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Das bfu-Magazin für Präventionspartner 3/2015 SICHERHEIT IN GEBÄUDEN 10 Jahre Stade de Suisse HINDERNISFREI BAUEN Wohnraum für Jung und Alt NEUE E-BIKE-STUDIE Überraschende Erkenntnisse EINSTIEG EDITORIAL Schlau bauen nützt allen In der Schweiz herrscht rege Bautätigkeit. Denn der Wohnraum, vor allem in den Städten und Agglomerationen, ist knapp. Umnutzung und verdichtet Bauen sind im Trend. Die Bauweise wird ökonomischer und ökologischer. Es braucht aber noch mehr: Wohnraum soll auch generationengerecht und hindernisfrei und je nach aktueller Lebenssituation flexibel nutzbar sein. Interessant ist, wie sich die Bedürfnisse von Kindern und alten Menschen häufig decken: Der Dreikäsehoch und die Rollstuhlfahrerin sind gleichermassen froh, wenn die Knöpfe im Lift tief genug angebracht sind. Und die junge Mutter mit Kinderwagen sowie der Mann mit Rollator freuen sich über konsequent schwellenlose Übergänge im und ums Gebäude. Generationengerechtes und hindernisfreies Bauen ermöglicht allen Menschen – ob Jung oder Alt, mit oder ohne körperliche Einschränkung, alleinstehend oder als Gemeinschaft – einen bequemeren Alltag. Und es erhöht die Sicherheit für die Bewohnenden. Ursula Marti STATUS 2015: Die Mehrheit fährt korrekt In der Schweiz verletzen sich jährlich rund 1 Million Menschen bei Freizeitunfällen, mehr als 2200 sterben. Die detaillierten Zahlen dazu veröffentlicht die bfu jedes Jahr Anfang August im STATUS, der Statistik der Nichtberufsunfälle und des Sicherheitsniveaus in der Schweiz. Wie der Name andeutet, handelt es sich dabei nicht nur um ein Zahlen-Nachschlagewerk zum Unfallgeschehen, sondern auch zu Verhalten und Einstellungen. Neben wiederkehrenden Sicherheitsindikatoren (z. B. Sicherheitsgurten-Tragquoten) werden auch selbstberichtete Verhaltensweisen zu wechselnden Themen aus den Bereichen Strassenverkehr, Sport sowie Haus und Freizeit aufgegriffen. Die repräsentative Bevölkerungsbefragung, die das LINK Institut im März 2015 im Auftrag der bfu durchgeführt hat, ergab im Bereich Strassenverkehr unter anderem folgende Resultate: 68 Prozent der Autofahrenden geben an, selten oder nie schneller als erlaubt zu fahren. 96 Prozent telefonieren während der Fahrt gemäss eigener 100 Aussage selten oder nie mit dem Handy 100 und 86 Prozent bedienen selten oder 80 100 nie ein Navigationsgerät. Das sind 80zum Teil 100 erstaunliche 60 80 Werte, die bfu-Verkehrspsychologe 60 80 Uwe 40Ewert wie folgt kommentiert: 60 «Bei Umfragen zu Themen, die sich 40 60 auf gesetzeswidrige Verhaltensweisen 20 40 beziehen, kann20 es natürlich durch die 40 soziale0 Erwünschtheit zu einer Verzer20 mor rung der Ergebnisse kommen.» 0 20 0 Schneller als erlaubt fahren 100 Nie 80 Während der Fahrt Während der Fahrt Währe 0 mit Freisprechein Navigationsmit Ha anlage gerät Schneller als telefonieren Während derbedienen Fahrt Während de erlaubt fahren mit Freisprechein Navigati Schneller alsanlage telefonieren Während der Fahrt gerät bedien erlaubt fahren Oft mit FreisprechSelten Gelegentlich Schneller als anlage telefonieren Während der erlaubt fahren mit Freisprec Nie Selten Gelegentlich Oft anlage telefo Nie Selten Nie Gelegentlich Selten 60 40 20 0 Schneller als erlaubt fahren Nie Während der Fahrt mit Freisprechanlage telefonieren Selten Gelegentlich Während der Fahrt ein Navigationsgerät bedienen Während der Fahrt mit Handy telefonieren Oft ImpRESSUm Herausgeberin: bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung, Hodlerstrasse 5a, CH-3011 Bern, [email protected], www.bfu.ch, Tel. + 41 31 390 22 22 Adressänderungen: [email protected] Redaktion: Ursula Marti (wortreich gmbh), Tom Glanzmann (bfu), Rolf Moning (bfu), Nathalie Wirtner Julmi (bfu) Redaktionsadresse: Ursula Marti, wortreich gmbh, Maulbeerstrasse 14, 3011 Bern, [email protected], Tel. + 41 31 305 55 66 Korrektorat: Hedy Rudolf (bfu) Bildnachweise: Seite 1: KEYSToNE/Gaetan Bally; Seite 11 (Motorrad), 12, 14, 16: bfu; Seite 2, 3, 4, 5, 6, 8, 10: Iris Andermatt; Seite 9: Fachstelle für behindertengerechtes Bauen; Seite 15: Polizei Lausanne Layout: SRT Kurth & Partner AG, Ittigen Druck: AST & FISCHER AG, Wabern Auflage: Deutsch: 8900, Französisch: 3000, Italienisch: 1100. Das Magazin erscheint vierteljährlich. ISSN 2235-8846 (Print) / ISSN 2235-8854 (PDF). © Wiedergabe von Artikeln nur mit Genehmigung der Redaktion und unter vollständiger Quellenangabe. 2 sicher leben 3 / 2015 Oft Gelegentlich FOKUS SICHERHEIT IN GEBÄUDEN Stefan Stauffiger (links) und Tobias Jakob sind sich einig: Im Stade de Suisse konnten die Unfallrisiken dank einer umsichtigen Planung minimiert werden. 