Johann Georg Zimmennanns Gedicht
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Johann Georg Zimmennanns Gedicht
, t N EM A R T I N R E C T O R Gedicht JohannGeorgZimmennanns Die Zerstörungvon Lissabon(1756) I Am 1. November1755um 9 Uhr Ortszeitbebtein Lissabondie Erde.Es war ein Sonntag,und zwar der christlicheFeiertagAllerheiligen.Die vermutlichdrei Erdstößedürtienetwader Stärke 8 auf der Richter-Skalaentsprochenhaben.Binnen 10 Minuten sankunterFlutwellenund einederreichstenStädteEulopasin Trümmerundbegrubetwa30.000Menschen Feuersbrünsten von Nordafrika undWasserbewegungen untersich.Zur gleichenZeit wurdenErdschwankungen verheerendste die von Lissabon Erdbeben war das Wahlscheinlich bis Skandinavienregistriert. bis datobekannteNaturkatastropher. ein ebensobeispiellosesgeistigesBeben in ganz Sicher ist, daß diese Naturkatastrophe erklärtsichausdem,wasmandie philosophische Europaauslöste.DiesegeistigeErschütterung Schon 1696, kurz vor dem Beginn des könnte2. nennen Erdbebens vorgeschichte tles Bayle in seinemDiclionnairehistoriqueet Pierre hatteder Skeptiker Aufklärungsjahrhunderls, woher erstmaligangeregt,die alteMenschheitsfrage, critique, dasGottschedspäterübersetzte, wie das zu beantworten, dasÜbel in derwelt komme,nicht mehrtheologischund metaphysisch sich getan hatte' sondern (1691) poetischer Überhöhung mit Lost noch Miltons Paradtse der Welt es den das Ubel daß zu machen, vertraut vorsichtigmit dem emüchtemdenGedanken Gott otfenbarnicht gebeund daßman sich folglich wohl in einel Welt einlichten behebenden müsse.die durchausnicht perfektund frei von Übeln sei3. in aller Grundsätzlichkeitstellte,wal GottDer sich dieserdenkerischenHerausforderung schdft über die spracheerschienenen französischer 17l0 in fried wilhelm Leibniz in seiner so del Unteftitel, neu nachdachte, Theodizee(ein eigensvon ihm erfundenesWort), in der er ,.überdie GüteGottes,die FreiheitdesMenschenund denUrsprungdesÜbels."Leibniz'Arguist seinSchlul]:das entscheidend mentationmüssenwir hier nicht im einzelnennachvollziehen; wirkung nachdie der Das war zumindest denkbaren'. Theoremvon der welt alsder bestenaller 1 Vgl. T. D. Kendrick: The Lisbon Eafthquake,London 1956 2 Zim folgenden vgl. den literaturgeschichtlichenAbriß von Harald Weinrich: Litemturgeschichte eines weltereignisses:Das Erdbebenvon Lissabon,in: Ders.: Literatur für l-eser Essaysund Aufsätze zur Literaturwisseischaft, Sturtgarru.a. 1g'll, S. 64-'76,141-193: die einführendeDarstellung der philosophischen Debattenvon Horst Günther:Das Erdbebenvon Lissabonerschütteftdie Meinungenund setztdasDenken in Bewegung,Berlin 199,1(wagenbachsTaschenbuch235); die kommentielte Dokumentationwichtiger Texte von wlfiang Breiden: Die Erschütterungder vollkommenenwelt. Diewirkung desErdbebensvon Lissabon im Spieg;l e;ropäischer Z€itgenossen,Darmstadt 1994: sowie die knappe Problemübersichlvon Wolfgang Breiäert: Ous Eidb.ben von Lissabon und die ErschütterungseinerZeitgenossen,inl Lichtenberg-Jahrbuch 1994,S.56-67. - Vgl. auchdie Rezensionder BücherGünthersund Breidertsvon l.othar Müller in der Frankfufier Allgemeinen Zeitung vom 'l Oktober 1994' S. L 27 "Pyrrho" in: Historischesund critisches wörterbuch. Hrsg. von Jo3 Vgl. z. B. die vorrede und den Artikel '7 hann Chr. Gottscheden.Bd. l,Leipzig l?41,S lff; Bd. 3. Lelpzlg 1743. Sp 46A-'74'7b 4 Gottfried Wilhelm Leibniz: Versuchein der Theodizeeüber die Güte Gottes,die Freiheit des Menschenund den UrsprungdesÜbels.Übers.vonArthur Buchenau 2.Aull.' Hamburg 1968,L TeiJ' $ 8 und 25, S l0l u l03 83 jenes zwischenTheologie und Rationalismusvermittelndendeistischen Gründungsurkunde "Optimismus" (wieder eine sprachlicheNeuprägung)rasch philosocommon sense,der als phischeKarrieremachte5und dem dann 1737AlexanderPopein seinemEssayon Man die unddaherangreifbaren Formel: poetischeWeiheverlieh,undzwarmit derpopuldr-verkürzenden "whateveris, is right."6 In der Tat setztenan dieserFormel Popes,zum Teil rnit bissigerlronie, die Skeptikerund "Pessimisten"an, die sich auch durch Leibniz' epochalesMachtwort nicht selbsternannten hattenmundtotmachenlassen.Nicht ohneeineAttitüdeder keckenExtravaganzzähltesichzu diesem Lager damalsauch die von Friedrich dem Großen,dem Voltaire-Freund,mit auszu