Gewaltdarstellungen in den Medien

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Gewaltdarstellungen in den Medien
Gewaltdarstellungen in den Medien - eine europäische Diskussion
(aus Dokumentation zur Tagung „Medien ohne Grenzen - Brauchen wir einen europäischen Jugendschutz?“)
Vorspann
In einem Interview vom 13. Mai 1996 in der USA-Today verkündete Dustin Hoffman die
Selbstverpflichtung in keinem amerikanischen Gewaltfilm mitzuwirken.
Jack Lemmon sagte auf der Berlinale im Februar 1996 anläßlich seiner Ehrenpreisverleihung, daß
er in keinem Film spielen werde, in dem Gewalt verherrlicht werde. Wörtlich fügte er hinzu: "Für
die Kosten des künstlichen Blutes in einem Schwarzenegger-Film ist es durchaus möglich, zwei
anspruchsvolle Filme mit mir zu drehen."
Jackie Chan, der bekannteste und beliebteste Actiondarsteller des Hong Kong-Kinos ist einer der
Wortführer, wenn es um Gewaltdarstellungen in Filmen im fernen Osten geht. Action und Humor
seien das zentrale Moment seiner Filme und nicht die Verherrlichung von Gewalt. Viel Wert legt er
darauf, daß während des Nachspannes sämtliche actionbesetzten Szenen in ihrer Entstehung
vorgestellt werden, um den jugendlichen Zuschauern Distanzierung zu ermöglichen.
Gewaltdarstellungen in den Medien ist also keineswegs eine Diskussion, die auf den europäischen
Kontinent beschränkt ist und schon gar nicht allein ein deutsches Thema.
Die technische Entwicklung vollzieht sich auf dem europäischen Kontinent in einem rasanten
Tempo. Medien werden internationalisiert. Schneller als Inhalte produziert werden können, werden
die Trägermedien und Übertragungswege europäisch vernetzt. Die Medienkonzerne beschränken
sich dabei nicht auf nationale Grenzen. Ihre Verästelungen sind nur noch von sachkundigen
Juristen durchschaubar und ähneln visualisiert durchaus den Stammbäumen des europäischen
Hochadels von Luxemburg bis Italien.
Künftige Entwicklung
Nationale gesetzliche Jugendschutzbestimmungen, wie beispielsweise die Regelung in
Deutschland, daß Videos, die nicht mindestens eine Freigabe ab 16 Jahren besitzen, nicht im
Versandhandel geführt werden dürfen, werden zunehmend hinterfragbar. Diese Regelung ist in
Europa übrigens einzigartig. Ein Versandhändler aus Holland, Frankreich, Dänemark oder
Großbritannien kann folgenlos den deutschen Markt beliefern. Es bleibt ihm unbenommen auch
indizierte, pornographische oder nach § 131 StGB beschlagnahmte Filme an deutsche Kunden zu
schicken. Deutsche Behörden können höchstens bei der Verbreitung von Kinderpornographie
einschreiten, da hier auch der Besitz strafbar ist.
Die digitale Datenkompression macht es möglich, daß seit Januar 1996 über den Satelliten
"ASTRA 1 E" 150 komprimierte Kanäle aus dem Orbit strahlen können, die in ganz Europa zu
empfangen sind. Video-On-Demand ermöglicht es über die Telefonleitung - gegen Bezahlung
natürlich - von einem Großrechner eine Auswahl von mehreren 100 Videofilmen direkt abrufen zu
können. Hierbei handelte es sich rechtlich gesehen weder um den Vertrieb von Videos, denn der
Verkauf oder Verleih in einer Videothek fällt weg, noch um Sendungen, die unter den
Rundfunkstaatsvertrag fiehlen. Mittlerweile ist geklärt, daß es sich hierbei um Dienste handelt, die
sich an die Allgemeinheit wenden und somit Rundfunk im weitesten Sinne darstellen. Im
Kinobereich wird es nach kühnen Voraussagen in den nächsten 10 Jahren den Abschied vom
Zelluloid geben, die Kinoleinwand wird aus einem Bildschirm bestehen, der digitalisierte, technisch
brillante Bilder - versehen mit unterschiedlichen Tonkanälen - von einem Satelliten erhält, so daß
beispielsweise deutsche Kinos - ebenso wie dänische oder italienische - zentral von einem Sender
beliefert werden können. Mulitmedia- und Onlinedienste werden in immer perfekterer Machart
nicht nur textliche sondern visuelle Botschaften, Spiele ja ganze Filme zur Rezeption über den
heimischen Personalcomputer ermöglichen. Zukunftsmusik? Vielleicht! Sicher nicht für die
Möglichkeiten technischer Innovation. Grenzen dürften zur Zeit lediglich die leeren Taschen der
Privthaushalte setzen, die - noch - nicht gewillt sind ihre Hardwareausstattung entscheidend
aufzustocken.
