„Schlimmer als eine Niederlage“
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„Schlimmer als eine Niederlage“
56 T h e m e n | „Schlimmer als eine Niederlage“ Gerald Karpa „Schlimmer als eine Niederlage“ Vor 4 0 J a h r e n w u r d e d e m 1 . FC Union Berlin die E u r opa po k a l -Te i l na hm e v e r w eh r t Die Fotos können aus urheberrechtlichen Gründen hier leider nicht abgebildet werden. Logo des 1. FC Union seit 1966 Vor vierzig Jahren beginnt für den 1. FC Union ein gutes Fußballjahr. Der zu dieser Zeit erfolgreichste Berliner Vertreter, der FC Vorwärts Berlin, Meister von 1965/66 und bisher vierfacher Titelträger, schwächelt. Bei Vorwärts Berlin, der sportlich führenden Kraft in der DDR-Hauptstadt, müssen die Verantwortlichen den weiteren Aufschwung des 1. FC Union aus dem Oberschöneweider Industriegebiet registrieren. Weniger sportlich erfolgreich, so rücken sie doch in der Gunst der Fußballanhänger Ost-Berlins mehr und mehr nach vorn. Die Armeesportler vom Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg geben in der Stadt fußballerisch den Ton an, Dynamo aus Hohenschönhausen spielt in der Bedeutungslosigkeit der zweiten Liga. Union, ein Name, der schon vor dem Krieg einen großen Klang hatte, ist auf dem Vormarsch, der alte Schlachtruf „Eisern Union“ ist republikweit immer lauter zu vernehmen. Vo n den Oberschöneweider S c h l o s s erj u ng s z um 1. FC Union Am Rande der Berliner Wuhlheide sind seit jeher die „Schlosserjungs“ am Ball. Der SC Union 06 Oberschöneweide holte 1920, 1923, 1940 und 1948 die Berliner Meisterschaft. Bis zum 20. Januar 1966 bringen die Köpenicker Fußballer eine Namenswechsel-Flut hinter sich. An jenem Tag wird schließlich der 1. FC Union Berlin gegründet. Ein Politikum, denn 1950 ist ein pa, Gerald Kar l965 s freier Berlin al in et arbeit Jahrgang t Journalis großer Teil der Spieler von Union Oberschöneweide nach West-Berlin geflohen. Die Wahl des Namens für den neuen Arbeitersportklub – auf diese Ausrichtung legen die Verantwortlichen großen Wert – ist demokratisch legitimiert. In der Presse und im Rundfunk hatten die Funktionäre die Berliner Fußballinteressierten aufgerufen, über beides zu entscheiden. Mit überwältigender Mehrheit votierten sie für den traditionsreichen Namen. Der 1. FC Union spielt bei seiner Gründung noch in der zweiten Liga, steigt mit der Saison 1965/66 ins Oberhaus auf und kommt in seiner ersten Oberligaspielzeit auf den sechsten Tabellenplatz. Auch im zweiten Oberligajahr, der Saison 1967/68 wird im Stadion „An der Alten Försterei“ zunächst passabler Fußball gespielt. Zur Winterpause allerdings liegt Union auf dem vorletzten Rang. Kampf um den Klassenerhalt heißt die Devise für die Männer unter Trainer Werner Schwenzfeier. Mühsam kommen sie voran und beinahe unscheinbar arbeiten sie sich auch im FDGB-Pokalwettbewerb Runde um Runde weiter, bis der 1. FC Union das Finale des 17. Pokalwettbewerbs erreicht hat. Der größte Tr i u m p h Das Finale des Gewerkschafts-Pokalwettbewerbs ist für den 9. Juni 1968 im halleschen Kurt-Wabbel-Stadion angesetzt. Gegner ist der FC Carl Zeiss Jena, der Meister. „Einige Tage im Trainingslager in Bad Saarow mussten uns zur Vorbereitung genügen“, erzählt Unions AuswahlVerteidiger Wolfgang Wruck fast 40 Jahre später. Die Jenaer hingegen mit ihren zahlreichen europapokalerfahrenen und auswahlerprobten Spielern sind haushoher Favorit. Namen wie die der Brüder Roland und Peter Ducke haben einen großartigen Klang, ebenso der des Torhüters Wolfgang Blochwitz. „Es war ein Gänsehautgefühl“, bes chreibt Union-Verteidiger Hartmut Felsch die Atmosphäre im Rückblick. Nur