gesuchtenfranzösischenKapazitätenbesetzteKönigliche Akademieder Wissenschaften Berlin, in der der Physikerund MathematikerPierreLouis Maupertuisdie Akten fübrte.Diese just für jenesJahr 1755,in dem in Lissabon Akademieschriebim Jahre1753als Preisaufgabe über tlie Fragenach dem Ursprungtles Übels. aus die Erde bebensollte,eine Untersuchung genauerüber die Richtigkeit des LeibnizschenOptimismus.Allerdings kaschiertesie diese offensichtlicheAnackegegendenlängsttoten,aberdurchausnichtwirkungslosenPhilosophen, "Gefordenist", hieß indem sie sichganzauf seinenpoetischenPopularisatorPopekaprizierte. "die desSystemsvon Text der Preisfrage, Untersuchung esim natürlichfranzösischgehaltenen 'tout est bien'enthaltenist." Der heis ging dann an den philoPope,das in der Behauptung A. F. Reinhard,der wie gewünscht sophischeheruninspiriertenStrelitzschenKanzlei-Sekretär gegendenOptimismusperorierthatte.?Dochbevordie Schriftgedrucktwerdenkonnte,fuhr der 1l755 Pamphletin die Parade;estrug denironischen anonymerschienenes Akademieein Anfang Titel Popeein Metaphysiker!und machtesich, ohneüberhauptzur Sachezu reden,auf höchst WeiselustigüberdasdurchsichtigeManöverderAkademie,die zuerst geistreicheund amüsante sei, einenaltenBart angeklebthabeund dem Pope,der doch Poet und kein Systemphilosoph "diesen falschenBafi für wert erkannt habe,emsthafteUntersuchungen dann, so wöfilich, und darüberanzustellen".Die AutorendieserPersiflagewarenbekanntlichMosesMendelssohn GottholdEphrairnLessing". der erstenJahlÜberblicktman diesehier nur stichwortartigerinnerteOptimismus-Debatte wie der höchstErdbeben von Lissabon daß das wird sofort verständlich, hunderthälfte.dann im Streit der Philosophenerscheinenmußte.Auf den erstenBlick instanzlicheSchiedsspruch bekommen,die dasErdbebenalssinnlich-zeichenhafte mußtennatürlichdiejenigenOberwasser "tout estbien" lasen,alsodie SkeptikerundPessimisten. Aber fastmehr WiderlegungdesSatzes jene ganze Richtung nicht denen die Dogmatiker bestätigt, alten religiösen noch fühlten sich des alttestamenpaßteund die dasBebennun als kaum mehr erhofftes,endlichesStrafgericht tarischenCottes über die schlechthinnigeSündhaftigkeitaller aufklärerischenFreigeisterei ein und deuteten:überallließensie die Glockenläuten,richtetenBußtageund Gebetsstunden Lager der Leibnizschen hatte dagegen das schweren Stand Einen ließenihre Predigtendrucken. ErkliirungsverOptimisten;einige zogen sich in gänzlich moralfreienaturwissenschatiliche und zudck; andere,vielleichtdie nachdenklichsten sucheund in kosmologischeSpekulationen 'Optimismus',in: HistorischesWörteöuch der Philosophie.Hng. v. JoachimRitter 5 vgl. Horst Günther:Art und KarlfriedGründer.Bd. vl, Darmstadt1984,Sp l24l-1264. AlexanderPope:Vom Menschen.Englischdeutsch.Ubers.von EberhardBreidert.Hrsg.von Wolfgang Breidert.Hamburg1993,epistleI, 2941IV 394. der BerlinerAkademieder und Preisschriften Preisfragen Die philosophischen 7 Vgl. ComeliaBuschmann: (Hrsg.): in Berlin, Berlin 1989, Förster Aufklärung in: Wolfgang Jahrhundert. im 18. Wissenschaften s. 165-228. DanziglT55 Wiederin: Popeein Metaphysiker!, lcotthold Ephriim L€ssingund MosesMendelssohnl: Bd 6, Berlin 1890,S.409-445 c.E.L.: SämtlicheSchriften.Hrsg.vonLachmann/Muncker 84 !rii1fettr1i;aa,. s!!.i'i*tüi& .t . empfindsamslen, die die tribnizsche Metaphysikmeist als Studentenin der katechisierten Orthodoxie der Wolffschen Schulphilosophiekennengelemthatten, die Poetenvor allem, artikuliertennun ihren weltanschaulichen Hader'. Wasdie im engerenSinnephilosophische Debatteangehtr0, sei hier nur an die beidenwichtigstendenkerischen Weiterungenerinnert,die die Katastrophe zeitigte,nämlichdie vonVoltaire undRousseau. Den SkeptikerVoltaireeneichtdie NachrichtEndeNovember1755in seinerVilla "Les Delices"bei Genf.Schonam 24.November schreibter an seinenBankiernachLyon: "Man wird Mühe haben,zu erraten,wie die Gesetzeder Bewegungso entsetzlicheVerwüstungenin der bestenaller möglichen Welten anrichten."t' Wenige Monate später,im Frühiahr 1756 erscheintdannseinPoämesur le ddsastrede Lisbonneou Examende cet axiome'Toutestbien' 'Alles ist gut"')'r. ("Gedichtüberdie Katastrophevon LissabonoderPrüfungjenesGrundsatzes Der Grundtenorder knappzweihundertVersediesesphilosophischen Lehrgedichtsist ein dopein