vierteljahrschrift für sozial
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vierteljahrschrift für sozial
VIERTELJAHRSCHRIFT FÜR SOZIAL- UND WIRTSCHAFTSGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON KARL HEINRICH KAUFHOLD HANS POHL . WOLFGANG UNTER MITARBEIT ZORN VON FRAUKE SCHÖNERT-RÖHLK ACHTUNDSIEBZIGSTER BAND 1991 FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART Beate Schuster Frauenhandel und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert "Als in vergangnen ziten und noch huotby tage durch lychtvertige knechte zum dickem mole frowen und döchtere us andem landen ufgeweget und har in die frowenhüser versetzt und verkouft werdent, und dann soliehe personen durch die frowenwürte und würtin, über und wider iren willen in süntlie hem wesen behalten und verhuotet werden, das sie nit davon kommen mögent, obe schon eine sich gern bekern und buosse tuon wolte, das swere und uneristenlieh zu liden und zu getulden ist [... ]."1 So schildert eine Straßburger Verordnung von 1500 einen Mißstand, den es abzustellen gilt: das Versetzen und der Verkauf von Frauen in die städtischen Bordelle. Daß die Einrichtung von Frauenhäusern im 14. und 15. Jahrhundert in den deutschen Städten" einen Frauenhandel entstehen ließ, der dem Mittelalter zuvor fremd gewesen war, davon wurde von der Forschung bisher kaum Notiz genommen. Auf den ersten Blick scheint diese Nichtbeachtung ein Quellenproblem zu sein. Denn Hinweise auf den Frauenhandel müssen gesucht und gesammelt werden, weil sie sich nur vereinzelt in Ordnungen wie der oben zitierten, Urkundenbüchern oder lokalgeschichtlicher Sekundärliteratur finden. Die Historiker und die Historikerinnen, die sich seit den siebziger Jahren dem Thema Prostitution im Mittelalter zuwandten, konzentrierten sich aber zunächst darauf, zu begründen, warum es notwendig ist, sich diesem Teil des Lebens in der mittelalterlichen Stadt zuzuwenden. Dafür genügte es, die Ergebnisse der kultur- und sittengeschichtlichen Forschung des 19. Jahrhunderts zu rezipie- 2 Brucker, Johann Carl: Die StraBburgerZunft- und Polizeiverordnungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Straßburg 1889, S. 468. Zwar sind die ersten Frauenhäuser seit 1300 nachweisbar (z.B. Eßlingen 1300 (Pfaff, Karl: Die Geschichte der Reichsstadt EBlingen. Eßlingen 1840, S. 167), Burghausen 1307 (Huber, Johann Georg: Geschichte der Stadt Burghausen. Burghausen 1862, S. 155), Zürich 1314 (Meyer-Ahrens, Dr.: Geschichtliche Notizen über das erste Auftreten der Lustseuche in der Schweiz, in: Schweizerische Zeitschrift für Natur und Heilkunde6(N.F.3) 1841, S. 222-341, hierS. 283); dadie Bezeichnung Frauenhaus aberebenso ein privates Bordell bezeichnen kann, sind diese Belege kein hinreichender Beweis für eine so frühe Organisation der stAdtischen Prostitution. Die städtische Aufsicht über diese Einrichtungen wird erst im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts und zwar in den einzelnen StAdten in unterschiedlichem Ausmaß ausgebildet. Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 78. Band, Heft 2 (1991) to Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stungart Frauenhandel und FrauenhAuser im 15. und 16. Jahrhundert 173 ren und sie in einen sozialgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen. Neue Quellen wurden kaum erschlossen." Aber das Quellenproblem allein ist keine hinreichende Erklärung für die Nichtbeachtung des Frauenhandels, denn schon die Frauenhausordnungen, die diese Praxis verbieten, hätten Anlaß geboten, Fragen nach dem Leben der Dirnen im Frauenhaus zu stellen. Entscheidend für die Vernachlässigung des Frauenhandels ist vielmehr, daß die Forschung sich auf soziologische Fragestellungen konzentrierte: Prostituierte wurden als Randgruppe begriffen und deshalb standen vorrangig ihre Stellung in der Gesellschaft, ihre Diskriminierung oder Integration im Zentrum des Interesses. Das Verhältnis FrauenwirtFrauenhausdirne war dabei nebensächlich. Das Frauenhaus in seinem gesellschaftlichen Umfeld, so könnte man diesen Schwerpunkt der Forschung verkürzt nennen." Das Innere des Frauenhauses rückt erst ins Blickfeld, wenn dem Leben der Prostituierten mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die soziologische" Vogelperspektive", die oft einherging mit einer unreflektierten Übernahme des Blickwinkels herrschender Eliten, muß durch die ehervolkskundlich orientierte "Froschperspektive", die der Lebenswelt der kleinen Leute mit mehr Achtung begegnet, ergänzt werden.! Vornehmlich die Frauenforschung hat darauf aufmerksam gemacht, wie einseitig die bisherige Sicht der Geschichte, wie stark die Identifikation der Historiker mit den Männern, die "Geschichte machten", gewesen ist," 3 4 5 6 Allgemeine Lireratur zum Thema mittelalterliche Frauenhäuser: Bloch, Iwan: Die Prostitution, Bd. 1. Berlin 1912 (Handbuch der Sexualwissenschaft, Bd. 1), dort weitere Hinweise auf die ältere regionalgeschichtliche Forschung; Schubert, Ernst: Gauner, Dirnen und Gelichter in den deutschen Städten des Mittelalters, in: Meckseper, Cord/Schraut, Elisabeth (Hg.): Mentalitllt und Alltag im Spätmittelalter. Göttingen 1985, S.97-128; Rath, Brigitte: Prostitution und spätmittelalterliche Gesellschaft im österreichisch-süddeutschen Raum, in: Frau und splltmittelalterlicher Alltag (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil-hist. Klasse 473). Wien 1986, S. 553-571; für das Ausland: Rossiaud, Jacques: Medieval Prostitution. Oxford 1988 (dt.: Dame Venus. Mllnchen 1989); Otis, Leah Lydia: Prostitution in Medieval Society. The History of an Urban Institution in Languedoc. Chicago, London 1980; Neue Quellen erschließt: Irsigler, Franz/LassOlta, Arnold: Bettler, Gaukler, Dirnen und Henker. Aus der Kölner Stadtgeschichte. Köln 1984. S. 179-227; Schauenhofer, Michael: Henker, Hexen und Huren, in: Ders.: Beitrage zur Geschichte der Stadt München. München 1984 (Oberbairisches Archiv 109), S. 135-143. Graus, Frantisek: Randgruppen in der stlldtischen Gesellschaft im Spätmittelalter. in: Zeitschrift für historische Forschung 8 (1981), S. 385-437; Hartung, Wolfgang: Gesellschaftliche Randgruppen im Spätmittelalter. Phllnomen und Begriff, in: Kirchgässner, Bemhard/Reuter, Fritz (Hg.): Stlldtische Randgruppen und Minderheiten. Sigmaringen 1986 (Stadt in derGeschichte, Veröffentlichungen des südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung 13), S. 49-114. Schindler, Norbert Spuren in der Geschichte der ,anderen' Zivilisation. Probleme und Perspektiven historischer VOlksltulturforschung, in: Dülmen, Richard van/Schindler, Norbert (Hg.): Volltskultur. ZurWiederentdeckung des vergessenen Alltags. Frankfurt 1984, S. 13-77, hier: S. 13. Vgl. Becher, Ursula/Rüsen,JOm (Hg.): Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fall- 174 Beate Schuster Doch in der mittelalterlichen Geschichtswissenschaft begnügte sich die Mehrzahl der Frauenhistorikerinnen leider mit oberflächlichen Überblickswerken." Neue Perspektiven wurden zwar entworfen, aber selten eingelöst. Was nicht zuletzt daran lag, daß sich herausstellte, wie mühsam es ist, sich dem Leben der Frauen anzunähern. So besteht der Fundus meiner Darstellung aus vereinzelten Nachrichten gedruckter Quellen der mittelalterlichen Stadtgeschichte kombiniert mit Fundstücken, die