„Die Katze war im Schnee erfroren“, Interpretation - Robert
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„Die Katze war im Schnee erfroren“, Interpretation - Robert
Dieser Text wurde am Robert–Koch–Gymnasium Deggendorf erstellt. Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an [email protected]. Analyse und Interpretation von WOLFGANG BORCHERT „Die Katze war im Schnee erfroren“ (s. unten) Laura Lippmann, 10 b Themenstellung: • Erschließen Sie die Kurzgeschichte gründlich nach Inhalt, Aufbau, sprachlichen (Wortwahl, Satzbau) und rhetorischen Mitteln. • Interpretieren Sie die Geschichte auf der Basis Ihrer bisherigen Ergebnisse, wobei Sie vorrangig überlegen, welcher Zusammenhang zwischen der Erzähltechnik und Inhalt besteht. Die Kurzgeschichte „Die Katze war im Schnee erfroren“ von Wolfgang Borchert erzählt von Soldaten, die im Winter ein Dorf niederbrennen und im folgenden Frühling immer wieder an ihre Tat erinnert werden. Im ersten Absatz wird das brennende Dorf beschrieben, der zweite Absatz liegt zeitlich vor dem ersten und handelt von dem Befehl, der gegeben wird, und im letzten Teil ist es Frühling nach der Zerstörung des Dorfes. Die Substantive dieser Geschichte sind durchgängig konkret („Männer“ 1, „Dorf“ 3, „Fleck“ 2, „Soldaten“ 4, „Krieg“ 4) und geben im ersten Absatz ein Bild der Zerstörung wider. Im 3. Absatz werden frühlingshafte Substantive („Birnbäume“ 29, „Sonne“ 31) mit denen des ersten Absatzes gemischt („Knochen“ 38). Dadurch entsteht ein unwirkliches Bild, als ob der Frühling nicht wirklich vorhanden sei, oder als ob er vom Krieg verdrängt wird. Das einzige abstrakte Substantiv ist „Musik“ (Z.26), das im Kontext von Befehl und Krieg fehl am Platz wirkt. Die nicht allzu häufigen Verben stammen hauptsächlich aus dem Bereich der Lautäußerung („summen“ 1, „schreien“ 5) oder es sind statische Verben in bezug auf die Menschen („standen“ 9), oder dynamisch in bezug auf das Feuer („brennen“ ). Im letzten Teil sind vor allem dynamische Verben vorhanden („gingen“ 28, „spielten“ 34, „schlagen“ 39). Die relativ wenigen Adjektive erzeugen Atmosphäre und wirken beschreibend; sie sind notwendig. Bsp.: Z.2: „Es war ein hässlicher roter Fleck“ . Würde man sagen „Es war ein Fleck“ würde die Wirkung verloren gehen. Die Adjektive verstärken im ersten Absatz das von den Substantiven erzeugte Bild der Zerstörung („rot“ 2, „hässlich“ 6, „blutig“ 8). Der Satzbau beinhaltet keine Hypotaxe, er fast rein parataktisch, nur teilweise elliptisch. Er zeigt die ganze Geschichte in Bruchstücken auf, erklärt nicht und bringt den Leser näher an das Geschehen. Mit jedem Satz kommt eine Information zu der vorherigen hinzu (z.B.: „Es war ein hässlicher roter Fleck. Denn der Fleck war ein Dorf.“ ) Die Geschichte wird von einem rhetorischen Mittel dominiert, der Wiederholung. Jedes Motiv wird in den folgenden Sätzen mehrmals wieder aufgegriffen (Z.1-3 „Fleck“ ) oder auch im gleichen Satz („Aber die Häuser, die brannten und brannten und brannten doch“ 14,15). Durch die Wiederholungen der Sätze, Satzglieder und Substantive wird die Die Inhaltsangabe könnte noch etwas abstrahierender vorgehen. Hier werden etwas zu stark Details betont. Sehr gut gesehen! So ist es richtig: Bedeutung hat vor allem eine Phänomen, das aus dem Kontext heraussticht. wohl eher: wertende Adjektive, eben z.B. „hässlich“. Rein Atmosphäre verleihende Substantive könnte man ohne semantischen Verlust weglassen, z.B. „holder Frühling“ oder „kühler Schatten“. Das ist die wesentliche Interpretation, die auch für die Interpretation zentral wird. Hier wird also die Interpretation analytisch vorbereitet. Ganz richtig. Es ist häufig so, dass es eine Hierarchie von rhetorischen Mitteln gibt. Z.B. zum Mittel der Ironie muss eine ganze Reihe anderer beitragen, z.B. Emphase, Übertreibung usw. Dieser Text wurde am Robert–Koch–Gymnasium Deggendorf erstellt. Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an [email protected]. ganze Geschichte eindringlich. Sonst gibt es nur relativ wenige rhetorische Mittel, nur noch die Ellipse („Ganz weit ab“ 27), die Personifikation des Schnees, der schreit, bzw. schreien will und dem Schnee dadurch eine unheimliche Lebendigkeit verleiht und das Hyperbaton („Schrie hässlich, der Schnee“ 6), das die Geschichte noch fragmentarischer macht. Die Erzählung ist wie aus der Sicht eines Kindes geschrieben, das nicht begreift, dem sich das Geschehen nur in Bruchstücken eröffnet („Die Männer hatten es angesteckt. Denn die Männer waren Soldaten“ 3,4). Die ständigen Wiederholungen führen einem jedoch alles klar vor Augen; das Nicht-Begreifen, die Unmöglichkeit alles in seinen ganzen Ausmaßen zu erfassen. Die Soldaten begreifen nicht, was sie getan haben, begreifen bis zum Schluss nicht, sie werden jedoch von dem Geschehen am Anfang wieder eingeholt. Sie sehen rosanen Schnee (rosa: die Farbe des Blutes im Schnee) und beginnen sich zu fürchten. In dieser Furcht liegt vielleicht der erste Ansatz des Verstehens. Sie beginnen sich mit ihren Taten im Winter auseinander zu setzen. Auch der Schnee trägt zu dieser Furcht bei, am Anfang konnte er nicht schreien, im 3. Absatz schreit der Schnee aus ihrer Erinnerung und lässt sie „nie wieder los“ . Der stumme Schrei des Entsetzens der Dorfbewohner oder der Soldaten, die das Dorf niedergebrannt haben, kommt an die Oberfläche. Durch diesen Schrei können die Männer die Realität ihrer Tat erfassen. Die Geschichte spielt in der Zeit kurz nach dem Krieg. Ähnliche Szenen wie im ersten Absatz spielten sich überall ab. Der parataktische Satzbau zeigt auch, dass man den Sinn des Krieges nicht verstehen kann, was passiert ist, warum es passiert ist. Das Land wird nur schwer wieder gesund; die Hinterlassenschaften des Krieges begegnen einem überall: „Knochen“ 38; „verkohltes Holz“ 35. Der Frühling ist nur im Vordergrund, im Hintergrund spielt sich etwas ganz anderes ab. Dieses Nicht-Verstehen, auf eine Art auch Realitätsferne, wird auch im zweiten Absatz sehr deutlich. Durch einen einzigen Telefonanruf wird der Befehl zum Niederbrennen eines ganzen Dorfes gegeben. Die Soldaten im Quartier hören es nur manchmal leise donnern. „Ganz weit ab“ (Z.27). Auch durch die Musik und das singende Mädchen geht der Bezug zur Wirklichkeit verloren. Das wird ebenfalls durch die Überschrift klar. Diese bezieht sich nur auf die letzten paar Sätze, auf den weißen Knochen. Der ganze Teil, in dem Krieg herrscht, wird übergangen, es wird gezeigt, dass man so etwas nicht einfach einer Überschrift zuordnen kann. Erst wieder der Tod der Katze im Schnee ist eine klare Tatsache, der einfache Grund ist, dass sie erfroren ist. Dieses Paradoxe, die Geschichte und der schlecht passende Titel, lässt den Leser nachdenklich werden. Die ganze Geschichte zeigt, dass der Krieg nicht wirklich mit dem Kriegsende zu Ende ist, sondern noch lange in den Menschen und der Umgebung nachwirkt. Kurz, knapp und prägnant beschrieben. Hier nähert sich der Gedankengang und auch die Analyse der Interpretation an: Die Art des Erzählens spiegelt einen kognitiven Vorgang! Hier ist zunächst der Schlusspunkt der Argumentation: Das bruchstückhafte Erzählen muss das Begreifen ersetzen. Sehr gut gesehen!!! Ganz richtig: So gewinnt der analytische Befund eine interpretatorische Bedeutung. Diese These wird in der Folge noch einmal zusammenfassend erläutert. Dieser Text wurde am Robert–Koch–Gymnasium Deggendorf erstellt. Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an [email protected]. Die Geschichte wird knapp und präzise zusammengefasst und in ihrem Aufbau dargestellt. Die Analyse der sprachlichen Phänomene ist nicht ganz gründlich, bezieht sich aber durchwegs auf Relevantes. In jeder Hinsicht sehr überzeugend und tief schürfend wird die Geschichte hinsichtlich der Bedeutung der sprachlichen Mittel interpretiert. Auch in sprachlicher und darstellungstechnischer Hinsicht ist die Arbeit sehr gut gelungen. Ergebnis: sehr gut (= Note 1) Dieser Text wurde am Robert–Koch–Gymnasium Deggendorf erstellt. Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an [email protected]. DIE KATZE WAR IM SCHNEE ERFROREN Wolfgang Borchert 5 10 15 20 25 30 35 40 Männer gingen nachts auf der Straße. Sie summten. Hinter ihnen war ein roter Fleck in der Nacht. Es war ein häßlicher roter Fleck. Denn der Fleck war ein Dorf. Und das Dorf, das brannte. Die Männer hatten es angesteckt. Denn die Männer waren Soldaten. Denn es war Krieg. Und der Schnee schrie unter ihren benagelten Schuhen. Schrie häßlich, der Schnee. Die Leute standen um ihre Häuser herum. Und die brannten. Sie hatten Töpfe und Kinder und Decken unter die Arme geklemmt. Katzen schrien im blutigen Schnee. Und der war vom Feuer so rot. Und er schwieg. Denn die Leute standen stumm um die knisternden seufzenden Häuser herum. Und darum konnte der Schnee nicht schrein. Einige hatten auch hölzerne Bilder bei sich. Kleine, in gold und Silber und blau. Da war ein Mann drauf zu sehen mit einem ovalen Gesicht und einem braunen Bart. Die Leute starrten dem sehr schönen Mann wild in die Augen. Aber die Häuser, die brannten und brannten und brannten doch. Bei diesem Dorf lag noch ein anderes Dorf. Da standen sie in dieser Nacht an den Fenstern. Und manchmal wurde der Schnee, der mondhelle Schnee, sogar etwas rosa von drüben. Und die Leute sahen sich an. Die Tiere bumsten gegen die Stallwand. Und die Leute nickten im Dunkeln vielleicht vor sich hin. Kahlköpfige Männer standen am Tisch. Vor zwei Stunden hatte der eine mit einem Rotstift eine Linie gezogen. Auf eine Karte. Auf dieser Karte war ein Punkt. Der war das Dorf. Und dann hatte einer telefoniert. Und dann hatten die Soldaten den Fleck in die Nacht reingemacht: das blutig brennende Dorf. Mit den frierenden schreienden Katzen im rosanen Schnee. Und bei den kahlköpfigen Männern war wieder leise Musik. Ein Mädchen sang irgendwas. Und es donnerte manchmal dazu. Ganz weit ab. Männer gingen abends auf der Straße. Sie summten. Und sie rochen die Birnbäume. Es war kein Krieg. Und die Männer waren keine Soldaten. Aber dann war am Himmel ein blutroter Fleck. Da summten die Männer nicht mehr. Und einer sagte: Kuck mal, die Sonne. Und dann gingen sie wieder. Doch sie summten nicht mehr. Denn unter den blühenden Birnen schrie rosaner Schnee. Und sie wurden den rosanen Schnee nie wieder los. In einem halben Dorf spielen Kinder mit verkohltem Holz. Und dann, dann war da ein weißes Stück Holz. Das war ein Knochen. Und die Kinder, die klopften mit dem Knochen gegen die Stallwand. Es hörte sich an, als ob jemand auf eine Trommel schlug. Tock, machte der Knochen, tock und tock und tock. Es hörte sich an, als ob jemand auf eine Trommel schlug. Und sie freuten sich. Er war so hübsch hell. Von einer Katze war er, der Knochen.