie qualitativen Aspekten. Eine einheitliche Definition zum 32 CRT: Crisis Resolution Teams Seiten 42 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Managed Care besteht derzeit nicht und alle Versuche, hierzu eine klare Formulierung zu treffen, sind eng mit ökonomischen Gesichtspunkten verknüpft, die auf wachsende Gesundheitsausgaben reagieren (vgl. Ewers 2005, 44f). Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen (2009, 137f) definiert Managed Care wie folgt: „Als Managed Care wird ein Versorgungssystem bezeichnet, das die Leistungserbringung und Finanzierung in unterschiedlichem Ausmaß zusammenfasst. (...). Managed Care verfolgt die Ziele, Sektoren und Leistungserbringer im Sinne einer regionalen, outcomeorientierten Gesundheitsversorgung zu integrieren sowie deren Effizienz u. a. durch Zielgruppenorientierung und Prävention sowie Generationenbezug zu verbessern.“ Die Forderungen an Managed Care beinhalten im Wesentlichen eine sektorund berufsgruppenübergreifende Versorgung zu verwirklichen, die ambulante Behandlungsformen priorisiert und mittels gezielter Steuerung die Behandlungskette über die Sozialgesetzbücher hinweg ermöglicht. Zudem sollen somit Über-, Fehl-, und Unterversorgung der Versicherten der Gesetzlichen Krankenkassen, vermieden werden und ein Anreizsystem für die Leistungserbringer zur Verbesserung der Versorgungsqualität geschaffen werden. Allgemein stellt Managed Care die Umsetzung von Managementprinzipien dar. Mittels selektiver Vertragsabschlüsse zwischen Leistungsfinanzierern, und -erbringern sollen zuvor festgelegte Leistungen installiert werden. Die Umsetzung soll sich im weiteren Verlauf an einer Kostensenkung bei gleichzeitiger Qualitätssicherung und -steigerung orientieren (Amelung et al. 2009, 54). Unter dem Begriff des Managed Care ist daher keine klare Methode eruierbar. „Managed Care ist ein Instrumentenbaukasten für die Reorganisation des Gesundheitswesens mit dem Ziel, marktförmigen Verhaltens- und Denkweisen zum Durchbruch zu verhelfen.“ (Amelung et al. 2009, 54) Neben der betriebswirtschaftlichen Orientierung, stellt die Organisationsform einen weiteren wichtigen Faktor des Managed Care dar. In den USA strukturieren sich die Organisationen häufig in sogenannte Health Maintenance Organisations (HMOs) oder Preferred Provider Organisations (PPOs). Der vormalige Fokus auf Seiten 43 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil HMOs wurde dabei zunehmend, wenn auch zögerlich, auf populationsorientierte Versorgungsformen, sogenannte Purchasing Population Health, verlagert. Dies bedeutet auch eine Verlagerung der Kosten-Nutzen-Analyse des Einzelfalls hin zu Patientengruppen. Innerhalb dieser erhalten die Versicherten im Krankheitsfall Leistungen, die sich entlang der gesamten Versorgungskette orientieren (vgl. Ewers 2005, 39f). Die versicherten Patienten einer Region sollen Leistungen „aus einer Hand“ erhalten, die mittels Koordinations- bzw. Steuerungsverfahren ermittelt werden. Zudem soll ein „weitestgehend kontinuierliches, integriertes und ergebnisorientiertes Versorgungsangebot“ gewährleistet werden (ebd., 39). Dies soll den Forderungen hinsichtlich einer Integrierten Versorgung Rechnung tragen, die auf Diskontinuitäts- und Desintegrationsprobleme reagieren möchte. Ein weiteres wesentliches Element innerhalb solcher Versorgungsformen stellt die verstärkte Orientierung an Prävention und Gesunderhaltung dar, da nur durch deren Gewährleistung längerfristig Gewinn möglich ist (vgl. Koch 2009, 43). Nach Amelung (2009, 153f) lässt sich derzeit noch nicht absehen, welchen Beitrag Managed Care zur Performance des Gesundheitswesens einnehmen kann. Daher zieht er fünf Kriterien aus der Wirtschaft zur Beurteilung heran: Präfenrenzgerechte Versorgung Produktionstechnische Effizienz Anpassungsfähigkeit Dynamische Effizienz Leistungsgerechte Einkommensverteilung Zusammenfassend lässt sich das wesentliche Ziel von Managed Care als effiziente Steuerung von Kosten und Qualität im Gesundheitswesen verstehen (Amelung 2009, 5). Zudem wird auf der Ebene von Versicherungsmodellen ein Wettbewerb angestrebt, der sich nicht mehr nur auf der Ebene von Leistungserbringern oder aber Krankenkassen abspielt. Die HMOs und der hierunter bestehende Zusammenschluss von Leistungserbringern soll diese animieren den Krankenversicherern zudem „konkurrenzfähige Angebote zu entwickeln“ (Amelung 2009, 9). Seiten 44 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil „Ziel ist, dass sich die Leistungserbringer zu konkurrierenden ökonomischen Einheiten formieren und auf der Basis von Anreizen effiziente und qualitativ hochwertige Versorgungssysteme entwickeln.“ (Berger 2009, 288) Wie bereits erläutert stellt das Managed Care keine geschlossene Theorie dar, jedoch werden Instrumente, wie das selektive Kontrahieren, Vergütungssysteme wie das Capitation-Modell oder Pay for Perfomance oder aber patientenbezogenene Modelle wie das Gate-Keeping und das Disease-Management darunter zusammengefasst. Die innerhalb des Projekts des NWpG relevantesten Instrumente sollen nachfolgend kurz erläutert werden. 2.4.1 Die Instrumente des Managed Care Die wesentlichen Managed Care-Instrumente, die sich unter einem Dach befinden können, lauten wie folgt: Prämiengestaltung Vergütungssystem Selbstbeteiligung Kopfpauschalen Bonus-Malus-System Fallpauschalen Wahltarife Budgetierung Gatekeeping Qualitäts- und Kostensteuerung Disease- und Case-Manager Zweitmeinungen Prävention Utilization Review Behandlungsleitlinien Evaluationsverfahren Die Instrumente des Managed Care (Dar. 3, nach Amelung et al. 2007, 115f) Seiten 45 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil In allen Formen des Managed Care findet das selektive Kontrahieren Anwendung, was bedeutet, dass die Versicherer nicht mehr mit allen bestehenden Leistungserbringern Verträge abschließen, sondern gezielt auf Einzelne zugehen können. Es stellt damit einen wesentlichen Kern des Managed Care dar und kann somit die Wahlfreiheit der Versicherten einschränken, während die Wahlfreiheit der Leistungserbringer maßgeblich von der Ausgestaltung des Vertrages abhängt. Die hierfür zugrunde liegenden Ziele lauten wie folgt: Kontrolle der Kosten Sicherung der Qualität respektive Einflussnahme auf die Leistungserstellung (Definition von Zielen) und Planungssicherheit (Amelung 2009, 12). Zu den Vergütungssystemen die innerhalb einer Managed Care-Struktur in Frage kommen, zählt das sogenannte Capitation- oder Kopfpauschalen-Modell. Dabei wird Leistungserbringern pro Versicherten und Jahr eine Versorgungspauschale zur Verfügung gestellt, die für alle vertraglich festgelegten Leistungen verwendet werden muss. „Capitation ist eine umfassende prospektive Vergütung, die kontaktunabhängig alle (eingeschriebenen) Versicherten und alle anfallenden Leistungen einbezieht“ (Sachverständigenrat 2009, 139). Das Capitation-Modell ermöglicht es der Krankenkasse, mittels eines risikoadjustierten und prospektiven Vergütungssystems, dem sogenannten Predective Modelling, das finanzielle Risiko teilweise auf den Leistungserbringer zu übertragen. Um bei diesem Modell der Finanzierung nicht Gefahr zu laufen, Leistungen zu verwehren und damit auch eine Unterversorgung zu fördern, sind Qualitätskontrollen nach validen Indikatoren unabdingbar (vgl. Sachverständigenrat 2009, 14). Zudem besteht die Möglichkeit einer Bonus-Zahlung im Sinne einer Erfolgsorientierung, dem sogenannten Pay for performance, als zielbezogener Leistungsanreiz (vgl. Klusen et al. 2010, 98ff)33. 33 Eine reine Vergütung nach diesem Prinzip findet kaum Anwendung, sondern wird wie im vorgestellten Modell, gemeinsam mit der Capitation-Pauschale zugrunde gelegt. Nach derzeitigem Stand ist diese Vergütung wohl eher einem Risikopool oder Capitation-Pool zuzuordnen, das im Bedarfsfall für Mehrausgaben verwendet wird, jedoch nicht für reine Krankenversicherungsleistungen verwendet werden kann (vgl. Amelung 2009, 15). Seiten 46 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Ähnlich dem Case Management soll mittels des Organisationsansatzes eines Disease Management oder Chronic Care für Versicherte mit kostenintensiven, chronischen Verläufen die Versorgung kontinuierlich und über Sektoren hinweg gestaltet werden. Dabei sollen sowohl Verhaltensänderungen der Versicherten wie auch der Leistungserbringer in den Fokus genommen werden und Ansätze aus dem Qualitätsmanagement und damit verbundene Wertschöpfungsprozesse aufgegriffen werden (vgl. Amelung 2009, 5ff). Die wesentlichen Elemente eines solchen Disease Managements bilden auch die Grundlage für das in dieser Arbeit vorgestellte Modell des NWpG: Ein integriertes Versorgungsmodell Leitlinienorientierte Versorgung Klinisches und administratives Versorgungssystem Vergütung, die auch Outcome-Parameter einbezieht Einbeziehung von Qualitätsmanagement Einbeziehung der Nutzer und Förderung der Patientensouveränität durch unterschiedliche Maßnahmen Kooperationsmodell der Leistungserbringer (vgl. Amelung 2009,19f) Häufig findet innerhalb einer Integrierten Versorgung das Instrument des Case Management Anwendung und zielt nach Ewers und Schaeffer (2005, 8) auf den Einzelfall ab. Es dient der Patientenorientierung und -partizipation bei einer Fokussierung auf das zu erreichende Ergebnis in einem „komplexen und hochgradig arbeitsteiligen Sozial- und Gesundheitswesen“. Case Management ist die Methode, die der Fragmentierung und Zersplitterung als Antwort dient und weg von einer rein monoprofessionell ausgerichteten Orientierung tätig werden soll (vgl. ebd., 8). Ein weiteres wesentliches Instrument des Managed Care wie auch einer Integrierten Versorgung stellt die Qualitätssicherung dar. So soll die vorliegende Arbeit einzelne Prozessabläufe innerhalb einer Integrierten Versorgung untersuchen, wie auch einrichtungsübergreifende Schnittstellenarbeit hinsichtlich ihrer intendierten Ausrichtung und Zielsetzung näher beleuchten (vgl. Kap. 4.2). Seiten 47 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil 2.4.2 Integrierte Versorgung Integration, aus dem Lateinischen herrührend, bedeutet die „(Wieder-) Herstellung eines Ganzen“ (Duden 2001, 447). Dies auf die Gesundheitsversorgung zu transferieren würde bedeuten, die Schnittstellen zwischen den Zuständigkeiten, zwischen „ambulant und stationär“ und auch zwischen den Professionen aufzulösen, um die Versorgung in ein Ganzes zu überführen. Eine der Zielsetzungen soll die Überwindung von sektoralen Grenzen mittels einer Integrierten Versorgung darstellen (vgl. Greuel/Mennemann 2006, 26). Konzeptionell stellt die Integrierte Versorgung eine Koordinierung der gesundheitsbezogenen Dienstleistungen mittels Versorgungspfaden unterschiedlicher Einzelakteure in einer bestimmten Versorgungsregion dar. Oftmals unterscheiden sich die Konzepte darin, ob es sich um eine rein medizinische Versorgung handelt oder aber pflegerische und soziale Aspekte integriert werden. Seit 2000 wird durch den Gesetzgeber mittels § 140a ff SGB V ein Instrument zur sektoren- und fächerübergreifenden Behandlung ermöglicht (vgl. ebd., 26ff). Nach Faulbaum-Decke und Zechert (2010, 11) soll dies zur „Überwindung der versäulten Strukturen“ dienen und „die Schaffung neuer Kooperationsbündnisse sowie Netzwerkstrukturen und damit neuer wirtschaftlicher und qualitativer Effekte“ ermöglichen. Hierdurch entsteht die Möglichkeit, dem Erhalt der Gesundheit den Vorrang vor Krankheit zu erteilen. Mittels ambulanter Komplexleistungen soll eine verbesserte Behandlungskonstanz- und abstimmung über die Sektorengrenzen hinweg erreicht werden (Brederode 2010, 42ff). Dabei können sich unterschiedliche Leistungserbringer innerhalb eines Modells der Integrierten Versorgung zusammenschließen, die sich mittels eines Qualitätsmanagementprozesses auf gemeinsame Leitlinien der Versorgung verpflichten, die Kommunikation der einzelnen Anbieter gewährleisten sowie einer gemeinsamen Dokumentationsvereinbarung nachkommen (Eben 2007, 85). Zudem soll eine interne Qualitätssicherung gewährleistet werden, die mittels eines einheitlichen Dokumentationssystems sowie Fallbesprechungen, Netzwerkkonferenzen, Supervisionen und Fortbildungen umgesetzt werden soll. Ebenso besteht die Forderung nach einer externen Qualitätssicherung, die sich unter anderem durch eine systematische Auswertung der Qualitätsindikatoren der Versicherten seitens der jeweiligen Krankenkasse umsetzen lässt (vgl. ebd.; 94; Kap. 2.3.1). Seiten 48 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Die Motivation für die Schaffung von Modellen zur Integrierten Versorgung liefern nach Koch (2009, 32) Informationsdefizite, Steuerungs- und Koordinations-, sowie Anreizdefizite. Diese münden nicht selten in eine Über-, Unter- oder Fehlversorgung. Zudem erhöht sich durch die Vollversicherung im Rahmen der Krankenversicherung das Risiko, Krankheitsprävention zu wenig einzubeziehen und einen Anreiz erhöhter Inanspruchnahme von Leistungen zu schaffen. Hinzu kommt die Diversifizierung und Zergliederung dieser, meist vorgehalten durch unterschiedliche Leistungsanbieter (vgl. ebd.). Dies fordert von den Betroffenen, die durch ihre Erkrankung besonders vulnerabel sind, die Auseinandersetzung mit einer komplexen Versorgungsstruktur. Innerhalb dieser stehen unterschiedliche „strukturell getrennte und kulturell verschiedene Organisationen“ zur Verfügung, die sich außerdem aus unterschiedlichen Professionen zusammensetzen (vgl. Becker 2008, 109). Durch die künftige Einführung von Fallpauschalen34 und einer damit möglicherweise weiter sinkenden Verweildauer im stationären Bereich ist ein komplexer und eventuell erhöhter Behandlungsbedarf im ambulanten Bereich zu vermuten. Daher wird die Anforderung an eine Vernetzung ambulanter Versorgungsformen hinsichtlich der Sicherstellung der Versorgung von Menschen in einer postakuten Stabilisierungsphase, wie von Menschen mit wiederkehrenden psychischen Störungen weiter wachsen (vgl. Eben 2007, 84ff). Neben allen ökonomische Aspekten und Interessen der Beteiligten innerhalb der Gesundheitsversorgung soll die Integrierte Versorgung den Patienten folgende Vorteile bieten: ein höheres Maß an Leistungstransparenz Informationen über den Versorgungsstand mehr Mitbestimmungs- und Einwirkungsmöglichkeiten größeres Vertrauen zu den Leistungsanbietern ein erweitertes Leistungsspektrum zusätzliche Serviceangebote eine leistungsgerechte Finanzierung (Greuel/Mennemann 2006, 43) 34 Fallpauschalen werden als Diagnosis Related Groups, kurz DRGs, bezeichnet. Seiten 49 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Zudem werden künftig Aspekte des Qualitätsmanagements eine maßgebliche Rolle spielen und damit auch die Optimierung von (Kern-)Prozessen. Diese basieren vermehrt auf wissenschaftlicher Erkenntnis, unter anderem der evidenzbasierten Medizin (EBM), und der Fokus der Tätigkeit wird sich verstärkt an Qualitätsstandards orientieren (vgl. Amelung et al. 2009, 168). 2.4.3 Der Bedarf an Vernetzung Gerade bei Menschen mit rezidivierenden psychischen Störungen oder längerfristigen Beeinträchtigungen fehlt es bislang häufig an einem nahtlosen Ineinandergreifen der einzelnen Akteure, sowohl zwischen „stationär“ und „ambulant“, als auch „ambulant“ und „psychosozial“. Daher entsteht der Bedarf der Gestaltung eines differenzierten Behandlungsplans für die ambulante Versorgung als auch eine Vernetzung der möglichen Beteiligten (vgl. Gaebel 2005, 132). Nach wie vor ist diese bereits seit längerem geforderte Zusammenarbeit nicht mehr als eine „Willensäußerung“ (vgl. Becker et al. 2008, 71; Mendel 2010). Während die psychiatrischen Krankenhausbetten abgebaut wurden, stieg die Zahl der Aufnahmen parallel dazu an (vgl. Becker et al. 2008, 85; Kap. 2.1.3). Dies mag zum einen mit der Verkürzung der Verweildauer in Zusammenhang zu setzen sein, zum anderen entsteht die Frage, inwiefern ein nicht gelingendes Überleitungsmanagement hierauf Einfluss nimmt (vgl. ebd.). Die über viele Jahre bestehende Arbeitsteilung zwischen Gemeindepsychiatrie und Klinik mit einer meist deutlichen Trennung zwischen Behandlung und Rehabilitation hat in den letzten Jahren verstärkt zugenommen und die Teilsysteme zunehmend voneinander getrennt (vgl. Brederode 2010, 40; Kap. 2.1.4). Diese Arbeitsteilung vollzieht sich nicht nur bezüglich der Trennung der Versorgung in akute Behandlung und langfristiger Eingliederung chronisch kranker Menschen, sondern auch in den Zuständigkeiten der Professionen: bei ersterem Medizin und Pflege, bei zweiterem die Sozialarbeit. Bemühungen, ein verbessertes Überleitungsmanagement aus der Klinik in den ambulanten Bereich zu gewährleisten, bleiben aufgrund fehlender institutioneller Zuständigkeiten und notwendiger Prozessabläufe eher ein Wunsch als ein notwendiger Baustein einer gelungenen und vor allem kontinuierlichen Versorgung (vgl. Mendel 2010). Seiten 50 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Die beschriebenen Tendenzen spiegeln sich in allen Schnittstellen wider: Sowohl Leistungserbringer des SGB V und des SGB VII Bereiches können sich meist nicht sicher sein, ob die Betroffenen bei dem von ihnen empfohlenen ambulanten bzw. psychosozialen Dienst angekommen sind. Das Leistungsangebot im psychiatrischen und psychosozialen Bereich ist komplex und besonders in Großstädten unübersichtlich. Daher zeichnet sich auch die Vernetzung zwischen ambulanten bzw. gemeindepsychiatrischen Diensten oftmals als problematisch aus (vgl. Rössler/Theodoridou 2006,113). Baer und Kollegen (2009, 24) kommen daher zu dem Schluss, dass dies wiederum ein Grund ist, weshalb eine (Wieder-)Eingliederung häufig nicht in vollem Maß gelingt. 2.4.4 Interdisziplinäre Schnittstellen – die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache und Haltung Das in dieser Arbeit vorgestellte Modell einer gemeindeorientierten ambulanten Versorgung zielt auf ein multiprofessionelles und teambasiertes Arbeiten ab. Dies setzt nach Aderhold (2010, 112) ein „gutes gemeinsames Grundverständnis und kollegiale Sympathie und Wertschätzung voraus“. Es bedeutet auch, „flachen Hierarchien“ tätig zu sein und fördert die Gleichwertigkeit der einzelnen Professionen. Aufgrund des bestehenden Rollenverständnisses stellt dies vor allem an die Profession der Ärzte eine erhöhte Anforderung. Zugleich ermöglicht der multiprofessionelle Blickwinkel eine Orientierung auf Vielperspektivität und kann zudem Entlastung schaffen. Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen (2009, 164) weist in seinem Gutachten auf die künftig verstärkte Einbeziehung nicht-ärztlicher Professionen innerhalb der Gesundheitsversorgung hin. Dies soll unter dem Fokus eines multiprofessionell tätigen Teams umgesetzt werden: „Insbesondere Ärzte und Pflege können durch Teamstrukturen und gegenseitige Nutzung der Kompetenzen sehr voneinander profitieren und im Gegensatz zu oft geäußerten Befürchtungen an Autonomie und beruflicher Performance gewinnen. Eine weitergehende Kooperation dieser Berufsgruppen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die Bewältigung der kommenden Anforderungen“ Seiten 51 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Aspekte eines real erlebbaren Kontrollverlustes wie auch von Einflusssphäre und Autonomie können in diesem Kontext nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. Amelung et al. 2009, 168). Sollen in Netzwerkbezügen einer Integrierten Versorgung die einzelnen Handlungsfelder wie „cure“, als originiär medizinische Aufgabe, „care“ als pflegerische oder Betreuungsaufgabe sowie das „controlling“ als Managementaufgabe zunehmend enger verzahnt werden, gilt es diese Einflusssphären und Identitäten einzubeziehen, um nicht unmittelbare Abgrenzungsund Abstoßungsgefahren zu provozieren (ebd.,178)35. Dies erfordert einen respektvollen Umgang bei einem bis dato noch klaren Rollen- und Professionenverständnis. Obwohl Amelung und Kollegen (2009, 178ff) die zunehmende Auflösung der starken Trennung von „cure“ und „care“ in einer Integrierten Versorgung beschreiben, ist dies in der Praxis weiter ein brisantes Thema, ist die „Behandlung“ derzeit eine rein ärztliche Aufgabe. Um künftig eine arbeitsteilige Beziehung zu ermöglichen, gilt es mittels gegenseitiger Wertschätzung und gemeinsamer Erfahrungswerte eine wachsende Vertrautheit herzustellen. Die Basis einer gelungenen Vernetzung basiert auf einer kompetenten, verlässlichen und kooperativen Praxis. Dies bedeutet, das jeweils andere Referenzsystem und dessen Handlungslogik kennenlernen zu wollen ohne es vollständig übernehmen zu müssen oder es geringer zu schätzen (Amelung et al. 2009, 184). 2.4.5 Die Erwartungen an eine Integrierte Versorgung Psychische Störungen können einen wiederkehrenden oder aber chronischen Verlauf annehmen. Anders als bei vielen körperlichen Erkrankungen kann dieser Verlauf raschen Schwankungen unterliegen oder aber in eine komplexe Behinderung münden, die eine Vielzahl unterschiedlicher Interventionsebenen bedarf, wie etwa der Behandlung, Betreuung oder Rehabilitation. Diese spannen sich nicht nur über diverse Leistungserbringer, sondern bringen auch unterschiedliche Zuständigkeiten der Leistungsträger mit sich (vgl. Rössler/Theodoridou 2006, 113). Diese Zersplitterung zieht eine unübersichtliche Fragmentierung mit sich, in welcher Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten nicht oder kaum geregelt sind und den Lebensalltag der Betroffenen zusätzlich belasten sowie eine kontinuierliche „Behandlungskette“ nahezu unmöglich machen (vgl. ebd.). Zunehmend werden daher Modelle der Integrierten 35 Die beschriebene Auflösung der starken Trennung zwischen „cure“ und „care“ stellt ein brisantes Thema dar, da die Behandlung derzeit nur der Profession der Ärzte obliegt. Seiten 52 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Versorgung diskutiert und in der Praxis implementiert. Ein elementarer Baustein zielt dabei auf Stärkung der psychosozialen Versorgung in allen Phasen der Versorgung ab, also nicht mehr nur im rehabilitativen Kontext. Dies erfordert perspektivisch die enge Verzahnung zahlreicher Leistungserbringer, wie etwa Kliniken, Fachärzte, Sozialpsychiatrische Dienste, u.a., die als zusätzliche Herausforderung durch unterschiedliche Finanzierungsformen getragen werden. Nach Ruprecht (2010, 84f) sollen damit nicht nur Hilfen über die Sektoren hinweg ermöglicht, sondern vielmehr der Zugang zu einer niedrigschwelligen, wohnortnahen, 24-stündigen Versorgung gewährleistet werden. Wird diese unter Einbeziehung der Betroffenen wie auch deren Angehöriger gestaltet, bietet sie eine nachhaltige Möglichkeit der Stabilisierung und trägt somit dem Entgegenwirken von Chronifizierung und Exklusion bei. Die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens führt zu Befürchtungen hinsichtlich einer Leistungsvorenthaltung aufgrund wirtschaftlicher Interessen. Daher besteht seitens der Organisationen eine immanente Notwendigkeit, mittels Kontinuität, positiver Erfahrungen sowie einer gelungenen Öffentlichkeitsarbeit bei den Patienten Vertrauen aufzubauen (Amelung 2009, 5f). Die Integrierte Versorgung soll somit eine Möglichkeit darstellen, die Versorgung bedarfs- aber auch bedürfnisgerecht zu gestalten. Sie muss sich aber zugleich der Herausforderung stellen, Effektivität und Kosten mittels internem wie externem Qualitätsmanagement sowie Studien zu untersuchen. Die Öffnung hinsichtlich einer Anbieterkonkurrenz sollte nach Becker und Kollegen (2008, 173f) nur auf Menschen mit schweren psychischen Störungen abzielen. Eine solche Anbieterkonkurrenz würde bei einer transparenten Darstellung der Ergebnisse, eine Steuerung der Nutzer und so eine gezielte Entscheidung für ein spezifisches Angebot ermöglichen. Managed Care wird zuweilen kontrovers diskutiert während Modelle der Integrierten Versorgung eher befürwortet werden. An dieser Stelle ist festzustellen, dass eine Integrierte Versorgung dem Managed Care oder aber Integrated Care gleichzusetzen ist (Amelung et al. 2009, 2)36. Häufig wird das Managed Care nur auf Aspekte der Gewinnmaximierung oder Kostenreduktion beschränkt. 