Schnellzugriff - Public und Non-Profit Management

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Schnellzugriff - Public und Non-Profit Management
ZfB 78. Jg. (2008), H. 5
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S TAT E O F T H E A RT
Konsumentenboykott: State-of-the-Art und Forschungsdirektiven
Jörg Lindenmeier, Dieter K. Tscheulin
Überblick
● Im vorliegenden Beitrag wird die wirtschaftswissenschaftliche Literatur zur Thematik der Konsumentenboykotts systematisch besprochen.
● Neben Arbeiten mit allgemeinem Fokus existieren Beiträge, die sich mit dem individuellen Boykottverhalten sowie der Untersuchung der globalen Boykotteffektivität
beschäftigen.
● Hinsichtlich des individuellen Boykottverhaltens existiert – neben explorativen und
Ad hoc-Studien – eine geringe Zahl theoretisch fundierter empirischer Beiträge. Trotz
der recht soliden theoretischen Fundierung dieser Arbeiten bestehen immer noch Forschungsdefizite.
● Im Rahmen der Analyse der Boykotteffektivität herrschen ökonometrische Studien
vor. Diese Studien kommen zu inkonsistenten Befunden. Daher ist die Erstellung
weiterer Studien, die u. a. Aspekte des individuellen Boykottverhaltens integrieren,
notwendig.
● Auf Basis der Beiträge zum individuellen Boykottverhalten und zur Boykotteffektivität sollten auch Arbeiten mit normativem Fokus erstellt werden. Ferner können die
Befunde der Boykottforschung auf andere Erkenntnisobjekte übertragen werden.
Keywords Boycott · Social dilemmas · Prosocial behavior · non-governmental
organizations (NGO) · Business crisis · Business communication
Eingegangen: ■■■■
JEL: M14, L31, M39
Dr. Jörg Lindenmeier ( )
ist Wissenschaftlicher Assistent am Betriebswirtschaftlichen Seminar II an der Albert-Ludwigs Universität
Freiburg im Breisgau, Platz der Alten Synagoge 1, 79085 Freiburg, Tel.: 0761 / 203 9232,
Email: [email protected]
Prof. Dr. Dieter K. Tscheulin ( )
ist Direktor des Betriebswirtschaftlichen Seminars II an der Albert-Ludwigs Universität Freiburg im Breisgau,
Platz der Alten Synagoge 1, 79085 Freiburg, Tel.: 0761 / 203 2409, Email: [email protected]
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A. Einleitung
Unethische Geschäftspraktiken können dazu führen, dass sich Konsumenten negativ von
Unternehmen angesprochen fühlen. Die durch unethisches Unternehmensverhalten bedingten negativen Emotionen können so stark sein, dass Verbraucher versuchen, sich diesen zu widersetzen. Eine Ausprägung dieses Widerstands ist der Konsumentenboykott.
Der Boykott von Shell wegen des Vorhabens die Ölbohrinsel Brent Spar im Meer zu versenken1 oder von Nestlé wegen der aggressiven Vermarktung von Säuglingsnahrung in
Afrika2 sind klassische Beispiele von Konsumentenboykotts. Zeitgleich zu diesen durch
ein breites Medienecho bekannt gewordenen Boykottaktionen fanden und finden viele
andere Kampagnen statt.3 So berichten Putnam/Muck (1991) von ca. 200 Verbraucherboykotts, die alleine in den USA gleichzeitig betrieben wurden. Laut Ferguson (1997)
wurde weltweit z. T. zeitgleich zum Boykott von über 800 Produkten aufgerufen. Aktuelle Aktionen richten sich z. B. gegen Adidas-Salomon wegen der Verarbeitung von Känguruleder oder gegen L’Oreal aufgrund von Tierversuchen. Eine hohe Medienpräsenz
hatten auch Boykottaufrufe gegen US-amerikanische Unternehmen, die als Reaktion auf
die Außenpolitik der Bush-Administration ausgesprochen wurden.
Die Konsequenzen der Globalisierung, die Verschmelzung nationaler Unternehmen zu
multinationalen Konzernen sowie der Rückzug des Staates aus bislang öffentlichen Aufgaben resultieren in einem Gefühl der Machtlosigkeit seitens der Konsumenten. Dies
schafft einen Nährboden für Konsumentenboykotts. Aufgrund der sich vertiefenden Kluft
zwischen den westlichen Industriestaaten und der muslimischen Welt ist ferner davon
auszugehen, dass auch religiös motivierte Konsumentenboykotts (vgl. Karikaturenstreit4)
weiter an Bedeutung gewinnen. Nach Gelb (1995) gehen Boykottinitiatoren ferner immer
ausgefeilter vor. Insbesondere können Boykottaufrufe heute effizient über das Internet
verbreitet werden.
Trotz der aufgezeigten Bedeutung von Konsumentenboykotts und des Erfolgs diverser
Boykottkampagnen umfasst das wirtschaftswissenschaftliche Schrifttum vergleichsweise
wenige essentielle Beiträge zu diesem Phänomen. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Relevanz eines verantwortlichen Unternehmensverhaltens überrascht diese Erkenntnis. Dies gilt besonders, weil sich ein Boykott aus der Perspektive der Corporate-SocialResponsibility als Ergebnis einer verfehlten Unternehmenspolitik darstellt.5 Eine umfassende Analyse des Phänomens des Verbraucherboykotts ist daher nicht nur von rein
wissenschaftlicher Bedeutung, sondern auch für die Unternehmenspraxis von entscheidendem Interesse. Nach einer Abgrenzung des Begriffs des Verbraucherboykotts systematisiert und diskutiert der vorliegende Beitrag die existierende wirtschaftswissenschaftliche Literatur. Aufbauend auf der Literaturanalyse werden Direktiven für die zukünftige
Forschung abgeleitet und priorisiert.
B. Begriffsabgrenzung
Der Begriff des Boykotts geht auf Charles Cunningham Boycott und einen durch seine
Landarbeiter gegen ihn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgelösten „Boykott“
zurück. Generell lassen sich Boykotts aber weit über das 19. Jahrhundert hinaus zurück-
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verfolgen.6 Nach Gelb (1995) hat der moderne Boykottbegriff mit politischen und gewerkschaftsinitiierten Boykotts einen dualen Ursprung. Frühe Konsumentenboykotts
hatten einen gesellschaftlichen Fokus oder zielten auf die Zurücknahme von Preiserhöhungen ab. Heute richten sich Boykotts zumeist gegen unethisches Verhalten multinationaler Konzerne. Die Initiatoren entsprechender Boykotts, die zumeist aus dem Bereich
der Nichtregierungsorganisationen stammen (NRG; engl.: Non Governmental Organization – NGO),7 versuchen, eine ethische Kontrolle über Unternehmen auszuüben. Nach
Friedman (1985) sind Konsumentenboykotts Versuche von Aktivistengruppen, bestimmte Ziele dadurch zu erreichen, dass Konsumenten dazu motiviert werden, den Kauf von
Produkten von einem oder von mehreren Unternehmen zu unterlassen. Nach Garrett
(1987) stellen Verbraucherboykotts ferner Kampagnen von NRGs ohne rechtsverbindlichen Charakter dar, die zum Ziel haben, Transaktionen zwischen Konsumenten und
spezifischen Unternehmen zu verhindern. Folgende Merkmale von Konsumentenboykotts werden daher deutlich:
● Aufruf zum Konsumverzicht als zentrales Instrument der Interessendurchsetzung: Zur
Durchsetzung ihrer Interessen rufen Boykottinitiatoren zum Verzicht auf bestimmte
Produkte auf. Ein individueller Konsumverzicht oder Wechsel zu einem anderen
Anbieter, der ohne einen Aufruf eines Boykottinitiators aufgrund eines unethischen
Unternehmensverhaltens zustande kommt, kann daher nicht dem Boykottverhalten
zugerechnet werden.
● Spannungsfeld zwischen individuellem und kollektivem Verhalten: Da Boykottaufrufe
nicht rechtsverbindlich sind, müssen sich Boykottinitiatoren auf die konsumentenseitige Boykottneigung verlassen. Einerseits weisen Boykotts daher Merkmale des
Individualverhaltens auf. Andererseits sind Boykotts aber auch dem Kollektivhandeln
zurechenbar (vgl. C.2.II).
● Ziele von Konsumentenboykotts: Aktivistengruppen fokussieren zumeist auf unethische Geschäftspraktiken multinationaler Konzerne. Bei diesen Boykotts fallen das zu
boykottierende Unternehmen und das Boykottziel zusammen. Man spricht daher von
primären Boykotts. Dagegen haben politische Boykotts die Ächtung von Regierungen
o. ä. zum Ziel. Die Verweigerung des Kaufs von Produkten ist hier nur ein Mittel zur
Erreichung eines übergeordneten Zwecks. Bei diesen Boykotts werden z. B. Unternehmen eines bestimmten Landes bestraft. Man spricht daher von sekundären Boykotts. Indem Firmen, die in geächtetes Land investieren oder an schwarzgelisteten
Unternehmen beteiligt sind, sanktioniert werden, weiten tertiäre Boykotts den Begriff
noch weiter aus (vgl. Friedman, 1999a).
Zwei wichtige Merkmale, die nicht aus den Definitionen von Friedman (1985) und
Garrett (1987) abgeleitet werden können, setzen an den Zielsetzungen der Boykottinitiatoren an:
● Grundlegende Zielkategorien von Konsumentenboykotts: Nach Sen et al. (2001) kann
zwischen ethisch- bzw. sozial-motivierten sowie ökonomischen Boykotts differenziert werden. Während die erste Art darauf abzielt, unethische Geschäftspraktiken zu
ächten, wird mit den ökonomischen Boykotts versucht, die Zurücknahme von Preiserhöhungen durchzusetzen.
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● Angestrebter Zielerreichungsgrad: Wenn man über eine qualitative Zielkategorisierung hinaus auch den Zielerreichungsgrad berücksichtigt, muss zwischen instrumentellen und expressiven Boykotts unterschieden werden. Instrumentelle Boykotts
zielen explizit auf die Änderung unerwünschter Geschäftspraktiken ab. Expressive
Boykotts (z. B. der „Buy Nothing Day“) verfolgen dies dagegen nur als Nebenziel.
Hier wird die Boykottdurchführung zum Selbstzweck, da alleine der Akt des Boykotts
das Anliegen der Initiatoren medial in ein positives Licht stellt und Änderungen gesellschaftlicher Wertesysteme anstoßen kann.