10 Jahre Stade de Suisse – ein rundum geglückter Bau SICHER GEPLANT Bei Gebäuden mit grossem Publikumsandrang ist eine sichere Bauweise besonders wichtig. «sicher leben» zeigt am Beispiel des «Stade de Suisse», worauf es ankommt, damit keine Unfallrisiken entstehen. Seit 10 Jahren ist es bereits in Betrieb, das «Stade de Suisse», die Heimarena der Berner Young Boys. Es wurde am gleichen Ort neu gebaut, wo früher das legendäre Wankdorf-Stadion stand. Bis zu 32 000 Fussballfans finden darin Platz. Wenn nicht gekickt wird, steht die Arena auch für Konzerte und andere Events zur Verfügung. Rund ums Stadion gibt es ein grosses Einkaufscenter, Restaurants, Büro- und Kongressräume. Die Sicherheit hatte von Beginn weg hohe Priorität. Die bfu wurde schon während der Bauphase vom Generalunternehmer einbezogen und formulierte in einem Bericht konkrete Sicherheitsempfehlungen. Dieses Vorgehen habe sich offensichtlich gelohnt, meint Stefan Stauffiger vom BSC Young Boys. «Uns ist nur ein einziger Unfall bekannt, der sich in diesen 10 Jahren ereignet hat. Eine Person hat sich beim Sturz auf einer Treppe das Steissbein gebrochen.» Dass nicht mehr passiere, sei erstaunlich, wenn man sehe, wie die Fans nach einem Match die Treppen hinunterströmen würden. «Viele sind in aufgeheizter Stimmung, oft mit dem Blick aufs Handy gerichtet, um möglichst schnell die Resultate der anderen Clubs zu erfahren.» Sicherheitsberater Tobias Jakob – er leitet die Abteilung Haus / Freizeit / Produkte bei der bfu – sieht den Erfolg in den vorbildlich gestalteten sicher leben 3 / 2015 3 FOKUS SICHERHEIT IN GEBÄUDEN Stadioneingängen und -ausgängen. So weisen die Treppen in kurzen Abständen Zwischenpodeste auf und sind mit reichlich Handläufen und Geländern gesichert. Zudem ist der Beginn der Treppe farblich gut sichtbar und der Bodenbelag ist rutschsicher. Letzteres ist besonders bei nassem Wetter wichtig. Genügend Raum Auch im Stadioninnern sind sicher gestaltete Treppen und Geländer sowie zusätzliche Gitter bei den Aufgängen, wo die Fans ins Stadion treten, die zentralen Sicherheitselemente. Positiv ins Auge sticht dem bfu-Experten sofort die für Stadien flache Treppenneigung. «Je näher die Treppenneigung bei 30° liegt, desto komfortabler und sicherer ist es für die Zuschauer», so Tobias Jakob. Und auch die grosszügigen Zwischenräume zwischen den Stuhlreihen seien praktisch. Die Zuschauer können durch die Reihen gehen, ohne dass bereits sitzende Personen aufstehen müssen. Ein Blick hinauf zum VIP-Bereich zeigt eine breite Brüstung aus Glas. Auch das sei gut gelöst, sagt der Fachmann: «Absolut sicher und ohne dass eine Einschränkung der Sicht in Kauf genommen werden muss.» Im Übrigen seien auch bei Privatbauten Brüstungen oder Geländer aus Glas sehr beliebt geworden. Das heutige Verbundsicherheitsglas biete selbst bei einem allfälligen Bruch noch genügend Schutz und erlaube ästhetisch schöne Gestaltungen. Shopping inklusive Ein grosser Publikumsmagnet ist auch das Wankdorfcenter. Dort sind die Filiale eines grossen Detailhändlers, weitere Läden und Restaurants einquartiert. Die Sicherheitsberatung der 4 sicher leben 3 / 2015 Die vielen Handläufe beim Eingang geben Sicherheit. Das Tickethäuschen ist genügend hoch, damit niemand aufs Dach steigen kann. bfu vor 10 Jahren umfasste auch diesen Bereich. Ein Blick in den Eingangs bereich zeigt, dass der Sicherheitsstandard nach wie vor hoch ist. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Fussboden, den Boden im Innern feucht und somit rutschig machen. Das grosse Treppengeländer in der Eingangshalle erhält vom Experten Jakob ebenfalls ein Lob: «Das Geländer ist genügend hoch und besteht aus Staketen, die bis zum Boden reichen. So ist sichergestellt, dass Kinder gut hindurchsehen und weder das Geländer hinaufklettern noch durch einen Zwischenraum hinunterfallen können.» «Sicher gestaltete Treppen und Geländer sind die zen tralen Sicherheitselemente.» Tobias Jakob denn Stürze sind die häufigste Unfallart. Absätze und Niveauunterschiede sind sorgfältig ausgemerzt, sodass keine Stolperstellen vorhanden sind. Positiv zu erwähnen ist auch die riesige Schmutzschleuse beim Eingang. Sie verhindert, dass nasse Schuhsohlen Ums Stadion herum Beim Gang rund um das Stadion gebäude fallen die Tickethäuschen auf, die an verschiedenen Ecken platziert sind. Da sie gleich an eine Treppe herangebaut sind, besteht die Gefahr, dass Fans auf diesem Weg auf das Flachdach Die Treppe verläuft flach, zwischen den Stuhlreihen ist viel Platz. Eingang zum Wankdorfcenter: ohne Schwelle und mit Schmutzschleuse. gelangen und auf der anderen Seite über 2 Meter hinunterfallen könnten. Auf Anraten der bfu wurden die Häuschen entweder so hoch gebaut, dass ein Besteigen kaum möglich ist oder die Zuschauer werden mit organisatorischen Massnahmen wie Absperrungen ferngehalten. Zum Schluss ein Blick auf das ganze Stadiongebäude: Auch im Aussen bereich fällt wiederum die grosszügige Bauweise auf. Stefan Stauffiger weist auf die vielbefahrene Papiermühle strasse auf der Nordseite des Stadions hin. «Wir haben Glück, dass zwischen den Zuschauereingängen zum Stadion und der Strasse viel Freiraum ist. Die Fans und Konzertbesucher sind also auch vor dem Strassenverkehr gut geschützt.» Das Stade de Suisse – ein rundum geglückter Bau, was die Sicherheit anbelangt! Die Glasbrüstung im VIP-Bereich ist elegant und zweckdienlich. Ursula Marti Alles über sicher gebaute Treppen erfahren Sie in der bfu-Fachbroschüre 2.007 «Treppen». Zum Herunterladen oder Bestellen