36 Der Sachverständigenrat (SVR 2009, 25) weist bei der Empfehlung zur Implementierung von Strukturen und Instrumenten des Managed Care darauf hin, dass keineswegs eine Adaption des amerikanischen Gesundheitssystems stattfinden soll, sondern zunächst eine Überpüfung der Anwendbarkeit stattfinden sollte. Bisherige Untersuchungen, die Kritikpunkte wie Risikoselektion und Leistungsverweigerung aufgriffen, zeigen in der Tendenz leicht positive Effekte. Dies spricht für die Anwendung einzelner Instrumente und eine Anpassung an das bestehende Versorgungssystem. Seiten 53 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Indess ermöglicht es im deutschen Gesundheits- und Sozialsystem erstmalig eine deutliche Ausrichtung der Versorgung auf die Förderung und Erhaltung von Gesundheit, während bis dato alle Leistungen ohne weitere Prüfung auf die tatsächliche Effektivität und Notwendigkeit vergütet wurden (Klüsener 2010). Die Gefahr, dass Managementgesellschaften den Versicherten Leistungen zum Zwecke der Kostenersparnis vorenthalten könnten, kann mit der aktiven Rolle in der Gestaltung der Versorgung entkräftet werden. Zudem ist festzustellen, dass sich Qualität und Kosten nicht zwingend ausschließen müssen oder gar konkurrieren. Indem Leistungserbringer Verantwortung für die Kosten übernehmen, ist eine Orientierung an einer hohen Effizienz bei einem zugleich präventiven Ansatz und damit auch einer Gesunderhaltung und langfristigen Stabilisierung zwingend (vgl. Sachverständigenrat 2009: 14). Durch eine gezielte Qualitätssicherung, die ein wesentliches Element innerhalb einer Integrierten Versorgung darstellt, soll die Qualität weiterentwickelt und implementiert werden. Qualitätskontrollen stellen daher im Rahmen einer derartigen Versorgung ein wesentliches Instrument dar (vgl. Kap. 4.2). Diese sollen zudem die Gefahr der Einsparung und die damit befürchtete Unterversorgung und parallel die Verbesserung der Qualität in den Blick nehmen. Hinsichtlich der Ergebnisse im Bereich Managed Care sei angemerkt, dass es in den Untersuchungsergebnissen bisher zu keine klaren Ausschlägen nach unten oder oben kam. Dennoch konnte eine deutliche Kostenreduktion insbesondere in der Verlagerung stationärer Leistungen in den ambulanten Bereich verzeichnet werden (Amelung 2009, 26). In den aktuellen Projekten der Integrierten Versorgung sollen vermehrt psychosoziale Interventionen in den Fokus genommen werden. Dies bedeutet nicht nur, die unterschiedlichen Leistungserbringer in die Versorgung einzubeziehen und diese zur weiteren Gestaltung der Versorgung innerhalb der Integrierten Versorgung zu gewinnen, sondern auch die notwendigen strukturellen Voraussetzungen hierzu zu schaffen. Das in dieser Arbeit vorgestellte Modell der Integrierten Versorgung intendiert mit seiner Tätigkeit nicht nur auf die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten, sondern auch auf deren Verkürzung. Die Entlassung aus dem Krankenhaus kann dabei stets mit einer erhöhten Vulnerabilität einhergehen, erneut zu erkranken - auch eine gelungene Entlassplanung mag dies nicht immer zu verhindern. Seiten 54 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Theoretischer Teil Auch hier soll die Integrierte Versorgung ansetzen und insbesondere Betroffenen, die unter langwierigen Beeinträchtigungen leiden, eine kontinuierliche Versorgung ermöglichen und damit Behandlungsabbrüchen entgegenwirken37. Die psychiatrische Versorgung stellt dabei besondere Anforderungen und reale Hürden an die Betroffenen, da die Leistungserbringer in Anzahl, Vielfalt und Spektrum der Leistungen Unterschiede aufweisen. Die Integrierte Versorgung soll die Steuerungsfunktion einnehmen und mittels Netzwerkbezügen eine Vernetzung über die bestehenden Systemgrenzen hinweg ermöglichen (vgl. ebd. 109)38. Dabei ist zu erwarten, dass ein erster Schritt in eine „echte“ Integrierte Versorgung erst gelingen kann, wenn auch die Kliniken als Leistungserbringer einbezogen werden. Dies wiederum stellt sich als schwierig dar, da zunächst die Verortung einer Integrierten Versorgung sowie die Zuständigkeiten geklärt sein müssten (vgl. Witzmann 2009). Die Einführung einer integrierten, sektorüber- wie ständeübergreifenden Versorgung stellt wohl eine der größten Herausforderungen für die Umgestaltung des Gesundheitswesens dar. Auch historisch gewachsene Macht-, Einfluss-, und Interessenskonflikte der involvierten Professionen oder aber zwischen ambulanten und stationären Leistungserbringern, gepaart mit politischen Aspekten und Kostenträgerperspektiven, bedeuten künftig eine reale Anforderung für die gelungene Umsetzung von Modellen der Integrierten Versorgung. 37 Als Gründe für solche Abbrüche können individuelle Ängste und negative Erfahrungen mit dem „Helfernetz“, eine weiterhin bestehende Symptomatik oder aber fehlendes Wissen über die ambulanten Einrichtungen genannt werden. 38 Dieser Problematik wollen auch die psychosozialen Arbeitsgemeinschaften (PSAG) begegnen, haben aber keine wirkliche Steuerungswirkung (Amelung 2009, 109). Die in den GPVs und PSAGs vergleichsweise geringe Steuerungswirkung lässt sich durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Organisationen mit ihrer jeweiligen Logik begründen (vgl. Witzmann 2009). Becker und Kollegen (2008, 110) beschreiben für die bislang kaum implementierte teambasierte psychiatrische Versorgung, die auch akute Krisen aufsuchend versorgt, fehlende Anreize bei einer fehlenden Gesamtverantwortung als ursächlich an. Seiten 55 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil II Empirischer Teil 3 Die Umsetzung einer Integrierten Versorgung in der Gemeindepsychiatrie Die empirische Darstellung des NWpG kann als Vorstufe einer Versorgungsforschung verstanden werden, die dem Auftrag nachkommen soll, die konkrete Kranken- und Gesundheitsversorgung zu untersuchen. „Dadurch ist sowohl die medizinische und psychosoziale Versorgung der Kranken als auch die professionelle Prävention und Gesundheitsförderung bei Gesunden Gegenstand der Versorgung.“ (Neugebauer et al. 2008, 83) Das Anliegen wäre, ein „lernendes System“ zu gestalten, welches mittels Lernstrukturen und -prozessen dazu führt, die Umsetzung der zentralen Ziele der Versorgung „Patientenorientierung, Qualität und Wirtschaftlichkeit“ zu gewährleisten (vgl. ebd.). Versorgungsforschung beinhaltet dabei von fünf wesentlichen Aspekten geprägt, nämlich Beschreibung, Erklärung, Gestaltung, Intervention sowie Evaluation. Diese Grundfragen werden innerhalb der vorliegenden Arbeit zum Teil tangiert. So wurden im ersten Teil die gegebene Kranken- und Gesundheitsversorgung im NWpG beschrieben, wie auch deren Entstehung erklärt. Zudem wurden alternative Versorgungsansätze erläutert. Im empirischen Teil wird nun die Umsetzung dieser Grundlagen evaluativ näher betrachtet. Lediglich die Wirksamkeit des NWpG kann nach Projektlaufzeit noch nicht durch eine summative Evalution erhoben werden(vgl. Neugebauer et al. 2008, 84). Die Arbeit möchte dabei das komplexe Feld dieser Institution untersuchen und sich zudem der Sicht einer oder mehrerer Subjekte, die in und mit der Institution agieren, annähern. Um das Feld dabei enger zu umschreiben, werden zunächst Schlüsselkonzepte erläutert, welche die relevantesten Aspekte darstellen sollen. Anschließend wurden Forschungsperspektiven und Methoden kombiniert, um daraus unterschiedliche Aspekte und Perspektiven herauszufiltern, die den Grad Seiten 56 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil der Gegenstandsnähe erhöhen und Raum für weitere Erkenntnisse eröffnen sollen. Die Untersuchung von Schnittstellen und deren Beziehungen, Strukturen und Zuständigkeiten im Rahmen einer Organisationsforschung näher zu beleuchten, stellt dabei eines der zentralen Gebiete der Versorgungsforschung dar und soll auch ein Schwerpunkt dieser Arbeit sein (Amelung/Wagner 2010, 184 nach Pfaff 2003, 18). 3.1 Das Untersuchungsfeld Die Integrierte Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen soll die qualitative und quantitative Versorgung unter Einbeziehung ökonomischer Aspekte sowie einer verstärkten Nutzerorientierung und Personenzentrierung verbessern. Neben der für alle Verträge der Integrierten Versorgung geltenden Prämisse einer möglichst umfassenden Transparenz der Behandlung sollen auch die bereits 1975 in der Psychiatrie-Enquête formulierten Grundsätze Beachtung finden, die sich unter Gemeindenähe, aufsuchender Hilfe und Bedürfnisorientierung subsumieren lassen (vgl. Kap. 2.2.1). Die Integrierte Versorgung des Netzwerks für psychische Gesundheit (NWpG), die mit der Techniker Krankenkasse (TKK) und unterschiedlichen gemeindepsychiatrischen Trägern gegründet wurde, stellt eine Ergänzung der bisher bestehenden Versorgungsangebote dar und soll besonders im Krisenfall sowie zur Vermeidung erneuter Krisen mittels intensiver Versorgung eine rasche und bedürfnisangepasste Unterstützung sicherstellen. Sie hat dabei das zuvor beschriebene Ziel, Schnittstellen zu überwinden und Leistungen über diese zu koordinieren. Dabei sollen die Leistungserbringer entsprechend des gemeinsam mit dem Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V.39 entwickelten Vertrages ebensolche Bausteine bereithalten, die bislang fehlten oder nur lückenhaft bestanden, um so eine schnelle, flexible und 24-stündig verfügbare Unterstützung zu ermöglichen (vgl. Ruprecht 2010, 84). Der Vertrag wird aktuell verstärkt mit Leistungserbringern aus dem Bereich des SGB XII abgeschlossen, welche wiederum eine enge Verbindung zu den 39http://www.psychiatrie.de/dachverband/ Seiten 57 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Leistungen der Rehabilitation haben40. Hier sollen die Behandlung aus dem SGB V-Bereich und die Rehabilitation aus dem SGB XII-Bereich erstmalig eng verzahnt und der Forderung Rechnung getragen werden, diese Bereiche nicht getrennt voneinander zu betrachten (vgl. Kopelowicz/Libermann 2003, 1491f; Ruprecht 2010, 85). Eine weitere Zielsetzung stellt die Gewährleistung unbürokratischer und flexibler Hilfen dar, die sich nicht mehr nur am tatsächlich messbaren Bedarf orientieren (Ruprecht 2010, 84). 3.2 Der Untersuchungsgegenstand – Das NWpG München (Vincentro) Das NWpG München, welches unter dem Dach der Awolysis GmbH angesiedelt ist, begann im Februar 2010 mit der Umsetzung der zuvor beschriebenen Integrierten Versorgung. Das multiprofessionelle Team, welches weitgehend gleichberechtigt tätig ist, bietet unterschiedliche Leistungen, wie etwa die aufsuchende Soziotherapie, häusliche psychiatrische Pflege oder aber die fachärztlich aufsuchende Behandlung unter Einbeziehung der Betroffenen und nach Absprache mit deren familiärem, sozialem, aber auch professionellem Netzwerk (vgl. Kap. 2.2.4). Die Integrierte Versorgung zielt darauf ab, die Betroffenen soweit möglich in ihrem sozialen Umfeld zu fördern und damit im Optimalfall krisenbedingende Faktoren im direkten Umfeld zu erkennen und zu bearbeiten. Mittels Gewährleistung von Beziehungskontinuität soll damit auch einer weiteren Dekompensation im Rahmen seelischer Krise entgegengewirkt werden. Die zuvor erläuterten Versorgungsansätze stellen die Basis für die Integrierte Versorgung des NWpG München (vgl. Kap. 2.3). In der Zusammenschau ist festzustellen, dass zum aktuellen Zeitpunkt keines der Modelle als einzige Grundlage dienen kann. Während das Home Treatment und die damit verbundene zeitliche Begrenzung einen maßgeblichen Aspekt der Krisenversorgung darstellt, besteht bei vielen Betroffenen, die innerhalb des NWpG versorgt werden, auch ein nachhaltiger Versorgungsbedarf im Sinne des Assertive Community Treatment, der sich nicht grundsätzlich mit einer Über- 40 Seit Oktober 2010 ist auch die KKH-Allianz als zweite Krankenkasse dem Vertrag beigetreten. Seiten 58 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil leitung in die sogenannte Regelversorgung durch die Casemanager decken lässt. Dies ist unterschiedlichen Gründen geschuldet, die im Folgenden zum Teil näher dargestellt werden sollen. 3.3 Methoden der Erhebung 3.3.1 Durchführung Die Arbeit beinhaltet eine deskriptive Darstellung des NWpG, die relevante Aspekte wie etwa die Versorgungsziele, aber auch die strukturelle Umsetzung des Vertrages einbezieht. Einzelne Themenschwerpunkte werden näher beleuchtet und mit relevanter Fachliteratur in Zusammenhang gestellt. In Anlehnung an die Heransgehensweise der Input-Forschung werden sowohl Daten zu den Nutzern der Integrierten Versorgung näher untersucht, als auch die Inanspruchnahme der Leistungen des NWpG. Zudem werden Aspekte zur Personalausstattung und zur Qualifikation der Mitarbeiter erläutert und die Art der Versorgung und deren Inhalte näher skizziert (vgl. Amelung/Wagner 2010, 183). Im Sinne einer Throughout-Forschung werden außerdem organisationale Prozesse und Strukturen dargestellt (Amelung/Wagner 2010, 184). Ein weiteres Anliegen ist ein prozessbasierter Erkenntnisgewinn sowie die Beschreibung und Erklärung kultureller Phänomene (ebd., 90). Um die Gesamtdarstellung des NWpG sowie prozess- und ergebnisorientierte Erkenntnisse plastischer zu gestalten, finden zudem Falldarstellungen Anwendung. Der Zeitraum der Erhebungen umfasst das Jahr 2010. 3.3.2 Stichprobe Im Rahmen der Evaluation wurden die Daten zu allen eingeschriebenen Versicherten der Integrierten Versorgung untersucht. Die Grundgesamtheit umfasst, im Zeitraum von Februar 2010 bis einschließlich Dezember 2010, 400 Klienten, wobei 35 hiervon vorzeitig ausschieden und daher nicht in die Erhebungen einfließen. Als Stichprobengröße konnten somit 365 Klienten zugrunde gelegt werden. Es handelt sich um Männer wie Frauen, wobei der FrauSeiten 59 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil enanteil mit 63% deutlich höher liegt. Das Alter liegt zwischen 21 und 82 Jahren. Bei allen Teilnehmern wurden bereits im Vorfeld Diagnosen aus dem ICD-10 gestellt. 3.3.3 Instrumente der Erhebung Die dargestellten Zahlen wurden zum einen aus der bestehenden Datenbank und zudem mittels einer quantitativen Befragung der Mitarbeiter des NWpG erhoben, für die als Instrument ein selbstgenerierter Fragebogen zur Verfügung stand (vgl. Anhang). Die Zahlen der Datenbank wie auch des Fragebogens wurden anschließend mit Excel ausgewertet. Es wurden im Rahmen der univariaten Methode Häufigkeitsverteilungen zu folgenden Variablen untersucht: Anbindung zu Kooperationsärzten Altersverteilung Primärdiagnosen Einkommen Wohnform Weiter fand eine Untersuchung der bestehenden Schnittstellen zum SGB V und SGB XII Bereich statt: Regelversorgung allgemein Psychotherapie Sozialpsychiatrischer Dienst (I)BEW und TWG Weiter erfolgte durch eine Dokumentenanalyse und eine Sekundärdatenanalyse elektronischer Klientenakten um Prozesse und Verläufe zu untersuchen(vgl. Neugebauer et al. 2008, 88f). Seiten 60 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 3.4 Untersuchungsziele und Fragestellung Durch eine populationsbezogene Integrierte Versorgung und der damit verbundenen Koordination von Leistungen, aber auch durch die Sicherstellung bedürfnisorientierter Versorgung, die bis zu 24 Stunden täglich angeboten wird, sollen die Nutzer in Krisenzeiten durch intensive Unterstützung einerseits genesen können und andererseits mit Hilfe einer gemeindeorientierten Versorgung in ihrem gewohnten Lebensumfeld bleiben können41. Die Versorgung zielt auf eine Alternative zu stationären Aufenthalten ab, die bisher wegen fehlender ambulanter Unterstützungsformen Krankenhausaufenthalte oftmals unvermeidbar machten (vgl. Walle et al. 2010, 103). Zudem soll Chronifizierung entgegengewirkt und der Empowerment- und Recovery-Gedanke umgesetzt sowie die bestehenden Behandler, aber auch das soziale Netz einbezogen werden (vgl. Ruprecht 2010, 84). Zusammengefasst betrachtet, soll generell die gesamte Versorgungssituation verbessert werden. Die einzelnen Zielsetzungen bei der Heranziehung von Effektivität und Wirtschaftlichkeit lauten dabei: Senkung der Zahl stationärer Aufenthalte und der Selbsteinweisequoten Verkürzung bzw. störungsspezifische Optimierung der Verweildauern Vermeidung von Therapieabbrüchen Senkung der stationären Wiederaufnahmeraten Senkung der Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage (Ruprecht 2010, 88) Dies wird mittels der anschließend vorgestellten Bausteine als Alternative bzw. Ergänzung zur bisherigen Versorgungsstruktur umgesetzt, wobei die sogenannte Regelversorgung davon nicht tangiert wird und den eingeschriebenen Versicherten weiterhin zur Verfügung steht. 41 Die Versorgungregion des vorgestellten Projektes umfasst aktuell das Stadtgebiet München, wobei eine Ausweitung in die Landkreise sukzessive gewünscht ist (aus dem TK-Vertrag). Seiten 61 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Intendiert ist ein verbessertes Ineinandergreifen der bestehenden Leistungserbringer, wie niedergelassenen Psychiatern, Psychotherapeuten sowie Diensten, die überwiegend über die Eingliederungshilfe finanziert werden42. Seitens der Krankenkassen soll hierdurch eine teilweise Umlenkung der Gelder in den ambulanten Bereich angestrebt werden und zu einer Anhebung der Qualität der Versorgung führen, während die Gesamtkosten stabil gehalten oder gesenkt werden (Ruprecht 2010, 86). Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, ob diese Bausteine dem erläuterten Anspruch gerecht werden. Das heißt, dass es zu überprüfen gilt, inwiefern eine derartige Versorgung und deren klare Fokussierung auf Bedürfnisorientierung, Personenzentrierung und Flexibilität der Leistungen bei zugleich neuen Leistungsinhalten, wie etwa den Rückzugsräumen, die Zielsetzung erfüllen kann. Zudem soll eine Betrachtung der Schnittstellen erfolgen, deren Überwindung eine maßgebliche Anforderung eine Integrierte Versorgung darstellt (vgl. Kap. 2.4.2). 42 Die in der Arbeit beschriebene Überwindung der Schnittstellen und die hierzu notwendige Einbeziehung von professionellen Helfern wie auch Angehörigen, unterliegt klaren Datenschutzrichtlinien. Eine Abstimmung mit diesen kann nur durch die Entbindung der Schweigepflicht erfolgen. Seiten 62 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 3.5 Zielgruppe der Versorgung Grundsätzlich kommen alle Patienten der TKK für die Integrierte Versorgung in Frage, bei denen ein psychiatrisches Störungsbild nach dem ICD-10 diagnostiziert wurde und die „in den letzten zwölf Monaten vor Einschreibung in mindestens einem Quartal Antidepressiva oder Antipsychotika verordnet bekamen oder wegen psychischer Probleme im Krankenhaus behandelt wurden.“43 (Ruprecht 2010, 86f). Nach Prüfung und Genehmigung durch die Krankenkasse können Versicherte, welche die Einschlusskriterien nicht erfüllen oder bei denen Ausschlusskriterien vorliegen, in ausgewählten Einzelfällen an dem Vertrag teilnehmen. Bei der Beurteilung im Einzelfall durch die Krankenkasse sind u.a. folgende Aspekte zu berücksichtigen44: eine akut bevorstehende, voraussichtlich länger dauernde stationäre Behandlung (mehr als vier Wochen) kann vermieden werden das Behandlungsziel ist durch Teilnahme am NetzWerk psychische Gesundheit im Vergleich zur Regelversorgung eher und gleichzeitig wirtschaftlicher erreichbar (...) (aus dem Vertrag) 43 Ausgeschlossen sind bis dato demenzielle Störungsbilder sowie Störungen aus dem Suchtbereich ohne Komorbidität mit weiteren psychiatrischen Störungen. 44 Die Kritierien entsprechen dem Vertragsinhalt und greifen zudem die sogenannrte „Ausnahmeregelung“ auf. Seiten 63 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Die Auswahl der potentiellen Teilnehmer der Integrierten Versorgung nach dem Modell der TKK wird dabei aus einem „predective modelling“ generiert. Hierbei werden diese in Fallgruppen, sogenannten Vergütungsgruppen, eingeteilt: TK-versichert? Nein Ja Alter ≥ 10 ≤ 80 Nein keine Einschreibung Ja ggf. Einzelfallentscheidung Pflegestufe 1, 2 oder 3 Ja Nein F-Diagnose (Anlage B1) ambulant oder stationär erhalten? Nein Ja Krankenhauskosten im Selektierzeitraum > 20.000 € VG 17 Ja (Haupt-/ Entlassungsdiagnose gem. B1) Nein Krankenhauskosten im Selektionszeitraum > 0 € und ≤ 20.000 € H-/ E-Diagnose F20.X? Ja (H-/ E-Diagnose gem. B1?) Ja VG 16 Nein VG 15 Ja VG 14 Nein VG 121 Nein ambulante Antipsychotika (N05A) im Sektionszeitraum mind. 2 Quartale? Ja mind. 1 Quartal im Selektionszeitraum mit F20.X ambulant oder stationär? Nein Krankengeldtage > 0 im Selektionszeitraum (AU/KRG-Diagnose gem. B1?) 1VG 11 und 12 können fakultativ eingeschrieben werden Ja VG 111 Ja VG 13 Nein VG 10 Nein Krankenhauskosten > 10.000 in 30 Monaten vor Selektionszeitraum? (Haupt-/ Entlassdiagnose gem. B1) Der Algorithmus der Vergütungsgruppen (Dar. 4, aus dem Vertrag) Seiten 64 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4 Ergebnisse der Untersuchung 4.1 Die Bausteine der Versorgung 4.1.1 Die Koordinationsstelle und die 24-stündige Erreichbarkeit Innerhalb der Koordinationsstelle des NWpG soll die Steuerung und Verzahnung der unterschiedlichen Beteiligten sowie ein Ansprechpartner für alle weiteren Anfragen im Netzwerk sichergestellt werden. Sie stellt zudem das Bindeglied der Leistungserbringer dar und koordiniert unter anderem Anfragen von interessierten Versicherten (vgl. Walle et al. 2010, 49ff). Um dies, wie auch die strukturellen und organisatorischen Abläufe der Integrierten Versorgung sowie die Koordination der Leistungen zu gewährleisten, ist neben der Koordinationsstelle auch das Casemanagement dort angesiedelt. Die Koordinationsstelle ist derzeit von 08.30 Uhr bis 17.30 Uhr durch die Mitarbeiter des Kernteams besetzt. Dies ermöglicht in dieser Zeit die Ansprechbarkeit der festen Bezugsbegleiter und damit auch eine rasche Krisenintervention per Telefon oder persönlich. Um der wachsenden Auslastung hinsichtlich der Krisenversorgung gerecht zu werden, halten sich zwei Mitarbeiter des Kernteams originär für die Module des Notfallkomplexes und der Intensivbetreuung zur Verfügung, die sowohl zuhause als auch in den Rückzugsräumen erfolgen können (vgl. Kap. 4.1.4)45. Zudem besteht damit die Möglichkeit, Krisen zu zweit zu begleiten, um damit die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten und die Kompetenzen der unterschiedlichen Professionen im engen Austausch zu nutzen. Die in der Koordinationsstelle eingesetzten Mitarbeiter sind sozialpsychiatrische Fachkräfte mit mehrjähriger Berufserfahrung im psychiatrischen Bereich und setzen sich aus einem Professionenmix von Psychologen, Sozialpädagogen und psychiatrischen Pflegekräften zusammen. Sie verfügen über eine Qualifizierung zur Krisenintervention und dem integrierten bzw. systemischen Casemanagement, wenn möglich mittels zusätzlicher organisatorischer Fort- und 45 Die beschriebenen Module greifen dabei die im Rahmen des Vertrages vorgegebenen Leistungsmodule auf. Seiten 65 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Weiterbildungen nach zertifizierten Standards46. Die weitere 24-stündige Erreichbarkeit zwischen 17.30 Uhr und 08.30 Uhr, wird im Rahmen einer Rufbereitschaft abgedeckt. Mittels mündlicher und schriftlicher Übergaben seitens der Bezugsbegleiter erhalten die Mitarbeiter Informationen zum Krisenverlauf sowie der hierzu relevanten Vereinbarungen. Zudem wird der Informationsfluss durch die Dokumentation in der Datenbank und den hier hinterlegten Krisenvereinbarungen sichergestellt (vgl. Kap. 4.1.2)47. Da die Bezugsbegleiter und das Kernteam häufig einen besseren Überblick über den Krisenverlauf haben, zeichnete es sich als hilfreich ab, einen entsprechenden fachlichen Hintergrunddienst zu implementieren, an den sich die Mitarbeiter der Rufbereitschaft zur Rücksprache wenden können. Insgesamt besteht eine deutlich höhere Auslastung auch der telefonischen Krisenintervention in den Kernzeiten, also werktags bzw. tagsüber, während die Auslastung in den Abendstunden und an den Wochenenden entsprechend der Neueinschreibungen langsam anwächst. Dennoch zeichnet sich die Bedeutung der niedrigschwelligen Erreichbarkeit und der Kontinuität der Leistungen durch den aktiven Kontakt der Mitarbeiter zu einzelnen Klienten ab. So werden seitens der Bezugsbegleiter häufig Verabredungen getroffen, die Klienten am Abend zu kontaktieren, um damit den Krisenverlauf aktuell einschätzen und gegebenenfalls weitere Hilfen veranlassen zu können. Auch äußern Klienten Ängste, sich in Krisenzeiten an das NWpG zu wenden. Diesen wird mittels aktiver Kontakte durch das NWpG Sicherheit vermittelt und die Angst genommen, sich am Telefon zu entlasten oder aber Hilfen zeitnah anzufordern. Im Krisenfall stellt die 24-stündige Erreichbarkeit somit eine Hilfeform dar, die eine Planung der Versorgung und die Möglichkeit rascher, flexibler aber auch verbindlicher Hilfe wesentlich stützt (vgl. Tacchi/Scott 2008, 167). 