emphatischer Protest einerseits des Aufklürers gegen die unvemünftige,denMenschen Flter: zerstörende PotenzderNaturgewalten; andererseits einenichtminderbeißendeEmpörunggegen die Philosophiedessichallzu leichtfertigarrangierenden Optimismusi la LeibnizundPope.Voltairegehtnicht soweit,denOptimismuskategorialzu negieren;wasihn aufbringt,ist der billigversöhnlerische Trug der Philosophenangesichts der Här1eder Fragen.Voltaireklagt im Namen der leidensfthigenMenschheiteineHoffnungein, die er selbernicht siehtunddie auchder Gott der Philosophennicht bereith?ilt.Drei Jahrespäterwird. er im Cantlide d,asThema noch einmal nun ausheiteret spöttischerDistanz. anschlagen, Zuvor aberantwortetihm Rousseau,und zwar in einem zunächstunveröffentlichten, nur handschriftlichzirkulierendenBrief aus seinerEremitagein Ermenonvillevom 18.August 1756rr.Natürlich muß sich Rousseaudurch VoltairesKritik des Optimismusherausgefordert fühlen. Geradedeshalbantworteter nicht immanentund inhaltlich, sondemgewissermaßen grundsätzlichund methodisch.Rousseaugeht nicht von der FragenacheinemgerechtenGott aus,sondemvom Menschen;und zwar nicht von dessenvollkommenemGlück, sondernvon seinerExistenz,die sichdurchsich selberrechtfertige,von der der conditionhumaine.Wenner vom "doux sentimentde I'existence"alsdemalleinigenMaß allenphilosophischen, moralischen und sozialenUrteilensspricht,dannist darin implizierl, daßder Menschzwar unp nglich gut ist, aber verdorbendurch seineeigeneverfehlteEntwicklungund durch die Institutionender Zivilisation. In diesemSinne argumentiertRousseauauch bezogenauf das Erdbebenzivilija manmöchteheutefastsagen:ökologisch.Warum,fragt er,wohntendie Mensationskritisch, schenvon Lissaboneingezwängt in zwanzigtausend Gebäudevon sechsbis siebenStockwerken, die ihnensozumVerhängniswurden?Die meisten,sagter,kamenum, weil sienichtgleichbeim erstenBebenausdenHäusemsprangen, sondernunbedingtihr Hab undGut rettenwollten.Man sieht:Rousseauist geneigt,dasErdbebenals gerechteStrafefür dasarroganteund schuldhatie EingreifendesMenschenin die Natur zu verstehen. 9 Vgl. den Uberblick bei Günther:Das Erdbebenvon Lissabonerschüttertdie Meinungen (s.Anm.2), passim. l 0 Die drei an Newtons Physik anknüpfendenTraktatedes vorkitischen Kant ausdem Jahre 1756können hier vernachlässigt werden: sie sind abgedruckt bei Breidert: Die Erschütterung der vollkommenen Welt (s.Anm. 2), S. 97-143. l l Zit. nach Günther: Das Erdbeben von Lissabon erschüttertdie Meinungen (s. Anm. 2), S.26. Vgl. die kommentierteAusgabe des französischenOriginals in: The complete Works of Voltaire. Ed. The Voltaire Foundation.Vol. 100, Banbury 1971,Nr D 6597, S.401 403. l 2 Vgl. zum folgenden: Uwe Steiner:Voltaire oder der Optimismus. Zu einigen philosophischenund poetischenAspektenvon VoltairesGedicht über dasErdbebenvon Lissabon.Mit einer Neuübersetzungvon Voltaires"Poöme sur le ddsastrede Lisbonne",in: Daphnis, 21, (1992), S. 305-405. Jean-Jacques Rousseau:Brief an Herm Voltaire vom 18.August 1756.In: Rousseau:Schdften. 2 Bde. Hrsg. von HenningRitter.Bd. l, Frankfurta. M. u. a. I98I, S.313-332. It II Zu den Intellektuellen,die dasErdbebenvon Lissabonaufschreckt,gehörtauchder 27jährige Stadtphysikusder StadtBrugg im heutigenschweizerKantonAargaunamensJohannGeorg Zimmermann'o.Dieser,von seinerärztlichenTätigkeit in dem Provinzstädtchen offensichtlich nicht ausgefülltund nach Höheremstrebend,beginnt sich eben als popularphilosophischer Schriftstellerzu etablieren.Geradehat er sein erstesgrößeresWerk, die Biographieseines LehrersAlbrecht von Haller, veröffentlicht,und in wenigenMonatenwird eine ersteFassung seineserst dreißig Jahre spätervollendetenHauptwerksüber tlie Einsqmkelterscheinen.15 Angesichtsder LissabonerKatastrophesieht sich Zimmermannnun auchvom furor poeticus ergriffen,er muß darüberdichten,und zwar sofofi. Schonam I . Dezember1755(er kann die Nachricht erst wenige Tage kennen)schreibtZimmermanneinen erstenEntwurf von ca 70 ungereimtenAlexandrinern und schickt sie an Haller, der sie offenbar "nicht ungünstig aufnahm"r6.Gleichwohl denkt Zimmermannan eine Überarbeitung.Doch Brugger Freunde kommen ihm zuvor und veröffentlichendas Gedicht ohne sein Wissen ebenfallsnoch im Dezember1755unterdemTitel Die RuinenvonLlssaäonin