auf www.bestellen.bfu.ch Ratgeber zur baulichen Sicherheit auf www.bauen.bfu.ch sicher leben 3 / 2015 5 FOKUS SICHERHEIT IN GEBÄUDEN Die rechtliche Sicht ÖFFENTLICHE GEBÄUDE Wer ein öffentlich zugängliches Gebäude betritt, macht sich dabei kaum Gedanken zur eigenen Sicherheit. Erleidet man indessen einen Unfall, stellt sich rasch die Frage, ob im Gebäude die relevanten rechtlichen Vorgaben beachtet wurden. Die Sicherheitsanforderungen an öffentlich zugängliche Gebäude wie das Stade de Suisse in Bern und die dazu gehörenden Läden und Restaurants sind hoch. Bei Unfällen haftet der Eigentümer. Eine frühzeitige Sicherheitsberatung ist zu empfehlen. Der Besuch im Stade de Suisse (vgl. vorheriger Artikel) hat gezeigt: Der Sicherheit wurde viel Platz eingeräumt. Einerseits handelt es sich um freiwillig getroffene Massnahmen, andererseits gibt aber auch das Recht vor, wie zu bauen ist. Sicheres Bauen ist vielschichtig. Im Folgenden behandelt die bfu die wichtigsten juristischen Aspekte. Vorschriften und Normen einhalten lohnt sich Die Prävention im Baubereich wird vor allem durch zahlreiche staatliche Vorschriften (Baurecht) sowie Baunormen, die nicht von einem öffentlich-recht lichen Organ erlassen worden sind (z. B. anerkannte Regeln der Baukunde, technische Normen), geregelt. Dabei 6 sicher leben 3 / 2015 sind insbesondere für die Bauarbeiten etliche staatliche Sicherheitsvorschriften einzuhalten, wie zum Beispiel die Schutzhelmtragpflicht der Bauarbeitenverordnung.1 Aber auch für die Nutzungsphase gibt es Vorschriften und Normen, die die Benutzenden des Bauwerks und Dritte vor Unfällen schützen sollen. Dafür sind jedoch durch das Baurecht in der Regel nur Schutzziele vorgegeben. Zum Beispiel, dass Bauten und Anlagen so zu betreiben und zu unterhalten sind, dass weder Personen noch Sachen gefährdet werden.2 Die Baunormen enthalten sodann Anhaltspunkte, welche konkreten Schutzmassnahmen zu ergreifen sind, um das betreffende Schutzziel zu erreichen. Je besser der Planer die künftige Nutzung eines Objekts kennt, umso gezielter können die Sicherheitsaspekte berücksichtigt und realisiert werden. Auch Sanktionen können indirekt präventiv wirken Da das Sanktionensystem der Rechtsordnung indirekt auch präventiv wirken kann, sofern es allen Baubeteiligten bekannt ist, wird nachfolgend auf die für die Nichtberufsunfallprävention besonders wichtige Werkeigentümerhaftung hingewiesen: Gemäss Art. 58 Obligationenrecht (OR) haftet der Eigentümer eines Gebäudes oder eines anderen Werks für den Schaden, der infolge fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder mangel- haften Unterhalts gegenüber Dritten entsteht. Die Werkeigentümerhaftung ist eine Kausalhaftung, da der Werkeigentümer unabhängig von eigenem Verschulden für den Schaden einstehen muss, der durch sein fehlerhaftes Werk verursacht worden ist. Dabei ist dieser Artikel nicht nur für private Werkeigentümer, sondern auch für das Gemeinwesen als Eigentümer öffentlicher Gebäude relevant. Ein Werk gilt gemäss Rechtsprechung des Bundes gerichts grundsätzlich dann als fehlerhaft im rechtlichen Sinn, wenn es bei bestimmungsgemässem Gebrauch kei ne ausreichende Sicherheit bietet. Zum Beispiel bei unzureichenden Geländern und Brüstungen oder bei Glaswänden, die den Beanspruchungen nicht standhalten. Ob ein Mangel vorliegt, wird immer anhand der konkreten Umstände ermit telt. Der Werkeigentümer darf grundsätzlich davon ausgehen, dass das «Der Eigentümer eines Gebäudes haftet für den Schaden, der infolge fehler hafter Anlage oder mangel haften Unterhalts gegenüber Dritten entsteht.» Werk bestimmungsgemäss gebraucht wird und dass die Benützenden ein Mindestmass an Vorsicht walten lassen. Nicht nur die Konstruktion, sondern auch der Unterhalt eines Gebäudes können rechtlich mangelhaft sein. Nämlich dann, wenn infolge Benützung und / oder wegen des Zeitablaufs neue Gefahrenquellen entstanden sind und die nötige Abhilfe dagegen nicht, ungenügend oder unrichtig geleistet wird. Dies, obwohl es dem Eigentümer zumutbar gewesen wäre, den Mangel festzustellen und zu beheben. Die Anforderungen an die Sicherheitsmassnahmen bei öffentlich zugängli Folgerungen aus der Werkeigentümerhaftung für die Sicherheit öffentlicher Gebäude: ner Bauten durch eine Fachperson nicht nur zur Werterhaltung, sondern auch zur Unfallprävention bei. Eine Überprüfung bestehender Sicherheitsmassnahmen in Gebäuden empfiehlt sich nicht nur, wenn sowieso eine umfassende Sanierung geplant ist. Auch eine veränderte Nutzung des Gebäudes oder das Erkennen offensichtlicher Mängel sollten Anlass zur Sicherheitsüberprüfung und allenfalls Umsetzung von Sicherheitsmassnahmen sein. Der Eigentümer leistet damit gleichzeitig einen Beitrag zur Minimierung des eigenen Haftungsrisikos. Rechtzeitige Risikoanalysen für neue Gebäude Gefahrensatz als Orientierungspunkt Wenn Gebäude neu erstellt werden, ist eine sorgfältige und umsichtige Planung zentral. Da gerade Gebäude mit grossem Publikumsandrang in der Regel komplexe Bauprojekte sind, empfiehlt es sich, bereits zu Beginn unter Beizug von Spezialisten