46 Zum Beispiel bei der Deutschen Gesellschaft für Case- und Care Management: http://www.dgcc.de/ 47 Die Mitarbeiter werden zudem regelmäßig in der Telefonarbeit geschult, unter anderem durch eine Psychologin, die in der Leitungsfunktion des Krisendienst Psychiatrie München umfangreiche Erfahrung mit der Krisenintervention am Telefon einbringt. Seiten 66 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.1.2 Die gemeinsame Krisenvereinbarung zur Förderung von Empowerment Eine zwischen den Klienten und Bezugsbegleitern des NWpG getroffene Krisenvereinbarung48 soll die Wahrung individueller Interessen im Akutfall festlegen. Klienten als Experten in eigener Sache haben so im Vorfeld von Krisen die Möglichkeit Überlegungen anzustellen, wie die Mitarbeiter im Falle einer beginnenden Krankheitsepisode vorgehen sollen, wenn keine klare Absprachefähigkeit mehr möglich ist. Behandlungspläne und -vereinbarungen49 zielen vorrangig auf die aktuelle Situation ab, während Krisenvereinbarungen im Sinne einer Prophylaxe erarbeitet werden, um psychiatrieerfahrene Menschen in ihrer Selbstbestimmung zu stärken und Vereinbarungen hinsichtlich der gewünschten Versorgung sollen bereits im Vorfeld akuter Krisen zu treffen, in denen sie nur mehr schwer entscheidungsfähig sind (Henderson et al. 2008, 65ff). Sie erheben nicht den Anspruch, immer und jederzeit den zum Zeitpunkt der Krise vorliegenden Wünschen gerecht zu werden, was wiederum bedeutet, dass es sich dabei nicht um ein starres Instrument im Sinne einer Patientenverfügung handelt. Wie auch die Behandlungsvereinbarungen, bilden sie im Gegensatz zu dieser keine juristische Grundlage, sondern können nur als Orientierung dienen (vgl. ebd.). Die gemeinsam mit den Klienten erarbeitete Krisenvereinbarung stellt eine noch relativ neue Intervention in der psychiatrischen Versorgung (vgl. Kleinschmidt 2010, 23). Dabei dienen solche Vereinbarungen auch vorbeugend, allzu eingreifende und unter Druck setzende Interventionen und letztlich auch eine Behandlung per Zwang zu vermeiden (vgl. Henderson et al. 2008, 63). Die Nutzer haben die Möglichkeit, Behandlungsformen wie Erfahrungswerte mit Medikamenten darzulegen. Zudem sollen Wünsche und Ressourcen ihren Platz finden und die Klienten formulieren ihre individuellen Copingstrategien im Umgang mit Frühwarnzeichen oder einer manifesten Krise50. 48 Der Krisenvereinbarung ist einem Krisenplan gleichzusetzen. Der Begriff der Vereinbarung soll jedoch deutlich machen, auf welche Leistungen die Klienten im Bedarfsfall tatsächlich Anspruch haben. 49 Das Instrument der Behandlungsvereinbarung scheint bis dato in Deutschland nur wenig Verwendung zu finden und wurde bei den ersten Umsetzungsversuchen seitens der Psychiatrieerfahrenen mitunter kritisch diskutiert. Sie findet in Deutschland ihren Platz eher in Kliniken und soll als Grundlage für die Behandlung im stationären Bereich vor allem in Akutsituationen dienen. 50 Diese Orientierung hin zu individuell hilfreichen Strategien und Bedürfnissen taucht dabei im „Wellness recovery action plan“ auf und ist bewusst hinsichtlich der Stärkung von Selbstbestimmung und Ressourcenorientierung intendiert (vgl. http://www.mentalhealthrecovery.com/). Seiten 67 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Zudem können die Klienten Personen benennen, die sich in einer Zuspitzung von Krisen an das NWpG wenden können und welche Unterstützung sie sich von den Bezugsbegleitern wie auch den weiteren Helfer wünschen. Diese Art der Krisenvereinbarung ist in der Literatur dabei am ehesten mit den sogenannten „Joint Crisis Plans“ vergleichbar (Henderson 2008, 66f). Die Klienten nehmen hierin mit den Bezugsbegleitern eine wesentliche Rolle in der gemeinsamem Gestaltung der Krisenvereinbarung ein, außerdem werden auch Dritte einbezogen. Dabei handelt es sich im besten Falle um Angehörige und Freunde, die oftmals großes Erfahrungswissen aus vorangegangenen Krisen mitbringen. Dieses Wissen spielt auch in der Krisenversorgung eine wichtige Rolle und kann sowohl für die Klienten, wie auch für die Mitarbeiter des NWpG eine wichtige Ressource darstellen. Zudem stellen Angehörige und Freunde nicht nur die Alltagsbegleiter dar, sondern können auch wichtige Krisenbegleiter im Lebensumfeld sein. Es gilt allerdings zu bedenken, dass auch diese in Krisen hoch belastet sein können und intensiver Unterstützung bedürfen. Als weitere Beteiligte werden die bestehenden professionellen Helfer in die Gestaltung der Krisenvereinbarung sowie in die Abstimmung der zugrunde liegende Behandlungsplanung einbezogen und die jeweiligen Anliegen im Sinne der Betroffenen koordiniert. „Treatment plans currently have the highest chance of completion. They address ongoing and emergency care, as well as interprofessional communication and communication between patient and providers.“ (vgl. Henderson et al. 2008, 68f). Die Entwicklung der Krisenvereinbarung kann sich über mehrere gemeinsame Termine und Gespräche mit Dritten gestalten. Im Anschluss bekommen die Klienten die Krisenvereinbarungen ausgehändigt, um sich damit individuell auseinanderzusetzen und diese entsprechend ihrer Bedürfnisse zu erstellen. Wie zuvor erläutert, kann die Vereinbarung nicht starr verwendet werden und wird im eigentlichen Krisenfall stets auf ihre Aktualität, wie auch auf die in der Krise bestehenden Bedürfnisse der Betroffenen angeglichen51. 51 Da es innerhalb eines Krisenverlaufes zur Notwendigkeit einer unmittelbaren stationären Aufnahme kommen kann, ist es für die Nutzer sinnvoll, dass seitens des NWpG Informationen zum Patienten an die Klinik gegeben werden können. Entsprechende Behandlungswünsche könnten aber auch in einem Krisenpass mit sich geführt werden. Dieser ist unter anderem bei den Münchner Psychiatrieerfahrenen als Download erhältlich (http://www. muepe.org/Patientenrechte/pass.pdf). Seiten 68 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.1.3 Das Casemanagement im NWpG Ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum stammend, soll das Casemanagement (CM) die Koordinierung der beteiligten Leistungserbringer sowie des sozialen und professionellen Netzwerks übernehmen und gemeinsam mit den Betroffenen die jeweiligen Leistungen abstimmen (vgl. Kap. 2.3.1). Das CM verfolgt das Ziel, der Lebensweltorientierung bei einer gleichzeitigen Einbeziehung von ökonomischen Aspekten (Kleve 2005, 3). Dies soll im besten Falle die Dauer der Unterstützung durch professionelle Helfer reduzieren und zudem eine Selbsthilfeorientierung befördern (ebd., 4). Dabei wird das CM innerhalb des NWpG mittels eines teambasierten Ansatzes umgesetzt, in welchem die jeweiligen Casemanager als direkte und dauerhafte Ansprechpartner für die eingeschriebenen Versicherten zur Verfügung stehen (vgl. Stein/Santos 1998, 55). Neben der Erstellung von Behandlungsplänen und Krisenvereinbarungen, welche eng mit bestehenden Fachärzten sowie anderen Akteuren aus dem privaten wie auch professionellen Helferbereich abgestimmt werden, dient der Casemanager auch als Bindeglied zwischen ambulantem und stationärem Bereich, aber auch zwischen den beteiligten Leistungserbringern. Gerade bei der Entlassung aus dem stationären Bereich soll der Casemanager aber eine lückenlose Überleitung sicherstellen (vgl. Walle et al. 2010, 107f). Entsprechend der Anforderung an eine Integrierte Versorgung und der Leistungserbringung über die Schnittstellen hinweg, findet im Rahmen des NWpG ein systemisches CM Anwendung, welches die Kontextualisierung, die Problembeschreibung wie auch die Ressourcenanalyse in den Blick nimmt. Dieser folgt die systematische Hypothesenbildung und die Evaluation hinsichtlich der Effektivität- und Effizienz. Der fachlichen Leitung des NWpG obliegt hierin vorrangig die Aufgabe der Steuerung und des Controllings der Leistungen, basierend auf den fachlichen Leitlinien sowie den institutionellen Zielen (vgl. Kleve 2005, 8). Seiten 69 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.1.4 Die konzeptionelle Umsetzung der Soziotherapie Das unter dem Begriff der ambulanten Soziotherapie subsumierte Vorgehen, das nach §37 SGB V als abrechenbare kassenärztliche Einzelleistung in den Versorgungskatalog aufgenommen wurde, lässt sich grundsätzlich in das CaseManagement-Modell einordnen (vgl. Becker et al. 2008, 95). Es stellt einen „personenzentrierten Hilfeansatz zur Koordination von Leistungen mit dem Ziel der Erreichung einer selbständigen Inanspruchnahme des Betreuten“ dar (vgl. ebd.). Die Soziotherapie konnte sich in Deutschland kaum verbreiten, was unterschiedlichen Gründen geschuldet ist, wie etwa einem problematischen Rahmenvertrag hierzu und hochschwelligen Zugangskriterien bei einer oftmals nicht ausreichenden Kostendeckung (vgl. ebd., Melchinger 2008, 37, 54f, 66f). Die innerhalb des NWpG durchgeführte Soziotherapie orientiert sich an den Soziotherapie-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (2002), weicht jedoch in der Möglichkeit der Verordnung ab, indem sie nicht nur durch Fachärzte sondern auch durch die Casemanager des NWpG in die Wege geleitet werden kann und sie sich nicht nur nach der zugrunde liegenden psychischen Störung richtet. Sie wurde in Anlehnung an die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Durchführung der Soziotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung sowie den Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen für die Erbringung der ambulanten Soziotherapie entwickelt und beinhaltet folgende fachliche Kriterien: Einbindung der Soziotherapie in den Gesamtbehandlungsplan Koordination von soziotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen und Leistungen Arbeit im Lebensumfeld des Patienten Motivations- und antriebsrelevantes Training Training zur handlungsrelevanten Willensbildung Anleitung zur Verbesserung der Krankheitswahrnehmung Hilfe in Krisensituationen Monitoring des Therapieerfolgs (Gemeinsamer Bundesausschuss 2002, 4f) Seiten 70 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil In der praktischen Umsetzung erweiterte sich der Baustein der Soziotherapie um die Betonung medizinischer und sozialer Kompetenzen bei einer verstärkten Teamorientierung und ist daher nun eher mit dem Konzept des ACT vergleichbar (vgl. Stein/Santos 1998, 55; Kap. 2.3.2). Im Bedarfsfall besteht für die Betroffenen die Möglichkeit, an sieben Tage der Woche Unterstützung im Sinne einer soziotherapeutischen Intervention zu erfahren52. Folgende Kenntnisse entsprechen dabei den vertraglichen Voraussetzungen für die Mitarbeiter, die Soziotherapie im Rahmen der Integrierten Versorgung erbringen können: Kenntnisse der psychiatrischen Erkrankungen (Krankheitsbilder, Verlauf, Behandlungsmethoden) Kenntnisse und praktische Erfahrungen mit schwer psychisch Kranken, insbesondere im Hinblick auf deren Verhaltensweisen und Krisenfrühwarnzeichen Kenntnisse und Erfahrungen in koordinierender und begleitender Unterstützung und Gruppenarbeit Kenntnisse über komplexe, aktivierende und handlungsorientierte Methoden und Verfahren Kenntnisse in der Aufstellung und Umsetzung von soziotherapeutischen Betreuungsplänen mit Formulierung von Therapiezielen, Dokumentation von Behandlungsverläufen Kenntnis des gemeindepsychiatrischen Verbundsystems Kenntnis des Sozialleistungssystems Kenntnisse in Rechtskunde, insbesondere im Hinblick auf die Betreuung von psychisch Kranken (aus dem Vertrag zur Integrierten Versorgung des NWpG) In der Praxis wird in den Begrüßungsgesprächen mit den Bezugsbegleitern zudem angestrebt, eines dieser Gespräche zuhause bei den Klienten zu führen. Dies soll den Mitarbeitern die Möglichkeit geben, die Lebenswelt der Betroffenen auch in einer krisenfreien Zeit kennenzulernen, und damit auch Einblick in deren Alltag und Ressourcen bekommen (vgl. Aderhold 2010, 111). Zudem soll es den Klienten die Möglichkeit geben, sich auf eine Versorgung zuhause einstellen zu können und Ängste hierzu im Vorfeld zu bearbeiten. Immer wieder können so 52 Hinzu kommen Hausbesuche durch Fachärzte, die damit auch die ärztliche Behandlung zu Hause sicherstellen. Seiten 71 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Angehörige oder das weitere soziale Netz unmittelbar in die Gespräche einbezogen werden (vgl. ebd., Kleinschmidt 2010, 26). Fallbeispiel 1: Der Klient, 35 Jahre, Diagnose paranoide Schizophrenie, wendet sich an die Koordinationsstelle des NWpG. Aus dem ‚ Assesssment sind vier stationäre Aufenthalte sowie ein Suizidversuch im Rahmen einer psychotischen Episode bekannt. In einem ersten telefonischen Krisentelefonat mit seiner Bezugsbegleiterin schildert der Klient Wahnwahrnehmungen und seit circa vier Tagen unter Schlafstörungen zu leiden. Den Krisenanlass sieht er in einer Überforderung durch seine berufliche Tätigkeit und hieraus resultierende Ängste, seinen Job verlieren zu können. Für denselben Tag wird ein Termin bei seiner behandelnden Psychiaterin vereinbart, zu dem ihn seine Bezugsbegleiterin begleitet. Hier wird die medikamentöse Unterstützung und die weitere Behandlungsplanung besprochen. Der Klient äußerte bereits bei der gemeinsam gestalteten Krisenvereinbarung Ängste, seine Wohnung verlassen zu müssen, und somit wird im Rahmen der Krisenversorgung ambulante Soziotherapie verordnet. Im Rahmen dieser wurden gemeinsam mit dem Klienten dessen Arbeitgeber über die Krankschreibung informiert. Zudem zielten supportive Gespräche auf die geschilderte Problematik in der Arbeitssituation ab. Nach einer siebentätigen Verordnung der Soziotherapie für vier Stunden täglich, fand ein weiterer Termin mit der Psychiaterin zur weiteren Planung statt. Da die geschilderten Interventionen bereits nach kurzer Zeit einer Stabilisierung dienten, wurde die Soziotherapie für die kommenden zwei Wochen nur mehr tageweise verordnet, während tägliche telefonische Kontakte mit dem Klienten vereinbart wurden. Nach drei Wochen sah er sich als ausreichend stabil, wieder an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. In einem gemeinsamen Netzwerkgespräch mit seinem Arbeitgeber wurden die bestehenden Probleme besprochen und konnten erfolgreich bearbeitet werden. Seither hat der Klient entsprechend seines Wunsches alle vier Wochen einen kurzen telefonischen Kontakt zu seiner Bezugsbegleiterin und kommt circa alle acht Wochen zu einem persönlichen Gespräch. Seiten 72 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Um eine kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten, die insbesondere im Rahmen von neuerlichen Krisen eine intensive Versorgung sicherstellen soll, ist es jedoch notwendig, teambasiert zu arbeiten (vgl. Stein/Santos 1998, 55). Die Bezugsbegleiter halten auch in Zeiten zu den Betroffenen Kontakt, die diese selbst als krisenfrei erleben, und bieten zur Vermeidung weiterer Krisen und im Sinne der Prävention die Möglichkeit von Beratungen an. Intention ist neben der Kontaktpflege auch, gemeinsam an gesundheitsfördernden und stabilisierenden Faktoren zu arbeiten (vgl. Burns 2010,132). More often than not, a telephone or in-person intervention by someone whom the patient knows well can interrupt a behavioral pattern that might proceed to crisis proportions. (Stein/Santos 1998, 56) Es entspricht auch der Idee von Stein und Santos (1998, 71f), gegenüber den Nutzern eine zu klare Zuteilung zu einem Casemanager oder Bezugsbegleiter zu vermeiden. Ihre Sorge wurde damit begründet, dass schwer beeinträchtigte Menschen oder aber Menschen mit psychotischen Störungen ihr Gegenüber als einzige Spiegelung ihrer Psychopathologie wahrnehmen oder bei den Mitarbeitern das Gefühl einer Überforderung rascher entstehen könnte. Die Beteiligung mehrerer Bezugsbegleiter gewährleistet eine kontinuierliche Versorgung und kann den unterschiedlichen Bedürfnissen der Betroffenen besser entsprechen (vgl. Burns 2010, 132). Es bildet auch eine Voraussetzung die „passenden“ Bezugsbegleiter auszuwählen und damit auch einen Wechsel der zuständigen Bezugsbegleiter (vgl. Stein/Santos 1998, 49). Diese Aspekte sollen die Verantwortung vor allem im Rahmen des Krisenmanagements auf das Team verteilt werden (vgl. ebd. 71f). Dennoch steht weiter ein Bezugsbegleiter im Sinne des Case Managements zur Verfügung, der auch die Gefahr abwenden soll, dass sich kein Teammitglied verantwortlich sieht und somit das Risiko von Fehlern oder Brüchen in der Versorgung wächst. Die Einbindung aller Teammitglieder in die Versorgung fördert nicht nur die Qualität dieser, sondern stellt auch eine erhöhte Zufriedenheit unter den Mitarbeitern her, die gemeinschaftlich und gleichberechtigt an den Prozessen hierzu beteiligt sind. Die Ergebnisse aus den evidenzbasierten Studien zum HT und ACT wie auch die Erfahrungen aus dem ersten Jahr des NWpG, lassen den Schluss zu, dass der teambasierte Ansatz bei der gleichzeitigen Sicherstellung eines festen Bezugsbegleiters einerseits Beziehungskontinuität ermöglicht und andererseits Seiten 73 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil der Versorgung akuter Krisen am ehesten gerecht werden kann. Analog zum ACT und HT soll die Fallzahl für die Bezugsbegleiter und das Team klein gehalten werden, gleichwohl es keine klaren Belege für eine (Höchst-)Größe und eine hiermit verbundene Verbesserung hinsichtlich des Outcomes gibt. Jedoch erhöht sich damit das Potential, dass die einzelnen Teammitglieder alle Klienten kennen (vgl. Burns 2007, 431f, vgl. Kent/Burns 1998, 146f; Stein/Santos, 1998: 64, 71; vgl. Kap. 2.3.2)53. Die Aufgaben der Bezugsbegleiter umfassen derzeit folgende Bereiche: drei bis fünf Begrüßungsgespräche der Nutzer und mit mindestens zwei festen Bezugsbegleitern des NWpG, von der eine die Funktion der Hauptbezugsperson übernimmt Erhebung von Daten, biografischen Berichten wie auch der psychiatrischen Vorgeschichte Erarbeitung einer gemeinsamen Krisenvereinbarung und die Erstellung einer Behandlungsplanung gemeinsam mit dem behandelnden Psychiater Weitere Elemente werden den Patienten angeboten und auf individuellen Wunsch in die Begrüßungsgespräche integriert oder aber im weiteren Verlauf umgesetzt: Hausbesuche Einbeziehung Angehöriger und/oder des weiteren sozialen Netzes in die Krisenvereinbarung Gemeinsame Gespräche mit anderen Behandlern und professionellen Helfern zur Abstimmung der Leistungen und zur Einbeziehung in die Krisen- und Behandlungsvereinbarung Neben der Zeit, die den Klienten auch im Rahmen von Hausbesuchen mitgebracht wird, steht insbesondere in der Krisenversorgung stets die Frage nach dem Wechsel der betreuenden Personen im Vordergrund, da dieser Ängste und Vorbehalte seitens Betroffener und Angehöriger erzeugen kann. Auch dies spricht für eine eher kleine Teamgröße, verbunden mit der Gewährleistung eines engen Kontaktes mit der Hauptbezugsperson, der hier vorrangig die Aufgabe zukommt, Akzeptanz herzustellen (vgl. Tacchi und Scott 2008, 166ff). 53 Da ein wesentliches Kriterium für die Vermeidung von Krankenhausaufnahmen auch die Häufigkeit von Kontakten ist, spricht dies für eine geringe Fallzahl (vgl. Kent/Burns 1998, 146f). Seiten 74 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Einen wesentlichen Bestandteil in der Integrierten Versorgung stellt die ambulante Krisenversorgung in einem zeitlich abgesteckten Rahmen dar. Dies kann neben den zuvor genannten Interventionen und Maßnahmen auch eine stabilisierende Alltagsbegleitung sein. Die verstärkte Teamorientierung beinhaltet dabei auch einen Zugewinn durch einen Wissens- und Erfahrungsaustausch der einzelnen Professionen und unterschiedlichen Berufserfahrungen, die reine Teambesprechungen kaum ermöglichen könnten (vgl. Aderhold 2010, 109). Dabei ist die Beziehungskontinuität im NWpG als wesentlicher Baustein der Integrierten Versorgung gewünscht, zuweilen besteht jedoch gerade bei komplexen Problemlagen durch das Hinzuziehen weiterer Mitarbeiter sowie dem gemeinsamen Reflektieren eine Chance, neue Lösungsmöglichkeiten zu gewinnen. „Die Herstellung wirklich bedeutsamer Behandlungssituationen ist sehr viel wichtiger als strukturgebende Einzelgesprächsroutine. Die Kontakte haben dadurch weniger Routinecharakter, sind dynamischer, aber zunächst auch anstrengender. Es entstehen jedoch öfter bedeutsame Prozesse.“ (Aderhold 2010, 111) Da derzeit von einem weiteren Wachstum des NWpG auszugehen ist, wird sich dabei auch das Team stetig vergrößern – bereits zum aktuellen Stand (August 2011) sind weitere Neueinstellungen geplant. Um den Klienten dabei nicht als unüberschaubare Institution zu begegnen und den Informationsfluss wie die Beziehungskontinuität zu gewährleisten, sollte das Team nicht zu groß werden. Dies würde im weiteren Verlauf zum einen für eine Teilung des Teams entsprechend der Regionen oder aber für eine Dezentralisierung und damit einem weiteren Standort innerhalb Münchens sprechen. Wie in den Teamstrukturen des ACT oder HT wird bei der Zusammensetzung des Teams nicht nur in Hinblick des Professionenmixes sondern auch hinsichtlich der Mischung von Berufseinsteigern und berufserfahrener Mitarbeiter auf große Diversität geachtet. So besteht einerseits die Notwendigkeit, erfahrene Kollegen wegen ihrer Expertise einzubeziehen oder aber der Unsicherheit der Betroffenen entgegenzuwirken, die oftmals über ein jahrzehntelanges Expertenwissen verfügen. Andererseits bringen junge Kollegen das Potential ein, einen noch unverfälschten Blick einzunehmen und sich weniger auf ihre professionelle Attitüde zu beziehen (Fiander et al. 2003, 249ff). Die zuvor erläuterten Tätigkeitsfelder erfordern entsprechende Qualifikationen der Mitarbeiter, die neben ihrer Aus- Seiten 75 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil bildung zudem über unterschiedliche Fort- und Weiterbildungen verfügen. Zudem werden die Mitarbeiter in regelmäßigen Teamsitzungen und im Rahmen des Qualitätsmanagements in die Gestaltung der Handlungsabläufe, Standards, Leitlinien und der Philosophie der Einrichtung einbezogen. Die grundlegenden Tätigkeiten und Kenntnisse lauten wie folgt: psychosoziale Interventionen Problemerkennung und -lösung und Ressourcenorientierung Hausbesuche Assessment Risikomanagement klinische Kenntnisse Beratung von Angehörigen Kenntnisse in der Krisenversorgung sowie der langfristigen Behandlung der bekannten psychischen Störungen besondere Kenntnisse im Umgang mit Psychosen Kenntnisse über Medikamente und deren Einsatz (vgl. Rosen et al. 2008, 242) Als klinische Kenntnisse werden weitere Aspekte der Dringlichkeit von Hilfen, die Versorgungsplanung sowie Aspekte zur Rückfallprävention wiederkehrend Thema der Besprechungen und Schulungen (vgl. Ramsey/Shaw 2008, 313). Neben diesen liegt der Tätigkeit vorrangig eine wertfreie, von Akzeptanz geprägte Haltung zugrunde, die Betroffene wertschätzt und im Sinne des Empowerments fördert. Zudem ist gerade in der Krisenversorgung ein offener, flexibler sowie kreativer Arbeitsstil von besonderer Bedeutung, der lösungsorientiert und von Hoffnung geprägt ist (vgl. Rosen et al. 2008, 242). Weiter basiert die multidisziplinäre Zusammenarbeit darauf, dass alle Mitarbeiter unabhängig ihrer Profession soweit als möglich in der Lage sind, dieselben Tätigkeiten zu übernehmen und jede zusätzliche Kompetenz als „Extra“ verstanden wird, die entsprechend des Bedarfs gezielt eingesetzt werden kann (vgl. Niemiec 2008, 325). Seiten 76 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Fallbeispiel 2: Die Mutter einer Klientin wendet sich in den Abendstunden an die Koordinationsstelle. Sie schildert die Sorge hinsichtlich einer sich zuspitzenden Krise und den Verdacht, dass ihre Tochter keine Medikamente mehr einnehme. Aus dem Assessment sind acht stationäre Aufenthalte, zumeist aufgrund eines Unterbringungsbeschlusses, bekannt. Die Klientin ist 52 Jahre alt, einer bipolare Störung wurde diagnostiziert. Aus der Krisenvereinbarung geht unter anderem hervor, dass der Mutter die Frühwarnzeichen bekannt sind, diese als Krisenhelferin seitens der Klientin erwünscht ist und die Krisen sich meist rasch zuspitzen. Bei der telefonischen Kontaktaufnahme durch die Bezugsbegleiterin mit der Klientin wirkt diese deutlich unruhig und bagatellisierend, ist aber mit einem Hausbesuch gemeinsam mit der Mutter einverstanden. Im Rahmen dieses Hausbesuchs zeigt die Klientin Hinweise auf psychotisches Erleben, ist mitunter misstrauisch und ablehnend bezüglich einer weiteren Behandlung, erklärt sich jedoch mit einem Hausbesuch durch die Bezugsbegleiterin am folgenden Tag einverstanden. Aufgrund der bestehenden Krise wird dieser Termin mit einer Kooperationsärztin wahrgenommen. Nach einem ausführlichen Krisengespräch über die Ängste vor weiteren Zwangsmaßnahmen und den Nebenwirkungen der Medikamente zeigt sich die Klientin bereit, die verordnete Notfallmedikation einzunehmen. Sie ist ambivalent bezüglich einer kontinuierlichen Begleitung, ist im Verlauf jedoch einverstanden, über die Mitarbeiter des NWpG und der Mutter im Rahmen der Krise zu Hause begleitet zu werden. Nach einer zweiwöchigen intensiven Versorgung mit fachärztlicher Unterstützung und der Sicherstellung der Medikamenteneinnahme stabilisiert sich die Klientin zunehmend. In der Folge wird die Klientin noch engmaschig in häufigen Terminen bei der behandelnden Psychiaterin und im Rahmen von Soziotherapie sowie Ergotherapie begleitet. Insgesamt spannte sich der Verlauf der Krise um einen Zeitraum von circa vier Wochen und benötigte intensive multiprofessionelle Unterstützung. An die akute Krisenversorgung schlossen im Rahmen von ambulanter Soziotherapie und psychiatrischer Behandlung weitere Maßnahmen zu folgenden Themen an: Gespräche bezüglich der möglichen Krisenauslöser, der Beeinträchtigung und den Auswirkungen der Erkrankung zur weiteren Gestaltung der Krisenvereinbarung Erarbeitung protektiver Faktoren psychoedukative Gespräche bezüglich der Medikamenteneinnahme gemeinsame Gespräche mit der Mutter im Sinne einer Angehörigenberatung Seiten 77 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Alle Beteiligten, vor allem die Klientin wie ihre Mutter, zeigten sich aufgrund des Krisenverlaufs positiv überrascht, da vorangegangene Krisen zumeist mehrere Monate stationärer Behandlung bedurften. Dieser interdisziplinäre Teamansatz, der bei allen Mitarbeitern eine gemeinsame Basis zugrunde legt, ermöglicht flexible, kontinuierliche sowie adäquate Hilfe. Die Tätigkeit des NWpG basiert zudem auf fachlichen Leitlinien54. Interne schnittstellenbezogene und institutionenbezogene Leitlinien werden stetig weiterentwickelt (vgl. Kap. 4.2). Dennoch ist anzunehmen, dass für viele Betroffene vorrangig die ihnen entgegengebrachte Zeit und die damit verbundene Möglichkeit der emotionalen Entlastung ein wesentliches Kriterium der Unterstützung darstellt, unabhängig oder aber zusätzlich der zugrunde liegenden Fachlichkeit (vgl. Johnson/Needle 2008, 75ff). Die Versorgung unmittelbar, flexibel und im gewohnten Lebensumfeld zu ermöglichen, schafft zudem die Chance, ebenso rasch auf soziale Problemlagen dort zu reagieren. Mittels des zuvor erläuterten Krisenverständnisses, in welchem soziale Faktoren eine wichtige Rolle als Krisenauslöser oder aber im individuellen Krisenerleben einnehmen können, zeigt sich zudem, welche Bedeutung die Interventionen im Umfeld und dem sozialen Netz einnehmen können (vgl. Kap. 2.2.4; Kap. 4.1.2). 