So retteten wir Continental Airlines
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So retteten wir Continental Airlines
HARVARD BUSINESS MANAGER 2/99 Wenn das Unternehmen zusammenzubrechen droht, bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken. Und das ist gut so. So retteten wir Continental Airlines AUTOR GREG BRENNEMAN Als Greg Brenneman 1993 seine Arbeit bei Continental begann, stand es schlecht um die Fluggesellschaft: Hinter ihr lagen zwei Konkurse, das Unternehmen hatte in den vergangenen zehn Jahren zehn Chefs verschlissen und stand nun wieder vor dem Aus. Eine durchdachte Strategie gab es nicht, die Arbeitsmoral konnte kaum schlechter sein. Heute fliegt Continental an der Spitze. Die Gesellschaft macht satte Gewinne und belegt bei Vergleichen mit der Konkurrenz regelmäßig einen der besten fünf Plätze. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter ist hoch, die Fluktuation gering. Was ist geschehen? Der heutige President und Chief Operating Officer (COO) Greg Brenneman schildert hier, wie er gemeinsam mit seinem Team dem Unternehmen wieder zum Aufstieg verhalf. GREG BRENNEMAN ist President und COO von Continental Airlines in Houston, Texas. Meinen ersten Flug mit Continental von Dallas nach Houston werde ich niemals vergessen. Es war ein heißer, schwüler Tag im Mai 1993. Ich arbeitete damals als Partner der Unternehmensberatung Bain & Company in Dallas. Mein Spezialgebiet waren Firmen-Turnarounds, und an diesem Tag wollte ich die Beratungsdienste von Bain dem neuen Eigentümer von Continental Airlines anbieten, einem auf Übernahmen spezialisierten Unternehmen, das die Fluglinie gerade vor dem zweiten Konkurs innerhalb von neun Jahren bewahrt hatte.Obwohl ich ständig mit dem Flugzeug unterwegs war, hatte ich Continental bisher immer gemieden, denn die Gesellschaft war berüchtigt wegen ihres besonders schlechten Service. Die Texas-Niederlassung von Bain hatten wir 1990 bewußt in Dallas und nicht in Houston eröffnet, damit wir mit American Airlines statt mit Continental fliegen konnten. An jenem Tag im Mai wurde Continental seinem schlechten Ruf mehr als gerecht. Weil ich kein regelmäßiger Kunde war, bekam ich einen Platz in der letzten Reihe einer unattraktiven und schmutzigen DC9. Die Inneneinrichtung wies sieben verschiedene, nicht zueinander passende Farbmuster auf. Das war durchaus üblich, fand ich später heraus: Continental war aus dem Zusammenschluß von sieben Fluggesellschaften entstanden. Wenn ein Sitz ausgetauscht werden mußte, wurde irgendeiner aus dem Lager genommen. Schlimmer war die Tatsache, daß niemand die Klimaanlage eingeschaltet hatte. Der Abflugtermin kam und verstrich, und noch weitere 40 Minuten stiegen Passagiere zu. Ich fand das bemerkenswert, schließlich sollte der Flug nur 36 Minuten dauern. Es gab keinen Hinweis auf den Grund der Verspätung, kein Mitglied der Besatzung schien sich darüber Gedanken zu machen. Schließlich schaltete der Kapitän das Hilfstriebwerk ein – wahrscheinlich, um einen Aufstand der Passagiere zu verhindern. Das kühlte zwar den Innenraum ab, gleichzeitig bildete sich aber an der Decke Kondenswasser. Als wir schließlich mit 50minütiger Verspätung starteten, floß das angesammelte Wasser durch die Handgepäckfächer nach hinten und ergoß sich wie ein Wasserfall über dem mittleren Sitz in der letzten Reihe in den Passagierraum – direkt auf meinen Kopf. Mein bester Anzug und ich wurden völlig durchnäßt. Um die Geschichte abzukürzen: Bain bekam den Auftrag. Ich wußte nicht, ob ich das mit meinen Kollegen feiern oder betrauern sollte. Meine erste Aufgabe bestand darin, Continental bei der Senkung der Instandhaltungskosten zu helfen und die zuverlässige Abfertigung der Maschinen zu verbessern. Mit anderen Worten: Ich sollte einen Weg finden, daß die Maschinen tatsächlich flogen, wenn sie gebraucht wurden. Es kam zu drastischen Veränderungen. Innerhalb eines Jahres senkten wir den Jahresetat für Instandhaltung von 777 auf 495 Millionen Dollar, und Continental kam vom schlechtesten auf den ersten Platz in der Branche bei der zuverlässigen Abfertigung. Trotzdem sackte das Unternehmen weiter ab. Bis zum Herbst 1994 hatte Continental einen großen Teil der 766 Millionen Dollar liquiden Mittel ausgegeben, die 1993 bei der Rettung vor dem Bankrott noch verblieben waren. In den mehr als sechs Jahren, in denen ich bei Bain mit Turnarounds zu tun hatte, war ich noch keiner derart schlecht funktionierenden Firma begegnet. Eine Strategie gab es praktisch nicht. Die Manager waren gelähmt vor Angst. Continental hatte in zehn Jahren ebenso viele Unternehmenschefs verschlissen, und das übliche Verhalten bestand darin, untätig herumzusitzen und auf das neue Management zu warten. Das Produkt, das Continental anbot, war einfach furchtbar. Und die Betriebsergebnisse spiegelten das wider. Unter den zehn größten USFluggesellschaften belegte Continental den letzten Platz in fast allen zentralen Kundendienstbereichen, die vom Verkehrsministerium gemessen wurden: Pünktlichkeit der Ankunft, Gepäckabfertigung, Zahl der Kundenbeschwerden und Überbuchungen. Und seit dem Bankrott 1978 hatte Continental keinen Gewinn mehr erwirtschaftet. Doch trotz dieser Schwierigkeiten stoppte Continental den Sturzflug nicht nur kurz vor dem Aufschlag , sondern gewann auch wieder an Höhe (siehe Abbildung). Wie konnte das gelingen? In der Rückschau sehe ich fünf Handlungsmaximen, die unser Handeln bestimmten. Wahrscheinlich wird Sie keine davon vom Stuhl hauen. Wenn ich mit anderen Menschen über unsere TurnaroundErfahrungen spreche, sagen sie oft: „Na ja, Greg, das klingt nicht gerade schwierig. Vielleicht war die Lage etwas riskant, aber das Ganze hört sich nicht nach Gehirnchirurgie an.