Lokalhistoriker ans Licht gebracht haben. Dazu kommen die Ergebnisse eigener Recherehen im Konstanzer Stadtarchiv: Erst durch sie gewinnen die dürren Hinweise der anderen Quellen Leben. Die Fälle, die sich in den dortigen Ratsprotokollen fanden, lassen ahnen, wieviele ..Alltagsgeschichten" des Mittelalters noch in den Archiven schlummern. Doch um der Gefahr zu entgehen, sich von den lebensnahen Geschichten verführen zu lassen, gar zu unreflektiert die Perspektive der Betroffenen einzunehmen und dabei den Zeitsprung vom Mittelalter ins 20. Jahrhundert und die geschichtlichen Zusammenhänge außer Acht zu lassen, sollen zunächst die Einstellung zur Prostitution im Mittelalter und die Gründe für die Einrichtung eines städtischen Bordells dargestellt werden. Aus der Sicht des Rates war Prostitution in der Stadt ein Übel, das toleriert werden mußte, um größeren Schaden zu vermeiden ... Wyewol ein erbererrat diser stat nach loblichem iren herkomen mer genaigt ist und sein soll erberkeit und gute sitten ze meren und zu aeußern, dann suend und strefflich wesen bey ine zu verhengen [... ]" - dieser Anfang der Nürnberger Frauenhausordnung von 1470 verdeutlicht, daß die Duldung der Prostitution kaum im Einklang stand mit dem Selbstverständnis des mittelalterlichen Rates als Instanz, die sich für das moralisch einwandfreie Leben in der Stadt verantwortlich fühlte. Doch die Fortsetzung dieser Präambel zeigt, daß sich der Rat zur Legitimation seiner Politik auf die kirchliche Lehre berufen konnte: ,,[ ... ] yedoch nachdem umb vermeidung willen merers ubels gemeine weybere zu haben in der cristenhait durch dy heiligenkirchen gelyden und verhengt werden [...].'" Die kirchliche Lehre des kleineren Übels, auf die hier Bezug genommen wird, war bereits von Augustinus formuliert und von Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert wieder aufgenommen worden.' Die Dirne ist demnach, wie es ein weitverbreiteter Augustinuskommentar des 13. Jahrhundert drastisch formuliert, die 7 8 9 studien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung. Frankfurt 1988. Sharar, Shulamith: Die Frau im Mittelalter. Frankfurt 1983; Ennen, Edith: Frauen im Mittelalter. München 1984; Uitz, Erika: Die Frau in der mittelalterlichen Stadt. Stuttgart 1988. Baader, Joseph (Hg.): NUrnberger Polizeiordnungen. Stuttgart 1861 (Bibliothek des Iitterarischen Vereins in Stuttgar(63) S. 117. Thomas Aquinas, Summa theologica/G1aube als Tugend, hg. v. Albertus-Magnus-Akademie Walberberg b. Köln, Bd. 15. Heidelberg, MUnchen 1950, II, II, X, 11, S. 225; Augustinus: De ordine II, II, 12 (Migne, J. P.: Patrologiae cursus completus, Series Latina, Bd. 32. Paris 1877, Sp. 1000). Frauenhandel und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert 175 Kloake des Palastes," notwendig aber abstoßend. Die Tolerierung der Prostitution soll, wie die Münchner Stiftungsurkunde des Frauenhauses es 1433 ausdrückt, "vii ubls an frawen und junckfrawen'"! verhindern. Was dabei konkret gemeint ist, führt Hermann Weinsberg im 16. Jahrhundert für Köln aus: "ehebruch, noitzugten und was dem mehe sind.?" Grund für die Zulassung der Prostitution war also die Vorstellung von männlicher Sexualität als einer Triebkraft, die sich anstaut und deshalb von Zeit zu Zeit ein Ventil braucht," ein hydraulisches Modell, das sich auch in der im Mittelalter weitverbreiteten Vier-Säfte-Lehre wiederfindet." Männern, zumindest unverheirateten, wurde damit im Gegensatz zu Frauen Raum für sexuelle Betätigung auch außerhalb der Ehe zugestanden." Aber die Anerkennung der Notwendigkeit von Prostitution bedeutete nicht, daß Dirne nun ein Beruf wie jeder andere war. Schon früh sind die "fahrenden Fräulein" den Reglementierungen des Rates unterworfen. Sie werden z.B. mancherorts in regelmäßigen Abständen zusammen mit den Kupplern und anderen schädlichen Leuten aus der Stadt getrieben." Oft stehen sie auch bis zur Gründung der Frauenhäuser unter der Aufsicht des Scharfrichters." Doch je größer die Städte werden, um so attraktiver werden sie auch für die fahrenden Dirnen und umso mehr Regelungsbedarf entsteht. Eine Möglichkeit, Ordnung zu schaffen, war es, die Frauen, die Prostitution ausübten, an einem Ort zusammenzufassen und diesen unter die Aufsicht eines Mannes oder einer Frau zu stellen. Die Aufsichtsperson wurde zur Entlohnung für ihre Dienste einfach an den Einkünften der Dirnen beteiligt. Ähnlich wurde auch das Glückspiel, das offensichtlich nicht ganz zu verbieten 10 Roussiaud 1988, S. 81. 11 Hefner, Otto Titan: Original Bilder aus der Vorzeit Münchens. In: Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 13 (1852), S. 3-101, hier: S. 26. 12 Lau, Friedrich (Hg.): Buch Weinsberg, Bd. IV. Bonn 1898 (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichte 16.4.), S. 193. 13 Auch modeme Historiker sind noch stark von solchen Vorstellungen geprägt: vgl. Irsigler/Lassotta 1984, S. 179; Wesoly, Kurt: Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein. Ihre soziale Lage und Organisation vom 14. bis ins 17. Jahrhundert. Frankfurt 1985 (Studien zur Frankfurter Geschichte 18), S. 132 f. 14 Ketsch, Peter: Frauen im Mittelalter. Quellen und Materialien, hg. v. Annette Kuhn, Bd, 1: Frauenarbeit im Mittelalter. DUsseldorf 1983, S. 311. 15 Roper, Lyndal: Discipline and respectability. Prostitution and Reformation in Augsburg, in: History Workshop 19 (1985), S. 3-28, hier: S. 5. 16 Augsburg (Meyer, Christian (Hg.): Das Stadtbuch von Augsburg insbesondere das Stadtrecht von 1276. Augsburg 1872, S. 190); Hamburg (Schönfeldt, Gustav: Beiträge zur Geschichte des Pauperismus und der Prostitution in Hamburg. Weimar 1892 (Sozialgeschichtliche Forschungen 2), S. 99); Wismar (Techen, Friedrich: Die BUrgersprachen der Stadt Wismar. Leipzig 1906, S. 306, 312). 17 Als Beispiele von vielen: Augsburg (Meyer 1872, S. 71), Berlin (Fidicin, Eduard: Historisch-diplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin, Bd. V. Berlin 1842, S. 420); Braunschweig (Strombeck, Hilmar von: Leibzeichen und das rothe Kloster, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen 1860, S. 185-191, hier: S. 187). 176 Beate Schuster war, auf einen überwachten Ort, den städtischen Spielplatz, konzentriert.'! Der Leiter oder die Leiterin des städtischen Bordells war nun dafür verantwortlich, daß die kirchlichen Sexualnormen eingehalten wurden: es galt Ehebruch sowohl von Seiten der Dirne als auch von der des Kunden zu verhindern (obwohlletzteres nie so genau genommen wurde), Prostitution zu verbotenen Zeiten, d.h. an den Vorabenden kirchlicher Festtage und in der Karwoche, zu unterbinden," und vor allem mußte der Frieden an einem Ort gesichert werden, an dem sich die Männer der Stadt zu geselligem Beisammensein trafen, eine schwierige Aufgabe, davon zeugt die große Zahl überlieferter gewalttätiger Auseinandersetzungen." Die großen Übereinstimmungen der Frauenhausordnungen mit den Verordnungen des Rates, die die Wirtshäuser betreffen, zeigen, daß das Frauenhaus theoretisch organisiert war als spezialisierte Herberge für fahrende Frauen." Ein idealisiertes Bild, das angesichts des Machtgefälles zwischen dem Frauenwirt und den Dirnen kaum Realität gewesen sein kann. Der Rat duldete nicht einmal, wenn Dirnen des Frauenhauses zu bestimmten Männem, in den Quellen oft .Jiebe Männer" genannt, besondere Beziehungen hatten, die ihnen gegen den Frauenwirt Rückhalt hätten geben können." Eine Frau allein war schutzlos in einer Welt, in der das Recht des Stärkeren noch in viel größeren Maße galt als heute. Nicht umsonst hatten Schutz- und Abhängigkeitsverhältnisse bereits die freie Prostitution geprägt. So wurde Kuppelei zur Unehe konsequent bestraft, wenn Eheleute. Kleriker, Juden oder Kinder ehrlicher Leute betroffen waren." 