4.1.5 Kooperation mit anderen Leistungserbringern Grundsätzlich ermöglicht der Vertrag dem NetzWerk psychische Gesundheit, auch andere Leistungserbringer in die Versorgung einzubeziehen. In München wurde aufgrunddessen ein Kooperationsvertrag mit der Brain Insight GmbH abgeschlossen, einem Zusammenschluss niedergelassenenr Fachärzte. Die fachärztlichen Leistungen bei den niedergelassenen Ärzten zu belassen, erhöht zunächst zwar den Koordinationsaufwand, kann die Fallsteuerung erschweren und schafft Abhängigkeiten von ebendiesen als Leistungserbringern. Jedoch generiert dieser Zugang zu ärztlicher Leistung auch die Sicherstellung der freien Arztwahl. Insbesondere die langjährigen Erfahrungswerte der USA zeigen, dass Ärzte, die ihre Leistungen im Rahmen der Managementgesellschaften erbringen, also bei diesen direkt angestellt sind, in ihrer Unabhängigkeit hinterfragt werden (vgl. Steckermaier 2010, 88). Die Einbeziehung einzelner Vertragsärzte würde die Anforderung dergestalt erhöhen, dass es gälte, Einzelmeinungen zu berück54 http://www.dgppn.de/ Seiten 78 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil sichtigen. Ein Einstimmigkeitsprinizp ist eher durch den Zusammenschluss zu einem Verbund oder aber einer GmbH herzustellen, wie es in München derzeit der Fall ist. Eine Einbindung niedergelassener Ärzte, wie es derzeit in München der Fall ist, ermöglicht somit nicht nur eine verbesserte Versorgung der Patienten, die ebendort in Behandlung sind, sondern fördert im besten Falle auch die Akzeptanz der Fachärzte in der Region (vgl. ebd.)55. Innerhalb der Krisenversorgung des NWpG ist eine fachärztliche Behandlung unerlässlich und wird derzeit durch die Kooperation mit der Brain Insight GmbH umgesetzt. Die hier kooperierenden Ärzte erbringen die aus dem SGB V beschriebenen Leistungen weiter gemäß den EBM-Vorgaben56, können aber für die Nutzer des NWpG in drohenden oder sich zuspitzenden Krisen zusätzliche Leistungen erbringen, welche durch das NWpG im Rahmen einer Einzelfallvergütung honoriert werden. Sie erfüllen diese Leistungen nicht nur für Patienten, die sich bei ihnen in Behandlung befinden, sondern bieten akute Krisenbehandlung auch für Patienten an, deren behandelnde Ärzte nicht zeitnah erreichbar sind. Grundsätzlich ist eine weitgefächerte Kooperation zwischen allen bestehenden Psychiatern gewünscht. Diese soll eine zielgerichtete und umfassende Behandlung gewährleisten, welche die reguläre Behandlung deutlich optimieren soll. Die Kombination ärztlicher und nicht-ärztlicher Unterstützung, soll eine Alternative zu Klinikaufenthalten ermöglichen können (vgl. Steckermaier 2010, 87). Dies bedeutet einen stetigen Austausch mit den Ärzten und die Einbeziehung dieser in die Versorgung. Grundsätzlich bestünde gemäß des Vertrages die Möglichkeit, eine vergleichbare Kooperation auch mit anderen Leistungserbringern einzugehen, wie etwa Kliniken oder aber Anbietern der häuslichen psychiatrischen Krankenpflege. Die Vergütung könnte entsprechend einer Einzelleistungsvergütung oder aber im Rahmen eines Gesamtbudgets erfolgen. Hierdurch wäre sicherlich eine Optimierung an den Schnittstellen und eine bessere trägerübergreifende Versorgung möglich und daher weiter förderungswürdig. 55 Allerdings betrachtet ein Großteil der Ärzteschaft bundesweit Verträge der Integrierten Versorgung kritisch und sieht diese als reine Einsparmodelle der gesetzlichen Krankenkassen (vgl. Greuel und Mennemann 2006, 49ff). 56 EBM: Einheitlicher Bewertungsmaßstab Seiten 79 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.1.6 Die psychiatrische Pflege als weiterer Baustein In Anlehnung an die Richtlinien über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege in der vertragsärztlichen Versorgung nach §92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V erfolgt die Psychiatrische Pflege. Ähnlich der Soziotherapie nach §37a SGB V verhält es sich mit dem Stand der Implementierung der Psychiatrischen Pflege in Deutschland. Ist die ambulante psychiatrische Krankenpflege zur Vermeidung, Verkürzung oder auch als Alternative zu stationären Aufenthalten gedacht, konnte sie aus politischer Aufgabenverteilung und finanzieller Anreizsysteme in den letzten Jahren nicht flächendeckend eingeführt werden (vgl. Obert 2006, 22ff). Die Standards für die häusliche Pflege orientieren sich vor allem an somatischen Erkrankungen, während spezielle Leistungen für psychisch kranke Menschen noch weitgehend unbeachtet blieben. Dies mag wohl auch die Begründung darstellen, sie im Rahmen einer Integrierten Versorgung verstärkt zu implementieren. Fallbeispiel 3: Der 54-jährige Klient, Diagnose schizoaffektive Störung und gemischte Persönlichkeitsstörung, wendet sich immer häufiger mit diffusen, zum Teil aggressiven Forderungen an die Koordinationstelle und taucht dort unangemeldet auf. Er ist in unregelmäßigen Abständen ohne Termin bei einer kooperierenden Psychiaterin in Behandlung, nimmt jedoch seit mehreren Jahren keine Medikamente ein. Die Versuche, Hilfen zu organisieren, misslangen, da der Klient die Helfer rasch ablehnte. Aus dem Assessment zeigten sich zahllose stationäre Aufenthalte. Stets zeigten sich die Probleme im Rahmen der Selbstversorgung und zeichneten sich in einer massiven Verwahrlosungstendenz ab. In einem gemeinsamen Netzwerkgespräch mit der Psychiaterin, wurde der Klient motiviert, die Hilfen des NWpG und dabei vorrangig der häuslichen psychiatrischen Pflege in Anspruch zu nehmen. Gleichwohl er die Mitarbeiter zu Beginn nicht zu den verabredeten Terminen einließ, zeichnete sich über eine längere Beziehungsarbeit durch seinen Bezugsbegleiter eine Verbesserung der Inanspruchnahme der Leistungen ab. Daher konnten in einem nächsten Schritt im Rahmen von gemeinsamen Netzwerkgesprächen frühere Helfer zur hauswirtschaftlichen Versorgung sowie des betreuten Einzelwohnens einbezogen werden. Über einen mittlerweile mehrere Monate andauernden Verlauf nimmt der Klient die zuvor beschriebenen Hilfen in Anspruch, äußert eine emotionale Entlastung und meldet sich nur mehr in seltenen Abständen bei seinem Bezugsbegleiter. Seiten 80 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Auch wenn die ambulante psychiatrische Pflege seitens der Sozialpsychiatrie lange Zeit gefordert wurde, lässt sich aus den Erfahrungen im NWpG derzeit nicht sicher feststellen, welcher Stellenwert ihr zuzuordnen ist (vgl. ebd.). In der Praxis verhält es sich mit der Einleitung einer solchen, wie mit dem bezüglich der Soziotherapie beschriebenen Verfahren: Das heißt sowohl der behandelnde Arzt wie auch die Casemanager des NWpG können diese bei Bedarf unabhängig der zugrunde liegenden Diagnose in die Wege leiten. Wie zuvor erläutert, orientiert sich die konzeptuelle Arbeit des NWpG am HT, NAT und soweit erforderlich am ACT. Das bedeutet letztlich, dass eine klare Trennung zwischen den einzelnen Leistungen wie Soziotherapie und psychiatrischer Pflege nur schwer zu ziehen ist, da die Tätigkeit durch ein multiprofessionelles Team erfolgt. Dennoch erfolgt die Zuordnung der Bezugsbegleiter entsprechend des feststellbaren Bedarfs und den individuellen Bedürfnissen der Klienten (vgl. Kap. 4.1.4). Auch wenn im Erhebungszeitraum keine hohe Dichte der psychiatrischen Pflege vorliegt, wird diese in Einzelfällen oftmals über einen längeren Zeitraum durchgeführt, um eine allgemeine Stabilisierung der Betroffenen in ihrem Lebensumfeld zu erreichen. Da einige Klienten zusätzlich unter chronischen somatischen Erkrankungen leiden, wird zudem eine Überleitung an bestehende Pflegedienste initiiert, mit denen sich die Mitarbeiter des NWpG über die Dauer regelmäßig abstimmen. Grundsätzlich wäre bei einem weiteren Wachstum des NWpG eine Kooperation mit Leistungserbringern vor allem in der ambulanten psychiatrischen Pflege sicherlich erstrebenswert. 4.1.7 Die Rückzugsräume und deren konzeptionelle Grundlage Sollte die Krise der Betroffenen es erfordern und ist dies außerstationär fachlich sinnvoll, besteht die Möglichkeit, in den Rückzugsräumen aufgenommen zu werden, einer Wohnung, die explizit nicht dem stationären Setting gleicht, aufgenommen zu werden. Sogenannte „crisis houses“ entstanden durch Forderungen seitens der Betroffenenverbände, haben sich in Deutschland bis dato jedoch kaum etabliert57. Erst die Verträge zur Integrierten Versorgung ermöglichen es, diese Form der Krisenversorgung in die Realität umzusetzen58. Hier kann die Krise mittels milieutherapeutisch angelehnter Begleitung durch 57 http://www.weglaufhaus.de/weglaufhaus/index.html, http://www.krisenpension.de/, http://www.gapsy.de/rueckzug2.html 58 Allen Formen von Krisenhäusern stehen derzeit seitens der Betroffenverbände hinderliche Faktoren im Wege. So sind sie im Bereich der Integrierten Versorgung von der Mitgliedschaft in bestimmten Krankenkassen abhängig oder aber stehen wie das Weglaufhaus erst bei drohendem Wohnungsverlust zur Verfügung. Seiten 81 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Fachpersonal bewältigt werden. Unter anderem können die Ursprünge hierzu im Modell der Soteria-Behandlung gesehen werden. Die Wohnung oder das Haus soll gemeindenah liegen und zur Stabilisierung nur wenigen Betroffenen bei einer intensiven milieutherapeutischen Betreuung „Obhut“ geben. Der Umgang mit den Betroffenen soll von gegenseitigem Respekt und Zuwendung geprägt sein, dabei Hoffnung und Zuversicht im Hinblick auf eine Genesung vermitteln und die Autonomie wie die individuellen Ressourcen der Betroffenen fördern (Aderhold 2009, 330). In den Rückzugsräumen steht weniger ein therapeutischer Ablauf im Vordergrund als ein sogenanntes „being with“, etwa in der gemeinsamen Gestaltung des Tages. Die Mitarbeiter stehen den Klienten jederzeit, also auch nachts, zur Verfügung. Unternehmungen innerhalb der Gemeinde sollen befördert werden und die Interventionen gezielt alltagsnah sein, wie etwa Einkäufe tätigen, kochen und ähnliches (vgl. ebd.). Hervorzuheben sind an dieser Stelle auch die in Schweden im Zusammenhang mit dem Parachute-Projekt ins Leben gerufene Krisenwohnungen, die eine kurzzeitige Krisenintervention ermöglichen (vgl. Cullberg 2010). Diese weisen im Gegensatz zu den Kontrollgruppen wesentliche Verbesserungen des psychosozialen Funktionsniveaus auf; auch Angehörige zeigen sich mit dieser Form der Behandlung wesentlich zufriedener (Aderhold 2009, 341). In Deutschland konnte sich das Soteria-Modell bis dato kaum etablieren, auch einige Elemente der Soteria in bestehenden Einrichtungen Einfluss auf die konzeptionelle Herangehensweise haben. Um nicht Gefahr zu laufen, diesen Ansatz aus den Augen zu verlieren, sollte eine Kombination Soteriaangelehnter Krisenversorgungsformen/-wohnungen gekoppelt mit dem Angebot gemeindeorientierter aufsuchender Home Treatment Teams ermöglicht werden, die eine Verkürzung von Aufenthalten in der Krisenwohnung ermöglichen und damit auch im Sinne der Kostenreduktion arbeiten (vgl. ebd.). Die Rückzugsräume des NWpG sollen der Forderung eines wohnlichen Ambientes mit einem engen Betreuungsschlüssel sowie dem milieutherapeutischen Ansatz gerecht werden und dies unter der Prämisse der Gemeindeorientierung über 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr. Das NWpG München orientiert sich zudem an den Erfahrungswerten länger bestehender Einrichtungen, wie der Krisenpension in Berlin oder den Rückzugsräumen in Bremen59. Weiter wurden 59 http://www.krisenpension.de/ und http://www.gapsy.de/rueckzug1.html Seiten 82 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil entsprechend des Vertrages aber auch unter Zuhandnahme der einschlägiger Literatur Kriterien entwickelt, wann die Rückzugsräume den eingeschriebenen Klienten zur Verfügung stehen. Eine Aufnahme in die Rückzugsräume setzt ein Vorgespräch mit dem Bezugsbegleiter oder seiner Vertretung voraus und soweit möglich, wird der behandelnde Arzt einbezogen. Sollte dieser nicht erreichbar sein, wird der ärztliche Hintergrunddienst verständigt und kommt aufsuchend in die Rückzugsräume (vgl. Kap. 4.3.3). Zur Planung des Vorgesprächs und der Aufnahme in die Rückzugsräume ist im besten Falle eine telefonische Aufnahmeanfrage von Seiten der Klienten, der Angehörigen wie auch weiterer Helfer erforderlich. Ist das krisenhafte Erleben nicht einschätzbar oder bestehen Bedenken hinsichtlich Gefährdungsmomente (Eigen- und/oder Fremdgefährdung) kann keine Aufnahme bzw. muss eine stationäre Aufnahme erfolgen (aus dem internen Manual für die Mitarbeiter in den Rückzugsäumen). Kriterien, die für die Aufnahme sprechen: Gute Absprache- und Bündnisfähigkeit des Klienten (d.h. im Vorgespräch ist eine vertrauensvolle Ebene erreichbar und evtl. ist bereits während des Gesprächs eine Entlastung spürbar) Bereitschaft, verordnete Medikamente weiter einzunehmen, ggfs. auch Notfallmedikation Bereitschaft zum Arztgespräch Realistische Selbsteinschätzung der eigenen aktuellen psychischen Verfassung Kriterien, die gegen die Aufnahme sprechen Stark eingeschränkte Kooperations- und Behandlungsbereitschaft Deutliche Erregtheit aufgrund derer die weitere Entwicklung der krisenhaften Situation nicht einschätzbar ist Akute Suizidalität (bzw. große Zurückhaltung bei Suizidversuchen in jüngster Zeit) oder Fremdgefährlichkeit Hinweise auf Intoxikation oder alkoholisierter Zustand Bewusstsein nicht klar (eingetrübt,…) Seiten 83 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Bekannte somatische Erkrankung mit deutlichen aktuellen Beschwerden oder aktuelle, bisher ungeklärte, deutliche somatische Beschwerden werden benannt (anzunehmende bzw. v.a.) organische Ursache der aktuellen psychischen Krise Absetzen der Medikamente in jüngster Zeit, insb. bei fehlender oder zögerlicher Bereitschaft zur erneuten Medikamenteneinnahme Aktuelle oder kürzliche Selbstverletzung Große Zurückhaltung bei manischer Entwicklung/zunehmender manischer Dekompensation Große Zurückhaltung bei Menschen mit bekanntem erhöhtem Suchtmittelkonsum (Gefahr des Entzugs) (Aus dem Manual für die Rückzugsräume, Stand 11/2010) 4.1.8 Gruppen und Psychologische Beratung/Kurzzeittherapie Sowohl zur Stabilisierung der Klienten in Krisenzeiten und im Sinne der Vorsorge und zur Förderung der Selbsthilfe werden im NWpG versorgungsrelevante Gruppen angeboten und stetig mittels eines Monitorings hinsichtlich des Bedarfs und der Inhalte überprüft (vgl. Kleinschmidt 2010, 27)60. Innerhalb des ersten Jahres wurden dabei psychoedukative und ergotherapeutische Gruppen durchgeführt, die auf eine rege Teilnehmerzahl stießen und somit weiter implementiert werden. Die Psychoedukationsgruppen werden von einem Gruppenleiter mit entsprechender Zusatzausbildung für Psychoedukation durchgeführt, in der Regel einem Facharzt, einer Fachpflegekraft für Psychiatrie, einem Soziotherapeuten und/oder einem Psychologen. Zudem wurde auf Anregung der Klienten eine Freizeitgruppe ins Leben gerufen. Da seitens der Klienten wie auch deren Angehörigen auch die Frage nach einer Angehörigengruppe eingebracht wurde, wird eine solche neben weiteren Angeboten installiert. Beispielhaft sollen zwei Gruppen an dieser Stelle kurz angeführt werden: 60 Diese Angebote stellen auch eine Möglichkeit dar, neben präventiver und stabilisierender Aspekte eine Kundenbindung an das NWpG zu generieren (vgl. Steckermaier, 119). Seiten 84 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Stabilisierungsgruppe: Ziel ist es, eigene Ressourcen zu erarbeiten, zu lernen, erste Krisenanzeichen zu erkennen und präventiv eigene erste Schritte im Vorfeld der Krise und zur Verbesserung des Wohlbefindens zu unternehmen. Kommunikationstraining – selbstsicheres Auftreten in Alltag und Konflikten: Das Gruppenangebot ist eine Trainings- und Übungsgruppe. Psychoedukative Elemente, Übungen und Selbsterfahrung wechseln sich ab. Das Gruppensetting dient dem Austausch, der Motivation und dem Voneinander-Lernen. Der Vertrag des NWpG München mit der TKK sieht keine Psychotherapie nach den Psychotherapierichtlinien vor, jedoch besteht für die Nutzer die Möglichkeit einer psychologischen Beratung oder aber einer Kurzzeitpsychotherapie. Diese wird insbesondere bei Klienten eingesetzt, die sich in der Frage einer Psychotherapie oder aber hinsichtlich der geeigneten Therapieform unsicher sind. Soweit erforderlich, werden die Klienten in der Therapieplatzsuche durch die Bezugsbegleiter unterstützt, bei der es gerade in München immer wieder zu längeren Wartezeiten kommen kann. Oftmals besteht aufgrund dieser Problematik der Bedarf an einer Kurzzeitpsychotherapie, die in enger Absprache mit den behandelnden Psychiatern erfolgt und durch eine langjährig erfahrene DiplomPsychologin mit einer systemischen Ausbildung umgesetzt wird. 4.2 Qualitätssicherung und Weiterentwicklung innerhalb des NWpG Die zuvor vorgestellten Versorgungsbausteine bedürfen einer regelmäßigen Überprüfung hinsichtlich ihrer Umsetzung und der damit verbundenen Zufriedenheit der Nutzer des NWpG, wie auch in puncto Effektivitäts- und Effizienzkriterien. Diese orientiert sich an Kriterien aus dem Qualitätsmanagement (QM) wie auch an der Gewährleistung von Fachlichkeit. Entsprechend der Forderungen des Sachverständigenrats für Gesundheit (2009, 828,888) ist die Qualitätssicherung ein elementarer Bestandteil, um Modelle einer Integrierten Versorgung umzusetzen und damit eine kontinuierliche Analyse hinsichtlich der Tendenz von Risikoselektion oder aber Leistungsverweigerung zu gewährleisten. Auch die Implementierung einer bedürfnis- und bedarfsgerechten Versorgung benötigt eine Passung hinsichtlich effektiver und kosteneffektiver Verfahren. Seiten 85 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Hinzu kommt deren fachgerechte Anwendung hinsichtlich Struktur-, Prozessund Ergebnisqualität. Dies bringt eine regelmäßige Begleitung der Verfahrensabläufe ab dem Eintritt der Nutzer in die Integrierte Versorgung mit sich. Neben eines Monitorings und Controllings auf der Einzelfallebene, sollen hierdurch stets Rückschlüsse für die System- und Prozessebene ermittelt werden (vgl. Ewers 2005, 76; Ruprecht 2010, 88). Durch die Einbeziehung der Mitarbeiter sollen alle Komponenten, wie etwa Zeit, Kosten, u.a., im Sinne der Detailoptimierung qualitätsorientiert berücksichtigt werden. Dies soll mittels fünf Eckpfeiler umgesetzt werden, die wie folgt lauten: Kundenorientierung Managementverhalten Prozessorientierung Präventives Verhalten Permanente Verbesserung (in Decker/Decker 2008, 385) Im Sprachgebrauch gilt Qualität als Synonym für die Güte einer Dienstleistung oder eines Produktes. Aus dem Lateinischen herrührend beschreibt der Begriff die Beschaffenheit oder aber die Güte bzw. den Wert eines Gegenstandes oder einer Dienstleistung (vgl. Duden 2001, 832). Eine weitere Definition lautet wie folgt: „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“ (in Bundesverband evangelische Behindertenhilfe 2009, 13). Qualität meint im Folgenden die „Erfüllung von Anforderungen“; die Wünsche der Empfänger des Produktes bzw. der Leistung stehen im Vordergrund (Kutz 2005, 2). QM wird ähnlich wie die Einführung von Modellen der Integrierten Versorgung eng mit einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheits- und Sozialwesens in Verbindung gebracht. Es birgt somit das Risiko, in erster Linie zu wirtschaftlicher Effizienzsteigerung instrumentalisiert zu werden. Gleichzeitig beinhaltet es die Möglichkeit, bisheriges Handeln darzustellen, dieses unter Einbeziehung einer stärkeren Transparenz der angestrebten Ziele zu beschreiben und im weiteren Verlauf zu systematisieren (vgl. Vomberg 2002, 30). Dabei werden die „Kundenanforderungen operationalisiert (…) und in definierte Prozesse umgesetzt“ und mit dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung und Standards in Einklang gebracht (ebd.,34). Eine werteorientierte Sichtweise richtet sich Seiten 86 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil danach „eine unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ressourcen optimale statt maximale Leistungsqualität anzubieten“ (Kutz 2005, 3). Daher werden aktuell Module des QM durch die Mitarbeiter des NWpG implementiert und weiter ausgebaut. Eine wesentliche Komponente stellt die Dokumentation der erbrachten Leistungen dar. Neben allen fachlichen Empfehlungen und Leitlinien kann nur durch diese eine Fehl-, Unter- oder Überversorgung eruier- und nachvollziehbar machen. Sie stellt somit die Ausgangslage dar, den Versorgungsprozess qualitativ zu verbessern. Zum aktuellen Standpunkt befindet sich das QM innerhalb des NWpG in der Projektphase, die mittels einzelner Bottom-Up-Projekte zunehmend in die Phase der strukturellen Umsetzung überführt wird und sich in Ablauforganisation sowie Strukturen der Leistungserbringung spiegelt. Neben der Verschriftlichung solcher Prozesse in Manualen werden laufende Erhebungen von Daten unternommen und unmittelbar auf ihre Prozesshaftigkeit sowie hinsichtlich des Outcome überprüft. Neben der Heranziehung bestehender Leitlinien, besteht in einer populationsbezogenen Integrierten Versorgung die Notwendigkeit der Erarbeitung fachund sektorenübergreifender Standards. Um der im Rahmen dieser Arbeit beschriebenen Schnittstellenproblematik künftig besser begegnen zu können, kommt den schnittstellenbezogenen Leitlinien besondere Gewichtung zu. Zugleich nimmt auch die Implementierung von Behandlungspfaden (Critical oder Clinical Pathways), die sich am Einzelfall orientieren, eine wesentliche Rolle ein (vgl. Schrappe/Lauterbach 2010, 514f). Diese greifen dabei die schnittstellenbezogenen Leitlinien auf und sollen mittels einer vorgreifenden Kalkulation ein Controlling ermöglichen. Damit soll im Rahmen von institutionsbezogenen Leitlinien eine Planung anhand mittel- und langfristiger Versorgungsziele gewährleistet werden. Gleichwohl der Entwicklung dieser Leitlinien besondere Bedeutung insbesondere bei multimorbiden und chronischen Krankheitverläufen beigemessen werden kann, stellt diese gerade in einer Integrierten Versorgung eine besondere und komplexe Herausforderung dar. Wesentlich ist daher, diese stets zu überprüfen und im Sinne des individuellen und organisatorischen Lernens immer wieder auf ihre Gültigkeit zu prüfen und gegebenfalls anzupassen (vgl. ebd.). Seiten 87 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.2.1 Qualitätssicherung durch interne und externe Verfahren Da es sich bei dem vorgestellten Modell der Integrierten Versorgung um einen Managed Care Ansatz handelt, stellt die Begleitforschung und die hiermit verknüpfte Qualitätssicherung ein wesentliches Element dar und wird im Rahmen der externen Qualitätssicherung im Rahmen einer wissenschaftlichen Evaluation erhoben. Es erfolgt zudem ein regelmäßiges Qualitätsmonitoring durch Patienten- und Angehörigenbefragungen (vgl. Klusen et al. 2010, 111; vgl. Ruprecht 2008, 88f). Die konkreten Kennzahlen der Evaluation sind: Krankenhauskosten Krankenhausverweildauer Arbeitsunfähigkeitstage Bezug und Höhe von Krankengeld Arzneimittelkosten (Klusen et al. 2010, 105) Im Kontext der internen Qualitätssicherung weisen Kent und Burns (1996, 147) auf die Bedeutung eines gut ausgearbeiteten Handbuchs hin, in welchem nicht nur die Richtlinien und Ergebnisqualitätsaspekte erläutert werden, sondern auch Aufgabenbereiche und Prozessabläufe sowie Verfahrensanweisungen formuliert sind. Ein solches Handbuch liegt innerhalb des NWpG sowohl für die Einarbeitung neuer Mitarbeiter, wie auch für die Tätigkeit in den Rückzugsräumen und einem hiermit verbundenen Krisen- und Notfallmanagement vor. Zudem bestehen Manuale, die den Mitarbeitern bei der Einhaltung weitergehender Standards und Prozesse dienen sollen. Seiten 88 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.2.2 Supervision, Teambesprechungen und Fallmonitoring Das Lernen im Team stellt gerade im Sozial- und Gesundheitswesen einen weiteren wichtigen Eckpfeiler innerhalb des QM dar, da in multiprofessionellen Teams gearbeitet wird. Um diese Ressource voll ausschöpfen zu können und ein gemeinsames Denken zu ermöglichen, sollten stets Interaktions- und Abwehrstrukturen im Blick bleiben und thematisiert werden. Zudem sollen grundsätzliche konzeptionelle Bausteine, wie etwa Steuerung von Arbeitsabläufen, Lösung von Konfliktsituationen sowie die Weiterentwicklung von Prozessen und Konzepten in regelmäßigen Teambesprechungen umgesetzt werden. Zur Teamentwicklung, wie auch zu Fragen der Organisationsentwicklung und der Prozessgestaltung, findet im zweiwöchigen Turnus für alle Mitarbeiter eine Supervision statt. Zudem ist zum aktuellen Zeitpunkt eine ebenso wöchentliche bzw. zweiwöchentliche fachärztliche Beratung in Planung. Dies soll nicht nur der Sicherstellung der ärztlichen Perspektive, sondern vielmehr auch der Gestaltung von Prozessen und Behandlungspfaden dienen. Zudem finden wöchentlich Teambesprechungen statt, die sich mit organisatorischen und strukturellen Aspekten beschäftigen aber auch Raum für ausführliche Fallbesprechungen geben. Einen wesentlichen Kern des teambasierten Arbeitens stellt das tägliche Fallmonitoring dar. Hier besteht die Möglichkeit, sich bezüglich des aktuellen Verlaufes von Krisen auszutauschen sowie eine multiprofessionelle Perspektive hierüber zu entwickeln. Es dient weiter dazu, Leistungen und das weitere Vorgehen abzustimmen. Außerdem sollen die unterschiedlichen Qualifikationen sowie Berufserfahrungen gebündelt und für die Einzelfallarbeit nutzbar gemacht werden (vgl. Stein/Santos 1998, 98f). 