Als Karneval Männersache war
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Als Karneval Männersache war
Seite 24 FREIZEIT-TOUREN FT_FW-1 Völlig heruntergetanzt: Die Ballettschuhe von Yvonne Reichsthaler. Sie war früher Tanzmariechen in Viernau. Montag, 20. Juli 2015 Gruselig sehen sie aus, die beiden Masken aus Pappmaché, die Martin Krieg, der Präsident des Wasunger Carneval Clubs (WCC), zeigt. Die Masken gehören seit jeher zum Fastnachtsspiel dazu. Martin Krieg führt auf Wunsch die Besucher durch das Karnevalmuseum in Wasungen. Fotos: ari Als Karneval Männersache war Zeilen heraus. Der Karneval war von der Rhön bis zum Thüringer Wald nicht totzukriegen. Das schafften auch ZAK (Zentraler Arbeitskreis Karneval), BAK (Bezirksarbeitskreis Karneval) und KAK (Kreisarbeitskreis Karneval) mit ihrer Zensur nicht. Ab 1963 machte das kleine Wasungen sogar republikweit als Karnevalshochburg von sich reden. Damals übertrug das DDR-Fernsehen die erste karnevalistische Sendung aus der Stadt an der Werra und der Schlachtruf „Woasinge ahoi“ schallte bis an die Ostseeküste. Allerdings brachten die Fernsehleute ihren eigenen Moderator mit, um wirklich auch jeglichen falschen ideologischen Narren-Zungenschlag auszuschließen. Später filmten das Treiben im Osten auch ARD und ZDF. Neben Köln und Mainz kam auch Wasungen im Westfernsehen. Während die Narren-Vereine im Westen auf honorige Sponsoren zurückgreifen konnten, mussten die Ossis mit dem Mangel leben. Mit guten Einfällen machten sie es wieder wett. Sie nähten sich ihre Kostüme selbst. Glitzernde Pailletten wurden wiederverwendet. Und die Zierknöpfe kamen manchmal mit dem Westpaket erst kurz vor dem Auftritt an. „Die Not machte erfinderisch“, erzählt Krieg und zeigt auf eine Gardeuniform. „Ursprünglich war das die Dienstkleidung einer ,Weißen Maus‘, eines Verkehrspolizisten. Wir haben sie einfach zum Kostüm umfunktioniert.“ Und was war mit den Orden, dem Stolz eines jeden Karnevalisten? Im Osten gab’s doch kaum Buntmetall – geschweige denn Material für all die Narretei. Die Jecken fertigten sie kurzerhand aus Plaste, Leder, Holz, Pappe, ja selbst aus Salzteig. Und schließlich stoppt Martin Krieg vor einer Puppe. „Sie trägt das Kostüm von Yvonne Reichsthaler aus Viernau“, erklärt er. „Unsere Tanzmariechen benutzten ihre Ballettschuhe solange, bis sie völlig heruntergetanzt waren. Neue bekam man schlecht.“ Prunkvoll hingegen ist das Prinzenpaar gekleidet, bei dem der Wasunger Präsident seinen Rundgang beendet. Die beiden Dummys sind eine Leihgabe der Erfurter Narren. Die Prinzessin zieht alle Blicke auf sich. Hübsch ist sie. Ernüchternd aber ist Kriegs Erläuterung: „Früher hatten Frauen beim Karneval nichts verloren. Weiblich wurde er erst im 19. Jahrhundert. Zuvor war er eine reine Männersache. Das Männerballett ist noch ein Relikt aus dieser Zeit.“ Doch er lächelt verschmitzt und fügt hinzu: „Ein Glück nur, dass es inzwischen die Frauenquote gibt.“ Karnevalmuseum Unverkennbar eine Elf – die beiden Umhänge des kleinsten Elferrats. Blick in private Sammlungen Oft sind es außergewöhnliche Sammlungen, die in privaten Museen auf Besucher warten. Einige stellen wir Ihnen in dieser Serie vor. Bereits erschienen sind: Murmelmuseum Sachsenbrunn (8. Juni), Trützschlers Milch- und Reklamemuseum Hildburghausen (15. Juni), das Friedhofsmuseum Kühndorf (22. Juni), das Wilderermuseum Gehlberg (29. Juni), das Museum Schau- u all hw bergwerk „Volle Rose“ (6. Juli) und das Zwergenmuseum Gräfenroda (13. Juli). Republikweit haben die Sammlungen Seltenheitswert – wir haben sie vor der Haustür. Die Betreiber setzen sich engagiert dafür ein, dass die Museen weiterbestehen. Werfen Sie mit uns einen Blick in die privaten Sammlungen und schauen Sie sich diese selbst einmal an. Karnevalmuseum Wasungen ge n rS tra ße Un t ert or Bahnhof Wasungen ra B ahnho Ne fstr. er aße Str 100m ße tr a ng ini Me e heim Ost aße Str rS se WASUNGEN e er Ob upt Ha str. zbac he Straß r e re r. te tst Un u p Ha Schw ar Wer Die prächtigen Kostüme ihres Prinzenpaares überließen die Erfurter Narren dem Karnevalmuseum. Sie sind in der Ausstellung im Wasunger Damenstift seither ein wahrer Hingucker. Das Damenstift ist eines der schönsten Gebäude von Wasungen. Neben dem Karnevalmuseum beherbergt es auch das Stadtmuseum. Sc Der Stroh- oder Erbsenbär ging anno dazumal auch in Thüringens Dörfern zur Fastnacht um. Der Wasunger Karneval geht auf das Jahr 1524 zurück. Ein Schriftstück beschreibt, dass der damalige Bürgermeister der Stadt an der Werra einigen „Gnacken“ (Narren) für die Fastnachtsspiele auf dem Markt einen