eine gründ liche Risikoanalyse vorzunehmen und die relevanten Risiken sowohl ver traglich als auch durch technische oder organisatorische Massnahmen aufzufangen (Nutzungs- und Sicherheitsplan). Im Fall des Stade de Suisse ist dies beachtet worden, indem die bfu schon während der Bauphase vom Generalunternehmer beigezogen wurde. Wenn das Risikomanagement auch während der Realisierung des Bauprojekts fortgeführt wird, leistet man damit nicht nur Beiträge zur Unfallprävention, sondern vermeidet überdies erhebliche Zusatzkosten. Wichtig zu wissen ist ausserdem, dass sowohl im Zivil- als auch im Strafrecht anerkannt ist, dass sich eine Handlungspflicht der Baubeteiligten aus dem Gefahrensatz ergeben kann. Dieser Grundsatz besagt: «Wer eine Gefahr schafft, unterhält oder sonst in einer rechtlich verbindlichen Weise zu vertreten hat, muss sämtliche erforderlichen Sicherheitsmassnahmen treffen, um Beeinträchtigungen insbesondere der körperlichen Integrität anderer Menschen zu vermeiden.» Der Gefahrensatz ist nicht nur für Baubeteiligte ein wesentlicher Orientierungspunkt, sondern auch für Juristen und Behörden Entscheidungshilfe für die konkrete Beurteilung der Einhaltung von Sorgfaltsregeln in einem konkreten Fall. chen Gebäuden sind generell höher als bei Gebäuden, die rein privaten Zwecken dienen. Auch bei einem sensiblen Benutzerkreis stellt die Rechtsprechung erhöhte Anforderungen an Bau und Unterhalt eines Gebäudes. Demnach sind hier spezielle Massnahmen erforderlich, zum Beispiel in Kindergärten und Volksschulen, da mit einem Fehlverhalten unbeaufsichtigter Kinder zu rechnen ist. Regula Stöcklin Verordnung vom 29.6.2005 über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeit nehmer bei Bauarbeiten (SR 832.311.141) 1 Nachrüstung bestehender Gebäude? Auch wenn das Baurecht in der Regel nicht explizit dazu verpflichtet, bestehende Gebäude dem neusten Stand der Sicherheitsmassnahmen anzupassen, trägt jeder Werkeigentümer (auch das Gemeinwesen) mit einer periodischen Überprüfung der Sicherheit sei- Art. 21 Abs. 1 Baugesetz Kanton Bern vom 9.6.1985 2 sicher leben 3 / 2015 7 FOKUS SICHERHEIT IN GEBÄUDEN Generationengerechtes Bauen bringt Vorteile für alle ALTERSGERECHT BAUEN Felix Bohn ist bei der Schweizerischen Fachstelle für behinderten gerechtes Bauen tätig. Er berät Architekten, Gemeinden und Bauherren bei der Planung von generationengerechten und hindernisfreien Bauten. Im Interview erzählt er, worauf es ankommt. Felix Bohn von der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen setzt sich für hindernisfreie Bauten ein. Die grüne Brille ist ein Arbeitsinstrument für Fachleute. Sie simuliert eine Sehbehinderung. Felix Bohn, mit welchen Hindernissen haben ältere Menschen im Bereich Wohnen zu kämpfen? Felix Bohn: Grundsätzlich gibt es zwei grosse Bereiche, die oftmals Schwierigkeiten bereiten. Der eine ist der Zugang zur Wohnung. Ohne Lift können viele ältere Menschen die oberen Stockwerke nur mit Mühe erreichen. Der andere Bereich betrifft das Badezimmer. Dort ist oft der Platz das Problem. Mit einem 8 sicher leben 3 / 2015 Rollstuhl oder einer Gehhilfe ist es meistens sehr eng. Weitere Hindernisse finden sich auch in anderen Räumen. Zum Beispiel ist in der Küche das Spülbecken oft nicht in derselben Küchenzeile wie der Herd. Wenn jemand nun Spaghetti kocht, muss er den heissen Topf anschliessend vom Herd zum Spülbecken tragen, um die Spaghetti abzutropfen. Das ist für die ältere Generation oder für jemanden, der die Hand verstaucht hat, eine Herausforderung und mit unnötigen Gefahren verbunden. Welche Massnahmen braucht es, um eine Wohnung hindernisfrei zu gestalten? Bei bestehenden Gebäuden kann man die Wohnung oft mit wenigen Anpassungen optimieren. Zum Beispiel hilft es, wenn bei Treppen auf beiden Seiten Eine ergonomisch geplante Küche sorgt für kurze Arbeitswege. Das erhöht den Komfort und die Sicherheit. ein Handlauf montiert wird. Teppiche und andere Stolperfallen kann man entfernen oder sichern. Ältere Menschen benötigen mehr Licht, um gut zu sehen, deswegen ist auch eine optimale Beleuchtung notwendig. Haltegriffe im Badezimmer oder in anderen Räumen erleichtern das Aufstehen. Andere Massnahmen sollten die Bauherren bereits beim Bau umsetzen. Welche wären das? Zum Beispiel genügend breite Gänge, ein rutschfester Boden, der Verzicht auf Schwellen und der Einbau eines Lifts. All diese Massnahmen nützen aber nicht nur der älteren Generation, sondern uns allen. Wenn ich mit einem Kinderwagen oder einem Rollkoffer durch einen engen Gang manövrieren muss, ist das mühsam. Und eine schwangere Frau ist bestimmt froh, wenn sie sich beim Treppensteigen an einem Handlauf festhalten kann. Zudem werden wir selber einmal alt und auf eine hindernisfreie Umgebung angewiesen sein. Generationengerechtes Bauen bringt allen Vorteile – früher oder später. Sie sagten, die Massnahmen beim Bau «sollten» umgesetzt werden. Wird das denn nicht immer gemacht? Leider nicht. Grössere Mehrfami lienhäuser sind zwar seit 2004 dem Behindertengleichstellungsgesetz unterstellt. Einfamilienhäuser und kleine