Osteoporose, eine unterschätzte Erkrankung
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Osteoporose, eine unterschätzte Erkrankung
Praxis Cordes-Limbrock • Neumarkt 1• 49074 Osnabrück Dr. med. Hans A. Limbrock Osteoporose, eine unterschätzte Erkrankung Sozialmedizinische Bedeutung Die Osteoporose ist eine in Deutschland nicht ausreichend behandelte Erkrankung. Man schätzt, dass von ca. 7 Millionen Betroffenen nur 1,5 Millionen überhaupt ihre Erkrankung kennen. Nur 1,2 Millionen werden behandelt - und das oft unzureichend ausschließlich mit Calcium in gelegentlicher Kombination mit Vitamin D. Foto: Vergleich Betroffene und junge Frau Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. H. W. Minne, Klinik Der Fürstenhof, Bad Pyrmont Die Osteoporose ist allerdings ein weltweites Gesundheitsproblem. Von der WHO (Weltgesundheitsorganisation) wird diese als eine der 10 wichtigsten Volkskrankheiten eingestuft. Patienten mit Osteoporose leiden an porösen, instabilen Knochen und neigen zu vermehrten Knochenbrüchen. Insgesamt sind ca. 10% der Bevölkerung betroffen. Speziell in Deutschland ist jede 3. Frau und jeder 5. Mann an Osteoporose erkrankt. Man schätzt, dass ungefähr 40% aller Frauen in ihrem Leben einen durch Knochenschwund bedingten Knochenbruch erleiden. Weltweit verursacht die Osteoporose ca. 2 Millionen Oberschenkelhalsbrüche jährlich. Dabei handelt es sich teilweise um lebensbedrohliche Erkrankungen; knapp ein ¼ aller Patienten verstirbt im ersten Jahr nach dem Sturz an den Folgen des Bruches. Damit sterben mehr Frauen infolge des Oberschenkelhalsbruches als an bösartigen Erkrankungen des Unterleibes und gleichviel wie an bösartigen Erkrankungen der weiblichen Brust. Viele von diesen Osteoporose-Patienten bleiben dauerhaft pflegebedürftig und sozial isoliert. Die in den letzten Jahren zunehmend entwickelten modernen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten haben für Patienten neue Hoffnungen geweckt, die zum Teil auch berechtigt sind. So ist in der Frühphase der Osteoporose das Krankheitsbild heilbar und auch bei fortgeschrittenen Erkrankungsstadien können die Beschwerden der Patienten gelindert und größtenteils weitere Knochenbrüche verhindert werden. Für viele Erkrankungsbilder hat sich in Deutschland ein entsprechendes Vorsorgeprogramm etabliert, das mehr oder weniger von den Bürgern angenommen wird. Für die Osteoporose besteht bis heute ein solches Vorsorgeprogramm noch nicht, so dass sich die Frage stellt, wann man an Osteoporose denken und das Krankheitsbild weiter abklären lassen sollte. Beschwerdebild In aller Regel wird bei einem Teil der Patienten mit entsprechenden Brüchen schon mal an die Osteoporose gedacht. Daneben ist die Osteoporose allerdings auch für das Kleiner- und Runderwerden im Alter sowie für einen Teil der Rücken- und Knochenschmerzen verantwortlich. Die typischen Beschwerden der Osteoporose-Patienten sind Rückenschmerzen in der Brust- und Lendenwirbelsäule. Diese entstehen einerseits durch die veränderte Statik, d.h. es bildet sich ein Hohlrundrücken aus, anderseits durch akute oder schleichende Sinterungsbrüche. Die Schmerzen der Wirbelsäule strahlen oft in die Arme und Beine aus. Der akute, oft vernichtende Schmerz der Wirbelkörperbrüche wird in aller Regel auch diagnostiziert, während die langsamen Sinterungsbrüche oft übersehen werden und nicht mit der Osteoporose in Zusammenhang gebracht werden. Neben den osteoporotischen Veränderungen der Wirbelsäule stellt sich oft beim älteren Patienten noch eine Vitamin-D- und Calcium-Stoffwechselerkrankung ein, die zu Brüchen und Schmerzen auch im Bereich des Beckens und der Beine führt. Deshalb ist die ausführliche Untersuchung des Patienten so wichtig zur Diagnosestellung. Der Untersuchungsgang Neben der so genannten Risikoerfassung, der körperlichen Untersuchung und der Diagnostik des Knochenstoffwechsels im Labor gehört das Röntgen der Wirbelsäule zu den Untersuchungsmethoden zur Erfassung von Skeletterkrankungen. Dabei kann sich der Verdacht auf eine Osteoporose ergeben. Die endgültige Diagnose gelingt