“ Die Leute haben recht: Continentals Rettung hatte nichts mit Gehirnchirurgie zu tun, ebensowenig wie die meisten Wiederbelebungsversuche an todkranken Unternehmen. Im Falle von Continental mußten wir nur Orte anfliegen, zu denen Menschen hin wollten zu einem Zeitpunkt, den unsere Kunden wünschten. Wir mußten dazu saubere, ansprechende Flugzeuge einsetzen, Gäste mit ihrem Gepäck pünktlich transportieren und zu den Essenszeiten etwas servieren. Die wirkliche Schwierigkeit lag – wie bei den meisten Turnarounds – darin, alles schnell, ohne Verzögerung und auf einmal zu erledigen. Tatsache ist, daß Sie während eines Turnarounds nicht lange nachdenken können. Zeit ist knapp, Geld noch knapper. Wer herumsitzt, über elegante und komplizierte Strategien nachsinnt und sie fehlerfrei umsetzen will, ist verloren. Wir haben Continental gerettet, weil wir handelten und niemals zurückblickten. Wir haben dem Patienten nicht gesagt: „Warten Sie bitte ab, bis wir jede Menge Tests gemacht haben. Dann führen wir vielleicht eine sehr heikle ZwölfStunden-Operation durch.“ Wir haben einfach das Skalpell genommen und losgelegt. Der Patient bekam keine Betäubung und litt höllische Schmerzen. Aber immerhin wurde er wieder gesund. Noch ein Hinweis: Wenn ich wir sage, schließt das im weitesten Sinne alle 40 000 Mitarbeiter von Continental ein. Die Fluggesellschaft wäre nicht gerettet worden, hätte nicht jeder von ihnen am gleichen Strang gezogen. Im engeren Sinne bezieht sich wir auf Gordon Bethune und mich. Gordon und ich lernten uns im Februar 1994 kennen. Ich arbeitete noch bei Bain an meinem ersten Auftrag von Continental. Gordon hatte gerade seine ziemlich geruhsame Stelle bei Boeing aufgegeben, um President und COO bei Continental zu werden. Ich war ein frustrierter Berater, der sich über das schleichende Tempo ärgerte, in dem sich die meisten Unternehmen veränderten. In Gordon fand ich eine außergewöhnliche Führungspersönlichkeit, die das Luftverkehrsgeschäft in- und auswendig kannte und seine Leute mit großem Engagement leitete. Wir kamen von Anfang an glänzend miteinander aus. Das war gut so, denn wir steckten gemeinsam in Schwierigkeiten, und die waren größer, als wir am Anfang glaubten. Wir konnten zwar einige Dinge verbessern, etwa das schrecklich langsame Reservierungssystem und die unbefriedigende Reaktion auf Kundenwünsche. Aber das war, als wolle man die untergehende Titanic mit einer Kaffeekanne leerschöpfen. Continental verlor in einem erstaunlichen Tempo jede Menge Geld, wir steuerten direkt auf den dritten Bankrott zu. Im Oktober 1994 trat Continentals CEO zurück. Die Leitung des Unternehmens lag somit in den Händen von Gordon, und er war es, der mich um Hilfe bat. Gordon zog in das Büro des CEO, ich nahm sein altes Zimmer. Wir hatten eine Woche Zeit, einen Plan für den Turnaround zu entwickeln und das Board davon zu überzeugen, Gordon zum neuen CEO zu ernennen. In der Woche trafen Gordon und ich uns mehrfach zum Essen in seinem Haus (wir nannten das unsere „Abendmahle“). Wir wußten, daß alles darauf hinauslief, Continental entweder völlig neu zu erfinden oder aber den Konkurs und die Liquidation hinzunehmen. Bei ein paar Flaschen Wein schrieben wir auf, was bei Continental alles im argen lag. Das ergab eine sehr lange Liste. Unsere Lösungsvorschläge faßten wir in einer Strategie zusammen, die wir den Go Forward Plan nannten. Der Name sollte deutlich machen, daß die Vergangenheit uns nicht helfen konnte. Wußten Sie, daß Flugzeuge keine Rückspiegel haben? Die Startbahn hinter der Maschine ist unwichtig. Unser Go Forward Plan hatte vier Eckpfeiler. Fly to Win bezog sich auf den Absatz: So sollten unsere Knotenpunkte in Houston, Newark und Cleveland ausgebaut und unser Kundenkreis von Rucksacktouristen auf zahlungskräftige Anzugträger erweitert werden. Fund the Future war der Finanzierungsplan: Wir wollten Liquidität gewinnen, indem wir unsere Bilanz restrukturierten und strategisch unwichtige Bereiche verkauften. Make Reliability a Reality (Zuverlässigkeit verwirklichen) beschrieb Veränderungen des Produkts: Es ging darum, das Kundenerlebnis mit Continental umzugestalten. Und Working Together behandelte die Frage, wie unsere Kultur mehr auf Freude an der Arbeit und Aktivität hin ausgerichtet und wie das Vertrauen der Mitarbeiter wieder aufgebaut werden konnte. Damals wie heute glaube ich, daß jedes Unternehmen – nicht nur in Krisenzeiten – eine Strategie besitzen muß, die diese vier Bereiche abdeckt. Gordon und ich waren nicht völlig davon überzeugt, daß Continental gerettet werden konnte – nicht einmal mit unserem Plan. Aber wir mußten es versuchen, immerhin ging es um 40 000 Arbeitsplätze. Eine ziemlich furchteinflößende Vorstellung. Ich sagte mir, daß dieser einer der Momente war, an dem man entweder Flagge zeigt oder sich feige verdrückt. In den zurückliegenden sechs Jahren hatte ich meinen Kunden Ratschläge gegeben, die sie mal annahmen und mal ignorierten. Diesmal wollte ich wirklich etwas bewegen. Das bedeutete harte Arbeit, doch das schreckte mich nicht. Ich stamme aus einem kleinen Farmerdorf in Kansas, in dem harte Arbeit zum Leben gehört. Am wichtigsten war, daß die Aufgabe bei aller Arbeit viel Spaß versprach. Strapaziös würde sie zweifellos sein, sicher auch schmerzhaft und – falls wir scheiterten – peinlich. Aber Spaß würden wir haben. Es ist aufregend, Leute zu etwas zu bewegen, das allen unmöglich erscheint. Als wir dem Board unsere Pläne vorstellten, behaupteten wir, das Unternehmen könne 40 Millionen Dollar 1995 verdienen. Die meisten unserer Zuhörer glaubten, wir stünden unter Drogen. Aber wer sonst bot sich zur Rettung von Continental an? Also genehmigte das Board unseren Plan, und los ging’s. Zu der Zeit war ich immer noch kein Angestellter bei Continental. Sowohl David Bonderman von Air Partners (dem neuen Eigentümer) als auch Gordon drängten mich, ins Unternehmen einzutreten. Sie sagten mir, daß ich der einzige 33jährige sein könnte, der ein Sechs-MilliardenDollar-Unternehmen