18 Z.B. in Konstanz (StA B1/6. 353 (1436». 19 Vgl. die überlieferten Frauenhausordnungen: Nümberg 1470 (Baader, Joseph (Hg.): Nürnberger Polizeiordnungen. Stuttgart 1861 (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart 63), S. 117 f.; Nördlingen 1472 (Reynitzsch, Wilhelm: Über Truthen und Truthensteine, Barden und Bardenlieder, Feste, Senmauser etc. und Gerichte der Teutsehen. Gotha 1802, Anhang S. 32 f.); Konstanz 1507 (Meisel, Peter: Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Konstanz im 16. Jh. Konstanz 1957 (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 8), S. 147; UIm 1510 (Jäger, Tobias Ludwig Ulrich: Juristisches Magazin für die deutschen Reichsstädte II. UIm 1791, S. 217 f.). 20 Vergleiche die Belege des Freiberger VerzAhlbuches, in: Urkundenbuch der Stadt Freiberg i. Sachsen, hg. v. H. Errnisch, 3 Bde. Leipzig 1883-91 (Codex diplomaticus Saxoniae regiae 11,12-14), hier: Bd. III, S. 177-265. Hermann Weinsberg berichtet 1594 in Retroperspektive über das Kötner Frauenhaus: "Vii gewalttaten und toitsclege geschahn auch uff dem frauwenhaus." (Lau, Friedrich (Hg.): Buch Weinsberg, Bd.IV. Bonn 1898 (publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde 16.4.), S. 194. 21 Peyer, Hans Conrad: Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus. Studien zur Gastlichkeit im Mittelalter. Hannover 1987 (Monumenca Germania Historica. Schriften 31). S. 170. 22 Colmar (Finsterwalder, Paul, Willemm: Colmarer Stadtrechte, Bd. 1. Heidelberg 1938 (ElsAssische Stadtrechte 3.1.), S. 286; Nördlingen (Reynitzsch 1802, Anh. S. 31);. NUrnberg (Baader 1861, S. 121). 23 Hagemann, Hans Rudolf: Basler Rechtsleben im Mittelalter. Basel 1981, S. 269; Buff, Adolf: Verbrechen und Verbrecherzu Augsburg in der2. Hälftedes 14. Jh., in: Zeitschrift des historischen Vereins fürSchwaben und Neuburg 4 (3. Heft) (1878), S. 160-217, hier: S.192. Frauenhandel und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert 177 Wie weit die Verfügungsgewalt des Familienvaters über seine Frau und auch Kinder gehen konnte, zeigt eine Bestimmung des Schwabenspiegels, in der dem Vorstand der Familie ausdrücklich erlaubt wird, in Notzeiten seine Frau und Kinder zu verkaufen: udaz thut er wol mit recht [... ] er mag es einem Herrn wohl zu eigen geben". Der Verkauf der Tochter in ein Hurenhaus wird aber zugleich verboten." In Frankfurt sind 1459 und 1463 zwei Fälle des Verkaufs der Ehefrau überliefert" und in Konstanz wird 1459 der Spitalpfleger Heinrich Roßschedel bestraft, "von des wegen das er ainem sin eewip entfurt vil unfuer mit ir getriben und sy darnach dem eeman (Verschreibung eewip) abkofft hät nach innhult ains briefs der lut in der statt trucken."26 Selbst der Sittenprediger Geiler von Kaysersberg zu Beginn des 16. Jahrhunderts gestattet dem Vater in Hungersnot, den Sohn, allerdings nicht die Frau zu verkaufen.27 Und noch 1597, als Prostitution in den meisten Städten Deutschlands längst verboten war, bietet ein Leineweber in München seine Frau zum Verkauf an.2I Der Körper der Frau stellte in einer Gesellschaft, die von der christlichen Doppelmoral geprägt war, ein Kapital dar, auf das im Notfall zurückgegriffen werden konnte. Jede arme Frau hatte, wenn sie in Not geriet, immer noch die Möglichkeit, als Prostituierte ihren Lebensunterhalt oder ein Zubrot zu verdienen. Daß viele Frauen diesen Weg beschritten, liegt auch daran, daß ihre Chancen auf dem städtischen Arbeitsmarkt im Vergleich zu denen der Minner wesentlich schlechter waren." Beim Verkauf von Frauen oder Mädchen bot sich der Frauenwirt, der zuständig war für die Beschaffung von Prostituierten, als Abnehmer geradezu an. Da er an den Einkünften jeder Dirne, die in seinem Haus logierte, finanziell beteiligt war," hatte er ein Interesse daran, möglichst viele Frauen in seinem Haus zu haben. Im thüringischen Mühlhausen z.B. gibt eine Einwohnerin ihre Tochter ins Frauenhaus und wird dafür bestraft." 1523 genügt in Nördlingen sogar ein solcher Verdacht, um die Mutter aus der Stadt zu weisen.P Auch der Stuttgarter Frauenwirt hat sich zu verantworten, weil er während seiner Dienstzeit in Speyer "ain jungs toechterlin, das von meniglichem es ansehend 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Laßberg. Friedrich (Hg.): Der Schwabenspiegeloder schwäbisches Land- und Lehensrechtsbuch. Meisenheim 1840 (ND Aalen 1961), S. 152 Nr. 357. Kriegk, Ludwig: Deutsches Bürgerthum im Mittelalter. N. F. Frankfurt 1871, S. 318 f. StA Konstanz BI/lI, 37 (1459). Ammon, Friedrich Wilhelm Philipp von: Geiler von Kaysersberg, Leben, Lehren und Predigen. Erlangen 1826, S. 79. Schattenhofer 1984, S. 140. Ketsch 1983, S. 30. Vgl. die unter Anm. 19 zitierten Frauenhausordnungen; München (Schattenhofer 1984, S. 135); Überlingen (Obser, Karl: Zur Geschichte des Frauenhauses in Überlingen, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins (N. F. 31) (1916), S. 631-644, hier: S. 637 ff. Uitz 1988, S. 102. Felber, Alfons: Unzucht und Kindsmord in der Rechtssprechung der freien Reichsstadt Nördlingen vom 15.-19. Jahrhundert. Bonn 1961, S. 87. 178 Beate Schuster für ein kind ist geachtet worden", in das donige Frauenhaus geführt hat.'?" Falls es nicht ein Waisenkind war, könnte auch das elfjährige Mädchen, das 1424 im Braunschweiger Frauenhaus erschlagen worden ist, auf diesem Weg zur Prostitution gezwungen worden sein." Kinderprostitution, das zeigen diese Beispiele, war offenbar nichts Ungewöhnliches. Der Straßburger Rat sieht sich 1493 sogar dazu veranlaßt, die Ausweisung "unreifer" Dirnen anzuordnen: "Und weIhes töchterlin funden wurt, das libes halben zuo dem werck nit geschicket, sunder zuo junge ist, als das es weder brüste noch anders hette, das dozuo gehort, das soll mit der ruoten darumb gestroffet und dozuo der stat verwisen werden, by libsstrafe, so lange bitz es zuo sinem billichen alter kompt.?" Doch mit einer Bestrafung der Mädchen war der Kinderprostitution sicher kein Einhalt zu gebieten. Hier zeigt sich, daß den Rat weniger das Schicksal der Mädchen berührte, als die Verantwortung für die sittliche Ordnung innerhalb der Stadtmauern, die durch Kinderprostitution verletzt wurde. Mädchen ohne Familie und Auskommen wurden wie Unrat vor die Tore der Stadt gewiesen, das Problem damit lediglich aus dem eigenen Gesichtskreis verbannt. Das städtische Frauenhaus war die Drehscheibe des Frauenhandels. 