T. Renkawitz, J. Grifka - Implantat
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205 Die PROXIMA™ Kurzschaftprothese T. Renkawitz, J. Grifka I. Aktuelle Herausforderungen zementfreier Hüftschaftimplantation 1. Osteolyse und Knochendichteverlust Die traditionell zementfreie Implantation femoraler Komponenten beim totalendoprothetischen Hüftgelenkersatz erfordert die ausgedehnte Präparation der Femurdiaphyse. Unabhängige Studien zeigen Osteolyseraten verschiedener zementfreier Endoprothesen bis zu 23% nach rund 4 Jahren (Learmonth et al. 1995) und bis zu 70% im durchschnittlichen Nachbeobachtungszeitraum von 12 Jahren (Kawamura et al. 2001). Dieser kortikale und trabekuläre Knochendichteverlust („Stress Shielding“) wird dabei unter anderem auch von der Steifheit der verwendeten Materialkomponenten beeinflusst. Kim konnte in einer prospektiv ausgelegten Studie signifikante Unterschiede zweier in geometrischer Form identischer IPS™ Prothesenschäfte mit verschiedener Materialflexibilität feststellen (Kim et al. 2003). Der aus einer flexibleren Titaniumverbindung (Ti-6Al-4V) bestehende Prothesenschaft verursachte im Vergleich zu einem Prothesenschaft aus einer steiferen Kobalt Chrom Legierung (Co-Cr) eine verringerte Calcaratrophie. Ähnlich berichtet Sumner aus Vergleichsbeobachtungen bei zemtfreien Hüftschäften über kortikales Stress Shielding von rund 26% bei Schäften mit steifen Materialkompositionen entgegen einem Knochendichteverlust von etwa 7,5% nach Implantation flexibler Schafttypen (Sumner et al. 1998). 2. Der Oberschenkelschmerz („thigh pain“) Nach der Implantation zementfreier Endoprothesen klagt ein Teil der Patienten über Schmerzen im Oberschenkelbereich, die gelegentlich auch noch Jahre nach der Primärimplantation eine Hüftgelenkrevision notwendig machen (Brown et al 2002; Naumann et al. 1987). Die Inzidenz dieser als „thigh pain“ beschriebenen Schmerzsymptomatik variiert dabei je nach verwendetem Prothesentyp (Mallory et al. 1996; Park et al. 2003, Takahasi et al. 2003) und beträgt bis zu 36% in einem Nachbeobachtungszeitraum von 10-14 Jahren (Kawamura et al. 2001). Druckphänomene zwischen der Prothesenschaftspitze und dem femoralen Cortex (Mishra et al. 1997), periprothetische Mikrobewegungen (Fumero et al. 1992; Kim et al. 1999), unphysiologische Belastungskräfte (Hamada et al. 1993) oder Sklerosierungsprozesse im Bereich der Schaftspitze (Burkart et al. 1993) werden dabei als mögliche Ursachen diskutiert. Ebenso scheint ein signifikanter Zusammenhang zwischen höheren Schaftgrößen und dem Auftreten einer postoperativen Schmerzsymptomatik in diesem Bereich zu bestehen (Vresilovic et al. 1996). II. Biomechanisches Belastungsprofil des Hüftgelenks Im Jahre 1917 von Koch vorgestellte biomechanische Studien beschreiben die Provokation einseitiger Zugkräfte am oberen Schenkelhals und dem lateralen Femur bei gleichzeitig auftretenden medio-femoralen Kompressionskräften nach einseitiger Hüftgelenkbelastung (Koch 1917). Fetto konnte 1995 in seinen Vergleichsstudien ein differenzierteres Belastungsprofil des Hüftgelenks erkennen (Fetto et al. 1995). Seine Berechnungsmodelle mit Einbeziehung des durch seine geringe Elastizität lateral stabilisierenden Tractus iliotibialis zeigten unter Belastung des Hüftgelenks ein Auftreten von Kompressionskräften sowohl am lateralen als auch medialen