Mehrfamilienhäuser sind davon aber ausgenommen. Zudem regelt das Gesetz hauptsächlich die Zugänge zu Wohnungen und Gebäuden und die Besuchseignung. Auch wenn einzelne kantonale Baugesetze weiter gehen, fehlen umfassendere Vorschriften meist. Dazu kommt, dass oft nur bei der Baueingabe kontrolliert wird, ob das Gesetz eingehalten wird. Die Kontrolle erfolgt dann aufgrund von Plänen. Viele Kriterien sind darauf gar nicht ersichtlich. Zum Beispiel sehen die Experten nicht, ob der Boden rutschfest oder die Beleuchtung normgerecht sein werden. Welche Ziele haben Sie sich für die Zukunft gesteckt? Alle Wohnungen sollen möglichst generationengerecht gebaut werden. Es braucht nicht nur Seniorenwohnungen, wie viele Gemeinden sie anbieten. Die meisten Leute würden gerne in ihren Wohnungen bleiben und nicht wegen baulichen Hindernissen zum Umzug gezwungen sein. Alle Wohnungen sollten minimale Standards erfüllen, um das Altern in den gewohnten vier Wänden zu ermöglichen. Das ist im Inte resse von uns allen und auch volkswirtschaftlich von Bedeutung. Die Situation hat sich zwar im Vergleich zu früher verbessert, aber die Behörden und Bauherren müssen noch stärker für das Thema sensibilisiert werden. Eine letzte Frage: Was hat es mit der Brille vor Ihnen auf dem Tisch auf sich? Das ist eine Brille, die eine Sehbehinderung simuliert. Wir geben diese den Architekten ab und bitten sie, mit der Brille die Treppe hinunterzugehen oder den Lift zu bedienen. So merken sie, wo die Schwierigkeiten für ältere und sehbehinderte Menschen liegen. Gerade eine Seh- oder auch eine Hörbehinderung wird von den meisten noch zu wenig bedacht. Rollstuhlgängigkeit zum Beispiel ist schon viel stärker bei der Bevölkerung und bei den Behörden verankert. Aber das ist nur eine von vielen möglichen Einschränkungen, die beim Bau beachtet werden müssen. Interview: Andrea Mattmann Informationen zum Wohnen im Alter, zu baulichen Massnahmen in Altersund Pflegeinstitutionen sowie Tipps zum Training von Kraft und Gleich gewicht auf www.sturzpraevention.bfu.ch Informationen zur Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen auf www.hindernisfrei-bauen.ch/ Felix Bohn Felix Bohn ist als Fachbereichsleiter altersgerechtes Bauen bei der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen tätig. Unter anderem in Zusammenarbeit mit der bfu hat er verschiedene Fachbroschüren und Planungsricht linien erarbeitet. Diese richten sich an Angehörige von älteren Menschen, ans Pflegepersonal sowie an Architektinnen und Bauherren. sicher leben 3 / 2015 9 fokus SICHERHEIT IN GEBÄUDEN Sicher gebaut – auch im Freien STANDPUNKT von Tobias Jakob, Leiter Haus / Freizeit / Produkte bei der bfu, zur baulichen Sicherheit von Anlagen, die sich in der Umgebung von Gebäuden befinden. Tobias Jakob im Liebefeld-Park in Köniz: «Auch die Aussenanlagen müssen sicher gebaut sein.» D ie bauliche Sicherheit im Sinne der Unfallverhütung beschränkt sich nicht nur auf das Gebäude. Die Zugänge und die Umgebungsgestaltung sind ebenso wichtig für einen sicheren Lebens raum und eine sichere Freizeitgestaltung. Vielen Leuten ist es ein Bedürfnis, ein Wasserspiel oder eine Teichanlage in ihrer nächsten Wohnumgebung zu haben. Eine solche Aufwertung des Lebensraums kann ökologische, pädago gische oder rein ästhetische Überlegun gen zugrunde haben. Dass eine solche Anlage auch eine Gefahr darstellen kann, wird auf den ersten Blick oft nicht erkannt. Gerade auf Kleinkinder übt ein Gewässer seit jeher grosse Anziehungs kraft aus. Die Kinder können die Ertrin kungsgefahr aber nicht erkennen und 10 sicher leben 3 / 2015 gehen ohne Scheu aufs Wasser zu. Es gilt hier als Erstes die Nutzungsart festzule gen. Soll es ein Zierelement, ein Natur reservoir oder eine Schwimmanlage sein? Entsprechend könnte eine Flachwasser zone oder eine Umzäunung das geeignete Schutzelement sein. Hilfreiche Gestal tungs- und Sicherheitsmassnahmen sind hierzu in der bfu-Fachdokumentation «Gewässer» nachzulesen und bereits in der Planungsphase zu berücksichtigen. Bei Spielplätzen ist die Sicherheit ebenfalls ein wichtiges Thema. Gemäss der geltenden Norm SN EN 1176 müssen Kinder lernen, Risiken zu bewältigen. Unter Berücksichtigung ihrer Entwick lung und des kindlichen Spiels sind somit Prellungen, Quetschungen und sogar gelegentlich gebrochene Gliedmassen als tolerierbarer Lerneffekt abzubuchen. Was jedoch vermieden werden muss, sind schwerwiegende Verletzungen, die zu Behinderung oder Tod führen könn ten. Spielgeräte dürfen keine versteckten Gefahren aufweisen. Spezielles Augen merk ist dabei auf Körperfangstellen und auf genügende Frei- und Fallräume mit entsprechendem Fallschutz zu richten. Die Details dazu sind in der bfu-Fach dokumentation «Spielräume» zu finden. Freizeitanlagen erfreuen sich zuneh mender Beliebtheit. In städtebaulichen Konzepten darf heute ein vielseitiges Angebot (Baden, Sport usw.) nicht feh len. Ergänzend zu den klassischen Sportund Freizeitanlagen ist ein Trend zu Skate- und Bikeparks zu erkennen. Pumptracks ergänzen bereits vielerorts die Skateanlagen. Die hohe Dynamik der künstlichen