Leseprobe - Conte Verlag
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die originale Partitur rekonstruiert hatte und mit Swing, Humor und sicherer Hand für die Synchronisation von Bild und Ton durch die wechselnden Stimmungen führt. 50 Jahre Richard-Wagner-Verband Saar Anlässlich des 50jährigen Bestehens lädt der Richard-Wagner-Verband Saarland zu einem Festkonzert unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Wagner und dem Ministerpräsidenten des Saarlandes Peter Müller am 30. April 2006 ins Saarländische Staatstheater. Das Saarländische Staatsorchester, wieder geleitet von Siegfried Köhler, begleitet in einer Operngala diesmal sechs Gesangssolisten, die teilweise Preisträger oder Finalisten des Gesangswettbewerbs 2003 in Bayreuth sind. Die herausragende Stimme gehört dem Tenor Jonas Kaufmann, der seine Bühnenlaufbahn am Saarbrücker Haus begonnen hat und am Beginn einer Weltkarriere steht. Verabschiedung von Kurt Josef Schildknecht Am 13. Juli verabschiedet sich Kurt Josef Schildknecht mit »15 Jahre – Ein Fest«. Der scheidende Intendant wünscht einen fröhlichen Abschied und führt u.a. aus: »Es war unser Anliegen, dass sich möglichst viele Menschen mit dem Theater identifizieren können. Dabei war mir persönlich immer wichtig: die Leidenschaft für das Theater, die gute Arbeitsatmosphäre innerhalb des Hauses, die permanente Sorge um hohe Qualität. Man hat mir gesagt, Saarbrücken sei eine Theaterstadt geworden … Danke, dass Sie mitgespielt haben.« Außer Schildknecht verlassen GMD Leonid Grin und Operndirektor Matthias Kaiser das SST. Kaiser: »Ich halte es für eine wichtige Erfahrung, dass das Orchester neben dem Dienst im Graben noch über etwas ganz Eigenständiges (wie die Konzerte) verfügt.« Das »Interregnum« Trinks 2006 – 2009 Constantin Trinks wird am 9. April 1975 in Karlsruhe geboren. 1994-2000 studiert er an der dortigen Musikhochschule Dirigieren bei Prof. Wolf-Dieter Hauschild und Klavier bei Prof. Günter Reinhold. Bereits während des Studiums korrepetiert er 1997 in Essen und in Karlsruhe, wo er 2000 als Kapellmeister angestellt wird. 2002 kommt er als 2. Kapellmeister ans SST Saarbrücken und wird dort auf Vorschlag des Orchesters 2004 zum 1. Kapellmeister befördert. 2006-2009 fungiert er kommissarisch als Generalmusikdirektor. Von 2009-2012 ist er GMD am Staatstheater Darmstadt. Trinks besticht durch makellose Schlagtechnik. Er ist einer der ersten, der bewusst und insistierend die Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis in den Alltag eines »normalen« Orchesterbetriebs zu übertragen versucht. Noch als viele Kollegen bereits in der Sinfonietta Saarbrücken von Leo Krämer die Erkenntnisse von Nikolaus Harnoncourt nahe gebracht bekamen und instrumental umsetzten, musste man sich »im Dienst« quasi ver- Constantin Trinks in der Congresshalle Chronik – Teil 3: 1977 – 2012 121 Dagmar Schlingmann, Generalintendantin seit 2006 stellen und so tun, als gebe es die neue Musizierpraxis gar nicht. Noch in den 1990er Jahren war bei Mozart ein Triller von oben nicht angesagt und wurde von romantisch geprägten Kapell- und Konzertmeistern gerügt. Nicht so bei Trinks, Harnoncourt fasst vorsichtig Tritt im SSO, wenn auch nicht ohne Widerstände. Trinks hat viele interpretatorisch gute Ideen, steht sich aber insofern etwas im Wege, als er häufig eine gerade ausprobierte Interpretation – Artikulation, Dynamik, Ausdruck – mit einem »lieber doch nicht« hastig widerruft und so manchmal an Glaubwürdigkeit einbüßt. Vielen gilt er als Orchestererzieher und Klangverfeinerer in Richtung Transparenz und Schlankheit. 