Schaffhausen: kurz darauferscheinen Nachdruckein Zürich und Potsdamrr. Ein guteshalbesJahrspäter,EndeJuli 1756(alsodreiMonatenachVoltairespoem)erscheint in Zürich die zweite,vollständigüberarbeitete FassungdesGedichtsunterdem neuenTitel Dle Zerstörungvon Lissabon'o,versehenmit einerdoppeltenEinleitung,einer8seitigenWidmung andenBernerPatrizierAbrahamFreudenreich, undeinerl6seitigenVonede,in derderVerfasser weitläufigdiesenseinen"erstenVersuchin derDichtkunst"begründet.Doch auchdie 315Verse desGedichtesselbersind mit etwa50, zum Teil halbseitigenFußnotenversehen,die eineFülle vonAnspielungen,RealienundPersonalien erläutem,mündlicheundgedruckteQuellenzitieren und sich nicht seltenin inhaltlichenExkursenverlieren. GleichzeitigveröffentlichtZimmermannim selbenVerlagein weiteres,83 Verseumfassendes Gedichtmit dem Titel Gedankenbei dem Erdbebendqs den 9. Christmonat1755in der Schweizverspühret worden".Es ist ein SeitenstückdesLissabon-Gedichts, ausgelöstdurchein fünfWochennachder portugiesischen Katastropheauchin der SchweizregistriertesErdbeben; in seinemgedanklichenGehaltbringt es nichtsNeues.Für die Beurteilungvon Zimmermanns Reaktionauf dasgroßeBebenkönnenwir eshier ebensovernachlässigen wie die ersteFassung seinesLi ssabon-Gedichts'o. ZimmermannsGedrchtDie Zerstörutlgvon Lissabonist seitseinerErstveröffentlichung nie wieder vollständiggedruckt'' und bis heute,wenn überhaupt,nur oberflächlichund wider14 Als Gesamtdarstellungimmernoch unentbehrlichist die zuverlässigrecherchierteArbeitvon Rudolf lscher: JohannGeorg Zimmemann's Leben und Werke. LitteraturhistorischeStudie,Bern 1893. 15 JohannGeorg Zimmermann: Das Leben des Herrn von Haller, Zürich: Heidegger 1755.- Ders.: BetrachtunSenüberdie Einsamkeit, Zürich 1756. Ders:Uherdie Ern\ünrkcrt, 4 Bde.,Leipzig 1784/85. 16 Zit. nach lscher: Zimmermann (s. Anm. 14) S. 236. 17 Dem Vi lag vor : Die Ruinen von Lissabon,besungenvon Dr JohannGeorg Zimmermann,Stadt-physikus in Brugg, Zürich, bey JohannKasparZiegler, 1755.4 S. (AargauischeKanronsbibliothek,Sign. S. l1 q (0). l8 Die Zerstörxng von Lissabon. Ein Gedicht von D. Johann Georg Zimmermann. Stadtphysikusin Brugg, Zürich, bey Heideggerund Compagnie 1756.[25 unpaginierteplus] 36 S. Nach dieserAusgabewird im folgendenunter Angabe der Seitenzahlzitiert. 19 JohannGeorgsZimmermann Gedankenbei dem Erdbebendasden 9. Christmonat 1755in der Schweizverspühretworden. Zürich, bei Heideggerund Compagnie.Im Jänner 1756.8 S 20 Vgl. JohannGeorg Zimmermann: Die Zerstörungvon Lissabon.Die Ruinen von Lissabon.Gedankenbey demErdbeben.1755 1756.Miteiner Nachbemerkungneu lusg. von MartinRector und MatthiasWehrhahn. Hannover 1997(= VergesseneTexle des 18.Jahrhunderts.Heft 5). 2l Vgl. die Auszügein: JohannGeorgZimmermann.Mit Skalpell und Federkiel- ein Lesebuch.Hrsg. von AndreasLangenbachet Bern etc. 1995,S. XXX. 86 r{ sprüchlichkommentiertworden.Der Zimmermann-Biograph Rudolf Ischerbeschränktesich 1896 auf folgende' den gedanklichenAufbau und die Argumentationsstruktur des Gedichts ignorierende,schlagwortarige Inhaltsskizze: "Er Id i Zimmermann, M.R.] häuft Gedankenund Bilder so viel als möglich. Das Erdbebenselbstnimmt verhärtnismässignuf einen ganz geringen Raum ein. Das Meiste ist Reflexion über gute und schlechte Fürsten.über die verderbnis der sitten, über wollust und Intoleranz.Besondersschaif tritt er aufgegen den Katholicismus, speziell gegen die Inquisition. Eine Ermahnung zum tugendhaftenLeben uÄ ier Hinweis auf die Ewigkeit bilden den Schluß.":: um so apodiktischerfällt Ischersästhetisches werturteil aus:,.Die Diktion des Gedichtesist prägnanz, hallerisirend,aber ohne Haller's der Stil pomphaftund hochtrabend.das Metrum unschön[...]