Eine Zeitreise in zehn Karten: Der wilde Osten Europas
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Eine Zeitreise in zehn Karten: Der wilde Osten Europas
Eine Zeitreise in zehn Karten: Der wilde Osten Europas Von Aila de la Rive, © MoneyMuseum Im seit der Völkerwanderung menschenleeren Land östlich von Elbe und Adria lassen sich ab dem 6. Jahrhundert slawische Völker nieder. Vom antiken Erbe und Christentum sind sie noch unberührt – sie haben keine Schrift, keine Bauten aus Stein und sie prägen keine Münzen. Zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert bilden sich aus diesen Völkern dann grössere Länder heraus: Böhmen, Polen, das Kiewer Reich, Ungarn und Bulgarien. Wie sich die neuen «Staaten» Ost-‐ und Mitteleuropas im Laufe der Zeit entwickeln, erzählen Ihnen diese Karten. Osteuropäische Münzen hingegen zeigen wir Ihnen in unserer Münzsammlung. (Karten: www.sibiweb.de) 1 von 11 www.sunflower.ch Die verheerenden Ungaren Die Karte zeigt Osteuropa um das Jahr 1000. Die Ungaren sind das einzige nicht indogermanische Sprachvolk mitten in Europa: Ihre nächsten Sprachverwandten leben im nördlichen Ural. Aus dieser Gegend sind die Magyaren, wie sich die Ungaren selbst nennen, schliesslich in ihre heutige Heimat vorgedrungen. Gegen Ende des 9. Jahrhunderts bildet sich das ungarische Reich, und von hier aus ziehen die ungarischen Heere auf ihren kleinen, zottigen Pferdchen in ihre gefürchteten Raubzüge gen Westen. Seit jener Zeit sagen die Leute denn auch, etwas sei «verheerend». Im Jahre 955 jedoch schlägt der deutsche König Otto I. die Ungaren dermassen vernichtend, dass sie sich frustriert in ihre Dörfer zurückziehen und endgültig sesshaft werden. 2 von 11 www.sunflower.ch Der Mongolensturm Die Karte zeigt Osteuropa um 1280. Durch die deutsche Ostkolonisation (ab 1220), nachbarliche Annektionen und vor allem durch die Mongoleneinfälle verschieben sich im 12. und 13. Jahrhundert die Gebiete der einzelnen Völker im östlichen Europa. Ungarn unterwirft sich Kroatien und Bosnien dehnt damit seine Macht weiter aus. Doch währenddessen braut sich im Osten ein schreckliches Unheil zusammen, das auch die tapferen Ungaren das Fürchten lehren wird: Die Eroberungszüge der Mongolen in den Jahren 1221 bis 1241 erschüttern viele Länder in ihren Grundfesten. Das einst mächtige Kiewer Reich zerfällt in unabhängige Fürstentümer, die der sogenannten Goldenen Horde tributpflichtig sind. Auch die Stadt Kiew fällt dem Mongolensturm zum Opfer: Sie wird dem Erdboden gleich gemacht. 3 von 11 www.sunflower.ch Osteuropa im Zentrum europäischer Geschichte Die Karte zeigt Osteuropa um 1370. Wo zwei sich streiten, freut sich bekanntlich der Dritte – und in diesem Fall auch der Vierte: Polen und das Grossfürstentum Litauen nutzen die Gunst der Stunde und setzen sich im Westen des untergegangenen Kiewer Reiches fest. Polen kann seine Macht noch weiter stärken, indem es sich in Personalunion mit Ungarn zusammenschliesst. So verschiebt sich im 14. Jahrhundert das politische Gewicht in Europa gegen Osten. Während im Westen eine Periode der Instabilität herrscht, erlebt man hier den Aufstieg und die Festigung mächtiger Länder: Böhmen, Polen und Ungarn geraten erstmals in den Hauptstrom europäischer Geschichte. Diese kulturelle Integration findet ihren symbolischen Ausdruck in der Gründung der Universitäten von Prag (1348), Krakau (1364), Wien (1365) und Pécs (Fünfkirchen, 1367). 4 von 11 www.sunflower.ch Machtfaktor Heirat: Polen-‐Litauen Die Karte zeigt Osteuropa um 1500. Fast unbemerkt von den Mächtigen der Zeit hat sich auf den Ruinen des Kiewer Reiches das Grossfürstentum Litauen zu einer ernst zu nehmenden Macht gemausert. Nach und nach hat es sich bis an die Schwarzmeerküste ausgedehnt. Doch – das Glück hat viele Neider! Im Westen bedrängt der Deutsche Orden das Grossfürstentum – bestrebt, das heidnische Litauen zu missionieren. Währenddessen wartet auch das Grossfürstentum Moskau im Osten nur darauf, sich den litauischen Leckerbissen einzuverleiben. Der Grossfürst Jagiello entschliesst sich daher zur Flucht nach vorn: Er lässt sich taufen und heiratet die polnische Thronerbin Jadwiga. Durch diese Personalunion entsteht Polen-‐Litauen. Unterdessen wird Ungarn von den Osmanen angegriffen und Böhmen durch soziale und religiöse Unruhen – die sogenannten Hussitenkriege – geschwächt. 5 von 11 www.sunflower.ch Der Aufstieg der Grossmächte Die Karte zeigt Osteuropa um 1700. Ursprünglich nur ein unbedeutendes Fürstentum in Westanatolien, steigt das Osmanische Reich ab dem 13. Jahrhundert zu einem Weltreich auf, das bis 1924 besteht. Nach der Unterwerfung der Ungaren erreicht das Osmanische Reich mit der Eroberung des polnischen Teils der Ukraine in den 1670er-‐Jahren seine grösste Ausdehnung. Aber auch Habsburg-‐Österreich schwingt sich im 16. Jahrhundert zur osteuropäischen Grossmacht auf. Natürlich ist es unvermeidlich, dass die beiden mächtigen Kontrahenten aufeinander prallen. Mit der Belagerung Wiens übernehmen sich die Herrscher am Bosporus jedoch. Nach der Niederlage im Grossen Türkenkrieg von 1683 bis 1699 muss das Osmanische Reich die ungarischen Länder und die polnische Ukraine an Habsburg abtreten. 