2006/2007 Dagmar Schlingmann wird neue Generalintendantin Am SST beginnt eine neue Ära. Dagmar Schlingmann kommt vom Theater Konstanz und übernimmt das Dreispartenhaus an der Saar. Constantin Trinks wird zum Kommissarischen Generalmusikdirektor und Berthold Schneider zum Operndirektor ernannt. Sie eröffnet mit der Inszenierung von Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten, bekannt als herrlicher Kinofilm zwischen Lovestory, Sozialkritik, trockenem englischem 122 100 Jahre Saarländisches Staatsorchester Humor und jeder Menge Blasorchester-Insider-Geschehen. Da eine Grubenkapelle die Hauptrolle spielt, engagiert sie die Bergkapelle St. Ingbert unter Leitung von Matthias Weißenauer, dem Solo-Pauker des SSO. Schon das Kulturmeilenfest am 3. September wird mit einem Sternmarsch verschiedener saarländischer Blaskapellen (unter der Leitung mehrer Orchestermusiker) lautstark eingeleitet. Bei einer »Night of Brass« haben die Kapellen im Oktober die Möglichkeit, sich nochmals, nun auf der großen Bühne des Staatstheaters zu präsentieren. Gleichzeitig mit diesem Blasorchesterkonzert im Großen Haus findet auswärts ein Gastkonzert des SSO statt. Der GMD des Wuppertaler Theaters und Professor an der Hochschule für Musik Saar, Toshiyuki Kamioka soll GMD des Staatstheaters werden. Kamioka stellt sich dem Orchester in der Illinger Illipse mit der großen C-Dur-Sinfonie von Schubert vor. Das erste Sinfoniekonzert steht noch nicht unter der Leitung des kommissarischen Chefs, sondern unter der seines ehemaligen Lehrers Prof. Wolf-Dieter Hauschild mit der monumetalen Achten von Bruckner. SZ: »Ein Konzert als Maßstab für die kommende Saison. Und als Mahnung an den künftigen Chefdirigenten, dieses orchestrale Potential zu nutzen und auszubauen.« Trinks agiert als Chef im dritten Konzert mit der Ersten von Sibelius und im fünften Konzert mit Bartoks Konzert für Orchester. Die SZ probiert eine neue Musikkritikerin aus, welche meint, das SSO polemisch angreifen zu müssen, sie redet von »lethargischer Orchestermasse« statt von Menschen, »mulmiger Einheitsdynamik« und »lauwarmer Betriebstemperatur«. Wieder kehren zwei ehemalige Chefs zurück an die alte Wirkungsstätte, mit nur geringem Zeitabstand Leonid Grin, diesmal mit der Sechsten von Schostakowitsch, und Christof Prick mit der Vierten von Beethoven. Konzertmeister Wolfgang Mertes ist Solist im vierten Konzert mit dem Violinkonzert von Bruch. Nach 15 Jahren ist nun wieder ein Teil des vom Orchester und vom Wagner liebenden Publikum sehnsüchtig erwarteten Rings zu hören: Rheingold – unter der Leitung von Trinks. Mit Romeo und Julia von Prokofjew ist auch in der Choreografie von Marguerite Donlon wieder ein großer Ballettabend mit Orchesterbeteiligung zu erleben. Die Aufführung der Florentiner Intermedien von 1589 unter der Leitung des Barockspezialisten Konrad Junghänel führt das SST ganz an den Anfang der Opernliteratur. Erstmalig musizieren die teilnehmenden Orchestermitglieder auf historischen Instrumenten, wie auch mit demselben Dirigenten 2010 in Henry Purcells Dido und Aeneas. Danach ein Kontrast: die finnische Oper Kullervo von Aulis Sallinen (1935), ein zeitgenössisches Werk weit abseits ausgetretener Repertoirepfade. 