Diese kurze Beleuchtung der technischen Entwicklung zeigt auf, daß es immer notwendiger sein
wird, sich über die Inhalte, die diese Medien transportieren werden, Gedanken zu machen. Konnte
Marshall Mc Luhan noch sagen: "The medium is the message" so ist es heute sicherlich richtiger,
den Ausführungen von Jo Groebel zu folgen, der sagt: "Die Faszination eines Leitmediums wird es
für Kinder und Jugendliche zukünftig nicht mehr geben. Kinder werden in einer medialisierten
Umwelt sozialisiert, sie umgibt ein Medienkanon, den sie variabel nutzen und aus dem sie sich
Botschaften und Inhalte heraussuchen." Einerseits eröffnen sich hierdurch Chancen und vielfältige
Möglichkeiten eines selbstbestimmten Umgangs mit diesen Medien.
Andererseits werden deren Inhalte aber, darüber besteht kein Zweifel - nicht anders als in der
gegenwärtigen medialen Populärkultur - nicht primär anspruchsvolle oder gar pädagogische
Botschaften vermitteln, sondern kommerzorientiertes Konsumgut. Sicherlich sind heutige Kinder
und Jugendliche in der Lage souveräner mit den angebotenen Medieninhalten umzugehen und
diese zu verarbeiten als die vorangegangene Generation. Auf der anderen Seite wird sich aber
diese mediale Kultur nicht um soziale und emotionale Befindlichkeiten junger Menschen scheren.
Mit einer ungeheuren Wucht werden Botschaften aller Art auf Kinder und Jugendliche
hereinprasseln. Die Adressaten der neuen Medienwelt werden die Kinder sein.
Technische
Innovation,
Wirtschaftsförderung,
Standortpolitik
waren
Themen
von
Podiumsdiskussionen auf der Cebit in Hannover. Relativ geringen Raum nahm der Jugendschutz
ein.
Ist Jugendschutz überhaupt noch möglich in einem grenzüberschreitenden Medientransfer, der
auf verschiedenartige juristische Regelungen in nationalen Grenzen trifft, deren Anwendungen
dann wiederum von kulturellen Eigenarten der einzelnen Länder abhängig ist?
Francois Fillon, Frankreichs Minister für Informationstechnologie, regt z.B. für die Regulierung der
Onlinedienste ein Abkommen an, das ähnlich dem internationalen Seerecht konstruiert sein
müsse und eine unabhängige Beraterkommission der UNESCO fordert, daß für Satellitenrundfunk
weltweit gültige Spielregeln insbesondere hinsichtlich der Inhalte dringend nötig seien. Norbert
Schneider, Direktor der Landesanstalt für Rundfunk in Düsseldorf, hält diese Forderungen für
ebenso redlich - wie wirklichkeitsfremd. Eine Weltregulierung sei nicht durchzusetzen,
wünschenswert aber sei mehr Koordination.
Genau diese Koordination nimmt sich auch im europäischen Rahmen noch recht bescheiden aus.