wenige Sekunden nach Spielbeginn holt Union-Schlussmann Rainer Ignaczak das Leder aus seinem Tor – Werner Krauß hat für die Zeiss-Elf das 1 : 0 geschossen. Die Berliner zeigen sich nur kurz beeindruckt und nehmen ihr Spiel auf. Immer öfter dringt Union-Stürmer Günter „Jimmy“ Hoge, neben Wolfgang Wruck der zweite Nationalspieler in den Reihen der Außenseiter, in den Strafraum der Jenaer ein. Nach 29 Spielminuten jubeln die Berliner Anhänger zum ersten Mal. Schiedsrichter Rudi Glöckner pfeift Handelfmeter für Union. Meinhard Uentz legt sich den Ball auf den Strafstoßpunkt, Sekunden später übertönt der Torschrei der Unioner alles. Mit dem 1 : 1-Zwischenstand geht es in die Kabinen zur Pause. Die Thüringer Mannschaft drängt zu Beginn der zweiten Halbzeit energischer, doch die Eisernen können dagegenhalten und werden bestimmender, je nervöser ihre Gegner nun aufspielen. Union-Stürmer Ralf Quest nimmt in der 63. Minute ein mustergültiges Zuspiel seines Mannschaftskapitäns Ulrich Prüfke auf, umspielt Jenas Tormann und vollendet so zum 2 : 1-Endstand. Die Anhänger laufen zu den Spielern auf den Rasen und umarmen sie immer wieder. Es dauert eine Weile, bis die Mannschaft sich ums Protokoll kümmern und den Pokal entgegennehmen kann. Stolz recken der Kapitän und seine Mitspieler die schwere Bronzestatue in die Höhe, während die Jenaer bedrückt in die Kurve zu ihren Anhängern gehen und für die Unterstützung danken. Wolfgang Wruck erinnert sich noch heute immer wieder gerne an seinen einzigen Titelgewinn mit Union: „Wir wollten allen beweisen, dass wir an diesem Tag besser sind als Jena. Die hatten in der Meisterschaft ziemlich arroganten Fußball gespielt und uns haben sie schon nach Horch und Guck 1/2008 | Heft 59 A u fbru ch n a ch Europa Die Fußballwelt Ost-Berlins ist in rotweiße Farben getaucht. Dem 10. Juli 1968 wird mit Spannung entgegen gesehen. Im Genfer Hotel Intercontinental werden die Ansetzungen für die ersten Runden der Europapokalwettbewerbe ausgelost. Erster Gegner für Union soll der jugoslawische FK Bor sein. Nach dem wohlverdienten Urlaub heißt es für die Union-Spieler, die Jerseys, Hosen und Trainingsanzüge wieder hervorzuholen. Am 16. Juli gibt es einen ersten Höhepunkt im Programm der Wuhlheider. Der brasilianische Spitzenklub FC Portuguesa São Paulo tritt während seiner Europatournee in Berlin auf. Nicht Vorwärts darf diesen Höhepunkt bestreiten – der 1. FC Union bekommt die Zuteilung durch die Verbandsfunktionäre und tritt unter Flutlicht gegen die Süd amerikaner an. Eine – trotz des Pokalsieges – ungewöhnliche Entscheidung, bedeuten doch gerade für Union internationale Freundschaftsspiele in der Regel Begegnungen mit polnischen und tschechoslowakischen Vereinen, für die Zuschauer wie auch für die Spieler sind das meist wenig attraktive Paarungen. Im Stadion des Friedrich-Ludwig-JahnSportparkes, der Heimstätte des Armeeklubs, Union-Torwart Rainer Ignaczak mit Mannschaftskamerad Wolfgang Wruck sehen mehr als 25 000 Zuschauer die Unioner durch Harald Zedler sogar in Führung gehen, bevor die Ballzauberer aus São Paulo am Ende als sicherer 4 : 1-Sieger das Stadion verlassen können. Publikums l ie b li n g J im m y H o ge Eines der folgenden Testspiele wird Nationalspieler Jimmy Hoge zum Verhängnis. Bei einem Spiel gegen den polnischen Zweitligisten Lech Poznań bricht sich der Publikumsliebling das linke Wadenbein. Damit ist klar, dass er beim Meisterschaftsauftakt am 17. August gegen den FC Hansa Rostock nicht auf den Rasen auflaufen kann. So erlebt der Stürmer die 3 : 4-Heimniederlage mit Gipsbein von der Tribünenbank aus. Dabei sollte 1968 für Jimmy Hoge der