4.2.3 Qualitätszirkel und Fortbildungen Im Rahmen der Qualitätszirkel (QZ) treffen sich die Mitarbeiter und Leistungserbringer des NWpG, um Probleme innerhalb der Organisation sowie der täglichen Arbeitsabläufe zu diskutieren. Dabei soll spezifischen oder aktuellen Frage- und Problemstellungen nachgegangen werden. Die Qualitätszirkel finden innerhalb der bestehenden Arbeitszeit statt oder werden vergütet und sollen Mitarbeiter, die an gleichen Aufgaben bzw. Themen tätig sind, die Möglichkeit geben, die gemeinsamen Erfahrungswerte auszutauschen, um daraus im Sinne der Qualitätssicherung Optimierungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Letztlich Seiten 89 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil sollen hierbei sowohl das individuelle Lernen der einzelnen Mitarbeiter wie auch das der gesamten Organisation befördert werden (vgl. Decker/Decker 2008, 368)61. Im Einzelnen umfasst die Qualitätszirkelarbeit folgende Themen: Einzelfallbesprechungen Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Leistungserbringern auf der Grundlage evidenzbasierter Leitlinien und im Rahmen dieses Vertrages Die eigene Prozess- und Ergebnisqualität anhand aufbereiteter Daten aus der Dokumentation bzw. dem Qualitätsmonitoring Maßnahmen zur Qualitätsoptimierung des NetzWerks psychische Gesundheit (aus dem Vertrag) Die gezielte Fortbildung der Mitarbeiter stellt perspektivisch eine gezielte Investition dar, sofern sie auch auf ihre Wirksamkeit überprüft wird. Wie die lernende Organisation haben auch die Mitarbeiter Potential, ihre bestehenden Fähigkeiten und Fertigkeiten in Lernprozessen stetig zu erweitern. Mittels handlungsorientierter Methoden sollen die Handlungskompetenz gefördert werden, aber auch soziale und methodische Kompetenzen reflektiert, erweitert und entsprechend der weiteren Umsetzung überprüft werden (Bundesverband evangelische Behindertenhilfe 2009, 121). Bis dato fanden daher im Rahmen des NWpG unter anderem Fortbildungen zum Thema „Umgang mit Suizidalität“ sowie zum Thema „Deeskalation“ statt62. 61 Dies stellt wiederum perspektivisch eine Möglichkeit der Mitarbeitermotivation dar, da sie sich partizipativ in Planung und Steuerung der Gesamtabläufe einbringen können. Für die Führungskräfte bedeutet die Einführung solcher QZ auch die notwendigen Rahmenbedingungen vorzuhalten, etwa auch die Mitarbeiter nur auf freiwilliger Basis zu beteiligen, aber auch die strukturellen Bedingungen zu gewährleisten sowie die Ergebnisse in die laufenden Prozess- und Strukturqualität miteinbeziehen zu wollen (vgl. ebd.). 62 Weiter ist für das Jahr 2012 eine Fortbildung geplant, die insbesondere die systemische Gesprächsführung sowie die Netzwerkarbeit in den Fokus nehmen soll. Seiten 90 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.2.4 Elektronische Vernetzung als Basis Ein wesentlicher Aspekt, die Akteure am Geschehen zu beteiligen und einen nahtlosen Informationsaustausch sicherzustellen, stellt der Zugriff auf ein einrichtungsübergreifendes Informationssystem dar. Derzeit werden alle relevanten Leistungen und Verläufe im Rahmen eines bestehenden Informationssystems in einer elektronischen Klientenakte zusammengeführt. Auf diese haben sowohl die Mitarbeiter des NWpG Zugriff, wie auch die kooperierenden Ärzte für ihre jeweiligen Patienten. Diese Form der Vernetzung stellt ein elementares Instrument in einem Versorgungsnetzwerk dar (vgl. Amelung et al. 2009, 110ff). Eine derartige Form der Bündelung von Handlungsabläufen bei einer gleichzeitig ausgeprägten Heterogenität würde die Einbeziehung weiterer Leistungserbringer sicherlich erschweren. Dies ist nicht nur durch organisatorische Grenzen und damit verbundenen Schwierigkeiten zu erklären, sondern auch durch die Unterschiedlichkeit vorhandener Dokumentationssysteme, anforderungen, und -standards. Hier zeigt sich künftig die Herausforderung, drohende Redundanzen zu vermeiden oder aber Leistungen in mehreren Systemen zu dokumentieren. Dies wiederum erhöht das Risiko von „Informationsinseln“ und daher besteht hier sicherlich die Notwendigkeit einer sinnvollen Lösung (vgl. ebd., 113). Seiten 91 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.3 Die Inanspruchnahme des NWpG und dessen Leistungen Der nun anschließende Teil der Arbeit erhebt keineswegs den Anspruch im Sinne einer Versorgungsforschung tätig zu sein, da diese nur über einen mittel- und langfristigen Verlauf angelegt sein kann und das NWpG erst vor etwas mehr als einem Jahr begann. Wie zuvor beschrieben, orientiert sich das NWpG eng an Qualitätssicherungs und -managementaspekten, die eine maßgebliche Grundlage für Programme der Integrierten Versorgung oder aber HMO-Organisationen darstellen. So ist die folgende deskriptive Darstellung aus dem Erhebungszeitraum ist im Sinne einer Selbstbewertung zu verstehen, als ein Prozess der Analyse und Beschreibung der eigenen Institution, die auch im Rahmen von Zertifzierungsverfahren für QM angewandt werden. 4.3.1 Einschreibeverhalten und Nutzerdaten der teilnehmenden Versicherten Wie zuvor erläutert startete das NWpG in München Anfang 2010. Zum Erhebungszeitraum zwischen Januar 2010 bis zum 31.12.2010 haben sich 400 Patienten für die Teilnahme an der Integrierten Versorgung entschieden63. 35 davon schieden innerhalb dieses Zeitraums auf eigenen Wunsch oder durch das NWpG veranlasst wieder aus (vgl. Kap. 4.3.6). Die im Vergleich zu anderen Netzwerken in Deutschland hohe Zahl an Einschreibungen mag vermuten lassen, dass viele Patienten auf ein derartiges Angebot positiv reagieren, ist aber sicherlich auch der guten Kooperation mit den Ärzten der Brain Insight GmbH geschuldet, die ihre Patienten vom Mehrwert einer solchen Versorgung überzeugen konnten. Wurden die Patienten im ersten Halbjahr über den Gesundheitsservice der Techniker Krankenkasse akquiriert und eingeschrieben, ist dieses Verfahren aufgrund der Praxiserfahrungen sowie gemeinsamer Überlegungen in den Qualitätszirkeln angepasst worden. So werden die Patienten einerseits durch die kooperierenden Fachärzte über die Leistungen des NWpG informiert und für die Integrierte Versorgung vorgeschlagen. Andererseits fungiert der Gesundheitsservice der Krankenkassen weiterhin hinsichtlich einer beratenden Funktion. Patienten, die durch diesen auf das Angebot aufmerksam gemacht wurden, kom63 Aus der für die IV relevanten Patientengruppe haben sich zwischen 27% und 35% der Versicherten für diese Form der Versorgung entschieden (vgl. Steckermaier 2010, 96). Seiten 92 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil men zunächst zu Informationsgesprächen in die Koordinationsstelle des NWpG und entscheiden sich erst nach ausreichender Aufklärung für oder gegen eine Teilnahme. Erst anschließend erfolgen die eigentlichen Begrüßungsgespräche, die auch der Anamnese sowie der Planung der Versorgung und der gemeinsamen Gestaltung der Krisenvereinbarung dienen. Somit ist der wesentliche Anspruch einer Integrierten Versorgung, der freiwilligen Teilnahme, erfüllt und die Nutzer entscheiden sich erst nach einem intensiven Informationsaustausch für eine Teilnahme. Das bedeutet, dass die Patienten, die Ziele des NWpG grundsätzlich auch für sich als wesentlich betrachten und sich eine derartige Form der Unterstützung vorstellen können und hilfreich fänden. Der Vertrag mit der TKK sieht eine Teilnahme von Versicherten im Alter von 10 bis 85 Jahren vor64. Die Altersverteilung der teilnehmenden Versicherten stellt sich dabei wie folgt dar: 104 78 75 52 40 16 bis 30 Jahre 31-40 Jahre 41-50 Jahre 51-60 Jahre 61-70 Jahre 71 Jahre u. älter Altersverteilung der Nutzer (N=365) (Dar. 5, aus der Datenbank des NWpG München, Stand: 31.12.2010) Aufgrund der hohen Zahl von Klienten, die sich bei einem Kooperationsarzt in Behandlung befinden sowie durch einen intensiven Austausch mit anderen Psychiatern oder Kliniken, konnten für die meisten Klienten die aktuellen Diagnosen erhoben werden, die sich wie folgt verteilen: 64 Dieses Spektrum wird zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht erfüllt, würde aber insbesondere für die psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen sowie für Erkrankungen im Alter einen wichtigen Baustein darstellen. Seiten 93 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 21 F40-F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen 2 F50-F59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren 35 F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen 105 F20-F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen 156 F30-F39 Affektive Störungen Primärdiagnosen der Nutzer (N=319) (Dar. 6, aus der Datenbank des NWpG München, Stand 31.12.201065) Es ist festzustellen, dass viele der eingeschriebenen Teilnehmer berufstätig sind, das heißt, dass sich der sozioökonomische Status zum aktuellen Zeitpunkt von Klienten der Eingliederungshilfe unterscheidet66. 10,1% Andere (Familie, Partner) 17,0% Arge Hartz IV 41,5% Berufstätig 17,8% EU-Rente Erwerbsminderung 13,6% Rente Einkommen der Nutzer (N=365) (Dar. 7, Erhebung aus dem internen Fragebogen) 65 Für die anderen Klienten bestand zum Zeitraum der Erhebung keine ärztlich gesicherte Diagnose, die Selbstauskünfte der Klienten wurden nicht in die Erhebung aufgenommen. 66 Es wäre künftig interessant zu untersuchen, ob sich Patienten gegen eine Teilnahme in der Integrierten Versorgung entscheiden, da sie sich auch durch Einrichtungen aus der Eingliederungshilfe ausreichend unterstützt sehen; ein solche Untersuchung gestaltet sich jedoch als schwierig, da in diesem Fall nur die Patienten selbst darüber Auskunft geben können, welche Dienste sie in Anspruch nehmen. Seiten 94 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Wie im Zusammenhang mit der Erstellung der Krisenvereinbarung oder aber in der Schnittstellenarbeit mit dem sozialen Netz beschrieben, sind das Lebensumfeld und die sozialen Kontakte von besonderer Bedeutung für die gesamte Versorgung wie auch die Lebensqualität. Daher werden nachfolgend die Erhebungungen zur Wohnform der eingeschriebenen Versicherten dargestellt: betreute Wohnform (TWG u.a.) 3,0% 3,7% Sonstiges (Eltern, WG, u.a.) alleinerziehend 4,5% 11,6% mit Partner und Kindern 47,4% allein lebend 29,8% mit Partner Wohnform (N= 365) (Dar. 8, Erhebung aus dem internen Fragebogen) Die Koordination der Leistungen im besten Falle über die Sozialgesetzbücher hinweg und damit auch die Arbeit an ebendiesen Schnittstellen stellt eines der primären Ziele der Integrierten Versorgung dar und nimmt Einfluss auf die Versorgung, die Behandlungszufriedenheit sowie die Lebensqualität. 50% der eingeschriebenen Versicherten befanden sich zum Zeitpunkt der Erhebung in einem Angebot der Regelversorgung, zum Teil bei mehreren Diensten bzw. Einrichtungen. Die Zahl kann dabei nur im Sinne einer Momentaufnahme Gültigkeit haben, da einige Maßnahmen zeitlich begrenzt waren. In der folgenden Abbildung wird die Verteilung auf die unterschiedlichen Dienste und Einrichtungen dargestellt: Seiten 95 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 12,6% Andere (Tagesstätten, Haushaltshilfen, etc.) 10,7% Ergotherapie 48,6% Psychotherapie 2,8% Bezirkssozialarbeit 16,4% Sozialpsychiatrischer Dienst 8,9% Betreutes Einzelwohnen Regelversorgung SGB V und SGB XII (N = 365) (Dar. 9, Erhebung aus dem internen Fragebogen; Mehrfachnennungen waren möglich, ausgenommen sind Fachärzte und PIAs67) 4.3.2 Inanspruchnahme der Rückzugsräume Die Räumlichkeiten der Rückzugsräume als einer der wesentlichen Versorgungsbausteine des NWpG befinden sich in der Nähe der Koordinationsstelle und sind gut in die strukturelle Umgebung eingebunden68. Eine solche geografische Einbettung ist dabei im Sinne der Gemeindeorientierung (vgl. Aderhold 2009, 330). Die Wohnungsgestaltung entspricht dabei analog des Konzeptes einer milieutherapeutischen Umgebung und das sogenannte „non-hospital-setting“ soll eine angenehm wohnlich Atmosphäre vermitteln. 67 Die Zahlen zur fachärztlichen Anbindung wurden bereits im Vorfeld generiert (vgl. Darstellung 10) 68 In unmittelbarer Nähe befinden sich ein Bahnhof für zahlreiche öffentliche Verkehrsmittel und zudem ist die Wohnung in einem belebten Wohnviertel, in dem zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten bestehen. Seiten 96 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Derzeit stehen den Patienten drei Einzelzimmer zur Verfügung und eine Betreuung wird durch psychiatrisch erfahrenes Fachpersonal über 24 Stunden gewährleistet. In der Regel wenden sich die Klienten im Laufe eines Tages an die Koordinationsstelle des NWpG, mitunter erfolgt der Kontakt auch über Angehörige oder Psychiater. Die Aufnahme erfolgt gemeinsam mit den Bezugsbegleitern, nach einem vorhergehenden Kontakt zum behandelnden Psychiater bzw. zu einem Kooperationsarzt, wenn dieser nicht zur Verfügung steht. Zudem besteht die Möglichkeit den ärztlichen Hintergrunddienst zu verständigen, der soweit erforderlich, in die Rückzugsräume kommt (vgl. ärztllll). Die Klienten werden in den Rückzugsräumen den Abend und die Nacht über begleitet. Fallbeispiel 4: Ein kooperierender Psychiater wendet sich telefonisch an die Koordinationsstelle. Die Klientin ist 28 Jahre alt, leidet an einer depressiven Störung und neigt zudem aufgrund ihrer Borderline-Persönlichkeitsstörung im Krisenverlauf zu schädlichen Verhaltensweisen wie verstärktem Medikamentenmissbrauch. Aus dem Assessment gehen zwei Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken hervor. Eine stationäre Aufnahme in einer Allgemeinpsychiatrie erfolgte nach Medikamentenmissbrauch in suizidaler Absicht, welchem sich ein stationärer Aufenthalt in einer Spezialstation für Borderline-Persönlichkeitsstörungen anschloss. Die aktuelle Krise wurde durch einen Konflikt mit einer anderen Tagesstättenbesucherin hervorgerufen, die Klientin sei nun in Sorge vor der Rückkehr in ihre Wohnung und den hieraus möglicherweise resultierenden Ängsten und Verhaltensweisen. Nach erfolgter Abstimmung mit dem Arzt und der gemeinsamen Behandlungsplanung kommt die Klientin zum Krisengespräch zu ihrem Bezugsbegleiter in die Koordinationsstelle und wird von diesem in die Rückzugsräume begleitet. Die Aufnahme erfolgt in Absprache mit dem Arzt zunächst für einen Tag. Zudem wird gemeinsam mit der Klientin für den folgenden Tag ein Gespräch mit einem Mitarbeiter der Tagesstätte vereinbart und gemeinsam mit diesem die Krise und das weitere Vorgehen abgestimmt. Bereits durch diese Interventionen zeigt sich die Klientin in der beschriebenen Krise ausreichend stabilisiert und wünscht sich für das anschließende Wochenende nur mehr telefonische Kontakte, um den Tag zu strukturieren. Aufgrund dieser positiven Erfahrung und der flexiblen wie raschen Krisenintervention wurden die Rückzugsräume durch den Psychiater ein weiteres Mal für den Zeitraum von einer Woche verordnet. Seiten 97 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Im Erhebungszeitraum wurden die Rückzugsräume von vierzehn Klienten für insgesamt 43 Nächte in Anspruch genommen. Bei acht Klienten kam es zusätzlich zu einer ärztlichen Versorgung innerhalb der Rückzugsräume. Die zu Beginn vergleichsweise geringe Auslastung der Rückzugsräume stieg innerhalb des zweiten Halbjahres kontinuierlich an. Dies lässt seitens des NWpG vermuten, dass dies einerseits mit dem Anstieg der Klientenanzahl in Verbindung zu setzen ist ,andererseits mit dem wachsenden Vertrauen in diese Form der Versorgung. Einige Klienten äußern dagegenbereits in der Gestaltung der Krisenvereinbarung den Wunsch, gegebenenfalls zuhause begleitet werden zu wollen. Befürchtungen hinsichtlich einer Regression in einem solchen Setting können nicht geteilt werden und gleichwohl die Aufenthalte zeitlich begrenzt geplant wurden, wurde diese Dauer bis dato kaum ausgeschöpft. Dennoch wird entsprechend der bestehenden Versorgungspfade ein entsprechendes Monitoring im Hinblick auf Qualitätssicherung und Prozessentwicklung durchgeführt (vgl. Kleinschmidt 2010, 23). Dieses Monitoring findet im Einzelfall in der Regel täglich, spätestens jedoch nach einer Woche statt und bietet somit die Möglichkeit, Interventionen rasch am tatsächlichen Bedarf wie auch an den Bedürfnissen der Betroffenen abzustimmen. Die Gründe für eine Aufnahme in die Rückzugsräumen variierten entsprechend der unterschiedlichen Störungsbilder, aber auch hinsichtlich diverser krisenauslösender Ereignisse. Neben der Zuspitzung einer bereits seit länger bestehenden psychischen Störung, führten auch Probleme im sozialen Umfeld zur Notwendigkeit der Aufnahme. Als alternativer Versorgungsort zeichnen sich die Rückzugsräume insbesondere durch die Gewährleistung der Bezugsbegleiter als stabilisierendes Element der Krisenversorgung aus. Wie zuvor erläutert, wird die Aufnahme in die Rückzugsräumen durch die Bezugsbegleiter umgesetzt. Auch an den Folgetagen wird der Kontakt eng gehalten, unter anderem durch die soziotherapeutischen Leistungen des Notfallkomplexes oder der Intensivbetreuung69. Das bedeutet auch eine erleichterte, da kontinuierlich begleitete Rückkehr in den Alltag und das individuelle Lebensumfeld (vgl. Vogelsang 2010, 97f). 69 Die Begriffe sind dem Maßnahmenkatalog des Vertrages entnommen. Seiten 98 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.3.3 Inanspruchnahme medizinisch-fachärztlicher Leistungen Seit dem Start des NWpG Anfang 2010 haben sich immer mehr Fachärzte für die Beteiligung in der Integrierten Versorgung entschieden, im Erhebungszeitraum handelt es sich um 37 Ärzte. Kooperationsarzt 51 % PIA 12 % ohne Psychiater 4% Anbindung beim Facharzt (N=319) (Dar. 10, die Zahlen sind der Datenbank des NWpG entnommen, Stand: 30.10.2010) Die Behandlungsstandards und zu vergütenden Leistungen lauten dabei wie folgt: kurze Wartezeiten Krisentermine „mehr Zeit am Patienten“ Eingangsassessment und Erstellung eines Behandlungsplanes Halbjahresuntersuchung/ Re-Assessment Therapieumstellung/-intensivierung/-stabilisierung Fachärztliches Konsil/Zweitmeinung Krisenintervention/Notfallkomplex Verordnung weiterer nichtärztlicher Leistungen Behandlung zu Hause/Home Treatment (auch in den Rückzugsräumen)70 Um die Behandlung zu Hause bzw. in den Rückzugsräumen in den Abendstunden und am Wochenende zu gewährleisten, wurde ein ärztlicher Hintergrunddienst installiert. Zudem ist eine wöchentliche fachärztliche Beratung geplant, um diese nicht nur auf der Einzelfallebene einzubeziehen, sondern auch 70 Die Leistungen sind dem Vertrag zwischen der Awolysis GmbH und der Brain Insight GmbH entnommen. Seiten 99 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil an Prozessabläufen und der weiteren Vernetzung eng zu beteiligen. Im Laufe des Erhebungszeitraums wurden viele Patienten durch kooperierende Ärzte für die Integrierte Versorgung vorgeschlagen. Zudem entschieden sich einige Ärzte aufgrund positiver Erfahrungsberichte ihrer Patienten, mit dem NWpG zu kooperieren und empfahlen somit auch weiteren Patienten, daran teilzunehmen. Da einige der Nutzer des NWpG über keinen behandelnden Arzt verfügten, wurden diese, soweit gewünscht, an kooperierende Ärzte vermittelt. In Einzelfällen, etwa bei einer guten Versorgung im Rahmen einer Krise, entschieden sich Patienten bei dem jeweiligen Arzt in Behandlung zu bleiben. Dem Vorwurf, Patienten könnten zu kooperierenden Ärzten „gesteuert“ werden, ist dabei entgegenzustellen, dass sich nur 33 (9%) der insgesamt 365 eingeschriebenen Versicherten für einen der Kooperationsärzte entschieden (vgl. Kap. 4.3.3). Die tatsächlichen Leistungen der Krisenversorgung seitens der Kooperationsärzte sind zum Erhebungszeitraum nur bedingt durch Zahlen nachweisbar, da oftmals Abstimmungsprobleme hinsichtlich der Dokumentation bestanden. Mittels gezielter Schulungen zur Datenbank, der Sicherstellung der notwendigen Software, wie auch durch die Gestaltung struktureller Prozesse, zeichnet sich eine verbesserte Umsetzung für alle Leistungserbringer ab. Aus der Einzelfallebene lässt sich feststellen, dass eine intensive und regelmäßige Krisenversorgung zum Beispiel zur Medikamenteneinstellung und/oder -umstellung ambulant gut gewährleistet werden kann. Auch die im Anschluss an eine Krise häufig engmaschige Begleitung durch den Arzt wird von den Patienten als hilfreich beschrieben (vgl. Fallbeispiel 2). Besonders hervorzuheben ist dabei die aufgebrachte Zeit seitens der Ärzte, die eine gelungene Beziehungsarbeit und damit größeres Vertrauen ermöglicht. Dies zeichnet sich auch in der aufsuchenden Behandlung wie zum Beispiel in den Rückzugsräumen oder aber bei den Klienten zuhause ab. Im Rahmen des Home Treatment erfolgten seitens der Fachärzte innerhalb des ersten Jahres 15 Einsätze, wovon acht in den Rückzugsräumen und sieben in der Wohnung der Betroffenen stattfanden. Die Patienten äußerten auch hier als positive Erfahrung, viel Zeit zugestanden zu bekommen und Unterstützung hinsichtlich einer individuellen Krisenplanung zu erhalten. Seiten 100 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.3.4 Inanspruchnahme weiterer Leistungen: Psychologische Beratung und Ergotherapie Wie innerhalb der einzelnen Leistungsbausteine des NWpG beschrieben, besteht die Möglichkeit einer psychologischen Beratung oder aber Krisenintervention. Die Gespräche dienten meist der Orientierung hinsichtlich Therapiemotivation und Therapierichtung sowie deren Zielentwicklung. Zudem wurden, soweit erforderlich, psychologische Kurzzeitinterventionen initiiert, vor allem bei Klienten, bei denen die Wartezeit auf einen Therapieplatz überbrückt werden musste. Auch kam es zur Notwendigkeit psychologischer Krisenintervention. Im Jahr 2010 machten