Kinofilme werden unterschiedlich nach Alterseignung klassifiziert, Videofilme brauchen teilweise
überhaupt keine Alterskennzeichnung, für grenzüberschreitendes Fernsehen existieren zwei
Regelungswerke von 1989, die EU-Fernsehrichtlinie und das Übereinkommen über das
grenzüberschreitende Fernsehen des Europarats, die Normen auch gegen Gewaltdarstellungen
vorgeben, wobei aber nicht geklärt ist, wie diese zu definieren sind; Computerspiele auf CD-ROM
werden für den deutschen Markt umprogrammiert, so daß das digitalisierte Blut nicht mehr rot
sondern grün erscheint und für deutsche Kinder weniger erschreckend als für italienische ist. Die
Online-Dienste bieten eine Auswahl von Jugendschutz-Kontrollsoftware an, die von Surf-Watch,
Safe-Surf, Task Force, Net Nanny, Cyber Sitter, Cyber Patrol bis zu den Net-Angels reicht und
von der sprachlichen Annotation eher an Spots der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
oder die Guardian Angels in New York erinnert, als an einen abgestimmten Jugendschutz.
Koordination ist lediglich dahingehend vorhanden, daß alle diese Angebote überall in Europa Geld
kosten und bezahlt werden müssen.
Das europäische Parlament entschied am 14. Februar dieses Jahres, daß neue audiovisuelle
Dienste nach der EU-Fernsehrichtlinie reguliert werden müßten und brachte am 08. Februar einen
Änderungsantrag für die EU-Fernsehrichtlinie ein, der für neue Geräte einen "Violence-Chip"
vorschreibt. Insbesondere gewalthaltige Angebote sollen hierdurch eingeschränkt werden. Helmut
Kuhne, medienpolitischer Sprecher der SPD-Europa-Abgeordneten, sieht durch diesen
Parlamentsbeschluß zukunftsweisende rechtliche Regelungen für den Bereich des Fernsehens
und der neuen audiovisuellen Abrufdienste. Bei aller Wertschätzung medienpädagogischer
Maßnahmen, die bis in den Vorschulbereich reichen müssen und einer gehörigen Portion Skepsis
gegenüber der Sinnhaftigkeit der digitalisierten verschließbaren Fernsehtruhe, stimme ich Helmut
Kuhne zu, ohne rechtliche Normen bleiben pädagogische Aktivitäten Stückwerk und Zufallstreffer.
Wie sieht es aber mit der inhaltlichen Angleichung dieser Normen in Europa aus?
Gegenwärtige Lage
Es besteht zumindest Konsens, daß Gewalt ein zentrales Thema der mit dem Jugendschutz in
Film, Video und Fernsehen befaßten europäischen Institutionen ist. Zwischen diesen Institutionen
findet seit Jahren ein Informationsaustausch statt, der bei der Angleichung von
Altersklassifizierungen bereits zu konkreten Ergebnissen geführt hat. Anfang 1995 haben sich 13
europäische Jugendprüfstellen bei der FSF in Berlin getroffen, um ihre Erfahrungen
auszutauschen und im Mai dieses Jahres kam ein Großteil dieser Institutionen wiederum in einer
Folgekonferenz bei der französischen Prüfstelle in Paris zusammen. Seit 1989 führt die Freiwillige
Selbstkontrolle der Filmwirtschaft mit der Nederlandse Filmkeuring einen Prüferaustausch durch,
der seit 1996 noch um die österreichische Jugendfilmkommission in Wien erweitert wurde. Diese
Beziehungen haben dazu geführt, daß sich die unterschiedlichen Klassifikationen zwischen
Holland und Deutschland angeglichen haben und große Diskrepanzen in der Filmbewertung
zwischen beiden Ländern selten geworden sind.
Trotzdem liegen innerhalb Europas die Einschätzungen doch deutlich auseinander. Während man
in Straßburg und Brüssel intensiv an einer Definition zur Pornographie diskutiert - einig ist man
sich lediglich in dem Verbot der Kinderpornographie - so divergieren die Beurteilungen bezüglich
Gewaltdarstellungen erheblich.
Daß diese Divergenzen nicht durch Gesetze allein zu lösen sind, zeigt gerade das
Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen, das u.a. das Ausstrahlen
pornographischer Beiträge oder Sendungen, die "Gewalt unangemessen herausstellen" verbietet.