zweite Karriere-Frühling werden. Ende 1961 war der damalige VorwärtsSpieler wegen „Disziplinlosigkeiten“ aus dem Armeeklub ausgeschlossen und zum Stadtligisten Motor Köpenick „delegiert“ worden. Die Maßregelung bedeutete auch die Verbannung aus der Nationalmannschaft. Erst im Oktober 1967, inzwischen beim 1. FC Union Berlin angekommen, wurde er wieder eingesetzt und glänzte als Flügelstürmer und Vorlagengeber beim 1 : 0‑Erfolg der DDR gegen Ungarn. Seine Rückkehr ins Auswahltrikot verhilft ihm Die Fotos können aus urheberrechtlichen Gründen hier leider nicht abgebildet werden. Quelle: Union-Archiv/Gerald Karpa einer Minute ein Gegentor verpasst. Das war ja ein Staraufgebot. Wir haben uns zusammengerissen.“ Aus Halle fahren die Spieler direkt nach Berlin zur spontan organisierten Feier ins Hotel Berolina und begießen bis in den Morgen die Sensation. Am folgenden Vormittag empfängt Oberbürgermeister Herbert Fechner die Truppe, alle bekommen eine Medaille aus Meißener Porzellan mit dem Relief des Roten Rathauses überreicht und tragen sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Eine einmalige Ehre für einen Fußballklub, sie wird später dem MielkeVerein BFC Dynamo auch als zehnfachem Meister nie zuteil. im Januar 1968 zu einer Reise nach Chile. Beim Torneo Octogonal bringen ihn große Auftritte auf die Titelseiten der dortigen Fußballzeitungen. Weltstar Pelé wird nach dem Auftaktspiel – Jimmy Hoge hatte dabei den vierten von fünf Treffern für die DDR erzielt – von der DDR-Fachzeitung Fußballwoche zitiert: „Der Mann mit der Nummer 7 auf dem Rücken (Hoge, d. Red.) muss auf seinem verlängerten Rücken einen Motor eingebaut haben. Er war 90 Minuten in Bewegung und gönnte sich keine Verschnaufpause!“ Allerdings steht Jimmy Hoge auch immer unter besonderer Beobachtung durch die eigenen Leute. So hat beispielsweise Union-Klubsekretär Paul Fettback Sorgen, Hoge könnte vielleicht einem möglichen Angebot eines westlichen Vereins nicht widerstehen. „Unser Problem war immer Jimmy, an dem waren sie national wie auch international immer dran“, erzählt er von den Problemen eines Verantwortlichen zu dieser Zeit. Der Mangel an sozialistischer Linientreue des Stürmers ist ebenso bekannt. Rückblickend bestätigt Jimmy Hoge heute, mehrfach Kontakte zu Westvereinen gehabt zu haben. Schon in seiner Zeit bei Vorwärts hätten die Glasgow Rangers ihr Interesse an ihm nachhaltig bekundet. Auch in Chile kam man auf ihn zu. „Anderlecht hat mich angesprochen“, sagt er heute, und es wurmt ihn wohl noch immer ein wenig, die Chance auf eine Karriere bei dem belgischen Spitzenverein ausgelassen zu haben. „Ich wurde dort in Chile gefeiert. Ich war doof, ich hätte dort abhauen müssen. Ein Mannschaftskamerad sagte noch zu mir, dass es meine letzte Chance sei, abzuhauen ...“ So aber kommt er in der DDR in Bedrängnis. Im ersten 69er-Heft der vierteljährlich erscheinenden Klubzeitschrift Union-Informationen werden die Anhänger von der Nachricht überrascht, Jimmy Hoge sei für die Zeit vom 17. Oktober 1968 bis zum 31. Mai 1969 „für jeglichen Spiel- und Sportverkehr gesperrt“. Mit einiger Verzögerung gibt der Verein so den Beschluss des Fußballverbandes, der auf einen Vorschlag seiner Rechtskommission sowie der Disziplinarkommission des 1. FC Union zurückgeht, bekannt. Dieses Urteil bedeutet den Ausschluss aus dem Oberligakollektiv des Klubs und geht einher mit dem Ausschluss aus dem Kader der Nationalmannschaft. Begründet wird es mit den Folgen seiner „charakterlichen Schwächen, die beson- 57 T h e m e n | „Schlimmer als eine Niederlage“ ders in seiner Überheblichkeit liegen“. „Wiederholt stand er unter Alkoholeinfluss und beleidigte seine Mannschaftskameraden gröblichst.