Ein gesellschaftliches Phänomen, das hier Erwähnung finden muss, sind die u. a. aus der
Soziologie bekannten Sozialen Bewegungen. Diese stellen kollektive Aktionen von Individuen bzw. Organisationen mit einem gemeinsamen Ziel und Solidarität untereinander
dar, in deren Rahmen – in Bezug auf spezifische politische oder soziale Themenkreise –
auf informelle Weise versucht wird, den sozialen Wandel zu beeinflussen (vgl. z. B. Della
Porta/Diani, 2006). Ein klassisches Beispiel einer sozialen Bewegung ist die durch Gandhi
angeführte Indische Unabhängigkeitsbewegung. Aus neuerer Zeit kann z. B. die AntiAtomkraftbewegung als Beispiel Sozialer Bewegungen genannt werden. Im Zusammenhang mit Konsumentenboykotts stehen vor allem Aktionen im Vordergrund, die sich
gegen Verhaltensweisen von Unternehmen richten, die in einem Marktsystem agieren.8
Obwohl Konsumentenboykotts Ähnlichkeiten mit Sozialen Bewegzungen aufweisen,
stellen sie eher eines der taktischen Instrumente dar, welche im Rahmen des breiter gefassten Phänomens der Sozialer Bewegungen zur Interessendurchsetzung benutzt werden
können.
C. Überblick über das wirtschaftswissenschaftliche Schrifttum
Nach Gelb (1995) liegt der Ursprung der wissenschaftlichen Betrachtung von Boykotts
in den Politikwissenschaften. Da der Fokus des vorliegenden Beitrags auf dem ökonomisch geprägten Phänomen des Verbraucherboykotts liegt, werden hier aber vornehmlich wirtschaftswissenschaftliche Arbeiten diskutiert.9 Die Literatursuche basierte in
einem ersten Schritt auf einer stichwortbasierten Datenbankrecherche.10 Die Literaturverzeichnisse der Quellen, die im Rahmen der Datenbankrecherche als relevant identifi-
Abb. 1. Überblick über die vorliegenden wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsbeiträge (Sachinhaltliche
Perspektive)
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ziert wurden, wurden in einem zweiten Schritt nach weiteren relevanten Querverweisen
durchgesehen.
Das als relevant identifizierte wirtschaftswissenschaftliche Schrifttum lässt sich sachinhaltlich danach differenzieren, ob der Fokus auf dem individuellen Boykottverhalten
(vgl. Abschnitt C.II), der globalen Boykotteffektivität (vgl. Abschnitt C.III) oder der Entwicklung von Handlungsempfehlungen (vgl. Abschnitt C.IV) liegt. Ferner werden auch
allgemein gehaltene Beiträge unterschieden (vgl. Abschnitt C.I). Abbildung 1 illustriert
diese Aufteilung.
I. Arbeiten mit allgemeinem Fokus
Im Kontext von Arbeiten mit allgemeinem Fokus widmet sich Gelb (1995) der Begriffsabgrenzung und der Betrachtung wesentlicher gesellschaftlicher Rahmenbedingungen.
Systematisierende Arbeiten finden sich bei Smith (1987), Herrmann (1993), Penaloza/
Price (1993), Mohr/Schneidewind (1996), Fournier (1998) und Baron (2003). Hierbei
subsumiert Smith (1987) Verbraucherboykotts unter das Konzept der Konsumentensouveränität. Baron (2003) versucht, die wesentlichen Facetten privater Politikinitiativen
(wie z. B. Boykotts) in einem umfassenden Modellansatz zu vereinen. Die Modellbestandteile beziehen sich auf das Verhalten von Boykottinitiatoren, boykottierten Unternehmen, Medienvertretern und Konsumenten. Ferner werden auch Konfliktlösungsprozesse, die im Falle eines erfolgreichen Boykotts losgetreten werden, sowie die Institutionalisierung entsprechender Lösungen betrachtet. Fournier (1998), Herrmann (1993)
und Penaloza/Price (1993) ordnen Verbraucherboykotts dem Komplex des Konsumentenwiderstands zu. Mohr/Schneidewind (1996) entwickeln darüber hinaus einen wohlfahrtstheoretischen Analyserahmen. Neben diesen Arbeiten gibt es auch mehrere Fallbetrachtungen bzw. historisch fokussierte Beiträge.11 So führt Friedman (1971) eine
deskriptive Betrachtung einer ökonomischen Boykottkampagne durch. Es zeigt sich,
dass die Protestanführer überwiegend jüngere, liberale Frauen aus dem Mittelstand
waren. In späteren, ebenfalls deskriptiv angelegten Arbeiten erweitert Friedman (1985,
1995) den Fokus, indem er gleichzeitig mehrere Verbraucherboykotts betrachtet. Hierbei
werden u. a. Charakteristika von Boykottaktivisten sowie der Erfolg der berücksichtigten Kampagnen beschrieben. Bei Witkowski (1989) findet sich eine historische Betrachtung der Anti-Importbewegung in den nordamerikanischen Kolonien. Aktuellere Fallstudien erstellen z. B. Post (1985), Pagan (1986) oder Sen/Hill (1996). Friedman (1999a)
beschreibt ebenfalls eine Vielzahl von Boykotts. Da der zu erwartende Erkenntnisgewinn weiterer Arbeiten mit allgemeinem Fokus relativ gering ist, ist ihre Erstellung nicht
angezeigt. Eine Ausnahme hierzu ist der Bereich der Fallbetrachtungen. Da hier primär
eine angloamerikanische Sichtweise eingenommen wird, erscheint ein Perspektivenwechsel hin zu interkulturellen Fallbetrachtungen interessant. Tabelle 1 fasst die o. g.
Arbeiten zusammen:
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Tab. 1. Arbeiten mit allgemeinem Fokus
Autor (Jahr) Studientyp
Beitrag zum Erkenntnisgewinn
Friedman
(1971)
Fallbetrachtung: Ökonomischer Boykott (1966,
USA)
Beschreibung der soziodemographischen Merkmale, Motive
und subjektive Erfolgswahrnehmung von Boykottanführern.
Boykott war nur kurzfristig erfolgreich.
Post (1985)
Fallbetrachtung: Sozialmotivierter Boykott
(Nestlé-Boykott)
Betrachtung des Entwicklungsprozesses und der Effekte eines
Kodex für die Vermarktung von Babynahrung, welcher nach
einem erfolgreichen Boykott realisiert wurde.
Friedman
(1971)
Fallbetrachtung:
Ökonomischer Boykott
(1966, USA)
Beschreibung der soziodemographischen Merkmale, Motive
und subjektive Erfolgswahrnehmung von Boykottanführern.
Boykott war nur kurzfristig erfolgreich.
Fallbetrachtung: Sozial
motivierter Boykott
(Nestlé-Boykott).
Betrachtung des Entwicklungsprozesses eines Kodex für die
sozial verantwortliche Vermarktung von Produkten einer
Firma, der als Resultat eines erfolgreichen Boykotts realisiert
wurde.
Friedman
(1985)
Fallbetrachtung:
Ökonomische Boykotts
(1900-1970, USA)
Merkmale der Boykottinitiatoren und der boykottierten Unternehmen, durch Boykottinitiatoren ergriffene Maßnahmen, Beurteilung des Boykotterfolgs.
Pagan (1986)
Fallbetrachtung: Sozial
motivierter Boykott
(Nestlé-Boykott)
Betrachtung des Konfliktlösungsprozesses, welcher als Ausgangspunkt für die strategische Ausrichtung von Unternehmen
dienen kann.
Smith (1987)
Fallbetrachtung: SozialEinordnung der Konsumentenboykotts in das Konzept der
orientierte Boykotts (USA) Konsumentensouveränität.
Witkowski
(1989)
Historische Studie: Koloniale (Anti-Import-Bewegung, 1764-1776, USA)
Eine anfängliche Rückbesinnung auf patriotische und puritanische Werte wird im Zeitablauf wieder durch die neu aufkommenden materialistischen Konsumwerte wettgemacht.
Systematisierung und Begriffsabgrenzung
Einordnung von Konsumentenboykotts in den Bereich des
Konsumentenwiderstands; Beschreibung diverser Widerstandsformen, z. B. „Voluntary Downsizing“.
Systematisierung und
Begriffsabgrenzung
Konzeptioneller Überblick über das Erkenntnisobjekt des Konsumentenwiderstands; Betrachtung aus poststrukturalistischer
und postmoderner Perspektive.
Fallbetrachtung: Ökonomisch Boykotts (1970-80,
USA)
Boykottunterstützer primär Hausfrauen, Boykotts auf Ad hocBasis organisiert, hohe Relevanz von medienorientierten
und einkaufsstättenbezogenen Boykotts, Erfolg hält nur kurzfristig an.
Begriffsabgrenzung und
Systematisierung
Beschreibung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von
Konsumentenboykotts in den USA.
Post (1985)
Herrmann
(1993)
Penaloza/
Price (1993)
Friedman
(1995)
Gelb (1995)
Mohr/
Konzeptionelle Arbeit
Schneidewind (Basis: Brent Spar(1996)
Boykott)
Sen/Hill
(1996)
Fournier
(1998)
Baron (2003)
Entwicklung eines konzeptionellen Rahmens zur wohlfahrtstheoretischen Analyse von Konsumentenboykotts; Besonderer
Fokus auf spendenfinanzierten Boykottinitiatoren;.
Fallbetrachtung: Sozial
motivierter Boykott
(Colorado-Boykott)
Beschreibung der ökonomischen Wirkung sowie der Reaktion
betroffener Unternehmen; Entwicklung von Handlungsempfehlungen.
Begriffsabgrenzung und
Systematisierung
Einordnung der Konsumentenboykotts in das Erkenntnisobjekt
des Konsumentenwiderstands; Darstellung verschiedener Formen des Konsumentenwiderstands wie z. B. Markenaversion.
Konzeptionelle Arbeit
Entwicklung eines theoretischen Rahmens privater Politikinitiativen, der Boykottinitiatoren, boykottierte Unternehmen,
Konsumenten und Medien integriert.
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II. Arbeiten zum individuellen Boykottverhalten
1. Ad hoc-Studien und explorativ ausgerichtete Beiträge
Frühe Beiträge zum Boykottverhalten stammen von Mahoney (1976) und Miller/Sturdivant (1977). Mahoney (1976) beleuchtet primär Charakteristika von Boykottteilnehmern. Ein wesentliches Ergebnis ist, dass passionierte Boykottunterstützer die Erfolgswahrscheinlichkeit von Boykotts höher einschätzen als Individuen, welche die Aktion
nur „halbherzig“ unterstützen. Miller/Sturdivant (1977) betrachten einen realen Boykott.