Die Vorstellungen in Europa über das, was "eine unangemessene Herausstellung von Gewalt" ist,
unterscheiden sich jedoch. Sind dies allein Bilder physischer Gewalt, wie ist psychische Gewalt
einzuordnen, strukturelle Gewalt, staatlich-legimitierte Gewalt, Selbstjustiz? Die Liste ließe sich
fortsetzen.
Wie sieht denn nun die Vergleichbarkeit der Strukturen der europäischen Prüfstellen aus und zu
welchen Ergebnissen kommen sie bei den gleichen Filmen?
Altersfreigaben für Kinofilme, die in den meisten Ländern von einem Ministerium ausgesprochen
werden, das hierfür einen besonderen Ausschuß unterhält, haben zumeist verbindlichen
Charakter. Daneben gibt es, z.B. in Spanien, lediglich Altersempfehlungen, in Österreich vergibt
die Jugendfilmkommission Altersgrenzen für Filme, daneben unterhalten einzelne Bundesländer
noch eigene Prüfstellen, wobei es deshalb durchaus vorkommen kann, daß ihre Voten von der
Bundeskennzeichnung abweichen. Verbindliche Altersgrenzen für Videokassetten sind lediglich in
Großbritannien und Deutschland Vorschrift, während in Frankreich nur ein Abgabeverbot
pornographischer Videos an Kinder und Jugendliche besteht. In den Niederlanden gab es vor 2
Jahren eine große gesellschaftliche Diskussion, die die gesetzliche Alterskennzeichnung auch von
Videokassetten durch die Nederlandse Filmkeuring verlangte, was dazu führte, daß die
Vertriebsfirmen nun selbst eine eigene Alterskennzeichnung durchführen, die natürlich keinen
gesetzlichen Charakter hat und mehr den Geboten der Werbestrategie folgt als den
Erfordernissen des Jugendschutzes.
Völlig unterschiedlich sind die Regelungen für den Fernsehbreich. Das komplizierteste
Lizensierungsverfahren für Sender existiert in Deutschland, während in den Niederlanden zumeist
nur die wirtschaftliche Seriosität der Veranstalter überprüft wird und die Sendezeiten an keine
festen Vorgaben gebunden sind. Schaut man wiederum über die Grenze nach Frankreich so
dürfen dort Filme, die ab 12 oder ab 16 frei sind, erst nach 22 Uhr bzw. nach 22.30 Uhr
ausgestrahlt werden. Ähnlichkeiten mit Deutschland also! Allerdings werden in Frankreich nahezu
70% aller Kinofilme ohne Altersbeschränkung freigegeben, während es in Deutschland weniger
als 10% sind. Auch im Bereich der erotischen Darstellungen gibt es große Unterschiede. Filme,
die
in
Deutschland
aufgrund
ihres
vermeintlich
pornographischen
Charakters
höchstwahrscheinlich überhaupt nicht gesendet werden dürften, werden in Schweden während der
prime time ausgestrahlt. Dagegen haben sich die öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Sender in
Schweden einer Selbstbeschränkung unterworfen, die das Fernsehen vor 21 Uhr gewaltfrei
machen soll. Der größte private Anbieter TV 3 hat als erste Reaktion die Serie "Power Rangers"
vollständig aus dem Programm genommen.
Beleuchten wir einige Filmbeispiele :
"Rambo II" mit Silvester Stallone erhielt nach intensiven öffentlichen Diskussionen und nach
Einsprüchen mehrerer Bundesländer im Appellationsverfahren bei der FSK schließlich die
Kennzeichnung "nicht freigegeben unter 18 Jahren". In England erhielt der Film die gleiche
Kennzeichnung mit Schnittauflagen, in den Niederlanden wurde er ab 12 freigegeben, ebenso in
Frankreich. Die Kollegen der französischen Filmprüfstelle argumentierten hierbei, daß weniger die
Gewaltsequenzen als vielmehr die Rassendiskriminierung problematisch sei, die Handlung aber
so eindeutig fiktiv wäre, daß 12jährige, die über eine erhebliche Medienerfahrung verfügten, dies
ohne Probleme erkennen könnten. Hier zu sagen, die französischen Kollegen seien weniger
sensibel als wir, ist sicherlich zu kurz gegriffen. Unterschiedlich sind die Sichtweisen und
kulturellen Beurteilungsmuster .
