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Seite 2 - Egbert Rühl - Hamburg - "Hausbesetzungen sind ein akzeptables Mittel" - ...
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SZENE
Herr Rühl, hat man Sie von Mannheim nach Hamburg geholt, weil Sie
nicht Teil des Hamburger Klüngels sind?
Egbert Rühl: Ich weiß nichts von einem Hamburger Klüngel. Ich hoffe, dass
meine Herkunft nicht der einzige Punkt ist, der für mich gesprochen hat.
Aber ich würde das auch als Vorteil empfinden.
Es wurde ja monatelang gesucht. Warum war es so schwer, diese Stelle
zu besetzen?
Das Ungewöhnliche an dieser Stelle ist ja, dass eine Position besetzt wird,
deren Aufgaben noch gar nicht klar definiert sind. Wenn man einen
Schauspieldirektor sucht, weiß man ungefähr, was man von einem
Schauspieldirektor zu erwarten hat. Wenn man aber einen Leiter einer
Hamburg Kreativ GmbH sucht, dann ist dies eine Aufgabe, bei der es zwar
Vorstellungen gibt, aber noch keine konkreten Erfahrungen. Das macht es
schwierig, aber auch sehr spannend.
Bisher waren Sie Leiter der Kultureinrichtung Mannheimer Feuerwache
– was gehörte dort zu Ihren Aufgaben?
Die Feuerwache ist eine der wichtigsten Kultureinrichtungen Mannheims,
neben Kunsthalle, Reiss-Engelhorn-Museen und Nationaltheater – und ich
bin dort künstlerischer und kaufmännischer Leiter. Wir sind ein Haus, das
sich vor allem der darstellenden Kunst widmet, bei uns findet das
internationale Jazzfestival "Enjoy Jazz" statt, wir haben einen Kunstraum
betrieben und veranstalten jährlich auch ein großes Literaturfest.
Was erhofft sich Hamburg mit der Gründung einer Kreativ GmbH?
Dahinter steckt der ausdrückliche Wunsch, die Kreativwirtschaft in Hamburg
zu fördern. Es geht um neue Perspektiven für die Stadtentwicklung und die
Entwicklung neuer Strategien. Natürlich erhofft sich Hamburg primär eine
Stärkung dieses Wirtschaftszweigs.
Bei solchen Förderprogrammen geht es ja meist um Mehreinnahmen,
mehr Attraktivität für Touristen oder die Aufwertung von Immobilien –
mit den bekannten Folgen der Gentrifizierung.
Das Thema ist natürlich nicht unproblematisch. Aber für die GmbH geht es,
ein wenig losgelöst vom Verwertungsprozess, auch darum, zu fragen, welche
Instrumente entwickelt werden können, um die individuelle Situation der
Akteure oder Unternehmen zu verbessern.
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Sie kommen in Hamburg an einen noch immer schwelenden Brandherd,
und zunächst wird es wohl sehr schwer werden, die Akzeptanz der
Akteure zu gewinnen. Haben sich darauf schon vorbereitet?
Kann man sich darauf vorbereiten? Die Stelle ist umstritten, das ist mir
bewusst. Und ich finde es sehr spannend, dass in Hamburg gerade
exemplarisch für die ganze Republik Konflikte ausgetragen werden. Das ist
gut so, denn immerhin liegen die Konflikte schon einmal offen auf dem
Tisch. Jetzt man kann überlegen, in welche Richtung man gehen möchte.
Grundsätzlich gilt: Die Stadt kann die Instrumente zur Förderung von
Kreativen nicht an den Akteuren vorbei entwickeln. Daher wird mein erster
Schritt sein, mit möglichst vielen Akteuren ins Gespräch zu kommen, um die
Bedürfnisse abzufragen, um dann im nächsten Schritt zu überlegen, welche
Bedürfnisse wir befriedigen können und wollen.
Wie sieht das konkret aus? Kann ich dann als Akteur der
Kreativindustrie Ihnen persönlich mein Leid klagen?
Der Katalog der Aufgaben, die angedacht sind, ist schon sehr umfangreich:
Wir vermitteln Beratung in juristischen Fragen und werden um
Qualifizierung der wirtschaftlichen Kraft von Akteuren oder Unternehmen
bemüht sein. Es geht dabei zum Beispiel auch darum, die finanzielle Lage zu
stärken, um Möglichkeiten auf dem Kreditmarkt zu schaffen, damit
Unternehmen es einfacher haben, an Risikokapital zu kommen. Und das
muss alles sehr genau abgewägt werden: Den Musikern muss man helfen,
möglichst viel Geld aus der Gema herauszuziehen, und den Clubs muss man
dabei helfen, möglichst wenig Gema-Gebühren zu zahlen. Es geht auch um
konkrete Hilfe, um die Vernetzung und Selbstvermarktung, um zum Beispiel
die Produkte der Kreativwirtschaft zu einem potenziellen Kunden zu bringen.
Wir befinden uns hier an einer Schnittstelle der Gesellschaft, deshalb gibt es
ja auch diese großen Verwerfungen und Unsicherheiten.
Konkret gehören rund 64 000 Menschen zur Kreativwirtschaft – von
Presse, Werbung, Film, Software bis Kunst. Nicht unbedingt homogene
Bereiche. Wie wollen Sie diese denn vernetzen?