50 Jahre Saarland 50 Jahre Saarland: das mit europäischem Statut seit 1947 bestehende Land trat nach der Volksabstimmung von 1955 zum 1.1.1957 als 11. Bundesland der Bundesrepublik Deutschland bei. Wie seinerzeit Konrad Adenauer kommt auf demselben Wege, nämlich mit dem Zug aus Bonn, und an dieselbe Stätte, nämlich in das Theater an der Saar, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum stimmungsvollen Festakt, der vom SR-Fernsehen live übertragen wird. Das Staatsorchester umrahmt diesen Festakt und wird live vom SR-Fernsehen übertragen. Unter der Leitung von Constantin Trinks eröffnet das Staatsorchester die Feier mit der Akademischen Festouverture von Brahms und spielt zur Choreografie von Marguerite Donlon aus der g-Moll-Sinfonie von Mozart sowie mit Stephanie Krahnenfeld »Casta Diva« aus Norma. Ministerpräsident Peter Müller hält die Begrüßungsrede, Bundeskanzlerin Merkel die Festansprache. Sie lobt das Saarland als europäische Modellregion und erteilt einer Länderneugliederung eine deutliche Absage. Indirekt ist dieses Bekenntnis auch gut für das Saarländische Staatsorchester, welches sich ja im unwahrscheinlichen Fall der Fälle als saarpfälzisches Regionalorchester schon wieder einen neuen Namen suchen müsste… Royston Maldoom mit Tanzprojekt in Saarbrücken Für ein außergewöhnliches Schüler-Tanz-Projekt hebt sich mit Strawinskys Feuervogel am 28. April 2007 und fünf weiteren Abenden der Vorhang im Staatstheater. Nach dem phänomenalen Erfolg mit Rhythm is it mit den Berliner Philharmonikern kommt der britische Choreograf Royston Maldoom ins Saarland, um mit Generalprobe des Schüler-Tanz-Projekts FEUERVOGEL Schülerinnen und Schülern eine musikalisch und tänzerisch hochklassige Arbeit zu entwickeln. Gegenüber dem Pilotprojekt Berlin wird an der Saar noch zugelegt: auch im Orchestergraben spielen Jugendliche mit, Mitglieder des Landes-Jugend-Symphonieorchesters Saar (LJO). Der hautnahe Kontakt mit den Profis ist für die jungen Musiker eine völlig neue Erfahrung, aber Berührungsängste verflüchtigen sich rasch. Auch Constantin Trinks arbeitet zum ersten Mal mit einem Nachwuchsklangkörper. »Die jungen Musiker haben sich blitzschnell eingefügt, dabei ist der Feuervogel wirklich ein ziemlich kniffliges Stück. Hut ab vor dieser Leistung«, lobt Trinks. Der Erfolg des unter der Leitung von Royston Maldoom einstudierten Tanzprojektes übertrifft die kühnsten Erwartungen. Die regulären Karten sind ausverkauft, selbst für die eilig anberaumten Zusatzvorstellungen gibt es nur noch wenige Restkarten. »Die Jugendlichen bringen so viel frischen Wind und Begeisterung in den Graben, da weiß man wieder ganz genau, warum man damals diesen Beruf gewählt hat«, sagt Wolfgang Mertes, der Konzertmeister des Staatsorchesters, der in seiner Jugend selbst im LJO spielte. 2007/2008 »Aida« im E-Werk Noch vor Beginn der eigentlichen SST-Saison spielt das Staatsorchester Opernvorstellungen im E-Werk in Burbach. Gastdirigent Marzio Chronik – Teil 3: 1977 – 2012 123 EIS UND STAHL in der Inszenierung von Immo Karaman Conti und das SSO verstehen sich auf Anhieb und musizieren eine Aida voller Italianità. Premiere der vier Vorstellungen in der alternativen Spielstätte ist am 22.8. Auf der Bühne erlebt man die umjubelte Inszenierung Peter Konwitschnys, ursprünglich 1994 in Graz herausgekommen. Aida ohne Pyramiden, ohne Elefanten und ohne Nil, sondern im Wohnzimmer auf dem Sofa. SZ am 24.8.2007: »Und erfreulich auch, dass dies mit wesentlichem saarländischen Anteil geschieht: das Staatsorchester erweist sich als ebenbürtiger Partner der hochkarätigen Produktion. Marzio Contis teilweise ekstatisches Dirigat sorgte da für eine temperamentvoll durcheilte Partitur, was aber weder dem schön aufblühenden Klang des Staatsorchesters Abbruch tat, noch die intimen Momente überdeckte. Bravo!