Femurschaft. Gestützt wurde dieses Modell von CT-Schnittbilduntersuchungen der Kortikaldicke zwischen dem Unterrand des Trochanter major und minor mit einer nachweisbaren Kortexverdickung insbesondere im lateral metaphysären Bereich. Die Autoren der Studie empfahlen deshalb diese Knochenstruktur im proximo-lateralen Femur als Stabilisierung für den endoprothetischen Gelenkersatz zukünftig zu nutzen (Abb. 1, 2). Walker griff diese Idee auf und verglich die Interaktionskräfte zwischen Knochen und Schaftprothesen mit und ohne laterale Verankerung (Walker et al. 1999). Konventionelle Langschaftprothesen mit diaphysärer Verankerung zeigten unter Belastung maximale Stressmuster im Bereich des distalen Schaftdrittels. Prothesenschäfte mit lateral-proximaler Abstützung entwickelten dabei ausschließlich Interaktionskräfte im Bereich des proximalen Femurs (Abb. 3). Klinische Nachbeobachtungen an derartigen Endoprothesenschäften bestätigten durch initiale trabekuläre Ossifikationen im lateral stabilisierten Bereich das Belastungsmodell. Proximo-lateral stabilisierte Endoprothesen benötigen nach Ansicht der Autoren deshalb keine Schaftfixierung unterhalb des Trochanter minor. Nach zweijähriger Verlaufsbeobachtung hydroxylapatitbeschichteter konventioneller vs. lateral-proximal stabilisierter vs. zementierter 206 T. Renkawitz, J. Grifka a Abb. 1 Biomechanik der Hüfte. Das Iliotibiale Band (ITB) bietet durch seine straffe Spannung laterale Unterstützung und generiert mediale und laterale Kompressionskräfte am Femurschaft (Fetto et al. 1995). b Abb. 3 Knochen/Implantat Interaktionskräfte zweier Prothesenschäfte ohne (a) und mit (b) lateraler Verankerung (Walker et al. 1999). Abb. 2 Computertomographisch gestützte Bestimmung der medialen und lateralen mittleren kortikalen Knochendichte in mm anhand vier meta-diaphysärer Schnittebenen (Fetto et al. 1995). Die PROXIMA™ Kurzschaftprothese 207 Schaftmodelle zeigte sich eine signifikant verringerte axiale Migration der hydroxylapatitbeschichteten, lateral-proximal stabilisierten Schaftmodelle (Walker et al. 1999). Ebenso konnten Leali et al. in radiologischen Verlaufsuntersuchungen lateral stabilisierter, zementfreier Endoprothesen auch nach mehreren Jahren eine stabile Prothesenlage ohne Sinterungstendenz der Prothesenschäfte beobachten (Leali et al. 2002). III. Die Kurzschaftprothese PROXIMA™ a b Abb. 4 Intraossäre Schaftlage der PROXIMA™ Kurzschaftprothese am Modell (a) und in der Kontrolle post OP am Beispiel einer 63jährigen Patientin (b). a b Zur rotationsstabilen, metaphysären Verankerung des Prothesenschaftes wurde die Kurzschaftprothese PROXIMA™ aus einem Individualprothesenschaft fortentwickelt. Die Annäherung des Schaftdesigns an die physiologische Form des proximalen Femurs stabilisiert den Prothesenschaft dreidimensional im metaphysären Bereich. Die damit verbundene proximale Krafteinleitung gestattet somit eine Reduzierung der Schaftlänge. Die verwendete TitaniumMaterialkomposition (Ti-6Al-4V) soll durch eine optimierte Flexibilität ein mögliches Stress Shielding auf die anliegende Knochenkortikalis minimieren. Zur verbesserten Osseointegration wurde der Prothesenschaft mit einer mikroporösen, hydroxylapatitbeschichteten Oberflächenstruktur, dem sogenannten Duofix® coating, versehen. Stufenförmige Einkerbungen in der Schaftoberfläche, sogenannte ZTT® steps, werden schon seit Längerem erfolgreich in anderen Prothesensystemen (z.B S-ROM® Hüfte) eingesetzt c Abb. 5 „Round the corner“ Insertionstechnik des Prothesenschaftes. Aufraspeln des Markraumschaftes mit anatomischen Raspeln aufsteigender Größe der natürlichen Femurgeometrie folgend in a/p (a) und seitlicher (b) Ebene, Implantation des Prothesenschaftes in selber Technik (c). 