In den meisten europäischen Ländern werden Actionfilme, die Gewaltdarstellungen mit Humor
würzen, und die teilweise ins Parodistische kippen, milder in der Alterskennzeichnung behandelt,
als Actionfilme, die sich selbst sehr ernst nehmen. In Norwegen wird dies gänzlich anders
gesehen. Gewalt als humorige Unterhaltung inszeniert, wird nicht als emotionale Entlastung für
den Rezipienten gesehen, sondern als Folie für Schadenfreude, die dazu beiträgt, Gewalt zu
verharmlosen. So ist es folgerichtig, daß ein Film wie Steve Guttenbergs "Police Academy" in
Norwegen eine wesentlich höhere Altersfreigabe hat als in Deutschland. Der schon zitierte
"Rambo II" erhielt in Norwegen dagegen die Kennzeichnung ab 15.
Während in nahezu allen EU-Ländern aufgrund des unüberschaubarer werdenden medialen
Angebotes strengere Alterskennzeichnungen gefordert werden, reagiert Dänemark in völlig
anderer Weise. Die Kultusministerin Jytte Hilden schlug vor, gänzlich die Alterskontrollen an den
Kinos und die gesetzlichen Altersgrenzen abzuschaffen. Als Begründung wurde allerdings nicht
die Resignation gegenüber den technischen Vertriebswegen angeführt, die gesetzliche Kontrollen
in der Tat immer schwieriger machen, sondern der schlichte Hinweis, daß das Bildungsniveau
dänischer Kinder und Jugendlicher im europäischen Vergleich so hoch sei, daß sie das Gesehene
problemlos
intellektuell
verarbeiten
könnten.
Die
sozialen
und
emotionalen
Verarbeitungsmöglichkeiten sprach Frau Hilden nicht an.
Ein weiteres Beispiel der Diskussionsvielfalt zu medialer Gewalt ist Oliver Stones "Natural Born
Killers". In Frankreich ab 16, in den Niederlanden ab 16, in beiden Ländern gewürdigt als Beitrag
zu einer gesellschaftlichen Gewaltdiskussion, in Irland ab 18 im Kino freigegeben, während er auf
Videokassette verboten wurde, in England freigegeben ab 18, ebenfalls in Deutschland. Wie kein
anderer Film in den letzten Jahren hat "Natural Born Killers" gerade in Deutschland zu einem
Sturm der Entrüstung geführt. Das hemmungslose Morden eines Gangsterpaares auf der
Leinwand führte dazu, daß Politiker verschiedenster Coleur trotz besseren Wissens die FSK
aufforderten, den Film zu verbieten. Meine Antwort hierauf, daß der Film verboten sei - für Kinder
und Jugendliche unter 18 Jahren - und ich der Ansicht sei, daß Erwachsene sich mit diesem Film
auseinandersetzen können müßten, zumal ein völliges Verbot die FSK selbstverständlich nicht
aussprechen könne, führte zu der Aufforderung, daß es mir aus ethisch-moralischen Gründen gut
anstünde, mich zumindest für eine Nichtverbreitung auszusprechen. "Verständnisvoller" waren
hier Journalisten eines Privatsenders, die mich diesbezüglich interviewten und Sympathie für
meine Position äußerten. In den abendlichen Hauptnachrichten dann gesendet, wurde das
Interview eingebettet in einen Kommentar, der besagte, daß von der FSK der blutrünstige Film
aller Zeiten freigegeben worden sei, und um dies zu unterstreichen, wurde noch ein junges Paar in
Paris gezeigt, das in ähnlicher Manier wie im Film von schwer bewaffneten Gangstern überfallen
wurde. Die veröffentlichte visualisierte Frucht 15-jähriger differenzierter Medienwirkungsforschung!
Es ist davon auszugehen, daß die Diskussion um den Film erneut entflammt, da Oliver Stone die
Verleihfirma drängte, demnächst die um dreieinhalb Minuten längere "Directors's Cut"-Version zu
veröffentlichen.