« In der Konzertsaison stellt Trinks ein Programm zusammen, in welchem er die »Dritten« von Mahler, Bruckner und Brahms vorstellt. Es gibt ziemlich viel Mozart und sogar Haydn, immer noch eine Rarität im romantisch dominierten Konzertleben Deutschlands. Trinks dirigiert drei Konzerte, so erlebt man vier Gäste am Pult des SSO, Wolf-Dieter Hauschild kommt zweimal. Im Gästebuch des SSO reimt er: »Dieses war der zweite Streich / doch der dritte folgt sogleich / Bruckner, Mahler, Brahms und Haydn / zeigen klar die besten Seiten / des Orchesters in Saarbrücken / ich will fest die Daumen drücken.« Operndirektor Berthold Schneider hat wiederum eine verschollene Oper ausgegraben: 124 100 Jahre Saarländisches Staatsorchester Eis und Stahl, ein Agitationswerk von 1929 von Wladimir Deschewow, den nicht einmal gut informierte Musikwissenschaftler kennen. »Am Pult sorgte Will Humburg für Präzision und Power. Maschinengeräusche, krachende Klangkaskaden, überhitzte Tempi, exaltiertes Blech − alles verbindet sich zu einer unerbittlich fortschreitenden, alles überrollenden Orchesterwalze.« (Deutschlandradio am 28.10.2007) Die Oper wird am 8. Dezember 2007 direkt im Radio übertragen, und erstmals in der Geschichte des SST erscheint bei Arthaus davon eine offizielle DVD. – Konrad Junghänel gastiert zum zweiten Mal und leitet ein zwar nicht vom Instrumentarium, aber von der Stilistik her barockes Staatsorchester in Händels Agrippina. Die von Dagmar Schlingmann inszenierte La Traviata gastiert auch im Forum in Ludwigsburg. Trinks leitet Lohengrin und Carmen, im Ballett gibt es einen dreiteiligen Ballettabend Picasso on the move, mit Strawinskys Sacre du Printemps in der Choreografie der Ballettchefin Marguerite Donlon, unter der musikalischen Leitung des 2. Kapellmeisters Christophe Hellmann. Ende Februar 2008 geht Helmut Beckamp in den Ruhestand; der langjährige Kaufmännische Direktor des Staatstheaters hat sich stets sehr für die Belange des Staatsorchesters eingesetzt. Sein Nachfolger wird Dr. Matthias Almstedt. 2008/2009 Für Constantin Trinks bricht die letzte von insgesamt sieben Spielzeiten am SST an, er meldet eine »leise Wehmut des allmählichen Abschiedsnehmens« und stellt noch einmal das klassische Dreigestirn Haydn-Mozart-Beethoven an prominenter Position auf den Konzertspielplan und mit Schubert, Brahms, Bruckner und Mahler deren Weiterwirken in der Wiener Tradition. Die Kritik meint, das »sich ständig verbessernde Orchester« könne in eine höhere Klasse gehoben werden. Mit Simon Seidel als orchestereigenem Solisten wird im fünften Konzert ein Instrument eingesetzt, das nur selten solistisch zu hören ist: die Posaune. Die Kritik äußert den Wunsch, künftig mehr Bläsersolisten zu hören. Das achte Konzert wird vom SR aufgezeichnet, Trinks und Musikdramaturg Dr. Christoph Gaiser werden mit Blumen verabschiedet. Anknüpfend an das Jugendprojekt Der Feuervogel in der Spielzeit 2006/07 erarbeiten junge Menschen aus dem ganzen Saarland nun unter der Anleitung der Performancegruppe La Fura dels Baus die Uraufführung eines Bühnenstücks, zu dem der amerikanische Komponist Ari Benjamin Meyers eigens die Musik komponiert hat: die Musikmaschine kommt mit SSO, Landes-Jugend-Symphonie-Orchester und Jazz Train (Landes-Schüler-Bigband des Saarlandes) am 19.-21.6.2009 zur Uraufführung. Der erste Kaiser von Tan Dun erlebt nach seiner UA 2006 an der »Met« New York am 6.9.2008 die Europäische Erstaufführung in Saarbrücken. »Der Saarbrücker Noch-GMD Constantin Trinks bringt die Komponenten mit erstaunlicher Leichtigkeit zusammen. Instrumente wie die Zheng, chinesische Trommeln oder eine ›Wasser-Perkussion‹ finden zu spannungsgeladener Einheit mit dem gut aufgelegten Saarländischen Staatsorchester, das ebenso wie der exzellent agierende Chor auch ungewöhnliche, fernöstlicher Musiksprache entspringende Aufgaben übernimmt.