1437 in Schlettstadt und 1446 in Nördlingen wurden Männer bestraft, die eine Frau in das Frauenhaus gesetzt hatten." In Speyer versuchte ein Benderknecht, seine Lebensgefährtin für einige Tage ins Frauenhaus zu vermieten." Daß bei solchen Verkäufen eine stattliche Summe Geldes den Besitzer wechselte, erfahren wir von einer Frau, die 1510 in Konstanz ihren Lebensgefährten, einen Landsknecht verklagt, weil er sie auf einem Kriegszug in Italien an einen Wirt verkauft hatte: " ... und hab sy zu clerca aim wirt verkoufft und gelt umb sy genommen und derselbig sy wither umb 100 thuggatten verkouft, sy aber entrinnen.?" Bei solchen Gewinnspannen verwunden es kaum, daß sich manche Männer auf diese Art des Geldverdienens spezialisienen. So wird z.B. 1509 in Konstanz ein Lutz Nibeler, genannt der Schuhmacher von Wollmatingen, ins Gefängnis geworfen, weil er "ain metzen von Ulm hatt uffgebracht und sy hiehar in das frowenhus versetzen hau welle, er das ouch vor mit ainer andern ouch understanden hatt [...)."39 In Frankfun ist 1390 sogar der Beruf eines "Huren- 33 Urkundenbuch der Stadt Stuttgart, bearb. v. AdolfRapp. Stuttgart 1912 (WUrttembergisehe Geschichtsquellen 13), S. 593 Nr. 896. 34 Strombeck 1860, S. 185. 35 Brucker 1889,S.466. 36 Geny, Joseph (Hg.): Schlettstädter Stadtrechte I. Heidelberg 1902 (Oberrheinische Stadtrechte lII.l), S. 639; Urkundenbuch der Stadt Nördlingen IV, bearb. v. Walther E. Vock und Gustav Wulz. Augsburg 1968 (Schwäbische Forschungen bei der Kommission für bayrische Landesgeschichte, Reihe 2a, Bd. 10), S. 160 Nr. 2367. 37 Harster, Theodor: Das Strafrecht der freien Reichsstadt Speyer in Theorie und Praxis. Breslau 1900 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 61), S. 192. 38 StA Konstanz BI/29. f.65. 39 StA Konstanz BI/27, f. 354a. Frauenhandel und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert 179 mengers" belegt." Wie einige Autoren von solchen, vereinzelten Belegen aber auf einen "schwunghaften" überregionalen Frauenhandel schließen," bei dem "ganze Ladungen fahrender Weiber" verschifft wurden'", der sich über ganz Europa erstreckte" und vornehmlich in jüdischer Hand lag," ist rätselhaft. Den Nachweis für derartige Behauptungen bleiben sie schuldig. Hier ist wohl die (Männer- )Phantasie mit ihnen durchgegangen. Gespeist wurden solche Vorstellungen, die in den Köpfen so mancher Sittenhistoriker herumspukten, von der Projektion eines "moralisch verkommenen", weil sexuell freizügigeren Mittelalters." Eine Interpretation, die unter geänderten Vorzeichen im 20. Jahrhundert wieder aktualisiert wurde. als das Mittelalter zur "goldenen Zeit" gemacht wurde, in der die Sexualität noch nicht durch bürgerliche Normen verbildet war.46 Dagegen bleibt einzuwenden: die bloße Existenz vieler deutscher und niederländischer Prostituierter in den Städten Oberitaliens im 15. und 16. Jahrhundert'" kann ebensogut auf die hohe Mobilität der Unterschichten und Randgruppen in dieser Zeit zurückgeführt werden, oder, wie uns das obige Beispiel der Konstanzer Landsknechtsdirne gezeigt hat, auf die Kriegszüge der deutschen Könige und Kaiser in Italien. Selbst wenn die Frauen nicht damit einverstanden waren, in das Frauenhaus versetzt zu werden, hatten sie wenig Chancen zur Gegenwehr: Das "frewlin", das Heinrich Westfal1446 in das "gemain frawenhuse" in Nördlingen versetzt hatte, erklärt vor dem Rat, das Verpfänden sei gegen ihren Willen geschehen:' Und auch die oben erwähnte Lebensgefährtin des Landsknechts verklagt ihren "Mann" in Konstanz, weil sie ohne ihre Einwilligung verkauft worden war." Wenn eine Frau erst einmal in die Hände von Prauenhändlern geriet, war ihr Schicksal besiegelt. Um Frauen in ihre Gewalt zu bekommen, bedienten sich solche Männer aller Tricks. So ist anzunehmen, daß der Kürschnerknecht, der aus der Naivität unbedarfter Frauen vom Land ein Geschäft machte und dafür in Straßburg 1400 verurteilt wurde, kein Einzelfall war: "Und ist ime die urteil darumbe geschehen, das er zuo einre froemeden 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 Kriegt 1871, S. 318 f. Volckmann, Erwin: Alte Gewerbe und Gewerbegassen. Deutsche Berufs-, Handwerksund Wirtschaftsgeschichte älterer Zeit. Würzburg 1921, S. 321. Pfalz. Franz: Bilder aus dem deutschen Städteleben im Mittelalter. Bd. II. Leipzig 1871, S. 155 f. Scherr, Johannes: Deutsche Kultur- und Sittengeschichte. 5. Aufl. Leipzig 1873, S. 222; Volckmann 1921, S. 321. Volckmann 1921, S. 321. Z.B. Vischer, Melchior: Jan Hus. Sein Leben undseine Zeit, Bd. 2. Frankfurt 1940, S. 34. Schild. Wolfgang: Kriminalität und ihre Verfolgung, in: Meckseper, Cord (Hg.): Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland, Bd. IV. Stuttgart 1985, S. 131-174. hier: S. 147. Brucker, Gene A.: The Florentine Popolo Minuto and its Political Role 1340-1450, in: Martines. Lauro (Hg.): Violence and Civil Disorder in Italian Cities, 1200-1500. Berkeley 1972. S. 176. UB Nördlingen IV, 1968, S. 160 Nr. 2367. SlA Konstanz BI/29, f.65. 180 Beate Schuster dohter, die er in krutenouwe in eins wines huses vant und sprach zuo ir, wolte su dienen, so wolte er ir zu erbern luten helffen, do sprach die dohter: ,Jo'. Also nam er sü und fuorte su in Biegger in ein huorhuos, darinne lies [er su] [... ]."50 Die Hoffnung, eine Dienststelle zu finden, verleitet das arme Mädchen dazu, dem fremden Knecht zu folgen. Ohne Rückhalt von Familie und Verwandtschaft war eine solche Frau aus der Unterschicht eine leichte Beute für Frauenhändler, denn wer fragte schon nach ihr, wenn sie im Frauenhaus verschwand? Der Frauenwirt war aber nicht nur bloßer A bnehmer von Dirnen, sondern bemühte sich selbst, Frauen zu kaufen, waren seine Gewinnspannen doch um so größer, wenn es ihm gelang, den Zwischenhandel auszuschalten. Der Ulmer Frauenwirt soll Gerüchten zufolge für 20 oder 30 fl. Frauen aus dem Umland angekauft haben," was ihm 1501 die Rüge des dortigen Pfarrers einbrachte." Auch durch den Frauenhausbetrieb selbst war es dem Frauenwirt möglich, Frauen in Abhängigkeitsverhältnisse zu zwingen, war er doch für die Versorgung der Prostituierten sowohl mit Essen und Trinken als auch mit Kleidern zuständig." Da geschah es schnell, daß eine der fahrenden Frauen nicht bar bezahlen konnte und es war nicht ungewöhnlich, im Wirtshaus die Zeche mit Pfändern zu begleichen." Was bot sich mehr an, als die Schuld auf ihren Leib zu schlagen?" Da der Frauenwirt bei der Beherbergung der "freien Frauen" in der Stadt sozusagen das Monopolrecht hatte,56 konnte er die Verschuldung der Dirnen zudem forcieren, wenn er für die Übernachtung und Verpflegung überhöhte Preise verlangte. Die Prostituierten hatten keine Ausweichmöglichkeit, wenn sie die städtischen Verordnungen nicht brechen wollten. Eben dieses Bestre- 50 51 52 53 54 55 56 Urkundenbuch der Stadt StraSburg, hg. v. Johannes Fritz, 7 Bde. Straßburg 1879-1900 (Urkunden und Akten der Stadt StraSburg I), hier: Bd. VI, S. 835; vgl. fUrltalien: Brucker 1972, S. 168; Goodich, Michael: ,Ancilla Dei': the Servant as Saint in the Late Middle Ages, in: Kirshner, lulius/Wemple. Suzanne (Hg.): Women of the Medieval World. Essays in Honour of lohn H. Mundy. Oxford 1985. S. 119-136, hier: S. 122. Roper 1985, S. 23. Geiger. Gottfried: Die Reichsstadt Ulm vor der Reformation (Forschungen zurGeschichte der Stadt Ulm). Ulm 1971, S. 173. Vgl. die Frauenhausordnungen von Anm. 19. Kachel, lohanna: Herberge und Gastwirtschaft in Deutschland bis zum 17. lahrhundert. Berlin 1924 (Beihefte zur Vierteljahrsschrift fUrSozial- und Wirtschaftsgeschichte 3). S. 122. Der Konstanzer Frauenwirtseid von 1523 verbietet diese Praxis ausdrücklich: ..Were unns aber ainiche by essen und trincken ettwas schuldig, das mögent wir by irem gütt inkomen aber iren lib söllent wir in