. Es ist als Kunstwerkbetrachtet,ziemlichwerthlos,und man begreiftnicht recht, wie Breitingeres so überschwänglichloben konnte."23 An andererStelleheißt es lapidar.das Lissabon-Gedicht sei "das Schwächste. waserje geschrieben hat.,'ra Inhaltlich genauerund in der wertung zurückhaltenderäußertsich 1974 der Germanist "DasLehrgedicht ChristophSiegristin seinemStandardwerk clerAufklärung",wo er dasGedicht jedoch nur am Randestreift,weil es,andersalsvoltairesLissabon-Gedicht, wegenseinesüber_ wiegendbeschreibenden Duktusnicht eigentlichzum "Lehrgedicht"zu rechnensei;gleichwohl entdecktsiegrist bei Zimmermanneinen "didaktischenAnstrich,indem das historischwahre nicht als solchesbestehenbleibt"; nachanfünglichersinnlich-emotionaler Erschütterung ziehe der Verfasserschließlichzur Beruhigungauchseinereigenenvemunft die Lasterder Einwohner Lissabonszur Begdndung desErdbebensheran,womit, so siegdst wörtlich, ,das außerordentlicheEreignissanktioniertist", will sagen:nicht alsBeweisfür dasFehleneinervemünf_ tigenWeltordnungakzeptiertwird,s Dagegenist es ausgerechnet der philosophHansGünther,der 1994in seinemeinführenden Abriß der Lissabon-Theodizee-Problematik aus ästhetischenGründen auf Zimmermanns Gedichthinweist.Günthersieht darin clenversuch,die orlhodoxfrühaufkliirerischen vorstel_ lungenvon Tugendund Laster,Lohn und strafe zu bestätigen,sieaberzugleich,,ausder moralischenNutzanwendung in die Sphäreerschütterter BetrachtunggroßerBilder zu heben";womit bereitsdie "Bedingungenfür dasGefühl desErhabenen"gegebenseien,dasin diesenJahren, vor ällem durchBurke,psychologischerklärtwerder6. III wie nun also?Nimmt ZimmermannsGedichtdasErdbebennur zum Anlaß einerchristlichen strafpredigtohneweiterenkonsistenten gedanklichen Gehalt,wie Ischerbehauptet, oderbelehrt es uns zur Theodizee,obwohl eskein Lehrgedichtist, wie Siegristmeint,oderist es vor allem dasDokumenteinerästhetischen Emphasedesunfaßlichen,wie Günthernahelegt?vergegenwärtigenwir uns,um denSachverhaltzu klären,zunächstdenGedankengang desGediclts. Er vollzieht sich in fünf Schritten. Der ersteAbschnitt (vers l-25) bietet eine theologischeperspektivierung.Zimmermann beginntnicht mit dem im Titel angekündigten historischenGeschehen selbst,sondemmit einer ErläuterungdesGesichtspunktes, unterdem er esbetrachtenwill. Er kleidetesin die MetaDher desJüns:tenCerichrs: 22 EM.,S.240. Ebd.,s. 2,10t 24 E b d .s,. 5 1 . 25 Christoph Siegrist: DasLehrgedicht derAufklärung, Sruttgarr 1974, S.47t 26 Günther: DasErdbeben vonLissabon erschünert dieMeinungen (s.Anm.2),5.22.24. 87 -. r'.G44::,i I "Wann sich der Himmel neigt, wann JEsus im Triumfe Zur Erde wieder kehrt, und vor ihm her der Sturm, Gewitter hinter ihm, Gericht und Straf verkünden; Dann wird ein bangerGraus durch alle Völker gehn, [...] So starrteLisbons Volk t...1" (S.2) die Der jüngsteTag, heißt es dann,ist zwar gewiß,aberer kommt doch immer überraschend, "großenTag"des"Schicksals", verdrängen meist nicht darauf vorbereitet, sie den Menschensind geblendetvon Sorglosigkeitund Reichtum.Exemplarisch(und um diesestheologischeExempel ist esdemVerfasserzu tun) zeigesichdasam aktuellenFall der im Gold ihrerbrasilianischen Einwohnervon Lissabon. Kolonie schwelgenden "erzählt" danndasSubjektdesGedichts(dasmankaum als Im zweitenAbschnitt(26-107) "lyrischesIch" bezeichnenmag, weil es offensichtlichmit der PersondesVerfassers ZimmerAusmalungder zusammann identischist) das Erdbebenselber;es ist eine emotionsgeladene menbrechendenPalästeund Häuse1der Flutwelle und der Feuersbrunst,angereichertmit stetsgrundiertvon der eingangsformulierten quellenbelegten Details und Einzelschicksalen, Wertung,und zwar mit expliziter Stoßtheologischen,genauer:christlich-protestantischen "wahre richtunggegenden Katholizismus,der sich mit Weihrauch,Opfer und Ablaß überdie Buße"hinwegheuchleund dieseHeucheleisogarinstitutionalisierthabein Gestaltder heiligen Inquisition.vor der selbstdie Thronezilterlen. undoriginellen,gleichDasStichwort"Thron" liefertdenÜbergangzu demübernschenden auchnur erwähntendrittenAbschnitt(108-211),der wohl in keinerder zitiertenInterpretationen unvermitteltdie politischeLehreder Katastropheformuliert.Siebestehtin einerAnredean den "großen Fürsten",der auch namentlich"Josef'genannt wird, also an den Monarchen,den damaligenKönig Jos6II., der daspolitischePortugalzielstrebigauf den gesamteuropiüschen Standardvon Absolutismusgebrachthatte.DiesenMonarchen,dessenäußereHerrlichkeitin ja demütigbewundernder Schuttund Asche liegt, sprichtZimmermannnun in ehrerbietiger, der Katastrophe zu fragen: ihn nach seiner Empfindung angesichts Gestean,um "Erkliü' mir, goßer Fürst, dem so viel Völker dienen, Und beyder Welten Raum [d.i. Europa und Südamerika,M.R.] doch nicht zu enge war / was sagtedir dein Herz in dieserTodes-Stunde'1" Doch