Perlen vor die Säue (Von der Entweihung des Heiligen)
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Perlen vor die Säue (Von der Entweihung des Heiligen)
Gt 08020 / p. 414 / 28.9.2007 Perlen vor die Säue (Von der Entweihung des Heiligen) Mt 7,6 (EvThom 93) Gebt nicht das Heilige den Hunden und werft nicht eure Perlen den Schweinen vor, damit sie sie nicht mit ihren Füßen zertreten, und sie sich nicht umwenden und euch zerreißen. Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit) Der Text umfasst zwei kurze, verneinte Imperative, denen ein zweigliedriger Finalsatz (»damit nicht«) folgt. Der Finalsatz könnte sich allein auf die Schweine beziehen. Er ist in der Sache aber besser zu verstehen, wenn eine chiastische Struktur angenommen wird (a-b-b’-a’). Der erste Teil des Finalsatzes würde dann die zu vermeidenden Folgen des untersagten Verhaltens gegenüber den Schweinen benennen und der zweite von den Hunden reden. So machen die Ereignisse mit Blick auf das Verhalten der genannten Tiere einen besseren Sinn (vgl. von Lips 1988, 173 f.). Der Satz ist metaphorisch zu verstehen, es geht weder um den Umgang mit Hunden noch um den mit Schweinen an sich. Darauf weist zweierlei hin. Zum einen hat das Metier des Verses – Perlen, Heiliges, Hunde, Schweine – sachlich im Kontext keinerlei Anknüpfungspunkt. Zum anderen ist die Parallelisierung auffällig (vgl. Luz 5 2002, 495). Sie lenkt von den Einzelaussagen ab und richtet den Blick auf einen den beiden Aussagen gemeinsamen Grundgedanken (vgl. Mt 10,16; Mk 10,43 f.; Lk 11,9 f./Mt 7,7 f. u. a.). Worauf der zielt, ist aus der sprachlich-narrativen Analyse allein nicht sicher zu gewinnen (vgl. von Lips 1988, 174). Sozialgeschichtliche Analyse (Bildspendender Bereich) Das griechische Wort kÐwn (kyōn) bezeichnet allgemein einen Hund, in den meisten Fällen sind in der Sache allerdings herrenlose Straßenhunde gemeint (vgl. Lk 16,21). Kleine Hunde und Hündchen, die als Haus- oder Schoßhunde mit den Menschen leben, werden eher als kun€rion (kynarion; vgl. Mt 15,26 f.) oder kunffldion (kynidion) bezeichnet (vgl. O. Michel 1938, 1100-1103). Straßenhunde leben von dem, was sie zu fressen finden (vgl. Ex 22,30; 1Kön 14,11). Ihr ständiger Hunger ist oft Thema (Jes 56,11; BQ 92b: »Ein Hund verschlingt vor Hunger Exkremente«; vgl. von Lips 1988, 175 f.). Dass von ihnen Gefahr ausgehen kann, leuchtet ein. Im biblischen Raum sind solche Hunde insgesamt wenig geschätzte, häufig verächtlich betrachtete Tiere (Pedersen 1992, 822). Mit co…ro@ (choiros) sind – wegen des Fütterns – wahrscheinlich Hausschweine, nicht Wildschweine gemeint. Die Zucht von Schweinen war im hellenistischen und römischen Bereich verbreitet (vgl. Mk 5,1 ff.; Lk 15,15; Colum. VII,9-11). Im Judentum dagegen gelten sie als unrein (Lev 11,7; Dtn 14,8). Nicht zuletzt deshalb werden sie – wie die Hunde – in der Bibel gering geachtet (Spr 11,22; Sir 22,13; Jes 65,4; 2Petr 2,22). 400 Gt 08020 / p. 415 / 28.9.2007 Perlen vor die Säue Mt 7,6 Die Perle dagegen gilt als etwas überaus Kostbares. Mit ihrem großen Wert spielt auch die Parabel in Mt 13,45 f. (Weiteres siehe dort). Analyse des Bedeutungshintergrunds (Bildfeldtradition) Zunächst ist noch einmal festzuhalten, dass Hund und Schwein im biblischen Raum oft mit negativen Assoziationen besetzte Tiere sind. »Hund« ist im Alten wie im Neuen Testament als abwertender Begriff oder Schimpfwort belegt (2Sam 9,8; 16,9; Spr 26,11; Ps 22,21; Phil 3,2; Apk 