insgesamt 23, also 6% der Nutzer des NWpG von der Möglichkeit einer psychologischen Beratung bzw. einer Kurzzeittherapie Gebrauch, von denen 16 zum Teil mittels Unterstützung oder aber nur wegen der vorangegangenen Beratung eine längerfristig ausgerichtete Psychotherapie begannen. Im Rahmen des multiprofessionellen Teams stehen auch erfahrene Ergotherapeuten sowie Mitarbeiter mit unterschiedlichen Zusatzqualifikationen zur Verfügung. Diese können in Absprache mit den Bezugsbegleitern und dem behandelnden Facharzt gezielte ergotherapeutische Leistungen oder aber auf spezifische Störungen ausgelegte Interventionen, wie etwa in Anlehnung an die Dialektisch-Behaviorale Theapie (DBT), in großer zeitlicher Flexibilität anbieten. Im Jahr 2010 wurden in sieben Fällen ergotherapeutische Maßnahmen zur Stabilisierung in Krisen bei Hausbesuchen durchgeführt. Diese Leistungen können in Krisenzeiten rasch implementiert werden und stellen somit eine flexible Interventionsmöglichkeit dar. Sie werden zudem eingesetzt, um geeignete Therapiemöglichkeiten auswählen zu können. Hierbei können unterschiedliche Verfahren und Methoden erprobt und sowie die Motivation für diese in den Fokus genommen werden. Zeichnen sich derartige Methoden oder Verfahren als stabilisierend aus, so werden mit den Klienten für eine mittel- und längerfristige Therapie entsprechende Einrichtungen gesucht und die weitere Behandlung eng mit diesen abgestimmt. Seiten 101 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.3.5 Krankenhausaufenthalte Die mitunter fließende Grenze von seelischer Krise und psychiatrischem Notfall,führt auch innerhalb einer ambulanten Versorgung mitunter zur Notwendigkeit stationärer Aufnahmen (vgl. Kap. 2.2.2). Einige Gründe sollen nun näher skizziert werden. Zunächst ist an dieser Stelle festzustellen, dass bei einer unmittelbar indizierten stationären Aufnahme für das NWpG der Auftrag besteht, die Klienten bei diesem Schritt zu begleiten. Das bedeutet, auch die Motivation für eine Aufnahme herzustellen, um damit eventuelle Zwangsmaßnahmen zu vermeiden und die Betroffenen hiervor zu schützen. Eine stationäre Aufnahme wird im weiteren Verlauf durch die Bezugsbegleiter koordiniert, die den Klienten in die Klinik begleiten. Auch während des stationären Aufenthaltes wird der Kontakt beibehalten (vgl. Stein/Santos, 1998: 52). Eine enge Verzahnung zwischen ambulantem und stationärem Bereich kann für den Behandlungserfolg wie auch eine zeitnahe Entlassplanung von großer Bedeutung sein (vgl. Stein/Santos, 1998: 51ff). Eine psychische Störung, die in einen psychiatrischen Notfall mündet, ist dabei immer in ihrem Kontext zu betrachten und damit eng mit der Lebenswelt der Betroffenen. Daher ist die Einbeziehung solcher Aspekte immanent bedeutend für eine nach aktueller Erkenntnis gute Behandlung, und das klinische Personal kann durch das Wissen der ambulanten Versorger partizipieren (vgl. ebd.: 53). Folgende Zustandsbilder führen zur unmittelbaren Notwendigkeit einer stationären Aufnahme: Erregungszustände Akute Suizidalität Delirante Syndrome (Verwirrtheitszustände) – nicht durch Alkohol bedingt Bewusstseinsstörungen Alkohol-, Benzodiazepin, und Drogen-induzierte Notfälle Psychopharmakainduzierte Notfälle (Müller-Spahn et al. 2000, 5ff) Seiten 102 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Im ersten Jahr des NWpG erfolgten sechs Aufnahmen im Rahmen eines Unterbringungsbeschlusses, meist aufgrund eines vorangegangenen maniformen Syndroms bei potentieller Eigen- und Fremdgefährdung. Drei weitere Einweisungen wurden mit dem Einverständnis der Betroffenen bei akuter Suizidalität und/oder Intoxikation und einer damit drohenden Eigen- und Fremdgefährdung seitens des NWpG veranlasst. Neben den psychiatrischen Notfällen kam es jedoch auch zu 19 stationären Aufnahmen, bei denen sich die Klienten eine ambulante Versorgung nicht vorstellen konnten oder aber zu Beginn der Teilnahme unsicher bezüglich der real zu erwartenden Hilfen durch das NWpG waren. Hiervon lehnten vier Klienten ein gemeinsames Gespräch bezüglich des weiteren Vorgehens mit dem behandelnden Arzt in der Klinik ab, während die anderen einverstanden waren. Dies führte in Einzelfällen zu einer Kündigung der Integrierten Versorgung und zeigt die Anforderung an die Klienten, welche in einer ambulanten Versorgung einen klaren Mehrwert für sich erkennen müssen (vgl. Kündigungen). Neben der Vermeidung stationärer Aufenthalte, zielt die Arbeit des NWpG auch auf eine Verkürzung ebendieser ab. Dies ist eine besondere Herausforderung, die oftmals auf dem Grad des Vertrauens in das Angebot des NWpG basiert. So entschieden sich einzelne Klienten nach Abklingen des Notfalls, wie etwa akuter Suizidalität, mittels der Unterstützung des NWpG in ihr gewohntes Umfeld zurückzukehren. Ebenso wurden im Rahmen von Netzwerkgesprächen mit den Behandlern in der Klinik in Einzelfällen kurze stationäre Kriseninterventionen vereinbart und eine hieran anschließende Versorgung über das NWpG. Zudem wird Kontakt mit der Station und dem behandelnden Arzt über Netzwerkgespräche gesucht und es konnte hier oft auch eine gelungene Schnittstellenarbeit verzeichnet werden. Von den zuvor beschriebenen Klienten entschieden sich nach einem Netzwerkgespräch mit der Klinik und der Abstimmung mit ambulanten Behandlern, Betreuern und Angehörigen zehn für eine raschere Entlassung, von denen zwei zunächst in den Rückzugsräumen aufgenommen wurden und die anderen soziotherapeutisch begleitet wurden. Die teilweise gelungene Verkürzung von stationären Aufenthalten basiert dabei zunächst auf dem Ausschluss einer Eigen- oder Fremdgefährdung71. Sofern eine rasche Entlassung aus der Klinik initiiert werden kann, gilt es, folgende Kriterien zu beachten: 71 Hier ist zudem relevant, ob es sich um eine Unterbringung handelt. Seiten 103 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil der Klient verfügt über eine realistische Selbsteinschätzung und Einsicht der Klient möchte definitiv zuhause behandelt und versorgt werden es besteht eine adäquate Unterkunft (auch die Rückzugsräume kommen hier in Frage) Angehörige oder Partner sind einverstanden mit der Rückkehr der Klient ist mit einer Versorgungs-/Behandlungsplanung einverstanden und ist in der Lage, diese einzuhalten (vgl. Nolan/Tang 2008, 191) Nichtsdestotrotz kann derzeit noch kaum von klaren, schnittstellenübergreifenden Standards oder Behandlungspfaden gesprochen werden. Eine Kooperationsvereinbarung mit einer Klinik besteht bislang nicht, gleichwohl diese sicherlich wünschenswert wäre (vgl. Schnittstelle Klinik)72. 4.3.6 Motivation von Vertragskündigungen Immer wieder kam und kommt es zu Vertragskündigungen, die sowohl von Nutzern, wie auch dem NWpG formuliert wurden. Gerade zu Beginn des Erhebungszeitraums handelte es sich um Klienten, die durch gesetzliche Betreuer in die Integrierte Versorgung eingeschrieben wurden. Oftmals zeigte sich eine Kontaktaufnahme in solchen Fällen als problematisch, da die Klienten nicht erreichbar waren oder aber kein gemeinsamer Termin mit den Betreuern anberaumt werden konnte. Zudem schienen manche Klienten überrascht und lehnten einen weiteren Kontakt ab. Nur selten kam es bis dato zu einer Kündigung aufgrund einer stationären Aufnahme. Aus dem Verlauf des ersten Jahres und aus Schilderungen der Betroffenen lässt sich vemuten, dass ein Teil der Klienten die Klinik als gewohntes Setting in Krisen kennt und sich auch nur dort eine Behandlung vorstellen kann (vgl. Kap. 4.3.5). 72 Eine in Großbritannien etablierte Kooperation ermöglicht es, den zuständigen Psychiater sowohl im klinischen wie ambulanten Setting als Behandler einzubeziehen. Zudem kann dieser in wöchentlichen Teamsitzungen als fachärztlicher Berater sowie als „Gate-Keeper“ für die Betten in der Klinik fungieren (Nolan und Tang 2008, 189). Seiten 104 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil „Often the patient is seeking, even demanding, hospital admission“ (Hoult/Nolan 2008, 132) In diesen Fällen wurde im Vorfeld einer stationären Aufnahme das Anliegen sowie das Leistungsangebot des NWpG in Zusammenhang mit den Wünschen der Klienten abgeglichen und besprochen, in welcher Weise die Klienten künftig an diesem Angebot partizipieren möchten. Manche dieser Gespräche erfolgten erst nach der Aufnahme. Teilweise erklärten die Klienten dabei, dass sie sich zu Beginn der Teilnahme an der Integrierten Versorgung noch wenig sicher hinsichtlich einer stabilen, konstanten und dabei flexiblen Versorgung fühlten. Zumeist blieben die Klienten nach wie vor Nutzer der Integrierten Versorgung. Gemeinsam mit diesen wurde weiter dem berechtigten Wunsch für Beziehungsund damit auch Vertrauensarbeit nachgegangen. Nur in Fällen, in denen die Klienten den klaren Wunsch äußerten, sich auch in weiteren Krisen grundsätzlich stationär behandelt zu wissen, kam es zu einer Vertragskündigung. Weitere Kündigungen erfolgten, wenn sich zu den Klienten über einen längeren Zeitraum kein Kontakt herstellen ließ oder diese, wie zuvor beschrieben, nicht bereit waren, mit dem NWpG in Kontakt zu bleiben. Insgesamt kam es im Erhebungszeitraum durch die genannten Gründe zu insgesamt 35 Vertragskündigungen (8,75 % bei einer Gesamtmenge N=400)73. 73 Die Zahl der Kündigungen dürften in der Betrachtung der Häufigkeitsverteilung einen Normalwert einnehmen, da sich aus der relevanten Patientengruppe zwischen 27% und 35% der Versicherten für diese Form der Versorgung entschieden haben und diese Zahlen über den Prognosen von 25% hierzu liegen (vgl. Steckermaier 2010, 96). Seiten 105 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.3.7 Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Krisenvereinbarung sowie eines Behandlungsplans Innerhalb von Mental Health und dem in dieser Arbeit vorgestellten teambasierten Case Management-Ansatz sowie in der Entwicklung von Versorgungspfaden, spielen das Assessment und das Symptommanagement eine wesentliche Rolle und nehmen auch in der Versorgung von akuten Krisen einen hohen Stellenwert ein. Es stellt einen wesentlichen Aufgabenbereich der Casemanager in der Koordinationsstelle dar, sich hierzu eng mit anderen Behandlern und Betreuern abzustimmen (vgl. Brimblecombe 2008, 111ff; Ewers 2005, 58ff). Die Frage, ob eine ambulante Versorgung im Rahmen einer seelischen Krise möglich ist, muss individuell nach einem solchen Assessment überprüft werden, bei dem neben einem Facharzt auch mindestens zwei Bezugsbegleiter des NWpG involviert sind. Gemeinsam erfolgt die Entscheidung darüber, welche Hilfen geeignet und notwendig sind. Dies kann auch bedeuten, dass eine unmittelbare Aufnahme in eine Akutstation veranlasst werden muss (vgl. Brimblecombe 2008, 116,119). Die Versorgungsplanung bzw. das Assessment wird dabei ausführlich bei Eintritt in die Integrierte Versorgung erstmalig erhoben und im Bedarfsfall aktualisiert, zudem erfolgt im Rahmen der Evaluation ein halbjährliches Re-Assessment. Wie auch in der Gestaltung der Krisenvereinbarung gelten bei der Erhebung folgende Grundsätze: „Assessment is a shared process between the professionals and the service user. The service user is an expert in their own feelings and experiences.“ (Brimblecombe 2008, 112) Um Assessment auch über Schnittstellen hinweg zu ermöglichen, können in Absprache mit den Klienten andere Helfer im Rahmen von Netzwerkgesprächen einbezogen werden. Besonders bei sich zuspitzenden Verläufen wird dieser Austausch eng betrieben. Zudem erfolgt eine enge Abstimmung im Fallmonitoring, im Fallteam, in den Supervisionen oder aber es finden Gespräche im Team statt, um sich über mögliche Risiken zu beraten (vgl. Brimblecombe 2008, 119). Folgende Daten werden im Assessment standardisiert erfasst: Seiten 106 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil biografische Daten psychiatrische Vorgeschichte Therapien Suizidalität Krankenhausaufenthalte Unterbringungen Sucht-/Vorerkrankungen Soziales Netz aktuelle Medikation Psychiater weitere Helfer Finanzielle Situation (aus dem Leitfaden für das Erst-/Begrüßungsgespräch) Die Erhebung des Assessments stellt ein wesentliches Element der Versorgung dar. Ebenso das Risikomanagement hinsichtlich der Gefährdungsmomente, wie etwa Suizidversuche in der Vergangenheit oder aber Substanzmissbrauch und physische Erkrankungen. Die Planung der Krisenversorgung wiederum wird für den Zeitraum von zunächst höchstens einer Woche gestaltet und wird dann auf ihre Wirksamkeit hin überprüft. Wesentlich ist jedoch auch hier ein bedürfnisorientiertes und flexibles Vorgehen. So kann es in diesem Verlauf jederzeit zu einer Anpassung der Versorgungsplanung kommen. Das Vorgehen in der (Krisen-)Versorgung orientiert sich nach folgenden Strategien: Seiten 107 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Gestaltung einer gemeinsamen Krisenvereinbarung Anwendung der Krisenvereinbarung bei Heranziehung des Krisenmanuales „Vorgehen im Notfall“ Erkennung und Beachtung von Frühwarnzeichen und auslösenden (in der Krisenvereinbarung hinterlegt) Strukturierung der Zeit mit unterschiedlichen Interventionen, u.a. Gesprächen, Ergotherapie Gewährleisten der Bezugsbegleiter bei Verantwortung eines „Key workers“, der organisiert und über die Schnittstellen hinweg als Ansprechpartner fungiert Regelmäßige Überprüfung der Leistungen und des Krisenverlaufs mittels Monitoring; gegebenenfalls Anpassung des Versorgungsplans Regelmäßige Fortbildung der Mitarbeiter in Deeskalationsstrategien (vgl. Brimblecombe 2008, 118f) Weiter werden folgende Aspekte beachtet: Bearbeitung von Problemen mit der hauswirtschaftlichen Versorgung, Ernährung etc. Sicherstellung der Medikation durch den behandelnden Psychiater oder aber einen Kooperationsarzt Erkennen und B earbeiten von Stressoren, im besten Falle Auflösung derselben Beratung, Aufklärung und Entlastung von Betroffenen und Angehörigen Supervision und Monitoring Einbezug des sozialen Netzes kontinuierliche, stabilisierende Versorgung Angehen praktischer Probleme, wie etwa Koordination somatischer Versorgung Eruieren des sozialen Netzes und Erkennen eventueller Probleme Vermittlung in weitere Hilfen, wie etwa SpDis, BEW etc., soweit möglich und gewollt (vgl. Hoult/Nolan 2008, 123f) Seiten 108 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Da die eingeschriebenen Versicherten bereits aufgrund psychiatrischer Störungen behandelt wurden, sollen diese als Experten in eigener Sache stets einbezogen werden. Mitunter kann die Krise jedoch soweit fortgeschritten sein, dass sie sich in einer gemeinsamen Krisen- und Versorgungsplanung kaum mehr einbringen können. Auch hier spielt die Zusammenarbeit mit anderen Helfern und dem sozialen Netz eine wesentliche Rolle. Die Planung der Versorgung kann und soll entsprechend der individuellen Bedürfnisse variieren. Jedoch sollen nun kurz Standards für ausgewählte Störungsbilder näher betrachtet werden. Suizidalität Suizidalität wird grundsätzlich im Rahmen des Risikomanagement im Assessment detailliert zum Thema gemacht. Neben suizidalen Handlungen in der Vorgeschichte werden der aktuelle Anlass, wie auch die Konkretheit der Suizidalität eruiert. Häufig zeichnet sich hier die Einbeziehung der Angehörigen als äußerst stützend aus, die einerseits bei bereits bestehenden Ängsten entlastet werden und andererseits einen supportiven Charakter einnehmen können (vgl. Hoult/Nolan 2008, 129f). Dennoch ist dabei in der Arbeit des NWpG klar darauf hinzuweisen, dass hier schon aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen die behandelnden Psychiater und deren weitere Behandlungsempfehlungen von besonderer Relevanz sind. Ergibt sich in der Planung der weiteren Hilfen kein klares Bild hinsichtlich der Suizidalität, werden die Bezugsbegleiter motivierend auf einen stationären Aufenthalt hinarbeiten und die Klienten dorthin begleiten. Maniformes Syndrom Gleichwohl sich viele Klienten mit maniformen Zustandsbildern in der Vergangenheit für eine Integrierte Versorgung und damit für eine ambulante Versorgung entschieden haben, stellt sich gerade hier eine besondere Herausforderung an die Versorgung, da sich die Klienten innerhalb einer solchen Phase häufig nicht als krank betrachten. Nach Hoult und Nolan (2008, 131f) spielt in solchen Fällen die Bereitschaft zur Medikamenteneinnahme eine wesentliche Rolle. Seiten 109 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Aus der Praxis zeigt sich, dass dieses Zustandsbild am ehesten zuhause versorgt werden kann. Dies gelingt durch die Sicherstellung der Medikamenteneinnahme und dabei vorrangig eines beruhigenden Medikamentes und einer engmaschigen Begleitung. Ein Wechsel des Settings zum Beispiel in die Rückzugsräume ist nicht förderlich, da er eine zusätzliche Irritation bedeutet und bei Klienten die Befürchtung auftreten kann, fremdbestimmt und festgehalten zu werden (vgl. Fallbeispiel II). Borderline Persönlichkeitsstörung Da die Symptome bzw. die Probleme bei diesem Störungsbild häufig aus dem interpersonellen Kontakt im sozialen Umfeld herrühren, bietet sich eine besondere Chance, mittels ambulanter Versorgung gerade dort anzusetzen. Der gemeinsamen Erarbeitung einer individuellen Krisen- und Versorgungsplanung kommt dabei ein wesentliches Gewicht zu, wie auch im Auge zu behalten, dass die Klienten in der Suche nach einer Problemlösung oftmals auf einen stationären Aufenthalt drängen. Unabhängig des zugrunde liegenden Krisenauslösers kam es in der praktischen Tätigkeit immer wieder auch zu Skepsis seitens der Betroffenen oder der Angehörigen, ob eine Versorgung zu Hause möglich ist. Hieraus resultierende Befürchtungen und Ängste, aber auch andere negativ gefärbte Erwartungen, müssen stets thematisiert werden. Sie lassen sich mit diesem Vorgehen sicherlich nicht auflösen, ermöglichen jedoch auch hier die Betroffenen mit ihrem Erfahrungsschatz einzubeziehen (vgl. Hoult/Nolan 2008, 124ff). Die hieran ansetzende Krisenvereinbarung wurde im Erhebungszeitraum stetig weiterentwickelt und mit den Klienten soweit erforderlich aktualisiert. Hier stellt die Einbeziehung anderer Behandler und Betreuer wie auch der Angehörigen ein wesentliches Kriterium dar. Seiten 110 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.4 Schnittstellen- und Netzwerkarbeit – die Wirklichkeit Gleichwohl eine Integrierte Versorgung schon dem Sozialgesetzbuch nach originär dem Gesundheitsbereich zuzuordnen ist, wurden die aktuellen Verträge des NWpG mit gemeindepsychiatrischen Trägern abgeschlossen, die lange Erfahrung in der Betreuung von Menschen mit komplexen Problemlagen haben74. Dies wird dem Gedanken der Überwindung der Schnittstellenproblematik insofern gerecht, als dass die Vertragspartner über diverse Leistungsangebote aus unterschiedlichen SGB-Bereichen verfügen (vgl. Faulbaum-Decke/Zechert 2010, 14f). Im folgenden Teil der Arbeit sollen vor allem die institutionenbezogenen Schnittstellen im Rahmen der praktischen Arbeit des NWpG näher betrachtet werden. Im Rahmen der institutionellen Netzwerkarbeit finden regelmäßig gemeinsame Gespräche mit anderen Einrichtungen statt, zudem stellt sich das NWpG bei unterschiedlichen Verbänden und Einrichtungen vor. Der hiermit verbundene Informationsaustausch dient dem Ziel einer gelungenen Zusammenarbeit. Diese bildet die Basis, Irritationen hinsichtlich einer gemeinsamen Versorgung zu vermeiden und den Betroffenen eine optimale Versorgung zu gewährleisten (vgl. Bindman 2008, 94). Die Schnittstellenarbeit der Einzelfallebene findet häufig mittels Telefonkontakten zu anderen Helfern statt, aber auch gemeinsam mit diesen und den Betroffenen in sogenannten Netzwerkgesprächen (vgl. ebd.)75. Die Einbeziehung der Helfer aus den anderen Einrichtungen nimmt innerhalb der Krisen- und Versorgungsplanung eine wesentliche Rolle ein. Dabei sollen die Aufgabenbereiche in einer Krise wie auch über einen longitudinalen Verlauf abgesteckt werden und so eine transparente und optimale Versorgung ermöglicht werden. Dies bedeutet im Krisenfall auch zu vermeiden, dass zu viele Helfer tätig sind und diese zudem parallel aneinander vorbei arbeiten. Somit stellt die stetige Kooperation mittels Koordination, Kommunikation und Zusammenarbeit ein wesentliches Ziel der Tätigkeit des NWpG dar, da nur somit Irriationen hinsichtlich einer kontinuierlichen Versorgung auf Kosten der Betroffenen vermieden werden können (vgl. Nolan/Tang 2008, 188f). 74 Unter anderem mit folgenden Trägern: Berlin: Pinel, Bremen: GAPSY, Göttingen: AGEMA, Stuttgart: EVA, Niedersachsen Nord: IVP, Lübeck, Kiel: Brücke e.V, u.a. 75 Im psychiatrischen bzw. psychosozialen Kontext wurden diese zumeist als Fallkonferenzen bezeichnet. Seiten 111 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Die Erfahrungswerte aus dem einjährigen Erhebungszeitraum stellen die Grundlage der folgenden Erläuterungen zu den Schnittstellen. Zunächst werden die Schnittstellen des SGB V skizziert und weiter die des SGB XII. Einen weiteren wichtigen Teil nimmt die Schnittstelle des sozialen Netzes und damit auch zu den Angehörigen ein, die unabhängig von politischen oder finanziellen Überlegungen oftmals eine wesentliche Rolle in einer gemeindeorientierten Versorgung einnehmen. 4.4.1 Zusammenarbeit mit niedergelassenen Fachärzten Standardisiert werden alle Ärzte, bei denen sich Nutzer des NWpG in Behandlung befinden, mittels eines Informationsschreibens über die Einschreibung ihrer Patienten in die Integrierte Versorgung sowie deren Leistungen informiert und zu einem weiteren Informationsaustausch eingeladen. Bei bestehenden Fragen zur Behandlung, werden die jeweiligen Ärzte kontaktiert. Vor allem jedoch sollen diese die Behandlungsplanung mitgestalten und in die Krisenversorgung einbezogen werden. Im Rahmen einer Krisenversorgung wurde bislang in mindestens 72 Fällen der behandelnde Arzt mittels persönlicher Gespräche in die Behandlungsplanung sowie Abstimmung der Leistungen einbezogen. Mitunter war dies aufgrund der bestehenden Sprechzeiten nicht möglich oder aber einzelne Ärzte vergaben keinen zeitnahen Termin. In diesen Fällen wurden die Leistungen über die Kooperationsärzte abgedeckt. Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass einige niedergelassene Nervenärzten der Integrierten Versorgung mit Misstrauen begegnen oder diese gar ablehnen (vgl. Greuel/Mennemann 2006, 49). Diese Realität ist insofern problematisch, als sie die Abstimmungsprobleme vergrößern kann. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich, führen im Alltag gerade für die Patienten zu erheblichen Problemen, sich „zwischen den Stühlen“ zu fühlen, da sich die Ärzte im Rahmen der Sprechstunde fachlich als auch politisch gegen die Integrierte Versorgung aussprechen. Dies erfordert seitens der Bezugsbegleiter des NWpG eine erhöhte Achtsamkeit, Sorgen und Ängste der Klienten ernst zu nehmen und die Beziehungsarbeit an dieser erhöhten Irritation festzumachen. In einigen Fällen konnten sich die behandelnden Ärzte durch die positiven Berichte ihrer Patienten im Verlauf für eine Kooperation gewinnen lassen. Sicher können diese Einzelfälle nicht als grundsätzlicher Trend betrachtet werden. Es ist nach wie vor unsicher, wie sich die unterschiedlichen Ärzteverbände im weiteren VerSeiten 112 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil lauf hierzu positionieren werden (vgl. Steckermaier 2010, 87ff). Es ist zudem abzuwarten, ob und wie sich ein teambasiertes und multiprofessionelles Arbeiten mit der Schnittstelle der niedergelassenen Ärzte durchführen lässt und wie sich diese hierzu aussprechen. Die Erfahrungswerte mit den Kooperationsärzten lassen jedoch optimistisch in die Zukunft blicken, schildern diese die Abstimmung mit dem NWpG im Praxisalltag als entlastend und bereichernd. Die Möglichkeit weiterführende Interventionen in einer Krise rasch, flexibel und ohne bürokratische Hürden gewährleistet zu wissen, ermöglicht auch ihnen eine verbesserte ambulante Krisenversorgung. 