die Antwort des Königs in ihrem Tenor vorwegnehmendschiebter dieserFrage,als erübrigesie sich,sogleichdie Versicherungnach: "Es war von Menschlichkeit und wahrer Großmuth voll" (S. l8) Monarchals ein Vorbild an Fürsorgefür seinnoch In der Tat erweistsich der so heimgesuchte Volk, dessenLeid ihn überallesj ammert.Aus diesemJammeraber, heimgesuchtes verheerender und darinbestehtseineGröße,trösteter sichund seinVolk sogleichmit dem weltanschaulichen "das nicht dereinst noch nützlich Dogma des Optimismus, daß es kein Unglück gebe, wird"(S.20). In diesemSinne versprichtder König nun, geläutertdurch das Unglück seiner in der "steterFriede"(S.20) herrUntenanen,die ErrichtungeinerneuenGesellschaftsordnung, "kein sclavischesGemüth"mehr den Nackenbeugensoll: der Anblick der Ruinen, schenund bekehrtden"gutenFürsten"zu "Menschlichkeif'(S. 2l ). Tal der Tränen das politischenWirkung desUnglücks,dasder König gibt, DiesesBeispieleinersegensreichen "GrossendieserErde"(S.2l verallgemeinertZimmermanndannzu einemAufruf an alle ), die zu besinnen er ermahnt,sichauf die Außerlichkeitund Flüchtigkeitaller sozialenUnterschiede durch "der WesenReih" zieht,durch die sie und zu bedenken,daß sich eine Schöpfungskette "ein König und ein Wurm."(S.23) Zugleicherklärter damit auchdie politische alle gleichsind, KatharsisdesKönigs als FolgeeinesprimärreligiösenUmkehr-Erlebnisses. 88 !,i: Doch erstnachdiesem,sichvon der historischenurkundeweit entfemenden Exkursüberdie aus der Katastrophezu ziehendepolitischeLehre nimmt Zimmermannnun in einem vierten Abschnitt(212-282)die anftnglicheBlickrichtungwiederaufundentwickeltseinetheologische DeutungdesErdbebens.Dennerstnun, besänftigtund beruhigtdurchdasExempeldes.?uten Fürsten",kanner die großeaffektiveErregung,die nochseineteilnehmendeBeschreibunsdes unglücks im zweitenAbschnittbestimmte,temperierenund sichzu einervemünftigenReÄexion überSinn und Grundder Katastrophehindurchläutern: "Nun winkt mir die Vernunft mit sanfterKraft hinwec: Sie hohll de\ UebelsCrund.der Porrugallbefallen. ln Frömmigkeit verzückt, von seinenSündenher" (S. 23) Die sichin diesenwortenschonabzeichnende DeutungdesErdbebens alsreligiösesstrafgericht ist nun im Kontextder zeitgenössischen wirkung durchausnicht originell.Bemerkenswert aber ist der Modus, in dem ZimrnermanndieseArgumentationhier vorführt. sie basiertauf einer forciertenZusammenführung, ja Ineinssetzung von vemunft und Frömmigkeit:die .,vemunft', des verfassers,heißt es in der soebenzitiertenAnfangspassage, ist selber,.in Frömrnigkeit verzückt".zimmermannreklamiertalsoohneweitereBegründung,sondem,wie es scheini,in wege der reinenSetzung,seinetheologische,von FrömmigkeitgeleiteteDeutungals nicht nur nicht im widerspruchmit der aufklärerischen vemunft stehende, sondernals mit ihr identische. In den folgendenversen aber wird diese Ineinssetzungvon vernunft und Frömmigkeit als vorweggenommenes Ergebniseineszweiphasigenverlaufsprozesses im sprechenden subjekt selbererkennbar.Zuersterklärt er wie erwartetdasErdbebenals gerechteStrafeGottesfür die in ihrem Reichtum und überfluß der sündhaftigkeit,insbesondereder wollust verfallenen Lissabonner: "Gerechtigkeit[...] verdrang der Langmuth Triebe; Der Heü schlug in den crund die Stadt,die von ihm wich', (S. 23) Dannaberschlägter sichmit emphatischer Gebärdeder selbstkdtikandie eigeneBrustundruft sich selber zur "Vernunft" auf, die sein urteil freihalten solle von allen .,betriegerischen" "Leidenschaften", und zwar besondersvom größten"Gift" der Menschheit.clemverfluchten "Eifer" (s. 26). Damit aber ist nichts anderesgemeintals jener religiöseEifer, jene selbsr gerechtigkeitder Frommen,dererer sich serber,wie er nun erkennt,in seinererst"n soontanen und affektivenVerdammungder Einwohnervon Lissabonschuldiggemachthat: "Sag mir, betrognerGeist, der Lisabon verdammt. Weil GottesWege stetsderWelt verborgenbleiben, Wo lebt das Volk das nicht ein gleichesSchicksalreizt?" (s. 27) Es wäre also nur selbstgerechtes Eifertum,so lautetdasFazit von Zimmermannspersönlicher Selbstreflexion undSelbstbezichtigung, wenner (undjeclermann) sichüberdasStrafgericht,das die Lissabonnerereilte,erhebenwollte, da er (undjeclerMensch)esdochin wahrheit genauso verdienthätte.Die Fragekannalsonur