« (Opernwelt 9/2008) – Die Oper Il Tigrane von Scarlatti aus dem Jahre 1715 erlebt ebenfalls an der Saar ihre Deutsche Erstaufführung – 294 Jahre nach der Premiere in Neapel! Während das Bühnenbild die Werkstätten schont, indem es ausschließlich aus Luftballons besteht, bemüht sich das SSO unter »Echo Klassik«-Preisträger 2008 George Petrou erneut um möglichst authentischen Barocksound. Das Theater wird schließlich für die Saison 2008 / 2009 mit dem Preis der Deutschen Theaterverlage für das beste Opernprogramm ausgezeichnet. Am 26.10.2008 gastieren Ballett und SSO mit Romeo und Julia in Bonn. »Auch hier versagt sich die Choreografin jedes Pathos und überlässt dem mit Verve aufspielenden Saarbrücker Orchester unter Christophe Hellmann den finalen Liebeskick.« (Bonner Generalanzeiger vom 28.10.2008) Erstes Abonnentenfest des SSO Zum 5.7.2009 hat der Orchestervorstand die hervorragende Idee, ein Fest für die Abonnenten auszurichten, als Dankeschön für jahrzehntelange Treue. Musiker und Zuhörer lernen sich ohne die Distanz der Bühnenrampe besser kennen. Unter dem Dach des Theaters wird im Orchestersaal, im Chorsaal und auf Probebühnen ein musikalisches Programm geboten, u.a. musiziert das Orchester ohne Dirigent die Ouvertüre zur Fledermaus. Orchester ohne Dirigent – FLEDERMAUS-Ouverture beim Abonnentenfest Chronik – Teil 3: 1977 – 2012 125 Liebe ehemalige Kolleginnen und Kollegen des Saarländischen Staatsorchesters! GRUSSWORT Das Saarländische Staatsorchester wird 100 Jahre alt. An immerhin sieben von diesen durfte ich als Kapellmeister und später auch als kommissarischer GMD teilhaben und erlebte eine für mich als Künstler und Person prägende, fruchtbare Zeit. Als ich 2002 im Alter von 27 Jahren nach Saarbrücken kam, machte ich Bekanntschaft mit der gemeinhin als typisch saarländisch bezeichneten Eigenschaft des savoir-vivre. Diese schätzte und pflegte ich bald selbst, zum Beispiel in regem Besuch der überall in der Stadt anzutreffenden sehr guten Restaurants. Mit dieser Qualität, die sich natürlich auch in der Orchestermentalität niederschlug (der Anteil an Musikern aus der Region war zumindest damals im Vergleich zu anderen deutschen Kulturorchestern überdurchschnittlich hoch), hatte ich aber als junger Musiker mit gewissem Perfektionsdrang hin und wieder auch etwas zu kämpfen, wollte ich doch manchmal sehr viel auf einmal. Mit der Zeit lernte ich dann, die Dinge etwas gelassener, also »saarländischer«, zu sehen und es wurde mir klar: »Das wird schunn werre!« Und so ereigneten sich immer wieder echte künstlerische Höhenflüge. Besonders im Gedächtnis geblieben sind mir Konzerte mit Bruckners 7. Sinfonie und Brahms’ Deutschem Requiem, in welchen wir das Metaphysische streiften. In der Oper gelang uns Außergewöhnliches beispielsweise mit »Lohengrin«, »Salome« oder auch Nonos »Intolleranza«. Auch wenn meine persönliche Vorliebe und – meiner Einschätzung nach – auch die besondere Stärke des Saarländischen Staatsorchesters im deutschen romantischen Repertoire angesiedelt sind, so möchte ich doch auch auf den mit der Zeit und viel Liebe gemeinsam gefundenen Stil verweisen, mit dem wir Mozarts Meisterwerke zum Klingen gebracht haben, ob das nun »Don Giovanni«, »Die Zauberflöte« oder ein Jugendkonzert mit dem Titel »Mensch Mozart!« waren. Ein wenig stolz bin ich auch darauf, dass es uns gelang in über 70 Vorstellungen des Erfolgsmusicals »Les Misérables«, von denen ich immerhin 45 selbst dirigierte, die Qualität und spontane Energie ungemindert zu erhalten. 