Max Planck Institute for Chemical Ecology - Max-Planck

Transcrição

Max Planck Institute for Chemical Ecology - Max-Planck
MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
Presseinformation
B 28 / 2004 (75)
26. Mai 2004
Sperrfrist: 26. Mai 2004, 19:00 Uhr
Wie Algen sich gefräßige Krebse vom Leibe halten
Meeresalgen behindern mit chemischen Waffen nachhaltig die
Fortpflanzung ihrer Fressfeinde, berichtet ein internationales
Forscherteam in "Nature"
Die üppige Planktonblüte, Kennzeichen nährstoffreicher Regionen und
Jahreszeiten im Meer, wird weltweit von einigen wenigen
Kieselalgen-Arten dominiert. Nach der Blüte sinkt ein bedeutender Teil
ihrer Biomasse ‚ungefressen’ zum Meeresgrund, weil sich ihre Fressfeinde
- Ruderfußkrebse oder Copepoden - erst nach der Blüte, also unter
wesentlich schlechteren Nahrungsbedingungen, besser entwickeln als
während der Planktonblüte selbst. Ein internationales Team, darunter
Forscher vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena, hat
jetzt dieses Paradox aufgeklärt: Die winzigen Kieselalgen sind in der Lage,
durch chemische Abwehrstoffe die Vermehrung ihrer Fraßfeinde
wesentlich zu beinträchtigen. Indem einige der Algen sich ‚opfern’ und die
sie fressenden Krebse vergiften, wird der Rest der Population nachhaltig
geschützt. Dieser raffinierte Mechanismus hindert also die Feinde nicht
direkt am Fressen, sondern behindert ihre Vermehrung in der nächsten
Generation (Nature, 27. Mai 2004).
Ein Großteil der Erdoberfläche ist von Wasser bedeckt und so verwundert es
nicht, dass die in den Ozeanen lebenden photosynthetisch aktiven Organismen
einen großen Anteil an der globalen Kohlendioxid-Fixierung haben. So nimmt
man heute an, dass einige Mikroalgen (Kieselalgen oder Diatomeen) in nahezu
gleichem Umfang Photosynthese betreiben, wie der gesamte terrestrische
Regenwald zusammengenommen. Forscher interessieren sich für diese
Einzeller im Ozean, nicht nur wegen ihrer zentralen Bedeutung für den
globalen Kohlenstoff-Kreislauf sondern auch, weil sie einen Grundstock der
marinen Nahrungskette darstellen.
Diatomeen werden in der Regel von Ruderfußkrebsen oder Copepoden
gefressen, die wiederum die Futterbasis für höhere Stufen der Nahrungskette,
wie Fische, bilden. Doch oft fällt auf, dass nicht alle Massenvorkommen von
Kieselalgen von den herbivoren Ruderfußkrebsen konsumiert werden. Gerade
im Frühjahr kann man in bestimmten Regionen der Meere beobachten, dass
diese Algen wenig gefressen werden, sondern vielmehr am Ende Ihres Lebens
zum Meeresgrund sinken. Der marinen Nahrungskette geht auf diese Weise ein
Teil ihrer potenziellen Ressourcen abhanden.
Max-Planck-Gesellschaft
zur Förderung
der Wissenschaften e.V.
Referat für Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit
Hofgartenstraße 8
80539 München
Postfach 10 10 62
80084 München
Telefon: +49 (0)89 2108 - 1276
Telefax: +49 (0)89 2108 - 1207
E-Mail: [email protected]
Internet: www.mpg.de
Pressesprecher:
Dr. Bernd Wirsing (-1276)
Chef vom Dienst:
Dr. Andreas Trepte (-1238)
Online-Redaktion:
Michael Frewin (-1273)
ISSN 0170-4656
2
Abb. 1: Kieselalgen. Einige einzellige Kieselalgen vermehren sich im Frühjahr sehr gut im freien Ozean,
ohne dass potenzielle Fraßfeinde gegenwärtig sind. Grund dafür ist ihre effiziente indirekte
chemische Verteidigung, bei der zum Beispiel Zellen der hier abgebildeten Art Thalassiosira
reaktive Stoffe freisetzen und die Vermehrung ihrer Fraßfeinde behindern.
Bild: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie/ Wichard
Ein internationales Forscherteam um Adrianna Ianora von der Zoologischen Station "Anton Dohrn" in
Neapel hat sich zum Ziel gesetzt, dieser überraschenden Resistenz der Algen gegen Fraßfeinde auf den
Grund zu gehen. In Laborversuchen fütterten sie die Krebse mit Kieselalgen und verfolgten dann ihre
weitere Entwicklung und ihren Erfolg in der Fortpflanzung. Zu ihrer Überraschung stellte sich heraus,
dass sich Ruderfußkrebse dank der Kieselalgen-haltigen Nahrung zwar gut entwickeln, dass aber die
Fitness ihres Nachwuchses offenbar stark von der Nahrung der Mutter abhängig ist. Frisst die
Krebsmutter vor der Eiablage Kieselalgen-reiche Nahrung, so zeigt der heranreifende Nachwuchs starke
Deformationen und kann sich oft nicht einmal bis zur vollen Geschlechtsreife entwickeln.