nochlauten,warumesunterdenen,die allemalsünder sind,ausgerechnet die Lissabonner getroffenhabe.Auf dieseletztevon ihm selbstaufgeworfene Frageabergibt Zimmermanndie Antwort, daßder MenschdaraufkeineAntwort gebenkönne: "Genug, im Finstem liegt für uns des Uebels Grund', (S. 32) Die Einsichtin die UnerforschlichkeitdesgöttlichenRatschlusses verbietetes,soZimmermamdie freche,ja frivole Fragenachden Gründendesübels in der welt zu stellen.Die Menschen könnenund sollennur wissen,daßein Gott ist, der straft,nicht aber,wann,wärumund wen er straft oder nicht straft.Am Endedieser"vemünftigen",also von selbstgerechtem Eifer freien theologischenDeutung der Katastrophesteht daher die ausdrücklicheZurückweisunsder 89 oder "dialectischen", also tlie Existenz eines vernünftigen Gott bezweifelnden sesamte; desErdbebens: i."n"""d.t oftl"tophischen Erörterung Wege; seine "wir sehndesSchicksals Ziel'undmissen Stolz lächerlichem mit nur r-us;"iti; rtaut"t ergründen' ii.i.l"a o" *trt' ""d colrin Dunkelheir Tag' nächsten den an *ittn bis lJre"ri"l" äin 'ai"ii."i"itog"" plagen:rS 32f) ti"h mirDialectic Kritik im Namenetner Skepsis-und Exorzismusalleraufkltirerischen Nachdiesemkasuistischen Abschnitt(283-315) ziäireÄann in tintt l"t'ttn undfünften vemünftigenFrömmigteituteiut was man als christliches ;;;;lg;;;i"ernden.Behetzigüngnur noch die Formulterung"ttt' sondemausder^in u"'?em FaktumdesErdbebensselber' fabuladocetgenaug"no-rn"n nt"t.tt müsse'ser VerarbeitungdiesesFaktumsentnehmen scnrittweisen vorgeführten Gedicht diesen.r nicht bedürten tt *"itit"t' diesesscilrecklichelMenetekels die Erkenntnis'daß der Mensch Gott seiebennichts ftoli*ut 'utütUuniehen zu Gott;denn sollte,um ausseinemintettetttu"tt"n habe er den ""t a"r Verzweiflung fließt"' vielmehr gelegenan dem Glauben' o"''"il"l" lläurnit uus eignerWahl zu-ihm-dein Herz sich hebe" Zu Freihert die ,tr"otn' Menschen derenEintreten tt'J' nitttt tt't iä Ang"tl"ht der Katastrophe' beherzigensei daher,Oull"' not Anlaß' denspektakulären tuJ' to"Ji'n sofortundlederzeit'ohne ungewißsei,Reueunonurc 'o sensibel Menschen onüi"rsehbareMähnungLissabondie In diesemSinnekönn" una 'off" äi" Gottes: Stimme vernehmbare .achen für die täglichund überall irä.äni"lttln "Merk auf den Schall' clerstetsuns zur Bekehrungruft! (S 35) "ziemlichwertlos"' undzwarnicht in derTat Lissabon-Gedicht Zimmermannns ist Künstlerisch die Ischer ""0 der holprigenreimlosenAlexandriner' nur wegen der pathetischennf'"t"'X emsmimmt' und bekennt ti"ftt "ls Kunstwerk sonde,nuo' utt"t' *"lt "' Jtft *fUtt bemängelte, veranlaßtsieht,die riilauttiri-ng, .ono"* .ich.permanent auchnicht arsein Let rg"oict t oel o"ittellung mit einerngeradezuüberbordenden Wahrheitder eigenenpoetisch-"itt"iiJ"" zu beglaubigen lnsofern ist das g"*it'"tmurt""'i iutt'*it'"nt"ttutttich Anmerkungsapparut cedichtnichtmehralsder"r*" rti'Lr," luicT..p:lTrp^,11: einesehrgeizigen versuch zu profilieren' aufgehängtan elnem sich auch in der schönenLiteratur ;öt;;;;tt. ebendem Erdbebenvon Lissabon' Gegenstand' sünstigen,weil Aufsehenerregenden Gehalts'und ."io", pt ito*phisch-theologischen VonInteresseist ou. c"ai"t t uttlln"*lg"n das Breitinger Jacob wie Johann ;l.m;;*"t'rtltlttt J;; wenn Ischersich wundert,d"ß Inhalt den ti"tt oi" künstlerischeForm, sondem auctrs."l;;; Gedichtlobt, soübersiehter,daß 1756an Zimmermann: tchrieb Breitingeram 12 Oktober ä.äWlafnh Probestückirr den deutschen "Nur schade' dass Sie sich's nichl haben beifallen lassen',dieses-erste ";ll\:J[::;'l ",X"iU*:l "iÄ....1, Jl,lil,il::"'1 ri.-"."i", ilntffi}:q;il::$: lrhrer. sondem auch clen vefii haben."ll formulierthierein inhaltlich":.y"::"::"]l-'i.::::?,::::f;1.:ät"t;ä:äT::l Breitinger iJ##ffi ;*.,i::1";'"::':,1,#T:j#:H""":i:'##,t: :'.:'rr,-:i:äffi sein sondem ffi Rang, r,tni.r,t,"inrunstrerischer Bffi:t$ä;ffi;;:äffiffi;;;*0.; i-zit 90 Georgzimmerzitien nachEduardBodemann:Johann no"ntnn , (s. Anm 14), s 63' der seinerseits mann,Hannover1878'S l84' I rl tl dasheißtgegendie WolffscheSchulegerichteterundin diesemSinneaufder Seite neologischer, Klopstocksund BodmersstehenderGehalt.Zwar hattenauchder früheAufklärungsphilosoph ChristianWolff und seineSchülergefordert,die Dogmender Kirche dem Urteil der kritischen Vernunftzu unterweden,doch