Die entsprechende Boykottkampagne hatte – trotz einer hohen Öffentlichkeitswirkung
– nur eine geringe Wirkung. Lediglich bei Konsumenten, denen sozial verantwortliches
Unternehmensverhalten wichtig war, konnten Einstellungs- bzw. Verhaltensänderungen
beobachtet werden. Garrett (1987) verweist im Hinblick auf frühe Beiträge zur Thematik des Konsumentenboykotts darauf, dass neben tiefergehenden empirischen Analysen
insbesondere eine solide theoretische Fundierung fehle. Folglich stellen diese frühen
Arbeiten Ad hoc-Studien dar. Ähnliches trifft auch auf aktuellere Beiträge zu. So zeigen
Elder et al. (1987), dass u. a. Wertvorstellungen einen Einfluss auf die Boykottbereitschaft haben. Belch/Belch (1987) analysieren den Einfluss spezifischer Determinanten
der Kaufintention. Die Kaufabsicht von Boykottunterstützern (nicht boykottierenden
Individuen) ist primär durch unternehmensimagebezogene (nutzenbezogene) Einstellungskomponenten beeinflusst. Eine Studie von Lysonski/Pollay (1990) betrachtet ebenfalls Einstellungskonstrukte und Kauf- bzw. Boykottintentionen. Die Boykottabsicht ist
durch kritische Einstellungen gegenüber sexorientierter Werbung sowie durch das Geschlecht beeinflusst. Betrachtet man die Arbeiten, die bis in die frühen 1990er Jahre
publiziert wurden, so kann zusammenfassend konstatiert werden, dass dort neben der
Betrachtung von Soziodemographika insbesondere Einstellungskonstrukte im Vordergrund stehen. Dies setzt sich z. T. bis heute fort. So zeigen West/Larue (2006), dass antikapitalistische Grundhaltungen u. ä. wichtige Determinanten der Boykottbereitschaft
sind.
Über diese Ad hoc-Studien hinaus bestehen explorative Beiträge, die primär auf die
Identifikation von Boykottmotiven abzielen. Kozinets/Handelman (1998) kommen zu
dem Ergebnis, dass Konsumenten durch die Beteiligung an einem Boykott erreichen können, die Sphäre des privaten Konsums um moralische Werte zu ergänzen und damit eine
rein materialistische Welt sozusagen zu beseelen. Dies wird dadurch möglich, dass sich
Boykottunterstützer selbst in ein positives Licht stellen und moralisch von anderen Menschen differenzieren können. Die moralische Selbstreinigung und der Glaube etwas bewegen zu können sind die Motive, die nach Klein et al. (2002), die Boykottentscheidung
dominieren. Dagegen konnte nur eine geringe Relevanz selbstexpressiver Motive festgestellt werden. Mit der Berücksichtigung der Unerhörtheit legen Klein et al. (2002) ferner
einen wichtigen Grundstein für das „Arousal: Cost-Reward“-Model. Shaw et al. (2006)
zeigen ebenfalls, dass Boykotts eine Möglichkeit sind etwas zu bewegen. Im Gegensatz
zu Klein et al. (2002) kommen sie aber zu dem Schluss, dass das Boykottverhalten Analogien mit dem Wahlverhalten aufweist.
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2. Theoretische Fundierung des individuellen Boykottverhaltens: Die Theorie sozialer
Dilemmata, das „Arousal: Cost-Reward“-Modell und instrumentelle Determinanten
Im Kontext der Boykottforschung sind in letzter Zeit signifikante Fortschritte gemacht
worden. Einen wichtigen Zugang liefern John/Klein (2003), indem sie Konsumentenboykotts als soziale Dilemmata identifizieren. Dieser Ansatz ist aus der Theorie rationaler
Entscheidung bekannt. Soziale Dilemmata sind Phänomene des Kollektivhandelns, zu
welchen z. B. auch Soziale Bewegungen gezählt werden können, die nach Weber et al.
(2004) dadurch gekennzeichnet sind, dass jedes an einer Kollektiventscheidung beteiligte
Individuum einen höheren Nutzen realisiert, wenn es eine eigennützige anstatt einer kooperativen Entscheidung trifft. Dies gilt unabhängig davon, welche Entscheidungen die
anderen beteiligten Individuen treffen. Ferner realisiert jedes an der Kollektiventscheidung beteiligte Individuum einen geringeren Nutzen, wenn alle beteiligten Individuen
eigennützige anstatt kooperative Entscheidungen treffen. Analog dazu stellen soziale Dilemmata nach Kollock (1998) Konstellationen dar, in denen individuelle Rationalität zu
gesellschaftlicher Irrationalität führen kann. Dies erklärt sich dadurch, dass Individuen
einen Beitrag (z. B. die Boykottbeteiligung) zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels
(z. B. der Boykotterfolg) leisten müssen. Da aber auch unkooperative Konsumenten von
einem erfolgreichen Boykott profitieren, stellt der Boykotterfolg ein öffentliches Gut dar.
Für einzelne Individuen kann es daher rational sein, Trittbrett zu fahren. Dieser Anreiz
zum Trittbrett fahren kann in einem Zustand münden, in dem die gesellschaftliche Kooperation zusammenbricht.
Betrachtet man reale Boykottkampagnen (z. B. der Shell- oder der Brent Spar-Boykott)12, so wird deutlich, dass eine Diskrepanz zwischen der Kernaussage der Theorie
sozialer Dilemmata und der z. T. recht hohen Boykottbeteiligung besteht. Als Erklärung
hierfür kann zum einen angeführt werden, dass das Verhalten der Boykottunterstützer
irrational ist. Zum anderen ist es aber auch möglich, dass die Boykottbeteiligung durch
weitere Einflussgrößen befördert wird. Hier liefern John/Klein (2003) einen wichtigen
Beitrag zur Überwindung von Forschungslücken. Als Ausgangspunkt dient ein mikroökonomisches Modell, das an dem sogenannten „Arousal: Cost-Reward“-Ansatz (vgl.
z. B. Piliavin et al. 1981) und der Theorie sozialer Dilemmata angelehnt ist. Der Nutzen
der Verbraucher ist hier zuerst durch den Konsum von Produkten bestimmt. Auslöser
eines Boykotts sind unerhörte Unternehmenspraktiken, die den Nutzen der Konsumenten
reduzieren. Dieser Nutzenverlust stellt die individuellen Kosten der unerhörten Handlung dar. Eine Boykottbeteiligung kann als Maßnahme zur Verringerung dieser Kosten
angesehen werden. Ein Boykott ist mit Konsumverzicht bzw. einem Wechsel zu einem
weniger präferierten Produkt verbunden. Beides führt zu Nutzenverlusten, die die Kosten
der Boykottbeteiligung darstellen. Weiter wird angenommen, dass die unerhörte Handlung von dem Unternehmen jederzeit beendet werden kann. Die Kosten der unerhörten
Handlung fallen dann nicht mehr an. Die vermiedenen Kosten sind mit dem Nutzen der
Boykottbeteiligung gleichzusetzen. John/Klein (2003) zeigen für den generischen Fall,
dass sich stets ein singuläres Gleichgewicht der Boykottbeteiligung auf einem Kontinuum
ergibt, das von einer ausbleibenden bis zu einer vollständigen Unterstützung reicht. Ein
weiterer Aspekt, den John/Klein (2003) analog zu Mahoney (1976) berücksichtigen, ist,
dass eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit einerseits einen höheren Boykottanreiz be-
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dingt. Andererseits führt eine stärkere Erfolgswahrnehmung, aufgrund der dadurch angestoßenen Erhöhung des Anreizes zum Trittbrett fahren, zu einer Verringerung der Boykottneigung. Da der Einfluss eines Individuums sehr gering ist, ist der Nutzen der individuellen Boykottbeteiligung darüber hinaus so klein, dass die individuellen Kosten der
Boykottbeteiligung nicht kompensiert werden können. Dieser „Small Agent“-Problematik genannte Aspekt verringert den individuellen Boykottanreiz ebenfalls. Der Anreiz
Trittbrett zu fahren, die „Small Agent“-Problematik sowie die wahrgenommene Erfolgswahrscheinlichkeit, welche inhaltlich mit der Theorie sozialer Dilemmata verbunden
sind, stehen in der Wahrnehmung der Konsumenten mit dem Boykotterfolg in Verbindung. Ausgehend von dem Begriff des instrumentellen Boykotts, welcher Kampagnen
beschreibt, die auf eine tatsächliche Änderung des Unternehmensverhaltens abzielen,
kann daher von instrumentellen Determinanten gesprochen werden: Diese sind insbesondere im nachfolgend dargestellten instrumentellen Modell bedeutend.
3. Theoriegeleitete empirische Studien
„Arousal: Cost-Reward“-Ansatz: Klein et al. (2004) überprüfen den Erklärungsgehalt
des „Arousal: Cost-Reward“-Ansatzes (vgl. Modell a in Abb. 2). Der Ausgangspunkt der
Betrachtung ist analog zum Modell von John/Klein (2003) ein unerhörtes Unternehmensverhalten, das eine Aktivierung seitens der Konsumenten auslöst. Die Aktivierung wird
durch das Konstrukt der wahrgenommenen Unerhörtheit abgebildet, welches auch als
eine Empörung über ein unethisches Geschäftsgebaren angesehen werden kann. Die Unerhörtheit ist hier zwar eine entscheidende Determinante der Boykottneigung. Die individuelle Boykottentscheidung kann aber ohne Berücksichtigung weiterer Faktoren nicht
umfassend erklärt werden. So hängt die Entscheidung auch von einem kognitiv geprägten
Kosten-Nutzen-Kalkül ab. Motivierend wirken hier zum einen die Möglichkeit etwas zu
verändern und die Erhöhung des Selbstbildes. Zum anderen wird hypothetisiert, dass die
Kosten des Konsumverzichts bzw. des Wechsels zu einem weniger präferierten Produkt
demotivieren. Mit dem Trittbrettfahranreiz, dem „Small Agent“-Problem sowie negativer
Konsequenzen einer Teilnahme (z. B. Vernichtung von Arbeitsplätzen) werden weitere
Gegenargumente integriert. Neben signifikanten Haupteffekten können – im Hinblick auf
den zentralen Zusammenhang zwischen der Unerhörtheit und der Boykottneigung – auch
moderierende Effekte nachgewiesen werden.13
Instrumentelles Modell: Sen et al. (2001) untersuchen das Boykottverhalten in einer
Studie (vgl. Modell b in Abb. 2), in welcher eher instrumentell ausgerichtete Konstrukte
im Vordergrund stehen. Folglich liegt dem individuellen Verhalten die Frage zugrunde,
inwieweit ein Boykott erfolgreich sein kann. Daneben werden mit dem „Message Framing“14 und der Empfänglichkeit für normative Einflüsse auch kommunikationspolitische
Reize und soziale Normen berücksichtigt. Ein wesentlicher Unterschied zum Modell von
Klein et al. (2004) ist, dass Aktivierungsprozesse weitgehend ausgeblendet werden. Auch
wenn durch das „Message Framing“ Boykottaufrufe als aktivierende Stimuli integriert
werden, fokussiert das Modell primär auf vergleichsweise spät angesiedelte, kognitiv geprägte Phasen von Entscheidungsprozessen. Als zentrales Ergebnis kann festgehalten
werden, dass die erwartete Boykottbeteiligung entscheidend für die individuelle Boykottneigung ist. Zur theoretischen Erklärung dieses Effektes können die Norm- und Referenz-
10
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Abb. 2. Modelle des Boykottverhaltens: +/– = Unterstellte Wirkungsrichtung der berücksichtigten Prädiktoren;
ns = nicht signifikant; *,**,*** = signifikant auf dem 10 %-, 5 %- bzw. 1 %-Nivau
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gruppentheorie herangezogen werden. Im Kontext dieses Zusammenhangs treten weiterhin die Kosten der Boykottunterstützung als moderierende Variable auf. Ferner wird gezeigt, dass der Kausalzusammenhang zwischen erwarteter Beteiligung und Boykottabsicht
partiell durch die Erfolgswahrnehmung mediiert wird. Darüber hinaus wird der zwischen
erwarteter Teilnahme und der Wirksamkeit der eigenen Entscheidung bestehende Interaktionseffekt durch das „Message Framing“ beeinflusst.15
„Boycott Model of Foreign Product Purchase“: Bei Ettenson/Klein (2005) findet sich
eine Erweiterung des sogenannten Animositätsmodells, das zur Erklärung des Kaufs ausländischer Produkte entwickelt wurde. Diese Arbeit stellt die dritte theoriegeleitete Facette empirischer Boykottstudien dar (vgl. Modell c in Abb. 2). Im Gegensatz zu den beiden
vorangegangenen Modellen wird auf sekundäre Boykotts abgehoben, die in einem internationalen Kontext stehen. Ein weiterer Unterschied ist, dass nicht Handlungsabsichten,
sondern tatsächliches Verhalten erklärt wird. Mit der Konsumentenanimosität sowie der
Wahrnehmung der Boykottwirksamkeit umfasst das Modell eine emotionale sowie eine
instrumentelle Komponente. Die Animosität ist hier aber nicht ein Resultat unethischer
Geschäftspraktiken, sondern wird durch politische, militärische oder ökonomische Handlungen eines Landes bestimmt. Ettenson/Klein (2005) zeigen analog zu der Ad hoc-Studie
von Carvalho (2003), dass die Animosität die Boykottbeteiligung erhöht. Diese Befunde
gehen auch konform mit der von Klein et al. (2004) aufgezeigten Aktivierungswirkung
der Unerhörtheit. Weiterhin beeinflusst die wahrgenommene Boykottwirksamkeit das
Boykottverhalten positiv. Interessanterweise haben Qualitätsurteile keinen Einfluss auf
die Boykottentscheidung. Dies geht nicht konform mit den Ergebnissen von Belch/Belch
(1987) und Sen et al. (2001). Das überraschende Ergebnis kann dadurch erklärt werden,
dass eine sekundäre Boykottkampagne untersucht wird. Der Zusammenhang zwischen
länderspezifischen Qualitätsimages und dem Boykott bestimmter Produkte eines Landes
mag nicht so eindeutig sein, wie die Verknüpfung zwischen markenspezifischen Qualitätsimages und dem Kaufverhalten ist.