allweg fryg lassen." (StA Konstanz Urk. Nr. 6658. ebenso Uek. Ne. 9948 von 1524). Als ein Beispiel von vielen: Miltenberger Stadtrecht 1422: ..Es sal auch nimant kein gmein dochter halden, sunder sie sal gen, da sie hingehort, in der stat gewonlich huß, bi derstat buß 5 S (Schröder, Richard/Köhne, Karl (Bearb.): Oberrheinische Stadtrechte, hg. v. der badischen historischen Kommission, 1.Abt.: Fränkische Rechte, IV. Heft. Heidelberg 1898,317). Frauenhandel und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert lSI ben des Rates, die Prostitution auf das Frauenhaus zu beschränken, eröffnete dem Frauenwin in manchen Städten noch eine weitere Möglichkeit, sich Frauen zu verschaffen. Vielerons hatten er und seine Dirnen das Recht, Frauen, die sich auf eigene Rechnung prostituienen, ins Frauenhaus zu ziehen." Hier arbeiteten die Obrigkeit und der Frauenwin Hand in Hand. Hatte jene ein Interesse daran, die freie Prostitution unter ihre Kontrolle zu bekommen, um Ruhe, Ordnung und Sittlichkeit in der Stadt zu garantieren, so war der Nutzen des Frauenwins finanzieller Art: Es galt, unliebsame Konkurrenz zu beseitigen. Daß sich dieses Privileg leicht auf Frauen ausweiten ließ, deren Lebenswandel in irgendeiner Form nicht der gültigen sittlichen Norm entsprach, zeigt eine Äußerung der Hamburger Reformatoren von 1529. Sie plädieren für die Abschaffung des Frauenhauses und kritisieren diejenigen, gemeint ist wohl hauptsächlich der Rat, "de tho staden mit weten, dat eyne geschändende Magd mit gewald werde gedrungen, tho sien eine vor alle boven, se will edder nicht. Die sündigen gröver vor Gade, denn die maget gesündiget hefft mit erer ersten Sünde.?" Vergewaltigung als Beginn eines Lebens als Prostituierte: hier zeigt sich, wie verletztlich die Ehre einer Frau war und wie kostbar. War die Ehre einmal verloren, war der Weg bis zur Dirne nicht mehr weit. Sehr bezeichnend ist ein aufsehenerregender Fall aus Nürnberg 1501. Ein Kornschreiber versucht eine Frau, die er zum vorehelichen Geschlechtsverkehr überredet hat, in das Frauenhaus zu setzen. Sie wird von den don lebenden Dirnen symbolisch in ihre "Zunft" aufgenommen und kann nur entkommen, weil ein Geselle ihr zur Hilfe kommt. "Desselben tags, da was einer, genant der jung kornschreiber, der het ein schoens dirnlein, ein pulschaft, der het er gezilt, sie solt die naht pei im ligen, und er fueret sie pei naht ins frawenhaus und er het ir villeiht gesagt, er wolt sie zu im haim in sein haus fuern. Und er lag die naht pei ir im frawenhaus und des morgens da komen die frawen all zu ir und setzten ir ein stroeß krentzlein auf und ir zwu namen sie und fuerten sie wie ein praut herüber uber den Obßmarck und sprachen: Wir mußen dich zum sueßen wein fuem und wollen dir in die hurnzunft schenken des sussen weins. Und so sie fuerten pei den Predigern, so lauft ein gesell dar, den erparnt das schoen .dirnlein und schlug der fuererin eine in das angesicht. Da Iuffen die andern all zu und wolten ir helfen. So kumpt ein ander gesell und sIeht die andern hurn, das sie uber purtzelt, und daentran die dirn in allen. Man legt den kornschreiber ins loch und verpot im zehen jar die stat."S9 Die Frauenhausbewohnerinnen wollen mit der Aufnahmezeremonie und dem diffamierenden Strohkranz ihren 57 Luzem 1469 (Meyer-Ahrens 1841, S. 284); Köln 1494 (Buch Weinsberg IV, S. 194); Augsburg (Buff 1878, S. 187 f.); Frankfurt (Kriegk 1871, S. 384 Anm.); München (Schauenhofer 1984, S. 134); Nördlingen (Felber 1961, S. 58); Überlingen (Obser 1916. S. 643); Zürich (Meyer-Ahrens 1841, S. 283 f.). 58 Schönfeldt1897, S. 110. 59 Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jh., hg. v. der historischen Kommission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften. Bd. 11 (NUrnberg 5). Leipzig 1874, S. 645 f. 182 Beate Schuster Alleinanspruch auf die Sexualität unverheirateter junger Männer demonstrieren und die junge Frau vor den Augen der Öffentlichkeit zur Dirne machen. Ähnliche rituelle Bestrafungen für "gefallene" Mädchen sind auch aus anderen Städten bekannt/" Daß gerade Gesellen als Helfer in der Not eingreifen, ist kein Zufall. Die jungen Männer demonstrieren damit, daß das Vergehen des Mädchens aus ihrer Sicht kein Grund ist, es mit den Prostituierten des Frauenhauses gleichzusetzen. Dies läßt uns vermuten, daß voreheliche Beziehungen in der Unterschicht um 1500 keine Ausnahme waren. Vergebens versuchte der Rat in dieser Zeit, Konkubinat und Winkelehen zu verbieten." Die Frauenhausbewohnerinnen stellen sich, das ist bezeichnend, bei der Durchsetzung einer neuen, rigideren Moral auf Seiten des Rates. Denn ihre Position in der Stadt beruhte ja darauf, daß den "ehrbaren" Mädchen und Frauen jede außereheliche Sexualität untersagt war. Im Bündnis mit der Obrigkeit versuchen sie so, selbst aus dem Schußfeld der moralischen Kritik zu entkommen und unterstützen damit eine Doppelmoral, die sie selbst verurteilt. Die Drohung mit der Einweisung ins Frauenhaus war also für den Rat eine Möglichkeit, die Sexualität der Frauen in der Stadt zu disziplinieren. Dies geht aus einem Münchner Raterlass von 1533 hervor, der dem Frauenwirt erlaubt, liederliche Frauen und Ehebrecherinnen, die sonst mit Pranger oder einer körperlichen Züchtigung bestraft werden, ins Frauenhaus zu ziehen, bis sie dazu bereit sind, "ir leben von suenden und scharmden zu pueßvertigkait kheren, und zu eren wider wendten."62 Selbst unbescholtene Frauen waren vor dem Zugriff des Frauenwirtes nicht sicher: In Konstanz wird der Frauenwirt Hanns Schertzinger 1449 bestraft, "umb dz er als er dem jungen loren dez nachtz sin wip uff der gassen beschalkat und misshandelt hät und die in dz frowenhus gezogen haben wolten. "63 Die Tatsache, daß eine junge Frau nachts ohne Begleitung unterwegs war, mag allein schon den Verdacht der Unehrbarkeit geweckt haben. Ähnliche Methoden wie sein Vorgänger in Konstanz wird der Frauenwirt Heinrich Winter 1497 angewandt haben, der dafür bestraft wird, eine ..eelich frowen" in das Frauenhaus gezogen zu haben." In beiden Fällen hatten die jungen Frauen Glück, weil sie durch ihre Heirat unter dem Schutz eines Mannes standen und der Rat der Stadt zudem keine verheirateten Frauen in seinem Frauenhaus dulden konnte, um nicht einem Ehebruch Vorschub zu leisten. Aber was geschah mit Frauen, für die kein Mann außerhalb des Frauenhauses einstand? 60 61 62 63 64 Landshut Mitte 15. lh. (Schattenhofer 1984, S. 136); Magdeburg 1463 (Urkundenbuch der Stadt Magdeburg, hg. v. der historischen Commission der Provinz Sachsen, 3 Bde. Halle 1892-1896, hier: II, S. 772 Nr. 846); Köln 1494 (Buch Weinsberg IV, S. 194); Ofen 15. Jh. (Mollay, Karl (Hg.): Das Ofner Stadtrecht. Eine deutschsprachige Rechtssammlung des 15. Jahrhunderts aus Ungarn. Weimar 1959, S. 155 r.). Vgl. Konstanz: StA Konstanz BI/25, f. III (1505). Hübner, Lorenz: Beschreibung von München, 2. Bd. München 1805, S. 504 Anm. StA Konstanz BI/7, 235 (1449); vgl. L 800, 56. StA Konstanz BIIl5, 241 (1497); BI/18, 45 vgl. L 847,34. Frauenhandel und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert 183 Nicht immer war Gewalt nötig, in manchen Fällen genügten auch Überredungskünste, um eine arme Magd davon zu überzeugen, daß sie als Dirne ein bequemeres Leben hätte. Deroben genannte Hanns Schertzinger aus Konstanz wird 1449 erneut bestraft, "umbe das er ain armen tochter mit worten fast darzu gelukert hat, das si iren magturnen in sinem frowenhus verloren hat.'