126 100 Jahre Saarländisches Staatsorchester Das Klima zwischen Orchester und Dirigent war nicht immer wolkenlos-heiter, aber die sonnigen Abschnitte überwogen aus meiner Sicht eindeutig! Insgesamt also eine glückliche Zeit, in welcher ich als junger Dirigent vom Orchester viel habe lernen können. Das kollegiale Verhältnis spiegelte sich unter anderem darin wider, dass ich mit Orchestermitgliedern auch in der Freizeit zusammen kam; hier wären zu nennen – nein, nicht das Fußballspielen, das machten meine Knie nicht mit – das Musizieren in Kammermusikformationen und, woran ich ganz besonders gerne zurückdenke, das Singen im Männerquartett! Mit Stolz auf meinen eigenen kleinen Anteil gratuliere ich dem Saarländischen Staatsorchester heute herzlich zum hundertjährigen Bestehen und wünsche noch viele lustvolle, erfolgreiche Jahre – über das Kommen und Gehen von GMDs hinaus! Ihr Constantin Trinks Chronik – Teil 3: 1977 – 2012 127 Toshiyuki Kamioka seit 2009 Toshiyuki Kamioka wird am 20. September 1960 in Tokio geboren. Er studiert von 1979 bis 1983 an der Hochschule der Künste und Musik in seiner Heimatstadt Dirigieren, Komposition, Klavier und Violine. Ein Stipendium von Rotary International ermöglicht ihm weiterführende Studien an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Nach Tätigkeiten als Solorepetitor und Kapellmeister in Kiel und als 1. Kapellmeister am Aalto-Theater in Essen wird Kamioka 1996 zum Generalmusikdirektor am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden ernannt. Zusätzlich ist er von 1998 bis 2006 Generalmusikdirektor der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford. Von 2004 bis 2009 ist Toshiyuki Kamioka Generalmusikdirektor der Wuppertaler Bühnen und des Sinfonieorchesters Wuppertal, dem er auch weiterhin als Chefdirigent verbunden ist. Ab der Saison 2009/2010 hat der seit 2004 hier an der Hochschule für Musik lehrende Professor für Dirigieren auch die Position des Generalmusikdirektors des Saarländischen Staatstheaters. Kamioka hat viel vor: »Ich möchte einen Klang erreichen, den es nur hier gibt. Etwas, das nur wir haben. Und wenn man das hören will, muss man nach Saarbrücken kommen.« (SZ vom 11.9.2009) Toshiyuki Kamioka beweist vom ersten Moment an eine großartige Schlagtechnik, bei der »Verschlagen« ein Fremdwort ist. Aber es ist nicht nur ein absolut deutliches und unmissverständlich zwingendes Dirigat, es ist auch in Gestik und Mimik in höchstem Maße von Emphase und großer Emotion geprägt, einfach derartig fesselnd, dass sich dem kein Musiker entziehen kann. Die Partitur liegt selten auf und wenn doch, dann unaufgeblättert – ein Kollege nennt es »Staubschutz fürs Dirigentenpult« − durchaus auch für die Dauer einer einstündigen Sinfonie. Die ersten Proben beginnen grundsätzlich mit Durchläufen ohne jedes Abbrechen und ohne jede Rücksicht auf Verluste, Ansagen wie »Hier schlage ich in 2 und hier unterteile ich« sind vollkommen unnötig, da man beim ersten Durchlauf genau verstehen kann, was gemeint ist. Danach beginnt dann die Arbeit an vielen Details. Ziemlich überraschend und fordernd sind seine enormen Ansprüche im Pianissimo-Bereich. 128 100 Jahre Saarländisches Staatsorchester 2009/2010 Nach sechs Jahrzenten: sonntags statt dienstags GMD Toshiyuki Kamioka bricht mit einer großen und sehr langen Tradition: den Terminen für die Sinfoniekonzerte! Das Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde hatte 1912 mit Doppelkonzerten Freitag/Samstag begonnen, war aber schon im 3. Konzert seiner ersten Saison am 20./21.1.1913 auf Montag/Dienstag ausgewichen. Nach dem 1. Weltkrieg gab es ab dem 5. Oktober 1918 zunächst nur Einzelkonzerte, unter GMD Felix Lederer dann ab der Saison 1922/1923 wieder Doppelkonzerte, jetzt