4.4.2 Schnittstelle zum stationären Bereich Nach einem einjährigen Erhebungszeitraum lässt sich sicherlich noch keine valide Aussage hinsichtlich der Vermeidung von Klinikaufenthalten treffen. Zugleich wäre es vermessen, zu sagen, dass eine Integrierte Versorgung das „Allheilmittel“ darstellt. Die fachliche Notwendigkeit eines stationären Aufenthaltes ist in vielen Fällen auch für die Beteiligten in solch einer Versorgung immer wieder gegeben. Das heißt auch, die Patienten dahingehend zu beraten und zu motivieren sowie diesen zu veranlassen. Dabei zeichnet sich gerade die Schnittstelle „ambulant-stationär“ weiter als problematisch aus und die koordinierenden Bezugsbegleiter des NWpG können auf den weiteren Verlauf der Behandlung kaum Einfluss nehmen. Dabei geht es in der Praxis nicht um grundsätzliche Kompetenz- oder Entscheidungsfragen, sondern vielmehr um eine gelungene Abstimmung (vgl. Stein/Santos 1998, 51ff). Die Erfahrungswerte aus dem NWpG zeigen, dass viele Information bei der Aufnahme in ein Krankenhaus verloren gehen. Da die Bezugsbegleiter oftmals den aktuellen Stand hinsichtlich Medikamentenverordnung und/oder -unverträglichkeiten sowie über weitere behandlungsrelevante Informationen verfügen, gelingt dieser Informationsaustausch erst im weiteren Verlauf der stationären Behandlung. Dies wurde in der Regel durch gemeinsame Gespräche mit den behandelnden Ärzten gewährleistet. In einigen Fällen erfolgten nach Absprache mit diesen eine rasche Entlassungen in die ambulante Versorgung. Seiten 113 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Eine wesentliche Problematik besteht wohl derzeit darin, dass die Krankenhäuser als Leistungserbringer nicht mittels eines Anreizsystems einbezogen werden konnten. Eine schnellere Entlassung zurück in die Integrierte Versorgung würde derzeit zwar mitunter fachlichen Standards entsprechen, bietet den Kliniken jedoch keinen wirtschaftlichen Anreiz, der nur mittels eines gemeinsame Budgets innerhalb eines Unternehmens mit weitgehend selbständigen Leistungserbringern möglich wäre. „Eine solch umfassende Versorgungseinheit, die mit regionalem Bezug alle erforderlichen Gesundheitsleistungen anzubieten vermag, stellt aus heutiger Sicht ein zielorientiertes Konzept dar.“ (Sachverständigenrat 2009, 168). 4.4.3 Zusammenarbeit mit niederglassenen Psychotherapeuten Insgesamt ist die Zahl der ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten in den letzten Jahren stark angestiegen, weshalb ein beträchtlicher Anteil des gesamten Psychiatriebudgets in die psychotherapeutische Versorgung fließt (Becker et al. 2008, 91f). Die Verteilung der Mittel wird dabei kritisch betrachtet. Es wird vermutet, dass den eher leichter kranken Patienten der Zugang zurPsychotherapie und anderen diversifizierten Versorgungsangeboten offen steht, während schwer und chronisch kranke Menschen, die einen erhöhten Bedarf an einer differenzierten und komplexen Versorgung hätten, unbehandelt bleiben (vgl. Melchinger 2008, 42ff). Diese Vermutungen bestätigen sich in der Praxis des NWpG und können als ursächlich für eine nicht gelingende Anbahnung einer Psychotherapie benannt werden. Um dieser Problematik zu begegnen und damit erneute Krisen abzuwenden, werden gezielte Beratungsgespräche angeboten (Kap. 4.1.9). Auch einer oftmals langen Wartezeit auf einen Therapieplatz ist zum aktuellen Stand nicht zu begegnen und weitere Kooperationsstrukturen wären sinnvoll. Insgesamt befanden sich mehr als 36% der eingeschriebenen Nutzer der Integrierten Versorgung im Zeitraum der Erhebung in einer Psychotherapie. 16 Klienten nahmen zunächst die psychologische Beratung des NWpG in Anspruch, bis sie mit einer Psychotherapie begannen. Seiten 114 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil An der Schnittstelle zu Psychotherapeuten lassen sich einzelfallbezogen immer wieder gelungene Vernetzungen ausmachen. Im Rahmen der Krisenversorgung erfolgte mit 23 Psychotherapeuten zumeist eine persönliche Abstimmung der Versorgung und Behandlungsplanung. Wie auch die Fachärzte werden die Psychotherapeuten bei der Einschreibung der Klienten direkt über die Teilnahme an der Integrierten Versorgung und deren Leistungen informiert und bei Bedarf aktiv einbezogen. Aus der Praxis zeigt sich, dass die Therapeuten, mit denen im Rahmen von Krisen oder zur Abwendung einer solchen Kontakt bestand, das NWpG als gute Möglichkeit betrachteten, ihre Patienten sicher versorgt zu wissen und dies insbesondere für weitere Abstimmungen in Urlaubszeiten nutzten. Die Praxis zeigt weiter, dass sich die Klienten mit den Bezugsbegleitern des NWpG über mögliche Irritationen innerhalb der Psychotherapie sowie deren Verlauf sprechen und somit drohende Therapieabbrüche vermieden werden konnten. 4.4.4 Netzwerkarbeit und Kooperation mit Ergotherapie und anderen Leistungserbringern Wie auch die Ärzte und Psychotherapeuten werden die Ergotherapeuten bei Einschreibung der Klienten direkt über die Teilnahme an der Integrierten Versorgung und deren Leistungen informiert. Innerhalb des ersten Jahres zeichnete sich die Ergotherapie als stützende und im weiteren Verlauf stetig stabilisierende Maßnahme aus. Daher kam es mit einzelnen Ergotherapiepraxen zu Netzwerkgesprächen und einer zum aktuellen Stand noch losen Kooperation. 23 Klienten haben im Erhebungszeitraum Leistungen der Ergotherapie nach dem SGB V in Anspruch genommen, von denen 13 bereits vor der Einschreibung in einer ergotherapeutischen Praxis behandelt wurden und zehn Klienten seitens des NWpG hierin vermittelt wurden. Bislang erfolgt eine rasche Aufnahme der Patienten in die einzelnen Praxen, und deren Mitarbeiter äußerten immer wieder positive Erfahrungen aufgrund der engen Abstimmung mit dem NWpG bei einer Verschlechterung des Zustandsbildes. Dieser Baustein ist sicherlich für die kommende Zeit näher zu betrachten und mittels weitergehender Kooperationsgespräche fortzuführen. Seiten 115 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.4.5 Vernetzung mit Diensten und Einrichtungen des SGB XII In München bestehen zahlreiche Anbieter gemeindepsychiatrischer Versorgung. Gleichwohl die derzeitig im NWpG eingeschriebenen Klienten hier scheinbar nur wenig Berührungspunkte haben, kommt es auch hier in der Einzelfallebene immer wieder zu Schnittstellen. Wie auch bei den zuvor beschriebenen Akteuren aus dem SGB V-Bereich werden Betreuer aus Einrichtungen der Eingliederungshilfe bei der Einschreibung der Klienten direkt über die Teilnahme an der Integrierten Versorgung und deren Leistungen informiert und aktiv einbezogen. In der Praxis kann dies eine Vernetzung mit bereits seit längerem bestehenden professionellen Helfern, etwa von Sozialpsychiatrischen Diensten oder dem Betreuten Einzelwohnen, bedeuten. Zudem gibt es Nutzer des NWpG, die in einer betreuten Wohnform leben, Tagesstätten besuchen oder aber an einem Arbeitsprojekt teilnehmen. Fehlt es an einer solchen Unterstützungsform, die für den Rehabilitationsprozess nachhaltig intendiert ist, bestehen bei den Mitarbeitern des NWpG die Kenntnisse über die beschriebenen Versorgungsformen, so dass eine mögliche Einleitung eines solchen Angebotes rasch umgesetzt werden kann. Die Möglichkeiten einer engen Vernetzung werden dabei seitens der unterschiedlichen Einrichtungen manchmal nur unter Vorbehalten angenommen. Dies mag aus einer schwierigen Abgrenzung oder aber ähnlichen Inhalten des Versorgungsauftrags herrühren76. Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die unterschiedlichen Dienste, die im Rahmen des SGB XII finanziert werden, auf dem Nachrangigkeitsprinzip basieren und ihnen nicht die Aufgabe des über das SGB V zu finanzierende Home Treatment obliegt. Aus der Praxis soll eine weitere Anmerkung erfolgen: So äußerten einige Klienten des NWpG auf die Frage, ob sie zum Beispiel mit einem Sozialpsychiatrischen Dienst in Kontakt gekommen seien, dass dies zwar der Fall war, sie sich jedoch 76 Exemplarisch sollen kurz die Ziele der Sozialpsychiatrischen Dienste in Bayern dargestellt werden, deren Zielgruppe vorrangig schwer psychische kranke Menschen sind. Sie unterliegen dabei der Zuständigkeit des SGB XII sowie deren Kostenträgern und sollen den Betroffenen Angebote zur Teilhabe an der Gemeinde ermöglichen. Neben der Beratung nehmen diese dabei eine koordinierende Aufgabe ein und zielen auf nachgehende und aufsuchende Angebote ab. Die Rahmenleistungsvereinbarungen der SpDi´s in Bayern erwähnen im Tätigkeitsprofil unter anderem die Krisenversorgung wie auch die Kooperation mit anderen regionalen Dienstleistern als Bausteine. Jedoch obliegt kaum einem SpDi die Behandlungsaufgabe und der Fokus ist über die Jahre verstärkt auf die Rehabilitation gesetzt worden. Ursächlich sind dabei die Landespsychiatriegesetze, nach welchen den niedergelassenen Ärzten hierfür die Priorität zugesprochen wurde. Jedoch muss auch festgestellt werden, dass es bis dato nicht gelungen ist, hier Kooperationsstrukturen herzustellen und die einzelnen Leistungen in parallelen und unvernetzten Strukturen vollzogen werden (vgl. Melchinger 2008 63ff; Mendel 2010). Seiten 116 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil als Person dort nicht wiedererkannten oder sich nicht angesprochen fühlten. Dies ursächlich zu beleuchten, wäre eine interessante Frage, die es künftig näher zu beleuchten gälte. Möglicherweise hat der sozioökonomische wie -kulturelle Status, wie auch die Leistungsfähigkeit im Beruf oder Alltag hierauf Einfluss. Einzelne Antworten lauteten, dass sich die Patienten nicht als „(sozial-) psychiatrisch“ betrachten würden oder aber bereits den Namen der Einrichtung als für ihr Anliegen unpassend empfanden77. Dennoch waren 24 Klienten der insgesamt 365 Klienten aus dem Erhebungszeitraum in unterschiedlicher Frequenz bei einem Sozialpsychiatrischen Dienst und weitere elf wurden mittels Begleitung oder Koordination an ebendiese Dienste vermittelt, so dass derzeit 35 der eingeschriebenen Versicherten hier zusätzliche Unterstützung erfahren können. ohne Sozialpsychiatrischer Dienst mit 9,6% 90,4 31,4% durch NWpG 68,6% vorher Schnittstelle zu Sozialpsychiatrischen Diensten (N=365) (Dar. 11, Erhebung aus dem internen Fragebogen) Durch (Intensiv) Betreutes Einzelwohnen wurden zum Zeitpunkt der Einschreibung zwölf Klienten begleitet und bei sieben wurde dies seitens der Bezugsbegleiter mit anderen Diensten initiiert. Zum Teil handelt es sich hierbei um dieselben Klienten, die auch durch einen Sozialpsychiatrischen Dienst unterstützt wurden. Insgesamt acht Klienten befanden sich in einer betreuten Wohnform, zumeist handelte es sich um eine Therapeutische Wohngemeinschaft (TWG). 77 Diese Hinweise lassen eventuell den Schluss zu, dass ein neutraler Einrichtungsname wie Netzwerk für psychische Gesundheit – Vincentro eher akzeptiert wird und weniger Ängste vor einer drohenden Stigmatisierung hervorruft. Seiten 117 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil ohne Betreutes Einzelwohnen mit 91,1% 8,9% 36,8% durch NWpG 63,2% vorher Schnittstelle zum (Intensiv) Betreuten Einzelwohnen und zu therapeutischen Wohngemeinschaften (N=365) (Dar. 12, Erhebung aus dem internen Fragebogen) Aus der Praxis des NWpG zeichnen sich in der Netzwerkarbeit mit den Einrichtungen der Eingliederungshilfe unterschiedliche Erfahrungen ab, die jedoch aufgrund der vergleichsweise eher geringen Zahl der Überschneidungen noch wenig Aufschluss geben, inwiefern Irritationen und Schwierigkeiten der Zusammenarbeit aufgrund unklarer fachlicher Zuständigkeiten oder persönlicher Ängste herrührten. Auffällig ist die hohe Zahl von insgesamt 33 Kontakten mit den SpDis, (I)BEW und den TWGs zur Abstimmung der Versorgung. Es wäre hier künftig der Frage nachzugehen, in welchem Maße diese Zahl mit dem Personenkreis in Zusammenhang steht, die im Rahmen der Eingliederungshilfe vergleichsweise höherer Unterstützung bedürfen. Zukunftsträchtig könnte eine Kooperation zwischen dem NWpG und den Sozialpsychiatrischen Diensten allemal sein, würde diese Zusammenarbeit eine kontinuierliche Versorgung sicherstellen. Diese bedürfte neben einer Unterscheidung hinsichtlich der zugeschriebenen Aufgaben und Leistungen auch der Zusammenarbeit auf politischer Ebene, um die Trennung der Sozialgesetzbücher wirklich zu überwinden (vgl. Walle et al. 2010, 157f). Seiten 118 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 4.4.6 Zusammenarbeit mit gesetzlichen Betreuern, Bezirkssozialarbeit und anderen Einrichtungen Insgesamt werden nur 17 teilnehmende Patienten durch einen gesetzlichen Betreuer vertreten oder aber in unterschiedlichen Aufgabenkreisen unterstützt78. Grundsätzlich zeigte sich in den einzelnen Fällen seitens der Betreuer ein Informationsdefizit bezüglich der Aufgaben und dem Konzept des NWpG oder aber der bestehenden Regelversorgung. Die konnte im Rahmen gemeinsamer Netzwerkgespräche mit den Patienten gut behoben werden und zehn Betreuer nahmen persönlich an der gemeinsamen Gestaltung der Krisenvereinbarung teil. Die Bezirkssozialarbeit war nur bei sehr wenigen Nutzern des NWpG von Relevanz, nur sechs geben hier eine Schnittstelle an. So fanden hier nur in Einzelfällen Kontakte oder eine Vermittlung dorthin statt. Ein größerer Teil der Vermittlung erfolgt in zusätzlich unterstützende Angebote, wie etwa einer Haushaltshilfe oder in Tagesstätten. Zudem wurden einzelne Klienten aktiv unterstützt, eine geschütze Arbeitsform oder aber eine ehrenamtliche Tätigkeit zu erlangen. 4.4.7 Einbindung der Angehörigen und des weiteren sozialen Netzes Konzepte und Theorien seelischer Krisen sehen einen maßgeblichen Stressor für Krisen, aber auch einen unterstützenden Faktor im sozialen Umfeld (vgl. Hoult / Nolan 2008, 124). Auch wenn das Personal im stationären Setting davon erfährt, besteht hier oftmals nicht die Möglichkeit einer wirklichen Intervention, schon aufgrund der Tatsache, dass das hier zuständige Personal nicht im weiteren Verlauf tätig ist. Eine ambulanten Krisenversorgung ist daher wohl die einzige Antwort, dieser Problematik zu begegnen. Der Einbeziehung von Angehörigen und vielmehr des sozialen Netzes wird großes Potential im Sinne der Prävention aber auch in aktuellen Problemlagen beigemessen. Dennoch scheint dieser systemisch therapeutische Ansatz sowohl den Betroffenen als auch dem sozialen Netz häufig noch weitgehend fremd (vgl. Aderhold 2010, 110f). Die Einbeziehung privater Bezugsbegleiter stellt in den Studien zu gemeindeorientierten Versorgungsformen jedoch ein wirksames Prinzip dar und Befürchtungen hinsichtlich einer Überforderung der Angehörigen 78 Eine Betreuung wurde im Rahmen einer Unterbringung im Erhebungszeitraum durch den behandelnden Psychiater veranlasst. Seiten 119 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil mit der Einbeziehung in die Krisenversorgung, konnten nicht bestätigt werden (vgl. Brenner et al. 2000, 694). Erste Erfahrungen im NWpG bestätigen dies, weshalb die Angehörigen sowohl in die Prävention als auch in die eigentliche Krisenversorgung einbezogen werden, um im besten Falle eine „Gewohnheit“ dessen zu erzielen (vgl. Aderhold 2010, 115). Der Beteiligung der Angehörigen wie des weiteren sozialen Netzes muss besondere Beachtung beigemessen werden, spielen diese häufig eine maßgebliche Rolle im Lebensalltag und insbesondere in Krisen (vgl. Johnson/Needle 2008, 69; Fallbeispiel 2). Deren Einbeziehung birgt daher die Chance, krisenauslösende Faktoren näher in Augenschein nehmen zu können, die dort entstanden sein können. In der Praxis des NWpG lässt sich ein wesentlicher Bedarf feststellen, die Angehörigen über die psychischen Störungen aufzuklären und in die Planung der Versorgung einzubeziehen. Dies, wie auch entlastende Gespräche in oftmals belastenden Lebenssituationen, zeigen eine hohe Akzeptanz (vgl. Johnson/ Needle 2008, 72ff). Häufig ergeben sich Gespräche mit Klienten und deren Angehörigen bei Hausbesuchen, die im Rahmen der Begrüßungsgespräche stattfinden. Manchmal kommt es aber erst in Krisen und der hierin angebotenen Versorgung zuhause zu solchen Kontakten. Allein der Hausbesuch und die regelmäßigen Kontakte stellen bereits eine wesentliche Intervention innerhalb des sozialen Netzes dar (vgl. Bridgett/Gijsman 2008, 157). Neben psychoedukativen und supportiven Gesprächen soll allen Beteiligten die Möglichkeit gegeben werden, Sorgen und Nöte anzusprechen (vgl. Aderhold 2010, 115). Hieraus werden anschließend gemeinsame Strategien zur Krisenbewältigung erarbeitet und Möglichkeiten der Unterstützung aller Beteiligten eruiert. Als Grundlage kann die zuvor gestaltete Krisenvereinbarung herangezogen und im Sinne der Prävention gemeinsam überarbeitet werden (vgl. Bridgett/Gijsman 2008, 162). Besteht weitergehend der Bedarf an einer familientherapeutischen Intervention, kann diese durch die Bezugsbegleiter des NwpG veranlasst werden. Im Erhebungszeitraum konnten bislang nicht bei allen Nutzern die Angehörigen eingebezogen werden: Zum einen, da eine hohe Zahl der Nutzer bereits relativ isoliert lebt, zum anderen, weil ein Kontakt sowohl auf Seite der Betroffenen oder der Angehörigen nicht erwünscht war. So konnten in der folgenden Grafik nur bei knapp 30% der Nutzer die Angehörigen in eine der folgenden Interventionen eingebunden werden: Seiten 120 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 11,7% Paargespräch 22,7% Angehörigenberatung 20,1% Krisenversorgung 45,5% Beteiligung Krisenvereinbarung Einbeziehung der Angehörigen (N=365) (Dar. 13, Erhebung aus dem internen Fragebogen) Als Teil des sozialen Netzes können weiter Freunde, Bekannte und Nachbarn verstanden werden, aber auch Kollegen und Arbeitgeber. Eine stationäre Aufnahme kann im Hinblick auf das soziale Netz beträchtliche Folgen haben, welche die Angst vor Stigmatisierung zusätzlich unterfüttern79. Jedoch ist die alleinige Antwort hierauf nicht die ambulante Versorgung, sondern kann diese nur dann eine wirkliche Alternative darstellen, wenn auch die sozialen Kontakte verbessert werden können. „Crisis theory argues, however, that if admission can be avoided, and a different way of coping promoted outside hospital, then the crisis becomes an important opportunity for both the individual and the social network to learn more adaptive and healthy problemsolving stategies.“ (Bridgett/Gijsman 2008, 152). 79 Klinikaufenthalte können zudem Einfluss auf eine negative Symtomatik haben und außerdem einen passive Lebensgestaltung mit sich bringen, da sie die Autonomie der Betroffenen tendenziell behindern (Johnson/ Needle 2008, 71f). Seiten 121 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Soweit intendiert und von den Betroffenen gewünscht, besteht daher zur Vorbeugung oder Abwendung von Krisen auch die Möglichkeit, das erweiterte soziale Netz, wie etwa Arbeitgeber, einzubeziehen. Dies fand im Rahmen des Erhebungszeitraumes in Einzelfällen etwa im Austausch mit Personalabteilungen oder aber Betriebsratsvertretern dann statt, wenn sich auslösende Stressoren vorrangig am Arbeitsplatz befanden oder sich ein drohender Arbeitsplatzverlust abzeichnete. Diesem Auftrag will das NWpG grundsätzlich nachgehen und so wird den Klienten immer wieder auch hier das Angebot von Netzwerkgesprächen angeboten. Zudem besteht im Rahmen unterschiedlicher Gruppen, die auf Selbsthilfeprinzipien beruhen oder aber in der Freizeitgruppe des NWpG die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen. Weiter werden Exkursionen angeboten, die den Klienten Möglichkeiten des Austauschs bieten oder der Erweiterung ihres sozialen Umfeldes dienen sollen, wie etwa die Vorstellung des Tauschnetzes LETS, der Besuch im Selbsthilfezentrum oder im Haus der Eigenarbeit80. 80 http://www.lets-muenchen.de/, http://www.shz-muenchen.de/, http://www.hei-muenchen.de/ Seiten 122 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 5 Fazit In der Zusammenschau der angestellten Betrachtungen zur Integrierten Versorgung sowie der empirischen Darstellung des einjährigen Erhebungszeitraums aus dem NWpG München sollen nun zusammenfassend kritische Überlegungen hinsichtlich Erwartung und Wirklichkeit einer Integrierten Versorgung erfolgen. 5.1 Vertragliche Rahmenbedingungen und Verortung in einer Managed Care -Struktur Populationsbezogene Integrierte Versorgungsmodelle nach §140a ff SGB V stellen nach Koch (2009, 62) die derzeit konsequenteste Form einer koordinierten Versorgungsstruktur dar und haben hinsichtlich qualitativer Aspekte eine gute Prognose. Eine Integrierte Versorgung stellt in seiner Organisationsform eine Managed Care-Struktur dar. Dem Vertragspartner, in diesem Fall der Awolysis GmbH, obliegt es, die vertraglich festgesetzten Leistungen zu erbringen oder aber mit anderen Leistungserbringern entsprechende Kooperationsverträge abzuschließen. Die geäußerte Befürchtung, eine gemeindeorientierte Integrierte Versorgung mittels Managed Care- Strukturen umzusetzen, ist nachvollziehbar, wenn die jeweiligen Managementgesellschaften Leistungen vorenthalten, um ihren Gewinn zu maximieren. Die Verteilung des Kostenrisikos ist in diesem Kontext nicht grundsätzlich negativ zu bewerten. Bei einem Capitation-Modell, in welchem der Anbieter die anfallenden Krankenhaustage übernimmt, muss dieser ein besonderes Interesse verfolgen, nicht nur in Krisenzeiten eine adäquate Versorgung vorzuhalten. Die Leistungserbringer sind hierdurch erstmalig gefordert, eine explizite Gesunderhaltung zu fördern und damit eine Perspektive einzunehmen, die im deutschen Gesundheitssystem weitgehend neu ist (vgl. Faulbaum-Decke/Zechert 2010, 16f). Dies wiederum ermöglicht, unabhängig des Einzelfalls Leistungen zu implementieren, die im Sinne der Rückfallvermeidung ansetzen sollen und damit präventiver Art sind. Im Zuge dessen, konnten auch die seit langer Zeit geforderten Krisenhäuser bzw. RückzugsräuSeiten 123 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil me initiiert werden. Deren Auslastung ist dabei nicht mehr über rein wirtschaftliche Aspekte beeinflusst, sondern durch den tatsächlichen Bedarf, also der Behandlungsnotwendigkeit der Betroffenen (vgl. ebd., 17). Neben der vermehrten Ausrichtung auf die bereits seit längerem geforderte Personenzentrierung sollen die ambulanten Versorgungsansätze die Selbstbestimmung der Betroffenen fördern sowie eine Form der Behandlung und Betreuung ermöglichen, die den Betroffenen eine qualitative Versorgung ohne Einschränkungen gewährleistet (vgl. Weinmann et al. 2009, 31f). Eine bis dato zu stark institutionenorientierte Ausrichtung der Versorgung soll demnach künftig durch personenzentrierte Ansätze ersetzt werden, die in Modellen wie dem ACT,HT oder dem NAT vermehrt zum Tragen kommen (vgl. Weinmann/Gaebel 2005, 116; Kap. 2.3.2). Die Umsetzung solcher Strukturen, die auch im beschriebenen Modell der Integrierten Versorgung des NWpG angestrebt werden, stellen nicht nur eine Möglichkeit dar, den Nutzerinteressen gerecht zu werden, sondern zugleich die Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Störungen bei gleichzeitigem ökonomischem Anreiz zu verbessern. Anmerkend ist festzustellen, dass die vorgestellten Modelle kein konsistentes Bild hinsichtlich einer Kostenreduktion aufweisen. So kann wohl zu dem Schluss gekommen werden, dass eine Integrierte Versorgung nicht primär als kostensenkend gedacht werden kann, jedoch eine Möglichkeit der Kostenstabilisierung darstellt (vgl. McDaid/ Thornicroft 2005, 9). Die Finanzierung der Integrierten Versorgung folgt einem Capitation-Modell, in welchem der vertragsnehmende Leistungserbringer eine Kopfpauschale für jeden eingeschriebenen Versicherten erhält. Aus diesen Pauschalen werden alle im Vertrag beschriebenen Leistungen vergütet und die Managementgesellschaft, die auch als Leistungserbringer fungiert, übernimmt dabei die finanzielle Verantwortung. Nicht unerwähnt bleiben kann im Bereich der Finanzierung die sogenannte „Malus-Regelung“. Hierbei sind die Managementgesellschaften verpflichtet, die Kosten von anfallenden teil- und vollstationären Aufenthalten im Rahmen der psychiatrischen Behandlung zu tragen (aus dem Vertrag). Die Generierung und Festlegung der zu prognostizierenden Kosten für die Versicherten, welche risikoadjustiert erhoben werden, stellt insgesamt die Notwendigkeit einer Bündelung aller Versicherten in ein Gesamtbudget dar, da die Zuweisung in die Seiten 124 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil von den Krankenkassen erhobenen Fallgruppen über den realen Kostenfaktor nur bedingt aussagekräftig bezüglich des Morbiditätsrisikos ist (vgl. Ruprecht 2010, 91ff). Alle weiteren Leistungen verbleiben bei den Krankenkassen, so etwa die ambulante fachärztliche und psychotherapeutische Versorgung, wie auch alle (teil-)stationären Kosten außerhalb der vertraglich festgelegten Versorgungsregion sowie die Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen (vgl. ebd.). In der aktuellen Umsetzung des Vertrages zur Integrierten Versorgung zeichnet sich die Generierung der Klienten nach einem seitens der Krankenkasse entwickelten Algorithmus nach wie vor als problematisch ab. Entsprechend dieser Einschreibesystematik haben nur diejenigen Patienten Zugang zur Integrierten Versorgung, die in der Leistungshistorie der Krankenkassen in den letzten zwölf Monaten die zugrunde gelegten Kriterien erfüllten. Das heißt derzeit, dass viele Patienten dem Algorithmus nach nicht an der Integrierten Versorgung teilnehmen können. Dieser Zustand wird sowohl von den Ärzten wie von den Mitarbeitern des NWpG beklagt. Denn dies bedeutet, Patienten den Zugang zu verwehren, denen durch diese Art der Versorgung erstmalige stationäre Aufenthalte erspart bleiben könnten. Auch Patienten, die erstmalig hilfesuchend in die Arztpraxen kommen, haben derzeit kaum Zugang zu einer raschen gemeindeorientierten Krisenversorgung81. Hier wären Ansätze wünschenswert, die Betroffene bereits zu Beginn des Eintritts in das „Helfernetz“ aufnehmen, was derzeit sicherlich Fragen der Zuständigkeit und Finanzierung aufwirft82. 