leiten könnte. Und ich gab zur Antwort, das sei das schlechteste Sechs-Milliarden-DollarUnternehmen der Welt. Trotz meiner Vorbehalte unterschrieb ich den Vertrag. Ich glaubte wirklich daran, daß die Männer und Frauen von Continental die Fluggesellschaft wieder groß machen konnten. Wir mußten uns nur an die Arbeit machen. Flugplan festlegen und Fortschritte verfolgen Die Grundlage jedes erfolgreich geführten Unternehmens ist eine für jeden verständliche Strategie, verbunden mit einigen wenigen Meßgrößen, die regelmäßig verfolgt werden. Nun ist eine strategische Richtung immer wichtig, aber ich möchte betonen, daß es auf sie besonders während eines Tournarounds ankommt. In Krisensituationen haben Manager in der Regel nur begrenzt Zeit und wenig finanzielle Mittel. Wer dieses Geld sehr schnell ausgeben muß, sollte eine klare Vorstellung davon haben, wo sich der Hebel wirkungsvoll ansetzen läßt. Leistungsdruck und Angst lassen Manager oft zufällige, widersprüchliche oder irrationale Entscheidungen treffen. Unternehmen wechseln von einer „Strategie“ zur anderen, um etwa Lohnkosten zu senken oder einen bestimmten Kunden zu halten. Auch bei Continental war das der Fall. Als wir begannen, konnte nicht einmal das obere Management sagen, worin die Strategie bestand. Es hatte so viele gegeben, daß keiner mehr den Überblick besaß. Wir wollten diesem ziellosen Hin und Her ein Ende setzen und stellten unseren Mitarbeitern deshalb den Go Forward Plan vor (siehe Abbildung Seite 14). Wir zeigten bei der Präsentation des Plans große Begeisterung, denn wir wußten, daß wir es allein nicht schaffen konnten und jeden Mitarbeiter auf das gleiche Ziel einschwören mußten. Gleichzeitig wählten wir etwa 15 zentrale Leistungsgrößen aus, die wir ständig verfolgten und mit denen der Konkurrenz verglichen – allesamt Zahlen, die vom Verkehrsministerium bestätigt werden konnten. Die Leistungsgrößen mußten auf unseren Plan abgestimmt sein. Unser Abschneiden am Markt beobachteten wir anhand der monatlichen Auslastung unserer Flugzeuge, der Erlöse, den jeder Sitzplatz pro Flugmeile einbrachte, der vierteljährlichen Kosten und der Umsatzrendite. Zur Einschätzung unseres Produkts errechneten wir monatlich die Pünktlichkeit der Flüge, die Menge fehlgeleiteter oder beschädigter Gepäckstücke, die Zahl der Kundenbeschwerden und der wegen Überbuchung abgewiesenen Fluggäste. Die Fortschritte unseres People Plan verfolgten wir anhand der Personalfluktuation, der krankheitsbedingten Fehlzeiten und Arbeitsunfälle. Am wichtigsten war aber wohl, die finanzielle Entwicklung zu verfolgen. Wir kündigten an, daß wir uns dabei ganz auf die liquiden Mittel konzentrieren würden. Lassen Sie mich das näher erklären: Im November 1994 entdeckte ich, daß wir aller Voraussicht nach Mitte Januar 1995 zahlungsunfähig sein würden – und kein Mensch wußte davon. Ich rief sofort Gordon an: „Schlechte Nachrichten“, sagte ich, „wenn wir keine neuen Zahlungsziele für unsere Verbindlichkeiten bekommen, können wir ab Mitte Januar keine Löhne mehr zahlen.“ In Anbetracht unserer wild klopfenden Herzen führten wir eine bemerkenswert ruhige Unterhaltung. Entweder stellten wir den Konkursantrag, oder wir überzeugten unsere Gläubiger von unserem Go Forward Plan und machten uns an die Umschuldung – ganz leise, denn wenn die Presse davon Wind bekäme, würden die Titelzeilen der Zeitungen noch mehr Kunden verjagen. Zwei Tage später fand ich mich in einem Raum mit unseren wichtigsten Gläubigern wieder. Ich schilderte ihnen die Situation, was wir dagegen tun wollten und welche Hilfe wir von ihnen brauchten. Sie schimpften und tobten. Als nach einiger Zeit deutlich wurde, daß wir zu keinem Ergebnis kamen, stand ich auf und ging zum Ausgang. „Wo wollen Sie hin?“ riefen sie. „Ich fahre nach Hause und setze mich vor den Fernseher.“ „Wie können Sie die ganzen Probleme bei uns abladen und dann einfach abhauen?“ „Kennen Sie den ersten Schritt zur Lösung eines Problems?“ fragte ich zurück. Einen Moment lang war Schweigen. Dann fuhr ich fort: „Der erste Schritt liegt darin, sich zu fragen, wer das Problem eigentlich hat. Soweit ich sehe, ist dieses Unternehmen alles in allem 175 Millionen Dollar wert. Ihre Forderungen belaufen sich auf 3,5 Milliarden. Also leiten Sie das Unternehmen besser selbst.“ Dann ging ich. Ich weiß nicht, warum ich das sagte. Vielleicht lag es an meinem 20-Stunden-Tag. Vielleicht lag es auch daran, daß einer meiner Klienten sich einmal erfolgreich so verhalten hatte. Oder ich war es einfach leid, daß jeder ein Problem, aber keiner eine Lösung wußte. Jedenfalls kamen die Gläubiger nach einigen Minuten in mein Büro und baten mich zurückzukommen. In den folgenden Wochen arbeiteten wir gemeinsam mit einigen tüchtigen Finanzexperten einen Umschuldungsplan aus und konnten dank einer 29-Millionen-Dollar-Überweisung, die Gordon locker gemacht hatte, am 17. Januar die Löhne und Gehälter zahlen. Nachdem wir diese Krise überstanden hatten, war uns klar, daß wir die Liquidität niemals wieder aus den Augen verlieren durften. Reinen Tisch machen Ich habe noch kein Team von Managern gesehen, das ein Unternehmen in die Krise gesteuert und an-schließend selbst wieder herausgeführt hat. Es mag schon vorgekommen sein – aber sicher nicht oft. Meistens stecken die Manager in einem Wirrwarr allzu komplizierter Lösungsmöglichkeiten und finden nicht mehr heraus. „Wenn die Lösung einfach wäre, hätten wir sie schon längst entdeckt“, sagen sie sich. Dazu kommt noch, daß sie für ihre früheren Fehler ungern Verantwortung übernehmen und nicht bereit sind, schlechte Entscheidungen rückgängig zu machen. Das ist eine Frage des Ego. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Keiner vertraut ihnen mehr. Sie haben die Lage verursacht – warum sollten ausgerechnet sie den Ausweg finden? Dies waren die wichtigsten Gründe, warum wir uns dazu entschieden, reinen Tisch zu machen. Aber es gab noch andere. Menschen wollen in Zeiten der Krise geführt und nicht verwaltet werden. Continentals bisherige Führungsriege war dieser Herausforderung nicht gewachsen. Die Manager waren vor allem damit beschäftigt, sich untereinander zu bekämpfen. Schließlich war bei Continental in den 15 Jahren nur der aufgestiegen, der seinen jeweiligen Vorgänger ausgeschaltet hatte. Gordon und ich mußten darum geschlossen auftreten. Wer sich zwischen uns stellte, flog raus. Ich werde mich immer an unsere erste Konferenz mit den Führungskräften von Continental erinnern. Gordon begann mit den Worten: „Greg wird Ihnen jetzt unseren Plan erklären. Hören Sie bitte gut zu. Wenn er Ihnen Anweisungen gibt, führen Sie diese genauso aus, als wären sie von mir gekommen.” In den nächsten beiden Monaten ersetzten wir 50 unserer 61 oberen Führungskräfte durch 20 neue. Bei den Neueinstellungen galten drei Kriterien. Alle Kandidaten mußten einen Intelligenztest machen – nichts kann smarte Leute ersetzen. Zweitens mußten sie engagiert ihre Aufgaben zu Ende führen. Und drittens mußten sie Teamplayer sein, die andere in einem extrem kooperativen Umfeld mit Würde und Respekt behandeln. Zum Stichwort Würde und Respekt: Reinen Tisch machen muß keine brutale oder demütigende Erfahrung sein. Jeder Turnaround bringt eine neue Kultur mit sich. Wer Menschen auf eine inhumane Weise feuert, behält Mitarbeiter, die weder ihrer Firma noch ihren Kollegen trauen. Wir wollten aber, daß die Menschen gern bei Continental arbeiteten. Wir konnten es uns beim Aufbau des neuen Unternehmens nicht leisten, daß Mitarbeiter ihre Ideen zurückhielten oder den Enthusiasmus untergruben. Wenn wir Mitarbeiter entließen, taten wir alles, um fair zu sein. Wir zahlten großzügige Abfindungen und ließen sie in Würde gehen. Wir werden oft gefragt, wie wir in so kurzer Zeit neue Leute finden konnten, besonders da es so aussah, als befände sich unser Unternehmen im freien Fall. Die Antwort: Wir engagierten Leute, die wir schon kannten und von denen viele unsere Freunde waren. Das sparte Zeit und verringerte die Zahl der Fehlentscheidungen. Außerdem gaben wir vielen neuen Mitarbeitern die Chance, bei uns in einer höheren Stellung einzusteigen – ihnen sicherten wir in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich die volle Autonomie zu. Und wir taten so, als stünde Continental schon als Gewinner da. Als unsere Aktie bei rund sieben Dollar stand, behauptete ich vor den Leuten, die wir einstellen wollten, wir würden den Kurs auf 80 Dollar oder mehr bringen – und bot gleichzeitig Aktienoptionen an. Die meisten hielten uns für verrückt. Aber später sagte mir einer von ihnen: „Ich dachte mir, wenn Sie auch nur die Hälfte davon schaffen, würde ich zum reichen Mann.“ (Der Turnaround machte tatsächlich viele zu Millionären.) An Einnahmen denken, nicht an Ausgaben Bei jedem Turnaround geht es um Kostensenkung, Continental war keine Ausnahme. Doch die meisten angeschlagenen Unternehmen konzentrieren sich zu sehr auf die Ausgaben. Sie stellen sich keine einfachen Fragen wie: Haben wir ein Produkt, das Menschen kaufen wollen? Kann unser Vertrieb dieses Produkt an den Mann bringen? Kümmern wir uns um unsere besten Kunden? Kurz gesagt: Sie denken zuwenig an die Einnahmen. Wenn das Geld in breiten Strömen aus dem Unternehmen abfließt, kann man sich kaum auf etwas anderes konzentrieren als aufs schnelle Abklemmen. Aber Continental hatte die Kosten auf eine Weise gesenkt, die dem Produkt schadeten. Zum Beispiel bekamen Piloten Anfang der 90er Jahre einen Bonus gezahlt, wenn sie den Treibstoffverbrauch der Flugzeuge unter ein bestimmtes Maß drückten. Diese Maßnahme sorgte tatsächlich für niedrigere Benzinkosten, aber sie verleitete viele Piloten dazu, die Klimaanlagen herunterzuschalten. Viele drosselten auch das Flugtempo und bereiteten nicht nur den Kunden Ärger, sondern auch den Angestellten, die wegen der verspäteten Ankunft Überstunden machen mußten. Und Continental mußte mehr Geld für die Umleitung von Reisenden ausgeben, die ihre Anschlußflüge verpaßten. Das schlimmste Beispiel für Continentals Kostensenkungsansatz war vermutlich das Programm CALite. Es sah vor, in manchen Flugzeugen die Sitze der Ersten Klasse auszubauen, auf das Servieren von Mahlzeiten zu verzichten sowie Rabatte für Firmen und Handelsspannen für Reisebüros abzuschaffen. Das vergraulte einige sehr wichtige Kunden. Alles in allem war Continental nach 15 Jahren Kostensenkung in einem Teufelskreis gefangen. Die Fluggesellschaft hatte ein Produkt geschaffen, das keiner mehr kaufen wollte. Viele Kunden, besonders Geschäftsreisende, wählten andere Fluglinien und sorgten bei Continental für Verluste. Das wiederum machte es unmöglich, Kredite zu vernünftigen Zinsen zu bekommen. Es war also teuer, das Unternehmen flüssig zu halten. Um diese Ausgaben auszugleichen, wurden wiederum die Kosten gesenkt. Weil die Preise für Benzin und Flugzeuge nicht zu beeinflussen und Kostensenkungen etwa bei den Mahlzeiten nicht mehr möglich waren, blieb als einzige Möglichkeit die Lohnsenkung. Das verärgerte die Mitarbeiter und sorgte für noch schlechteren Service. Das Ergebnis: Noch mehr Kunden wanderten ab, die Erlöse sanken weiter, weitere Kostensenkungen wurden notwendig. Sie denken vielleicht, der erste Schritt zum Durchbrechen des Teufelskreises sei die Verbesserung des Produkts. Aber das ist erst der zweite Schritt. Zunächst müssen Sie erst einmal all die Kunden um Verzeihung bitten, die Sie schlecht behandelt haben. Natürlich können Sie diesen Schritt auslassen, aber das bringt Sie um deren Wohlwollen. Fehler zuzugeben ist gut für die Seele – und oft auch fürs Geschäft. Unsere Entschuldigungskampagne bestand aus mehreren Teilen. Zuerst verteilten wir die Beschwerdebriefe der Kunden unter den Führungskräften – bis hin zu den Vice Presidents – und setzten uns ans Telephon. Wir wollten uns nicht nur entschuldigen, sondern erklären, was wir zur Rettung des Unternehmens vorhatten. Auch Gordon und ich nahmen uns einen Packen Briefe. Es war eine demütigende Erfahrung. Oft dauerten die Telephonate eine halbe Stunde oder länger. Unsere Gesprächspartner waren außerordentlich enttäuscht und ließen uns deutlich spüren, wie schlecht behandelt sie sich fühlten. Am Ende des Gespräches erkannten sie aber meist an, daß sich ein leitender Angestellter des Unternehmens für sie Zeit genommen hatte. Als das erledigt war, teilten wir jedem leitenden Angestellten eine Stadt zu und wiesen ihn an, sich dort bei den Reiseagenturen und Geschäftskunden zu entschuldigen. Wir halbierten auch unser Werbebudget. Es wirkt anstößig und beleidigend, für ein Produkt zu werben, von dem jeder weiß, daß es lausig ist. Ich wollte nichts versprechen, das wir nicht halten konnten. Weniger Werbung bedeutete weniger Lügen – und das war auch eine Form der Entschuldigung. Dem Kunden auf Sitz 9C die richtige Frage stellen Die Entscheidung, sich stärker auf Kundenbedürfnisse als auf Kosten zu konzentrieren, ist der leichtere Teil. Der schwere besteht darin, das Kundenerlebnis so zu verbessern, daß die Einnahmen schneller steigen als die Ausgaben. Jeder BWL-Student im ersten Semester kann Ihnen sagen, daß Sie auf ihre besten, lukrativsten Kunden hören müssen, wenn Sie Geld verdienen wollen. In unserem Fall waren das die Fluggäste auf Sitz 9C – die Geschäftsreisenden, die die Plätze vorn im Flugzeug buchen. Sie bezahlen den vollen Preis und sind oft unterwegs. Aber uns war klar, daß wir nicht auf alles hören durften, was die Reisenden zu sagen hatten. Wenn Sie Kunden nach ihren Wünschen fragen, bekommen Sie eine 100 Seiten lange Abhandlung. Wenn Sie aber danach fragen, wofür die Kunden extra zahlen würden, wird das Ergebnis eine einzige Seite sein. Darum ging es uns, und das erweist sich als gute Regel bei jedem Turnaround. Aus unseren eigenen Erfahrungen als Geschäftsreisende wußten wir, wofür der Gast auf Platz 9C bezahlen wollte: für sichere, komfortable, ansprechende Flugzeuge und Terminals, pünktliche Flüge, zuverlässige Gepäckabfertigung, gute Verpflegung. Abgesehen von der Sicherheit, die seit jeher eine Stärke von Continental darstellte, schnitten wir in allen Punkten miserabel ab. Also machten wir uns mit Hochdruck an die Arbeit. Die Instandhaltung wurde angewiesen, alle Flugzeuge außen gleich anzustreichen und die Inneneinrichtung einheitlich zu gestalten. Wir bestellten neue Teppichböden für die Terminals und begannen die Kampagne „Schickt den Fleischkloß in Rente“ – das sollte heißen: Ersetzt das häßliche rote, runde Logo der Fluggesellschaft durch eine blaue Erdkugel mit goldener Schrift. Das alles sollte in sechs Monaten erledigt sein. Die Wartungsabteilung war alles andere als erfreut. „Greg“, sagte man mir, „Sie haben gerade gezeigt, daß Sie nichts vom Fluggeschäft verstehen. Dieses Projekt wird vier Jahre dauern.“ Meine Antwort: „Wenn Ihr das nicht hinbekommt, suchen wir uns jemand anderen.“ Und siehe da: Ein halbes Jahr später war alles geschafft. 1:0 für die Überzeugungskraft. Unsere Kunden liebten den neuen Anblick. Wie sollte es nach den bisherigen Erfahrungen mit der Fluglinie auch anders sein. Im März 1995 flog ich mit einer 737-100, dem mit 27 Jahren ältesten Flugzeug unserer Flotte. Mein Sitznachbar sah mich an und sagte: „Ist es nicht großartig, daß Continental all diese neuen Flugzeuge angeschafft hat?“ Ich lächelte nur. Eine noch größere Wirkung hatte das neue Image auf unsere eigenen Mitarbeiter. Sie sahen, daß die Unternehmensleitung endlich die Aufgaben anpackte, die seit Jahren notwendig waren. Sie konnten in Flughäfen und Flugzeugen arbeiten, die neu und sauber wirkten. Einer unserer Kapitäne rief mich an und sagte: „Greg, ich wußte in dem Moment, daß wir wieder eine gute Fluggesellschaft werden, als alle unsere Flugzeuge die gleiche Farbe hatten.“ Um die Pünktlichkeit zu verbessern, mußten wir zwei Gruppen an einen Tisch bringen: die Leute, die den Flugplan ausarbeiteten, und die, die für den täglichen Betrieb zuständig waren. Bisher hatte die Betriebsabteilung erst einige Tage vorab von den Flugplänen erfahren, die „vertraulich“ waren. So konnte die Betriebsabteilung die Pläne beim besten Willen nicht einhalten: Mechaniker, Ersatzteile und die Crews befanden sich oft am falschen Ort. Wir sorgten sehr schnell dafür, daß beide Abteilungen die Pläne rechtzeitig abzeichnen mußten. Jetzt wußte jeder, woran er war. Nachdem Continental einen Flugplan besaß, der sich einhalten ließ, machten wir unseren Beschäftigten ein Angebot: Für jeden Monat, in dem Continental unter den zehn pünktlichsten Airlines rangierte, sollte jeder 65 Dollar bekommen. Innerhalb weniger Monate standen wir regelmäßig auf Platz eins. Dieses Angebot mag angesichts des drohenden Bankrotts ziemlich gewagt erscheinen. Doch in Wahrheit finanzierte es sich selbst. Als wir das Angebot machten, zahlten wir pro Monat sechs Millionen Dollar, um Kunden wegen verpaßter Anschlüsse auf die Flüge der Konkurrenz umzuleiten. Dank der verbesserten Pünktlichkeit sanken diese Kosten auf 750 000 Dollar – und die Bonuszahlungen beliefen sich auf nur drei Millionen pro Monat. Wir widmeten uns auch der idiotischen Essensregelungen. Ich weiß nicht, wie Sie denken. Aber in meinen Augen unterscheidet sich ein zweistündiger Flug von 7 bis 9 Uhr für jemanden, der um 5 Uhr aufgestanden ist und noch kein Frühstück hatte, sehr von einem Flug zwischen 14 und 16 Uhr, also nach dem Mittag- und vor dem Abendessen. Kunden sagten uns, daß sie für ein Frühstück um 7 Uhr gern mehr bezahlen wollten. Eine Mahlzeit um 14 Uhr wäre ihnen zwar willkommen, aber nur, wenn sie nichts extra koste. Wir machten die Mahlzeiten nicht nur von der Tageszeit, der Flugdauer und -klasse