Der Jäger des Pop
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Der Jäger des Pop
8 Magazin Bieler Tagblatt, Samstag, 12. Januar 2013 Magazin Music Scene Der Jäger des Pop KLANGKULISSEN Plattencovers Bob Egan fahndet mit Kamera und viel Musse nach den Orten, an denen Bob Dylan oder die Ramones einst für die Covers ihrer Platten posierten. Dafür nimmt er auch mal Gefahren in Kauf. konnte ihm nicht bloss die genaue Adresse des Foto-Schauplatzes verraten, sondern beschied ihm obendrein, dass sie selbst wenige Stunden zuvor genau an der entsprechenden Stelle gestanden sei. Die drei Kinder sind erwachsen und seinen Job in der Immobilienbranche beherrscht er aus dem Effeff. Was Bob Egan genügend Zeit und Raum gibt, seinen persönlichen Interessen nachzugehen. Eben hat er ein Kinderbuch namens «Shakespeare And The Million Monkeys» veröffentlicht, doch seine wahre Liebe gehört der Pop-Kultur. Weshalb der New Yorker in seiner Freizeit mit der Kamera nach Schauplätzen fahndet, an denen berühmte Plattencovers entstanden sind. Bo Diddley beim Schmied Neil Young beim Restaurant Als Egan 1977 seine erste Wohnung in Greenwich Village bezog, realisierte er rasch, dass er nur einen Block von der Jones Street entfernt lebte. Von jener Strasse also, in der 14 Jahre zuvor das Albumcover von Bob Dylans «The Freewheelin’ Bob Dylan» geknipst wurde, das den Barden Arm in Arm mit seiner damaligen Muse zeigt, der unlängst verstorbenen Suze Rotolo. Egan begann sich einen Spass daraus zu machen, Freunde auf Besuch an die besagte Stätte zu führen. «Alle haben das geliebt», erinnert er sich. Weshalb er seinen Gästen auch gleich jene Stelle zeigte, an welcher das Cover von Neil Youngs «After The Goldrush» zustande kam («gleich um die Ecke meines bevorzugten Souvlaki-Restaurants»). Oder das Ed Sullivan Theatre, von wo aus die Beatles 1964 zum allerersten Mal vom US-TV ausgestrahlt wurden. Stolperte er über poprelevante Informationen, sog Egan diese sogleich in sich auf. Doch erst in den 90er-Jahren machte er sich an eigene Nachforschungen. Weil er unbedingt enträtseln wollte, wo das Albumcover zu Dylans «Blonde On Blonde» geschossen wurde. Erst fragte er bei den Besitzern alteingesessener Plattengeschäfte nach, dann gelang es ihm, den Fotografen Jerry Schatzberg ausfindig zu machen, doch alles ohne Erfolg: «Er konnte sich nicht mehr an die Location erinnern!» Bis heute ist es Egan nicht gelungen, den Ort der Aufnahme aufzuspüren. Was an ihm nagt. Aber die Suche geht weiter. «Nun probiere ich, den Assistenten von Schatzberg aufzutreiben.» «West Side Story» auf der 56. Jenen Flecken New Yorks zu besuchen, an dem sich George Washington von seinen Truppen verabschiedete, bereite ihm ebenfalls Freude, betont der 59-Jährige. «Doch es ist ein vielfach grösseres Vergnügen, unter demselben Torbogen zu stehen, unter dem die Ramones 1977 für ihren Longplayer ‹Rocket To Russia› posierten.» Komme hinzu, dass viele der Orte, an denen zwischen 1960 und 1980 Rockgeschichte geschrieben und fotografiert wurde, vom Abriss bedroht oder bereits verschwunden sind. Darum betätigt sich der Musikliebhaber abends und an Wochenenden als Detektiv in Sachen PopKultur. Ausgerüstet mit Lupe, einem Zugang zu den digitalen Archiven der New York Public Library und Computer-Programmen wie Google Street View oder Bird’s Eye View von Bing begibt sich Egan auf grosse