“ So spielt der „Sportfreund Günter Hoge“ fortan zur Bewährung in der zweiten Mannschaft des Klubs in der Stadtliga. P r a g, Bor un d Mo s kau Die Fotos können aus urheberrechtlichen Gründen hier leider nicht abgebildet werden. Bereits im Sommer überschatten die politischen Entwicklungen in der ČSSR die sportlichen Pläne des 1. FC Union Berlin. Drei Tage vor dem 1 : 0-Auswärtssieg der Mannschaft bei Sachsenring Zwickau rücken sowjetische Panzer in Prag ein. Mit politischen Protesten meldet sich der italienische Meister als Union-Fans beim FDGB-Pokal-Endspiel 1968 in Halle einer der ersten Klubs zu Wort. Der AC Mailand wolle, so meldet die Berliner Mit 7 : 2 Stimmen bei einer Enthaltung Morgenpost am 25. August, den Ausschluss bestätigt das Gremium die Entscheidung der „Vertreter der UdSSR, Bulgariens, vom 30. August. Aus der Begründung zitiert Polens, Ungarns und der Zone“ beantragen. am folgenden Tag der Berliner TagesspieDas Blatt zitiert den Mailänder Vereinsprägel: „Der Beschluss des Dringlichkeitsaussidenten Fanco Carraro mit den Worten: schusses wurde ohne jede Diskriminierung „Unter den gegenwärtigen politischen Vergefasst. Er sollte mögliche Schwierigkeiten, hältnissen lehnen wir die Reise zum Hindie außerhalb der Kontrolle der UEFA spiel der ersten Runde bei Levski Sofia ab.“ standen, für die erste Runde ausschalÄhnlich der Tenor auch aus Richtung des ten“, und schreibt weiter, dass „spezielle FC Zürich und des schottischen Vertreters Bestimmungen“ notwendig seien, „um den Celtic Glasgow. Norwegens Fußballverregulären Ablauf eines Wettbewerbes zu band sagt ein für November vorgesehenes gewährleisten.“ Erst von der zweiten Runde Länderspiel gegen die DDR ab. Der euroan soll es wieder das normale Auslosungspäische Fußballverband UEFA sieht sich prozedere geben. Am 13. September fällt nun zum Handeln gezwungen. Ein Dringim Präsidium des DDR-Fußballverbandes lichkeitskomitee tagt am 30. August in die endgültige Entscheidung. Zürich und beschließt nicht nur eine NeuBeim 1. FC Union Berlin sind bereits auslosung der Ansetzungen für den PokalEintrittskarten gedruckt, der Verein weist sieger- und den Meistercup – es nimmt sie noch am 14. September, vier Tage vor der für eine Reihe von Mannschaften, nicht für vorgesehenen Begegnung gegen Moskau, alle, auch gleich vor. In getrennten Ostim Programmheft zum Heimspiel gegen und Westgruppen sollen die jeweils ersten den FC Karl-Marx-Stadt seine FördermitRunden der Wettbewerbe nun ausgetragen glieder darauf hin, dass ihre Mitgliedswerden. Statt gegen FK Bor aus Jugoslaund die Ehrenkarten für den Europapokal wien soll Union nun im ersten Spiel gegen nicht gültig seien. Zugleich wird aber im Dynamo Moskau antreten. selben Heft schon kein EC-Spielpartner Doch die osteuropäischen Fußballvermehr namentlich erwähnt. Trainer Werner bände protestieren gegen die NeuausloSchwenzfeier schreibt in seinem aktuellen sung, die sei eine Verletzung der Statuten Gruß an die Zuschauer sehr zurückhaltend der UEFA. Neben der Sowjetunion, Polen, davon, dass „unter Umständen“ auch noch Ungarn und Bulgarien interveniert auch eine „anstrengende Reise“ anstehe. OffenFrankreich. Rumänien, Jugoslawien und bar wird zu diesem Zeitpunkt eine weidie ČSSR dagegen werden offiziell nicht tere Neuansetzung nicht ausgeschlossen. aktiv. Die protestierenden Verbände hoffen Den aktuellen Stand der Entwicklungen auf eine kurzfristig für den 9. September kennt Werner Schwenzfeier beim Redakeinberufene Sitzung des UEFA-Exekutivtionsschluss des Heftchens noch nicht, am komitees in Zürich. Hier aber scheitert der Spieltag selbst aber kennt ihn jeder BerliWiderstand der kleinen Ostblock-Fraktion. Quelle: Union-Archiv/Gerald Karpa (2) 58 ner. Union wird nicht mit den großen europäischen Klubs um den Cup spielen. „Das haben wir vormittags beim Training erfahren“, erinnert sich Stürmer Jürgen Stoppok an den Tag im September 1968, „und haben es völlig bedeppert aufgenommen, wir konnten es nicht verstehen und sind sauer gewesen.