Man kann Dinge nicht zusammen zwingen, die nicht zusammen passen. Aber
man kann natürlich versuchen, Berührungsängste abzubauen. Das ist eine
kommunikative und integrative Aufgabe. Aber die authentische Kunst muss
natürlich unangetastet bleiben. Das ist ganz wichtig, es geht nicht darum die
Produkte dem Markt anzupassen. Wir sagen keinem Maler, weil gerade die
Farbe Gelb angesagt ist, male bitte nur gelbe Bilder. Die sollen, um Gottes
Willen, das machen, was sie machen wollen. Die Förderung der
Kreativwirtschaft steht neben der klassischen Kulturförderung und ersetzt sie
nicht. Da sind oft Ängste im Spiel, die keinen realen Anlass haben.
Der US-Ökonom Richard Florida hat viel über Kreativität in Städten
geschrieben und glaubt, dass Städte nur wachsen und attraktiv bleiben,
wenn es genug Mitglieder der "kreativen Klasse" gibt. Welche Faktoren
muss eine Stadt wie Hamburg erfüllen, damit die Kreativen nicht
auswandern?
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Kreative müssen sich in den Städten willkommen fühlen. Und man muss die
Kreativen in ihrer Arbeit ernst nehmen – und in der Haltung zu ihrer Arbeit.
Man darf das nicht vereinheitlichen. Ich habe mein ganzes berufliches Leben
in der Kreativwirtschaft verbracht – ich weiß sehr genau, wie dort gedacht,
gefühlt und gelebt wird.
Was sagen Sie denn zu den jüngsten Hamburger Entwicklungen im
Gängeviertel und Frappant?
Meine Kenntnisse sind da zu gering, deshalb halte ich mich da zurück. Ich
muss erst mit den Akteuren reden, um ein Gefühl für die Situation zu
bekommen. Die Frage dahinter ist ja: Warum ziehen Künstler nach Berlin?
Dahinter steckt auch eine gefühlte Konkurrenzsituation zwischen den
Städten, bei der das Marketing wieder eine Rolle spielt. Aber welche Vorteile
hat ein Künstler, wenn er nach Berlin geht? Kann er sich dann damit
schmücken, ein Künstler aus Berlin zu sein? Oder hat er bessere
Arbeitsbedingungen, Vermarktungschancen, bessere Galerien?
Ein einfacher Grund ist ja auch: Die Mieten für Wohnungen und
Ateliers sind in Berlin billiger.
Natürlich gehören Immobilien auch zu unseren Themen. Darum geht es ja
auch beim Gängeviertel und Frappant – aber wir werden den
Immobilienmarkt in Hamburg nicht auf den Kopf stellen können. Klar ist:
Man muss Produktionsbedingungen schaffen, die gut für die Kreativen sind.
Aber wir wollen keine Kreativzentren bauen, die im Zweifelsfall nicht
angenommen werden. In England sind solche Versuche grandios gescheitert.
Wir werden schauen: Wo wollen die Akteure sein, um dann zu ermöglichen,
dass sie dort hinkommen und dort auch bleiben können.
Als Historiker und Soziologe kennen Sie die historischen Konfliktherde.
Eigentlich geht es immer um den Gegensatz Kunst/Kreativität versus
Kapital. Kommt man nicht schnell an den Punkt, an dem man sich für
eine Seite entscheiden muss?
Joseph Beuys hat gesagt: "Kunst ist Kapital". Und was hat er damit wohl
gemeint? Die eigentliche Frage ist: Befinden wir uns wirklich in einem
Konflikt mit dem Kapitalismus? Ich glaube nicht, dass die Hamburger
Kreativ GmbH daran arbeitet, den entwickelten Kapitalismus des 21.
Jahrhunderts zu überwinden. Die Kreativindustrie wird ja auch gefördert,
weil man von ihr erwartet, dass sie einen Ausweg aus den Krisen, in den wir
uns momentan befinden, aufzeigt. Und man ahnt wohl schon, dass dieser
Ausweg kein rein kapitalistischer Weg ist.
Zum ersten Mal seit langem gab es im Hamburger Gängeviertel eine
Hausbesetzung. Können auch Hausbesetzer und Demonstranten auf Ihre
Unterstützung hoffen?
Die Hamburg Kreativ GmbH ist eine Gesellschaft, die der Senat der Stadt
finanziert. Die Gesellschaft hat nicht die Aufgabe Hausbesetzungen und
Demonstrationen zu unterstützen. Aber wenn es inhaltlich in die richtige
Richtung zielt, dann habe ich als Privatperson nichts gegen solche Mittel. Ich
finde es richtig, wenn Hausbesetzungen auf Missstände aufmerksam machen
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und für die Stadtgesellschaft Position beziehen. Diese Formen finde ich
akzeptabel, wenn sie besonnen vorgetragen werden und sich daraus auch eine
Perspektive für die ganze Stadt und nicht nur für einzelne Individuen
entwickelt. Sonst ist es für das Gemeinwesen nicht mehr interessant.
Zum Thema auf www.art-magazin.de:
http://www.art-magazin.dehttp://www.artmagazin.de/szene/21736/gaengeviertel_hamburg_karin_von_welck
http://www.art-magazin.dehttp://www.artmagazin.de/szene/21546/hausbesetzung_gaengeviertel
http://www.art-magazin.dehttp://www.artmagazin.de/szene/23985/off_spaces_neue_serie
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