hattensie dabeidie Kategorieder Vernunftrein formallogisch unddeshalbauchdie christlichenDogmengeltenlassen,soweitihnenformallogische verstanden "Neologie" dagegen,wie Denkmöglichkeitzukam.Die Lehre der sogenannten sie vor allem JohannJoachimSpaldingin seinerBestimmungdesMenschen(1748)formulierte,spaltetedas Bibel- und Dogmenlritik Problem auf in eine objektive, historischeund wissenschaftliche geprägte Gefühlsfrömmigkeitandererseits, einerseitsund eine subjektive,starkmoralisch die "vernünftige" Gewissens-und Glaubensfreiheit beanspruchte. somit eineweitergehende, Die Stimmedieseralle historischeDogmenkritikhintersichlassenden subjektivenGefühlsfrömmigkeithört Breitingerin dem GedichtdesjungenZimmermann,und sie ist es,die ihn in "neologischenHelikon" macht.Mit diesem seinenAugen zu einem Kandidatenfür den einvemehmendenLob verfolgt Breitinger offensichtlichauch eine weitergehendestrategische Literaturstreit,den er seit vielen Jahrenzusammenmit Absicht in dem alles behenschenden seinem Zürcher GefährtenJohannJacob Bodmer gegendie Leipziger um den Wolffianer überdie Rolle desWunderbarenund die produkGottschedausträgt.In diesemGrundsatzstreit tiven Freiheitenvon Einbildungskraftund Phantasiein der Dichtungnlimlichhatteder Schwei"großen zer Albrecht von Haller, den Breitinger hier artig als Zimmermanns Lehrer" apostrophiert,sichnicht soeindeutigwie gewünschtaufdie Seiteder Zürichergestellt,obwohlihm Breitingerschon1744bescheinigthatte,daßer dasGemütdesLesersintensiveraffizierealsdie WennBreitingernun demjungen Haller-Adepten regelm?ißigen Verseder Gottsched-Schule'3. Zimmermannapplaudiert,soversuchter ihn damitzugleichvon seinemMentorwegund aufdie eigeneSeitezu ziehen. Absichtenspürt Breitinger durchauszuDoch auch abgesehenvon diesenstrategischen treffend,daßderjungeZimmermann,wennüberhaupt,eherein DichterdessubjektivenGefühls Regelpoesie zu werdenverspricht.DasGedichtist zwar (undhierin ist als der rationalistischen Lehrgedichtangelegt,aberesist esin derTathallerisierend)alsein philosophisch-theologisches ja als solchesbewußtsubjektiv, man möchtehistorischvorgreifendsagen:als Erlebnisgedicht gefaßt.Denn im Grundehat es nicht dasErdbebenvon Lissabonund die Frageder Theodizee zum Inhalt, sonderndie Verlaufskurveder durch das ErdbebenausgelöstensubjektivenEmpfindungendesVerfassersselber DiesesSubjektsprichtdaherauchnicht etwa von der Warte aus,es präsentiertsich überhauptnicht als stabile seineram Ende erreichtenUberzeugungen Urteilsinstanz,sondernesthematisiertsichim Gegenteilbewußtselberalsein innerlichbeweg(diestrukturellderdesKönigsanalogist) zu der tesundmachtseineinnereBekehrungsdynamik Lehre,die es mitteilen will. Mehr als der theologischeInhalt dürfte es geradedieseErlebnisSubjektivierungsein,die BreitingersLob erklärt.Sie ist jedoch kaum, wie Günthervermutet, eineEvokationdesErhabenen,dennihr Pathosentzündetsichnicht an der Erfahrungder übermächtigenObjektwelt,der Natur,sondeman der Beobachtungder Bewegbarkeitund Bewegtheit der eigenenSeelenkräfte.Breitinger subsumiertdiesePsychologisierung unter die neogehe Zimmermanns logischeKritik an der rationalistischenOrthodoxie,doch es scheint,als Gedicht,wie bewußtauchimmer,noch einenSchrittweiter.Denn sein geradezufundamentaMementoder allgemeinenSündhaftigkeitundNotwendigkeitzur Buße listisch-protestantisches eshatstrukturellpietistische richtetsichnichtnurgegendie katholischeSündenvergebungslehre, pietistische gibt es keine Zeugnisse, die Einflüsse beim jungen Zimmermaln Züge. Bisher empirischbelegen.Hier sollensolcheEinflüsseauchnicht behauptetwerden.Es soll nur fest- 28 JohannJacobBreitinger: Vertheidigungder schweitzerischenMuse Hm. D. Albrecht Halleß,Z'ijich 1744. 9I demMusterdespietistischen gehaltenwerden,daßder innereAufbau seinesLissabon-Gedichts psychoderAbfolge von äußererErschütterung, verblüffendnahesteht: Erweckungserlebnisses Bußkampf und Gnadendemütiger Selbstzerknirschung, Gewissenserforschung, logisierender Zimmermannein neues durchbruch.Vielleichtfülltauchaufdie bizarrePsychologiedesspäteren Licht, wenn man sich vor Augen hält, daß er in seinererstenund einzigennennenswerten dem Publikum nichts Geringeresanvefiraut,als das innereErlebnis poetischenJugendsünde Heilsgewißheit. und seinerWiedergeburt