<6SWar die Frau erst im Frauenhaus, dann war es für den Frauenwirt ein Leichtes, ihr seinen Willen aufzuzwingen, wie sich ganz deutlich an einem weiteren Beispiel aus Konstanz zeigt: Eine vom Frauenwirt ausdrücklich als Köchin angeworbene Frau wird von der Belegschaft des Hauses dazu gezwungen, sich zu prostituieren. Nur mit viel Glück und durch die Hilfe eines Mannes gelingt es ihr davonzukommen. Sie klagt vor dem Rat um das Geld, das sie dem hilfreichen Kunden zu ihrereigenen Auslösung gegeben hatte. Doch lassen wir sie - im Protokoll des Ratsschreibers - selbst sprechen: "A in frow von lindow hatt angebracht, es syg der frowenwirt Hanns Metzger gen Bibrach kummen und hab sy gedingt zü ainer kochinen, do hab sy ußgedingt, sy welle nüt arges thuon. Als sy nun herkummen syg, wollt er sy zwingen, das sy thet wie die anderen, das welte sy nit thuon, so schlugen die frowen sy, alIso wainete sy, do kern ainer von Uberlingen und gebe ir ain raitzer, thete aber nut boses mit ir, sunder fragete sy, ursach ires wainens, so sagte sy im die ursach. Nach solhem gebe sy ime VIII ellen thüch, das er sy mit dem gulden loßte, das hab er gethon. Begert, man welle den frowenwirt zwingen, das er ir den gulden wider geb."66 Diese Schilderung gibt uns einen Einblick, wie schwer es für eine Frau war, sich im Frauenhaus gegen den Willen des Frauenwirtes zu behaupten, zumal sich die anderen Dirnen, zumindest in diesem Fall, auf die Seite des Frauenwirts stellten. Hier kam die Frau unbeschadet davon, aber nur weil sie ihre gesamte Habe einsetzte und weil sich ein Mann fand, der ihr beistand. Der Normalfall war das sicher nicht. Waren Dirnen widerspenstig, wurden sie mit Prügel und anderen körperlichen Züchtigungen gefügig gemacht. Blieben die Strafen innerhalb gewisser Grenzen, War das eine akzeptierte Form, hausherrliehe Gewalt auszuüben. Nur die extremsten Fälle wurden vom Rat geahndet." Aus München und Basel ist bekannt, daß Prostituierte an den Folgen körperlicher Mißhandlung durch den Frauenwirt starben. Der Basler Frauenwirt wird wegen Mord an einer Dirne hingerichtet. 68 Offener Widerstand war gefährlich. Einfacher war es da, sich dem Zwang, den ein Frauenwirt ausüben konnte, durch Flucht zu entziehen. 1468 entläuft eine Dirne aus dem Frauenhaus in Iphofen in das nach Kitzingen," vielleicht 65 66 67 68 69 StA Konstanz BIn, 236a (1449). StA Konstanz BII23, 477 (1505). Konstanzer Stralbuch 1443 (StA Konstanz L 794, 78); Schattenhofer 1984, S. 137; Felber 1961, S. 87. Lammert, Gottfried: Zur Geschichte des bürgerlichen Lebens und der öffentlichen Gesundheitspflege usw. in Süddeutschland. Regensburg 1880, S. 81; Heusler, Andreas: Verfassungsgeschichte der Stadt Basel im Mittelalter. Base11860, S. 205 f. Lammert 1880, S. 81. 184 Beate Schuster in der Hoffnung, dort unter einem weniger strengen Reglement leben zu können. Ob es ihr dort besser erging, wissen wir nicht. Wer aber auf der Flucht erwischt wurde, hatte mit Strafe zu rechnen. 1532 werden in München zwei arme Dirnen, die aus dem Frauenhaus entlaufen sind, mit Gefängnis bestraft." Wieviele Fluchtversuche vom Frauenwirt vereitelt wurden, werden wir kaum erfahren. Wie weit aber ein Frauenwirt im Einzelfall ging, zeigt ein Beispiel aus Konstanz. Dort scheute er sich nicht einmal, eine Dirne, die in der dortigen Augustinerkirche Zuflucht gesucht hatte, gewaltsam wieder ins Frauenhaus zurückzuführen, ein Bruch der kirchlichen Immunität, der die bischöfliche Gerichtsbarkeit aktiv werden läßt." Überraschenderweise hören wir immer wieder davon, daß Männer, die das Frauenhaus besuchen, Beihilfe zur Flucht leisten. In Konstanz wird 1457, um 1470, 1473 und 1507 gegen Männer ermittelt, die dem Frauenwirt eine Dirne entführt batten." 1461 wird ein Geselle in München, der auf der Flucht mit einer Prostituierten ergriffen wird, hingerichtet." 1521 verklagt der Züricher Frauenwirt einen Mann wegen Entführung einer Dirne, ein Vergehen, das er ihm allerdings nicht nachweisen kann." Auch der Konstanzer Frauenwirt geht 1507 vor Gericht, weil er fünf Knechte in Verdacht hat, Beihilfe zur Flucht geleistet zu haben. Er klagt: "Sy sygen in sin hus kummen, da hab er inen wellen win holen, da haben sy und insunders des schuhmachers knecht uff der platten mit aim tischmacher knecht ungluck angefangen und messer zuckt und liechter geleseht zu dem sygen ime 4 frowen uß dem hus kummen und meg er mitin wyssen, was ieder insunders gehandelt hab.':" Dieser Fall aus Konstanz verdient unsere besondere Aufmerksamkeit, da sich im Ratsbuch eine detaillierte Schilderung einer solchen Flucht aus der Sicht eines Frauenhausbesuchers findet. Michel Gansters Knecht sagt aus: "Als er in das hus kemm, hab er von kainem anschlag gewißt, das die frowen hinweg woIten louffen, aber als er im haus säß, sygen die frowen vor ain tischmacher gestanden und mit im geredt. In dem selben hab aine dem tischmacher den rock genommen und sin perret uffgesetzt und geredt, jetzt geb ich ain sins bubly, ich wolt wol hinweg kummen, Do sagte der tischrnacher: lieber, du und ich wellen ain unfur anfahen, so kumpt die frow hinweg. In dem kern der schnider mit der gigen und als sy wörtelten, so luff die frow hinweg. [... ] Aber er luft ir nach damit im sin perret wurd, do berret er sy uff dem rindermarckt, do nemm er ir das perret. Also hete sy ime durch gots willen umb herberg gebetten, das hab er gethon und ir merndes an zerpfennig geben, aber 70 Schattenhofer 1984, S. 136. 71 Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Konstanz, hg. von der badischen historischen Kommission,bearb. v. Karl Rieder, 4. 8d,1436-1474. Innsbruck 1941, S. 455 Nr. 14197. 72 StA Konstanz BI!8, 169 (1457); BI/10 T. 2, 58 (1467-1471); 81/13,61 (1473); BI/25, 2lOa (1507). 73 Schattenhofer 1984, S. 136. 74 Egli, Emil: Aktensammlung zur Geschichte der ZUricher Reformation in den Jahren 1519-1533. ZUrich 1879, S. 33 Nr. 143. 75 StA Konstanz 81/27, f. 22 f. (1507). frauenhandel und Prauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert 185 von den andem dry gulden wiß er gantz nichts.'?" Die Gesellen werden freigesprochen, da ihnen keine direkte Beteiligung an der Flucht der Frauen nachgewiesen werden kann." Erstaunlich bleibt die große Bereitschaft, einer entlaufenen Dirne zu helfen. Die Sympathien der Frauenhausbesucher standen eindeutig nicht auf Seiten des Frauenwirts. Und daß der Knecht, der wohl selbst gerade über eine Schlafstatt verfügt haben wird, die Frau für eine Nacht beherbergt und ihr sogar Wegzehrung gibt, spricht für sich. Diese Hilfe mag nicht nur christlicher Nächstenliebe entsprungen sein, sie könnte ein Hinweis darauf sein, daß die Beziehungen zwischen Gesellen und gemeinen Frauen mehr waren als bloße Geschäftsbeziehungen. Sie verbrachten ihre Freizeit miteinander. Nicht umsonst haben die auf Ehrbarkeit bedachten Zünfte Verordnungen erlassen, die verboten, daß Gesellen mit Dirnen spielten, mit ihnen in Wirtshäusern an einem Tisch saßen oder sie mitnahmen zu Treffen in den Urten.? Immer wieder werden Dirnen von Gesellen sogar geheiratet." Noch sind die Übergänge zwischen Außenseitern und ehrbarer Gesellschaft fließend, die Grenzen noch durchlässig. Nicht jede Hilfe oder Beihilfe zur Flucht mag aber so uneigennützig gewesen sein, unter den Fluchthelfern waren sicherlich auch solche, die selbst am Frauenhandel verdienten. 