allerdings nur mit der Knochendichtemessung. Foto: Schenkelhalsfraktur (Foto mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. H. W. Minne, Klinik Der Fürstenhof, Bad Pyrmont) Knochendichtemessung Die Frage der Knochendichtemessung wird heute sehr kontrovers diskutiert. Einerseits werden entsprechende Untersuchungen schon in Apotheken für wenig Geld angeboten, andererseits übernimmt eine solche Untersuchung die Krankenkasse heute nur noch bei vorangegangenem Knochenbruch. Gerade unter diesen Gesichtspunkten möchte ich kurz die Notwendigkeit der Knochendichtemessung, die verschiedenen Verfahren und deren Aussagefähigkeit darstellen. Zunächst zu den Indikationen: Wann ist eine Knochendichtemessung sinnvoll? Wann sollte sie veranlasst werden - unabhängig davon - wer die Kosten übernimmt? Die Knochendichtemessung dient der Abschätzung des individuellen Knochenbruchrisikos, deshalb sollte sie bei Patienten, bei denen aufgrund ihrer Krankengeschichte ein erhöhtes Knochenbruchrisiko besteht, durchgeführt werden, um ggf. spezielle Therapien zur Verhinderung oder zur Vermeidung weiterer Knochenbrüche einleiten zu können. Wer ist besonders gefährdet? 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Patienten in deren Familie eine Osteoporose bekannt ist, insbesondere, wenn Großeltern, Eltern oder Geschwister an einer Osteoporose erkranken. Patienten, bei den nach dem 40. Lebensjahr ein Knochenbruch aufgetreten ist. Patienten, deren Körperlänge im Vergleich zum jungen Erwachsenenalter um mehr als 4 cm abgenommen hat. Frauen, deren Regelblutung unregelmäßig war oder die spät zur ersten Regelblutung kamen oder bei denen früh die letzte Regelblutung auftrat. Patientinnen, bei denen die Eierstöcke oder Teile der Eierstöcke entfernt wurden. Patienten mit Zustand nach Organtransplantationen. Bei Dauereinnahme folgender Medikamente: Blutgerinnungshemmer, Antikrampfmittel (Anticonvulsiva), oder Cortison. Patienten mit Diabetes mellitus oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. 9. Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, vor Einleitung einer Hormonersatztherapie eine Knochendichtemessung durchzuführen, um die Notwendigkeit dieser Behandlung besser abschätzen zu können. Verschiedene Untersuchungsverfahren In Deutschland kommen mehrere Untersuchungsverfahren der Knochendichteuntersuchung zur Anwendung. Das bekannteste Verfahren ist die DXAMethode, des weiteren werden Untersuchungen in der Röhre (QCT) oder mit Ultraschall (QUS) durchgeführt. Dabei stellt sich oft die Frage, welche dieser Methoden sinnvoll ist. Ich möchte deshalb kurz die Methoden erläutern. Foto: Knochenstruktur bei Osteoporose (Foto mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. H. W. Minne, Klinik Der Fürstenhof, Bad Pyrmont) Das weltweit verbreiteste Untersuchungs-Verfahren ist die DXA-Messung. Es beruht auf Röntgenstrahlen mit einer allerdings recht minimalen Strahlendosis, so dass bei der Untersuchung auch eine MTR (Röntgenassistentin) im Raum verbleiben kann. Bei diesem DXA-Verfahren ist es möglich, die Lendenwirbelsäule und die Schenkelhälse (Hüften) zu messen. Dieses Verfahren wird von der Weltgesundheitsorganisation als Standardverfahren empfohlen. Alle großen Medikamentenuntersuchungen (Studien) werden an diesen Geräten durchgeführt. Die Definition einer Osteoporose ist auch nur für dieses Verfahren nach der WHO zulässig. Das nächste Verfahren ist die sogenannte quantitative Computertomografie (QCT). Dieses Verfahren wird von Radiologen angewandt und ermöglicht die Messung im Bereich der Wirbelsäule. Die Nachteile dieses Verfahren sind erstens die recht hohe Strahlenbelastung und zweitens die relativ hohen Kosten. Auch gibt es nicht ausreichend Untersuchungen, die eine Verlaufskontrolle mit diesem Verfahren sinnvoll erscheinen lassen. Der kleine Abkömmling des QCT ist das sogenannte periphere QCT. Mit diesem Verfahren ist es möglich, im Bereich des Schienbeines und des Unterarmes die Knochendichte zu bestimmen. Der Vorteil dieses peripheren QCT liegt in der recht geringen Strahlenbelastung, in den überschaubaren Kostenverhältnissen und in der Möglichkeit, auch Aussagen zum Zustand und Umfang der Muskulatur zu machen. Das dritte gebräuchliche Verfahren ist die quantitative Ultraschalluntersuchung (QUS). Dieses in der Zwischenzeit sehr häufig angewandte, auch in den Apotheken durchgeführte Verfahren, ist eigentlich keine Knochendichtemessung. Mit dieser Methode kann zwar eine Aussage über die Verformbarkeit des Knochens gemacht werden, aber im Gegensatz zu den beiden o. g. Verfahren wird die Knochendichte hiermit nicht gemessen. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in der weiten Verbreitung und der relativ preisgünstigen Untersuchungsmethode. Der Nachteil ist, dass erstens keine genaue Aussage gemacht werden kann, was gemessen wird. Zweitens, dass es bisher höchstens als Suchverfahren geeignet ist, d. h. man kann damit Patienten herausfinden, die weiter untersucht werden müssen, aber Therapiekontrollen durchführen. Aussagefähigkeit dieser Untersuchungsmethoden Gerade bei der Vielzahl der Untersuchungsmethoden ist es schwierig für Arzt und Patienten das richtige Verfahren herauszufinden. Deshalb möchte ich nachstehend einmal kurz die Aussagefähigkeit der einzelnen Untersuchungsmethoden erläutern. Alle Untersuchungsmethoden dienen der Abschätzung des individuellen Knochenbruchrisikos. Wenn man diese Verfahren dabei vergleicht, muss man feststellen, dass die Voraussage des Knochenbruchrisikos um so genauer ist, um so näher die Untersuchungsmethode am Ort des zu erwartenden Bruches durchgeführt wird, d. h. eine Messung der Knochendichte des Schenkelhalses (Hüfte) sagt am genauesten das Knochenbruchrisiko des Schenkelhalses voraus oder die Messung an der Lendenwirbelsäule ist das beste Untersuchungsverfahren zu Voraussage eines Knochenbruchrisikos der Wirbelsäule. Wird also die Knochendichtemessung wie z. B. bei den Ultraschalluntersuchungen am Fingerknochen oder am Fersenbein durchgeführt, so ist damit zwar eine mäßige Voraussage des allgemeinen Knochenbruchrisikos möglich, sie erreicht aber nicht die Genauigkeit der Verfahren, die an der Lendenwirbelsäule oder der Hüfte durchgeführt werden. Auch ist mit den neueren Ultraschalluntersuchungsverfahren eine Therapiekontrolle, d. h. eine Kontrolle des Erfolges einer möglichen medikamentösen oder physiotherapeutischen (krankengymnastischen) Therapie nicht möglich, da bis heute nicht bekannt ist, was diese Untersuchungsmethoden eigentlich messen. Zusammenfassung der Knochendichtemessverfahren Die Knochendichtemessung ist ein sinnvolles Verfahren in der Voraussage des individuellen Knochenbruchrisikos. Sie sollte bei gefährdeten Patienten durchgeführt werden. Die verschiedenen Untersuchungsmethoden sind untereinander nicht vergleichbar und in ihrer Voraussage des individuellen Knochenbruchrisikos unterschiedlich zu bewerten. Abschließend stellt sich immer wieder die Frage „Wie soll ich mit meinem persönlichen Ergebnis der Knochendichtemessung umgehen?“. In aller Regel bekommen die Patienten von ihrem Arzt einen Prozentwert genannt. Dieser Prozentwert entspricht der individuellen Masse im Vergleich zum altersentsprechenden, gesunden Durchschnitt, d. h. beträgt meine Knochenmasse 80%, so habe ich 20 % weniger Knochendichte als ein Mensch gleichen Alters und gleichen Geschlechtes im Durchschnitt hat. Das ist für den Patienten eine ausreichende Beschreibung. Der Arzt orientiert sich dabei allerdings an anderen Werten, den sogenannten T- und Z-Werten. Liegt der T-Wert unter dem Wert von minus 2,5, so handelt es sich bei der DXA-Methode um eine Osteoporose, ist der Wert minus 1 bis minus 2,5, so liegt das Vorstadium der Osteoporose, die Osteopenie, vor. Beträgt der T-Wert weniger, also ist er 0 bis minus 1 oder größer als 0, so liegt eine normale Knochenmasse vor. Die T-Werte der anderen Untersuchungsmethoden (Ultraschall und Computertomografie) sind nicht standardisiert und sind mit dem T-Wert der DXA-Methode nicht vergleichbar. Die Untersuchung der Knochendichte gehört in die Hand eines erfahrenen Arztes, denn nur dieser ist in der Lage, die Risikofaktoren zu