Insgesamt kann konstatiert werden, dass eine kleine Zahl solide fundierter empirischer
Studien vorliegt. In Bezug auf das „Arousal: Cost-Rewards“-Modell ist einerseits herauszuheben, dass durch die Berücksichtigung von aktivierenden und kognitiven Prozessen
eine zweistufige Struktur unterstellt wird, welche realen Entscheidungsprozessen nahe
kommt. Andererseits erscheinen die Gesamtheit der berücksichtigten motivierenden Faktoren und Gegenargumente aber listenhaft bzw. stark sachlogisch geleitet. Der Ansatz von
Sen et al. (2001) erscheint hier reifer. Die Vernachlässigung aktivierender Prozesse stellt
aber einen Nachteil dar. Die Arbeit von Ettenson/Klein (2005) betrachtet sekundäre Boykotts, welche vor dem Hintergrund der sich vertiefenden Kluft zwischen den westlichen
Industriestaaten und der muslimischen Welt von besonderer Bedeutung sind. Aufgrund
der Berücksichtigung von Konstrukten, die im internationalen Marketing verortet sind,
erscheint eine Übertragung auf andere Boykottkontexte aber eher unwahrscheinlich. Ferner greift die Erweiterung des Animositätsmodells insgesamt zu kurz. Die Wahrnehmung
der Boykottwirksamkeit wird lediglich an das Ausgangsmodell „angehängt“. Potentiell
moderierende Effekte bleiben unberücksichtigt. Tabelle 2 fasst die empirischen Arbeiten
zum individuellen Boykottverhalten zusammen:
12
ZfB 78. Jg. (2008), H. 5
Tab. 2. Arbeiten zum individuellen Boykottverhalten
Autor
(Jahr)
Studientyp
Zentrale Ergebnisse
Mahoney
(1976)
Ad hoc-Studie; Schriftliche Befragung; n = 47; Deskriptive und
inferenzstatistische Analysen.
● Passionierte Unterstützer weisen langfristig ausgerichtete, familienorientierte und religiöse Wertvorstellungen
auf.
● Passionierte Boykottunterstützer sehen sich stärker an
langfristige Ziele von Konsumentenboykotts gebunden.
Miller/
Ad hoc-Studie; Paneldaten;
● Einstellung gegenüber dem boykottierten Unternehmen
Sturdivant n = 742-371; Deskriptive und infewird im Panelzeitraum positiver.
(1977)
renzstatistische Analysen.
● Höher ausgeprägte soziale Verantwortung geht mit
schlechterer Einstellung zum boykottierten Unternehmen einher.
Belch/
Belch
(1987)
Ad hoc-Studie; Schriftliche Befragung; Studentensample; n = 60;
Regressionsmodelle.
● Bei Boykottunterstützern: Lediglich Unternehmensimage beeinflusst die Kaufabsichten.
● Bei den anderen Konsumenten: Nutzen- und unternehmensimagebezogene Komponente beeinflusst die Kaufabsichten.
Elder
et al.
(1987)
Ad hoc-Studie; Telefonbefragung;
n = 300; Deskriptive und Regressionsanalysen.
● Variierendes Konsumverhalten beeinflusst Boykottbereitschaft.
● Individuen mit Boykotterfahrung und mit ausgeprägtem
sozialem Bewusstsein weisen eine höhere Boykottbereitschaft auf.
Lysonski/
Pollay
(1990)
Ad hoc-Studie; Interkulturelle
Studie; n = 698; Studentensample;
Inferenzstatistische und Regressionsanalysen.
● Kritische Einstellung und Geschlecht bedingen Boykottabsicht.
● Trotz kritischer Einstellungen gegenüber sexistischer
Werbung bleibt die Boykottneigung gering.
● Vorführung eines Films gegen Sexismus verstärkt
(verringert) die Boykottabsicht bei Frauen (Männern).
Kozinets/
Handelman
(1998)
Explorative Studie; Internetbasierte ethnographische Studie; Qualitative Forschung.
● Identifizierte Boykottmotive: Motivation zum sozialen
Wandel beizutragen, Selbstdarstellung und -verwirklichung, Abgrenzung von anderen Menschen sowie
Selbstreinigungsmotive.
Sen et al.
(2001)
Theoriegeleitete Studie; Experimentelles Forschungsdesign; Studentensample; n = 147 bzw. 166;
Mehrfaktorielle Varianzanalysen.
● Instrumentelles Modell: Erwartete Boykottbeteiligung
als entscheidende Determinante des Boykottverhaltens.
● Berücksichtigung diverser anderer Prädiktoren: Wahrgenommene Selbstwirksamkeit, Zugänglichkeit für soziale
Einflüsse, Kosten der Boykottunterstützung etc.
● „Framing“ von Boykottaufrufen beeinflusst Boykottneigung.
Klein
et al.
(2002)
Explorative Studie; Schriftliche
Befragung; Studentensample;
n = 115; Inferenzstatistische und
Varianzanalysen.
● Identifikation individuell unterschiedlicher Boykottmotive.
● Während instrumentelle und Selbstreinigungsmotive
dominieren, stehen expressive Motive eher im Hintergrund.
● Unerhörtheit als entscheidende Determinante des Boykottverhaltens und des Markenimages von boykottierten
Unternehmen.
John/
Klein
(2003)
Formaler Ansatz (Mikroökonomische Fundierung)
● Beitrag, der Konsumentenboykotts und die Theorie
Sozialer Dilemmata in einem umfassenden theoretischen Rahmen integriert.
● Formalisierung des „Arousal: Cost-Reward“-Modells.
ZfB 78. Jg. (2008), H. 5
13
Tab. 2 (Fortseztung)
Autor
(Jahr)
Studientyp
Zentrale Ergebnisse
Klein
et al.
(2004)
Theoriegeleitete Studie; Telefonbefragung; Repräsentatives
Sample; n = 1216; Faktoren- und
Regressionsanalyse.
● „Arousal: Cost-Reward“-Modell: Unerhörtheit als Auslöser von Boykottentscheidungen.
● Berücksichtigung diverser Kosten- und Nutzenkomponenten.
● Die Unerhörtheit übt einen negativen Einfluss auf das
Markenimage aus.
Ettenson/
Klein
(2005)
Theoriegeleitete Studie; Persönliche Interviews; Repräsentatives
Sample; n = 250; Strukturgleichungsmodelle.
● „Boycott Model of Foreign Product Purchase“.
● Animosität und wahrgenommene Wirksamkeit der
Boykottteilnahme beeinflussen die Boykottneigung
positiv.
● Produktbewertung und Ethnozentrismus haben keinen
direkten Einfluss auf die Boykottneigung.
West/
Larue
(2006)
Ad hoc-Studie; Telefonbefragung;
Zufallsstichprobe; n = 1008;
Probitanalyse.
● Kein Einfluss auf die Boykottbereitschaft: Interesse an
Produktinformationen, Umweltbewusstsein, Bedenken
bzgl. gesundheitlicher Effekte von genmanipulierten
Lebensmitteln.
● Einfluss auf die Boykottbereitschaft: Globalisierungsangst, anti-kapitalistische Einstellungen, ökologisches
Einkaufsverhalten.
Shaw
et al.
(2006)
Explorative Studie; Halbstruktu● Konsumentenboykotts als eine Form des Wahlverhalrierte qualitative Tiefeninterviews;
tens.
n = 10.
● Als Basis werden Theorien der Stärkung der Konsumentensouveränität („Consumer Empowerment“) verwendet.
● Verbindungsmöglichkeit zwischen Boykotts und
„Buycotts“.
III. Beiträge zur globalen Boykotteffektivität
Neben Arbeiten zum individuellen Boykottverhalten existieren auch Forschungsbeiträge,
die sich mit dem globalen Wirkungsgrad von Boykotts beschäftigen. Eine formale Studie
liefert Rea (1974). Es wird gezeigt, dass Boykotts für Teilnehmer und Trittbrettfahrer von
Vorteil sein können. Gesamtwirtschaftlich münden Boykotts jedoch in Wohlfahrtsverlusten. Auf Basis eines spieltheoretischen Modells kommen Kritikos/Bolle (2004) zum Ergebnis, dass Boykotts ein effizientes Instrument zur Disziplinierung von Monopolisten
sein können. Ein weiterer formaler Ansatz, in welchem Interaktionen zwischen Dyopolisten und einer Nichtregierungsorganisation betrachtet werden, findet sich bei Innes
(2006).