1470 wird ein Heinrich Raininger von Überlingen in Konstanz zum Tod verurteilt, weil er eine Dirne, die er offensichtlich selbst ins Frauenhaus versetzt hatte, nachts wieder entführte und mit ihr zu fliehen versuchte." Das Entlaufen von Dirnen aus dem Frauenhaus bedeutete für den Frauenwirt eine herbe finanzielle Einbuße. 1470 klagt er in Konstanz um eine nicht beglichene Schuld von 14 fl., 1473 geht es um 10 fl., der Züricher Frauenwirt gibt 15074 fl. als Schuld an. Dazu kam der Verlust der Kleider, die die Dirne anhatte." Je mehr Frauen flohen, um so stärker wurde der Druck, den der Frauenwirt auf die Frauenhausbewohnerinnen ausübte, um so mehr versuchte er, sie ans Frauenhaus zu binden, denn wer garantierte, daß eine Dirne, die das Frauenhaus verließ, um in die Stadt zu gehen, auch wieder zurückkehrte? In der Stiftungsurkunde des Hauses für "gefallene Mädchen" in Wien wird das Frauenhaus als Gefängnis des Leibes und der Seele bezeichnet." In dieser Aussage steckt ein wahrer Kern. Ein Vorfall in Augsburg zur Zeit der Refor- 76 SlA Konstanz Bl/27, 22a f. 77 Ebd. f. 23. 78 Reininghaus, Wilfried: Die Entstehung der Gesellengilden im Spätmittelalter. Wiesbaden 1981 (VieneljahrsschriftfUrSozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 71),S. 99 f. 79 Noch 1560, als in Restock die Prostituierten aus der Stadt getrieben werden sollen, verheiraten sich angesichts dieser Drohung drei von ihnen. Eine nimmt einen Schneiderknecht zum Mann. (Zober, Ernst Heinrich (Hg.): Stralsundische Chroniken, Bd. 2. Stralsund 1843, S. 196). 80 StA Konstanz B1/12. 128 (1470). 81 Vgl. Anm. 73 und 75. 82 Schrank, Josef: Die Geschichte der Prostitution in Wien, Bd. 1: Die Prostitution in Wien in historischer. administrativer und hygienischer Beziehung. Wien 1886. S. 79. 186 Beale Schuster mation zeigt, daß die Dirnen dort wie Gefangene gehalten wurden. Als der Rat die Bewohnerinnen des Frauenhauses zum Hören der Predigt verpflichtet, begleitet sie der Frauenwirt mit zwei Knechten zur Kirche. Dennoch gelingt es zwei Frauen in der Kirche zu entkommen. Um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden, wird danach für die Dirnen in der Kirche eine abgeschirmte Bank aufgestellt." Wenn die Dirnen diese Gelegenheit unter Eskorte zur Flucht nutzen, kann man sich leicht ausmalen, wie streng sie sonst der Kontrolle des Frauenwirtes unterworfen gewesen sein mögen. Wo selbst der Kirchgang nicht mehr möglich war, fühlten sich aber die Obrigkeiten bemüßigt einzugreifen: Sowohl in Nürnberg 1470 als auch in Nördlingen 1472 und Straßburg 1500 wird in der Frauenhausordnung bestimmt, daß es den Frauen jederzeit offen stehen soll, das Frauenhaus zu betreten oder zu verlassen, "nachdem sy frey weyber genannt seyn".14 Auch in Basel 1497 und in Konstanz 1504 ordnet der Rat an, daß der Frauenwirt die Frauen zur Kirche gehen lassen soll," 1523 heißt es in einem Konstanzer Frauenwirtseid: "besonder inen allwegen iren frygen wanndei uß und in lasse [...]".16 Allerdings wird dem Frauenwirt hier wie auch in Nürnberg zugestanden, den Besitz der Dirne als Sicherheit für ihre Schulden zu behalten. Das regulierende Eingreifen der Obrigkeit gegen eine zu große Beschränkung der Freizügigkeit der Dirnen wie auch gegen die schlimmsten Auswüchse des Frauenhandels zeigt, daß offensichtlich eine übergroße Abhängigkeit der Dirnen vom Frauenwirt nicht gebilligt wurde. Erinnern wir uns an die eingangs zitierte Straßburger Ordnung von 1500, die den Frauenhandel deswegen kritisiert, daß Frauen durch diese Praxis gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen werden." In der NUrnberger Frauenhausordnung von 1470 finden sich sogar Anklänge an den Gedanken eines Naturrechts, wenn es dort heißt: ,,[ ... ] das nu nicht allein wider got, sunder auch wider natürlich aygenschafft, gesetze und ordnung, nachdem der mensch auch ledig und frey beschaffen ist."" Die Prostituierte galt im Mittelalter als Sünderin, der man den Weg zurück in das ehrbare Leben freihalten mußte. Auch der Rat fühlte sich dieser karitativen Einstellung verpflichtet. In Nürnberg z.B. wurden allen Männem, die eine gemeine Frau heirateten, das Bürgerrecht verliehen." Insbesondere in dem Versuch, den Frauenhausbetrieb zu reglementieren, wird das Bestreben sichtbar, die Dirnen vor vollkommener Willkür der Frauenwirte und -wirtinnen zu schützen. In Regensburg wird 1476 eine Höchstverschuldung von 3 ß 83 84 85 Chroniken 25, Augsburg 5. Leipz.ig 1896, S. 123. Baader 1861, S. 118; Reynitz.sch 1802, Anh. S. 30; Brucker 1889, S. 469. StA Konstanz. B1/25, f. 26; Baas. Karl: Gesundheitspflege im mittelalterlichen Basel. ZUrich 1926 (ZUricher medizingeschichtliche Abhandlungen 6), S. 22. 86 StA Konstanz Urk. Nr. 6658 (1523). 87 Brucker 1889,S. 468. 88 Baader 1861, S. 117. 89 Wiesner, Merry E.: Birth, Death and the Pleasures of Life: Working Women in Nuremberg 1480-1620. Diss. University of Wisconsin. Madison 1979. S. 276. Frauenhandel und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert 187 dn festgelegt'", in Nürnberg jede Pfändung auf den Leib, von Dirnen, die bisher noch nicht in Schuld gestanden hatten, für Unrecht erklärt", in München eine Erhöhung der Verschuldung untersagt," Straßburg, Konstanz, Nördlingen und Überlingen verbieten überhaupt jegliche Verpfändung und Verschuldung." In Ulm galt diese Bestimmung nur für unschuldig versetzte Frauen" - eine Konzession an den Frauenwirt. Auch die Nürnberger Obrigkeit kam dem Pächter des Bordells entgegen, da sie "redliche" Schulden anerkannte.'! In Konstanz 1504, in Ulm 1510 und ungefähr zeitgleich in München entschied man sich schließlich dafür, eine feste Summe, einen Gulden (in München wurde diese Summe 1563 auf 2 Gulden erhöht) als Auslösung für die Dirne festzusetzen." Wir erinnern uns, so war es auch der Konstanzer Frauenhausköchin gelungen, aus dem Frauenhaus zu kommen. Die Frau sollte sich selbst mit eigenen Ersparnissen oder mit Hilfe eines ehrbaren Mannes jederzeit aus dem Frauenhaus lösen können, wie es die Nördlinger Frauenhausordnung von 1472 formuliert: ,,[...] sondern die selben tochtren so yn zu zytten darein komen, sollen frey sein, dermaß, das sy weder ir schuld halb noch sunst von kainer ursach dar Inn zu be1ybennitt genoett noch angezogen werden, sondern dz zu ainer yeden frawen dar Inn wonende fryen willen sten soll, uß dem haws zu gen.?" Die Anspruche des Frauenwirts verloren aber nur dann ihre Gültigkeit, wenn die Dirne sich von nun an "ehrlich" hielt." Daß eine solche Regelung den Frauenwirt trotzdem empfindlich treffen mußte, zeigt der Protest des Ulmer Frauenwirts, als diese Verordnung erlassen wird." Daneben solhen die detaillierten Vorschriften überdie von den Prostituierten zu leistenden Abgaben an den Frauenwirt - getrennt nach Beherbergung, Gewinnbeteiligung und Verpflegung - ein Mittel sein, der ungeregelten Verschuldung der Frauen bei den Frauenwirten/wirtinnen einen Riegel vorzuschieben. In Ulm und Überlingen wird sogar genau festgelegt, wie die Mahlzeit auszusehen hat, die der Frauenwirt der Dime anbietet. Wein muß gesondert bezahlt werden. Ebenso war der Verkauf von Kleidern an die Dirnen vielerorts einer strengen Kontrolle unterworfen, teilweise war er ganz verboten.1OO Die Verschiedenheit der einzelnen Regelungen verdeutlicht beispielhaft, 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 Gmeiner, Carl Theodor: Chronik der Reichsstadt Regensburg vom Jahre 1430 bis zum Jahre 1496,4 Bde. Regensburg 1800-1824, hier: III, S. 377. Baader 1861, S. 118. Schatlenhofer 1984, S. 136. Brucker 1889, S. 469; StA Konstanz Urk Nr. 6658 (1523); Reynitzsch 1802, Anh. S. 30; Obser 1916, S. 634. Jager 1791, S. 215. Baader 1861, S. 120. StA Konstanz AI11/39,184 (1505); BI/25, f. 26 (1504), BIf23, 340(1505); Jäger 1791, S. 216; Schattenhofer 1984, S. 135. Reyniczsc:h 1802, Anh. S. 30. Baader 1861, S. 120; Jager 1791, S. 216. Roper 1985, S. 7. VgI. Frauenhausordnungen Anm. 19. 