6 von 11 www.sunflower.ch Ein verschwundenes Land und der «kranke Mann am Bosporus» Die Karte zeigt Osteuropa um 1850. Auch im Osten erwächst dem Osmanischen Reich ein neuer, mächtiger Gegner: Unter Katharina II. erobert Russland alle Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres. Das Zarinnenreich übernimmt von den Osmanen die Schutzherrschaft über die Moldau und die Walachei, und ab den 1830er-‐Jahren bezeichnen böse Zungen das Osmanische Reich nur noch als «kranken Mann am Bosporus». Inzwischen ist das innerlich zerstrittene und entsprechend geschwächte Polen-‐Litauen ebenfalls dem schleichenden Zerfall ausgesetzt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verschwindet das Land sogar gänzlich von der Landkarte – aufgeteilt und geschluckt von seinen Nachbarn Preussen, Russland und Österreich. 7 von 11 www.sunflower.ch Der Zusammenbruch der Vielvölkerreiche Die Karte zeigt Osteuropa um 1920. Der Erste Weltkrieg bringt eine völlige Erneuerung der politischen Landkarte Osteuropas: Die Grossreiche verschwinden. Nach dem Osmanischen Reich geht auch das Habsburgische unter, Russland wird weit nach Osten zurückgeworfen. Zwischen den beiden Grossmächten Russland und Deutschland entsteht der sogenannte Cordon sanitaire – dadurch soll ein Zusammengehen Russlands und Deutschlands verhindert werden. Auch eine weitere Ausbreitung des Bolschewismus ist in der westlichen Welt unerwünscht. Aus dem Nachlass des Zarenreiches entstehen verschiedene unabhängige Staaten: Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen. Das Habsburgerreich zerfällt in Österreich, die Tschechoslowakei und Ungarn. Siebenbürgen gelangt an Rumänien. Slowenien und Kroatien bilden zusammen mit Mazedonien, Serbien und Montenegro das Königreich Jugoslawien. 8 von 11 www.sunflower.ch Der Zweite Weltkrieg Die Karte zeigt Osteuropa um 1940. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bleiben die Grenzen in Osteuropa unangetastet – aber sie geben Anlass zu Konflikten. Viele Staaten sind mit der neuen europäischen Ordnung ganz und gar nicht einverstanden, allen voran die grossen Verlierer des Ersten Weltkrieges: Deutschland, Österreich, Ungarn und die Sowjetunion. Es ist das Jahr 1940 – wir befinden uns mitten im Krieg. Polen ist bereits zum vierten Mal in seiner Geschichte von der Landkarte verschwunden: Schon im ersten Kriegsjahr ist es zwischen dem Dritten Reich Deutschlands und der Sowjetunion aufgeteilt worden. Ungarn und Rumänien sind mit dem Reich verbündet, bald werden sich auch Rumänien und Jugoslawien anschliessen. 9 von 11 www.sunflower.ch Osteuropa hinter dem Eisernen Vorhang Die Karte zeigt Osteuropa um 1950. Im Zweiten Weltkrieg hat sich die Sowjetunion jene Gebiete zurückgeholt, die das Zarenreich nach dem Ersten Weltkrieg verloren hat. Die baltischen Staaten sind der UdSSR einverleibt. Weissrussland und die Ukraine – unter sowjetischer Herrschaft, versteht sich – haben sich auf Kosten des wiedererstandenen Polens weit nach Westen ausgedehnt. Als Kompensation für die Verluste im Osten hat man Polen – diesmal auf Kosten Deutschlands – schlicht und einfach nach Westen verschoben. Diese politische Landkarte bleibt bis 1990 bestehen. 1991 löst sich die Sowjetunion auf, die GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) wird gegründet. Sie besteht zu eine grossen Teil aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetrepubliken. 10 von 11 www.sunflower.ch Neue alte Nationalitätenkonflikte Die Karte zeigt Osteuropa um 1995. Die Politik der Glasnost hat für das gesamte östliche Europa weitreichende Konsequenzen. Am extremsten sind die Folgen im ehemaligen Jugoslawien. Hier manifestieren sich die Gegensätze zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in mehreren Bürgerkriegen. Aber auch andere Schauplätze schwelender Nationalitätenkonflikte sind auszumachen – so der bisher ungelöste Konflikt zwischen Ungarn und Rumänien um Siebenbürgen. Erfreulich ist dagegen das Beispiel von Tschechien und der Slowakei, die sich friedlich getrennt haben. Im Verlauf der letzten 1000 Jahre wurden Völker und Landesgrenzen im östlichen Europa im Machtgeplänkel der Grossen wie Figuren auf dem Schachbrett verschoben oder gar ausgelöscht. Das hat dazu geführt, dass überholt geglaubte nationale Selbstzuschreibungen heute wieder die Oberhand gewinnen. Denn die Bestimmung des jeweils Eigenen ist mit dem Erkennen des Fremden verbunden, von dem man sich selbst unterscheidet. 11 von 11 www.sunflower.ch