Dienstag/Mittwoch. In der Saison 1924/1925 ging Lederer konsequent mit sehr seltenen Abweichungen ab 13./14.10.1924 auf Montag/Dienstag und führte dies bis 22./23.4.1929 fort. Ab dem 6. Konzert 1929/1930 am 11.2.1930 gab es wohl wegen der an anderer Stelle erwähnten Sparmaßnahmen nur noch Dienstags-Konzerte. Dies setzte sich nach Lederers durch die Nazis erzwungenem Fortgang unter den GMDs Wilhelm Schleuning 1935-1937 und Heinz Bongartz ab 1937 fort, seit 25.10.1938 dann im neuen Theater. Nach der Zerstörung des Theaters durch die Bombenangriffe vom 29.7. bis 2.8.1942 ging man wieder zurück in den Saalbau und spielte dort bis zu dessen Zerstörung am 27.5.1944 zum letzten Mal am Dienstag, den 2. Mai 1944. Zur Wiederaufnahme des Konzertbetriebes 1947 fanden unter GMD Philipp Wüst Einzelkonzerte am Montag und gelegentliche Doppelkonzerte statt, ab 3. Februar 1946 kam wieder als regelmäßiger Konzerttag der Dienstag bis zum 8. Konzert 1949/1950 am 16. Mai 1950. Doch ab der Saison 1950/1951 gab es über 59 Jahre lang kontinuierlich Doppelkonzerte an Montag und Dienstag (Ausnahme: die Umbauspielzeit 1988/1989). Damit ist es am 13. September 2009 vorbei: Auf Kamiokas Wunsch spielt das SSO jetzt jeweils eine Sonntags-Matinee und ein Montagabend-Konzert. Die Abonnenten müssen umdisponieren, das Dienstagskonzert – ursprünglich nach der Voraufführung am Montag das Hauptkonzert – gibt es nicht mehr. Kamioka: »Der Vormittag richtet sich auch an Familien. Es gibt auch Kinderbetreuung während des Konzerts. Aber es ist auch für ältere Menschen ein Angebot, die vielleicht am Abend nicht mehr so gern ins Konzert gehen mögen.« 13.9.2009 – 11 Uhr: Kamioka debütiert und fasziniert höchst konzentriert und fesselnd von der ersten bis zur letzten Note von Mahlers monumentaler Zweiter. Weiter ist er zu erleben z.B. in Feuervogel von Strawinsky, Heldenleben von Strauss, konzertanten Ausschnitten aus dem Ring (leider in reduzierter Besetzung ohne Wagnertuben und weitere essentielle Bestandteile eines Ring-Orchesters), der Sechsten von Beethoven und der Zweiten von Brahms. Das Neujahrskonzert am 1.1.2010 leitet ebenfalls der neue Chef und beweist, dass er auch in Wiener-Walzer-Agogik zu Hause ist. Endlich gibt es wieder ein eigenes Spielzeit-Programmheft des Saarländischen Staatsorchesters, dessen Logo nun auch bei den Konzerten über dem Orchester schwebt. In der Oper dirigiert der neue Chef Hänsel und Gretel sowie Otello. Außergewöhnliche Spielplanpositionen wie Doctor Atomic von John Adams (nominiert für den deutschen Theaterpreis »Der Faust«) und Sakontala − rekonstruiert nach Schubert-Skizzen – lenken die überregionale Aufmerksamkeit auf das Saarbrücker Theater. Vor Ort tut sich das Publikum mit den avancierten Produktionen manchmal schwer. Am 11. und 14.11.2009 gibt es mit Lohengrin ein gefeiertes Gastspiel in Luxemburg, nochmal unter Leitung von Constantin Trinks, hochkarätig besetzt mit Christof Fischesser, Peter Seifert, Petra Maria Schnitzer und Michaela Schuster. Tag der deutschen Einheit 2009 Erneut ist das Saarland Ausrichter des Tages der deutschen Einheit. Als Gäste kommen Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel, sowie Urgestein Hans Dietrich Genscher. 