Miller/Sturdivant (1977) betrachten die Konsequenzen eines realen Boykotts mithilfe
statistischer Methoden. Es wird gezeigt, dass der Boykott zu einer Absatzreduktion bei
einem Tochterunternehmen geführt hat. Im Rahmen eines vergleichsweise simplen theoretischen Ansatzes hypothetisiert Garrett (1987), dass der ökonomische Druck, der befürchtete Imageschaden sowie die unternehmensseitige Bindung an die kritisierte Geschäftspraktik als Prädiktoren der Boykotteffektivität berücksichtigt werden müssen. Die
unterstellten Effekte konnten empirisch bestätigt werden. Analog hierzu zeigt Spoerer
14
ZfB 78. Jg. (2008), H. 5
(2002), dass die potentiellen ökonomischen Folgen eines Boykotts entscheidend für die
Durchführung von Präventivmaßnahmen gegen Boykotts sind.
Aufbauend auf der „Agency“-Theorie entwickeln Davidson et al. (1995) einen theoretischen Rahmen, der die Reaktion von Anspruchsgruppen und staatlichen Instanzen auf
unpopuläre Geschäftspraktiken sowie deren Effekte auf das Unternehmensverhalten abbildet. Als unternehmensseitige Handlungsoptionen werden die Änderung, die Beibehaltung oder der Versuch einer rechtlichen Legitimierung kritisierter Geschäftspraktiken
berücksichtigt. Der wesentliche Punkt, den Davidson et al. (1995) hierbei anstoßen, ist,
dass durch Boykotts bedingte Aktienkursverluste als Disziplinierungsinstrument von
Managern angesehen werden können. Folglich ergibt sich mit der Betrachtung des Aktienkurses von boykottierten Unternehmen ein Ansatzpunkt, den Wirkungsgrad von Boykotts
auf indirekte Weise zu messen. Ein Ansatz zur Analyse singulärer Ereignisse auf Aktienkurse stellt die Eventstudienmethodik dar.16 Den ersten Beitrag, der diese Methode anwendet, liefern Pruitt/Friedman (1986). Es wird gezeigt, dass Boykotts einen negativen
Effekt auf Aktienkurse haben. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Pruitt et al. (1988)
sowie Davidson et al. (1995). Pruitt et al. (1988) zeigen aber, dass sich der alte Aktienkurs
nach kurzer Zeit wieder einstellt. Davidson et al. (1995) zeigen weiterhin, dass es bei ca.
einem Drittel der betrachteten Boykotts auch zu einer Änderung des Unternehmensverhaltens kommt. Im Gegensatz dazu wirken die Befunde von Koku et al. (1995) auf den
ersten Blick kontraintuitiv. Nach Koku et al. (1995) führen Boykotts sowie Boykottdrohungen zu Kursgewinnen.17 Eventuell haben unternehmensseitige Gegenmaßnahmen die
eigentliche Boykottwirkung überkompensiert. In einem ökonomischen Experiment zeigen Tyran/Engelmann (2005), dass Boykotts nicht zwingend zum Erfolg führen. Wenn
die Finanzmarktteilnehmer dies antizipieren, sind – analog zu Koku et al. (1995) – keine
Kurseinbrüche zu erwarten. Insgesamt sind die Ergebnisse der Eventstudien inkonsistent.
Weitere Untersuchungen zur Effektivität von Boykotts sind daher angezeigt. Tabelle 3
stellt die empirischen Arbeiten zur Boykotteffektivität dar:
Tab. 3. Empirische Arbeiten zur globalen Wirkung von Boykotts
Autor
(Jahr)
Studientyp
Rea
(1974)
Formaler Ansatz (Mikroöko- ● Boykotts sind für Teilnehmer und Trittbrettfahrer vorteilhaft.
nomische Fundierung)
● Ökonomische Effekte sind u. a. abhängig von den Nachfrageund Angebotselastizität sowie der Teilnehmerzahl.
● Gesamtwirtschaftlich führen Boykotts zu Wohlfahrtsverlusten.
Miller/
Sekundärdaten: AbsatzSturdivant zahlen; Deskriptive Ana(1977)
lysen.
Zentrale Ergebnisse
● Nachweis von „Spill Over“-Effekten zwischen Konzernmutter
und Tochterunternehmen eines boykottierten Konzerns.
● Regional unterschiedliche Boykottwirkung.
Pruitt/
Friedman
(1986)
Sekundärdaten; 21 Boykott- ● Boykottaufrufe haben einen negativen Einfluss auf den Aktikampagnen; Beobachtungsenkurs von boykottierten Unternehmen.
zeitraum: 1970-1980; Event- ● Durchschnittlicher Börsenwertverlust von 120 Millionen $.
studie, Dummy-Regression. ● Kein Nachweis von Einflüssen spezifischer Boykottattribute.
Garrett
(1987)
Expertenbefragung (Boykott- ● Hohe Boykotteffektivität, wenn ökonomischer Druck und
initiatoren und boykottierte
potentieller Imageschaden hoch ist.
Unternehmen); n = 2 * 21;
● Hohe Boykotteffektivität, wenn der Widerstand des boykotQualitative Datenanalyse.
tierten Unternehmens gering ist.
ZfB 78. Jg. (2008), H. 5
15
Tab. 3 (Fortseztung)
Autor
(Jahr)
Studientyp
Zentrale Ergebnisse
Pruitt
et al.
(1988)
Sekundärdaten; 15 gewerkschaftsinitiierte Boykotts;
Beobachtungszeitraum:
1973-1986; Eventstudie.
● In der kurzen Frist führen Boykotts zu einer Reduktion von
Aktienkursen.
● Mittel- bis langfristig werden die Verluste wieder ausgeglichen.
Davidson
et al.
(1995)
Sekundärdaten; 59 Boykottund 35 Desinvestitionkampagnen; Beobachtungszeitraum: 1969-1991; Eventstudie
●
●
●
●
Koku
et al.
(1995)
Sekundärdaten; 29 Boykotts ● Boykottdrohungen und Boykotts haben die gleiche Wirkung.
und 25 Boykottdrohungen;
● Boykottdrohungen und tatsächliche Boykotts haben keinen
Beobachtungszeitraum:
nachhaltigen ökonomischen Effekt für boykottierte Unter1980-1993; Eventstudie.
nehmen.
● Aktienkurse der boykottierten Unternehmen steigen.
Spoerer
(2002)
Sekundärdaten; n = 215;
● Wirtschaftliche Gründe dominieren Verhalten zur Vermeidung
Potentieller politischer Boyeines Boykotts.
kott.
● Einige Indikatoren sprechen für die Relevanz ethischer
Motive.
Kritikos/
Bolle
(2004)
Formal Ansatz (Spieltheore- ● Durchführung eines Boykotts kann dazu führen, dass Monotische Fundierung)
polisten Preise unter dem Cournot-Niveau setzen müssen.
● Aufgrund sinkender Solidarität sinkt mit steigender Konsumentenzahl die Boykottneigung.
Tyran/
Engelmann
(2005)
Innes
(2006)
Boykotts können Aktienkurse negativ beeinflussen.
Ein Drittel der boykottierten Unternehmen ändert Verhalten.
Desinvestitionen sind weniger effektiv als Boykotts.
Ankündigungen des Endes von Boykotts haben keinen Einfluss auf Aktienkurse.
Ökonomisches Experiment
(Experimentelle Ökonomie);
Einfaktorielles Design: Zusammenschluss zu Boykott
organisierbar vs. nicht organisierbar.
● Preisanstiege können Boykotthandlungen bedingen.
● Die Möglichkeit einen Boykott organisieren zu können, führt
nicht zu einer Zurücknahme von Preiserhöhungen.
● Konsumenten profitieren nicht von Boykotts. Gesamtwirtlich
führen Boykotts zu Effizienzverlusten.
● Boykottunterstützung ist primär expressiv motiviert.
Formal modelltheoretischer
Ansatz (Spieltheoretische
Fundierung)
● Das Lostreten von Boykotts sowie die globale Wirkung von
Boykotts hängen von den Marktanteilen von Dyopolisten,
den Kosten der Lostretung sowie der Zielbindung der Initiatoren ab.
IV. Arbeiten mit normativem Fokus
Ein weiterer Literaturstrang beschäftigt sich mit der Entwicklung von Handlungsempfehlungen. Selbst wenn man die Betrachtung auf praxisorientierte Transferjournals ausweitet,
bleiben nur wenige normative Beiträge wie z. B. die von Davidson (1995) und Maccabee
(1997) übrig. Beide basieren lediglich auf anekdotischen Betrachtungen realer Boykotts
und sachlogischen Überlegungen. Zwei relevante Arbeiten, die primär zwar nicht normativ ausgerichtet sind, sind die von Garrett (1987) und Klein et al. (2004). Auf Basis einer
Expertenbefragung entwickelt Garrett (1987) eine Systematik strategischer Handlungsempfehlungen für Boykottinitiatoren und boykottierte Unternehmen. Im Gegensatz zu
Garrett (1987) nähern sich Klein et al. (2004) der Thematik aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive. Die abgeleiteten Empfehlungen beziehen sich primär auf die Entwicklung von Kommunikationsstrategien.
16
ZfB 78. Jg. (2008), H. 5
D. Darstellung und Priorisierung von Forschungsdirektiven
Auf Basis des Literaturüberblicks werden nachfolgend Forschungsdirektiven dargestellt
und priorisiert. Die Darstellung erfolgt unter Berücksichtigung von vier Themenfeldern,
welche z. T. implizit aufeinander aufbauen. Da die Initiatoren von Boykotts in letzter
Konsequenz vom Verhalten einzelner Konsumenten abhängig sind, ist zuerst die Analyse
des individuellen Boykottverhaltens der wesentliche Schritt zu einem tiefergehenden Verständnis des Erkenntnisobjekts. Zweitens ist auch die Analyse der globalen Boykotteffektivität relevant. Mithilfe von Erkenntnissen, welche im Zuge der Bearbeitung der ersten
beiden Themenfelder gewonnen wurden, sollten drittens normative Arbeiten erstellt werden. In einem letzten Schritt kann viertens eine Übertragung von Befunden auf verwandte Erkenntnisobjekte erfolgen.
I. Vertiefung der Erkenntnisse des individuellen Boykottverhaltens
Im Zusammenhang mit der Erforschung des individuellen Boykottverhaltens bestehen
diverse Forschungsfragestellungen, welche vorrangig bearbeitet werden sollten. Entsprechende Forschungsdirektiven ersten Ranges („Top-Tier Priorities“) sind:
1. Untersuchung der Antezedenten des Boykottverhaltens: In theoriegeleiteten Modellen
werden Antezedenten des Boykottverhaltens berücksichtigt, deren Zustandekommen
nicht erklärt wird. So ist das Konstrukt der wahrgenommenen Unerhörtheit unerforscht
(vgl. Modell a in Abb. 1). Zum einen sollte die affektive Basis der Unerhörtheit näher
beleuchtet werden. Es ist zu vermuten, dass die emotionale Aktivierung in verschiedenen Boykottkontexten variieren kann. Zum anderen sollte auch überprüft werden, ob
Unerhörtheitswahrnehmungen auf einem kognitiven Abgleich der Wahrnehmung unethischer Geschäftspraktiken mit individuellen Werten fußen. Hier könnte sich eine
Parallele zum Diskonfirmation-Paradigma der Kundenzufriedenheit ergeben (vgl. z. B.