Jagd. «Jeder kann das tun», betont er. Er tuts. So habe ihm Google Street View bereits genügt, um die Cover- Simon & Garfunkel, «Wednesday Morning, 3AM», Subway-Station Ecke Fifth Avenue and 53rd Street, wo die Bob Egan Linien E und F stadtauswärts fahren. Vom Bo Diddley-Werk «Have Guitar Will Travel» (1959) habe er lange angenommen, es sei in Chicago entstanden. «Denn keins der abgebildeten Gebäude kam mir bekannt vor.» Doch dann sei auf dem Cover, gleich neben dem Kopf des Bluesers, das Firmenschild des Silberschmieds Burt E. Baker aufgefallen. «In einem Gesellschaftsmagazin aus den 50erJahren stiess ich wenig später auf die Lebensgeschichte Bakers und auch auf seine damalige Geschäftsadresse an der Livingston Street.» Ein Blick auf Google Street View, und sogleich habe er den Ort in Brooklyn identifizieren können. Eine Fotoausbildung hat der Amerikaner nicht, aber Erfahrung: Schon in der High School durfte er fürs Schulblatt Sportevents ablichten. Egan glaubt, dass das goldene Zeitalter der Albumfotografie längst hinter uns liegt. «In den frühen 70er-Jahren war man auf dem Höhepunkt. Als sowohl Fotografen wie Musiker im East Village und der Lower East Side lebten, als der Punk aufkam.» Man habe auf engem Raum, aber in zahlbaren Appartements gelebt und sei sich deswegen ständig wieder begegnet. «In den Clubs und auf den Strassen herrschte eine Rauheit, die sich in den Plattencovers niederschlug.» Viele Künstler hätten hart und am Rande der Gesellschaft gelebt, um einen Sound zu kreieren, der sich von jenem der Sixties abhob. Danach sei der Rap aufgekommen und die Musikszene sei in Richtung Bronx und Brooklyn weitergezogen. Bob Dylan auf dem Dach Bo Diddley, «Have Guitar Will Travel», 368 Livingston Street in Brooklyn. Schauplätze von David Bowies «Ziggy Stardust» oder Pink Floyds «Division Bell» zu lokalisieren. Ein Vergrösserungsglas war nötig, um zu entdecken, dass die Mülltonnen auf der «West Side Story»-LP mit einer Adresse versehen waren: 418 West 56th Street. Laufarbeit war danach Bob Egan • 59, wuchs in der Nähe von Boston auf und ist Absolvent der Harvard University. • Anschliessend zog er nach New York, wo er noch heute wohnt und als Senior Director für ein Immobilien-Unternehmen tätig ist. • frönt seinem Hobby seit den 90er-Jahren, Fokus liegt auf den Covers der 60er- und 70er-Jahre. • arbeitet mit einem iPhone mit mig Aufsatz. Link: www.popspotsnyc.com kaum mehr nötig, befand sich der Ort doch in unmittelbarer Nähe von Egans Büro. Trotzdem: «Ein absoluter Heureka-Moment für mich.» Manchmal reicht auch schon ein einziges Telefon: Um die exakte Location zu ermitteln, an der 1970 das Cover von «Déjà Vu» Bob Egan der Westcoast-Band Crosby, Stills, Nash & Young aufgenommen wurde, habe er einfach eine Pferdetrainerin aus dem betreffenden Städtchen in Kalifornien angerufen: «Ich wusste, dass David Crosby damals dort ein Haus gemietet und ein Pferd besessen hatte.» Und siehe da: Die Dame Und welche Erkenntnisse glaubt Bob Egan denn bei seiner Suche nach jenen Flecken, an denen Cover-Geschichte geschrieben wurde, gewonnen zu haben? «Musiker wurden erstaunlich oft in der Nähe des Aufnahmestudios fotografiert. Es scheint, als ob die Plattenfirmen bis zur allerletzten Minute gewartet und erst dann die Bilder gemacht hätten.» Häufig habe man die Musiker der Einfachheit halber aufs Dach hinauf oder ein paar Strassenzüge weiter geschleppt. «Das war bei Dylan so. Und auch bei Bruce Springsteen oder Billy Joel.» Vor zwei Jahren hat Egan damit begonnen, seine Foto-Ausbeute auf seiner Website www.popspotsnyc.com zu veröffentlichen. Hochgeladen hat er bis dato an die 70 Motive, gut weitere 100 harren ihrer Publikation. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht. In Zukunft will sich Egan vermehrt um Cover-Szenen aus Los Angeles oder San Francisco bemühen. Kennt seine Faszination denn gar keine Grenzen? «Nicht wirklich», sagt er. Um an ein Zielobjekt seiner Begierde zu gelangen, wage er sich selbst in Gegenden vor, die als ziemlich unsicher gelten. «Und mehr als einmal wurde ich schon fast von Autos überfahren, weil ich mitten auf der Strasse Bilder machte, um meinen Fund zu dokumentieren.» Michael Gasser Drei Oktaven, mindestens Singen kann er noch immer nicht wirklich gut. Auch wenn der Pressetext behauptet, seine Stimme gehe mindestens über drei Oktaven. Aber das war schon auf dem Album «Tierpark» nicht störend, sondern sorgte für zusätzlichen Charme. Nun macht der schillerndste Regent der Schweizer Musikszene Jazz. In seinem Fall: Pepejazz. Ausgehend von einem Fund alter Schellackplatten frönt er zusammen mit der famosen Begleitband dem alten Big-Band-Jazz der 1920erJahre. Das ist manchmal poetisch, oft aber umwerfend witzig, etwa wenn Gameboy-Sound zusammen mit dem verstaubten Klangbild verschmilzt. Textlich ist King Pepe mit seiner unnachahmlich lässigen Lakonie ohnehin eine Klasse für sich, die veröffentlichten Videos zu den Liedern sind höchst vergnüglich, und auf der zweiten CD kleidet Olifr M. Guz (Die Aeronauten) den Pepejazz in ungemein vielfältige, farbige Remixes. Achtung: Wer die Gelegenheit hat, King Pepe live zu sehen, sollte sich diese nicht entgehen lassen. Simon Hari, wie der Berner im bürgerlichen Leben heisst, ist nämlich ein vorzüglicher Schauspieler – und die Rolle des schrägen Crooners steht ihm ungemein. tg Info: King Pepe: «King Pepe macht Pepejazz» (Big Money Records/ Der gesunde Menschenversand). Live am 13. Februar im Kaufleuten, «Tsüri» – es gibt «Plattentaufe Ost». Das Happy End ist immer schon da Schon der Klappentext des Albums macht klar, dass hier keine leichten, eingängigen Dreiminuten-Popsongs zu erwarten sind. Die verstörende kurze Geschichte endet mit den Worten: «So fehlt das Happy End auf diesem Album und ist doch immer schon da.» Die Band, die solches zumutet, trägt denn auch einen sperrigen Namen: A Crashed Blackbird Called Rosehip (ACBCR). Sie stammt aus St. Gallen und hat mit ihrem Debütalbum «Heroes Won’t Work» Grosses gewagt. Viele Farben und Stimmungen finden sich da, es ist ein Spiegelkabinett, klanglich oszillierend zwischen Pop, Rock, Trip Hop, Elektro, garniert mit technoiden und noisigen Elementen. Einem Stück, das industrial-mässig wuchtig endet («Pony»), folgt mit «What Good» eine fast schon schnulzige, aber raffinierte PopBallade. Fragil arpeggierte Gitarren und eine Perkussion, die das Bild von ins Wasser geworfenen Steinen evoziert, schaffen eine neblig-wohlige Stimmung im schönen Stück «The Unspoken Truth». Das Duo trifft es gut, wenn es über seine faszinierendvielschichtige Musik sagt, es seien «Wiegenlieder für Menschen, die manchmal das Aufwachen vergessen». tg Info: A Crashed Blackbird Called Rosehip: «Heroes Won’t Work» (Irascible).