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer begrüßt Ministerpräsident Peter Müller die Vertreter der obersten Staatsorgane im »ältesten der neuen Bundesländer«, Angela Merkel hält die Festrede. Das SSO und der Opernchor unter dem neuen 1. Kapellmeister Andreas Wolf umrahmen die Feier mit der Leonoren-Ouvertüre Nr. 1 von Beethoven und einer Choreografie von Marguerite Donlon über Bau und Fall der Berliner Mauer zu Mozart-Ausschnitten aus Requiem und Jupiter-Sinfonie. Dazu kommt mit 50 saarländischen Schüler/innen ein Auszug aus der Musikmaschine von Ari Benjamin Meyers. Das ZDF überträgt live (Sprecher: »aus dem kleinen Saarbrücken«). Die Gasgebläsehalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte weckt bei Besuchern Assoziationen an Science Fiction-Filmarchitekturen. Vor diesem atmosphärischen Hintergrund präsentiert Dirigent und Moderator Andreas Wolf am 14.5.2010 Science Fiction-Filmmusik live gespielt vom Saarländischen Staatsorchester, nachdem man an derselben Spielstätte kurz zuvor schon ein Kinderkonzert gespielt hat. Wolf-Dietrich Wirbach verabschiedet Im letzten Konzert der Saison wird Wolf-Dietrich Wirbach nach fast 40 Jahren Tätigkeit als Solo-Cellist des SSO verabschiedet. Der gebürtige Thüringer kam 1960 in die BRD, studierte in Mainz und Berlin und erhielt direkt nach seinem Examen 1971 seine Stelle im SSO. Er Chronik – Teil 3: 1977 – 2012 129 Wolf-Dietrich Wirbach, Solo-Cellist 1971-2010 war mehrfach Solist in Konzerten und wirkte als gefragter Kammermusikpartner in unendlich vielen Kammermusikkonzerten mit. Bescheiden und ruhig, immer präsent, setzte er Maßstäbe für seine Position. 2010/2011 Im Spielzeitprogrammheft 2010/2011 des SSO findet man erstmals aktuelle Farbfotos aller Instrumentalgruppen, die kurz darauf auch auf der Website des SST zu bewundern sind. Ein großer Fortschritt in der Selbstdarstellung des SSO nach außen. Das SSO spielt mit einer Stammbesetzung von 83 Musikern/innen (einige Kollegen/innen haben auf eigenen Wunsch nur halbe Stellen) und ist seit einigen 130 100 Jahre Saarländisches Staatsorchester Jahren durch ca. 10 Praktikant/innen verstärkt. Der Chef dirigiert erneut sechs der acht AboKonzerte und eröffnet wieder mit Mahler, gefolgt von Richard Strauss, stellt das Mozart-Requiem in die Konzertreihe und beschließt die Saison mit den Planeten von Holst. Im sechsten Konzert stehen mit Konzertmeister Wolfgang Mertes und dem neuen Solo-Cellisten Benjamin Jupé im Doppelkonzert von Brahms wieder Solisten aus den eigenen Reihen auf dem Podium. Erstmals gastiert das SSO unter Kamioka im wunderschönen Arsenal des benachbarten Metz. Wolfgang Mertes leitet das Projekt Acht Jahreszeiten, bei welchem zur Musik von Vivaldi und Piazolla eine Symbiose mit der Malerei hergestellt wird. In den Kammerkonzerten konzertieren am 5.12.2010 in der Deutschherrenkapelle erstmals Mitglieder des SSO und Gäste als Saarländisches Barockensemble auf historischen Instrumenten. Im Musiktheater erlebt man Turandot unter Kamioka, eine witzige Schöne Helena, mit Phaëton von Lully erneut eine Barockoper und mit sehr prominentem Gast eine Collage aus Musik, Film und Wort: Das Buch der Unruhe von Fernando Pessoa unter Leitung des 2. Kapellmeisters Thomas Peuschel und Klaus Maria Brandauer in der Sprechrolle. Der Cid (1865) des in Saarbrücken-Schafbrücke geborenen Théodore Gouvy (1819-1998) kommt 146 Jahre nach seiner Entstehung am 3. Juni 2011 unter Leitung von Gastdirigent Arthur Fagen in Gouvys Heimatstadt zur Uraufführung. Die Vorstellung am 11. Juni 2011 wird vom SR live übertragen. Fachleute empfehlen diese Oper zur Übernahme ins Repertoire der Opernhäuser. Am 19. Juni 2011 lädt das SSO seine treuen Konzerthörer zum zweiten Abonnentenfest, diesmal in die Congresshalle, direkt im Anschluss an das 8. Sinfoniekonzert. Nach dem Verklingen des ätherischen Frauenchors von Gustav Holsts Neptun gibt es ein abwechslungsreiches Programm, in dem sich jede einzelne Gruppe des SSO solistisch präsentiert, abgeschlossen mit der Candide-Ouvertüre unter GMD Kamioka.