abhängig, sondern verbesserten auch deren Qualität. Vorbei die Zeiten, in denen Continental Fleisch, Kartoffeln und Gemüse in einem einzigen Topf erhitzte, bis alles gleich schmeckte. Heute suchen Gordon und ich das Essen selbst aus und prüfen es alle drei Monate. Sie finden bei uns frische Pasta, Suppe und Sandwiches, frisch gebackene Zimtbrötchen in der First Class, Sandwiches und Süßigkeiten in der Economy Class. Jeder soll Markenprodukte mit Gourmetkaffee und Bier aus kleinen Brauereien serviert bekommen. Wir wollen kein VierSterne-Restaurant sein – aber eine Fluggesellschaft, die ihren Kunden das bietet, wofür sie gern Geld ausgeben. Und das ist alles, worum es geht – dem Fluggast auf Platz 9C die richtige Frage zu stellen. Bei einem Turnaround, wie bei jedem Geschäft, können Sie sich nicht leisten, etwas anderes zu fragen. Die Betriebsangehörigen mitreden lassen Ich werde Ihnen hier nicht erzählen, daß alle Beschäftigten bei Continental „ermächtigt“ wurden. Wir fliegen schließlich Flugzeuge. Wenn es um das Leben der Passagiere geht, stehen bestimmte Regeln und Prozeduren nicht jeden Tag zur Diskussion. Wenn Ihre Fluggesellschaft sich in einer lebensgefährlichen Situation befindet, lassen Sie Ihre Mitarbeiter nicht selbst die Strategie aussuchen. Das würde zu lange dauern und ist nicht der richtige Weg, wenn ohne starke Führung nichts mehr geht. Aber innerhalb der Grenzen von Sicherheit und unserem Go Forward Plan gaben wir unseren Mitarbeitern mehr Freiheiten – damit sie sich gegenüber Kunden richtig verhalten und Spaß an der Arbeit haben konnten. Nun heißt Spaß an der Arbeit nicht, daß die Leute auf der Startbahn tanzen. Ich glaube, das Wort Spaß schreckt viele Manager sogar ab. In ihren Ohren klingt es wie sinkende Produktivität und magere Profite. Aber meiner Ansicht nach haben Leute dann Spaß, wenn sie sich engagieren und ihre Meinungen respektiert werden. Menschen sind glücklich, wenn sie das Gefühl haben, daß man auf sie zählt. In meiner Anfangszeit bot Continental keinen guten Arbeitsplatz. Jahrelang hatten sich verschiedene Mitarbeitergruppen gegenseitig ausgespielt. Die Kommunikation des Managements folgte der Regel, Informationen nur im äußersten Notfall preiszugeben. Die meisten Beschäftigten erfuhren von Aktivitäten, Plänen und dem Abschneiden der Firma erst aus der Presse. Soviel zum Umgang mit Menschen, auf die es angeblich ankommt. Erschwerend kam hinzu, daß Mitarbeiter keinen Ansprechpartner für ihre Ideen und Fragen hatten. Es gab Vordrucke für Verbesserungsvorschläge, aber die verschwanden in einem schwarzen Loch. Und die Unternehmenszentrale war gesichert wie Fort Knox: Die Sekretärin des Presidents hatte sogar einen Knopf unter dem Tisch, mit dem sie rasch die Polizei alarmieren konnte. Ich brauche nicht extra zu betonen, daß die Arbeitsmoral fürchterlich war. Zwei Wochen nach meiner Ankunft besuchte ich in Houston eine Flugzeugrampe, um unseren Mechanikern und Gepäckarbeitern Guten Tag zu sagen und etwas mitzuhelfen. Da bemerkte ich, daß fast jeder das Continental-Abzeichen von seinem Hemd gerissen hatte. Als ich einen Mechaniker danach fragte, sagte er: „Ich möchte nicht, daß beim Einkaufen jeder sieht, daß ich bei Continental arbeite.“ Mir lief ein Schauer über den Rücken. Nun wurden schon Hunderte, wenn nicht Tausende Bücher der Frage gewidmet, wie man eine neue Kultur schafft. Aber Gordon und ich hielten uns mit Büchern nicht auf. Wir waren uns einig, daß eine gesunde Kultur von mehreren Faktoren bestimmt wird: Aufrichtigkeit, Vertrauen, Würde und Respekt. Alles gehört zusammen und verstärkt sich gegenseitig. Wenn diese Werte ein Unternehmen prägen, engagieren sich Menschen bei ihrer Arbeit. Sie nehmen Anteil, reden und lachen miteinander. Der Spaß kommt dann von ganz allein. Aber Aufrichtigkeit und die anderen Faktoren vermehren sich nicht so einfach wie die Saat in einem Kornfeld – und ganz bestimmt nicht nach einer langen Dürre. In einer Turn-around-Situation sind die Leute angespannt und argwöhnisch. Und das aus gutem Grund. Sie wurden angelogen, sie sahen zu, wie ihre Freunde gefeuert wurden, und sie fürchten, daß sie als nächste an der Reihe sind. Deshalb ist die Förderung von Aufrichtigkeit, Vertrauen, Würde und Respekt die Aufgabe der Führung – vielleicht sogar deren wichtigste. Bei Gordon und mir jedenfalls stand das ganz oben auf der Prioritätenliste. Deswegen sprachen wir von Anfang an bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit den Beschäftigten. Wir besuchten Flughäfen und Flugzeuge. Wir halfen bei der Gepäckverladung und standen neben den Mitarbeitern am Ticketschalter. Wir erklärten so oft wie möglich unsere Pläne. Unsere Kommunikationspolitik wechselte von „Möglichst nichts verraten“ zu „Jedem alles erzählen“. Wir erklärten unseren Mitarbeitern auch, wie sehr wir an sie glaubten. Jedesmal, wenn früher einer von ihnen einem Kunden gegenüber ein vermeintlich übertriebenes Entgegenkommen gezeigt hatte, veröffentlichten die Bankiers und Rechtsanwälte, die Continental damals führten, eine Regelung für derartige Fälle. Daraus war mit der Zeit das „Du-sollst-nicht-Buch“ geworden – ein ungefähr 20 Zentimeter dicker Wälzer, dessen Inhalt kein Mensch auswendig lernen konnte. Deshalb galt in Zweifelsfällen immer die Regel, den Kunden für sich selbst sorgen zu lassen. Im Frühjahr 1995 stellten wir auf einem Unternehmensparkplatz einen großen Behälter auf, warfen die Bücher hinein, schütteten Benzin darauf und zündeten es vor einem großen Publikum an. Unsere Botschaft: Continental ist das Unternehmen, das Ihr alle zu neuer Größe führen werdet. Fangt an – und zwar sofort. Weil es vor allem darauf ankommt, daß alle gemeinsam an einem Strang ziehen, verknüpften wir die Vergütungen mit den Unternehmenszielen. Der Pünktlichkeitsbonus, den ich schon erwähnt habe, verdeutlicht, daß unsere Beschäftigten profitieren, wenn