22,15 u. ö.). Schweine werden für wenig schmeichelhafte Vergleiche herangezogen (Spr 11,22; Jes 65,4; 2Petr 2,22; vgl. auch Billerbeck I 2 1926, 448 f.). Immer wieder wird ins Spiel gebracht, dass Hunde (und eventuell auch Schweine) metaphorisch auf Heiden bezogen werden können (vgl. Mt 15,21-28; rabb. Belege bei Billerbeck I 2 1926, 724 f.; II 2 1924, 447.449). Den Hunden soll »das Heilige« nicht gegeben werden. Den besten Sinn macht es im Rahmen der Bildwelt, wenn an Fleisch aus dem Opferbetrieb am Tempel gedacht ist (anders Cranford 2004, 356 f., der meint, mit Heiliges müsse wie mit den Perlen etwas nicht Essbares gemeint sein). Für den Verzehr von Fleisch, das bei den Opfern übrig blieb, oder andere Opfermaterie galten besondere Regeln (Lev 22,3.10-14; vgl. Ex 29,33 f.; Num 18,9-19). In den Qumranschriften findet sich ein Verbot, Hunde ins »heilige Lager« zu bringen, mit der Begründung, sie könnten Knochen des Heiligtums verspeisen und Fleisch, das noch an ihnen ist (4Q394 fr. 8 kol. 4,8 ff. [58 f.]). Rabbinische Quellen aus nach-neutestamentlicher Zeit kennen folgende Regel: »Man löst Heiliges nicht aus, um es die Hunde fressen zu lassen« (z. B. bBekh 3,15 zu Dtn 12,15 u. ö.), wobei im Kontext klar ist, dass von Fleisch geredet wird. Diese Befunde deuten darauf hin, dass das Verbot, Hunde Heiliges fressen zu lassen, in neutestamentlicher Zeit ein im jüdischen Umfeld bekannter Grundsatz gewesen sein könnte (vgl. van de Sandt 2002, 230-238; kritisch McEleney 1994, 495). Vorsichtige Hinweise gibt es, dass Perlen den Schweinen vorzuwerfen eine sprichwörtliche Wendung war. Sie taucht in einer parthischen Fabel und einem mandäischen Text auf (von Lips 1988, 167 f.). Letzterer lautet zum Beispiel: »Die Worte des Weisen an den Toren sind wie Perlen vor eine Sau« (Ginza R VII 218,30). In beiden Fällen ist die Pointe, etwas Wertvolles an die Falschen (an Toren oder – in der Fabel – an Gegner) zu verschwenden. Durch die Parallelen ist nicht sicher zu belegen, dass ein solches Sprichwort im Umfeld des Neuen Testaments allgemein bekannt war. Sie sind aber doch beachtlich und geben einen Hinweis, wo die Sinnspitze des Spruches liegt. H. von Lips (1988, 174-179) macht auf antike und orientalische Tiersprichwörter als traditionsgeschichtlichen Horizont aufmerksam. Viele dieser Sprichwörter formulieren Kontraste, indem sie etwas sagen, das zum Tier nicht passt (Wölfe als Wächter bei Schafen lassen u. Ä.). Auch das Thema ›falsches oder ungeeignetes Futter‹ kommt mehrfach vor. Die Pointe zielt je nach Spruch zum Beispiel darauf, dass etwas Überflüssiges gegeben wird (Hes. erg. 25: »dem Frosch Wasser zu trinken geben«) oder etwas Falsches (Apostol. cent. X, 31: »dem Hund die Spreu, dem Esel aber die Knochen« geben). Für den Finalsatz bietet das bislang besprochene Material kaum Parallelen (nur einige Tiersprichwörter nennen mögliche Folgen). Für das Verständnis im Kontext des Matthäusevangeliums ist wichtig, dass auch viele andere Parabeln am Ende Verben ent401 Gt 08020 / p. 416 / 28.9.2007 Parabeln im Matthäusevangelium halten, die eine Form von physischer Schädigung zum Ausdruck bringen (z. B. Mt 7,19: umhauen; 13,29 f.: ausreißen, binden, verbrennen; 21,41: vernichten, 24,51: entzweischneiden; vgl. Münch 2004, 210 f.). Häufig ist gut zu erkennen, dass Matthäus solche Verben auf das (endzeitliche) Gericht bezieht. Zusammenfassende Auslegung (Deutungshorizonte) In der Literatur zu Mt 7,6 begegnet