5.2 Nutzerperspektive und Bedürfnisorientierung Die zunehmende Förderung von Patientenrechten und damit die aktive Einbeziehung der Betroffenen in die Konzeption der Versorgung, soll nicht nur die Selbsthilfe befördern, sondern auch Stigmatisierungstendenzen entgegenwirken. Denn zusätzlich zu den „primären“ Folgen der psychischen Störung, wie etwa einem beeinträchtigten Leistungsvermögen, gehen diese häufig auch mit enormen Beeinträchtigungen im psychosozialen Kontext einher (vgl. Bottle81 Nur im Rahmen der Sonderregelung bestünde hier die Möglichkeit Ausnahmen zu ermöglichen (vgl. Kap. 3.3.5) 82 Hier erneut ein kurzer Verweis an die Crisis Resolution Teams in Großbritannien, die unter anderem mit Hausarztpraxen kooperieren (vgl. Amering 2002, 244). Seiten 125 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil nder/ Möller 2005, 7). Auch individuelle Erfahrungen, die Menschen mit einer psychischen Störung machen, können zur sogenannten Selbststigmatisierung führen, die wiederum sozialen Rückzug, ein mangelndes Selbstwertgefühl und damit auch die Beeinträchtigung von Lebensqualität und -chancen mit sich bringen kann. Nicht selten kommt es dabei sowohl in der individuellen sowie der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu Fragen der Eigenverantwortung und Selbstverschuldung hinsichtlich der Ursachen und der Behandelbarkeit einer solchen Störung (vgl. Gaebel et al. 2005, 42). Die Erweiterung außerklinischer Versorgungsmöglichkeiten, die sich sowohl in quantitativer wie qualitativer Hinsicht gezielt für psychosoziale Belange einsetzen, bergen das Potential, drohender Stigmatisierung entgegenzuwirken (Grausgruber 2005, 11ff). Dies ist umso mehr von Belang, wenn man die Gefahr von Behandlungsabbrüchen oder aber die Ablehnung einer neuerlichen Behandlung betrachtet. Diese Tendenzen wiederum können mit einer negativ geprägten Haltung der Gesellschaft im Hinblick auf psychiatrische Krankenhäuser und die dortige Behandlung korrelieren. Unter Berücksichtigung solcher Aspekte sollen die Nutzer künftig verstärkt sowohl in der Einzelfallarbeit einbezogen werden, als auch in der Weiterentwicklung des Konzeptes. Grundsätzlich ist die Bereitschaft der Betroffenen zu einer ambulanten Versorgung für deren Gelingen maßgeblich (vgl. Gühne et al. 2011, 120). „Auf Gesundung ausgerichtete Modelle psychiatrischer Versorgung können nur dann funktionieren, wenn therapeutischer Optimismus im Rahmen einer professionellen therapeutischen Beziehung auf eine aktive Rolle der Nutzer trifft, welche ihre Präferenzen vom Versorgungssystem als berücksichtigt wahrnehmen“ (Becker et al. 2008, 170) Eine Orientierung an Präferenzen oder Bedürfnissen erfordert eine aktive Einbeziehung der Nutzer und stellt eine hohe Anforderung an diese dar, die einer vertrauensvolle Beziehung zu den Bezugsbegleitern bedarf. Das dargestellte Modell der Integrierten Versorgung birgt damit aber zugleich eine essentielle Möglichkeit, die Patientensouveränität weiter zu stärken. Die Gewährleistung des tatsächlichen Bedarfs bei einer klaren Betonung individueller Bedürfnisse bietet die Chance, Hilfen eher zu akzeptieren und den Zugang zu den Helfern zu erleichtern. Damit erhöht sich zudem die Chance präventiv zu arbeiten, dieser erfordert aber eine hohe Akzeptanz und eine hohe Eigenverantwortung der Betroffenen (vgl. Tacchi/Scott 2008, 166). Seiten 126 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Die Beteiligung der Nutzer in die unmittelbare Versorgung im NWpG ist gewünscht und hinsichtlich den Forderungen nach Patientensouveränität, Empowerment und Recovery förderungswürdig. Dies geschieht einerseits auf individueller Ebene, etwa in der gemeinsamem Gestaltung der Krisenvereinbarung. Andererseits ist die Einflussnahme von Betroffenen auch in qualitativen und konzeptionellen Fragen sowie strukturellen Aspekten von besonderer Bedeutung. Daher fanden in der Implementierungsphase Treffen mit Vertretern der „Münchner Psychiatrieerfahrenen“ (MÜPE)83 statt, welche regelmäßig eingeladen werden, um kritische Anregungen in die Arbeit einzubringen. Eine weitere Beteiligung von Nutzern bestünde durch die Beteiligung dieser als Mitarbeiter im Team. Diese Möglichkeit wird weiter von Bedeutung werden, seit innerhalb Deutschlands die Ausbildung zum Genesungshelfer implementiert wurde84. Durch diese Ausbildung sollen psychiatrieerfahrene Menschen nicht mehr nur eine hieraus begründete Expertenrolle einnehmen, sondern werden im Rahmen eines einjährigen Curriculums auf die Erfordernisse des Arbeitsalltags mit anderen Betroffenen wie auch auf die Arbeit in einem multiprofessionellen Team vorbereitet. Diese Form der Beteiligung von Nutzern zeigt besonders im Hinblick auf die direkte Patientenarbeit gute Erfolge85. Gute Ergebnisse zeigten sich durch häufigere Behandlungskontakte oder aber in einer erhöhten Lebensqualität (Bock 2010, 68). Die grundsätzliche Einbeziehung der Nutzer und die Stärkung dieser birgt das Potential, die aktuellen Reformbewegungen in der psychiatrischen Versorgung voranzubringen, bedarf dabei jedoch nicht nur einer Willensäußerung der Einrichtungen und Träger sondern einer klaren Haltung, die hieraus resultierenden Anregungen auch in der Praxis umzusetzen zu wollen. 83 Siehe: http://www.muepe.org/ 84http://www.ex-in.info/ 85 In Bayern findet derzeit noch keine Ausbildung zum Genesungshelfer statt, was wiederum bedeutet, dass es dort noch kaum ausgebildete Genesungshelfer gibt. Anders gestaltet sich die Lage in Berlin, weshalb im dortigen NWpG Genesungshelfer einen Teil des Teams der Integrierten Versorgung darstellen. Im NWpG München und seitens des Trägers der Awolysis GmbH besteht große Offenheit hinsichtlich der Anstellung von Genesungshelfern im Team, die sich nach der Hospitation zweier Ausbildungskandidaten im Jahr 2011 noch weiter vergrößerte. Es bedürfte dabei sicherlich notwendiger struktureller Bedingungen, sowie im Einzelfall individueller Unterstützungsformen im Rahmen von Supervisionen und individuell abgestimmten Dienstzeiten. Seiten 127 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 5.3 Schaffung von Transparenz in der Versorgung Welche elementare Bedeutung der Schnittstellenarbeit in der künftigen Zeit im Gesundheits- und Sozialwesen, vor allem aber innerhalb einer Integrierten Versorgung beigemessen werden muss, wurde in den vorangegangenen Kapiteln hinlänglich beschrieben. Dies bezieht sich auf die Ebene des Einzelfalles, die institutionelle Ebene wie auch auf die ökonomische und politische Ebene. Die Zusammenarbeit mit anderen Diensten aus dem Gesundheits- und auch Sozialbereich stellt eine wirksame Möglichkeit einer optimierten Versorgung dar. Die bislang starke Trennung von Rehabilitation und Behandlung führte häufig zu einer verstärkt institutionenorientieren Versorgung die der bereits seit langem geforderten Personenzentrierung kaum gerecht werden konnte (vgl. Amering/Schmolke 2006, 21f). Dies lässt die Politik europaweit verstärkt über das Thema Mental Health nachdenken und zunehmend für gemeindepsychiatrische Versorgungskonzepte plädieren (Knapp et al. 2006, 3f). Die im Rahmen dieser Arbeit vorgestellte Integrierte Versorgung mit ihren nachweislich effizienten Versorgungsmodulen und ihrem Fokus sowohl auf die Akutversorgung wie auch die Gesundheitsvorsorge vermag an dieser Forderung sicherlich anzusetzen (Böckheler 2010, 8). Derzeit besteht gerade an den Schnittstellen „ambulant-stationär“ Optimierungsbedarf, was auch den unterschiedlichen Institutionen und deren jeweils eigenemSelbstverständnis geschuldet ist, wie auch aktuellen Diskussionen um ökonomische Aspekte und dem damit verbundenen Wettbewerb. Eine Vernetzung ist wohl gerade im Bereich „ambulant-(teil-)stationär“ nur mittels Wertschätzung wie dem Interesse am jeweils anderen zugrunde liegenden Referenzsystem und dessen Handlungslogiken denkbar, ohne diese übernehmen zu müssen. Hemmnisse, dies zu tun, könnten unter anderem darin begründet sein, dass Außenstehende zu großen Einblick in Tätigkeit und Organisation bekommen. Damit könnte auch ein Einblick in die Problematiken der jeweils anderen Institution gewährt werden, der sich gerade im Zusammenhang mit Wettbewerbsaspekten als schwierig erweisen könnte (vgl. Amelung et al. 2009, 184f). Auch wenn den Begriffen wie Gemeindeintegration, Normalisierung und Bedarfsorientierung in den letzten Jahren zunehmend Rechnung getragen wurde, orientiert sich die psychiatrische Versorgung bisher noch zu wenig an Personenzentrierung, Ambulantisierung und Bedürfnisorientierung. So lautet die Seiten 128 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Folgerung bis dato entgegen landläufiger Forderungen „stationär vor ambulant“ (vgl. Becker et al. 2008, 71). Es ist weiter anzunehmen, dass die interdisziplinäre oder aber multiprofessionelle Zusammenarbeit nach wie vor eine Haltungsveränderung aller beteiligten Akteure benötigt (vgl. Greuel/Mennemann 2006, 34f). Daher liegt bei der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens die Heranziehung betriebswirtschaftlicher und soziologischer Netzwerkforschung nahe (vgl. Amelung et al. 2009, 13). Die hierin entwickelte Netzwerkperspektive bietet eine elementare Möglichkeit, von der traditionellen Fokussierung auf einzelne Institutionen hin zu einem Geflecht von verschiedenen Akteuren tätig zu werden. Dabei könnten im Rahmen des allgemeinen Netzwerkbegriffs die Strukturmuster der Akteure abgebildet wie auch deren Beziehungen zueinander untersucht werden. Die Einführung einer neuen Organisation zur Gesundheitsversorgung birgt stets die Gefahr, als Irritation oder gar Bedrohung verstanden zu werden. Auf Ebene des Einzelfalls und der Einrichtungen kann sich dieses Gefühl nur über einen längeren Zeitraum auflösen, indem die Aufgabenbereiche abgesteckt werden (vgl. Kap. 4.4). Die Akzeptanz erhöht sich im weiteren Verlauf durch eine gelungene Zusammenarbeit und indem sich die eigene Tätigkeit für andere als hilfreich und nützlich erweist. Auch dem Nachweise von Nutzererfahrungen muss in diesem Zusammenhang hohe Bedeutung beigemessen werden (vgl. Flowers/Hoult 2008, 304f). Eine weitere Problematik der Schnittstellenüberwindung stellen strukturelle Barrieren dar. Während innerhalb einer Organisationsebene mittels struktureller Voraussetzungen und einer hiermit ermöglichten Informations- und Datentransparenz ein kontinuierlicher Austausch erfolgen kann, stellt dies für weitere Akteure aufgrund häufig noch nicht bestehenden Vertrauens sowie fehlender Erfahrungen mit einem solchen Austausch noch eine Hürde dar (vgl. Koch 2009, 81). „Bei der Umsetzung eines IV-Projekts sollte zudem allen Beteiligten bewusst sein, dass kontinuierliche Anpassungen der Behandlungsabläufe aufgrund von sich verändernden wissenschaftlichen, ökonomischen oder politischen Rahmenbedingungen notwendig und aus Sicht eines effektiven Projektcontrolling unerlässlich sind.“ (Deister et al. 2010, 81). Umsetzung und Vertrauenssteigerung kann nur gelingen, wenn nicht nur die sektoralen Trennungen auf Institutionsebene überwunden werden, sondern ebenso die mentalen Kooperationsbarrieren auf Ebene der beteiligten Seiten 129 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Professionen (vgl. Amelung et al. 2006, 42). Managed Care-Strukturen oder aber eine Integrierte Versorgung nehmen auch Einfluss auf Verbände und Standesorganisationen und hier sicherlich vorrangig auf die Verbände der Ärzte. Indem neue Organisationsformen zunehmend an Einfluss gewinnen, die Versorgung gestalten und der geforderten multiprofessionellen und teambasierten Versorgung Rechnung tragen, werden sich vor allem diese künftig umorientieren müssen (vgl. Sachverständigerat 2009, 36, 48). Insbesondere Ärzte in Krankenhäusern haben traditionell eine Professionalisierung erfahren, die diese Umorientierung eher erschwert. Dabei ist festzustellen, dass es derzeit sowohl die organisatorische wie auch die ökonomische Desintegration zu überwinden gilt. Bei der ersteren handelt es sich dabei um die Herstellung gemeinsamer Arbeitsbeziehungen, während zweitere einer Kooperation bedarf, die ein gemeinsames Versorgungsbudget umfasst und in einer transektoralen Integrierten Versorgung angesiedelt sein könnte. Dabei ist das Capitation-Modell eine Vergütungsform, die an ebendieser Problematik anzusetzen vermag und damit Steuerungseffizienz und -effektivität gewährleistet (vgl. ebd., 21). Um eine Integrierte Versorgung nachhaltig zu implementieren, die eine vertikale Vernetzung und eine Überwindung von Schnittstellenproblemen ermöglicht, werden sich künftig Organisationsstrukturen wie auch das professionelle Selbstverständnis der Beteiligten verändern müssen. „Ein integriertes Versorgungssystem als Zielvorstellung würde allerdings die Polarisierung zwischen episodischen (HT, KH) und kontinuierlichen Behandlungsangeboten (ACT, CM) überflüssig machen.“ (Berhe et al. 2005, 828) 5.4 Verbesserung von Qualität sowie Sicherstellung von Kontinuität der Leistungen Grundsätzlich ist bei der Implementierung einer ambulanten Versorgung Kreativität und Flexibilität von der Einrichtung und ihren Mitarbeitern gefordert, sind doch immer wieder Anpassung- und Veränderungsmaßnahmen notwendig, um auf den Bedarf wie auf die Bedürfnisse der Nutzer zu reagieren und Seiten 130 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil zugleich mit den anderen Akteuren des Versorgungsnetzes in einen fruchtbaren Austausch treten. Die Literatur unter Heranziehung evidenzbasierter Studien kommt dabei einhellig zu dem Schluss, dass es einem Ausbau teambasierter, gemeindeorientierter Modelle bedarf, die sich nicht mehr nur an der Nachsorge und Rehabiliation orientieren, sondern vielmehr Krankenhausaufenthalte durch aktives Vorgehen vermeiden wollen (vgl. Brenner et al. 2000, 691). Weiter besteht Bedarf für einen schnellen Zugang zu Hilfen (Stein/Santos 1998, 77). Eine Kontaktaufnahmemöglichkeit rund um die Uhr, aufsuchende Hilfe am selben Tag umgesetzt durch Mitarbeiter, die den Betroffenen bereits bekannt sind, können helfen, dass sich seelische Krisen nicht zum psychiatrischen Notfall entwickeln (vgl. Glover/Johnson 2008, 27, 76; Kap. 2.2.2). Durch die Erstellung von Krisenvereinbarungen, die mit den Betroffenen im Vorfeld erarbeitet wurden, aber auch unter Einbeziehung von Ärzten, Therapeuten, Angehörigen u.a., werden die Möglichkeiten im NWpG zusätzlich erhöht, drohenden Krisen rechtzeitig und bedürfnisorientiert zu begegnen. Die guten Ergebnisse einer solchen Versorgung führten dazu, sie im Rahmen der S3-Leitlinien zur Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Störungen zu empfehlen und soll auch den Teilnehmern des NWpG Zugang zu einer solchen Interventionsform ermöglichen (vgl. DGPPN 2006, 212ff)86. Es ist sicherlich festzustellen, dass Krankenhausaufenthalte nicht gänzlich ersetzt werden können und dass manche Zustandsbilder nur dort die adäquate Behandlung unter besonderer Berücksichtigung der Unversehrtheit erfahren (vgl. Stein/ Santos 1998, 53; Kap. 4.3.5)87. Stationäre Aufnahmen kommen zudem bei Spezialtherapien in Frage, wie auch bei multimorbiden Erkrankungen, die einen intensiven Pflege- und Behandlungsaufwand mit sich bringen (vgl. Rössler/ Theoridou 2006, 117). Grundsätzlich kann in einem Modell der Integrierten Versorgung, wie es im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt wird, erstmalig Gesundheitsförderung im Rahmen der Sekundär- wie Tertiärprävention in den Fokus genommen werden. Dies beinhaltet somit die Abwendung erneuter seelischer Krisen sowie die Verminderung der Folgen einer psychischen Erkrankung (vgl. Deister et al. 2010, 5). Eine gemeindenahe und bedürfnisorientierte Versorgung unter Berücksichtigung präventiver Aspekte birgt das Potential, dass Betroffene ein höheres Vertrauen zu den Helfern aufbauen und in weiteren Krisen vorzeitig 86 Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit, befanden sich die S3-Leitlinien für schwere psychische Störungen noch in Revision. 87 Bei sogenannter Eigen- und/oder Fremdgefährdung sowie bei gesetzlichen Unterbringungen. Seiten 131 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil Unterstützung annehmen (vgl. Johnson/Needle 2008, 73). Die im Rahmen der in dieser Arbeit gewonnen Erkenntnisse, lassen die Vermutung zu, dass die Wirksamkeit der in Kapitel 2.3 beschriebenen Modelle auch im Rahmen der Praxis des NWpG belegt werden kann, während deren Effizienz noch nachzuweisen ist. Zudem müssen künftig weitere Aspekte bedacht werden, wie den longitudinalen Verlauf einer seelischen Störung, ein besonderes Engagement des Teams oder aber die Annahme, dass der stationäre Behandlunsgbedarf über den Verlauf einer Erkrankung auch ab- oder zunehmen könnte (vgl. Brenner et al. 2000, 698). Das Konzept des NWpG unterliegt dabei einem steten Monitoring und einer raschen Anpassung an die Entwicklungen. Neben der Frage nach spezifischen Interventionen und strukturellen Aspekten, werden gender- oder aber kulturspezifische Fragestellungen vermehrt Beachtung finden müssen. Die wesentlichen Kriterien für ein gelungene Umsetzung einer solchen Form der Versorgung lauten wie folgt: „the time and commitment of staff social support a partnership model of the therapeutic relationship clinical engagement without an exclusive focus on medication“ (Tacchi/Scott 2008 nach Priebe 2005, 166). Da die Lebensqualität auch maßgeblich durch das Bestehen eines tragfähigen sozialen Netzes beeinflusst wird, stellt die Einbeziehung von Angehörigen und Freunden, wie auch den professionellen Helfern einen wichtigen Faktor für die Qualität der Versorgung dar (vgl. Kap. 2.2.4; 4.4.7). Einen weiteren wesentlichen Baustein in einer solchen personenzentierten und gemeindeorientierten Versorgung stellt die kontinuierliche Begleitung durch ein multiprofessionelles Team dar, welches zugleich einen teambasierten Ansatz verfolgt. Das Team greift dabei explizit Themen wie Kontakt- bzw. Therapieabbruch auf, thematisiert mit den Betroffenen zu jedem Zeitpunkt die möglichen Beweggründe und reagiert soweit erforderlich entsprechend den Bedürfnissen (vgl. Weinmann/Gaebel 2005, 820). „Traditionelle krankheitsorientierte Behandlung sollte sich erweitern zu integrativen, multidimensionalen Konzepten auf der Basis einer positiven Haltung und einer Reduktion der vorherrschenden Skepsis gegenüber der Möglichkeit der Gesundung„ (Amering/Schmolke 2006, 22) Seiten 132 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil 6 Zusammenfassende Betrachtung Bis dato kann eine Integrierte Versorgung trotz einer verstärkten Orientierung hin zu psychosozialen Interventionen ihrem eigentlichen Ansinnen, nämlich der Koordination und Abstimmung von Leistungen auf die Wünsche der Betroffenen, nur schwer nachkommen; insesondere unter dem Aspekt der unterschiedlichen Leistungserbringer und deren Finanzierungsform. Verträge zur Integrierten Versorgung bergen zwar Gefahren, bieten jedoch auch Chancen, die aus neuen innovativen Handlungsansätzen wie dem Home Treatment oder dem Assertive Community Treatment entstehen können88. Hierauf abzielende Modelle einer ambulanten gemeindepsychiatrischen Integrierten Versorgung können stationäre Aufenthalte nicht gänzlich ersetzen. Jedoch haben sie das Potential einer verbesserten Versorgung durch einen gelungenen Abbau der versäulten Strukturen mittels einer engen Verzahnung der bestehenden Behandlungs- und Betreuungsformen. Begleitende Versorgungsforschung ist dabei unumgänglich, um den durch eine Integrierten Versorgung angestrebten Mehrwert insbesondere für die Nutzer transparent zu machen und somit auch im Rahmen der beschriebenen Wirtschaftlichkeit wettbewerbsfähig zu bleiben (vgl. Amelung/Wagner 2010, 187). Bislang wurden innerhalb Deutschlands meist nur einzelne Behandlungsmethoden, wie etwa pharmakolgogische Interventionen, im Sinne einer evidenzbasierten Praxis untersucht, während es viel mehr einer evidenzbasierten psychiatrischen Versorgungspraxis bedürfte, die sich sowohl an ethische, gesetzliche als auch bedürfnisorientierte Aspekten anlehnt (vgl. Weinmann/Gaebel 2005, 809f). Versorgungsforschung mit dem Fokus auf gemeindeorientierte Modelle fehlt in Deutschland bislang fast gänzlich – daher werden in den aktuellen Diskussionen meist Modelle aus anderen Ländern, wie etwa das ACT, HT oder NAT, die in der Vergangenheit bereits intensiv beforscht wurden, diskutiert und implementiert. Welche Patienten am ehesten von einer gemeindepsychiatrischen Integrierten Versorgung profitieren, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht klar bestimmen. Künftig werden daher sowohl (teil-)stationäre wie die gemeindepsy- 88 Er erläutert dabei die Differenzen zweier Verträge, die in jüngster Zeit mit Krankenkassen abgeschlossen wurden. Dabei ist bei einem Modell die Uniklinik Eppendorf der Leistungserbringer, während es sich bei dem Modell des NWpG um gemeindepsychiatrische Versorgungsanbieter handelt. Beiden Modellen ist aktuell die Problematik zueigen, dass sie nicht in einem Verbund „Gemeindepsychiatrische Träger, Klinik und Krankenkassen“ verbindlich zusammenarbeiten (vgl. Bock 2010, 64). Seiten 133 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Empirischer Teil chiatrische Versorgung ihre Berechtigung haben und sich nicht gegenseitig aufheben (Thornicroft/Tansella 2004, 288). Bezüglich der Kostenfrage bedeutet dies aber ein Umschichtung der bisher vorrangig in den stationären Bereich geflossenen Gelder, da finanzielle Mittel für eine gemeindepsychiatrische Versorgung angesichts der ökonomischen Entwicklungen nicht vorhanden sind (vgl. ebd.). Um die Herausforderungen an das Gesundheitssystem meistern zu können, müssen zahlreiche beeinflussende Aspekte in Augenschein genommen werden. So stellt der Zusammenschluss unterschiedlicher Akteure nicht automatisch ein verbessertes Handlungsvermögen dar. Amelung und Kollegen (2009, 15) räumen daher denjenigen Akteuren bessere Chancen ein, die bereits im Vorfeld stark und fähig waren. Die Versorgung mittels Netzwerken gestalten zu wollen, bedeutet zudem ökonomische und marktwirtschaftliche Mechanismen, die Kooperation und Wettbewerb beinhalten, verstärkt in Gang zu setzen. Daher dürfen gerade im Gesundheits- und Sozialwesen ethische Fragestellungen nicht unberücksichtigt bleiben, die insbesondere mit Fragen zur Ökonomisierung zu vereinbaren sein werden. Hier besteht die Notwendigkeit mittels evidenzbasierten Qualitätsnachweisen, die Leistungen wie auch das Outcome zu belegen (vgl. ebd.). Grundsätzlich basiert die Darstellung einer Integrierten Versorgung, entsprechend des empirischen Teils dieser Arbeit, auf der Annahme, dass die Einführung der beschriebenen Konzepte auch im deutschen Gesundheits- und Sozialwesen umsetzbar ist und es eines Umdenkens der beteiligten Akteure bedarf. Dies bedeutet perspektivisch die enge Verzahnung zahlreicher Leistungsanbieter, wie etwa Kliniken, Fachärzten, Sozialpsychiatrischer Dienste und weiterer Akteure. Seiten 134 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung 7. Literatur Aderhold, V., Greve, N. 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Fallkonferenzen mit Klinik vorzeitige Entlassungen aus Klinik mit Übernahme ins NwpG Einweisungen in Klinik über NwpG (psychatrischer Notfall) Schnittstellen SGB V & SGB XII PT vorher durch NWpG SpDi vorher durch NWpG BEW vorher durch NWpG BSA vorher durch NWpG Ergotherapie vorher durch NWpG Andere (Haushaltshilfe, BSA etc.) vorher durch NWpG Gespräch Psychiater (Koop. + Niedergelassene) Gespräch Psychotherapeut Gespräch SpDi, BEW, TWG u.a. Einbeziehung Angehörige u./o. Soziales Netz Beteiligung Krisenvereinbarung Angehörigenberatung Krisenversorgung Paargespräch Seiten 151 Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung Erklärung nach §31 Abs.5 Rapo Hiermit erkläre ich, dass ich die Arbeit selbständig verfasst, noch nicht anderweitig für Prüfungszwecke vorgelegt, keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benützt sowie wörtliche und sinngemäße Zitate als solche gekennzeichnet habe. München, im August 2011 Stephanie Lerf Seiten 152