es den Kunden gutgeht. Ebenso profitieren sie, wenn es unseren Investoren gutgeht. Die meisten Beschäftigten sind heute am Gewinn beteiligt. Sie bekommen 15 Prozent, das sind in den vergangenen zwei Jahren etwa sieben Prozent ihres Einkommens gewesen. Es macht Spaß, an jedem Valentinstag die Schecks zu verteilen. Wir unternahmen viel, um die Mitarbeiter in den Turnaround einzubeziehen. Und bei den damals eingeführten Bräuchen ist es bis heute geblieben: Auf Schwarzen Brettern informieren wir täglich über das Abschneiden des Unternehmens, an jedem Freitag zeichnet Gordon eine Ansprache zu den Entwicklungen der vergangenen Woche auf, jeden Monat halten Gordon und ich einen Tag der offenen Tür ab, an dem jeder Fragen stellen kann. Wir geben eine Zeitung und ein Magazin heraus und veröffentlichen regelmäßig Videos. Jeder höhere Manager ist für eine Stadt zuständig, die wir anfliegen. Er besucht sie einmal im Vierteljahr, um dort mit den Mitarbeitern zu sprechen und sich ihrer Probleme anzunehmen. Natürlich wären wir dumm, wenn wir nur Vorträge halten würden. Wir hören auch zu. Es gibt eine kostenlose Telephon-Hotline, die rund um die Uhr Vorschläge entgegennimmt. Die Piloten, Flugbegleiter, Mechaniker und Mitarbeiter am Schalter, die die Hotline betreuen, müssen jedem Vorschlag nachgehen und dem Anrufer innerhalb von 48 Stunden mitteilen, ob der Vorschlag verwirklicht oder verworfen wird. Braucht die Prüfung mehr Zeit, müssen sie einen festen Termin für die endgültige Antwort nennen. In den drei Jahren seit Bestehen der Hotline gingen allwöchentlich mehr als 200 Anrufe ein. Natürlich folgen wir nicht jedem Vorschlag – sondern vielleicht nur jedem zehnten –, aber wir nehmen jeden ernst. Ein paar Gepäckarbeiter kamen vor einiger Zeit zu mir und schlugen vor, die Koffer unserer besten Kunden mit einem Aufkleber zu kennzeichnen und als erste abzufertigen. Das klang großartig, aber ich war besorgt, ob wir vielleicht Erwartungen schürten, die sich an-schließend nicht erfüllen ließen. Sie erklärten mir, das Verfahren sei ganz einfach. Die Gepäckstücke mit den Aufklebern würden beim Ausladen in den vordersten Transportwagen geworfen und landeten damit als erste auf dem Laufband. Ich akzeptierte, und wir landeten einen Volltreffer: Das Angebot kostete uns nichts, aber schuf einen Wert für die Kunden. Heute praktizieren wir das an allen Flughäfen. Wir mußten natürlich auch in solchen Situationen eine offene Kommunikation pflegen, in denen die Botschaft hart war. Nehmen wir nur den Tag, an dem ich unseren Betrieb in Greensboro, North Carolina, schließen mußte. In der Vergangenheit war das folgendermaßen abgelaufen: Ein hochrangiger Manager verständigte den Leiter der örtlichen Niederlassung und verschanzte sich anschließend in der Unternehmenszentrale. Ich entschloß mich, selbst nach Greensboro zu fahren, dort die Entscheidung zu verkünden und dann die Prügel öffentlich einzustecken. Am Abend vorher erhielt ich eine Nachricht des Vorsitzenden der Pilotenvereinigung. Er wollte sich zum Frühstück mit mir treffen. Am nächsten Morgen erklärte er mir, die Piloten hätten Verständnis für die Schließung des Flughafens – sie sahen selbst, daß die Flugzeuge leer blieben. Aber sie fänden den Sozialplan nicht fair. Ich war überrascht: Gerade hatten wir die Verhandlungen über den ersten Rahmenvertrag in zwölf Jahren mit den Piloten abgeschlossen, und er war mit großer Mehrheit angenommen worden. Ich hatte die vereinbarten Zahlungen im Fall der Versetzung sogar verdoppelt und nicht nur den Piloten, sondern auch allen anderen Beschäftigten angeboten. Das besänftigte den Vorsitzenden jedoch nicht. Er bat mich, noch vor der allgemeinen Versammlung zu einem Treffen mit den Piloten zu kommen. Das Treffen fand – mild formuliert – in feindseliger Atmosphäre statt. Aber es wäre unaufrichtig gewesen, einen Rückzieher zu machen oder Sympathie zu heucheln. Meiner Ansicht nach wurden die Piloten fair behandelt, und das sagte ich auch. Etwa eine Stunde später traf ich dann den Rest der Belegschaft und deren Familien – insgesamt etwa 600 Menschen. Ich erklärte die Details der Schließung und der Versetzungen, schilderte meine Vision für Continental und wieviel wir schon erreicht hatten. Danach gab es Gelegenheit, Fragen zu stellen. Ungefähr fünf Minuten lang sprachen mir die Mitarbeiter Anerkennung dafür aus, daß ich persönlich gekommen war und ihnen ein finanzielles Angebot unterbreitete. Doch dann kamen die Piloten herein – in voller Uniform und begleitet von ihren Familien. Sie verteilten sich im Raum und blieben stehen. Einer der Piloten ging ans Mikrophon und erklärte, das Management sei seiner Ansicht nach völlig inkompetent und treffe wieder einmal die falsche Entscheidung. Die anderen Piloten applaudierten. Wissen Sie, was dann passierte? Die anderen Mitarbeiter – angeführt von einem Gepäckarbeiter, der ebenfalls versetzt werden sollte – standen auf und verteidigten mich 20 Minuten lang. Sie sagten den Piloten, diese sollten glücklich sein, daß Continental endlich eine Führung habe, die ihnen genug Respekt entgegenbringe, die schlechte Nachricht – und das Angebot einer finanziellen Kompensation – selbst zu überbringen. Als ich ging, bekam ich anhaltenden Applaus. Ich will mit dieser Geschichte nicht die Piloten herabsetzen, sondern demonstrieren, wie Vertrauen entsteht, wenn die Leiter eines Unternehmens sich in schlechten Zeiten weder verstecken noch um den heißen Brei herumreden. In Fällen, wo alles gut läuft, kann man Mitarbeiter leicht glücklich machen. Aber echtes Vertrauen muß man sich an 365 Tagen im Jahr erarbeiten. Heute macht es Spaß, bei Continental zu arbeiten. Viele Statistiken beweisen das: eine sehr viel niedrigere Fluktuation, weniger Krankheitstage und Arbeitsunfälle, die geringere Zahl der Schadensersatzforderungen. Aber meine Lieblingszahl betrifft den Verkauf von Produkten mit dem Continental-Logo. Dieselben Mitarbeiter, die früher die Abzeichen von ihren Hemden rissen, steigerten ihre Käufe von Mützen oder T-Shirts für sich und ihre Freunde um mehr als das Vierfache. All das kommt dabei heraus, wenn Sie die Betroffenen mitreden lassen. Vielleicht erscheint es Ihnen so, als hätten Sie etwas Autorität verloren und könnten nicht mehr jedes kleine Detail kontrollieren. Der Eindruck stimmt – aber das ist in Ordnung. Sie können ein Unternehmen ohnehin nicht aus dem Chefbüro regieren. Wenn es den Beschäftigten gut geht, geht es allen gut – vom Kunden bis zum Aktionär. Was richtiger Schwung bringt Manchmal werde ich gefragt: „Hat Sie etwas an diesem Turnaround wirklich überrascht?