regelmäßig der Stoßseufzer, der Text sei ein Rätsel. Immer wieder wird daher diskutiert, ob ein Übersetzungsfehler vom Aramäischen zum Griechischen vorliegt. Die Worte »Ring« und »Heiliges«, die im Aramäischen denselben Konsonantenbestand haben (aUds qdsch’), seien miteinander verwechselt worden. Über diesen und weitere Übersetzungsfehler wird als Urform rekonstruiert: »Legt den Hunden keinen Ring an. Und hängt eure Perlen nicht an den Rüssel der Schweine« (z. B. Jeremias 1966). Die sehr hypothetische Diskussion trägt für Mt 7,6 nichts aus. Hier ist der griechische Text zu interpretieren, den der Evangelist geschrieben und offenbar für sinnvoll gehalten hat. U. Luz schlägt vor, im Kontext des Matthäusevangeliums auf eine Deutung zu verzichten (5 2002, 497). Bei Autorinnen und Autoren, die dem nicht folgen, sind methodisch zwei grundsätzliche Vorgehensweisen zu beobachten, die miteinander kombiniert werden können: (1) Es besteht die Option, nach einer metaphorischen Bedeutung für die Begriffe der Parabel zu suchen, d. h. einerseits die mit Schweinen und Hunden gemeinten Personen oder Gruppen zu identifizieren (häufig Ungläubige und Andersgläubige) und andererseits das durch Perle und Heiliges bezeichnete Gut zu entschlüsseln (z. B. die Verkündigung, die Eucharistie, …). Dieses Vorgehen ist besonders bei Autoren zu beobachten, die den Spruch an sich für unverständlich halten (etwa McEleney 1994, 495-497; H. D. Betz 1995, 493-500). (2) Daneben kann die Pointe der parallelen Aussagen bestimmt und versucht werden, sie im Kontext zu deuten. Da der Text m. E. auf der Bildebene zumindest einigermaßen verständlich ist (vgl. Luz 5 2002, 496), muss dies der grundlegende Schritt sein (mit von Lips 1988, 170). H. von Lips (1988, bes. 179 f.) hat zu zeigen versucht, dass es um ein den Gewohnheiten widersprechendes, unangemessenes Füttern (und dann allgemeiner um unangemessenes Verhalten) geht. Hunde, die eigentlich gar nicht gefüttert würden, bekämen sogar Opferfleisch und Schweine, die sonst gut gemästet würden, völlig ungeeignetes Futter. Doch wird hier zu wenig berücksichtigt, dass es sich in beiden Fällen um sehr kostbares und zum Verfüttern gar nicht gedachtes »Futter« handelt. Die Pointe zielt eher auf das Geben von etwas sehr Wertvollem an unwürdige, unangemessene Adressaten (vgl. Strecker 2 1985, 151). Der zweite Teil des Verses warnt – zunächst auf der Bildebene verbleibend – vor den Folgen des falschen Verhaltens. Im Kontext des Matthäusevangeliums wird dies überlagert, indem die angekündigten Folgen – durch die Verben »zertreten« und »zerreißen« und ihr Assoziationspotential – für das göttliche Gericht transparent sind, also mit diesem gedroht wird für den Fall, dass mit dem wertvollen Gut – was immer gemeint ist – so umgegangen wird. Mit diesen Überlegungen ist allerdings noch nicht sehr viel gewonnen. Schwierig bleibt, was der Spruch in seinem matthäischen Kontext besagen soll. Viele ziehen den 402 Gt 08020 / p. 417 / 28.9.2007 Perlen vor die Säue Mt 7,6 Vers zu Mt 7,1-5. Er wolle eine Grenze für das Gebot, nicht zu richten, ziehen. Ab einem bestimmten Punkt, wenn die Wahrheit des Glaubens auf dem Spiel steht, müsse doch ein deutlicher Trennungsstrich gezogen werden (z. B. Strecker 2 1985, 152). Ein solches Ringen mit Grenzen des Vergebens und aufeinander Zugehens lässt sich auch in Mt 18 (bes. V. 15-18) beobachten. Andere denken an Erfahrungen der Mission. Wenn die Verkündigung auf Ablehnung und