“ Günter Mielis hatte den Spielern die Nachricht überbracht. „Ich musste das erläutern und hab ihnen klar gemacht, dass diese Neuauslosung von den Verbänden der sozialistischen Länder nicht anerkannt würde und wir deshalb nicht teilnehmen können. Damit war das erledigt.“ Nicht ganz, denn Diskussionen und Ärger sind damit programmiert. „Das mussten sie gar nicht privat sagen, das konnten sie auch offiziell. Die waren alle enttäuscht, das ist doch ganz klar. Ich konnte nichts anderes tun, als die gegebene Argumentation verwenden. Die Begründung war gar nicht so schwierig, denn die UEFA hatte mit der Neuauslosung gegen ihre eigene Satzung verstoßen. Die Tragik ist, dass wir Unioner zwischen die Mühlsteine der Geschichte geraten waren. Ein Spielball der Politik.“ In der nächsten Ausgabe der UnionInformationen, die wenige Tage später planmäßig erscheint, lesen die UnionAnhänger unter dem Datum des 14. September eine „Erklärung“ des „Oberligakollektivs“, in der sich die Spieler „voll und ganz hinter den Beschluß des Präsidiums des Deutschen Fußballverbandes der DDR mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen“ stellen. „Das hat man dann so in der Öffentlichkeit vermittelt. Wer konnte Horch und Guck 1/2008 | Heft 59 denn damals etwas sagen?“, meint Wolfgang Wruck rückblickend zu diesem Text, der die Meinung aller Union-Spieler wiedergeben sollte. Die Enttäuschung der Aktiven, Trainer und Klubfunktionäre ist groß, doch öffentlich müssen sie eine sozialistisch gute Miene zum traurigen Spiel zeigen und sich offiziell zu dieser Absage bekennen. „Das Gegenteil war richtig“, sagt Paul Fettback heute, „aber was wolltest du machen?“ J i m m y Hog es Fa ll Zu den Ernüchterten zählt auch Jimmy Hoge. „Da brach eine Welt zusammen“, beschreibt er heute seine Gefühle jener Tage, „das war schlimmer als eine Niederlage.“ Seine Bestrafung durch den Fußballverband wird auch mit deftigeren politischen Äußerungen in Zusammenhang gebracht. Er ist zur Unperson geworden. Ein handschriftlicher Brief des Union-Anhängers und fördernden Mitgliedes Emil Lahmer vom 5. Dezember 1968 an Klubsekretär Paul Fettback, beginnt mit dem Satz: „Das in der Fuwo Nr. 49 veröffentlichte Foto der 1. Mannschaft des 1. FC Union, auf dem Berlins populärster Fußballer, Günter Hoge, herausretuschiert wurde, empört mich und alle mir bekannten Anhänger des Clubs aufs tiefste.“ Paul Fettback hat keine Erinnerungen an das Schreiben. Aber es zeigt ein Aufbegehren, wenngleich ein leises. Und es spiegelt die Sympathie für den Fußballer wider, der sich tatsächlich aus der zweiten Mannschaft und der dritten Liga wieder nach oben spielt. Abstürze Union unterliegt zunächst im November im aktuellen FDGB-Pokal-Achtelfinale im heimischen Stadion „An der Alten Försterei“ mit 0 : 1 jenem FC Carl Zeiss, der fünf Monate zuvor so sensationell bezwungen worden war. Zum Jahresende 1968 stehen die Eisernen auf dem drittletzten Tabellenplatz, später, im Frühsommer 1969 müssen sie als Vorletzter den Weg in die Zweitklassigkeit antreten. Der Abstieg als amtierender Pokalsieger wird einmalig in der DDR-Fußballgeschichte bleiben. Von Jimmy Hoge, dem Star des Jahres 1968, ist öffentlich wenig zu lesen, vergessen ist er nicht. Die Autoren der „Union-Informationen“ haben offen- bar Anlass, ihn im Frühjahr 1969 in einem Interview mit dem Cheftrainer zum Thema zu machen, wenn auch nur kurz und knapp. „Wie steht es gegenwärtig um den Sportfreund Hoge? Besonders erfindungsreiche Zeitgenossen haben da ja so manche Mär gesponnen.