Wellen garantiert grossen Fahrspass! Für ein nachhaltiges Fahrver gnügen hat der Eigentümer die baulichen Rahmenbedingungen ebenso zu berück sichtigen wie den betrieblichen Unterhalt während der gesamten Lebensdauer. Informationen und Hilfestellungen bie ten auch hier die diversen bfu-Fachpubli kationen. • Die bfu-Fachdokumentationen 2.026 «Gewässer», 2.025 «Spielräume» sowie die bfu-Fachbroschüre 2.011 «Skate- und Bikeparks» (erscheint demnächst) erhalten Sie auf www.bestellen.bfu.ch. FREIZEITKICK ANGESAGT Motorrad-Schutzbekleidung «Salon RH Suisse» Eine korrekte Schutzausrüstung auf dem Motorrad hilft im Falle eines Sturzes oder einer Kollision, die Verletzungen möglichst gering zu halten. Die bfu appelliert darum an alle Motorradfahrende: Checken Sie, ob Ihre Ausrüstung dem neusten Sicherheitsstandard entspricht. Vom 30. September bis zum 1. oktober 2015 findet im Genfer Palexpo der «Salon RH Suisse» statt. Die Fachmesse für Personal-Management gilt als wichtiger Treffpunkt der Branche. Die bfu ist eine wichtige Partnerin im Bereich Gesundheit und wird mit einem Stand vertreten sein (Halle 2, Stand F09). Christian Wyssmüller, Sicherheitsberater für Betriebe in der Romandie und dem Tessin, und sein Team werden Vorschläge zur Vermeidung von Freizeitunfällen präsentieren. Zur Erinnerung: Rund 500 000 erwerbstätige Personen erleiden jährlich einen Nichtberufsunfall, was für die betroffenen Betriebe mit grossen organisatorischen und finanziellen Folgen verbunden ist. Unter dem Titel «Wie lassen sich Nichtberufsunfälle zum Nutzen der Betriebe verhüten?» findet am 1. oktober um 10 Uhr im Forum 3, Halle 2, ein Vortrag statt. Gratiseintritte können per E-Mail an [email protected] bestellt werden. www.salon-rh.ch ANGEBOT Neues SafetyKit «Skifahren / Snowboarden» Skifahren und Snowboarden gehören zu den beliebtesten Sportarten in der Schweiz. Tief verschneite Landschaften locken die Wintersportler in die Berge. Jährlich verunfallen aber rund 52 000 von ihnen. Um die Mitarbeitenden zu sicherem Verhalten beim Skifahren und Snowboarden zu sensibilisieren und so Absenzen zu verhindern, bietet die bfu den Betrieben ein neues SafetyKit an. Es enthält ein A3-Plakat zum Aufhängen im Betrieb, einen Flyer mit Tipps und einem Multifunktionstuch als kleines Geschenk, eine Präsentation für interne Schulungen sowie einen Video-Clip. www.safetykit.bfu.ch sicher leben 3 / 2015 11 NETZWERK Forschung «Die Resultate der E-Bike-Studie haben uns überrascht» E-BIKE-STUDIE Die bfu hat erstmals eine Sicherheitsanalyse zu E-Bikes erstellt. Einige Resultate überraschen: So sind Selbstunfälle mit E-Bikes viel häufiger als Zusammenstösse mit anderen Verkehrsteilnehmenden. Studienautor Gianantonio Scaramuzza im Interview. Gianantonio Scaramuzza, immer mehr E-Bikende verletzen sich schwer oder sterben bei einem Unfall auf Schweizer Strassen. Von 2011 bis 2014 haben sich die Unfallzahlen verdoppelt. Ist E-Bike-Fahren gefährlich? Gianantonio Scaramuzza: Diese Frage kann nicht einfach mit ja oder nein beantwortet werden. Wir erleben in der Schweiz ungefähr seit 2008 einen E-Bike-Boom: Die E-Bikes erhielten immer bessere Motoren und Akkus und wurden dadurch marktfähig. Parallel zu den steigenden Verkaufszahlen nahmen auch die Unfallzahlen zu. Laut Schätzungen sind in der Schweiz rund 300 000 E-Bikes im Umlauf und der Trend geht wohl weiter. Deshalb übernimmt die bfu in der Erforschung der damit verbundenen Risiken und der Sensibilisierung eine Vorreiterrolle. Die nun vorliegende Sicherheitsstudie besteht aus verschiedenen Elementen, unter anderem einem Experiment. Was war das Spezielle daran? Das Experiment war so aufgebaut, dass am Fahrbahnrand sitzende Probanden die Geschwindigkeit von einspurigen Fahrzeugen – also Velo, E-Bike und Motorrad – einschätzen mussten. Dabei variierten wir Geschwindig keit, Fahrzeugtyp sowie Alter und Geschlecht der Fahrzeuglenkenden. Wir simulierten eine typische Verkehrssituation: Ein Auto steht am «Stop» oder bei «kein Vortritt» und ein Zweiradfahrzeug nähert sich von links. Ein solches Experiment wurde unseres Wissens noch nie gemacht und ist damit einzigartig. Gianantonio Scaramuzza ist wissenschaftlicher Mitarbeiter Forschung der bfu. Hier in einer Szene aus dem bfu-Video «Das E-Bike ist schneller, als man denkt». 12 sicher leben 3 / 2015 Sie wollten mit dem Experiment die Vermutung beweisen, dass E-BikeLenkende in ihrer Geschwindigkeit unterschätzt werden. Ist das gelungen? Wir stellten fest, dass die Geschwindigkeit von einspurigen Tretfahrzeugen, die von links kommen, tatsächlich unterschätzt wird. Es zeigte sich, dass aus höherer und leicht zurückversetzter Position die Geschwindigkeit weniger «Je schneller ein Velo fährt, desto mehr wird die Geschwindigkeit unterschätzt.» Gianantonio Scaramuzza gut eingeschätzt werden kann. Das lässt vermuten, dass zum Beispiel Lenkende von Geländewagen herannahende Tretfahrzeuge stärker unterschätzen. Was uns aber wirklich überraschte, ist, dass es bei der Unterschätzung der Geschwindigkeit zwischen E-Bikes und Velos keinen Unterschied gibt. Ausschlaggebend