208 T. Renkawitz, J. Grifka und dienen der Oberflächenvergrößerung sowie einer verbesserten Rotationsstabilität und Verminderung der Scherkräfte zwischen Prothesenoberfläche und anliegender Knochenkortikalis (Abb. 4). Eine sparsame Schenkelhalsresektion unterstützt zusätzliche die Rotationsstabilität und mindert das Risiko einer nachträglichen Prothesensinterung. Die PROXIMA™ Kurzschaftprothese wird in der sogenannten „round the corner“ Technik implantiert. Nach Eröffnung des Markraums wird hierbei insbesondere der proximo-laterale Bereich des Femurs durch schrittweises Aufraspeln erweitert. Ebenso vollzieht der Operateur beim endgültigen Einbringen der Prothese einen bogenförmigen Insertionsweg mit speziell geformtem Instrumentarium (Abb. 5). In präklinisch in vitro durchgeführten biomechanischen Untersuchungen von Morlock et al. zeigte die PROXIMA™ Kurzschaftprothese bei Vergleichstestung mit dem IPS® und SUMMIT® Prothesenschaft unter axialer Belastung eine harmonische femorale Deformation. Die dadurch hervorgerufenen intraossären Relativbewegungen der implantierten Endoprothese lagen dabei insgesamt im Bereich (SUMMIT®) bzw. unter (IPS®) den Vergleichswerten etablierter Langschaftprothesen (Morlock et al. 2005). Weitere Untersuchungen über das biomechanische Verhalten des Prothesenschaftes befinden sich zum Zeitpunkt der Drucklegung in Auswertung. Die PROXIMA™ Kurzschaftprothese wird in zwei Lateralisierungs-Typen (standard offset/high offset) zur Verfügung stehen. An der Orthopädischen Klinik der Universität Regensburg wird der Prothesenschaft im Rahmen einer internationalen Multicenter Studie implantiert und nachuntersucht. Insgesamt wurden bisher 28 PROXIMA™ Kurzschaftprothesen implantiert, die bisherige maximale postoperative Nachbeobachtungsdauer beträgt 13 Monate. Erste radiologische Verlaufsbeobachtungen zeigen eine gute Primärstabilität mit früher Osseointegration (Abb. 6). Literatur Brown TE, Larson B, Shen F, Moskal JT. Thigh pain after cementless total hip arthroplasty: evaluation and management. J Am Acad Orthop Surg 2002; 10:385-92 Burkart BC, Bourne RB, Rorabeck CH, Kirk PG. Thigh pain in cementless total hip arthroplasty. A comparison of two systems at 2 years’ follow-up. Clin North Am 1993;24:645-53 Fetto JF, Bettinger P, Austin K. Reexamination of hip biomechanics during unilateral stance. Am J Orthop 1995; Aug:605-12 a b Abb. 6 Radiologische Verlaufskontrollen vor Entlassung (a) und 3 Monate postoperativ (b). Zeichen der beginnenden Osseointegartion am medialen und lateralen Prothesenschaft. Fumero S, Dettoni A, Gallinaro M, Crova M. Thigh pain in cementless hip replacement. Clinical and radiographic correlations. Ital J Orthop Traumatol 1992;18:167-72 Hamada Y, Akamatsu N, Nakajima I, Ide T, Yamamoto Y, Tachigi S et al. Thigh pain in cementless total hip replacement. Nippon Seikeigeka Gakkai Zasshi 1993;67:561-71 Kawamura H, Dunbar MJ, Murray P, Bourne RB, Rorabeck CH. 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