Als jüngstes Beispiel möchte ich noch den neuesten Film von Quentin Tarantino ansprechen:
"From Dusk till Dawn". In Deutschland wurde dieser Film, der sich zwischen Filmkunst und
Splattermovie bewegt, in der Berufungsinstanz mit der Kennzeichnung "Nicht freigegeben unter 18
Jahren" versehen, in Holland ab 16, in Schweden ab 15 und in Großbritannien ab 18 mit
Schnittauflagen. Während in Holland generell Schnittauflagen abgelehnt werden als unzulässiger
Eingriff in die Kunstfreiheit, kommentiert der Leiter der British Board of Filmclassification (BBFC)
die britische Schnittpraxis lakonisch: "Stay cool, a film is not a picture by Peter Paul Rubens!".
Ein Wort noch zu der Medienwirkung. Auf einer Tagung im September 1995 in Lund in Schweden,
konstatierte die amerikanische Psychologin Ellen Battela, daß es weltweit über 5000
Untersuchungen über den Einfluß medialer Gewalt auf Kinder und Jugendliche gebe - mit völlig
unterschiedlichen Ergebnissen. Ich folge nicht Hans Dieter Kübler, der dies als "gigantische
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Wissenschaftler und Institutionen" bezeichnet, aber ich
schließe mich Martin Rabius an, der bezüglich konkreter Ergebnisse sagt, daß zumindest "die
Gemengelage" schwierig sei. Einig ist man sich darin, daß Gewaltdarstellungen ein
"Wirkungsrisiko" beinhalten und junge Menschen den besonderen Schutz der Gesellschaft
genießen. Allein dies ist, nicht zuletzt aus ethischen Gründen, Anlaß genug, sich mit dieser
Thematik auseinanderzusetzen und Jugendschutz weder als lästiges Beiwerk rechtlicher
Regelungen zu betrachten (nach dem Motto: der Markt wirds schon richten!) noch als bloße
Bindestrich-Pädagogik zu begreifen.
Resümé
Gewaltdarstellungen in den Medien, so unterschiedlich sie noch bewertet werden, werden
zumindest als europäisches Thema wahrgenommen. Allein mit Resolutionen läßt sich dies aber
nicht in den Griff bekommen. Notwendig ist hierzu eine Schärfung der Begrifflichkeiten. Bei aller
Wertschätzung der Jurisprudenz ist hierbei dringend die Mitarbeit von Wissenschaftlern der
Medienwirkungs- und Rezipientenforschung erforderlich, sowie einem noch intensiveren
Austausch der Stellen in Europa, die sich mit Jugendmedienschutz konkret befassen.
Überlegenswert wäre der Aufbau eines europäischen Informationspools zur Koordination der
unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen und deren länderspezifischen Auslegungen.
Schlagzeilenträchtige Überschriften, die eine direkte Medienwirkung konstatieren, sind nicht
hilfreich. Kulturelle und religiöse Traditionen, die selbstverständlich den Jugendschutz
beeinflussen, sind nicht wegzuwischen mit dem schlichten Hinweis, daß die Medienindustrie sich
hierum nicht scheren wird, sondern sind einzubinden in einen europäischen Diskurs. Dieser
Diskurs findet auf der Fachebene statt. Die zuständigen politischen Gremien in Europa sollten
diese Erfahrungen verstärkt zur Kenntnis nehmen und nutzen. Audiovisuelle Medien sind eben
nicht nur Wirtschaftsfaktoren, die Standortsicherung und Arbeitsplätze bedeuten, sondern
Kulturfaktoren die Denkweisen, Einstellungen und Haltungen gerade junger Menschen prägen.
Die Resonanz aus Brüssel hierauf ist bisher noch gering.
Noch schwankt die veröffentlichte Meinung zwischen Euphorie und Kassandrarufen. Die gleiche
Energie, die für eine ökonomisch-politische Vereinheitlichung Europas aufgewendet wird, sollte
auch für den Jugendschutz gelten. Nur dann ist es möglich überhaupt noch einen wirksamen, mit
Augenmaß und unterschiedliche Traditionen berücksichtigenden Jugendschutz zu gewährleisten.
Folker Hönge
Ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der FSK