für die falsche Wahrnehmung ist vielmehr die Geschwindigkeit: Je schneller ein Velo oder ein E-Bike unterwegs ist, desto mehr wurde die Geschwindigkeit unterschätzt. Neben dem Experiment haben Sie auch die von der Polizei registrierten Unfalldaten zu E-Bike-Unfällen analysiert. Was haben diese Resultate ergeben? Auch hier waren wir überrascht: Wir stellten fest, dass mit E-Bikes der langsameren Kategorie – also mit Tret unterstützung bis 25 km / h – schwerere Unfälle passieren als mit schnellen E-Bikes. Der Hauptgrund für diesen Unterschied liegt jedoch weniger beim Fahrzeugtyp als bei den Lenkenden selbst. Ihr Alter ist nämlich auschlag gebend. Das heisst aber nicht, dass ältere Personen weniger gut E-Bike fahren können, sondern dass sie bei einem Unfall aufgrund ihrer altersbedingten Verletzlichkeit schwerere Verletzungen erleiden. Haben Sie einen Hinweis darauf gefunden, in welcher Situation am meisten E-Bike-Unfälle geschehen? Wenn E-Bike-Lenkende schwer verunfallen, geschieht das häufiger bei Alleinunfällen als bei Kollisionen. Die Gründe dafür kennen wir noch nicht, deshalb streben wir noch eine weitere Analyse dieser Selbstunfälle an. Aber es gibt ein paar kritische Verkehrssituationen, bei denen öfter Kollisionen mit E-Bikes passieren, zum Beispiel in Kreiseln oder an Kreuzungen, und zwar weil die Motorfahrzeuglenkenden dem E-Bike den Vortritt nicht gewähren. Sind sich denn die E-Bikenden bewusst, dass mit ihrem Gefährt besondere Risiken verbunden sind? Die Studie hat gezeigt, dass E-BikeLenkende wissen, dass die höhere Geschwindigkeit Risiken mit sich bringt – vor allem in Bezug auf die längeren Anhaltewege und die Fehleinschätzung durch andere Verkehrsteilnehmende. Allerdings wissen sie nicht, dass Selbstunfälle viel häufiger passieren als Kollisionen. Beides hat aber wenig Auswirkungen auf das Fahrverhalten. Wir wissen, dass Frauen, ältere Personen und jene, die weniger häufig E-Bike fahren oder wenig Fahrerfahrung mit dem Velo haben, nach eigenen Angaben eher vorsichtiger unterwegs sind. Haben Sie Tipps, wie E-Bike-Fahren sicherer wird? Die E-Bikenden können selbst mit einfachen Mitteln zu ihrer Sicherheit beitragen: Einen gut sitzenden Helm und gut sichtbare Kleidung tragen, das Licht auch am Tag einschalten und bei kritischen Situationen Vorsicht walten lassen. Wer sich auf dem E-Bike unsicher fühlt oder keine Erfahrung mit E-Bikes hat, für den lohnt sich ein Fahrkurs. Aber auch Motorfahrzeuglenkende können zur Sicherheit beitragen, indem sie in Kreiseln oder an Kreuzungen besonders auf Zweiräder achten. Grundvoraussetzung ist natürlich eine korrekt ausgestaltete Strasseninfrastruktur – zum Beispiel genügende Sichtweiten. Hier sind Planer und Baubehörden gefordert. Interview: Camilla Krebs Die Studie 2.258 «E-Bikes im Strassen- verkehr – Sicherheitsanalyse» finden Sie auf www.bestellen.bfu.ch. In 2 Videos erhalten Sie nützliche Tipps zum sicheren E-Bike-Fahren und zu Kauf, Einstellen und Anziehen des Velohelms. Sie finden die Videos auf www.sicherleben.bfu.ch. sicher leben 3 / 2015 13 NETZWERK sport Gemeinsam priorisieren und umsetzen bfu-FORUM SPORT Wie kann erreicht werden, dass Präventionsprogramme im Sport wirkungsvoll umgesetzt werden? Dieser Frage ging das bfu-Forum Sport am 27. Mai 2015 im Haus des Sports in Ittigen nach. Hansjürg Thüler, bfu-Leiter Sport, erläutert die Erkenntnisse aus der Diskussion. Wie kann erreicht werden, dass nicht nur Präventionsmassnahmen ent wickelt werden, sondern vermehrt auch in deren Umsetzung und Begleitung investiert wird? Hansjürg Thüler: Präventionsmassnahmen sollten schon zu einem frühen Zeitpunkt mit den Beteiligten, zum Beispiel mit Sportverbänden, -vereinen oder -lehrkräften, diskutiert werden. Deren Meinungen und Vorschläge zur Umsetzung müssen unbedingt einbezogen werden. Das bedeutet für die bfu, sich noch stärker an der Praxis zu orientieren und bei der Konzeption von Prä ventionsprogrammen die Umsetzung und Begleitung der Massnahmen stärker zu berücksichtigen. Wie ist das mit den vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen möglich? Indem wir Aufwand und Nutzen gegeneinander abwägen, können wir darauf basierend die Massnahmen priorisieren. Es braucht ein durchdachtes, gestaffeltes Vorgehen. Können Sie das an einem konkreten Beispiel erläutern? In der Ertrinkungsprävention gibt es viele Massnahmen, die wirksam wären, aber nicht alle umgesetzt werden können. Zusammen mit der SLRG und anderen Institutionen gilt es deshalb, Prioritäten zu setzen. Gemeinsam wählen wir die Massnahmen aus, die umgesetzt und begleitet werden. Andere werden auf später verschoben. Wie kann die bfu die Zusammenarbeit der verschiedenen Partner unterstützen? Wichtig ist, dass man früh erkennt, wann Bedarf für Vernetzung besteht und welches Potenzial eine Zusammenarbeit hat. Wir wollen die für ein Thema wichtigen Partner an einen Tisch bringen, um ein abgestimmtes Vorgehen zu erreichen. Etwa bei der oben genannten Ertrinkungsprävention: In einem breit angelegten Atelier werden wir die Massnahmen mit den Partnern erörtern und deren bereits bestehende