Churchill/Surprenant, 1982). Es ist ferner zu vermuten, dass die Unerhörtheit – analog
zur Attributionstheorie (vgl. Folkes, 1984) – je nach kausaler Zuschreibung unterschiedlich ausfällt. Im Zusammenhang mit der wahrgenommenen Erfolgswahrscheinlichkeit
sowie der erwarteten Boykottbeteiligung (vgl. Modell b in Abb. 1) bestehen ebenfalls
Forschungsdefizite. Firmen- und initiatorenspezifische Faktoren wie z. B. das Image
des boykottierten Unternehmens oder die Glaubwürdigkeit des Boykottinitiators sowie
kommunikationsbezogene Determinanten mögen diese Konstrukte beeinflussen.
2. Weiterentwicklung theoriegeleiteter Erklärungsansätze: In der Boykottforschung ist
ein Trend zu theoriegeleiteten empirischen Studien zu erkennen. Dies erklärt sich
dadurch, dass der Erkenntnisgewinn weiterer explorativer bzw. Ad hoc-Studien beschränkt erscheint. Trotz der recht soliden theoretischen Fundierung empirischer
Studien sind weitere theoriegeleitete Arbeiten nicht obsolet. Ansatzpunkte entsprechender Arbeiten sind:
● Integration bestehender Modellansätze: Mit einer Verbindung des „Arousal:
Cost-Reward“-Ansatzes mit dem instrumentellen Modell könnte ein Brückenschlag zwischen affektiven und kognitiven Determinanten des Boykottverhaltens
gelingen. Überschneidungspunkte zwischen den beiden Modellen bestehen u. a.
ZfB 78. Jg. (2008), H. 5
●
●
●
●
●
17
bei den Kosten der Boykottbeteiligung. Bezüglich des im Kontext des internationalen Marketings stehenden Boykottmodells von Ettenson/Klein (2005) bieten
sich ebenfalls Erweiterungen durch Aspekte des „Arousal: Cost-Reward“-Ansatzes bzw. des instrumentellen Modells an.
Überprüfung verschiedener Modelle in unterschiedlichen Boykottkontexten: Die
Validität theoriegeleiteter Modelle sollte in unterschiedlichen Boykottkontexten
überprüft werden. Es ist z. B. zu vermuten, dass das Verhalten der Konsumenten
bei ökonomischen Boykottkampagnen vergleichsweise stark durch kognitive bzw.
rationale Prozesse bestimmt ist. Affektive Aspekte müssten dagegen u. a. im Kontext sozial motivierter Boykotts bestimmend sein. Bei entsprechenden Modellvergleichen sollten auch Abweichungen in der Motivstruktur berücksichtigt werden.
Wirkung kommunikativer Stimuli: Die Wirkung kommunikativer Stimuli wurde
bislang weitgehend vernachlässigt.18 Als erster Schritt ist eine Betrachtung der
Wirkung diverser Kommunikationsmaßnahmen angezeigt (z. B. „Celebrity Endorsement“19 oder „Culture Jamming“20). Hier sollte u. a. der Einfluss des konsumentenseitigen Involvements sowie die Glaubwürdigkeit des Senders kontrolliert
werden. In einem zweiten Schritt sollte eine Untersuchung des Zusammenspiels
von Boykottaufrufen und kommunikativen Gegenmaßnahmen boykottierter Unternehmen erfolgen. Die Überprüfung der Existenz von Primär- und Rezenzeffekten könnte hier ein erster interessanter Ansatzpunkt sein.
Abbildung von Entscheidungsprozessen: Der Entscheidungsprozess für oder gegen einen Boykott sollte umfassender beleuchtet werden. So gehen z. B. Klein
et al. (2004) davon aus, dass Produkte eines boykottierten Unternehmens bei einer
hohen Unerhörtheitswahrnehmung unmittelbar aus dem „Consideration Set“ fallen. Bei moderater Unerhörtheit wird die Relevanz der Boykottkampagne dagegen dem Nutzen des Produkts, das boykottiert werden soll, gegenübergestellt.
Darüber hinaus sollte die Abwägung von motivierenden und demotivierenden
Aspekten einer Boykottbeteiligung, welche im Modell von Klein et al. (2004) nur
sehr grob berücksichtigt wird, detaillierter abgebildet werden.
Berücksichtigung von Gruppeneffekten: Da sich Konsumentenboykotts als ein
Phänomen des Kollektiverhaltens darstellen, sollten Gruppeneffekte und Aspekte
der Kooperation innerhalb von Gruppen näher betrachtet werden. So kann vermutet werden, dass Konsumenten, alleine aufgrund der Aussicht, Teil einer Gruppe
sein zu können, einen Anreiz zur Teilnahme haben (vgl. John/Klein, 2003). Gegen
entsprechende Effekte spricht nach Kozinets/Handelman (1998), dass eine Boykottbeteiligung auch eine Form der Abgrenzung von anderen Personen sein kann.
Weiterhin sollte die Relevanz von referenzgruppenspezifischen Normen diskutiert werden (vgl. Childers/Rao, 1992).21 Darüber hinaus ist davon auszugehen,
dass das Kooperationsverhalten sowohl von gruppenspezifischen Aspekten (z. B.
Gruppengröße oder –identität)22 als auch von Charakteristika der Gruppenmitglieder (z. B. individuellen Wertvorstellungen) abhängig ist.
Wirkung von Boykotts auf das Unternehmens- und Markenimage: Über eine alleinige Erklärung des Boykottverhaltens hinaus sollte auch analysiert werden, wie
Boykotts auf individueller Ebene das Image von Unternehmen und Marken beeinflussen können.23
18
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● Betrachtung des Aktivisten- und Managerverhaltens: Naturgemäß fokussiert sich
der Großteil der verhaltenswissenschaftlich orientierten Boykottforschung auf die
Betrachtung von Konsumenten. Die Relevanz einer tiefergehenden Analyse des
Verhaltens von Managern und Aktivisten, wie sie Garrett (1987) in Ansätzen liefert, liegt aber auch auf der Hand. So könnte untersucht werden, wie unterschiedliche Entlohnungssysteme das Verhalten von Managern im Kontext von Boykotts
beeinflussen.
Neben diesen Forschungsdirektiven ersten Ranges bestehen auch Fragestellungen, deren
Beantwortung aufgrund geringer Erwartungen im Hinblick auf den resultierenden Erkenntnisgewinn weniger dringend ist. Zu diesen Forschungsdirektiven zweiten Ranges
zählen:
1. Erstellung interkultureller Studien: Da der Großteil der bestehenden Beiträge auf den
angelsächsischen Kulturkreis beschränkt ist, ist eine Durchführung interkultureller
Studien angezeigt. Ein Ansatzpunkt für diese Arbeiten ist, dass sich Kontinentaleuropäer möglicherweise stärker auf staatliche Eingriffe verlassen und daher eher „nach
dem Staat rufen“.24 In kollektivistischen asiatischen Kulturen besteht dagegen eine
stärkere Bindung an soziale Normen. Gruppeneffekte mögen daher dort ausgeprägter
sein. Ferner kontrollieren nach Kacen/Lee (2002) Menschen aus asiatischen Gesellschaften ihre Emotionen stärker. Dies mag den Effekt der wahrgenommenen Unerhörtheit auf die Boykottintention dämpfen.
2. Modifikation bestehender Modelle: Hinsichtlich verschiedener Aspekte sollten Erweiterungen bestehender Modelle vorgenommen werden. So könnten bislang unberücksichtigte Konstrukte wie Wertevorstellungen und Einstellungen (vgl. Garrett,
1987), die Illusion der Kontrolle (vgl. John/Klein, 2003) sowie diverse Boykottmotive (vgl. Klein et al., 2002 und Kozinets/Handelman, 1998) integriert werden. Dies
ist insbesondere im „Arousal: Cost-Reward“-Modell einfach, in dem Boykottmotive
als zusätzliche Entlohnungsgröße in die bestehende Modellstruktur integriert werden
könnten.
3. Analyse des Einflusses soziodemographischer Merkmale: Es liegen z. T. inkonsistente Befunde zum Einfluss soziodemographischer Merkmale vor (vgl. zu geschlechtsspezifischen Einflüssen Lysonski/Pollay (1990) und Klein et al. (2004),25 zum Einfluss des Alters Klein et al. (2004) und Elder (1987) sowie Elder (1987) zu weiteren
soziodemographischen Einflüssen). Es könnte z. B. untersucht werden, ob die soziodemographischen Charakteristika von Boykottunterstützern über diverse Boykottkontexte hinweg stabil sind.
4. Analyse subkultureller Einflüsse: Individuelle Wertestandards variieren über Subkulturen (z. B. postmaterialistische Werte). Fournier (1998) spricht in diesem Zusammenhang von zentralen Lebensleitmotiven. Vermutlich fruchten bestimmte Boykottaufrufe in manchen Subkulturen besser als in anderen. Konform gehend mit der Idee
zentraler Lebensleitmotive und mit dem Konzept der symbolischen Konsumtion mag
eine Boykottbeteiligung in bestimmten Subkulturen einen selbstwertsteigernden symbolischen Akt darstellen.
ZfB 78. Jg. (2008), H. 5
19
II. Umfassende Analyse der globalen Boykotteffektivität
Genauso wie im Kontext der Untersuchung des individuellen Boykottverhaltens bestehen
im Zusammenhang mit der Analyse der Boykotteffektivität Forschungsfelder, deren Bearbeitung vorangestellt werden sollte. Zu derartigen Forschungsdirektiven ersten Ranges
zählen:
1. Analyse der Determinanten der Boykotteffektivität: Wie die Literaturrecherche zeigt,
sind die Befunde der Eventstudien inkonsistent. Eine Erklärung hierfür mag sein, dass
die entsprechenden Untersuchungen keine potentiellen Determinanten der Boykotteffektivität berücksichtigen und somit weitgehend theorielos vorgehen. Daher sollte
die von Pruitt/Friedman (1986) angestoßene Idee, die Effekte potentieller Determinanten zu quantifizieren, forciert werden.26 Hierbei sollten auf Basis sekundärstatistischer Informationen u. a. sowohl Charakteristika des Boykottinitiators (z. B. Finanzkraft), des boykottierten Unternehmens (z. B. Unternehmensimage) und des Boykotts
(z. B. expressiv oder instrumentell) als auch das konkrete strategische Vorgehen der
Kontrahenten abgebildet werden.
2. Integration verhaltenswissenschaftlicher Konstrukte: Über die alleinige Berücksichtigung von Informationen aus sekundärstatistischen Quellen hinaus sollten auch verhaltenswissenschaftlich fundierte Konstrukte integriert werden. Damit könnte eine
Brücke zur Thematik des individuellen Boykottverhaltens geschlagen werden. Ferner
könnte mit der Integration von Aspekten, welche auch die Perspektive des Managements sowie der Boykottinitiatoren abbilden, triadische Betrachtungen vorgenommen
werden.