Einzellige Algen sind also in der Lage, im offenen Ozean chemische Substanzen zu produzieren, die
keimschädigend auf ihre Fraßfeinde, die Ruderfußkrebse, wirken. Die deutsche Wissenschaftlergruppe
um Georg Pohnert vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie fand jetzt heraus, dass die Algen
diese schädlichen oder sogar giftigen Stoffe keineswegs permanent produzieren. Vielmehr wird diese
Abwehr erst während des Fraßvorgangs durch Verletzungen angekurbelt.
Dass die dabei freigesetzten Stoffe tatsächlich zu einer Keimschädigung führen, haben wiederum
Versuche gezeigt, die von den italienischen und französischen Wissenschaftlergruppen durchgeführt
wurden: Diese hatten eine gut als Futter geeignete Alge vor der Verfütterung an die Krebse mit den
chemischen Verbindungen (ungesättigten Aldehyden) aus Diatomeen imprägniert. Während der
Nachwuchs der Ruderfußkrebse mit unbehandelter Algennahrung gut heranwuchs und auch die volle
Reife erlangte, führte der Verzehr der selben Algen, allerdings imprägniert mit einer Substanz aus den
Diatomeen, zu den gleichen keimschädigenden Effekten wie bei den Kieselalgen selbst.
3
Abb. 2: Abb. 2: Bei Ruderfußkrebsen der Art Calanus entwickelt sich der Nachwuchs nicht immer wie
hier im Bild gezeigt ohne Störungen. Wenn die Mutter auf Kieselalgen-reiche Nahrung
aufnimmt, wachsen viele ihrer Nachkommen nur mit Missbildungen heran. Auslöser für die
Deformationen sind reaktive Aldehyde, die von der Kieselalge nach Bissverletzungen durch die
Fraßfeinde freigesetzt werden.
Bild: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie/ Wichard
Die Wechselspiele im scheinbar homogenen Lebensraum der offenen Meere sind also äußerst komplex.
Doch die neuen Forschungsergebnisse bringen einiges Licht ins Dunkle: Gerade im Frühjahr, wenn die
einzelligen Kieselalgen im Meer in Massen vorkommen, sind ihre potenziellen Fraßfeinde darauf
angewiesen, sich von diesen schädlichen Algen zu ernähren. Weil sie das tun, können sie aber - durch die
beschriebene Wirkung der chemischen Abwehrstoffe - nicht die optimale Zahl an Nachkommen
hervorbringen, die nach Verzehr einer guten Nahrung zu erwarten wären. Die Kieselalgen wiederum sind
auf diese Weise sehr gut vor ihren Fraßfeinden geschützt und können sich selbst gut vermehren. Und erst,
wenn die essenziellen Nährstoffe, die für diese Algen wichtig sind, in ihrem Lebensraum aufgebraucht
sind, kommen andere Algen ins Spiel, durch deren Verzehr sich die herbivoren Krebse sprunghaft
vermehren können.
Den Forschern ist es somit gelungen, die seit Jahrzehnten offene Frage, warum im Frühjahr einige Arten
4
von Kieselalgen massenhaft vorkommen und nicht von ihren Fraßfeinden "kontrolliert" werden,
beantworten: Diese Algen sind einfach in der Lage, bei Verletzungen chemische Cocktails zu
produzieren, die bei ihren Fraßfeinden zu einer Geburtenreduktion bzw. einer starken Beeinträchtigung
der Nachkommen führen. "Indem sich einige der Einzeller opfern, gelingt es ihnen den Rest ihrer
Population zu erhalten. Denn die Ruderfußkrebse können den vermeintlichen Nahrungsüberfluss nicht
nutzen, ohne ihre Nachkommenschaft zu schädigen", sagt Georg Pohnert, Forschungsgruppenleiter am
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena.
Beiträge der beteiligten Forschergruppen:
- Gruppe von A. Ianora (Zoologischen Station "Anton Dohrn" in Neapel, Italien): Konzeptuelle
Ausrichtung, Ökologie, Laborversuche und Teil der Feldmessungen;
- Gruppe von S. Poulet (Station Biologique de Roscoff, CNRS, Frankreich): Ökologie, Teil der
Feldmessungen;
- Gruppe von G. Pohnert (MPI Chemische Ökologie, Jena): Chemische Analytik, chemische Ökologie,
Enzymatik der Verteidigungsmetabolitproduktion von Kieselalgen;
- Victor Smetaceck (Alfred Wegener Institut, Bremerhaven): Konzeptionelle Arbeiten, Ökologische
Diskussion.
[AT]
Originalveröffentlichung:
Adrianna Ianora, Antonio Miralto, Serge A. Poulet, Ylenia Carotenuto, Isabella Buttino, Giovanna
Romano, Raffaella Casotti, Georg Pohnert, Thomas Wichard, Luca Colucci-D’Amato, Giuseppe
Terrazzano & Victor Smetacek
Aldehyde suppression of copepod recruitment in blooms of a ubiquitous planktonic diatom
Nature, 27 May 2004
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Priv. Doz. Dr. Georg Pohnert
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena
Tel.: 03641 57-1258
Fax: 03641 57-1256
E-Mail: [email protected]