Engagements einordnen. Bei gemeinsamen Vorhaben kann die bfu Unterstützung bieten und koordinieren: zum Beispiel in Form von Projektleitung, Prozessbegleitung, Aufbereitung der Fakten, Erstellen von Unterlagen bis hin zur Kommunikation der Inhalte über Kanäle der bfu und von Partnern. Interview: Ursula Marti Gastreferent aus Australien Dr. Alex Donaldson, Forschungs beauftragter am Australian Centre for Research into Injury in Sport and its Prevention (ACRISP), führte aus, dass es zwar immer mehr Forschungspublikationen zur Unfall verhütung im Vereinssport gibt, aber nur wenige Präventionsmassnahmen umgesetzt werden. Er forderte dazu auf, Präventionsprogramme mit Umsetzungskonzepten zu kombinieren, diese zu begleiten und auszuwerten. Die bfu nimmt sich dieser Rolle an. Am Podium diskutierten (v.l.n.r.): Hansjürg Thüler (bfu), Edith Müller (Suva), Alex Donaldson (ACRISP), Sonja Hasler (Gesprächsleitung), Pierre-André Weber (Baspo), Reto Abächerli (SLRG), Werner Augsburger (Swiss Volley). 14 sicher leben 3 / 2015 NETZWERK polizei Ablenkung durch das Smartphone – ein Video rüttelt auf PRÄVENTIONSVIDEO Die einen sind schockiert, die andern lachen über den schwarzen Humor. Der Video-Spot der Polizei Lausanne rüttelt auf. Die bfu hat sich finanziell daran beteiligt und mitgeholfen, ihn zu verbreiten. Mit grossem Erfolg, wie die über 5 Millionen Aufrufe zeigen. «Der Spot trifft ins Schwarze» 3 Fragen an Anne Plessz Glatz, Verantwortliche für Kommunikation und Prävention bei der Polizei Lausanne und Projektleiterin des Spots. Warum wählte die Polizei Lausanne das Thema «Smartphone im Strassenverkehr» aus? Wir stellten fest, dass die Zahl der Unfälle, sogar Todesfälle, beim «Texting while walking» zunahmen. Auch unsere Patrouillen beobach teten dieses gefährliche Verhalten der Fussgänger. Jonas im Spot «Texting while walking». Jonas ist 24. Mit seinem Smartphone hört er gerne Musik und chattet mit seinen Freunden. Dies auch, wenn er zu Fuss im Strassenverkehr unterwegs ist. Und schon ist es passiert: Fussgängerstreifen, rote Ampel, ein Auto naht – und schleudert Jonas fort. Das ist in Kürze die Geschichte im Spot der Polizei Lausanne, der anfangs Mai 2015 mit einer Pressekonferenz lanciert wurde. Von da an trat das Video seinen Siegeszug durch Facebook, Twitter, Youtube, Zeitungen und Fernsehsender an. Über 50 Medien in der Schweiz berichteten darüber und der Spot war Thema in News-Sendungen in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien – sogar der amerikanische Sender NBC zeigte ihn. 5 Millionen Mal wurde der Spot zum «Texting while walking» angesehen. Die bfu unterstützte die Lausanner bei der Verbreitung und finanzierte Adaptionen in Deutsch und Englisch. In der Schweiz ist man eher zurückhaltend, wenn es um den Einsatz von Schockbildern geht. Auch bei der bfu. Sie sieht von Kampagnen ab, die ausschliesslich schockieren. Hingegen befürwortet sie den Ansatz der Polizei Lausanne – eine Mischung aus nicht zu brutalem Schock und schwarzem Humor. Bei einer Online-Umfrage der bfu mit über 1700 Teilnehmenden aus der Schweiz gaben denn auch 40 % an, dass sie der Spot nicht schockiere. Für 95 % ist der Spot ansprechend und regt zum Nachdenken an. Und 80 von 100 Personen sind motiviert, im Strassenverkehr künftig auf das Smartphone zu verzichten. Tom Glanzmann Zum Film: www.spot.bfu.ch Was führte dazu, dass der Spot sich so rasch verbreitete? Die Botschaft des Spots und der schwarze Humor treffen bei der Zielgruppe ins Schwarze. Hinzu kommt, dass wir die Lancierung solide und lange im Voraus planten. Wir organisierten eine Presse konferenz und arbeiteten mit vielen Partnern und mit Prominenten zusammen. Was brachte Ihnen die Zusammenarbeit mit der bfu? Die bfu unterstützte uns finanziell, brachte wertvolle Ideen ein und half uns durch das Knüpfen von Kontakten und bei der Verbreitung über ihre Kanäle. Die bfu hat massgeblich zum Erfolg des Spots beigetragen. sicher leben 3 / 2015 15 1.034.01 – 09.2015 kampagne Rundum sichtbar in den Herbst 16 Im Herbst werden die Nächte wieder länger. Viele Fussgänger und Radfahrende sind dann bei Dämmerung und Dunkelheit unterwegs. Sie selbst sehen ein Auto aufgrund der Scheinwerfer von weitem. Fahrzeuglenkende hingegen erkennen Velofahrer und Fussgänger, die nachts mit dunkler Kleidung unterwegs sind, erst aus 25 Metern Entfernung. Mit reflektierendem Material oder mit Licht ausgerüstet, werden sie jedoch bereits aus einer Entfernung von 140 Metern wahrgenommen. Der Person am Steuer bleibt so viel mehr Zeit zu reagieren – das Unfallrisiko sinkt. Die Sensibilisierungskampagne «SEE YOU – mach dich sichtbar» fordert alle Verkehrs teilnehmenden auf, rundum für gute Sichtbarkeit zu sorgen. Sie startet mit dem Tag des Lichts am 12. November 2015. Auf der Website www.seeyou-info.ch finden Sie alle wichtigen Informationen und Tipps zur Sichtbarkeit. Sicher über die Strasse dank lichtreflektierenden Accessoires. Das neue Kampagnenplakat (Bestellnummer 5.319). sicher leben 3 / 2015 Weitsichtig sein und sich wappnen: «SEE YOU» im Strassenverkehr! www.seeyou-info.ch