bewerten und das individuelle Frakturrisiko anhand der vorliegenden Knochendichteuntersuchung und weiterer Sturzrisiken abzuwägen. Die Behandlung der Osteoporose beinhaltet nicht nur die Knochendichtemessung und die Verordnung von Medikamenten, sondern auch die Vermeidung von Stürzen, die allgemeine Ernährungsberatung und insbesondere die physiotherapeutische (krankengymnastische), sportmedizinische Behandlung. Nur so ist es möglich, das individuelle Knochenbruchrisiko zu senken und den ersten Knochenbruch zu vermeiden bzw. weitere Knochenbrüche zu verhindern. Weitere diagnostische Maßnahmen Neben den oben erwähnten Verfahren der Knochendichtemessung sind im Rahmen der Diagnosestellung noch weitere Untersuchungen notwendig: 1. 2. 3. 4. Die körperliche Untersuchung durch einen hierfür ausgebildeten Arzt. Die Erhebung der Risikofaktoren. Das Knochenlabor, bestehend aus Blut- und Urinuntersuchungen. Gegebenenfalls weitere diagnostische Maßnahmen wie z. B. Computertomogramm, MR, Skelett-Szintigrafie oder auch Knochenprobeentnahmen. Erst nach Vorlage aller Untersuchungsergebnisse ist es für den erfahrenen Arzt möglich, die Diagnose der Osteoporose zu stellen. Insbesondere werden die weiteren Untersuchungen zur Differenzierung unterschiedlicher Krankheitsbilder, die zu einer Osteoporose führen können, benötigt. Leitliniengerechte Therapie Wie bei einer Reihe weiterer chronischer Erkrankungen, z. B. Diabetes mellitus oder Bluthochdruck, liegen auch jetzt bei der Osteoporose Leitlinien zur Therapie vor. Leitlinien sind Therapieempfehlungen unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Da für einzelne Therapieformen unterschiedlich gute wissenschaftliche Ergebnisse vorliegen, wird eine Klassifizierung in die Klassen 1 - 4 vorgenommen. Nur Therapien der Klasse 1 sind hinreichend in ihrer Wirksamkeit wissenschaftlich bewiesen und kommen damit regelmäßig zur Behandlung der Osteoporose zum Einsatz. Zu diesen Klasse -1- Medikamenten zählen z. B. die Bisphosphonate Risedronat und Alendronat als auch die Antiöstrogene wie z. B. das Raloxifen. Andere Therapien, wie z. B. die Gabe von Vitamin D und Calcium, erfüllen diesen hohen wissenschaftlichen Standard nicht, obwohl sie in Deutschland zur Basistherapie gerechnet werden. Auch die Hormonersatztherapie ist erst seit kurzem in die Klasse 1 aufgerückt, nachdem eine große amerikanische Studie nachweisen hatte, dass unter Hormonersatztherapie die Rate von Oberschenkelhalsbrüchen deutlich zurück gegangen ist. Allerdings muss man dabei auch auf die Nebenwirkungen hinweisen; so stieg unter der Hormonersatztherapie gleichzeitig das Risiko eines Mamma-Karzinoms. Die geeignete Therapie ist damit immer eine individuelle Entscheidung zwischen Arzt und Patient. Sie bedarf der sorgfältigen Risikoerhebung, körperlicher und technischer Untersuchungen und muss weitere Erkrankungen des Patienten berücksichtigen. Die Behandlung der Osteoporose basiert allerdings nicht ausschließlich auf einer medikamentösen Medikamente, sondern die physikalischen Maßnahmen, die Sporttherapie und die Ernährungsberatung sind ebenfalls wesentliche Bestandteile des Gesamtkonzeptes. Ein Teil der Patienten benötigt orthopädietechnische Hilfe in Form von Rumpf- und Stützmiedern oder sogenannten Hüftprotektoren, die das Risiko eines Schenkelhalsbruches bei einem Sturz vermindern sollen. Zu diesen einzelnen Aspekten finden Sie in dem vorliegenden Buch weitere Kapitel. Einen besonderen Stellenwert sollte die Prävention bei allen chronischen Erkrankungen einnehmen. Diese ist in Deutschland allerdings noch nicht weit fortgeschritten. Entsprechende Programme mit dem ersten Ziel der Verhinderung einer Erkrankung (Primärprävention) existieren in Deutschland noch nicht. Nach Ausbruch der Erkrankung besteht die Sekundärprävention in der Verhinderung eines Knochenbruches. Hier werden jetzt erste Programme angeboten. Die Tertiärprävention ist die Verhinderung eines weiteren Bruches nach stattgehabter Fraktur. Sie unterscheidet sich nur gering von der Sekundärprävention und wird in entsprechenden Programmen miterfasst.