3. Integration von Informationen aus Kundendatenbanken und Verbraucherpanels: Nicht
zuletzt aufgrund der sich stetig verbessernden technologischen Möglichkeiten (z. B.
Kundendatenbanken und Verbraucherpanels) sollte die Boykotteffektivität zukünftig
verstärkt über realen Marktdaten erfasst werden. Die entsprechenden Informationsquellen würden ferner auch eine Durchführung von Längsschnittstudien ermöglichen.
4. Betrachtung der Dynamik von Boykottkampagnen: Boykotts entwickeln sich üblicherweise dynamisch. Ausgehend von ersten begrenzten Erfolgen nehmen die Effekte
von Boykotts sukzessive zu. Teilweise ist der Wirkungsgrad letztendlich so hoch, dass
die boykottierten Unternehmen die Kontrolle über die Situation verlieren. Eine Analyse der Ausbreitung der Effekte von Boykotts, die u. a. angelehnt an Modellen der
Diffusion von Innovationen erfolgen kann, könnte interessante Ansatzpunke für normative Arbeiten liefern.
Neben diesen „Top-Tier Priorities“ sollten nachfolgende Forschungsdirektiven zweiten
Ranges nicht aus den Augen verloren gehen:
1. Generalisierung der Ergebnisse von Eventstudien: Die Inkonsistenz der Befunde mag
u. a. auch dadurch bedingt sein, dass die jeweiligen Datenbasen stark voneinander
abweichen (vgl. Tab. 4). Im Rahmen weiterer Studien sollte daher eine Generalisierung der Befunde durch eine Vereinheitlichung und Verbreiterung der Datenbasen
erfolgen.
20
ZfB 78. Jg. (2008), H. 5
2. Verwendung alternativer Analysemethoden: Neben Eventstudien sollten auch andere
ökonometrische Ansätze (z. B. Panelregressionen) verwendet werden. Ferner sollte
bedacht werden, dass die Analyse der Boykotteffektivität aufgrund der Dynamik und
Komplexität von Boykotts nicht trivial ist. Anstatt mit komplexen ökonometrischen
Methoden könnte daher eine Beschränkung auf einzelne oder einige wenige Boykotts
zielführender sein. Diese Analysen könnten u. a. mithilfe der Fallstudienmethodik
durchgeführt werden.
3. Berücksichtigung alternativer Wirkungskategorien: Neben dem Effekt von Boykotts
auf Aktienkurse sollten weitere Wirkungskategorien berücksichtigt werden. So könnten die wirtschaftlichen Effekte auch anhand von Markenwerten untersucht werden.
Insbesondere im Kontext von expressiven Kampagnen müssen dagegen einstellungsund imagebezogene Größen in den Vordergrund gestellt werden. Ferner sollte die instrumentelle Wirkung von Boykotts (Änderung der Geschäftspraktik) nicht aus den
Augen verloren gehen.
III. Arbeiten mit normativem Fokus
Hinsichtlich zukünftiger Arbeiten mit normativem Fokus wird keine Unterscheidung von
Forschungsdirektiven ersten und zweiten Ranges vorgenommen. Dies erklärt sich zum
einen dadurch, dass die hier angestoßenen Fragestellungen z. T. auch auf den vorgelagerten Ebenen der Untersuchung des individuellen Boykottverhaltens und der Boykotteffektivität bearbeitet werden können. Zum anderen stellten einige der aufgeführten Aspekte
eine Anwendung von Standardmethoden dar. Daher können die aufgeführten Punkte tendenziell als Forschungsdirektiven zweiten Ranges angesehen werden:
● Handlungsempfehlungen für Boykottinitiatoren:27 Zur Entscheidungsunterstützung
sollten Instrumente entwickelt werden, mit deren Hilfe die Erfolgswahrscheinlichkeit
von Boykottkampagnen ex ante evaluiert werden kann. Aufgrund der bereits erwähnten Komplexität und Dynamik realer Boykotts bieten sich hierzu Simulationsansätze
an. Mitunter stehen Boykottinitiatoren ferner vor der Entscheidung, ein angreifbares
Ziel aus einer Vielzahl von Unternehmen auswählen zu müssen. Dies könnte z. B. auf
Basis von Diskriminanzanalysen erfolgen. In die Diskriminanzfunktion könnten
Größen eingehen, die in Studien zum individuellen Boykottverhalten und zur Boykotteffektivität berücksichtigt wurden. Nach der Wahl eines zu boykottierenden Unternehmens stellt sich die Frage, welche Kommunikationsstrategie gewählt werden soll.
Zukünftig sollte man sich in diesem Kontext damit beschäftigen, wie man wesentliche Antezedenten des Boykottverhaltens durch kommunikative Maßnahmen steuern
kann. Über den Verlauf mehrerer Kampagnen – und hierbei insbesondere hinsichtlich
wenig erfolgreicher Boykotts – wäre ferner interessant zu wissen, wie Boykottinitiatoren Glaubwürdigkeit aufbauen bzw. bewahren können.
● Handlungsempfehlungen für boykottierte Unternehmen: Im Gegensatz zu Boykottinitiatoren sind Unternehmen üblicherweise nicht regelmäßig mit Boykotts konfrontiert. Da Konsumentenboykotts singuläre Ereignisse sind, die durch eine hohe
Dynamik und Komplexität geprägt sind, erscheint die Entwicklung von elaborierten
(Optimierungs-) Verfahren zur Entscheidungsunterstützung nicht zuletzt aufgrund
ZfB 78. Jg. (2008), H. 5
21
des ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses schwierig.28 Gleichwohl bleiben wichtige Fragestellungen für normative Beiträge bestehen. So sollten z. B. Indikatoren
entwickelt werden, die in Frühwarnsystemen verwendet werden können. Als Basis
könnten u. a. Informationen aus Weblogs dienen. Eine weitere Frage ist, mit welchen
Präventivmaßnahmen man die von Boykotts ausgehenden Gefahren verringern kann.29
Ebenfalls weitgehend unerforscht ist, wie Unternehmen kommunikativ auf Boykottaufrufe reagieren sollen. Einerseits sollte hier untersucht werden, wie die Reaktion
intensitätsmäßig (ausbleibende, moderate oder massive Reaktion) und inhaltlich (z. B.
rechtfertigende oder entschuldigende Reaktion) gestaltet werden sollte. Andererseits
sollte darauf abgezielt werden, wie z. B. die Unerhörtheit zielkonform beeinflusst
werden kann. Ansatzpunkte hierfür liefern Beiträge, die sich mit den Antezedenten
des Boykottverhaltens beschäftigen.30 Wichtig zu wissen wäre auch, wie sich Unternehmen von den Imageschäden eines Boykotts nachhaltig erholen können.
IV. Übertragung von Befunden auf benachbarte Erkenntnisobjekte
Benachbarte Erkenntnisobjekte, die auf die Resultate der Boykottforschung übertragen
werden können, sind etwa Phänomene des Kollektivhandelns (z. B. Blutspenden oder
ehrenamtliches Engagement). Ähnliches gilt für verantwortungsbewusste Konsumverhaltensweisen (z. B. umweltbewusstes Kaufverhalten) und Phänomene der Anti-Konsumtion bzw. des Konsumentenwiderstands wie z. B. die Vermeidung von Markenprodukten oder selbstbeschränkte Lebensstile. Ebenfalls könnte das von Friedman (1996)
thematisierte Phänomen des „Buycotts“ unter Berücksichtigung der Befunde der Boykottforschung betrachtet werden. Weitere interessante Ansatzpunkte würden Arbeiten zu
den Antezedenten des Boykottverhaltens eröffnen. So könnten z. B. Erkenntnisse zur
wahrgenommenen Unerhörtheit in Arbeiten verarbeitet werden, die sich mit Reaktionen
von Verbrauchern auf unethische Geschäftspraktiken beschäftigen. Darüberhinaus könnte
eine Übertragung von Erkenntnissen normativ ausgerichteter Arbeiten bzgl. diverser Themenstellungen des Krisenmanagements erfolgen.
E. Schlussfolgerungen
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde das Phänomen des Konsumentenboykotts betrachtet. Ausgehend von einer Begriffsabgrenzung wurden die im Bereich des wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttums vorliegenden Beiträge systematisch besprochen. Aus sachinhaltlicher Perspektive wurde deutlich, dass sich die vorwiegende Zahl substantieller
Forschungsbeiträge entweder mit der globalen Boykotteffektivität beschäftigt oder sich
auf das individuelle Boykottverhalten fokussiert. Die Analyse des individuellen Boykottverhaltens stellt ein interessantes Forschungsfeld dar. Einen wichtigen konzeptionellen
Rahmen liefert die Theorie sozialer Dilemmata. Entsprechend dieser Theorie stellen die
positiven Effekte von Boykotts ein öffentliches Gut dar, dessen Bereitstellung durch Trittbrettfahrer gefährdet ist. Weiterführende Arbeiten zeigen aber, dass die individuelle Boykottneigung höher ausfallen kann als von der Theorie sozialer Dilemmata vorhergesagt
wird.
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Insbesondere vor dem Hintergrund sich verstärkender Globalisierungstendenzen ist zu
vermuten, dass sich seitens der Verbraucher verstärkt ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber des Verhaltens multinationaler Konzerne einstellt. Da Konsumentenboykotts eine
Möglichkeit bieten, etwas zu bewegen und somit diese Ohnmacht zu überwinden, ist zu
vermuten, dass ihre Bedeutung in Zukunft noch weiter steigen wird. Ferner tragen u. a.
auch postmaterialistische Gesellschaftsströmungen, wie z. B. die Neigung zu authentischen und selbstbeschränkten Lebensstilen, zur steigenden Relevanz von Verbraucherboykotts bei. Konform gehend mit der Idee dieser Lebenskonzepte verschaffen Boykotts
einzelnen Konsumenten die Möglichkeit, sich aktiv von den üblichen Gepflogenheiten
der heutigen Konsumgesellschaft abzugrenzen. Kozinets/Handelman (1998) sprechen
sogar davon, dass durch eine Boykottbeteiligung die Sphäre des Konsums beseelt werden
kann. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des vorliegenden Beitrags kann festgehalten werden, dass im Themenbereich der Konsumentenboykotts eine Vielzahl unbearbeiteter Forschungsfragen existiert. Es ist somit zu hoffen, dass diese Arbeit als Impulsgeber
für die Erschließung dieser Forschungsfelder dienen kann.
Endnotes
1 Vgl. hierzu z. B. Jordan (1998).
2 Für Näheres vgl. z. B. Post (1985).
3 Beispiele deutscher Unternehmen, gegen die ein Boykottaufruf ausgesprochen wurde, sind BMW (Arbeitsplatzabbau bei Rover; Initiator: Amalgamated Engineering and Electrical Union), Deutsche Bahn (Verhinderung einer Ausstellung über deportierte jüdische Kinder; Initiator: Initiative „Elftausend Kinder“), Lufthansa (Abschiebemethoden „Deportation Class“; Initiator: Förderverein Libertad! e.V.) oder Siemens
(Atomwaffen und Atomkraftwerken; Initiator: International Physicians for the Prevention of Nuclear War).