Verhöhnung stößt, dann muss das Evangelium vor Unwürdigen geschützt werden (z. B. Gnilka 3 1993, 259). Oder geht es um die Abgrenzung von häretischen Gruppen (H. D. Betz 1995, 500)? Die Schwierigkeit all dieser Vorschläge ist, dass ihr jeweiliger Bezug im unmittelbaren Kontext von Mt 7,6 durch nichts nahe gelegt wird. H. Frankemölle ordnet 7,6 u. a. wegen des gemeinsamen Stichwortes ›geben‹ Mt 7,7-11 zu und sieht eine ähnliche Logik wie in den Folgesprüchen: Wenn schon Menschen sich nicht unsinnig verhalten (nämlich Hunden Heiliges geben etc.), dann erst recht nicht Gott (Frankemölle 1994, 265 f.). Manchmal wird der Text auch als Weiterführung des Vaterunsers verstanden und auf die Versuchungsbitte (Mt 6,13; vgl. Cranford 2004) oder auf die Bitte um die Heiligung (!) des Gottesnamens (Mt 6,9; so Zeilinger 2002, 192 f.) bezogen. Die Zahl divergierender Varianten ließe sich leicht mehren (in jüngerer Zeit noch Bennett 1987). Eine konsensfähige Lösung des »Rätsels« ist also nicht in Sicht. Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Parabel hat Sprichwort-Qualitäten, auch im Deutschen ist »Perlen vor die Säue« zum geflügelten Wort geworden (belegt seit etwa 1230; vgl. von Lips 1988, 165). Der Sprichwort-Charakter macht den Text für viele Bereiche anwendbar. Im Falle des Thomasevangeliums ist aus dem (nur unvollständig erhaltenen) Text nicht klar zu erkennen, was gemeint ist. Werden hier – wie in anderen Schriften auch – mit Hilfe des Spruchs negative Erfahrungen mit unwürdigen oder feindseligen Adressaten der Verkündigung reflektiert (vgl. EvThom 68; so Fieger 1991, 241)? (EvThom 93) Gebt das Heilige nicht den Hunden, damit sie es nicht auf den Misthaufen werfen. Werft nicht die Perlen den Schweinen hin, damit sie sie nicht zu … machen. (Übersetzung nach: H. M. Schenke/Bethge/Kaiser 2001) Eine weitere Parallelüberlieferung liegt in Agr 165 vor (s. dort). In der Didache (Did 9,5) wird mit dem Verweis auf das Jesuswort »Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben« begründet, dass bei der Eucharistiefeier Brot und Wein nur getauften Christen vorbehalten sind. Die Pseudo-Clementinen beziehen das Bild von den Schweinen auf den Umgang mit der Verkündigung gegenüber unwürdigen oder ablehnend eingestellten Hörern (PsClem, Rec 2,3,4-5; 3,1,2-7). Ein regelmäßiges Muster der Rezeption von Mt 7,6 ist die Deutung der Hunde und Schweine auf Ungläubige, kirchliche Gegner und Apostaten (z. B. Hier. comm. in Matt. I zu 7,6 = CChr.SL LXXVII; I,903-913; weitere Hinweise zur Rezeptionsgeschichte und Parallelüberlieferung bei H. D. Betz 1995, 496-498; Luz 5 2002, 497) Christian Münch 403 Gt 08020 / p. 418 / 28.9.2007 Parabeln im Matthäusevangelium Literatur zum Weiterlesen H. D. Betz, The Sermon on the Mount. Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 5:3-7:27 and Luke 6:20-49), Hermeneia, Minneapolis 1995, 493-500 L. L. Cranford, Throwing your Margaritas to the Pigs. A rhetorical Reading of Matthew 7,6, in: L. Lybæk/K. Raiser/St. Schardien (Hg.), Gemeinschaft der Kirchen und gesellschaftliche Verantwortung (FS E. Geldbach), Ökumenische Studien 30, Münster 2004, 351-363. H. von Lips, Schweine füttert man, Hunde nicht – ein Versuch, das Rätsel von Matthäus 7,6 zu lösen, ZNW 79 (1988) 165-186. N. J. McEleney, The Unity and Theme of Matthew 7:1-12, CBQ 56 (1994) 490-500. F. Zeilinger, Zwischen Himmel und Erde. Ein Kommentar zur »Bergpredigt« Matthäus 5-7, Stuttgart 2002, 191-193. 404