“ Er trainiere und gehe fleißig und pünktlich seiner Arbeit nach, antwortet Werner Schwenzfeier, „und hat sich die Achtung seiner Kollegen erworben, die den Standpunkt vertreten, die Erziehungsmaßnahmen hätten ihren Zweck erfüllt.“ Tatsächlich ist Jimmy Hoge in der Zweitligasaison 1969/70 wieder im Aufgebot und spielt regelmäßig. Vorläufig. Die Berliner müssen in der letzten Saisonbegegnung bei Lok Stendal unbedingt gewinnen, ein Remis reicht zum Aufstieg nicht. Mit einem 3 : 0-Sieg unter einem neuen Trainer lösen die Rot-Weißen die schwere Aufgabe beim direkten Aufstiegskonkurrenten souverän. Union hat wieder die Klasse gewechselt, Jimmy Hoge kann noch einmal den Jubel der Union-Fans – mehr als 1 000 sind in die Altmark mitgereist – genießen. Der 1. FC Union tritt vom Spätsommer 1970 wieder in der Oberliga an, aber der Ex-Nationalspieler ist nicht mehr dabei. Erneut trifft ihn eine Sperre, nun dauerhafter. Für den inzwischen fast 30jährigen bedeutet die Bestrafung das Ende seiner leistungssportlichen Laufbahn. Ehemalige Mitspieler sprechen von einem ausschweifenden Trinkgelage, das ihm zum Verhängnis wurde. Er selbst, so sagt er, kenne keine Erklärung dafür. „Ich hatte meinen ehemaligen Trainer Werner Schwenzfeier zufällig in Ahrenshoop im Urlaub nach dem Aufstiegsspiel in Stendal getroffen. Im Fernsehen wurde das Spiel Deutschland/Italien gezeigt, das haben wir uns gemeinsam angesehen. Sie warfen mir vor, ich hätte die deutsche Nationalhymne gesungen. Dabei kenne ich den Text bis heute nicht. Später wurden dann Klausch, Schwenzfeier und ich vorgeladen. Schwenne wurde gesperrt, Klausch bekam eine Verwarnung, ich wurde dann für sechs Jahre gesperrt.“ Für die Betriebssportgemeinschaft Ingenieurhochbau stürmt er fortan, kommt über Motor Friedrichshain zum Bezirksligisten Motor Hennigsdorf, muss hier wegen der Sperre zeitweise in der zweiten Mannschaft spielen, bis er über die Station Motor Ost als Trainer bei Fortuna Biesdorf arbeiten kann. N e u e r Tr i u m p h u n d s p äte Pr e m i e r e Im Berliner Olympiastadion sitzt Jimmy Hoge 31 Jahre später mit Tränen in den Augen an der Seite von Meinhard Uentz, Ralf Quest, Ulrich Prüfke, Jürgen Stoppok und vieler anderer Mannschaftskameraden von 1968 beim DFB-Pokalfinale. Der 1. FC Union Berlin spielt 2001 gegen den FC Schalke 04. Allein der Einzug in dieses Endspiel gleicht der Sensation von 1968. Auch dieses Mal reicht die Finalteilnahme, um im Europapokal dabei zu sein, denn Schalke startet in der Champions League. Fast hätten die neuen Pokalhelden die Sensation geschafft. Die 0 : 2-Niederlage der Eisernen ist ein höchst achtbares Resultat für den Drittligisten gegen den Deutschen Vizemeister. Auch die verspätete EuropapokalPremiere gelingt den Wuhlheidern. Beim finnischen FC Haka Valkeakoski erreichen die Profis ein 1 : 1, gewinnen das Heimspiel klar mit 3 : 0 Toren, müssen sich dann aber in der zweiten Runde Litex Lovetsch aus Bulgarien geschlagen geben. Die DDR und der DFV sind längst Geschichte – der 1. FC Union Berlin aber schreibt in diesem Jahr Geschichte und sieht nach dem Aufstieg in die Zweite Bundesliga einem guten Fußballjahr entgegen. GK Die Fotos können aus urheberrechtlichen Gründen hier leider nicht abgebildet werden. Stolz mit dem Pokal: Wolfgang Wruck, Ulrich Prüfke und Ralf Quest. 59