4 Während des Karikaturenstreits wurden aufgrund eines Beitrags in der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“,
der Karikaturen des Propheten und Religionsstifters Mohamed beinhaltete, im Jahre 2006 verschiedene Protestaktionen (u. a. Boykottaufrufe gegenüber dänischen Waren) losgetreten (vgl. Debatin, 2006).
5 Positive Effekte verantwortlichen Unternehmensverhaltens werden u. a. von Klein/Dawar (2004) oder Luo/
Bhattacharya (2006) nachgewiesen.
6 Vgl. Klein et al. (2004).
7 Nichtregierungsorganisation sind Organisationen, die auf der Basis privater Initiative transnationale politische und gesellschaftliche, aber auch soziale oder ökonomische Ziele vertreten. Sie übernehmen dabei
Funktionen im politischen Willensbildungsprozess: Artikulation, Aggregation sowie Implementierung von
Interessen. Dies erreichen NRGs durch Themensetzung in Medien, Vertretung von Interessen über nationale
Grenzen hinweg sowie durch konkrete Projektarbeit. NRGs engagieren sich vor allem auf den Politikfeldern
Entwicklungspolitik, Menschenrechte, Humanitäre Hilfe sowie Ökologie. Bekannte Vertreter sind amnesty
international, Greenpeace und kirchliche Organisationen wie Brot für die Welt oder misereor; vgl. Schubert,
K./Klein, M. (2006). NRGs stellen zumeist gemeinnützige Unternehmen dar (vgl. hierzu Eichhorn, 1984).
8 In Abschnitt C.II.2 wird gezeigt, wie das individuelle Boykottverhalten im Kontext von Phänomenen des
Kollektivhandelns, wie sie Soziale Bewegungen darstellen, erklärt werden kann.
9 Es existieren weitere Arbeiten aus Disziplinen wie der Rechtswissenschaft (z. B. Vlasek, 2006), Wirtschaftsethik (z. B. Reingold/Lansing, 1994) oder Soziologie (z. B. Petrof, 1963).
10 Die Recherche erfolgte in den englischsprachigen Online-Literaturdatenbanken „Econlit“ und „Business
Source Premier“ sowie in der deutschsprachigen Online-Datenbank „WISU“. Im Wesentlichen wurde nach
den Stichwörtern „Boycott“, „Consumer Boycott“, „Boykott“, „Kaufboykott“ „Konsumentenboykott“, „Konsumboykott“, und „Verbraucherboykott“ gesucht.
11 Weitere Fallbetrachtungen, welche wenige wissenschaftliche, sondern vielmehr essayistische Qualitäten besitzen, finden sich bei Garrett (1986), Yao (1990), Putnam/Muck (1991), Smith (1991), Zack (1991) und
Putnam (1993). Ferner soll auch noch auf die begriffsabgrenzende Arbeit von Friedman (1999b) verwiesen
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werden. Als Mindestanforderung an eine wissenschaftliche Arbeit wurde das Vorliegen eines Literaturverzeichnisses gestellt.
Laut einer Umfrage waren 75 % der Bundesbürger bereit, Shell zu boykottieren (vgl. Greenpeace, 2003).
Die Begründung des moderierenden Effekts der Kosten der Boykottbeteiligung ist, dass der Einfluss der
Unerhörtheit auf die Boykottentscheidung durch Argumente (wie z. B. die Notwendigkeit des Kaufs ausländischer Produkte), die gegen einen Boykott sprechen, abgeschwächt werden kann. Als theoretische Begründung werden Konfliktmodelle des Entscheidens herangezogen. Umgekehrt wird hypothetisiert, dass
Argumente, die für einen Boykott sprechen (Nutzen der Boykottbeteiligung), den Effekt der Unerhörtheit
verstärken können.
Das „Message Framing“ ist ein – prospekttheoretisch fundiertes – Mittel zur Gestaltungen von Kommunikationsbotschaften, mit dem man versucht, das Verhalten oder die Einstellung der Rezipienten zu beeinflussen.
Je nach den vorliegenden Gegebenheiten (z. B. Risikoaversion oder Involvement der Empfänger der Kommunikationsbotschaft) werden hierbei entweder die Vorteile eines Verhaltens, eines Produktes etc. oder aber
die Nachteile eines Verhaltens, eines Produktes etc. hervorgehoben (vgl. Maheswaran/Meyers-Levy, 1990).
Dagegen konnte Carvalho (2003) keinen Einfluss des „Message Framing“ nachweisen.
Für eine kritische Beurteilung des Eventstudienansatzes vgl. Wells (2004).
Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen – im Kontext des Apartheids-Boykotts – auch Teoh et al. (1999).
Lediglich im Modell von Sen et al. (2001) wird das „Message Framing“ berücksichtigt.
Unter „Celebrity Endorsement“ versteht man Praktiken, in deren Rahmen prominente Persönlichkeiten zur
Erreichung kommunikationspolitischer Ziele in Werbekampagnen einsetzt werden (vgl. z. B. McCracken,
1989).
Der Begriff “Culture Jamming” beschreibt Aktivitäten anti-kapitalistisch motivierter Aktivisten, die sich
gegen „kapitalistische Gesellschaftsstrukturen“ richten. Primär versuchen die Aktivisten den angeblich
primär von kapitalistischen Ideen geprägten Kern der Massenmedien offen zu legen und zu diskreditieren.
Zu den konkreten Maßnahmen des „Culture Jamming“ können z. B. Beiträge in Online-Medien gezählt
werden, die sich gegen den Einfluss der Massenmedien oder gegen Marketingmaßnahmen multinationaler
Konzerne richten. Hierbei werden häufig parodierende oder karikierende Darstellungsformen gewählt (vgl.
Handelman, 1999).
Diese werden bei Klein et al. (2004) durch das Konstrukt der Erhöhung des Selbstbildes und bei Sen et al.
(2001) im Zusammenhang mit der Zugänglichkeit für normative Einflüsse am Rande berücksichtigt.
Die sozialpsychologisch geprägte Identitätstheorie, die auch im Kontext des Phänomens der Sozialen Bewegung (vgl. Abschnitt B) bedeutend ist, könnte hier interessante Ansatzpunkte liefern (vgl. Stryker/Burke,
2000).
Erste Ansätze hierfür finden sich bei Miller/Sturdivant (1977) sowie Klein et al. (2002 und 2004).
Lysonski/Pollay (1990) konnten allerdings keine Unterschiede zwischen angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Probanden feststellen.
Vgl. etwa Macharzina/Wolf (1994), die zeigen, dass Frauen idealistischer bzw. politikorientierter eingestellt
sind als Männer. Ferner kann wie bei Laufer/Gillespie (2004) auch argumentiert werden, dass Frauen boykottgeneigter sind, weil sie sich eher vorstellen können, negativ von unethischem Verhalten betroffen sein
zu können.
Neben der Arbeit von Garrett (1987) zur Boykotteffektivität können die formal ausgerichteten Beiträge von
Rea (1974), Kritkos/Bolle (2004) und Innes (2006) hier Ansatzpunkte liefern.
Auf den ersten Blick erscheint es überraschend, dass in einer betriebswirtschaftlichen Zeitschrift Handlungsempfehlungen für Initiatoren von Konsumentenboykotts entwickelt werden. Da Boykotts z. T. aber
von „Non Profit“-Unternehmen losgetreten werden, welche ebenfalls Betriebe und somit Gegenstand der
Betriebswirtschaftslehre sind, ist dieses Vorgehen aus Sicht der Autoren gerechtfertigt. Die wissenschaftliche Kommission „ÖBWL“ des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft widmet sich dem
Management von „Non Profit“-Unternehmen sogar explizit.
Da Konsumentenboykotts letztendlich eine Unternehmenskrise darstellen, können sie im Rahmen von
Krisenmanagementsystemen behandelt werden.
Klein/Dawar (2004) zeigen im Kontext von „Product Harm“-Krisen, dass ein positives „Corporate Social
Responsibility“-Image wie eine Versicherung gegen negative Kundenreaktionen wirken kann. Eine ähnliche
Wirkung mag auch der Aufbau stabiler Kundenbeziehungen haben (vgl. z. B. Huang, 2001).
Im Zusammenhang mit der Abschwächung von Unerhörtheitswahrnehmungen können die Arbeiten von
Hill/Baer (1994) und Bradford/Garrett (1995) Impulse geben. Weitere Ansatzpunkte kann die Literatur zur
Krisenkommunikation (vgl. z. B. Hale et al. 2005) liefern.
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Konsumentenboykott: State-of-the-Art und Forschungsdirektiven
Zusammenfassung
Der vorliegende Forschungsüberblick basiert auf annähernd 40 wirtschaftswissenschaftlichen Beiträgen zur Thematik der Konsumentenboykotts. Neben Arbeiten mit allgemeinem Fokus werden Beiträge zum individuellen Boykottverhalten sowie zur globalen
Effektivität von Konsumentenboykotts besprochen. Im Hinblick auf die Betrachtung des
individuellen Boykottverhaltens besteht eine kleine Zahl solide fundierter empirischer
Studien. Nichtsdestotrotz bleiben in diesem Zusammenhang Forschungslücken bestehen
wie z. B. hinsichtlich der Analyse der Antezedenten des Boykottverhaltens oder der kognitiven Verarbeitung kommunikativer Stimuli. Im Rahmen der Untersuchung der globalen Boykotteffektivität herrschen ökonometrische Studien vor. Die Befunde dieser Studien sind inkonsistent. Aus diesem Grunde sollten weitere Analysen, die u. a. Aspekte des
individuellen Boykottverhaltens integrieren, angefertigt werden. Unter Berücksichtigung
des Erkenntnisstandes zum individuellen Boykottverhalten und zur Boykotteffektivität
müssen in einem weiteren Schritt Arbeiten mit normativem Fokus erstellt werden. Letztendlich könnten die Befunde der Boykottforschung auch auf andere Erkenntnisobjekte
(z. B. ehrenamtliches Engagement) übertragen werden.
Consumer boycotts: Literature review and directives for future research
Summary
The present paper is based on a review of approximate 40 scientific papers on consumer
boycotts, which have been published in economic and management science journals. A
literature review reveals that a weightily part of these articles focuses on individual boycott behavior and on consumer boycotts’ effectiveness. With respect to research on individual boycott behavior, a small number of theoretically substantiated articles can be
found. Nevertheless significant research gaps persist. For example, the antecedents of
individual boycott behavior and the processing of communication stimuli deserve closer
attention. Regarding the analysis of consumer boycotts’ effectiveness econometric studies
predominate. These studies’ findings turn out to be inconsistent. Thus, further research,
which particularly could incorporate different aspects of individual consumer behavior,
should be conducted. Besides this, substantive normative studies are needed. In addition,
results of research on consumer boycotts should be transferred to adjacent fields of research (e. g. voluntary behavior).