188 Beate Schuster daß jede Stadt bei dem Balanceakt zwischen den Interessen des Frauenwirts und der Verpflichtung den Dirnen gegenüber ihren eigenen Weg ging, der abhängig war von den Prioritäten, die die verschiedenen Ratsgremien setzten. Aber trotz aller Schutzbestimmungen fürdie Dirnen des Frauenhauses darf nicht vergessen werden, daß die Realität von diesen Willensbekundungen der Stadträte erheblich abweichen konnte. Vollständig war der Frauenwirt nicht zu überwachen, so sehr sich der Rat z.B. mit Einführung von Visitationen der Frauenhäuser'?' auch bemühte. Die Frauenwirte hielten gegen den Rat zusammen: 1522 z.B. tauschte der Frauenwirt von Augsburg eine heiratswillige Prostituierte einfach gegen eine andere Dirne aus dem Ulmer Frauenhaus ein, um deren Pläne zu vereiteln.t'" Und in Konstanz ist zwar 1510 bekannt geworden, daß dem Frauenwirt ein Mädchen verbotenerweise versetzt worden war, ob er es nun aber nach Ulm oder Chur weiterverschickt hat, das weiß man nicht. Deswegen gebietet man ihm, das Mädchen wieder herbeizuschaffen, garantiert ihm dafür sogar die doppelte Auslösesumme von 2 Gulden.l" Ein deutliches Zeichen für die Machtlosigkeit des Rates gegenüber den Machenschaften des Frauenwirts. Selbst als die Frauenhäuser im Zuge der Reformation und Gegenreformation geschlossen werden, ist die fürsorgliche Haltung des Rates den Frauenhausbewohnerinnen gegenüber an manchen Orten noch spürbar. In Augsburg z.B. startet der Rat in den 1530er Jahren die Dirnen, die sich bekehren, mit Kleidern auslO4 und in München schenkt der Herzog 1595 den Dirnen, die sich bei Schließung des Frauenhauses verheiraten wollen, eine Mitgift, sieben der "schönen Frauen" werden in ein Kloster aufgenommen.l" Aber diese Mildtätigkeit bei Schließung der Frauenhäuser ist die Ausnahme: in der Mehrzahl der Fälle werden die Dirnen lediglich aus der Stadt gewiesen.P' Die Zeiten, in denen die Obrigkeit den Dirnen Schutz angedeihen ließ, sind nach der Reformation vorbei: Prostitution wird nun unter "Unzucht" subsumiert, ein Begriff, der typisch für die protestantische Moral ist, da er jegliche außereheliche Sexualität einschließt.'?' Wird in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dann eine Dirne in der Stadt ergriffen, treibt man sie im Regelfall mit Ruten aus der Stadt.!" Jäger 1791, S. 217 f.; Brucker 1889, S. 458. Roper 1985, S. 23 Anm. 27 StA Konstanz BI/28, f. 80 (1510); BI/29, f. 7 (1510); vgl. Meisel1957, 117 Anm. 18. Roper 1985, S. 10. Schauenhofer 1984, S. 138. Bern (Steck, Rudolf, Tobler, Gustav (Hg.): Aktensammlung zur Geschichte der Berner Reformation. Bern 1923, S. 1361); Butzbach (Otto, Eduard: Aus dem Volksleben der Stadt Butzbach im Mittelalter, in: Archiv für hessische Geschichte und Altenhumskunde N. F. 1(1893/4), S. 329-399, hier S. 375; Kaufbeuren (Alt, Karl: Reformation und Gegenreformation in der freien Reichsstadt Kaufbeuren. MUnchen 1932, S. 64); Köln (Irsigler/Lassotta 1984, S. 192); Luzern (Meyer-Ahrens 1841, S. 284); NUrnberg (Wies-' ner 1979, S. 280); ROSIOCk(Zober 1843, S. 196). 107 Roper 1985, S. 15. 108 Vgl. die unzähligen Falle bei Keller, Albrecht (Hg.): Maister Frantzn Schmidts Nachrichters in NUrnberg all sein Richten. Leipzig 1913. 101 102 103 104 105 106 Frauenhandel und Frauenhäuser im IS. und 16. Jahrhundert 189 Im Versuch, gegen den Frauenhandel einzuschreiten und die Abhängigkeit der Dirnen zu beschränken, zeigt der Rat der Stadt sein humanes Gesicht. Er fühlt sich verpflichtet, für die Schwächeren Partei zu ergreifen. Deutlich wird bei den Schutzbestimmungen für die Dirnen der Interessenkonflikt des Rates: einesteils wurde der Frauenhandel und die zu große Abhängigkeit der Frauen als illegitim betrachtet, da er dazuführte, daß die Frauen zu einem Leben als Prostituierte gezwungen wurden und keine Möglichkeit hatten, "Buße zu tun", andererseits wollte man aber auch den Ansprüchen des Frauenwirts gerecht werden, da er Garant für die Durchsetzung der Ordnung im Frauenhaus war. Die Praxis des Frauenhandels eröffnet uns Einblicke in das Zusammenleben in der Stadt, und hilft so das Bild zu korrigieren, das die Geschichtsforschung ausgehend von überwiegend normativen Quellen von der mittelalterlichen Stadt lange gezeichnet hat. Gar zu oft gerät der Historiker/die Historikerin in Gefahr, die tatsächlichen Möglichkeiten der Kontrolle, die dem Rat offenstanden, zu überschätzen. Am Beispiel der städtischen Frauenhäuser wird deutlich, wie machtlos der Rat gegen die Verselbständigung von Strukturen war, die er selbst geschaffen hatte. Verfolgte doch der Frauenwirt durchaus eigene Interessen, in deren Dienst er die Befugnisse stellte, die ihm vom Rat zugestanden worden waren. Zwar waren die Begleiterscheinungen der von ihm ausgeübten Kontrolle sicher nicht im Sinne des Erfinders - sprich der Ratsherren - aber diese schluckten manche Vergehen, waren sie doch andererseits auf den Frauenwirt angewiesen, um überhaupt ein Minimum an Ordnung durchsetzbar zu machen. Bezeichnenderweise setzt die Gesetzgebung gegen den Frauenhandel zu einer Zeit ein, als auch die Aufsicht über die städtischen Armen intensiviert wird. Sie ist mit der "Armenpolitik" als Zeichen eines Ausbaus der Kompetenzen der städtischen Obrigkeit zu werten: der Rat versucht nun neben der Erfüllung reiner Ordnungsaufgaben zunehmend auch moralische Ansprüche in die Praxis umzusetzen.!" Zunächst sind die Dirnen, zumindest die des Frauenhauses, geschützt durch die Anerkennung ihrer Notwendigkeit, noch vor den Auswirkungen der "neuen Sltrlicbkeit'v'" verschont. Sie profitieren sogar in mancher Hinsicht von dem moralischen Anspruch der Obrigkeit. Als aber die Legitimation der Frauenhäuser mit der Reformation in Frage gestellt wird, werden auch die Frauenhausdirnen zu Opfern der neuen Moral. In einem langen Prozeß der Marginalisierung waren sie seit dem 15. Jahrhundert immer mehr aus der Öffentlichkeit verschwunden. Nun, als Luther der Prostitution ihre Berechtigung abspricht, wird es möglich, die Dirne aus der Gesellschaft auszugrenzen. Wenn die Ehe zum einzig legitimen Ort für Sexualität erklärt wird, hat die Prostituierte keinen Platz mehr in der Gesellschaft. 109 Fischer, Thomas: Die Anfänge der frühbürgerlichen Sozialpolitik, in: Marzahn, Christian/Ritz, Hans-Günther (Hg.): Zähmen und Bewahren. Die Anfänge der bürgerlichen Sozialpolitik. Bielefeld 1984, S. 69-89, hier: S. 88. 110 Schubert 1985, S. 125. Anschrift der AulOrin: Beate Schuster, Baumschulenweg 18,3400 Göttingen