Eimer Bier spendieren musste. Das geschah seinerzeit an einem Samstag. Deshalb ziehen die Wasunger heute nicht am Rosenmontag, sondern am Samstag zuvor in farbenprächtigen Kostümen und mit bunten Themenwagen durch die Stadt. Öffnungszeiten des Karnevalmuseums: Mo bis Fr 10 bis 12 Uhr und 13 bis 16 Uhr, Sa 10 bis 12 Uhr, So 14 bis 16 Uhr. Der Eintritt kostet einen Euro und fünfzig Cent. Führungen auf Anfrage über WCCPräsident Martin Krieg unter (0 36 94 1) 72 12 9. ————— www.karnevalwasungen.de Bei der Herstellung der Orden waren die Narren in der DDR einfallsreich. uto r K ennen Sie die Geschichte vom kleinsten Elferrat Deutschlands? Nicht? Im Wasunger Karnevalmuseum ist sie zu hören. Martin Krieg erzählt sie dort den Besuchern, wenn er sie durch die närrische Ausstellung im altehrwürdigen Damenstift führt. Die Gäste hören seine Schnäz immer wieder gern. So bezeichnen die Wasunger im Dialekt ihre Streiche. Und davon hat Martin Krieg, Vollblutkarnevalist und seit 1997 Präsident des ortsansässigen Carneval Clubs (WCC), eine ganze Latte auf Lager. Der kleinste Elferrat agierte in Bockstadt im heutigen Landkreis Hildburghausen. „Der Ort lag zu DDR-Zeiten im sogenannten Sperrgebiet, das heißt, die Einwohner waren auch zum Karneval so gut wie unter sich. Denn ins Dorf kamen Auswärtige nur mit einem Passierschein“, erzählt Martin Krieg. Im Karnevalsverein waren lediglich zwei Männer. Auf einen Elferrat wollten die Bockstädter trotzdem nicht verzichten. Die beiden Brüder waren zum Glück findig. Jeder von ihnen ließ sich einen Umhang nähen und heftete darauf eine große Eins. Nebeneinander marschierten sie dann in den Saal ein. Die Elf war für alle gut erkennbar. Der kleinste Elferrat war damit geboren. Die Umhänge der beiden sind noch heute im Kar- Ihre Narretei und ihr loses Mundwerk ließen sich die Wasunger über all die Jahrhunderte hinweg von keiner Obrigkeit verbieten. „Es war ein Ventil für den kleinen Mann, mal gehörig Dampf abzulassen. Und Missstände in Stadt und Staat aufs Korn zu nehmen“, erzählt der Präsident. Auch und vor allem in der DDR war das so. „Jede Büttenrede war damals eine Gratwanderung“, erinnert er sich. „Du hast ausgetestet, wie weit du gehen kannst und ab wann es gefährlich wird. Schließlich saß die Stasi immer im Saal. Horch und Guck auszutricksen, das gab uns den besonderen Kick.“ Büttenredner und Publikum verstanden sich trotz allem mühelos: Der eine übte Kritik an den Mächtigen durch die Blume und die anderen hörten sie zwischen den Me hm el Von Ilga Gäbler nevalmuseum zu bewundern. Es war vor weit mehr als zehn Jahren. Da kam den Obernarren vom Landesverband der Thüringer Karnevalsvereine die Idee, ein Karnevalmuseum einzurichten. Mit 26 Vereinen ist der Verband heute übrigens der drittgrößte in Deutschland. Am besten war das Museum natürlich da angesiedelt, wo der Karneval hierzulande seine ältesten Wurzeln hat – in Wasungen im Landkreis SchmalkaldenMeiningen. Dass das tatsächlich so ist, belegt ein offizielles Schriftstück aus dem Jahr 1524. Genau an jener Stelle, an der das historische Dokument eingerahmt an der Wand hängt, beginnt Martin Krieg seinen Rundgang durch die Ausstellung. Die Tradition aber, mit viel Klamauk und Tamtam den Winter auszutreiben, ist viel älter. Sie ist heidnischen Ursprungs. Auch in Thüringens Dörfern ging damals der Erbsen- oder Strohbär zur Fastnacht um. Ein Stroh-Kostüm im Museum erinnert an diese Zeit. Mit Schellen, Glocken und Ratschen machten die Narren dem Bösen den Garaus, jagten Hexen und Teufel davon. „Ob arm, ob reich, als Narren sind alle gleich. Der eine schlüpft in die Rolle des anderen“, sagt Martin Krieg und zeigt auf das sogenannte Arme-Leute-Kostüm. Weil den einfachen Menschen der Stoff fehlte, ist es aus zahlreichen Flicken zusammengenäht. Doch wunderbar ist es allemal, vor allem so schön kunterbunt. Furchteinflößende Masken blicken aus einer Vitrine nebenan die Museumsbesucher an. Martin Krieg erklärt: „Die sind ein Überbleibsel aus der DDR. Damals wurden sie in Ohrdruf aus Pappmaché hergestellt. Es gab sogar Ganzkörpermasken.“ Ganz früher lief nämlich ohne diese Masken kein Fastnachtsspiel. Da habe auch der Straßenkarneval seinen Ausgangspunkt, sagt Krieg. „An diesem Brauch halten wir noch heute fest.“ Ein Wasunger Karneval ohne Umzug? Das ist undenkbar. r Es ist noch lange hin, bis die Narren in der fünften Jahreszeit wieder das Sagen haben. Wer jedoch nicht warten will, fährt nach Wasungen – in die Stadt, die sich das ganze Jahr über mit dem Karneval beschäftigt. Da gibt es sogar ein Karnevalmuseum. Grafik: A. Roch maps4news.com/©HERE