“ Meine Antwort lautet dann immer: „Die Tatsache, daß er nicht gescheitert ist“. Das ist etwas übertrieben, denn ich hatte viel Vertrauen in meine Mitarbeiter und die Logik des Go Forward Plan. Aber am Anfang lag so vieles im argen, daß ich wirklich das Gefühl hatte, jeder kleinste Fehltritt könnte den Absturz bedeuten. Ein einziger Kreditgeber hätte unsere Neustrukturierung blockieren können. Die Konjunktur hätte einbrechen können. Die Piloten hätten die vertraglichen Regelungen ablehnen können. Wir haben hart gearbeitet – und wir hatten viel Glück. In der Rückschau wird mir klar, daß unsere wichtigste Hilfe die Schwungkraft war. Der Anfeuerungsruf unseres Turnarounds lautete: „Mach es schnell, mach es sofort, und mach gleich alles auf einmal. Leg los!“ Wir machten Continental die Hölle heiß, wir bewegten uns schnell und gewannen Tempo beim Aufstieg auf 12 000 Meter. Bald waren wir nicht mehr zu stoppen. Was für ein Flug – und er ist noch nicht vorbei. Wir dürfen unsere Schwungkraft nicht verlieren. Der Turnaround liegt hinter uns. Aber wir werden nicht vergessen, was wir dabei gelernt haben. Wir wenden die Lehren tagtäglich an. © by the Presidents and Fellows of Harvard College; ursprünglich veröffentlicht in „Harvard Business Review“ Nr. 5, September/Oktober 1998, unter dem Titel: „Right away and All at Once: How we Saved Continental.“ Übersetzung: Boris Burauel. Weil Zeit und Geld knapp waren, stellten die Unternehmensführer von Continental den Go Forward Plan auf. Er hatte vier Eckpfeiler und war auf grundlegende Veränderungen ausgerichtet. Fly to Win galt dem Absatz, Fund the Future den Finanzen. Make Reliability a Reality diente der Verbesserung des Produkts, und mit Working Together sollte die Unternehmenskultur verändert werden. Der Plan war nicht kompliziert – sondern das Ergebnis logischen Denkens und gesunden Menschenverstands. Noch heute bildet er das Rückgrat der Unternehmensstrategie. Fly to Win Auf Schlüsselfaktoren konzentrieren: - Unrentable Flüge streichen; - Kosten senken durch geringere Kapazitäten; - das bisher gültige Programm CALite abschaffen; - die Standorte Houston, Newark und Cleveland ausbauen. Den Kundenkreis über Rücksacktouristen hinaus auf Geschäftsreisende erweitern. Durch neue Absatzpolitik die Beziehungen zu Reisebüros, Unternehmen und Vielfliegern verbessern. Ziel: Die Einnahmen erhöhen und Gewinn erwirtschaften. Fund the Future Liquidität ständig kontrollieren. Gewinn- und Verlustrechnung umstrukturieren. Flugzeugflotte umgestalten: Anzahl der Flugzeugtypen von 13 auf 4 reduzieren; Flugzeuggröße der Nachfrage anpassen; überhöhte Leasingraten senken. Strategisch unwichtige Bereiche verkaufen. Ziel: Liquidität sichern. Make Reliability a Reality Bei den Qualitätsuntersuchungen des USVerkehrsministeriums überdurchschnittlich abschneiden: Pünktlichkeit der An- und Abflüge; Zuverlässigkeit der Gepäckbeförderung; Anzahl der Kundenbeschwerden; Häufigkeit von Überbuchungen. Flottenimage verbessern: Flugzeuge außen neu anstreichen, innen einheitlich gestalten; Telephone einbauen; First-Class-Sitzplätze anbieten; Sauberkeit verbessern; besseres Essen servieren. Ziel: Das Produkt verbessern, um bevorzugte Airline zu werden. Working Together Vertrauen der Belegschaft in das Management wiederherstellen: Anreize zu größerer Pünktlichkeit schaffen; einen schlüssigen und zu-verlässigen Flugplan entwickeln; Kommunikation verbessern; Gewinn erwirtschaften und die Mitarbeiter daran beteiligen; Frieden zwischen den Arbeitsgruppen halten. Eine ergebnisorientierte Kultur schaffen: Menschen ihre Arbeit ohne Störungen machen lassen; sich gegenseitig mit Würde und Re-spekt behandeln. Ziel: Eine neue Unternehmenskultur aufbauen. Legen Sie den Flugplan fest und verfolgen Sie Ihr Vorankommen. Gerade in einer Krise kommt es auf eine strategische Ausrichtung an. Unternehmensführer müssen die wirkungsvollsten Maßnahmen finden, an ihnen festhalten und die damit erreichten Fortschritte kontinuierlich beobachten. Machen Sie reinen Tisch. Das Team, das die Krise verschuldet hat, wird nur in den seltensten Fällen selbst aus ihr herausführen können. Es klingt hart, aber Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben, als die bisherige Führungsriege durch eine neue zu ersetzen. Denken Sie an Einnahmen, nicht an Ausgaben. In Krisenzeiten versuchen Unternehmen, die Kosten zu senken. Doch das kann dem Produkt und damit den Erlösen schaden. Sie entkommen dem Teufelskreis, indem Sie um Entschuldigung bitten und sich auf die Verbesserung des Produkts konzentrieren. Stellen Sie dem Fluggast auf Platz 9C die richtige Frage. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was Kunden wollen, und dem, wofür sie zahlen würden. Diesen Unterschied müssen Sie unbedingt kennen. Lassen Sie die Betriebsangehörigen mitreden. Starke Führung, feste Vorgaben und eine klare Richtung sind beim Turnaround entscheidend. Dazu braucht das Arbeitsumfeld nicht repressiv zu sein. Wenn Mitarbeiter keinen Spaß an der Arbeit haben – wenn sie nicht engagiert sind und nicht mit Respekt behandelt werden –, sind alle Turnaround-Maßnahmen zum Scheitern verurteilt.